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Der alternierende Sirenenton eines Notarztwagens weht in der Entfernung umher, ein Geräusch in Schwarz und Weiß, wie ein Krankenwagen aus einer Wochenschau, der durch längst nicht mehr vorhandene Straßen hallt.

Für mich beschreibt sein galliges Plärren den Übergang von Verzagtheit zu Hoffnung. Ich warte ab, dass der Krankenwagen entschwebt, wieder Ruhe einkehrt und die beiden Männer ihre Hängegesichter in die Nacht heben. Streifen vom Bieretikett schälend und daraus mit der Hand Kegel rollend, beuge ich mich wieder nach vorn:

»Und – was ist mit dem Club passiert?«

»Tja.« Der Zerfurchte wendet sich an seinen Freund. »War das nicht dieser Große, der aus Leipzig?«

»Das waren zwei, weißt du nicht mehr? Einer hieß Bernd oder so – Bernd Specht.«

»Gerd Specht?«, souffliere ich.

»Ja, genau«, sagt der Genosse. »Gerd Specht.« Beide heben den Kopf noch ein bisschen höher und blasen Rauch ins Lampenlicht.

»Und – was ist passiert?«

»Der Club hat dichtgemacht«, sagt der Zerfurchte. »Ich glaube, er ist danach nach Kreuzberg gegangen.«

»Nein, nach Tempelhof.« Sein Freund dreht sich zu mir: »Warst du schon mal am Flughafen Tempelhof? Das größte Gebäude der Welt. Eins von Hitlers Projekten in den Dreißigern.«

»Nein.« Der Zerfurchte schüttelt den Kopf. »Das zweitgrößte Gebäude der Welt, nach dem Pentagon. Oder das drittgrößte. Auf jeden Fall unter den Top drei.«

»Was weiß ich – das solltest du dir auf jeden Fall mal ansehen. Ein fantastisches Baudenkmal, über einen Kilometer lang. Dreieinhalb Millionen Quadratmeter mitten in Berlin. Heute fast leer. Der Flughafen hat nur einen kleinen Teil davon in Beschlag, macht aber sowieso bald zu. Die Stadt weiß noch nicht, ob da Wohnungen rein sollen oder ein Hotel. Aber selbst bei zwanzig Hotels wäre noch Platz übrig.«

»Und dorthin ist Specht umgezogen?« Ich versuche, nicht fiepsig zu klingen. »Mit dem Club?«

»Ja, sein Laden muss da irgendwo sein, und wer weiß, was da sonst noch alles so ist. Ich glaube, irgendwo gibt’s eine Tanzschule und eine Bowling-Bahn, die haben die Amis gebaut. Wahrscheinlich ist in einigen Teilen seit dem Krieg keiner mehr gewesen.«

»Ich glaube, es gibt sogar eine Fischfarm«, nickt der Zerfurchte. »Klingt wie ein Scherz, ist aber typisch Berlin, wir wissen einfach nicht, was wir mit diesen Orten anfangen sollen. Trotzdem ein geschickter Zug von Specht, da so früh hinzugehen. Kannst du dir vorstellen, deine Geschäftsräume in so einem Gebäude zu haben?«

Während die Männer reden, spüre ich, wie sich die Wärme aus meinen Fingerspitzen zurückzieht.

»Die Mauern sind ungefähr fünf Meter dick«, sagt der Genosse. »Massivbau, Stein und Beton. Man könnte direkt daneben stehen und würde einen Club nicht hören.«

»Nein, drei Meter dick«, korrigiert der Zerfurchte. »Diese Estée Lauder, diese Schönheitsmillionärin aus New York, wollte den Flughafen kaufen und eine Avantgarde-Klinik draus machen, wo die Jets bis zur Tür fliegen. Aber typisch natürlich: Die Stadt hat wieder nur ein Symbol der Superreichen gesehen, die ihr Denkmal benutzen. Die ganzen Jobs, die dadurch entstanden wären, waren egal. Und Berlin braucht Jobs, wir haben uns bis heute nicht von der Wiedervereinigung erholt.«

»Jetzt redest du selbst schon wie ein Kapitalist«, spöttelt sein Freund. »Berlin will eben kein Tummelplatz für die Superreichen sein.«

»Wer im Krankenhaus liegt, ist doch auf keinem Tummelplatz. Und ein Forschungszentrum wollte die Lauder auch bauen. Stell dir mal vor – mit einer Landebahn direkt vor dem Fenster. Aber egal. So ist das auf jeden Fall mit Tempelhof. Du könntest das alles dort unterbekommen, und es wäre immer noch Platz.«

»Ja, das war einer von Hitlers großen Träumen«, sagt der Genosse. »Er wollte, dass Besuchern, die in Berlin landen, die Kinnlade runterfällt. Sie sollten aus dem Flugzeug steigen und den Mund nicht mehr zu kriegen, das war die Idee. Aus der Luft hat Tempelhof die Form eines Adlers, und zur Flugfeldseite hin gibt es ein Dach, unter dem die Flugzeuge wie in einer gigantischen Garage parken.«

