Achtes Kapitel

Birthe Retzlaff war nicht überrascht über den Besuch der beiden Männer. Sie hatte lediglich schon eher mit ihnen gerechnet.

„Kommen Sie mit durch.“

Sie ging ihnen voran ins Wohnzimmer und bot ihnen in der Essecke Platz an. „Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“

Sie lehnten dankend ab. Birthe setzte sich zu ihnen an den Tisch. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Sie haben gehört, dass wir Ihre Nichte gefunden haben?“ fragte der Mann, der sich als Hauptkommissar Funke vorgestellt hatte.

Sie nickte. „Frau Ludwig, die Freundin meiner Schwester hat mich gleich angerufen, nachdem sie es erfahren haben.“ Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr Haar. „Almut selbst konnte wohl keinen Ton rausbringen. Es ist aber auch zu schrecklich. Ich wollte eigentlich gleich rüber gehen, aber Zoe, also Frau Ludwig, meinte, sie kümmerte sich um alles.“

Sie merkte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Um sich abzulenken, erhob sie sich und holte sich ihre Schachtel Marlboro, die sie mit dem Feuerzeug darin auf dem Fensterbrett abgelegt hatte. Sie nahm sich eine Zigarette und zündete sie an.

„Möchten Sie auch eine?“

Beide schüttelten den Kopf.

Sie setzte sich wieder. „Ich müsste eigentlich bei der Arbeit sein, aber ich konnte einfach nicht. Hab mich krank gemeldet. Zoe hat gesagt, Sie haben Sina auf einem Friedhof gefunden?“

„Ja. Auf dem Burgtorfriedhof.“

Sie schauderte. „Seltsam. Was hat sie dort gemacht? Oder ist sie gar nicht dort ermordet worden?“

„Eher nicht. Es sieht so aus, als ob sie dorthin gebracht wurde.“

„Wie passend!“

„Frau Retzlaff“, sagte Funke mit einem leichten Räuspern. „Wir haben gehört, dass Sina Ihnen erzählt hat, sie würde die letzte Nacht bei ihrem Vater verbringen.“

„Ja.“

„Aber ihr Vater wusste nichts davon.“

„Ich weiß. Ich hab mir auch schon den Kopf zermartert, ob ich das irgendwie falsch verstanden habe, aber das hab ich nicht.“

„Wann hat Sina Ihnen das erzählt?“

„Am Tag zuvor. Ich bräuchte ihr nichts zu essen zu machen, weil sie eh bei Marius essen würde.“

„Haben Sie ihr sonst jeden Tag Mittagessen gekocht?“

„Meistens schon.“

„Und für ihre Schwester?“

„Judith? Nur noch selten in den letzten Monaten. Sie hat sich meistens selbst was gemacht oder mit ihrem Freund gegessen.“

„Und kam es oft vor, dass Sina bei ihrem Vater war?“

„Nicht wirklich, nein.“

„Aber trotzdem haben Sie darüber nicht mit Ihrer Schwester gesprochen.“

Der Vorwurf in der Stimme war für sie nicht zu überhören und er traf genau ins Schwarze. „Hören Sie, ich mach mir selbst die größten Vorwürfe, weil ich Sinas Wunsch respektiert habe, nichts davon zu sagen. Ich bin echt davon ausgegangen, dass alles in Ordnung ist. Ich meine, Sina war ja nicht mehr fünf oder so, dass sie eine Betreuung rund um die Uhr gebraucht hätte.“

„Ich wollte Sie nicht angreifen“, sagte Funke in entschuldigendem Ton. „Wann haben Sie Ihre Nichte das letzte Mal gesehen?“

„Vorgestern Abend.“

„Wir waren heute in der Schule und da konnte man uns nur sehr wenig über Sina erzählen. Es scheint fast, als hätte sie keine Freunde gehabt. Können Sie uns da vielleicht weiterhelfen?“

Wenn sie vorher in der Schule gewesen waren, erklärte das natürlich, warum sie erst jetzt bei ihr auftauchten.

„Ob sie Freunde hatte? Keine Ahnung.“

Die beiden Männer wechselten einen Blick, der ihr nicht entging.

„Ich weiß, das klingt komisch, weil ich ja ziemlich viel mit ihr zu tun hatte, wie Sie sicher wissen. Aber Sina war sehr verschlossen. Ich kann mir schon vorstellen, dass sie in der Schule eher wenig Kontakt hatte. Vielleicht versuchen Sie es mal beim Handballverein.“

„Sie spielte Handball?“

Birthe war überrascht. „Ja. Hat Almut Ihnen das nicht gesagt?“

„Nein. Können Sie uns sagen, bei welchem Verein?“

Sie konnte verstehen, dass Funke ein wenig ungehalten war, aber ihre Schuld war es schließlich nicht, dass sie noch nichts von dem Training wussten. Sie gab ihnen die Adresse und den Namen des Trainers.

„Heute Abend hätte sie Training gehabt. Wenn Sie einfach gegen siebzehn Uhr ins Vereinsheim fahren, erwischen Sie Herrn Paulik bestimmt. Der ist immer da.“

„Danke. Sagen Sie, wir haben gehört, dass Sina sich, sagen wir mal, freizügig kleidete.“

Birthe verdrehte die Augen. „Das können Sie laut sagen. Jeden Nachmittag, wenn sie hier rüberkam oder ich ihr und Judith drüben das Essen machte, sah sie aus, als ob sie auf den Strich wollte.“

„Haben Sie eine Idee, warum sie das tat?“

Sie inhalierte einen weiteren Zug. Tat das gut! „Ich hab sie darauf angesprochen, aber eine richtige Antwort hab ich nicht bekommen. Ich vermute, das war ihre Art zu rebellieren.“

„Wogegen?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Gegen alles. Eine Mutter, bei der die Arbeit an erster Stelle kommt. Einen Vater, der nur Augen für seine Freundin hat. Eine Schwester, die aussieht wie ein Model und sich vor Verehrern kaum retten kann. Gegen sich selbst und ihr Image als graue Maus, die nicht wirklich wahrgenommen wird.“

„Auch gegen Sie?“

Sie blies den Rauch hörbar aus. „Klar, auch gegen mich. Die Tante, die sich den Arsch aufreißt, aber eh nicht wirklich was zu sagen hat und außerdem dafür auch noch bezahlt wird.“

Ihre Äußerung klang selbst in ihren Ohren verbittert. Vielleicht war es etwas unangebracht, da ihre Nichte einem Mord zum Opfer gefallen war. Kein Wunder, dass man darauf einstieg.

„Sina hat gewusst, dass Sie von ihrem Vater Geld bekommen?“

„Ja.“

Birthe konnte sich noch gut an den Tag erinnern, an dem Sina es herausgefunden hatte. Es lag mittlerweile etwa ein halbes Jahr zurück oder vielleicht auch etwas länger. Es war jedenfalls kurz bevor oder kurz nachdem Sina beschloss, sich wie eine Nutte anzuziehen. Sie war aus der Schule direkt zu ihr nach Hause gekommen.

„Stimmt das?“ hatte sie gerufen, sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte.

Birthe hatte sie verständnislos angesehen. Da stand sie in ihren Jeans und mit ihrem Pferdeschwanz und gerötetem Gesicht. Es war das erste Mal, dass sie eine Ähnlichkeit zu Judith feststellen konnte.

„Was meinst du?“

„Gibt mein Vater dir Geld, dass du dich um uns kümmerst?“

Ach, darum ging es. „Wer hat dir das erzählt?“

„Janine“, zischte sie hervor. „Als ich gestern bei ihnen war, hat sie es mir an den Kopf geknallt.“

Birthe hätte Janine erwürgen könne. Sie tat wirklich alles, um sich so unbeliebt wie möglich zu machen. Wenn sie wirklich von den Mädchen akzeptiert werden wollte, hatte sie eine merkwürdige Art, das zu versuchen.

„Wieso kommt Janine dazu, dir so etwas zu erzählen?“

Es hatte eigentlich immer geheim bleiben sollen, eine stille Vereinbarung sozusagen zwischen den Eltern und ihr. Sie selbst hatte Judith gegenüber in einem unbedachten Moment mal eine Bemerkung darüber fallen lassen und sie dann eingeschworen, ihrer Schwester nichts darüber zu erzählen. Judith war auch erstaunt gewesen, aber sie war vernünftig und hatte es verstanden. Birthe war es immer klar gewesen, dass Sina es schwerer aufnehmen würde, wüsste sie die Wahrheit. Judith hatte versprochen, den Mund zu halten und bislang hatte es funktioniert. Aber jetzt hatte die beknackte Janine alles versaut.

„Wir haben uns gestritten“, sagte Sina und rollte mit den Augen. „Wieder mal. Ich hab zu ihr gesagt, dass sie mir gar nichts zu sagen hat. Daraufhin hat sie mir an den Kopf geknallt, dass ich unausstehlich bin und es kein Wunder ist, dass keiner etwas mit mir zu tun haben will.“

Birthe hatte einen Schritt auf sie zu gemacht, um sie in den Arm zu nehmen, aber sie war zurückgewichen.

„Du musst nicht alles glauben, was Janine sagt.“

„Das hab ich auch gedacht. Und dann hat sie gesagt, nicht einmal meine Tante würde es mit mir aushalten, wenn sie nicht ordentlich dafür bezahlt würde.“

Verdammte Scheiße! Schlimmer ging es ja wohl nicht. Also mit Janine musste sie mal ein ernstes Wort reden. Was bildete die sich eigentlich ein?

„Also, Birthe. Stimmt es?“

Sie sah, wie sich die Augen des Mädchens mit Tränen füllten und es zerriss ihr fast das Herz. Sie spürte, wie ihre Augen ebenfalls feucht wurden. „Es tut mir leid.“

Was konnte sie auch sonst sagen? Dass ihr Vater es angeboten hatte, um sich aus der Verantwortung zu stehlen? Das hätte wie eine faule Ausrede geklungen und es war ja auch nichts anderes. Schließlich hätte sie es auch ablehnen können. Tatsache war nun einmal, dass sie sich bezahlen ließ und das Geld auch gut gebrauchen konnte.

