Kapitel 3

 

Lautes Geschrei und wüste Beschimpfungen weckten sie aus wirren Träumen und irritiert hob Nicole den schmerzenden Kopf, um sich zu orientieren. Was zum Teufel war denn nun schon wieder los? Dieser Flug fing an ihr tierisch auf die Nerven zu gehen.

Wütend packte sie die verstörte junge Stewardess mit festem Griff am Arm, als diese eben an ihr vorbei ins Cockpit eilte. „Was soll das Geschrei? Wenn Sie nicht sofort für Ruhe sorgen, werde ich mich bei Ihrem Boss beschweren“, schnauzte sie. „Dann wird das hier ihr letzter Flug sein und sie schrubben künftig nur noch die Toiletten.“

Auf dem Namensschild konnte sie den Namen Annie ausmachen. Die junge Frau versuchte verzweifelt sich los zu reißen. „Ich muss dringend zum Kapitän. Es gibt Probleme in der zweiten Klasse“, erwiderte sie mit zitternder Stimme und blickte ängstliche zum Vorhang zurück.

Nicole warf ihr einen irritierten Blick zu, löste aber ihre Finger von Annies Arm und ließ sie gehen. Mittlerweile drangen markerschütternde Schreie durch den Vorhang, der die erste von der zweiten Klasse trennte. Die anderen Passagiere der First Class blickten genauso verunsichert zum Vorhang, wie Nicole und bewegten sich unruhig in ihren Sitzen.

„Wissen Sie, was da hinten los ist?“ fragte sie ein beleibter Mann in einem zerknitterten dunkelgrauen Anzug. Nicole schüttelte leicht den Kopf. „Die Stewardess sagte etwas von Problemen und dass sie dringend den Kapitän informieren muss. Entweder ein medizinischer Notfall oder es versucht wieder jemand aus der Holzklasse auf unsere Toilette zu gehen“, versuchte sie zu witzeln, war aber selbst nicht recht davon überzeugt.

Die beiden Passagiere vor ihr erregten Nicoles Aufmerksamkeit und sie runzelte die Stirn. Der Mann schien nervös zu sein und lockerte mit zitternden Fingern seine Krawatte, während ihm die blasse Frau mit den braunen Locken zu zischte, er solle sich bloß zusammenreißen und nicht überreagieren.

Als sie Nicoles interessierten Blick auf sich spürte, lächelte sie schmallippig, drehte ihr demonstrativ den Rücken zu und blätterte beiläufig in einer Illustrierten.

„Merkwürdig“, dachte Nicole bei sich. „Alles hier ist in Aufruhr und sie tut so, als wäre nichts.“ Die Frau war ihr ein Rätsel.

In dem Moment rannte auch schon der Kapitän an ihnen vorbei und riss den Vorhang zu Seite. Nicole hielt bei dem sich ihr bietenden Anblick den Atem an und glaubte, sich sofort übergeben zu müssen.

Der Bereich der zweiten Klasse glich einer Kulisse für einen Horrorfilm. Auf dem Boden lag eine ältere Frau in einer Lache aus Blut und Erbrochenem, während ein Mann in Pilotenuniform über ihr kniete und knurrend mit seinen Zähnen große Stücke Fleisch aus ihrer Schulter riss. Die Fenster und Wände waren mit einer abstrakten Malerei aus Blutspritzern übersät, für die manch ein Sammler sicher eine Menge Kohle hingeblättert hätte.

Die Passagiere der zweiten Klasse drängten sich verzweifelt an die Flugzeugwände, um Abstand zu der Bestie zu gewinnen und schrien ohrenbetäubend. Cynthia Jenner drückte ihre beiden Mädchen Alice und Ava fest an sich und versuchte ihnen den Anblick zu ersparen, während ihre Augen vor Entsetzen so weit aufgerissen waren, dass sie fast aus den Höhlen zu quellen schienen. Es gab in der engen Maschine hoch über den Wolken kein Entkommen vor dem Grauen an Bord.