»Große Träume«, sinniert der Zerfurchte. »Dabei wurde Tempelhof erst nach dem Krieg richtig berühmt, während der Luftbrücke, als die Russen die Zufahrtsrouten nach Westberlin blockiert hatten. Da sind die Flieger im Minutentakt in Tempelhof gestartet und gelandet. Die Rosinenbomber – wegen der Süßigkeiten, die die Piloten beim Anflug kurz vorm Flughafenzaun aus dem Fenster geworfen haben, für die Kinder, die unten schon gewartet haben.«

Auf meinem Gesicht macht sich ein heiter gelassenes Lächeln breit. Der Wind trägt nicht mehr länger die Vorboten des Siechtums, jetzt schmeckt er nach Neuanfang. Außerdem verzeichne ich bei dieser Geschichte das schwache, erstaunliche Gefühl von Stolz: Es ist mein Master-Limbus, der die Bonbons abgeworfen hat. Was in mir die Frage aufwirft, ob er damals schon derselbe war wie heute – und vielleicht einfach nur aggressiv geworden ist, wie ein Tumor.

»Wow.« Ich drifte zurück in den Moment: »Und ihr habt Specht da schon gesehen?«

»Klar«, nickt der Genosse. »Letztes Jahr habe ich jemandem vom Flieger aus Brüssel abgeholt – der letzte internationale Linienflug nach Tempelhof. Specht war vorne und hat eine Getränkelieferung entgegengenommen.«

Ich sitze da und sauge das alles in mich auf, bis explodierende Traumbilder das Gespräch zerstäuben und in den Hintergrund treten lassen. Vor allem ein ganz spezielles Bild wird zu einem Fixpunkt: Eine sphinxartige Figur alleine am Kopfende eines Banketttischs, in der Mitte eines monumentalen Saales, der aufs Eleganteste verwittert ist.

Das ist es: Die Ausstattung meines Ablebens nimmt Form an. Und sollten Sie annehmen, ein solches Aufflackern der Hoffnung laufe der Sache des Selbstmordes zuwider, lassen Sie mich versichern: Dem ist nicht so, im Gegenteil. Von meiner Position aus kann ich sagen, dass der Druck, endlich in die Gänge zu kommen, sogar steigt. Alle meine Bindungen sind durchtrennt, im Warten bin ich zu einem Gespenst geworden. Auch wenn Ihnen das bei meinen bisherigen Überlegungen, meinen Ausführungen zu dieser oder jener Trennung entgangen sein mag – Tatsache ist, dass ein freiwilliger Tod nur eine einzige Ursache hat:

Die Abwesenheit von Liebe.

Eine Abwesenheit, von der ich im Übermaß habe.

Die beiden Männer wechseln noch ein paar letzte Worte, dann verabschieden wir uns und gehen in den Abend hinein, jeder für sich. Als ich den Weg, den ich gekommen bin, wieder zurückgehe, bemerke ich, dass der Gram-See zum Großen Seher und die Schweinewelt zum Weinberg geworden ist. Als ein Taxi um die Kurve am Zionskirchplatz kommt, kämpfe ich gegen den Drang, mich nach Tempelhof fahren zu lassen, dort zu sitzen und das Gebäude so lange zu betrachten, bis es ganz dunkel geworden ist.

Denn es besteht die Möglichkeit, dass Specht über Räumlichkeiten verfügt, wie es keine zweiten gibt auf der Welt und auch in der Geschichte noch nie gab. Ein kilometerlanges Monument, wo Flugzeuge direkt bis vor die Tür fliegen.

Mir schaudert bei der bloßen Vorstellung.

Im Lichte dieses Durchbruchs – man kann es durchaus Durchbruch nennen, wenn die Möglichkeit ihren Rock lüftet, vor allem, wenn sie damit eine verzweifelte Hoffnung nährt – ziehe ich keine Lines mehr und trinke keine weiteren Getränke. Bedächtig gehe ich zur Telefonzelle und halte links und rechts nach der Tram Ausschau.

Aber in Tokio gibt es ein Problem. Smuts kommt nicht an den Hörer. Der diensthabende Polizeibeamte hat eine Menge zu sagen, aber was er sagt, weiß ich nicht. Als ich Smuts’ Name wiederhole, antwortet er mit größerem Nachdruck, und als ich versuche, ihm die Nummer des Kastanienhofs durchzusagen, gibt er mir genau dieselbe Antwort, nur lauter.

Am Schluss grunzen wir uns beide nur noch an, und er legt auf.

Keine Ahnung, was ich davon halten soll. Vielleicht ist es schon zu spät für alles – obwohl Smuts doch gesagt hat, dass es Wochen dauern kann, bevor in Japan Anklage erhoben wird, und ich gehe davon aus, dass eine Anklage der nächste Hammerschlag ist. Als ich es mit der Nummer der Übersetzerin versuche, lande ich auf dem Anrufbeantworter, so dass ich schließlich um des lieben Seelenfriedens willen konstatiere, dass Smuts seine Telefonprivilegien für den Moment wohl aufgebraucht hat. Ich sollte ein bisschen schlafen, mich zeitig auf den Weg nach Tempelhof machen und von dort noch mal mit konkreteren Infos anrufen. In Japan ist dann immer noch derselbe Tag. Und vielleicht gibt der Polizist in der Zwischenzeit durch, dass ich angerufen habe.