„Das kann doch nicht sein.“

„Aber das hat nichts damit zu tun, ob ich dich mag oder nicht. Das weißt du doch.“

Sie hatte den Kopf geschüttelt. „Ich weiß gar nichts mehr. Ich will dich nicht mehr sehen.“

Damit war sie aus der Wohnung gelaufen und seitdem war nichts mehr wie früher zwischen ihnen gewesen.

„Und wie ich Ihren Worten entnehme, scheint sie das erst vor kurzem erfahren zu haben.“

„Ja.“

„Und sie hat es nicht sonderlich gut aufgenommen.“

Mann, war der schlau! Das verstand sich ja wohl von selbst. „Nein.“

„Wer hat es ihr gesagt?“

„Frau Wrede. Und das nicht gerade auf eine nette Art.“

„Sina kam nicht gut mit der Freundin ihres Vaters aus?“

„Das ist wohl noch untertrieben. Sie hat sie gehasst. Aber soweit ich das beurteilen kann, hat Frau Wrede sich auch nicht gerade überrissen, um ihre Zuneigung zu buhlen.“

„Und nachdem Sina von Frau Wrede gehört hatte, dass Sie Geld nehmen, hat sie angefangen, sich aufreizend anzuziehen?“

Sie überlegte einen Moment. „Ich glaube, es hatte schon vorher angefangen. Aber auf alle Fälle wurde es danach schlimmer. Und ich kam kaum noch an sie heran.“

Der junge Beamte sah von seinem Block auf. „Sie sagten eben, dass Sie viel mit Sina zu tun hatten. Können Sie sich noch an irgendetwas anderes erinnern, was vor einem halben Jahr passiert ist, das sie verändert hat?“

Als ob sie nicht schon selbst darüber gegrübelt hätte. „Ich weiß es wirklich nicht. Und seitdem sie wusste, dass ich Geld von ihrem Vater bekomme, hat sie nicht mehr viel mit mir gesprochen.“

„Und es hat sich in ihrem Leben auch sonst nichts verändert?“

Sie runzelte die Stirn. „Außer dass ihre Schwester seit ungefähr einem Jahr einen Freund hat...“

Die beiden Männer sahen sich an. Scheinbar hatten sie schon von Bent gehört.

„Hatte Sina Kontakt zu diesem Freund?“

Sie dachte einen Augenblick darüber nach. „Kann schon sein. Ich meine, er ist der Typ, den man nicht wirklich als Freund für seine Tochter haben möchte. Aber anscheinend genau der, dem die Mädchen hinterher laufen.“

„Und Sina war an ihm interessiert?“

„Wenn ja, dann hat sie es bestimmt geheim gehalten. Ich glaube nicht, dass sie gewollt hätte, dass Judith das bemerkt.“

„Wissen Sie, was dieser junge Mann beruflich macht?“

Sie schnaubte verächtlich, während sie ihre Zigarette im Aschenbecher vor sich ausdrückte. „Sie glauben doch nicht wirklich, dass der einen Job hätte.“

Funke wechselte das Thema. „Wir haben Geld in Sinas Zimmer gefunden. Haben Sie eine Idee, woher das stammen könnte?“

Sie zog die Augenbrauen hoch. „Geld? Wie viel?“

„So viel, dass es wohl kein Taschengeld ist.“

„Keine Ahnung. Aber wenn es mit ihrer Aufmachung zusammenhängt...“ Sie ließ ihren Satz absichtlich unbeendet. Sollten die doch selbst ihre Schlüsse ziehen.

„Sie vermuten, dass sie auf den Strich ging?“ Der junge Mann tat ihr den Gefallen.

„Möglich wäre es wohl. Das würde auch erklären, warum wir sie in den letzten Wochen kaum noch zu Gesicht bekamen.“

Wie aufs Stichwort hörte sie, wie der Schlüssel ins Türschloss gesteckt und herumgeschlossen wurde. Verdammt, hätte Ole nicht noch eine Weile warten können?

„Das wird mein Mann sein“, sagte sie zu Funke, dessen Kopf in Richtung Tür geflogen war.

„Das trifft sich ja gut. Dann können wir ihm auch gleich ein paar Fragen stellen.“

Das hatte sie befürchtet. Sie hätte sich gern vorher mit ihm ein bisschen abgestimmt, aber das konnte sie jetzt vergessen. Ganz toll, Ole!

Ihr Mann kam keine Minute später ins Wohnzimmer und blieb im Türrahmen stehen. Wie er so dastand, erinnerte er sie wieder an den Mann, den sie damals geheiratet hatte. Groß, schlank, dunkler Teint und braunes Haar, rundum gepflegt, sicher um die fünf Kilo mehr auf den Rippen als damals, aber es stand ihm. Wie wenig sagte doch das Äußere über den Charakter eines Menschen aus.

„Du hast Besuch?“

Sie sprang auf und ging auf ihn zu. Für die Zuschauer gab sie ihm einen sanften Kuss auf den Mund, den er leicht verblüfft über sich ergehen ließ. Es war eher selten, dass sie von sich aus mit Zärtlichkeitsbekundungen zu ihm kam, aber sie wollte ihm damit ein Zeichen geben, dass sie Einigkeit demonstrieren wollte.

„Hallo Schatz“, sagte sie. „Die beiden Herren sind von der Mordkommission. Sie sind wegen Sina hier.“

Sie erhoben sich ebenfalls und stellten sich Ole noch mal vor. Er zeigte ihnen an, dass sie sich wieder setzten.

„Ich bin heute früher nach Hause, weil ich meine Frau nicht so lange allein lassen wollte.“

Er setzte sich neben sie und legte, wie um seine Worte zu unterstreichen, leicht den Arm um sie. Anscheinend hatte er sie verstanden. „Das ganze ist wirklich eine furchtbare Sache. Wir sind noch ganz fertig.“

„Sie sind früher von der Arbeit weg? Was machen Sie denn beruflich, wenn ich fragen darf?“

Ole nickte dem Hauptkommissar zu. „Natürlich. Ich arbeite für die Stadt als Sozialpädagoge, aber die Termine sind meistens vormittags. Nachmittags liegt dann Büroarbeit an. Deshalb war es kein Problem, ein paar Überstunden abzubummeln.“

„Ach so. Also, wir sprachen gerade über Ihre Nichte und die Art, wie sie sich anzog.“

„Ach das“, sagte er lapidar. „Ich fand das gar nicht so auffällig.“

Da war er der einzige. Und Birthe hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, warum. Er war halt ein Mann. Gefiel es denn nicht allen Männern, wenn ein junges Mädchen etwas Haut zeigte? Galt nicht für jeden Mann, je billiger, desto geiler? 

„Wie sind Sie mit Sina ausgekommen?“

„Ganz gut, denke ich. Wie man eben als Onkel so mit seiner Nichte auskommt.“

„Na ja, sie war ja schon ziemlich oft hier. Da ging das doch sicher über das normale Onkel-Verhältnis hinaus.“

Birthe merkte, wie er sich versteifte. „Das kann ich nicht beurteilen. Judith und Sina sind meine einzigen Nichten.“

Merkte er nicht, dass er sich gerade selbst widersprach? Da musste doch nachgehakt werden. Aber das geschah nicht.

„Ihre Frau hat uns gesagt, dass das Verhältnis zwischen ihr und Sina etwas abgekühlt war in letzter Zeit.“

Ole nickte. „Seit Sina wusste, dass wir Geld von ihrem Vater bekamen. Ja.“

„Galt das auch für Sie?“

„Ich denke nicht. Jedenfalls ist mir nicht aufgefallen, dass sie irgendwie anders zu mir war. Allerdings waren die beiden ohnehin seltener hier, weil meine Frau zuletzt meist bei ihnen das Essen gemacht hat.“

Der junge Mann musterte sie mit nachdenklicher Miene. „Hatte das einen bestimmten Grund?“

„Sina wollte nicht mehr rüber kommen.“

„Aber gegessen hat sie trotzdem, was Sie ihr gekocht haben?“

Birthe lächelte traurig. „Sie kennen wohl keine jungen Mädchen, Herr...Behrend? Sie war sauer auf mich, ja, und zu mir kommen wollte sie auch nicht. Aber das hieß nicht, dass sie sich selbst versorgen wollte. Das wäre viel zu unbequem geworden.“

„Wann haben Sie Sina das letzte Mal gesehen?“ Funke wandte sich an Ole.

Ole runzelte die Stirn. „Sie meinen, wann sie das letzte Mal hier war?“

„Nicht unbedingt.“

„Da muss ich nachdenken. Bei uns war sie schon seit längerem nicht mehr. Zumindest nicht, wenn ich auch da war. Aber ich hab sie vor ein paar Tagen gesehen, als ich einkaufen war. Bei Famila in der Schwartauer Allee. Da hab ich sie von weitem gesehen. Sie stand dort und hat sich mit Judiths Freund unterhalten.“

Birthe starrte ihren Mann an. Das war das erste Mal, dass sie davon hörte.

„Und? Hatten Sie den Eindruck, dass die beiden zusammen dort waren? Oder meinen Sie, sie sind sich zufällig begegnet?“

Er schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung. Aber ich denke, sie haben sich über irgendetwas gestritten. Wie eine normale Unterhaltung sah es jedenfalls nicht aus. Ich hab ihnen noch zugerufen, aber sie haben mich nicht einmal bemerkt.“

„Und Judith hast du nicht gesehen?“

„Nein. Vielleicht war sie ja noch im Laden.“

„Wissen Sie noch, wann genau das war?“ Klar, dass Funke ihn jetzt festnageln wollte.

„Was ist heute? Donnerstag? Dann war das am Dienstag. So gegen 17 Uhr, würde ich sagen.“

„Okay. Ich denke, das reicht dann auch fast fürs erste. Vielleicht sagen Sie uns nur noch, wo sie gestern Nachmittag zwischen zwei und fünf Uhr nachmittags gewesen sind.“

„Wieso fragen Sie das?“ wollte Ole wissen. Birthe sah ihn verstohlen von der Seite an. War er wirklich so naiv?

