Kapitel 13

 

Im Bauch des Fliegers war es bereits jetzt unerträglich heiß, denn die Nacht brachte kaum Abkühlung. Die Sonne brannte unbarmherzig vom wolkenlosen Himmel und es wurde Zeit, sich auf den Weg zu machen.

Sie packten alles zusammen, was ihnen nützlich erschien und versammelten sich hinter dem Flieger. Nur Susan Simons bestand weiterhin hartnäckig darauf, ihren gesamten Koffer mitzunehmen und ihr Mann Henry bestärkte sie auch noch darin.

Die beiden schienen den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben. Annie und Mia ließen der Frau ihren Willen, wenn sie sich allein um das sperrige Gepäckstück kümmerte. Der Rest der Gruppe war zum Glück vernünftiger und beschränkte sich auf leichte und überlebensnotwendige Dinge. Und so standen sie in der Gluthitze im Schatten des Fliegers und warteten auf die restlichen drei Personen ihrer Gruppe.

Wobei sie versuchten, die verstümmelten Leichen um sie herum zu ignorieren und auch das, was dort im Inneren des Flugzeuges gerade geschah. Mia fuhr sich mit der Hand erschöpft übers Gesicht und ließ ihren Blick über die kleine Gruppe schweifen. Die meisten starrten bemüht auf den Boden oder in die Ferne und wirkten müde und antriebslos. Aber wenigstens waren sie alle noch am Leben.

Nur Susan und Henry machten den Eindruck, als würden sie alles um sich herum regelrecht einsaugen und in ihrem Gehirn speichern. Sie hielten sich von der Gruppe fern und tuschelten leise miteinander. Mia runzelte die Stirn. Die beiden wurden ihr immer unheimlicher und suspekter. Es war wohl das Beste, sie im Auge zu behalten.

Als Peter, Jeff und Nicole mit weißen Gesichtern ebenfalls aus dem Flieger heraus traten und sich zu ihnen gesellten, sprach keiner ein Wort.

Nur Annie fragte leise und mit Tränen in den Augen: „Wollen wir sie nicht wenigstens beerdigen? Es waren schließlich einmal Menschen.“

Alle blickten betreten zu Boden und schwiegen. Nur Nicole musterte Annie abschätzend. „Du willst bei der Hitze und dem steinharten Boden wirklich ohne Werkzeug Löcher graben? Auf offenem Gelände? Und damit riskieren, von einem dieser Dinger hinterrücks angefallen und gebissen zu werden?“

Annie schüttelte entsetzt den Kopf. „Natürlich nicht! Ich finde es nur nicht richtig, sie hier einfach so liegen zu lassen.“

„Ich verstehe dich“, versuchte Jeff die Wogen zu glätten. „Aber hier geht es nicht um Anstand und Moral, sondern um unser nacktes Überleben. Du musst dich von dem Gedanken verabschieden, was unter normalen Umständen zu tun ist. Denn das hier ist nicht mehr normal. Es gelten jetzt andere Regeln und wir können es uns nicht erlauben, unachtsam zu sein oder falsches Mitgefühl walten zu lassen. Denn das kann über Leben und Tod entscheiden. Verstehst du?“

Annie nickte traurig, haderte aber immer noch mit sich. „Es ist trotzdem nicht richtig“, dachte sie trotzig, wagte es aber nicht, ihre Gedanken offen auszusprechen, da niemand ihre Meinung zu teilen schien.

Peter schaute sehnsüchtig zu der imposanten Maschine auf und überlegte, ob er sie wirklich allein und mitten auf der Straße stehen lassen konnte. Was würde die Fluggesellschaft davon halten? Oder die Polizei? Er schüttelte den Kopf bei diesen Überlegungen.

Das Land befand sich in Aufruhr und er machte sich Gedanken, ob er haftbar gemacht werden konnte, wenn jemand das Flugzeug beschädigte oder es durch seine Schuld zu einem Unfall kam.

Er räusperte sich, riss schweren Herzens den Blick vom Flieger los und sah in die erwartungsvollen Gesichter der kleinen Gruppe. Von achtundvierzig Passagieren und vier Crewmitgliedern waren nur noch fünfzehn Personen einschließlich ihm übrig geblieben.