Werfen Sie einen Blick auf meine schwungvollen Pläne! Sehen Sie, wie der menschliche Geist Chaos und Versagen zu perfekter Sinnhaftigkeit verwebt, wie er aus Ungereimtheiten funktionierende Vorrichtungen macht, wo das eine fruchtbar zum anderen führt, bis ein Problem sauber durchtunnelt ist. Die Utopie der Kontrolle. Dass Schlaf Erfrischung bringen muss, ist eine Lüge aus der Kinderliteratur, die von faulen Eltern immer wieder aufrechterhalten wird. Denn es stimmt nicht. In einer Situation wie meiner sollte ein Kind lieber ein schönes Glas Wein trinken, eine Zigarette rauchen und mit einem Elternteil Karten spielen.

Das Elternteil in diesem Szenario wäre Breton’scher Prägung, klar.

Für mich vergeht die kurze Nacht wie ein Juckreiz, bis ich dazu gezwungen bin, meinen Nimbus mit ein paar Mittelchen wieder knackig frisch zu kriegen. Während es draußen noch dunkel ist, verleibe ich mir ein Großes Dichterfrühstück ein: sieben Zigaretten, drei Lines und eine halbe Flasche Marius. Ein bedeutender Tag steht bevor, also schamponiere ich meinen in Fett erstarrten Mopp und lasse den Duschstrahl auf meine Wirbelsäule einprügeln. Ich föhne mir die Haare und betupfe mich mit Jicky. Dann betupfe ich mich erneut, um die Aura zu einem Netz zu weiten, in dessen unbarmherzigen Maschen sich der Erz-Verschwender Specht heillos verfangen wird.

Während die Vögel zu ihrer stumpfen Tagesordnung übergehen, packe ich eine Flasche Symphony in meinen Segeltuchsack und mache mich auf den Weg zu dem mystischen Flughafen, während ich mir einen dabei abbreche, das Bild von Smuts, der an seinem Gürtel von der Decke baumelt, aus dem Kopf zu kriegen. Es gelingt mir nicht. Auch andere Gedanken beunruhigen mich, ganze Gedankenschwärme sogar, und als sich die Bahn Tempelhof nähert, zwingt mich die Angst, dass sich die U-Bahn-Türen direkt in Spechts Büro öffnen könnten, eine Station zu früh auszusteigen.26

Ich stolpere an die Erdoberfläche und finde mich in Kreuzberg wieder, am Fuß einer langen ansteigenden Straße. Es scheint ein Teil der Stadt zu sein, der auf dem Teppich geblieben ist, ein arbeitsamer Teil, auch er mit seinen Sehenswürdigkeiten, Kuriositäten und Kneipen, aber auch mit älteren Leuten, mehr Türken und weniger Babys. Die Renovierung seiner Prachtbauten ist schon etwas länger her als im Prenzlauer Berg, die Geschäfte sind weniger beherrscht von Konzepten und Trends und tendieren eher zum täglichen Bedarf.

Während ich an der Kreuzung zweier breiter Straßen, der Yorckstraße und dem Mehringdamm, eine Zigarette zu Ende rauche, stellen die Enthusiasmen mich vor eine Wahl. In Sichtweite befinden sich sowohl ein Burger King als auch ein Second-Hand-Shop. Beide haben so ihre Implikationen.

Aber so arbeiten die Enthusiasmen eben.

Burger King als Konsulat des Master-Limbus würde mich für den anstehenden wichtigen Tag stärken, und zwar zu einem Festpreis und wahrscheinlich ohne Trauben und Blumen – es sei denn, sie machen hier Prenzlauer Burger. Aber nach einem Augenblick der Abwägung habe ich das Gefühl, dass der Klamottenladen die richtige Wahl ist, und als ich vor dem Schaufenster stehe, schält sich der Grund dafür aus folgender Frage heraus: Welches dieser Kleidungsstücke würde Specht tragen? Was für eine Art Décadent ist er? Ein geschwätziger Peter Pan? Ein vergrübelter Doktor No? Ich betrete den Laden, die größte Kleiderkammer, die ich je gesehen habe, und sehe Ständer für Ständer alte Klamotten durch, unter anderem Uniformen, Karnevalskostüme, Leder und Latex. Denn egal wie Specht drauf ist – ein Mogul lässt sich ziemlich sicher nicht von einem Ex-Drückeberger in einem Armeemantel beeindrucken. Die Angelegenheit ist ernst, und es passiert etwas Interessantes, das mich unter dem Bann einer Erkenntnis erstarren lässt: Indem ich mich frage, was ich anziehen soll, stelle ich mir eigentlich die Frage, wer ich bin. Wer ist diese Sphinx, die da in ihrem Limbus, ihrer Zwischenwelt festhängt? Welche Geschäftskleidung trägt ein Phantom? Denn inmitten dieser ganzen Wäsche hier ist das, was ich anhabe, plötzlich falsch. Eine Krise. Meine Kleider gehören zu einer Person, die ich nicht mehr bin. Zu einer Zeit und zu einem Ort, an dem ich längst nicht mehr herumspuke.