„Es ist reine Routine.“

Ja klar!

„Wir waren beide hier zu Hause“, sagte Ole und sie spürte einen leichten Druck, der von seinem Arm um ihre Schultern ausging.

Sie schaltete sofort. „Wir haben Kaffee getrunken. Dann hab ich mich um das Essen gekümmert und mein Mann hat am Computer gearbeitet.“

Scheinbar zufrieden mit ihrer Antwort erhoben sich die beiden Männer und sie taten es ihnen nach. Birthe atmete innerlich auf. Bislang war es besser gelaufen, als sie erwartet hatte.

„Nur noch eins“, sagte Funke. „Haben Sie den Namen Merle Grothe schon mal gehört?“

„Warum fragen Sie? Wer soll das sein?“

Birthe warf einen verstohlenen Blick auf ihren Mann, der sich nach außen hin ruhig gab, aber sie nicht täuschen konnte. Er war genauso nervös wie sie und hoffte nur, dass die beiden endlich verschwanden.  

„Ein Mädchen, das seit gestern vermisst ist.“

„Und Sie vermuten einen Zusammenhang?“ Ole klang entsetzt und vermutlich war er das auch.

„Es ist jedenfalls nicht auszuschließen.“

„Ist sie eine Freundin von Sina?“ wollte Birthe wissen.

„Das hätten wir gern von Ihnen gewusst“, sagte Behrend. „Hat Sina den Namen vielleicht mal erwähnt?“

Beide schüttelten wie auf Kommando den Kopf. „Tut uns leid“, sagte Ole mit einem Seitenblick auf sie. „Aber ich glaube, da können wir Ihnen nicht helfen.“

Die beiden bedankten sich nochmals und Ole begleitete sie zur Tür. Birthe ließ sich zurück auf ihren Stuhl sinken und steckte sich eine neue Zigarette an. Sie blies den ersten Rauch aus, als Ole zurück ins Zimmer kam.

„Das wäre geschafft. Sie sind weg.“ Sein Blick fiel auf ihre Kippe und er verzog das Gesicht. „Mensch, musst du so viel qualmen? Hier riecht es ja schon wie in einer Kneipe.“

Er ging zur Fensterfront und riss die Balkontür auf. Sofort spürte Birthe den kalten Luftzug an ihren Beinen.

„Meinst du, Bent hat etwas mit Sinas Tod zu tun?“

Er setzte sich zu ihr. „Keine Ahnung. Und du?“

Sie zog an ihrer Zigarette. „Es schadet bestimmt nicht, wenn die Polizei sich mal näher mit ihm befasst. Ich meine, der Typ hat hundertprozentig Dreck am Stecken.“

Er nickte langsam. „Das denke ich auch. Mann, ich hoffe wirklich, dass sie den Täter so schnell wie möglich finden.“

Sie stieß ein bitteres Lachen aus, obwohl ihr überhaupt nicht danach zumute war. „Das kann ich mir vorstellen.“

„Wieso sagst du das jetzt so komisch?“

„Na, je schneller sie sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich näher mit dir beschäftigen, oder nicht?“

Er wischte ihre Bemerkung mit einer Handbewegung weg. „Ich habe nichts zu verbergen.“

„Ach nein?“ Sie zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Und warum erzählst du ihnen dann, wir wären gestern den ganzen Nachmittag zusammen gewesen?“

„Bestimmt nicht meinetwegen.“

Sie starrte ihn an. „Was willst du damit sagen?“

Er sah sie traurig an. „Du glaubst mir einfach nicht, dass ich dich liebe, oder?“

Sie drehte sich weg. „Was soll das jetzt?“

Er fasste sie an ihren Schultern und drehte sie wieder zu sich herum. „Ich wollte dir helfen.“

„Was...“

„Du hattest Streit mit Sina, oder nicht?“

„Du glaubst allen Ernstes, ich hätte ihr etwas angetan?“ Sein Blick sagte ihr alles. „Vielen Dank für dein Vertrauen.“ Sie stand auf. „Und das eine sag ich dir. Ich brauche deine Hilfe nicht. Ich kann sehr gut auf mich allein aufpassen.“

Er begutachtete die fein manikürten Fingernägel seiner rechten Hand. „Das kannst du vielleicht, aber Tatsache ist, dass du gestern nicht den ganzen Nachmittag zu Hause warst und ich dir mit meiner Aussage ein paar Unannehmlichkeiten erspart habe.“

 

Ein Auto wäre von Vorteil gewesen, obwohl man in Lübeck alles bequem zu Fuß erreichen kann. aber Christopher besaß nicht einmal den Führerschein. Er war dabei gewesen, als ihm der Prozess gemacht worden war, und jetzt musste er wieder von vorne anfangen. Wenn er denn genug Geld dafür auftreiben konnte. Nach dem aufschlussreichen Gespräch mit der Doerner brannte er förmlich darauf, nach Hause zu kommen, um diesem Arsch von Hachmeister, der es sich scheinbar auf die Fahne geschrieben hatte, ihn fertig zu machen, auf die Pelle rücken zu können. Schade, dass die Doerner ihm nichts über seinen Aufenthalt sagen konnte. Das hätte ihm einen Weg gespart. Von den Media-Docks bis zu ihm nach Hause war es zu Fuß vielleicht eine Viertelstunde, aber für ihn wertvolle Zeit, die er anders hätte nutzen können. Es war richtig gewesen, Kontakt zu der Journalistin aufzunehmen. Sein Körper war voller Adrenalin, endlich spürte er, dass er lebte, und er hätte sich gern postwendend an Hachmeister ausgetobt. Aber vielleicht war es auch besser, wenn er erst wieder ein bisschen runterkam, bevor er den Mann aufsuchte, sonst konnte er für nichts garantieren.

Als er schließlich zu Hause war, kam ihm seine Mutter im Flur entgegen. „Wo warst du?"

„Mutter, jetzt bitte nicht, okay?"

Sie hob zur Abwehr beide Hände. „Ich hab doch gar nichts gesagt“, sagte sie und verschwand in der Küche.

Er ging ins Wohnzimmer, schnappte sich das Telefonbuch und schlug unter Hachmeister nach. Es gab einige davon, aber keinen Mirco. Es half nichts, er probierte alle durch. Nach einer halben Stunde hatte er die Liste abgearbeitet, leider ohne Erfolg. Zur Sicherheit checkte er die umliegenden Orte, denn streng genommen musste er ja nicht in Lübeck wohnen. Auch hier Fehlanzeige. Okay, dann die Zeitung.

Nach fast einminütigem Warten ging endlich die Zentrale an den Hörer.

„Tuchel, ich hätte gern Herrn Hachmeister gesprochen."

„Es tut mir leid, aber die Büros sind um diese Zeit nicht mehr besetzt. Versuchen Sie es morgen noch mal."

„Einen Moment bitte."

„Ja?"

„Vielleicht können Sie mir ja die Durchwahl geben. Dann kann ich es morgen persönlich auf seinem Apparat versuchen."

„Na schön. Wie sagten Sie, ist der Name?"

„Hachmeister. Mirco Hachmeister."

„Moment."

Anscheinend ging sie die Liste der Mitarbeiter durch. „Hören Sie? Einen Herrn Hachmeister gibt es bei uns nicht."

Was? Dann fiel ihm ein, dass die Doerner ihn als Volontär bezeichnet hatte. „Er ist ein Volontär. Wahrscheinlich hat er dann kein eigenes Telefon. Geben Sie mir doch die Nummer der Stelle, wo ich ihn dann erreichen kann."

Die Frau am anderen Ende räusperte sich leicht. „Also ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen haben, aber dieser Herr Hachmeister ist auch kein Volontär bei uns, sonst stünde er auf meiner Liste. Wir beschäftigen zurzeit nur eine Volontärin."

Christopher wurde es schwindlig. „Lassen Sie mich raten. Ihr Name ist Doerner."

Jetzt war es an der Frau, überrascht zu sein. „Ja, das stimmt. Wollen Sie ihre Nummer haben?"

Die hatte er schon. Christopher legte ohne ein weiteres Wort auf.

 

Die Frau hinter der Theke rief ihre Kollegin zu sich, die gerade die leeren Gläser auf einem Tisch am Fenster abräumte. Ein junges Mädchen, hübsch, aber furchtbar zurechtgemacht mit starkem, schwarzem Lidstrich und knallrotem Mund. Ihre dunkle Mähne hatte sie irgendwie hinten zusammengebunden, hing aber trotzdem in alle Himmelsrichtungen. Amy Winehouse ließ grüßen.

Funke wechselte einen Blick mit Behrend, der nur leicht den Kopf schüttelte. Er musste sich ein Grinsen verkneifen. Behrend war zwar fast zwanzig Jahre jünger als er, also eine ganz andere Generation und in vielen Dingen weit aufgeschlossener als er, musste er als Homosexueller wohl auch sein. Aber was Kleidung und Aufmachung betraf, war er im Grunde genommen mindestens genauso konservativ.

„Ja?“

„Die beiden Herren sind von der Mordkommission. Könntest du sie bitte zu Herrn Paulik bringen? Ich kann hier schlecht weg.“ Sie zapfte einem Gast, der am Tresen saß und plötzlich sehr interessiert an ihnen schien, ein Hefeweizen.

„Kein Problem.“ Das Mädchen stellte das Tablett auf den Tresen. „Kommen Sie mit. Wir müssen nur nach drüben in die andere Halle.“

Sie folgten ihr aus dem Vereinsheim über den Parkplatz in die nebenstehende Halle. Dort ging sie an der Treppe nach oben vorbei, bog um die Ecke und öffnete eine Stahltür, an der ein Schild angebracht war, das darauf hinwies, dass die Halle nur mit entsprechendem Schuhwerk zu betreten war. Das Mädchen schien das wenig zu kümmern. Sie ging durch die Tür und hielt sie ihnen auf, dass sie ebenfalls eintreten konnten. Sie waren am Rand des Spielfelds, auf dem eine Gruppe von Mädchen hin und her lief und beim Laufen unterschiedliche Bewegungen machte. Ein junger Mann gab dazu Anweisungen, die Funke nicht verstehen konnte.