„Dann wollen wir mal“, sagte er mit belegter Stimme, schulterte seine Tasche und griff die Axt fester. „Wir halten uns an die Straße und laufen bis zur nächsten Farm.“

Die Gruppe setzte sich mit Peter an der Spitze langsam in Bewegung. Die Sonne brannte bereits erbarmungslos auf sie herab und es versprach wieder ein glühend heißer Tag zu werden.

Kein Wölkchen trübte den strahlend blauen Himmel und nicht das kleinste Lüftchen versprach wenigstens einen Hauch von Abkühlung. Der Schweiß rann ihnen in Strömen vom Körper und das Atmen fiel immer schwer.

Peter konnte sich erinnern, dass er mehrere Farmen überflogen hatte, die ein paar Meilen voneinander entfernt waren. Die nächst gelegene konnte nicht mehr weit sein und er wollte es nicht riskieren, auf der offenen Straße eine Pause einzulegen. Es war schon merkwürdig genug, dass ihnen kein Mensch begegnete. Wenigstens fanden sie auch keine Infizierten.

„Nur noch bis zu nächsten Biegung“, versuchte er die Leute zu ermuntern und zuversichtlicher zu wirken, als er war. Sie hatten die Frauen und Kinder in ihre Mitte genommen und jeder von ihnen hielt seine provisorischen Waffen fest. Im Falle eines Angriffs würden sie ihnen zwar kaum nutzen, aber allein der Gedanke daran, den Verwandelten nicht vollkommen wehrlos ausgeliefert zu sein, brachte eine gewisse Beruhigung mit sich. Aufmerksam wanderten ihre Blicke umher und scannten die Umgebung.

Außer dem Wald, der die Straße rechts und links umschloss und umrahmt wurde von sonnenverbrannten Weiden und Feldern, war weit und breit nichts zu sehen. Die Stille war fast unheimlich und wurde nur von dem Geräusch ihrer Schritte unterbrochen. In diese trostlose Einöde schien sich auch  kein Vogel zu verirren und nicht das leiseste Lüftchen brachte auch nur etwas Abkühlung in diesen Backofen.

Peter hielt inne und kniff die Augen gegen die Sonne zusammen, um besser sehen zu können. Er glaubte, in der Ferne etwas zu erkennen, war sich aber nicht hundertprozentig sicher.

„Dort hinten auf der rechten Seite müsste sich ein Feldweg befinden. Vermutlich die Zufahrt zu einer Farm“, wandte er sich an die anderen. „Ich werde mit Jeff und Nicole das Wohnhaus suchen und nach dem Rechten sehen. Bestimmt sind dort Menschen, die uns helfen können. Die anderen verstecken sich dort drüben auf der anderen Straßenseite im Schatten der Bäume und ruhen sich ein wenig aus. Mia und Annie kümmern sich um die Verteilung der Vorräte und behalten die Gegend im Auge. Wenn alles in Ordnung ist, kommen wir euch holen.“

Jeff und Nicole nickten ihm zu und er konnte die Erleichterung in den Gesichtern der übrigen Mitglieder seiner Gruppe sehen, als diese sich nach links auf den Weg zu den schattenspendenden Bäumen begaben. Keiner wollte sich freiwillig in Gefahr begeben und mit einem dieser Dinger zusammen stoßen.

Mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete Jeff die blasse Susan, die sich mit ihrem schweren Koffer abmühte. Was war nur wichtiges in dem Ding enthalten dass sie sich so hartnäckig weigerte, das Gepäckstück zurück zu lassen? Oder verwirrte der Schock ihren Geist?

Sein Gefühl sagte ihm, dass mit der schweigsamen Frau irgendetwas ganz und gar nicht stimmte. Sie hielt sich bei allem zurück und klammerte sich nur an ihre Habseligkeiten.

Und auch das Verhältnis zu ihrem Mann war alles andere als normal. Sie behandelte ihn eher wie einen Untergebenen und nicht wie einen Ehepartner. Susan gab Befehle, er befolgte sie.

„Fast wie beim Militär“, schoss es ihm durch den Kopf. Ob sie womöglich sogar eine Gefahr für die Gruppe darstellten? Oder wurde er schon paranoid? Er würde dringend mit den anderen darüber reden müssen, was sie von dem Ganzen hielten.

Nicole riss ihn aus seinen Überlegungen und zeigte zum Weg.

