Kapitel 6

 

David bretterte mit seinem Pickup durch die Straße und versuchte dabei den umher rennenden Gestalten auszuweichen und niemanden absichtlich zu überfahren. Das hier waren doch seine Freunde oder zumindest enge Bekannte. Auch wenn sie sich nicht normal verhielten und wie aus einem Horrorfilm entsprungen aussahen.

Mit quietschenden Reifen kam er vor dem auffällig rot angestrichenen Haus von Marie Breston zu stehen, sprang aus dem Wagen und rannte zur Tür. Er rüttelte am Türknauf und schlug wie ein Wahnsinniger auf das Türblatt aus massivem Holz ein. Dabei schrie er unablässig nach seiner Mutter und ihrer Freundin.

„Mom? Misses Breston? Seid ihr da drin? Macht die verdammte Tür auf und lasst mich um Himmels Willen rein!“

Hinter ihm klirrte Glas und als er sich umdrehte, sah er das gewaltige Loch in der zersplitterten Wohnzimmerscheibe des Hauses gegenüber.

Davor lag auf dem Rasen der alte Mister Jenkins und versuchte blutend und auf allen vieren vor dem, was im Haus auf ihn lauerte, zu fliehen. In dem Moment griffen zwei Arme aus dem Loch und die alte Nachbarin versuchte ihrem Mann stöhnend auf den Rasen zu folgen. Dass sie sich dabei die Arme zerschnitt und stürzte, schien sie nicht einmal zu bemerken.

Würgend stieg David sein Frühstück wieder vom Magen in die Kehle und er übergab sich hustend vor der Haustür von Marie Breston. Diese Geräusche schienen die Aufmerksamkeit seiner Nachbarin von ihrem Mann abzulenken und mit hässlich verzerrtem Gesicht und nach vorn gestreckten Armen torkelte sie auf ihn zu.

In diesem Moment wurde die Tür hinter ihm aufgerissen und zwei Arme zogen ihn mit festem Griff ins Haus, bevor die Tür wieder donnernd zuschlug. Schreiend und auf dem Rücken liegend versuchte er sich gegen die Umklammerung zu wehren, bis er in das tränenüberströmte Gesicht seiner Mutter blickte. Er riss sie in die Arme und presste ihren zerbrechlichen Körper fest an sich.

„David, mein Junge. Ich bin so froh, dass du da bist. Was um Gottes Willen ist da draußen nur los? Sind denn alle verrückt geworden?“, fragte sie mit zitternder Stimme und barg das Gesicht an seiner Brust.

„Ich weiß es nicht, Mom. Aber jetzt bin ich hier und bringe dich nach Hause in Sicherheit“, versprach er, überglücklich, dass sie noch lebte und unversehrt schien. „Wo ist Misses Breston?“

Schniefend hob seine Mutter den Kopf. „Als die Schreie anfingen und die ersten Leute übereinander her fielen, rannte sie nach draußen, um nach ihrer Tochter zu sehen. Ich habe sie angefleht, im Haus zu bleiben. Aber sie wollte nicht auf mich hören.“

Verlegen nahm sie ein Taschentuch und wischte sich damit über das Gesicht. „Das Telefon funktioniert nicht und ich hatte solche Angst. Da habe ich mich hier eingeschlossen und gehofft, dass du mich holen kommst.“

David wurde es warm ums Herz und er strich ihr liebevoll über das graue Haar. „Ich würde dich niemals allein lassen, das weißt du doch. Aber jetzt müssen wir von hier verschwinden. Bist du verletzt?“

Sie schüttelte den Kopf und stand auf. „Mir geht es gut. Und nun bring mich bitte hier raus und nach Hause.“

David nickte und wollte gerade zum Fenster neben der Tür gehen, um zu überprüfen, ob sie ungesehen den Pickup erreichen konnten, als er die Scheibe in der angrenzenden Küche zerbrechen hörte. Er und seine Mutter fuhren beide gleichzeitig herum und David griff nach ihrer Hand und schob sie beschützend hinter sich. An der Tür versuchte eines dieser Monster scharrend ebenfalls nach drinnen zu gelangen. Sie waren eingekreist.