„Das ist Herr Paulik.“

„Danke“, sagte Funke.

Das Mädchen zuckte nur mit den Achseln und verschwand ohne ein Wort.

Funke und Behrend gingen auf den jungen Mann zu, der scheinbar Bewegungen hinter sich wahrgenommen hatte und sich zu ihnen herumdrehte. Er war um die dreißig, hatte kurzes, dunkles Haar und war knapp einsachtzig groß und schlank. Er trug einen dunkelblauen Trainingsanzug, die Jacke offen über einem weißen Shirt, und hatte eine Pfeife an einem Band um den Hals hängen. Als sie näher kamen, bemerkte Funke, dass er einen verärgerten Gesichtsausdruck hatte. Ein Trainer, der nicht in seiner Arbeit gestört werden wollte.

„Bitte?“ Sein Ton war gereizt.

„Herr Paulik?“

„Ja.“

Funke stellte sie vor, wodurch sich seine Miene prompt veränderte. Jetzt wirkte er verwirrt.

„Sagten Sie Mordkommission?“

„Es geht um Sina Keller.“

Er machte große Augen, die sicherlich schon so manche Frau in ihren Bann gezogen hatten, wie Funke vermutete. Dabei war er nicht gut aussehend im klassischen Sinne. Seine dunklen Augenbrauen waren etwas zu dicht, seine Nase etwas zu lang, sein Gesicht insgesamt etwas zu dünn und sein Kinn stand etwas zu weit vor. Aber seine Augen hatten etwas Besonderes. Sie waren so dunkel, dass sie fast schwarz erschienen. Funke dachte im ersten Moment an Drogen, die die Pupille so stark erweitert hatten, aber bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass das nicht der Fall war.

„Wollen Sie damit sagen, Sina ist ermordet worden?“

„Ja. Können wir uns einen Moment mit Ihnen unterhalten?“

„Ja, natürlich. Kein Problem. Jessica?“ Er winkte einem der Mädchen zu, die sofort angelaufen kam. „Kannst du einen Moment übernehmen? Noch fünf Minuten, dann Zirkeltraining.“

„Mach ich.“

Er gab ihr die Pfeife und ging dann mit ihnen an den Spielfeldrand.

„Tut mir leid, dass ich im ersten Moment ein bisschen ungehalten war, aber die Damen oben wissen eigentlich ganz genau, dass ich keine Unterbrechungen wünsche. Das hier ist natürlich etwas anderes. Was ist passiert?“

Sie erzählten es ihm. Soweit das überhaupt möglich war, wurden seine Augen noch größer. „Mein Gott, wie furchtbar. Die armen Eltern. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Was können Sie uns über Sina erzählen?“

Er zog die Stirn in Falten. „Nicht viel, ehrlich gesagt. Sie war lange nicht hier.“

Funke horchte auf. „Was heißt das?“

„Na, ich hab sie bestimmt zwei Monate nicht gesehen.“

Sina hatte ihrer Familie also nur vorgemacht, dass sie zum Training ging. Demnach hatte sie schon länger Geheimnisse vor ihr. Dann war sie vielleicht in etwas verwickelt, das letztendlich in ihrem Tod geendet hatte. Was hatte sie stattdessen gemacht? Funke war überzeugt, dass da der Schlüssel zur Aufklärung ihres Mordes lag.

„Und? Haben Sie da mal nachgehakt?“

Er hob abwehrend die Hände. „Ich bin hier nur der Trainer und nicht der Aufpasser der Mädchen. Wir haben klare Regeln. Wer nicht trainiert, der spielt am Wochenende nicht. Damit ist die Sache für mich erledigt.“

Solche Regeln gab es schon seit Jahrzehnten beim Fußball. Er selbst hatte das als Jugendlicher am eigenen Leib erfahren dürfen, was ihm das Schwänzen ganz schnell ausgetrieben hatte. „Führen Sie keine Anwesenheitsliste?“

„Doch. Aber die geht dann als Kopie an die Verwaltung. Und ganz ehrlich, solange die Beiträge bezahlt werden, ist es denen doch egal, ob die Jugendlichen hier auflaufen oder nicht.“

„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, hat Sina auch an den Spielen nicht teilgenommen.“

„So ist es.“

„Und ihre Eltern waren nicht mal da, um sie beim Spiel zu sehen?“

Dann hätten sie bemerken müssen, dass Sina gar nicht erst aufgelaufen war.

„Nein. Aber warum sollten sie, wenn ihre Tochter nicht mal da war?“

Da hatte er einen Punkt. „Waren sie denn früher mal bei einem Spiel dabei?“

Er wiegte den Kopf hin und her. „Kann ich gar nicht genau sagen. Wenn ja, ist es mir nicht aufgefallen. Sina hatte erst im letzten Jahr angefangen, hat also sowieso nicht so viel gespielt, weil sie ganz schön Rückstand gegenüber den anderen hatte. Als sie dann nicht mehr zum Training kam, hab ich, ehrlich gesagt, nicht damit gerechnet, dass sie noch mal wiederkommt. Aber an so was wie Mord hab ich natürlich nicht gedacht.“

„Gibt es Mädchen, die mit ihr näher bekannt waren?“

„Da müssen Sie die Mädchen selber fragen.“

Und das taten sie. Aber wie schon in der Schule erhielten sie nur vage Aussagen. Es schien wirklich, als hatte Sina niemanden so richtig an sich heran gelassen.

„Habt ihr denn eine Veränderung bei ihr festgestellt?“

„Sie meinen, dass sie plötzlich auf schlimmes Mädchen gemacht hat?“

Funke sah zu dem Mädchen, das die Bemerkung gemacht hatte. Sie war groß und kräftig gebaut, aber nicht dick, hatte kurzes, aschblondes Haar und wirkte wie siebzehn. Sie war einigermaßen attraktiv und trug sogar etwas Make up.

„Ja.“

„Ich weiß nicht, wem sie was vormachen wollte, aber das passte überhaupt nicht zu ihr. Sie sah trotzdem aus wie ein kleines Mädchen.“

Es klang unbarmherzig, nicht nur vor dem Hintergrund, dass das Mädchen mittlerweile tot war. Freundinnen waren die beiden bestimmt nicht gewesen.

„Und keine von euch weiß, warum sie plötzlich so ausgesehen hat?“

Kopfschütteln allenthalben. Sie bedankten sich und wandten sich zum Gehen.

„Aber vielleicht kann Ihnen Herr Müller weiterhelfen.“

Funke drehte sich wieder um. Es war das Mädchen, das Paulik zuvor mit der Aufsicht betraut hatte. Jessica.

„Herr Müller? Wer ist das?“

Unser InterimstrainerLars Müller. Er trainiert uns, wenn Herr Paulik keine Zeit hat.“

Warum sollte der mehr wissen, als ihnen der Haupttrainer erzählen konnte?

Sie deutete seinen skeptischen Blick richtig. „Ich weiß, dass er Sina das eine Mal nach dem Training nach Hause gefahren hat und ich glaube, das war das letzte Mal, dass sie beim Training war.“      

 

Es war bereits dunkel, als Almut Keller die Augen aufschlug. Erst war sie ein wenig orientierungslos, doch es dauerte keine zehn Sekunden, da fiel ihr wieder ein, was geschehen war. Sina! Ihre kleine Tochter war tot! Irgendein Perverser hatte sie getötet und dann auf einem Friedhof abgeladen. Wie kam man auf so etwas? Wie sollte das Leben weitergehen, wie konnte sie weitermachen, wenn ihr kleines Mädchen nicht mehr da war? Was sollte sie tun? Sie konnte doch wohl kaum einfach weiter jeden Tag zur Arbeit gehen, als ob nichts passiert war.

„Bist du wach?"

Almut erschrak. Sie hatte nicht gemerkt, dass ihre Tochter im Zimmer war. „Ja."

Jetzt sah sie, wie Judith näher kam und sich zu ihr aufs Bett setzte. „Wie geht es dir?"

„Und dir?"

Judith schluchzte. „Furchtbar. Ich muss immer daran denken, dass ich zuletzt mit Sina gestritten habe. Und ich hatte keine Zeit, ihr zu sagen, dass ich sie trotzdem lieb hatte."

Almut kamen ebenfalls die Tränen. Wann hatte sie selbst einer ihrer Töchter das letzte Mal gesagt, dass sie sie lieb hatte? Sie konnte sich nicht erinnern. Wann hatte sie überhaupt mal mit ihnen geredet in letzter Zeit? Sie war immer viel zu beschäftigt, ein Auftrag hier, ein Kundenbesuch da, da war für die Familie wenig Platz. Sie setzte sich auf und legte die Hand auf die ihrer Tochter.

„Sie hat es gewusst, da bin ich sicher."

„Meinst du?"

„Bestimmt“, sagte sie mit mehr Überzeugungskraft in der Stimme, als sie tatsächlich fühlte. Aber was wäre sie für eine Mutter gewesen, wenn sie nicht versucht hätte, Judith ihre Schuldgefühle zu nehmen? Dass sie selbst die gleichen Gedankengänge hatte, konnte sie ihr schließlich nicht auf die Nase binden.

„Aber wir haben so viel gestritten. Über jeden Scheiß."

Almut nahm sie in den Arm. Auch wenn ihr selbst nicht danach zumute war, wusste sie, dass sie jetzt stark sein musste, weil ihre Tochter sie brauchte. „Sch...Zerbrich dir doch darüber nicht den Kopf. Ich bin sicher, Sina würde dir dasselbe sagen, wenn sie es könnte."

„Ach Mama, es ist alles so schrecklich."

„Ich weiß, mein Kind, ich weiß."