„Wir sollten uns dem Haus nicht frontal nähern, da wir keine Ahnung haben, was uns dort erwartet. Ich schlage vor, über die Wiese zum Waldrand zu laufen und uns in der Deckung der Bäume einen Überblick zu verschaffen. Dort können wir uns hoffentlich unbemerkt den Gebäuden nähern, ohne selbst Gefahr zu laufen, entdeckt und angegriffen zu werden. Oder einem übereifrigen Hinterwäldler in die Schusslinie zu geraten. Wenn alles in Ordnung ist, können wir uns zu erkennen geben und versichern, dass wir nicht gefährlich sind.“

Peter nickte bestätigend. „Ich bin der gleichen Meinung. Wir sollten kein unnötiges Risiko eingehen.“ Er blickte zu Jeff, der ebenfalls zustimmend den Kopf bewegte.

Geduckt liefen sie dicht hintereinander los und näherten sich über die Wiese dem Waldrand, als Peter abrupt stoppte. Fast wären Jeff und Nicole über ihn gestürzt.

„Was ist denn los?“, flüsterte Jeff gereizt. Peter trat wortlos zur Seite und zeigte nach vorn. Dort lagen die ausgeweideten Reste einer Kuh. Es sah aus, als wäre ein wildgewordenes Tier über sie hergefallen und hätte das arme Tier bei lebendigem Leib zerfleischt. Die Kehle und der Bauchraum waren offen und die Gedärme um die tote Kuh verstreut.

Kurz kam Peter die verstörende Frage in den Sinn, ob die Möglichkeit bestand, dass sich Tiere ebenfalls mit dem Virus infizieren konnten. Sie hatten nichts davon in den Nachrichten im Internet gelesen und bisher auch kein Zombie-Tier gesehen. Aber das bedeutete nicht, dass dies unmöglich war. Fürs Erste würde er seine Überlegungen lieber für sich behalten, bevor ihn die anderen noch für vollkommen übergeschnappt hielten.

Zögernd blickte er in die Richtung, in der sie das Wohnhaus der Farm vermuteten und kratzte sich am Kopf.

„Ich halte es für keine gute Idee zu dieser Farm zu laufen. Die blutigen Spuren führen dorthin“, meinte er zweifelnd. Nicoles Bauchgefühl stimmte ihm zwar ganz und gar zu, doch sie konnten bei dieser Hitze und den wenigen Vorräten nicht ewig auf der Straße bleiben. Außerdem hatte sie wenig Lust, die Nacht im Freien zu verbringen.

„Ich bin dafür, dass wir das Risiko eingehen und uns das Haus aus der Nähe ansehen. Dann können wir weiter entscheiden, was zu tun ist. So wie wir ursprünglich auch geplant hatten“, meinte sie daher mit Nachdruck. „Was sagst du?“, wandte sie sich fragend an Jeff.

Der starrte unschlüssig auf die Überreste des Tieres und hob langsam den Kopf. „Ich denke auch, wie sollten uns die Farm aus der Nähe ansehen. Vielleicht gibt es dort Menschen, die unsere Hilfe brauchen?“

„Also gut“, gab Peter zögernd nach. „Aber seid vorsichtig. Wir haben keine Ahnung, was uns dort erwartet und ich will nicht noch mehr Menschen verlieren.“

Die drei liefen geduckt weiter über die Wiese zum Waldrand und von dort aus im Schutz der Bäume Richtung Farmhaus. Je näher sie den Gebäuden kamen, umso schlimmer wurde der Gestank nach geronnenem Blut und Verwesung. Sie blickten sich an und wussten, egal was sie hier noch vorfanden, es war nicht mehr menschlich.

Trotzdem liefen sie noch ein Stück weiter, bis sie zu den Koppeln kamen und dort eines der Dinger angebunden an seinen eigenen Gedärmen entdeckten. Früher einmal musste das Biest eine junge Frau gewesen sein, doch jetzt machte es einen jämmerlichen Eindruck. Das Wesen versuchte immer wieder sich zu befreien, doch es hing einfach zu fest. Außerdem fehlten ihm beide Arme.

Mitgefühl und Übelkeit stieg in Nicole auf, allerdings war es ihr nicht möglich, den Blick von dieser bizarren Szene abzuwenden. Sie fragte sich, wer dem Wesen so etwas Furchtbares angetan hatte. Wer nur konnte so grausam sein? Den anderen beiden erging es ähnlich und so hockten sie hinter ein paar Büschen und starrten angewidert auf dieses unwirkliche Bild.