Wie Wellen überrollen mich die Offenbarungen, eine nach der anderen, doch die nächste stößt meine Gedanken wieder in ihr Zentrum zurück: Ich kann lange darüber nachdenken, wer ich vielleicht bin, und muss die notwendigen Risiken, derjenige zu sein, dann auch auf mich nehmen, sollte mich jetzt aber trotzdem darauf konzentrieren, Specht zu gefallen. Wenn er so alt ist wie mein Vater, zum Beispiel, und die beiden gut genug befreundet waren, um gemeinsam einen Club zu eröffnen, muss auch er ein Bartträger mit schlechtem Geschmack sein. Andererseits aber kommt Dekadenz von Überfülle. Und ein Club in der Größenordnung des weltgrößten Gebäudes, oder meinetwegen des zweit- oder drittgrößten, klingt nach Extravaganz und Eigenliebe, nach Scharfsinn und Risikofreude.

Meine Urteilskraft wird einer Prüfung unterzogen. Mit missmutigem Gesicht stehe ich zwischen den Kleiderständern, bis ich nur noch einen Ausweg sehe, nämlich einen einfachen Ausschlussprozess:

Zuerst und am einfachsten für untauglich zu erklären – Clubwear. Ganz einfach deswegen, weil ein Clubbetreiber kein Clubber ist, so wie ein guter Drogendealer niemals Junkie ist. Möglicherweise verachtet er seine Gäste sogar. Danach ziehe ich in Erwägung, Spechts ostdeutschen Wurzeln eine Reverenz zu erweisen, mit langweiliger und schlecht sitzender Kleidung. Völlig falsch, legt doch sein Aufstieg zum Magnaten nahe, dass er auf seine Wurzeln nicht allzu stolz ist, sie vielleicht sogar verachtet. Stinknormale Businessklamotten – nein, die tragen schon seine Lieferanten, die er ebenso leicht verachten könnte. Schwarze Mogul-Kleider – möglich, allerdings wird Specht, wäre er ein solcher Mann, entweder ein gehöriges Ego haben oder sein mangelndes Selbstbewusstsein irgendwie kompensieren, was dazu führen könnte, dass er Doppelgänger verachtet. Gangsterklamotten sind eine Erwägung wert, obwohl ich nicht vergessen darf, dass ich ein zurückkehrendes, ihm bekanntes Kind bin, weswegen jeder Versuch der Einschüchterung von vornherein angeschlagen wäre.

Ich bin erschöpft.

Bis ich alle Möglichkeiten bis auf eine eliminiert habe, ist der Vormittag weit vorangeschritten. Es bleibt ein Joker, für den ich noch nicht mal Argumente habe, geschweige denn, welche dagegen.

Letzten Endes verlasse ich den Laden als Die Sphinx.

Die Sphinx trägt eine bayerische Miesbacher Joppe – kurz, grau, mit Hirschhornknöpfen – über einem mit Edelweiß und Alpen bestickten Hemd. Ein Whoosh für Specht. Ein gewagter Kontrapunkt zu seiner Laserlichtwelt, ein volkstümlicher Kommentar, eine Geste, eine Ironie, die hart am Wind segelt, dabei aber nicht ins Absurde abgleitet – meiner Meinung nach wäre die Grenze zum Absurden in diesem Fall eine Lederhose.

Ich schaffe es, mir den traditionellen Miesbacher Hut mit seinem Federschmuck zu verkneifen, bis mir der Verkäufer erklärt, dass der Hut in Bayern das Zeichen eines freien Mannes sei. Als ein wahrhaft freier Mann muss ich den Hut natürlich kaufen, allerdings kommt er zusammen mit meinen anderen alten Kleidungsstücken in den Sack – denn meine Freiheit ist eine Freiheit im Verborgenen.

So geht er vor, der Limbus. Seine Motoren treiben mich schwitzend und taumelnd zu einer Bar ein Stück weiter den Mehringdamm hoch, wo mir ein Bier neue Kräfte schenkt. Komischerweise ist eine Line nicht vonnöten. Hiernach führt mich mein Gang Richtung Tempelhof einen Hügel hinauf, der nicht steil ist, aber lang, und zu einer Art Anstieg zum Schloss Dracula wird. Es kommt einem wie eine Ding der Unmöglichkeit vor, dass hier mitten in der Stadt ein Flughafen sein soll, und dann noch eines der weltweit größten Bauensembles; aber als die Allee noch mal ansteigt, erhebt sich auf wenigen Metern ein ganz erstaunliches Zwischenreich, in dem die Wolken tiefer und grauer treiben, die Häuser von der Straße zurückgesetzt kauern und die Geschäfte spärlicher werden, in denen man sich um Formen menschlicher Behaglichkeit kümmert, so dass schließlich ein Cappucchino-freies Land zwischen Kreuzberg und Tempelhof vor mir liegt, in dem weder freundliche Menschen noch Kinderwagen oder Vögel anzutreffen sind.