Es klopfte leise an der Tür. „Almut, bist du wach?" Zoe steckte den Kopf herein. Judith löste sich von ihrer Mutter und wischte sich eilig die Tränen aus dem Gesicht.

„Was gibt es?"

„Die Polizei ist noch mal hier und möchte euch sprechen."

Judith wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.

Schon wieder? Oder hatten sie etwa den Mörder schon? „Sag ihnen, wir kommen gleich.“

„Bist du sicher?“ fragte Zoe mit deutlichem Zweifel in der Stimme. „Ich kann auch versuchen, sie abzuwimmeln. Du weißt, dass ich darin gut bin.“

Das wusste sie allerdings. Wie oft Zoe in der Vergangenheit schon irgendwelche Typen losgeworden war, die ihr auf die Nerven gegangen waren, konnte sie kaum zählen.

Sie sprang hoch. „Nein, ist schon gut. Je eher wir es hinter uns bringen umso besser.“

Sie ging an den Kleiderschrank und holte ein Sweatshirt und eine Jogginghose heraus, die sie beide überstreifte. Dann fiel ihr Blick auf Judith, die immer noch am Bettrand saß. Sie ging auf sie zu und setzte sich neben sie.

„Ich geh dann schon mal“, sagte Zoe und zog sich taktvoll zurück. Das musste man ihr lassen, sie wusste immer, wann sie sich zurückhalten musste.

Almut wusste, dass ihre Töchter nicht besonders auf Zoe standen, aber für sie war sie die beste Freundin, die sie sich denken konnte und sie konnte sich zu hundert Prozent auf sie verlassen, egal worum es ging. Es war Zoe, die sie aufgerichtet hatte, nachdem Marius sie nicht mehr wollte und die dafür gesorgt hatte, dass Almut wieder offen auf Männer zuging. Zoe hatte sie es zu verdanken, dass Marius Birthe dafür bezahlte, sich um die Mädchen zu kümmern. Sie selbst wäre gar nicht auf die Idee gekommen, ihrer Schwester dafür Geld zu geben, zumal sie sich das nie hätte leisten können, aber letzten Endes war es genau die richtige Vorgehensweise. Ihre Töchter waren meistens versorgt und sie brauchte kein schlechtes Gewissen zu haben, dass sie bei Birthe in deren Schuld stand.

Sie strich ihrer Tochter über die Wange. „Du musst nicht mit ihnen sprechen, wenn du nicht willst.“

Judith schüttelte den Kopf. „Nein, wenn du das schaffst, schaffe ich das auch.“

„Das ist mein Mädchen. Also gut, dann komm.“

Sie standen auf und verließen das Zimmer. Sie ging ihrer Tochter voran die Treppe hinunter und sah die beiden Männer vom Morgen auf der Garnitur sitzen, während Zoe mit dem Rücken zu ihnen in der Küche ein Tablett mit Geschirr vorbereitete. Sie hörte, wie die Kaffeemaschine lief. Ja, auf Zoe war Verlass.

„Frau Keller, Fräulein Keller, wir wissen, dass das alles sehr schwer für Sie beide ist, aber wir haben noch ein paar Fragen an Sie.“

Seinen Worten zum Trotz machte der ältere Beamte, Hauptkommissar Funke, wenn sie sich nicht irrte, einen ziemlich unerbittlichen Eindruck. Es war klar, dass er nicht gekommen war, um sich mit Entschuldigungen abspeisen zu lassen. Er würde seine Fragen stellen und nicht eher weichen, bis sie sie ihm beantwortet hatten. Beide Männer waren aufgestanden und sie bedeutete ihnen, dass sie wieder Platz nehmen konnten.

„Ist gut, können wir das zusammen erledigen?“

Es war eine rhetorische Frage und der Blick, den sie ihm dabei zuwarf, sollte keine Zweifel daran offen lassen. Judith war erst sechzehn und sie würde den Teufel tun, als sie allein mit ihr reden zu lassen.

„Kein Problem. Dann kann Herr Behrend hier sich in der Zwischenzeit mal mit Frau Ludwig unterhalten.“

Almut warf ihrer Freundin einen Blick zu, die soeben Kaffee in die Thermoskanne goss.

„Gern“, sagte sie. „Ich bring euch eben nur das Tablett, dann können wir beide vielleicht ins Gästezimmer gehen?“ 

Zoe kam mit dem Tablett an den Tisch.

„Ich mach das schon, danke, Zoe“, sagte Almut, nachdem Zoe alles abgestellt hatte. Sie griff Judith am Arm und zog sie mit Richtung Sofa, von dem Herr Behrend sich eben erhob. Sie sah ihm nach, wie er Zoe nach oben folgte und setzte sich anschließend mitsamt ihrer Tochter dem Hauptkommissar gegenüber. Sie verteilte die Tassen und goss dann etwas Kaffee ein.

„Vielen Dank, aber es wäre nicht nötig gewesen.“

„Da Zoe nun schon mal Kaffee aufgesetzt hat, wäre es doch dumm, ihn nicht zu trinken, oder was meinen Sie?“

Funke nahm sich etwas Milch und rührte in der Tasse herum. „Ihre Freundin ist sehr umsichtig.“

„Wir sind sehr froh, dass sie hier ist.“

Funke nahm einen Schluck. „Das glaube ich Ihnen gern. Es ist schön zu wissen, dass man Freunde hat, auf die man in der Not bauen kann.“

War Zoe jetzt das Thema? Wohl kaum. „Weshalb sind Sie noch mal hier?“

„Zum einen möchte ich Sie gern auf dem laufenden halten, was die Ermittlungen betrifft.“

„Soll das heißen, Sie haben schon eine Spur?“

Er winkte ab. „So schnell geht das nicht. Aber ich verspreche Ihnen, dass Sie als erstes erfahren, wenn wir jemanden festnehmen. Nein, die Untersuchungen an Ihrer Tochter haben ergeben, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nicht um ein typisches Sexualdelikt handelt.“

Almut schüttelte den Kopf. „Entschuldigung, was heißt das? Sina ist nicht vergewaltigt worden?“

„So ist es.“

Sie schlug die Hände vors Gesicht und brach in Tränen aus. Es war paradox, aber sie konnte es nicht ändern. Sie fühlte sich erleichtert. Wenigstens das war ihrem Mädchen erspart geblieben.

„Was bedeutet das?“ Judith meldete sich das erste Mal zu Wort.

„Das wissen wir auch noch nicht, aber da sie nackt gefunden wurde, gehen wir davon aus, dass ein Sexualverbrechen vorgetäuscht werden sollte.“

Was sagte er da? Almut nahm ihre Hände vom Gesicht und griff nach einer Packung Taschentücher, die auf dem Tisch lag.

„Aber kann es nicht sein, dass der Täter vielleicht überrascht wurde?“

„Wie gesagt, etwas Genaueres können wir noch nicht sagen. Aber wir können nicht mehr ausschließen, dass der Mörder Ihre Tochter gekannt hat.“

Sie glaubte nicht, was sie da hörte. Wollte er ihnen allen Ernstes weismachen, dass jemand aus ihrer Familie oder ihrem Freundeskreis für ihren Tod verantwortlich war? Das Klingeln des Telefons hinderte sie an einer passenden Erwiderung. Sie schnappte sich den Hörer.

„Ja?“

„Almut, wie schön, deine Stimme zu hören.“

Ihre Hand verkrampfte sich um den Hörer. „Falsch verbunden“, sagte sie und drückte ihn weg. Wie lange sollte das noch so weitergehen? Warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen? Machte sie nicht schon genug durch?

„Wir haben eben mit Sinas Handballtrainer und den Mädchen dort gesprochen. Wussten Sie, dass Sina seit zwei Monaten nicht mehr dort gewesen ist?“

Almut starrte ihn an. „Was?“

„Also nicht. Ja, es sieht so aus, als hätte Sina das Training als Ausrede benutzt, um in Wahrheit was ganz anderes zu tun.“

Almut konnte kaum glauben, was sie da hörte. Das klang ja, als ob Sina schon seit längerem in seltsame Dinge verwickelt gewesen wäre. Wurde sie deshalb ermordet?

„Und was soll das gewesen sein?“

„Das gilt es herauszufinden.“

„Frau Keller“, wandte Funke sich an Judith. „Wann sagten Sie, haben Sie Ihre Schwester das letzte Mal gesehen?“

„Judith bitte. Und ich hab Sie doch heute Morgen schon gebeten, mich zu duzen. Sonst hab ich das Gefühl, Sie reden mit meiner Mutter. Es war so gegen halb zwei, vielleicht etwas später. Wir sind uns hier kurz über den Weg gelaufen, bevor ich dann zu meinem Freund gefahren bin. Also, um genau zu sein, war ich erst noch kurz bei einer Freundin, um ihr ein Buch für die Schule zu bringen.“

„Und deine Schwester blieb hier?“

Sie zuckte mit den Achseln. „Keine Ahnung. Sie war zumindest noch hier, als ich ging.“

„Hat sie irgendetwas gesagt? Was sie vorhat oder so?“

„Nein. Ich hab eigentlich gedacht, dass Birthe jeden Moment rüberkommen würde, um etwas zu essen zu bringen.“

Das Telefon klingelte erneut und Almut drückte das Gespräch sofort weg. „Jetzt nicht“, sagte sie zur Bekräftigung. Sie musste ja den Beamten nicht darauf aufmerksam machen, dass mit diesen Anrufen etwas nicht stimmte. Unauffällig stellte sie den Hörer auf lautlos. So, jetzt konnte er anrufen so viel er wollte.

„Und nachdem du bei deiner Freundin warst, bist du zu deinem Freund gefahren?“ Funke sah erst zu ihr und dann wieder zu ihrer Tochter hinüber. „Kannst du mir seinen Namen geben?“

„Wozu brauchen Sie den?“

Almut war erstaunt über den Ton in ihrer Stimme. Warum gab sie ihm nicht einfach den Namen?