Das entsetzliche Brüllen einer Kuh löste ihre Starre und sie blickten sich schockiert an. Eines dieser Biester lief hier noch frei herum und sie hatten keine Lust, ihm zu begegnen. Also entschlossen sie sich, so schnell wie möglich zu verschwinden und zurück zu den anderen zu gehen. Denn dieses Vieh wollte nicht nur fressen, sondern seine Opfer vorher bestialisch quälen.

Sie hatten es gerade aus dem Dickicht des Waldes geschafft und wollten die verdorrte Wiese überqueren, um wieder auf die Straße zu gelangen, als sie die markerschütternden Schreie hörten. Entgeistert blickten sie sich an, bevor die Erkenntnis in ihr Hirn drang.

Die anderen wurden angegriffen! Trotz der eigenen Angst stand für sie fest, dass sie niemanden ihrer Gruppe im Stich lassen würden und so rannten sie so schnell es bei der Hitze und Erschöpfung möglich war, um ihnen zu Hilfe zu eilen.

Auf halbem Weg kam ihnen Cynthia mit ihren beiden Mädchen an der Hand völlig verstört entgegen. Die drei waren mit Blut bespritzt, schienen aber nicht selbst verletzt zu sein.

„Was ist passiert?“, fragte Nicole.

„Wir sind von den Biestern aus dem Hinterhalt angegriffen worden“, schluchzte sie verzweifelt.

„Versuch dich zu beruhigen und versteck dich mit den Kindern im Wald“, rief ihr Peter zu und rannte ohne das Tempo zu verringern weiter. „Aber lauf nicht zu weit. Wir erledigen die Viecher und kommen euch dann holen.“

Cynthia nickte zitternd und rannte mit ihren Kindern weiter, um sich im Schutz der Bäume vor dem Grauen zu verstecken.

Es waren drei von diesen angebissenen Dingern, die auf der Suche nach Nahrung über die Gruppe herfielen und gierig ihre fauligen Zähne in das warme Fleisch ihrer Opfer schlugen. Der Boden war mit Blut getränkt und man konnte nicht sehen, wer aus ihrer Gruppe alles verletzt war.

Peter holte weit aus und schlug einer kleinen alten Frau im Nachthemd und mit aufgerissener Kehle den Schädel mit seiner Axt ein. Nicole rammte schreiend ihr Messer dem nächsten Mann in einer zerfetzten Polizeiuniform ins Auge. Den dritten hatte Annie mit einem Stein den Schädel eingeschlagen.

Sie blickten sich in dem Chaos um und Peter schluckte schwer. Sie hatten vier aus ihrer Gruppe verloren. Nicole bückte sich nach dem Holster des Polizisten und fluchte leise. „Leer, verdammt.“

„Kommt, wir müssen weiter zur nächsten Farm. Wir sollten aber nicht mehr auf der offenen Straße laufen, sondern in der Nähe des Waldrandes bleiben“, versuchte Peter die fassungslosen Menschen zum Gehen zu bewegen. „Wir werden es schaffen und Hilfe finden. Diesmal bleiben wir zusammen.“

Es fiel ihm schwer, an seine Worte zu glauben. Doch Hoffnung war das Einzige, das ihnen im Moment noch geblieben war.

„Was machen wir mit den anderen?“ Nicole zeigte auf die Toten. „Sie sind gebissen worden und haben sich infiziert. Wenn wir ihnen nicht den Schädel einschlagen, werden sie sich wieder erheben und uns an die Gurgel gehen.“

Es widerstrebte Peter zwar, doch er musste ihr recht geben. Nur war es eine Sache, fremden und eindeutig untoten Menschen, die einen angriffen, den Kopf einzuschlagen. Aber eine andere, das bei toten Freunden zu tun, deren Leichen vor einem lagen. Auch wenn man die Personen erst kurz kannte. Und noch schlimmer war die Erkenntnis, dass man auch selbst dort hätte liegen können.

Er schluckte schwer. „Ich werde das erledigen“, flüsterte er mit zitternder Stimme. „Ihr könnt schon vorgehen.“ Er wollte den anderen den Anblick ersparen.

„Nein“, widersprach ihm Nicole energisch. „Wir sind jetzt eine Gemeinschaft, in der wir uns gegenseitig umeinander kümmern. Du musst die Last nicht alleine tragen. Ich werde dir helfen.“

Entschlossen kniete sie sich zu Boden und rammte der nächstliegenden toten Frau ihr Messer ins Auge.