Fast rechne ich mit kreisenden Fledermäusen.

Ein Stück weiter oben ist immer noch nichts von einem Baudenkmal zu sehen, und ich empfinde zunehmend Druck, Smuts anzurufen. Der Vormittag ist fast vorbei. Aller guten Vorsätze zum Trotz sickert die Idee der Vermeidung in die anstehende Anrufroutine. Was daran liegt, dass die Anrufe dem Realitätshorror zum Opfer gefallen sind. Auch das Tivolihirn ist ihm zum Opfer gefallen, und der prekäre Charakter von Smuts’ Situation zeigt an, dass ich nicht die eigentlich notwendige Kraft aufwende, um sein Hirn mit der grimmen Faktenlage in Übereinstimmung zu bringen. Ich wäre beispielsweise überglücklich, überhaupt mit irgendwelchen Neuigkeiten über einen Club anrufen zu können, während ich in Smuts’ Wahrnehmung schon spät dran bin mit einem Vertragsabschluss. Das alles ist in Teilen unseren unterschiedlichen Hintergründen zuzuschreiben – er ist ein Mann der internationalen Netzwerke, durch die er sich wie ein Affe hangelt, ein Gewirr verschlungener Gassen hinter Küchen, in denen um Genie geschachert wird. Er geht davon aus, dass mir die günstigen Gelegenheiten zufliegen wie ihm, dass ich ihn aus einer dieser Gassen einfach in eine andere setzen kann, am anderen Ende der Welt.

Ich hatte allerdings noch nie Netzwerke. Oder gute Angebote. Oder Genie.

Nur einen Verbündeten hatte ich mal.

Unsere Kurven haben sich allerdings auch wieder voneinander entfernt – sehen Sie nur: Er ist dazu verdammt, hoch über dem Chaos in einer Stratosphäre aus Hoffnungen und Träumen zu leben, während ich hier am Boden klebe und mich von einem hart erkämpften Teilerfolg zum nächsten ackere. Zwischen uns erstreckt sich das Diagramm, in dem jede Existenz angesiedelt ist. Jeder Tag im Limbus steht plötzlich modellhaft für das gesamte Leben.

Als ich anhalte, um meine Hornknöpfe zu richten, fällt mir auf, dass wir mittlerweile sogar schon den Motor des Master-Limbus veranschaulichen können: Sehen Sie, wie er unsere Tagträume melkt und dazu benutzt, uns zu ködern, uns, die wir blind im Entsetzlichen herumtasten. Und jetzt muss ich seinem Beispiel folgen. Ich muss Specht melken, diesen Anwalt des Lasters. Anstatt Smuts mit der Welt der Tatsachen zu harmonisieren, muss ich der Wirklichkeit einen derartigen Auftrieb verpassen, dass sie seinen Bedürfnissen entspricht. Vielleicht reicht ja schon eine einzige dynamische Performance, um das Faktische mit dem Tivolihirn in Einklang zu bringen.

Ich reiße mich zusammen, eile die letzten Meter des Hügels hinauf und erreiche schließlich die Kuppe, wo ich wie vom Donner gerührt stehen bleibe.

Meine Atmung verlangsamt sich, wird tiefer.

Von jetzt auf gleich knallt einem der alte Flughafenkoloss in den Blick, von der anderen Seite eines kleinen Gedenkgartens her. Er legt seine Dimensionen nicht auf den ersten Blick komplett offen, sondern lockt eher über die Baumwipfel hinweg. Kein weitläufiges Grundstück umgibt ihn, keine Parkflächen; er steht einfach wie eine plötzliche gebirgige Erhebung neben dem Bürgersteig. Mit wachsendem Erstaunen gehe ich in jede Richtung einen Häuserblock weit und gebe mir alle Mühe, ein Gespür für seine Masse zu bekommen. Hitlers Monolith umarmt das Flugfeld zwischen seinen halbkreisförmigen Flügeln, die einen rhythmischen Bogen aus haushohen Sandsteinplatten und kaskadenförmig fallenden Glasbändern beschreiben, in beide Richtungen erstreckt er sich bis außerhalb der Sichtweite. Wer weiß, wo der Komplex aufhört, wahrscheinlich erst in Polen, auf jeden Fall aber weiter weg, als man vernünftigerweise zu Fuß gehen würde. Makellos, entschlossen, symmetrisch; ein Déco-Ungeheuer, ein wunderschönes, unantastbares Ding, das man sicher unmöglich aus der Landschaft radieren könnte. Und am Scheitelpunkt des Bogens, an der Kreuzung von Tempelhofer Damm und Columbiadamm, ragen mir zwei quadratische, sandsteinfarbene Gebäude entgegen, jedes so groß wie ein Kreiskrankenhaus, die die Klauen des Raubvogels darstellen; im Gesamtzusammenhang des Gebäudekomplexes sind sie winzig, aber zwischen ihnen liegen ein Park- und ein Vorplatz, über denen das legendäre Wort ZENTRALFLUGHAFEN am Haupteingang schwebt.