„Bitte, Judith. Wie heißt er?“

„Bent Masio.“

Bei der Erwähnung des Namens zuckte Almut unwillkürlich zusammen. Wie konnte ihre hübsche Tochter sich nur mit diesem Oberproll abgeben? Was war da schief gelaufen?

Funke notierte Namen und Adresse. „Er wohnt allein?“

„Ja.“

„Wann warst du bei ihm?“

Sie zog die Stirn kraus. „Kann ich nicht auf die Minute sagen, aber wir waren um halb drei verabredet. Also so um und bei halb drei.“

„Und du warst bis zum Abend mit Herrn Masio zusammen?“

„Ja. Bis er mich so gegen halb elf nach Hause gebracht hat.“

„Was macht er?“

„Was meinen Sie?“

„Beruflich. Ich meine, wenn du dich um zwei Uhr nachmittags mit ihm treffen kannst...“

„Er hat ein paar Bewerbungen laufen.“ Es klang defensiv und Almut war sicher, dass Funke das ebenfalls auffiel.

„Also hat er keinen Job?“

Jetzt wurde es Almut zu bunt. „Warum interessieren Sie sich so für diesen Kerl?“

„Mama, bitte...“

Sie legte beschwichtigend ihre Hand auf die ihrer Tochter. „Tut mir leid, war nicht so gemeint.“ Dann sah sie Funke an. „Also? Wieso ist es wichtig, ob Herr Masio arbeitslos ist?“

Er ignorierte sie und wandte sich ihrer Tochter zu. „Hat deine Schwester mal mit deinem Freund gesprochen oder vielleicht sogar was unternommen?“

Judith schüttelte den Kopf. „Nicht dass ich wüsste.“

Warum fragte er das? Almut war sicher, dass es nicht nur Neugier war. Hatte er einen Verdacht, dass Bent Sina etwas angetan haben könnte? Aber wie kam er darauf? Hatte jemand sie zusammen gesehen? War Sina etwa auch auf ihn hereingefallen?

Judith machte auf einmal große Augen. „Verdächtigen Sie etwa Bent? Glauben Sie, dass er Sina umgebracht hat?“ Auch bei ihr schien der Groschen gefallen zu sein.

„Beruhige dich bitte. Das sind alles nur Routinefragen.“

„Bent kann gar nichts damit zu tun haben. Ich war von zwei bis halb elf die ganze Zeit mit ihm zusammen.“

Almut hatte keine Ahnung, ob ihre Tochter die Wahrheit sagte oder nicht und Funke nahm ihre Aussage ohne merkliche Regung hin. Ob er ihr glaubte? Hatte er Bent wirklich in Verdacht oder klopfte er nur mal auf den Busch?

„Habt ihr, du und deine Schwester, euch gut verstanden?“

Almut vermutete ganz stark, dass Funke ziemlich erfolgreich in seinem Beruf war, denn was in diesem Mann vorging, war nur schwer zu durchschauen. Wieso wechselte er jetzt auf einmal das Thema? Hatte er Bent damit schon abgehakt? Das wäre schade gewesen, denn gerade hatte sie angefangen, sich mit dem Gedanken anzufreunden, dass sie Bent Masio bald nicht mehr sehen müsste, wenn er erst mal im Gefängnis hockte. Oder wollte er Judith nur ein bisschen verwirren?

„Ja.“

„Keine Auseinandersetzungen in letzter Zeit?“

„Na ja, das Übliche halt. Aber eigentlich sind wir immer gut klar gekommen.“

Almut konnte förmlich hören, dass sie wieder den Tränen nah war, vielleicht auch, weil das, was sie sagte, nicht ganz der Wahrheit entsprach.

Funke nickte und holte etwas aus seiner Jackentasche heraus. Almut sah, wie er einen Plastikbeutel auf den Tisch warf.

„Wenn du dich so gut mit deiner Schwester verstanden hast, kannst du uns sicher sagen, woher das Geld stammt, das wir in ihrem Zimmer gefunden haben.“

 

„Worum geht es?“

Frau Ludwig hatte es sich auf dem Klappbett gemütlich gemacht, das in dem Gästezimmer im ersten Stock stand, und dabei ihren unförmigen Körper noch unvorteilhafter in Szene gesetzt. Glen musste sich zusammenreißen, dass er nicht das Gesicht verzog. Ihr selbst schien es völlig gleichgültig zu sein, welche Wirkung sie auf andere hatte. Sie strahlte ein Selbstbewusstsein aus, das seinesgleichen suchte. Aber vielleicht war das auch alles nur Fassade, nur eine Art Schutzwall, den sie um sich herum aufgebaut hatte und in ihr steckte eine zutiefst verletzliche Frau, die sie niemandem zeigen wollte. Glen konnte sich gut vorstellen, dass sie es als junges Mädchen nicht gerade leicht gehabt haben durfte. 

„Sie haben heute Morgen ja schon ein paar Andeutungen gemacht.“ Er machte es sich auf einem scheinbar ausrangiertendem  Schreibtischstuhl bequem, der überhaupt nicht in das Zimmer passte, so gut man das eben konnte und stützte die Arme auf.

„Stimmt. Und?“

 „Und deshalb glauben wir, dass Sie uns ein paar gute Einblicke in die Familie geben können.“

Sie wiegte den Kopf hin und her. „Das könnte ich wohl. Aber warum sollte ich?“

Kompliment. Diese Frau hatte wirklich Talent, aufkommendes Mitleid im Keim zu ersticken. Was für eine selbstgefällige Ziege. Sein erster Eindruck, nachdem er ihren Namen vernommen hatte, hatte ihn also nicht getäuscht.

„Vielleicht wollen Sie uns ja helfen, den Mörder eines Mädchens zu finden, der Tochter Ihrer besten Freundin.“

„Das ist doch wohl eher Ihre Aufgabe.“ Sie seufzte theatralisch. „Aber ich will mal nicht so sein. Nur dass wir uns richtig verstehen. Ich tue das nicht, um Ihnen zu helfen. Ich mache das nur für Almut. Also, was möchten Sie wissen?“

Glen verbiss sich einen Kommentar. Warum sollte er sich mit ihr auf eine Diskussion einlassen, die einfach nur sinnlos war, wenn es darum ging, den Mörder eines Mädchens zu finden?

„Wir haben einen Haufen Geld in Sinas Zimmer gefunden. Haben Sie eine Idee, woher das stammen könnte?“

Wenn sie überrascht war, ließ sie es sich zumindest nicht anmerken. „Wenn Sie Geld sagen, sprechen Sie nicht von normalem Taschengeld.“

Schlau. Glen schüttelte den Kopf.

„Dachte ich mir. Wenn es versteckt war, handelt es sich bestimmt um etwas Illegales und dann würde ich mir an Ihrer Stelle mal Judiths Freund vorknöpfen. Der hat es nicht so mit dem Gesetz.“

Das kam ja wie aus der Pistole geschossen. Wusste sie etwas von diesem Freund, das sie auf diese Gedanken brachte?

„Sie meinen, es ist sein Geld und Sina hat es für ihn aufbewahrt?“

Sie hob beide Handflächen gen Himmel. „Entweder so oder er hat sie für irgendetwas bezahlt.“

„Warum sind Sie so sicher, dass es etwas mit diesem Freund zu tun hat?“

„Weil ich Augen im Kopf habe, im Gegensatz zu manch anderem hier im Haus.“

„Meinen Sie Judith?“

Sie zuckte nur mit den Achseln.

„War da etwas zwischen Sina und Judiths Freund?“

„Das Mädchen war bis über beide Ohren in ihn verknallt.“

Also hatte die Wrede Recht gehabt mit ihrer Vermutung. „Und umgekehrt?“

„Keine Ahnung. Kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er als cooler Rocker mit so einem jungen Ding etwas anfangen würde. Aber er hat hundertprozentig gewusst, dass sie ihn toll fand. Irgendetwas lief zwischen den beiden. Ich hab sie mal gesehen, wie sie miteinander getuschelt haben. Und er war auch der Grund, warum sie immer rumgelaufen ist wie ein Flittchen.“

Nach Retzlaff war sie jetzt schon die zweite, die die beiden zusammen beobachtet hatte.

„Und Judith?“

„Die hatte keinen Plan. Blind vor Liebe, das kennen Sie doch sicher.“

Er merkte, wie er bei Ihrer Bemerkung rot wurde und ärgerte sich, dass er sich vor ihr diese Blöße gab. Ohne es zu wissen hatte sie bei ihm einen Nerv getroffen, denn seine letzte Beziehung passte genau in diese Kategorie. Torben hatte ihn zum Narren gehalten und er hatte es sich lange gefallen lassen, weil er ihn nicht verlieren wollte. Viel zu lange, wie Doreen immer zu ihm gesagt hatte. Zum Glück war das jetzt vorbei, aber wenn er Philipp nicht begegnet wäre, hätte er sich vielleicht noch länger zum Affen gemacht.

Sie musterte ihn nachdenklich und stieß dann ein kurzes Lachen aus. „Obwohl bei Ihnen sicher anders als bei Judith und Bent.“

Er starrte sie an. Was hatte sie da gesagt? „Wie bitte?“

Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nun regen Sie sich bloß nicht auf. Mir ist das völlig egal.“

Er machte sich gerade. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.“

„Hören Sie auf. Das wissen Sie ganz genau. Ich erkenne eine verwandte Seele, wenn ich sie sehe. Und damit meine ich nicht, dass wir beide Brillenträger sind.“

Unwillkürlich griff er sich an seine Brille und schob sie ein Stück höher. Das Gefühl des Entsetzens über die Unverschämtheit dieser Frau wich einer Verblüfftheit, als er verstand, was sie ihm zu sagen versuchte.

