Kapitel 2

 

Tief holte Kapitän Peter Anderson Luft und setzte sich auf seinen Platz im Cockpit der Maschine. Heute war sein letzter Flug für die nächsten drei Wochen, denn dann gönnte er sich einen langen schönen Urlaub in den Bergen. Er liebte das Wandern und Klettern und genoss es als Ausgleich zu seinem anstrengenden Beruf.

Das einzige, das ihm zu seinem Glück noch fehlte, war eine Frau mit der er die schönen Dinge des Lebens genießen konnte und die seine Leidenschaften teilte. Doch bisher hatte er wenig Glück mit dem weiblichen Geschlecht. Aber er gab die Hoffnung nicht auf, irgendwann die Richtige zu finden.

Das Flugzeug war zu dieser frühen Stunde recht leer und er zählte bei der Begrüßung achtundvierzig Passagiere. Die meisten davon Geschäftsleute, die sich gehetzt auf dem Weg zum nächsten Meeting befanden und kaum von ihm und seiner Crew Notiz nahmen.

Besonders unangenehm war ihm eine groß gewachsene blonde Frau mit mürrischen Gesichtsausdruck und deutlicher Alkoholfahne aufgefallen. Sie drängelte sich an ihm auf dem Weg zur ersten Klasse vorbei, ohne ihn oder die Stewardessen auch nur eines Blickes zu würdigen.

Er schüttelte den Kopf und kniff die Lippen zusammen. Wie er diese hochnäsigen Karriereschlampen in ihren maßgeschneiderten Kostümen hasste, die sich für etwas Besseres hielten und es doch nicht waren.

Dann trat eine junge Frau mit zwei kleinen süßen Mädchen durch die Tür, die ihn offen anlächelten und damit seinen Tag retteten. Genau für solche Augenblicke war er Pilot geworden. Die beiden stellten sich als Alice und Ava Jenner vor und ihre Mutter heiße Cynthia, hasse diesen Namen aber.

Aufgeregt erzählten die beiden Quasselstrippen weiter, dass sie auf dem Weg zu ihren Großeltern waren und dies ihr erster Flug sei, bis ihre Mutter sie mit einem entschuldigenden Lächeln weiter schob, um Platz für die nächsten Passagiere zu machen, die an Bord drängten.

Die Sicherheitschecks waren alle abgeschlossen und nach dem Okay vom Tower konnte er den Flieger starten und Richtung Landebahn rollen.

Neben Peter nahm sein heutiger Co-Pilot Tim Bond Platz und strich sich grinsend durch das wirre blonde Haar. Warum nur musste er ausgerechnet mit ihm fliegen. Er konnte den aufgeblasenen Kerl, der eher an einen Surferboy als an einen Piloten erinnerte, nicht leiden.

Peter war der Meinung, dass Tim den Job einfach nicht ernst genug nahm. Außerdem war er hinter jedem Rock her und füllte das Klischee vom Piloten, der jede Stewardess rammelte, die nicht bei drei auf den Bäumen war, mit Leben. Er hatte keine Ahnung, was die Frauen an ihm fanden und hegte den Verdacht, Tim sei nur Pilot geworden, um der Damenwelt zu imponieren.

Vielleicht schwang auch etwas Neid mit, denn Peter war nicht nur fünfzehn Zentimeter kleiner als Tim, sondern auch rund vierzig Pfund schwerer und zwanzig Jahre älter. Und auch sein schütteres braunes Haar machte ebenfalls keinen sonderlich guten Eindruck auf die Damenwelt, was dazu führte, dass sein letztes Date mehr als drei Jahre her war und ein unrühmliches Ende genommen hatte. Bei dem Gedanken daran, verfinsterte sich seine Miene und er zog die Augenbrauen zusammen.

„Warum so mürrisch, Chef?“, fragte Tim und grinste ihm unverschämt fröhlich ins Gesicht. „Schlechte Nacht gehabt? Also meine war wie immer super“, erzählte er weiter und verdrehte genüsslich die Augen.

„Erspar mit die schlüpfrigen Details, Casanova. Konzentrier dich lieber auf die Arbeit und überlass mir mein Privatleben“, entgegnete Peter finster. „Wie sehen die Wetterdaten für heute aus?“

Tim beugte sich mit einem Lächeln auf den Lippen zu dem Monitor und gab mit flinken Fingern die entsprechenden Befehle ein.

„Strahlender Sonnenschein und kein einziges Wölkchen auf unserer Route. Bei den momentanen Wetterverhältnissen müssten wir sogar die halbe Stunde Verspätung wieder herausholen können.“

Mit Schaudern dachte Peter an die zusätzliche Fracht im Laderaum, die er in letzter Minute mitnehmen musste und ihm die halbe Stunde Verzögerung einbrachte. Es war zwar schon öfter vorgekommen, dass er auf seinen Flügen Verstorbene transportierte, doch diesmal überkam ihn ein ungutes Gefühl bei dem Ganzen.

Irgendetwas war komisch gewesen und die Männer starrten ihn merkwürdig betreten an, als er routinemäßig nachfragte, ob irgendeine Gefahr für ihn oder die Passagiere bestehe. Doch die Papiere waren in Ordnung und ohne begründeten Verdacht durfte er die Mitnahme nicht verweigern. Also war der Sarg ohne großes Aufsehen in den Frachtraum geladen worden.

Dröhnend startete er die Triebwerke und rollte langsam in Richtung Startbahn. Durch die geschlossene Tür hörte er leise die Stimme der neuen jungen Stewardess die Sicherheitshinweise verkünden. Sie hieß Annie Clark und hatte heute ihren ersten Flug nach Beendigung der Ausbildung.

Er musste lächeln, als er an seinen ersten Flug zurückdachte, der gefühlte tausend Jahre zurück lag. Damals glaubte er vor Aufregung nie wieder schlafen zu können und war nahe dran gewesen, sich ins Cockpit zu übergeben.

Endlich bekam er die Starterlaubnis vom Tower und beschleunigte die schwere Maschine, bis sie elegant abhob und in einer langgezogenen Kurve die Flugrichtung zu ihrem Bestimmungsort einnahm. Genau für diese Momente war er Pilot geworden.

Er genoss das Gefühl, wie sich die Nase des Flugzeuges immer höher Richtung Himmel hob und ihm ein Empfinden von Freiheit und Kontrolle vorgaukelte, dass er nur hier empfand. Nach wenigen Minuten störte Tim diese himmlische Stimmung.

„Äh, Chef? Irgendetwas stimmt mit der Luke des Frachtraumes nicht. Ich bekomme merkwürde Werte angezeigt“, sprach ihn sein Copilot mit zusammen gezogenen Augenbrauen an. „Die Tür zur Passagierkabine scheint nicht in Ordnung zu sein.“

„Und?“, fragte Peter verärgert zurück. „Benutze ausnahmsweise einmal deinen Kopf statt deines Schwanzes. Wenn dort etwas nicht stimmt, dann geh hin, sieh nach und bring es in Ordnung.“

Tim seufzte theatralisch, erhob sich aber von seinem Sitz und lief nach hinten in Richtung der Frachtraumtür. Das war das letzte Mal, dass Peter seinen Kollegen lebend und in einem Stück sah.