Das röchelnde Stöhnen aus dem Raum vor ihnen verhieß nichts Gutes und er bedeutete seiner Mutter stumm mit ihm leise die Treppe in den ersten Stock hinauf zu gehen. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, von dort in den Garten und nach draußen zu gelangen. Das Haus von Misses Breston lag am Stadtrand und grenzte fast an den Wald, durch den sie mit etwas Glück ungesehen zu ihrer Farm und in Sicherheit gelangen konnten.

Auf dem Treppenabsatz angekommen, schob David seine Mutter vor sich her in das Schlafzimmer und schloss hinter ihnen die Tür. Verärgert musste er feststellen, dass sich die Tür nicht abschließen ließ, doch das war jetzt nicht zu ändern. Er schaute sich in dem hellen und gemütlich eingerichteten Raum um.

An der linken Wand standen ein schön geschnitzter Kleiderschrank und gegenüber davon das Ehebett, welches mit Bergen von Kissen geschmückt war. Er hatte noch nie verstanden, warum Frauen so viele Kissen im Bett brauchten. Schnell lief er zum großen Fenster und spähte vorsichtig durch die Gardine. Im Garten schien alles ruhig zu sein und vor dem Fenster begann zu seinem Glück gleich die Wiese mit den alten Obstbäumen. David traute sich zu, den Sprung aus dieser Höhe ohne größere Blessuren zu bewältigen. Dann würde er eine Leiter suchen und seine Mutter nachholen.

„Hast du eine Ahnung, ob deine Freundin eine Waffe besitzt?“, fragte er sie leise. Sie dachte angestrengt nach, schüttelte dann aber bestimmt den Kopf.

„Marie hält nicht viel von Schusswaffen. Ich glaube nicht, dass sie welche in ihrem Haus dulden würde. In der Küche befinden sich Messer, doch ich will lieber nicht nach unten gehen.“ Plötzlich strahlte sie über das ganze Gesicht. „Im Gartenschuppen hat sie eine beträchtliche Auswahl an Beilen. Zum Holzhacken für den großen Kamin im Wohnzimmer“, erklärte sie aufgeregt.

David nickte verstehend und erklärte ihr dann seinen Plan. Wie er nicht anders erwartet hatte, war seine Mutter davon nicht gerade begeistert. Doch sie sah ein, dass es keine andere Möglichkeit gab.

Er öffnete das Fenster und begann nach draußen zu klettern, als sie ihn am Arm zurück hielt. „Ich liebe dich, mein Sohn“, flüsterte sie und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn.

David lächelte sie zärtlich an. „Ich liebe dich auch, Ma und bin gleich wieder bei dir.“ Dann löste er sich vom Fensterrahmen und sprang mutig in die Tiefe.

Als er auf dem Rasen aufkam, verzog er das Gesicht und fiel zur Seite, als der Schmerz in seinen Knöchel schoss. „Verdammt“, fluchte er leise und rieb sich die schmerzende Stelle. Langsam erhob er sich und trat vorsichtig auf. Es schien nichts gebrochen zu sein, vermutlich war der Knöchel aber verstaucht. Das fehlte ihm gerade noch.

Betont fröhlich blickte er zu dem besorgten Gesicht seiner Mutter auf und hob grinsend den Daumen der rechten Hand. Sie sollte sich nicht noch mehr Sorgen machen. Dann drehte er sich um und humpelte geduckt nach hinten in Richtung Gartenschuppen. Seine Blicke flogen immer wieder in alle Richtungen, doch zum Glück konnte er nichts Ungewöhnliches entdecken. Merkwürdigerweise drangen kaum Geräusche von der Straße in den verwilderten Garten und fast konnte er sich einreden, dass nichts geschehen war und er doch nur unter den Auswirkungen der flirrenden Hitze litt.

Doch ein Blick zum Haus und dem ängstlichen Gesicht seiner Mutter am Schlafzimmerfenster zeigte ihm, dass er nicht träumte und dies alles wirklich geschah.