„Dass wir uns richtig verstehen, außer Almut weiß niemand hier, dass ich lesbisch bin, und ich möchte auch, dass das so bleibt. Aber ich dachte mir, Ihnen gegenüber spiele ich lieber mit offenen Karten.“

Meinte sie damit, ihm gegenüber, weil er schwul war? Oder meinte sie die Polizei allgemein? Egal. Er sah keine Veranlassung, mit ihr über sein Privatleben zu diskutieren, und ob sie eine Freundin hatte, interessierte ihn erst recht nicht. Deshalb hakte er da lieber nicht nach. Worum war es vorher gegangen? Ach ja, um Sina und Bent. Angeblich wusste Judith nichts von der Schwärmerei ihrer Schwester, aber wenn doch, hatte das Mädchen ein Motiv. Und die Gelegenheit hatte sie auch. Immerhin war sie die letzte, die Sina lebend gesehen hatte.

Er konzentrierte sich wieder aufs Wesentliche. „Wann haben Sie Sina das letzte Mal gesehen?“

Sie runzelte die Stirn. „Ist schon ein bisschen her. Vielleicht eine Woche oder zehn Tage und das auch nur im Vorbeigehen.“

„Haben Sie eine Idee, was Sina gestern vorgehabt hat?“

„Keine Ahnung. Vielleicht war sie mit Bent verabredet. Es sollte auf jeden Fall niemand wissen, was sie vorhatte, sonst hätte sie Birthe nicht weisgemacht, sie wäre bei ihrem Vater.“

„Passte es eigentlich zu ihr, sich auf diese Weise ein Alibi zu verschaffen?“

„Wie die Faust aufs Auge oder Arsch auf Eimer, wie ich immer sage.“

Charmant. „Wieso?“

Sie seufzte. „Also, wenn Sie die anderen fragen, werden Sie hören, dass Sina lieb war und sehr zurückhaltend, blablabla.“

„Und das war sie nicht?“

„Nein, ganz und gar nicht.“

Sie deutete seinen zweifelnden Blick richtig. „Sie denken jetzt bestimmt, was weiß die schon darüber? Es stimmt, ich bin nicht so oft mit Sina zusammen getroffen. Sie haben ja sicher schon festgestellt, dass ich nicht eben eine großer Kinderfreund bin. Aber wenn man so eine Familie von außen betrachtet und nicht auf den Kopf gefallen ist, sieht man bestimmte Dinge, die die anderen gar nicht wahrnehmen, weil sie in ihrer Familienkonstellation irgendwie gefangen sind. In einer Firma nennt man so etwas übrigens Betriebsblindheit, weshalb man sich bei Konflikten eben oft Leute von außen holt, die leidenschaftslos analysieren, wo der Hase im Pfeffer liegt.“

„Sie sprechen von Supervision?“

„Auch. Ich mache das beruflich, wissen Sie. Und so anders als in einem Unternehmen sind die Konflikte innerhalb einer Familie ja nicht. In beiden Fällen geht es immer um das Zwischenmenschliche, das irgendwie nicht harmoniert.“

Der Beruf passte zu ihr, fand er. Stichwort leidenschaftslos. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sie ohne Rücksicht auf deren Gefühle den Mitarbeitern den Marsch blies.

„Also schön, wie würden Sie Sina beschreiben?“

Sie hatte bereits am Morgen durchblicken lassen, dass sie Sina weit weniger unschuldig sah als andere anderen und vielleicht würde sie jetzt deutlicher werden.

„Sie war eine gute Beobachterin, immer auf der Lauer. Sie gefiel sich in der Rolle des kleinen Mäuschens, das im Schatten der großen Schwester stand und hat mit diesem Eindruck alle manipuliert, sodass sie immer ihren Willen durchsetzen konnte. Nach außen hin hat sie so getan, als ob sie Judith bewunderte. In Wahrheit hat sie sie gehasst.“

„Wie kommen Sie darauf?“

„Weil ich gesehen habe, wie sie ihre Schwester gemustert hat, wenn sie dachte, es sehe sie niemand. Das war purer Hass.“

„Und warum?“

„Das weiß ich nicht. Vielleicht fühlte sie sich zurückgesetzt, vielleicht wurde Judith tatsächlich bevorzugt. Was sich in Kinderhirnen abspielt, ist für mich zu hoch.“

„In letzter Zeit ist sie ja aus der Rolle ausgebrochen.“

„Reine Provokation. Sie hätten mal sehen sollen, wie alle ausgeflippt sind. Und sie hat es genossen, plötzlich mal im Mittelpunkt zu stehen. Aber ich glaube, es steckte noch was anderes dahinter.“

„Auf den Strich ist sie jedenfalls nicht gegangen, wenn Sie das meinen.“

Frau Ludwig zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Das wissen Sie genau?“

„Ja.“

„Dann irgendetwas anderes in der Richtung. Und ich verwette meinen Arsch darauf, dass Bent etwas damit zu tun hat.“

Bei dem Fahrgestell musste da ja einiges zusammenkommen. Glen musste fast über sich selbst lachen. Wieso hegte er nur solche fiesen Gedanken? Aber diesen Bent mussten sie sich wirklich als nächstes vorknöpfen. „Sie meinten, er hat die letzte Nacht hier verbracht?“

„Judith hat ihn heimlich reingeschleust. War ziemlich spät. So gegen zwei oder halb drei.“

„Und wie lange war er hier?“

„Er ist raus, als Sie sich Sinas Zimmer angesehen haben.“

„Was? Er war noch da, als wir hier waren? Warum haben Sie uns nichts davon gesagt?“

„Tut mir leid, da hab ich gar nicht drüber nachgedacht.“

Glen hatte da so seine Zweifel. Er hatte mittlerweile den Eindruck gewonnen, dass diese Frau über alles, was sie tat oder nicht tat, sehr genau nachdachte.

„War Frau Keller sehr wütend auf ihre Schwester?“ schnitt er ein anderes Thema an.

„Weil sie ihr nichts davon gesagt hatte, dass Sina zu Marius wollte? Nein, hielt sich in Grenzen. Außerdem steht sie so tief in Birthes Schuld, dass das ziemlich vermessen wäre.“

„Frau Retzlaff macht sich aber schon ziemliche Vorwürfe.“

Frau Ludwig schnaubte. „Wer’s glaubt.“

„Sie nicht?“

„Ich denke schon, dass Birthe schockiert ist, aber wohl eher weil ihr jetzt der Geldhahn zugedreht wird und nicht weil ihrer Nichte was zugestoßen ist.“

Harte Worte. „Mochten die beiden sich nicht?“

Sie hob und senkte die Schultern. „Das kann ich nicht beurteilen. Aber Birthe hat sich nicht aus Nächstenliebe um die Mädchen gekümmert, soviel steht mal fest.“

„Sie mögen sie nicht.“

„Wir beide kommen nicht so gut miteinander aus, wahrscheinlich weil Birthe immer ein bisschen eifersüchtig auf mich ist, weil ich ihr Zeit mit ihrer Schwester stehle. Ich kenne sie ja schon ewig, da war sie noch ein kleines Kind. Ich bin früher bei denen ein und ausgegangen. Die Eltern der beiden sind früh gestorben und Almut, die mehr als fünfzehn Jahre älter ist, hat sich immer wie eine Mutter um ihre kleine Schwester gekümmert. Und das war nicht so einfach. Als Jugendliche war Birthe ziemlich wild, also die hatte das echt faustdick hinter den Ohren. Da war auch mal was mit einem ganz üblen Jungen, der dann sogar ins Gefängnis gekommen ist. Aber später hat sie dann die Kurve gekriegt. Sie kümmert sich viel um die beiden Mädchen, zum Teil bestimmt aus Dankbarkeit ihrer Schwester gegenüber. Andererseits kriegt sie auch Geld von Marius.“

Dafür, dass sie erst gar nichts sagen wollte, redete sie jetzt wie ein Wasserfall. Wenn das damit zu tun hatte, dass er schwul und somit für sie ein verwandtes Wesen war, sollte ihm das nur recht sein, auch wenn er selbst jede Ähnlichkeit weit von sich gewiesen hätte.

„Sie ist doch verheiratet. Was sagt ihr Mann dazu, dass sie sich so um die Mädchen kümmert?“

Er hatte ihre Andeutung, die sie am Morgen über Birthes Mann gemacht hatte, nicht vergessen.

„Ole hasst Almut, soviel steht fest. Und umgekehrt ist das genauso. Almut war damals gegen die Hochzeit gewesen und hatte dies auch vehement vor beiden vertreten. Birthe hat nicht auf sie gehört, aber Ole hat das nicht vergessen. Gegen die Mädchen hat er nichts, soweit ich das beurteilen kann. Und ich wette, gegen das Geld seines Schwagers auch nicht.“ 

Sie war eine Meisterin der spitzen Bemerkungen. „Sie mögen ihn auch nicht besonders.“

„Nein. Und auch das beruht auf Gegenseitigkeit. Er ist jemand, der Frauen und jungen Mädchen hinterher starrt und das geht gar nicht. Ich bin ihn deswegen schon ein paar Mal hart angegangen und das hat ihm gar nicht gefallen.“

Er sah Mädchen nach? Vielleicht auch ganz jungen? Glen machte sich in Gedanken eine Notiz, bei dem genauer nachzuhaken. Na, die Liste derjenigen, die Frau Ludwig nicht mochte und umgekehrt, schien ziemlich lang zu werden. Glen konnte sich nicht helfen, aber im Stillen fühlte er sich solidarisch mit all den anderen. Frau Ludwig hatte nicht wirklich etwas an sich, das einen für sie einnehmen konnte.

„Wenn Sie die Familie so gut kennen, dann können Sie mir bestimmt auch etwas über Frau Wrede sagen.“

„Ninchen?“ Verächtlicher konnte sie kaum klingen. „Aber sicher. Blondes Stroh auf zwei langen Beinen. Die ist bestimmt mächtig froh, dass sie es nur noch mit einem Mädchen aufnehmen muss.“

„Die Mädchen und Frau Wrede kamen nicht miteinander aus?“

„Das wäre noch geschönt. Sie haben sich gehasst. Besonders Sina und sie. Wissen Sie, dass es da ein Verfahren geben sollte?“

„Ein Verfahren?“

Sie rollte mit den Augen, als wollte sie ihr Unverständnis darüber ausdrücken, wie man nur so schwer von Begriff sein konnte. Er nahm es mit Humor.