Die Berliner von gestern Abend lagen falsch: Da würden tausend Clubs reinpassen.

Von meinem Standpunkt aus kann ich keinerlei Bewegung vor den Gebäuden ausmachen – als ob ihre Gravitationskräfte alles abstoßen würden, was kleiner ist als eine Kirche. Als ich dann über den kleinen Parkplatz laufe, kann ich zwei vor dem Eingang herumlungernde Männer erkennen. Ihre Kleidung erinnert an alte Frachter und Schleppkähne und bauscht sich prägnant auf, zweifellos bedingt durch die Schwerkraft. Gemeinsam mit den Steinadlern, die mürrisch von den Außenwänden spähen, sehen sie mir zu, wie ich eintrete. Die Glastüren hinter mir scheppern, um den Druck auszugleichen. Dann Stille. Zu meiner Rechten und Linken erstreckt sich eine schmale, steinerne Vorhalle, völlig menschenleer. Zwei Plakate mit Gesuchten Terroristen kleben an der Wand. Und vor mir öffnet sich ein Raum von der Größe einer Kathedrale, eine gigantische, einige Treppenstufen nach unten gesetzte Fläche, unter deren Decke Segelflugzeuge hängen. Auf der linken Seite befinden sich leer stehende, gläserne Ladenlokale, entlang der rechten Seite zieht sich eine saubere Reihe von Check-in-Schaltern, die von hier aus wie Miniaturen aussehen und bis auf einen, an dem, auf die Ellbogen gestützt, ein Mädchen steht, leer sind. Wenn es keine tief zwischen die eleganten Steinrippen geschnittenen Fenster gäbe und hoch oben kein Licht durch die Aussparungen in der Decke fluten würde, könnte diese Abfertigungshalle gut und gerne das Grab von jemandem sein, dem Kleopatra auf Knien zu Diensten war.

Kurz darauf höre ich ein leises Klack-klack-klack; eine alte Frau mit einem kleinen Hund an der Leine erscheint oben am Treppenabsatz, als würde sie einen Sonntagsspaziergang machen. Der Hund trägt ein rotes Leibchen und trottet klackernd neben ihr her.

»Tag«, sagt sie im Vorbeigehen.

»Guten Tag«, nicke ich ihr zu.

Am anderen, weit entfernten Ende der Halle wischt ein kugelförmiger Herr den Boden, und als er niest – hatschi –, flappt das Geräusch träge durch die Luft auf mich zu. Ich stehe wie erstarrt da; und das ist nur ein Raum in einem Gebäude, das sich bogenförmig noch mehr als einen Kilometer nach links und rechts erstreckt. Aneinandergereihte Kathedralen vereint unter einem Dach, als eine einzige Konstruktion, die so leer und ruhig ist, dass man die Pfoten eines Terriers auf dem Boden hören kann.

Specht gewinnt ganz neue Proportionen.

Mir schaudert.

Anstatt den ganzen langen Weg zu dem Herrn oder dem Check-in-Mädchen zu wandern, gehe ich zurück, um die Männer vor der Tür über den Club auszufragen. Auf meinem Weg durch die Vorhalle entdecke ich rechts eine Handvoll leerer Bartische. Sie stehen einem Kioskfenster gegenüber, das geöffnet zu sein scheint. Als ich mich nähere, dröhnt eine Frauenstimme heraus:

»Wenn du mal lachen willst, schau dir den mal an.«

»Pff – ein kleiner Ludwig. Hat sich wohl aus Tirol herverirrt.«

Aus größerer Nähe sehe ich, dass es sich um einen kleinen Imbiss handelt, der die trockensten Kuchen- und Brötchensorten und die unbuntesten Süßigkeiten im Angebot hat. Gläserne Vitrinen zu jeder Seite der Durchreiche im Fenster stellen Softdrinks, Bier und sich bereits aufrollende Souvenir-Aufkleber zur Schau.

Ich schaue hinein. An der hinteren Wand lehnt schwer eine Frau mittleren Alters, die Arme verschränkt. Sie hat dunkle Haare und eingefallene, von Unannehmlichkeiten und bitterem Schicksal geprägte Gesichtszüge. Eine jüngere, kleinere Frau schiebt sich an ihr vorbei und verschwindet in einen rückwärtigen Raum.

»Entschuldigung«, frage ich die Frau, »ist hier irgendwo der Pego Club?«

Ohne die geringste Regung im Gesicht mustert sie mich von oben bis unten.