Endlich erreichte er den Schuppen, der gottlob nicht verschlossen war. Er öffnete die quietschende Tür und blieb erstaunt stehen. Das musste man Misses Breston lassen. Sie war eindeutig ein ordnungsliebender Mensch.

An der rechten Wand standen große Regale mit genau beschrifteten Boxen voller Schrauben, Nägel, Blumensamen und anderen Kleinigkeiten. Gegenüber der Tür befand sich ein Rasenmähertraktor, der fabrikneu glänzte und links von ihm, in Reih und Glied an die Wand gehängt, jede Menge Werkzeuge. Hacken, Schaufeln, verschiedene Beile und auch die erhoffte Leiter.

Er griff nach zwei kleineren Äxten, die rasiermesserscharf waren, sich aber gut handhaben ließen und steckte sie in seinen Gürtel. Dann hob er die Leiter von den Haken und wollte gerade zum Haus zurück laufen, als ein markerschütternder Schrei ertönte, der ihm das Blut in den Adern gefriere ließ.

„Mom!“, war sein einziger Gedanke. Er ließ die Leiter fallen und rannte so schnell es sein verletzter Knöchel zuließ zurück zum Haus. Dort hing seine blutende Mutter halb aus dem Fenster im ersten Stock während ein Wesen, dass vermutlich früher ihre ehemals beste Freundin Marie Breston gewesen war, sie mit gierigen Fingern fest hielt, an ihr riss und hungrige Zähne in ihr Fleisch schlug.

„David, hilf mir bitte“, schrie seine Mutter panisch und versuchte verzweifelt zu entkommen. David blickte sich suchend um und rannte zur Hintertür, die jedoch abgeschlossen war.

„Verdammter Mist“, schrie er wütend, zog eine der Äxte aus dem Gürtel und hieb wie ein Wahnsinniger auf das Schloss der Tür ein. Nach vier schier endlosen Schlägen schaffte er es und die Tür sprang auf.

Er wollte gerade durch das dahinterliegende Esszimmer stürmen, als ihm mit schnappenden Kiefern und gierig greifenden Händen die ehemalige Nachbarin von Miss Breston erstaunlich flink entgegen stürmte. Blut klebte an ihren zu Klauen geformten Händen und Fleischfetzen hingen aus dem hungrig geöffneten Maul.

Irgendwie musste sie sich Zugang zum Haus verschafft haben und bevor er überhaupt nachdenken konnte, schlug er der Frau mit seiner Axt den Schädel ein und sah angewidert zu, wie sie vor ihm zusammen sackte.

Erschrocken sog er die Luft ein, als er jetzt freie Sicht durch den Flur hatte. Die Scheibe neben der Haustür war geborsten und gab den Blick auf die dahinter liegende Straße frei. Dort hatten sich mindestens zwanzig der Monster versammelt und strömten jetzt grinsend und mit gefletschten Zähnen ins Haus. Er trat einen zögernden Schritt nach vorn doch ihm war klar, dass er es niemals bis zur Treppe und hinauf zu seiner Mutter schaffen würde. Und dort konnten sie die Tür nicht verschließen und waren ohne brauchbare Waffen den Biestern schutzlos ausgeliefert. Schweren Herzens drehte er sich um und humpelte aus dem Haus. Er schlug die Hintertür zu und verklemmte sie mit einem großen Stein.

Verzweifelt schaute er zu dem Schlafzimmerfenster hinauf, doch seine Mutter war nicht mehr zu sehen. Nur ihre blutigen Handabdrücke am Rahmen und schmatzende Geräusche aus dem Raum dahinter erinnerten ihn daran, was geschehen sein musste.

David schrie gequält auf und rannte dann, so schnell es sein verletzter Fuß zuließ, durch den Garten zwischen alten Obstbäumen hindurch und in den Wald hinein. Die Verzweiflung schnürte ihm die Kehle zu und heiße Tränen liefen über seine Wangen und nahmen ihm die Sicht.

Seine Mutter hatte ihm vertraut und er musste sie einfach ihrem Schicksal überlassen. Doch hier konnte er nichts anderes mehr tun, als sein eigenes Leben zu retten.