Im hinteren Bereich des Ganges erhob sich ein dicker Mann mit strähnigem Haar und offener Kehle stöhnend auf die Knie und sah sich mit wirrem Blick um. Vor ihm auf dem Boden lag etwas, dass wie rohes Fleisch aussah und der zerfetzten Kleidung nach zu urteilen, einmal ein Mensch gewesen sein musste.

Seine suchenden trüben Augen erfassten ein junges Mädchen neben ihm und knurrend stürzte er sich auf sie, um seine Zähne in ihren Hals zu schlagen. Durch den Schock war sie nicht einmal in der Lage zu schreien und aus der Wunde schoss sofort eine Blutfontäne bis zur Decke und spritzte auf die Passagiere, die sich neben ihr befanden. Der metallische Geruch von Blut schwebte in der Luft und nahm allen den Atem.

Die erste Stewardess Mia Sailor stand verstört im Gang daneben und starrte panisch auf den grausigen Anblick. In ihren ganzen fünfzehn Dienstjahren hatte sie noch nie etwas ähnlich Schreckliches erleben müssen. Sie versuchte, ihre Fassung wieder zu gewinnen, denn in erster Linie fühlte sie sich für die Passagiere verantwortlich.

Sie packte den Mann am Hemd und versuchte verzweifelt ihn von der Frau weg zu zerren. An ihre eigene Sicherheit verschwendete sie in dem Moment keinen Gedanken. Sie schrie die anderen Menschen an, ihr um Himmels Willen zu helfen, doch keiner rührte sich.

Der Kapitän stand erstarrt in der Tür und blickte wie hypnotisiert auf diesen verstörenden Anblick, als sich das Wesen, dass einmal sein Copilot gewesen war, vor ihm auf die Beine erhob und seine blutigen Zähne zu einem Grinsen direkt aus den Tiefen der Hölle bleckte.

Er bewegte sich mit gespenstischer Geschwindigkeit und schoss auf seinen ehemaligen Chef zu. Man konnte Peter vieles vorwerfen, doch nicht mangelndes Gespür für die Gefahr. In diesem Moment setzte sein Denken komplett aus und die Instinkte in dem schwergewichtigen Mann übernahmen die Führung.

In der Highschool und später im College war er ein leidenschaftlicher Footballspieler und das kam ihm jetzt zu gute. Er drehte sich zur Seite, beugte sich nach vorn und rammte seine Schulter mit voller Wucht in den Magen seines Angreifers, der kaum noch als menschliches Wesen zu erkennen war.

Sein ehemaliger Copilot keuchte und taumelte überrascht nach hinten, wobei er über die blutende Frau mit den toten Augen am Boden stürzte. Das löste die Starre in den übrigen Passagieren und ein Mann mittleren Alters hob schreiend seinen Aktenkoffer und rammte eine der stählernen Ecken immer wieder in Tims Gesicht, bis sein Kopf sich in eine blutige Masse verwandelte und er sich nicht mehr bewegte.

Auch in den hinteren Reihen fanden sich endlich Mutige, die Mia halfen, den zweiten Mann zur Strecke zu bringen und ihm den Schädel einzuschlagen. Nie würde einer der Anwesenden das grausame Geräusch zersplitternder Knochen, das keuchende Stöhnen und die verzweifelten Schmerzensschreie der Verletzten im Bauch des Fliegers vergessen.

Langsam wurde es wieder ruhig im Flugzeug und der Schock setzte ein, während die Menschen zitternd auf das Schlachtfeld blickten. Peter löste sich als erster aus der Starre und sah sich nach den beiden Stewardessen um.

„Ich werde den nächsten Flughafen anfunken und versuchen dort zu landen“, erklärte er mit bebender Stimme. „Annie, Sie und Mia kümmern sich bitte um die Passagiere.“ Dann drehte er sich um und ging mit wackeligen Knien wieder ins Cockpit zurück. Dort angekommen schloss er die Tür und übergab sich keuchend.