»Jemand hat mir gesagt, er könnte hier sein. Oder ein gewisser Herr Specht – ist der hier vielleicht bekannt?«

»Hnf«, grunzt sie. »Wenn wir jeden, der hier bekannt ist, auf eine Liste schreiben würden, wären wir ja an Weihnachten noch nicht fertig. Vorschlag: Sie schauen sich um und sagen mir, ob Sie irgendwelche Herren entdecken können.«

»Tja« – ich lasse den Blick durch die Eingangshalle schweifen – »im Moment nicht, nein.«

»Also bitte.«

»Hm.« Blöde Kuh. Da mir einfällt, dass Ruppigkeit in Berlin ein beliebter Zeitvertreib ist, lasse ich ein paar Augenblicke verstreichen und probiere es dann anders: »Haben Sie Kaffee?«

Sie dreht mir den Rücken zu.

»Wenn Sie keinen Kaffee haben, nehme ich …«

»Einen?«, blafft sie über die Schulter.

»Einen was?«

»Kaffee.«

»Ach so – ja. Ja, bitte.«

»Da müssen Sie die Bedienung fragen.« Sie verschwindet im Hinterzimmer.

Da ich Aschenbecher auf den Tischen sehe, ziehe ich einen Hocker vor und zünde mir, fasziniert von der Unverschämtheit der Frau, die eine ähnliche Dimension hat wie das Gebäude selbst, eine Zigarette an. Aus dem rückwärtigen Raum höre ich Gekicher, und kurz darauf kommt die andere Gestalt heraus, ein Mädchen, ebenfalls dunkelhaarig und mit ernstem Gesicht.

»Mit Milch?« Sie geht zu einem Kaffeeautomaten.

»Nein, vielen Dank.«

»Pff«, macht sie verächtlich.

Offensichtlich hat wieder mal eine Facette meiner Persönlichkeit eine falsche Saite angeschlagen. Ich folge ihr mit grimmigem Gesicht: »Entschuldigung – habe ich irgendetwas Falsches gesagt?«

»Ich habe Ihnen doch noch gar nichts gegeben.«

»Was?«

»Ich habe Ihnen noch nichts gegeben, und Sie bedanken sich schon. Macht man das so in Österreich?«

»Ich bin aus England.« Ich gehe zur Theke.

»Ein Euro vierzig.«

Nun doch verärgert von den beiden, die wahrscheinlich geistig zurückgeblieben sind, haue ich die Münzen auf die Theke und gehe mit meinem Kaffee zum Tisch. Wenig später kommt die ältere Frau aus einer Tür in der Wand und geht klackernd hinter mir auf die Eingangstüren zu. Durch ein Fenster sehe ich ihren Kopf wippen, als sie sich draußen entfernt. Als ich mich wieder dem Kiosk zuwende, bemerke ich, dass das Mädchen mich beobachtet. Schnell senkt sie den Blick und schaltet ein kleines Transistorradio ein. Einer dieser Evergreen-Sender, die eigentlich nur in den Radios älterer Autofahrer existieren, schallt durch die Halle.

Nachdem sie hinter der Scheibe eine Zeit lang saubergemacht hat, sieht sie endlich wieder hoch: »Was wollen Sie denn von Herrn Specht?«

Ich verschlucke mich fast an meinem Kaffee: »Sie kennen ihn? Ich bin ein alter Freund von ihm.«

»Ein Freund?« Sie betrachtet mich genauer. »Wer’s glaubt, wird selig.«

»Hören Sie, können Sie mir nicht einfach sagen …«

»Heute hab ich ihn noch nicht gesehen. Vor vier kommt er wahrscheinlich nicht.«

»Vor vier? Heute Nachmittag?«

»Pff – sprech ich so undeutlich?«

Whoosh. Sie verzieht sich nach hinten.

Gegen jede Logik treiben mich diese Neuigkeiten auf die Toilette, einer Line wegen. Ich erlaube meinen Zähnen, vor lauter positivem Stress zu knirschen, bevor ich auf der Straße eine Telefonzelle suchen gehe. Obwohl es noch zu früh ist, Smuts über das volle Potenzial der Situation in Kenntnis zu setzen – und ich ermahne mich, bloß nichts zu übertreiben –, will ich ihn trotzdem unbedingt wissen lassen, dass ich unseren Mann gefunden habe.

In Tokio geht ein anderer Polizist an den Apparat. Dann höre ich eine leblos monotone Stimme:

»Es ist spät, Putain.«

»Smuts – ich habe ihn.«

»Ja, hör zu, die Fischproben sind da, ha. Vernachlässigbare Giftkonzentration. Sie sagen, ich hab die Innereien wahrscheinlich wochenlang gemolken, um genug zusammenzukriegen.«

»Was? Diese Fische waren tödlich. Wir haben sie doch selbst probiert.«

»Aber nicht die, die Tomo ersetzt hat. Schnallst du, worauf das hinausläuft? Sie behaupten, ich hätte vorsätzlich gehandelt. Der Anwalt war den ganzen Tag hier. Den Morgen über hat er mich noch wegen der Anzeige auf Körperverletzung weich gekocht. Jetzt labert er plötzlich von versuchtem Mord und will einen Scheck.«

»Aber Moment mal – ich kann doch bezeugen, dass die Fische ausgetauscht wurden.«

»Und du hast wahrscheinlich auch noch einen der alten Fische übrig, um das zu beweisen. Ohne den Originalfisch ist aber alles unwesentlich, wir sind bloß zwei dumpfbackige Touristen gegen eine kommunale Institution. Du glaubst nicht, was hier gerade abgeht. Tomo ist plötzlich in Okinawa und nicht zu erreichen, der Boss tauft das neue Restaurant nach dem Bürgermeister, und der Baske hat seinen Händlernamen für Japan geändert. Eine große, beschissene Partie Schach, die hier abläuft.«

»Aber Smuts …«

»Gerade ist der Baske in einer Telefonkonferenz mit dem Chef, danach ruft er mich an. Und weißt du, was ich mir überlegt habe, du vollgekokster Putain, ich kann nämlich hören, wie du’s dir hinten den Rachen runterziehst. Folgendes habe ich mir überlegt: Er muss eine Entscheidung treffen, wen er opfert. Er spricht erst mit uns beiden, danach kann er entweder zu mir halten und Yoshida in die Scheiße stoßen. Oder er bleibt bei Yoshida, dann bin ich gefickt. Und weißt du was? Yoshida kauft jede Woche Ware für hundert Gedecke von ihm. Und ich nicht für eins.«

»Warte mal – und was, wenn er dich hier beliefert? Ich habe den Laden gefunden, und den Mann auch. Das hier könnte zu einem interessanteren Angebot werden als Japan. Hör zu, in ein paar Stunden habe ich …«

»Aufwachen! Ich hab doch gerade gesagt, dass es exakt in dieser Sekunde abgeht! Und niemand läuft jetzt erst noch gemütlich eine Runde um den Block! Putainel! Die Kacke ist am Dampfen!«

Meine Hände zucken. Parallel mit meiner Nase und meinem Herz werden sie taub von einer Kälte, die aus meinem Inneren herausspritzt. Die Umklammerung des Master-Limbus. Innerhalb von Sekunden jagen sorgsam gehütete Hoffnungen meine Kehle hinauf:

»Smuts – das Ding ist über einen Kilometer lang.«

»Hä?« Bis auf ein Knacken ist es still in der Leitung. »Erzähl keine Scheiße – du bist aus Versehen am Flughafen gelandet.«

»Genau so ist es. Ich bin an Hitlers Flughafen aus den Dreißigern. Früher mal das größte Gebäude der Welt. Der eindrucksvollste Brocken Architektur, den du je gesehen hast. Mehr oder weniger leer. Über drei Millionen Quadratmeter mitten in Berlin. Die Flugzeuge fliegen direkt bis vor die Tür.«

Dem folgt ein Schweigen, das nur in meinem Kopf vom Geräusch herabrollender Kugeln unterbrochen wird.

»Du wolltest was Geiles«, füge ich hinzu, und als ich die Worte ausspreche, hallen sie in mir wie Feuerwerk nach – denn alles, was ich gerade gesagt habe, stimmt, und es beschreibt eine Örtlichkeit, die feister ist als alles seit dem Fall von Rom.

Das hier, mein Freund, ist der Ort meines Todes.

»Scheiße«, flüstert Smuts, nachdem eine ganze Zeit verstrichen ist. »Und jetzt noch mal von vorne, ich muss es mir für Didi aufschreiben.« Im Flüsterton wiederholt er jedes Detail und drückt in seiner Eile den Kuli so fest auf, dass ich das Papier reißen höre: »Mehrere Kilometer lang, tausend Clubs, im Stadtteil … – das kann ich nicht schreiben, das kann ich nicht schreiben – … da, wo die Luftbrücke war, Millionen Quadratmeter, Jets bis zur Tür.«

Mit jedem schnell hingeschmierten Fünkchen Hoffnung kann ich spüren, wie der Master-Limbus einen Zauber um uns wirkt – Smuts verspricht er Rettung, mir mein Ableben.

»Mann«, sagt er, »auf dem Papier sieht das sensationell aus. Putain, Gabriel. Bist du dir auch wirklich sicher? Denk mal in Restaurantkategorien darüber nach – wie viele Tische bekommt man auf einen Kilometer? Heilige Scheiße. Der Baske wird sich selbst vollspritzen. Also, ich lege jetzt auf, er ruft gleich an. Aber gib mir mal eine Nummer, unter der man dich erreichen kann, dann nenne ich dich als Kontaktmann. Ruf mich später noch mal an, ja? Und, Putainel – danke. Wirklich.«

Ich höre ihn noch leise pfeifen, dann ist die Leitung tot. Mit ans Ohr gedrücktem Hörer stehe ich noch einen Augenblick schwankend unter granitfarbenem Himmel und gönne mir ab und an einen kurzen, verlockenden Seitenblick auf das Gebäude hinter den Bäumen.

Wir bewegen uns auf die Kegelspitze zu. Zeit fürs Endspiel.

Dieser Moment schreit geradezu nach Kettenrauchen .

Nach flugs geschürten großen Nimbuskräften.

Ich muss den Wüstling Specht melken.

Und dann muss ich sterben.

Whoosh.

Hm.