„Vor Gericht. Sina hat behauptet, dass sie regelmäßig von Janine misshandelt wurde.“

 

Die Frau, die ihnen die Tür öffnete, war mittelgroß, schlank und hatte schulterlanges, blondes Haar. Frohloff schätzte sie auf Anfang Vierzig und konnte sich gut vorstellen, wie schön sie als junges Mädchen gewesen sein mochte. Sie war noch immer ungemein attraktiv. Sie hatte eine breite Stirn und hohe Wangenknochen, was sie leicht aristokratisch wirken ließ. Ihr Mund war schmal und trug nur einen Hauch eines rosafarbenen Lippenstifts. Sie trug eine weiße Bluse und eine helle Jeans und um den Hals eine goldene Kette, für die er sicher mehrere Monate hätte arbeiten müssen, um sie für Johanna kaufen zu können. Ihre gesamte Erscheinung ließ keinen Zweifel aufkommen, dass sie aus gutem Hause kam. Bei ihrem Anblick zog sie die Augenbrauen hoch, was ihrem Gesicht einen spöttischen Ausdruck verlieh.

„Frau Müller?“

„Ja.“

„Wir sind Kommissarin Siewers und Oberkommissar Frohloff von der Mordkommission. Dürften wir wohl einen Moment hereinkommen?“

„Mordkommission?“ entfuhr es ihr und sie schlug die Hand vor den Mund. „Mein Gott, haben Sie Merle gefunden?“ Sie riss die Tür ganz auf. „Entschuldigung, kommen Sie bitte herein.“

Frohloff folgte Siewers ins Haus. Frau Müller schloss die Tür hinter ihnen und ging ihnen dann voran ins Wohnzimmer, das Frohloff geradezu riesig erschien. Es war mit dunklem Parkett ausgelegt und spärlich eingerichtet, was den Eindruck eines Ballsaales noch verstärkte. Außer einer Sitzecke mit zwei Sofas und einem Sessel aus dunkelbraunem Leder und einem ebenfalls dunkelbraunem Holztisch gab es nur noch ein Regal mit einem enorm großen Flachbildfernseher. Ein Kronleuchter über dem Tisch vervollständigte das Bild. Es wirkte sehr teuer, aber gemütlich war was anderes. Wenn die Einrichtung die Atmosphäre innerhalb der Familie widerspiegelte, wollte er lieber kein Mitglied sein.

„Ihr Sohn hat Ihnen von Merle erzählt?“ fragte Frohloff, während er sich auf das Sofa an der Wand setzte.

„Mein Sohn?“ Sie schüttelte den Kopf und setzte sich auf den Sessel. „Nein, wieso? Herr Grothe, Merles Vater, hat uns Bescheid gesagt, dass Merle verschwunden ist. Wo haben Sie sie denn gefunden?“

Frohloff machte eine beschwichtigende Geste mit den Händen. „Moment, Frau Müller. Eins nach dem anderen. Zunächst einmal haben wir Merle noch nicht gefunden.“

„Gott sei Dank.“ Sie atmete sichtlich erleichtert auf. Dann stutzte sie. „Aber warum sind Sie dann hier?“

„Wir ermitteln in dem Mordfall an einem anderen Mädchen und da gibt es gewisse Parallelen zum Verschwinden von Merle Grothe.“

„Ein anderes Mädchen? Wie heißt sie?“

„Sina Keller.“

„Der Name sagt mir gar nichts.“ Sie sah regelrecht enttäuscht aus. „Ich glaube nicht, dass wir Ihnen da helfen können.“

Frohloff konnte kaum noch zählen, wie oft er diesen Satz schon gehört hatte. Und wie oft lagen die Leute mit dieser Einschätzung total daneben.

„Sie erwähnten vorhin, dass Merles Vater Ihnen gesagt hat, dass seine Tochter verschwunden ist.“

„Ja.“

„Warum?“

Sie seufzte. „Er wollte meinen Sohn fragen, ob er irgendetwas weiß.“

„Und? Weiß er was?“

„Natürlich nicht.“

„Hat er das Herrn Grothe gesagt?“

„Ich hab Simon nicht mit Rouven sprechen lassen.“

Frohloff wechselte einen Blick mit Siewers. „Warum nicht?“

„Ich habe ihm gesagt, dass ich mit Rouven sprechen werde und ihm dann Bescheid gebe.“

Das war keine Antwort auf seine Frage, aber er ließ es ihr durchgehen. „Wir hätten jetzt aber gern mit Ihrem Sohn gesprochen. Ist er zu Hause?“

„Aber er weiß doch nichts.“

„Mama?“

Der Kopf der Frau flog herum. Im Türrahmen stand der dunkelhaarige Junge, der Frohloff in der Schule aufgefallen war. Sie sprang auf und bewegte sich auf ihn zu. Misstrauisch sah er zu ihnen herüber.

„Du hast Besuch?“

„Hallo Rouven“, rief Siewers ihm zu.

„Warum ist die Polizei hier?“ Frohloff konnte die leichte Panik in der Stimme des Jungen heraushören.

Seine Mutter blieb vor ihm stehen. „Woher weißt du, dass die beiden von der Polizei sind?“

„Wir waren heute Vormittag in der Schule“, klärte Siewers sie auf. Sie stand auf und ging zu den beiden hin. „Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte sie zu dem Jungen. „Wir haben nur ein paar Fragen an dich.“

„Muss ich mit ihnen reden, Mama?“

Frohloff gratulierte sich innerlich selbst. Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht, wie so oft. Der Junge wusste etwas, das war klar. Er hatte den gleichen schuldbewussten Ausdruck im Gesicht, den er schon in der Schule bemerkt hatte. Und warum zierte er sich sonst so, mit ihnen zu sprechen, wenn er nicht etwas vor ihnen verbergen wollte?

Die Reaktion der Mutter sprach Bände. Sie wusste genau, dass ihr Sohn etwas verheimlichte. Sie stellte sich schützend vor ihn und legte den Arm um ihn.

„Ich denke, es ist das Beste, wenn Sie ein anderes Mal wiederkommen. Sie sehen ja, wie verstört er ist.“

Genau. Damit du erst mal selbst herausfindest, was ihn beschäftigt und dann entscheidest, was er uns sagen soll.

„Tut mir leid“, sagte er. „Aber das geht auf keinen Fall. Wir untersuchen den Mord an einem jungen Mädchen und ein anderes junges Mädchen ist verschwunden. Wir haben für solche Befindlichkeiten keine Zeit.“

„Aber Rouven ist erst vierzehn. Dürfen Sie ihn überhaupt ohne meine Zustimmung befragen?“

Eine gute Frage, aber wenn sie gehofft hatte, Frohloff auf dem falschen Fuß zu erwischen, war sie schief gewickelt. „Dürfen wir. Wir brauchen keine Einwilligung von Ihnen, wenn wir Ihren Sohn vernehmen. Er hat das Recht darauf, Sie als seine Mutter dabei zu haben, mehr nicht. Wir werden ihn also jetzt befragen. Anderenfalls müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, warum Sie unsere Arbeit unbedingt behindern wollen und uns wertvolle Zeit kosten, die wir darauf verwenden könnten, das Mädchen zu finden. Ich denke, auch Herr Grothe hätte dafür wenig Verständnis.“

Das saß. Frau Müller zuckte zurück und beugte sich anschließend zu ihrem Sohn hinunter. „Du hast gehört, was der Mann gesagt hat.“

„Was ist denn hier los?“ polterte eine Stimme und hinter dem Jungen tauchte ein Mann auf, der ohne Zweifel sein Vater war. Er war groß, dunkelhaarig und hatte die gleichen blauen Augen.

Frohloff erhob sich und gesellte sich zu Siewers. Er warf ihr einen Blick zu und rollte mit den Augen. Wenn das so weiterging, waren sie morgen früh noch nicht fertig.

 

Judith kam zurück ins Wohnzimmer, nachdem sie die beiden Beamten hinausbegleitet hatte.

„Sie sind weg, Gott sei Dank.“

Da sprach sie ihr aus der Seele. Almut nickte. „Sag mal, hast du wirklich keine Ahnung, woher Sina das viele Geld hatte?“

Judith schüttelte den Kopf. „Mir hat sie nichts davon gesagt.“

Es war wirklich seltsam. Hatte Marius es ihr gegeben? Aber wozu? Sie konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass er einer Tochter Geld zukommen ließ und der anderen nicht. Vorausgesetzt, Judith sagte die Wahrheit. Allerdings hatte sie da wenig Zweifel, so überrascht wie sie ausgesehen hatte, als dieser Funke das Geld erwähnte. So eine gute Schauspielerin war sie nicht.

Janine war eine andere Möglichkeit. Sie konnte es ihr gegeben haben, weil sie verhindern wollte, dass Sina die Sache mit der Misshandlung weiter vorantrieb. Wirklich daran glauben mochte sie jedoch nicht. Sie hielt nicht viel von Janine, aber dass das einem Schuldbekenntnis gleichkommen würde, wäre selbst dieser dummen Blondine klar gewesen. Und wenn sie nichts getan hatte, warum sollte sie dann so etwas Blödes tun? Schließlich hatten die Chancen gut gestanden, dass sich die Vorwürfe schnell in Wohlgefallen auflösten.

Es stand Aussage gegen Aussage und so furchtbar das auch war, aber nicht einmal sie als Sinas Mutter glaubte ernsthaft daran, dass sich Janine gegenüber ihrer Tochter schuldig gemacht hatte. Auch wenn Ninchen nicht gerade ein Ausbund an Intelligenz war, wusste sie doch ganz genau, dass sie nichts tun durfte, was ihre Beziehung zu Marius gefährden konnte. Und das Schlagen einer seiner Töchter stand an erster Stelle der don’ts.

Aber es waren nicht nur solche Rückschlüsse, die sie die Geschichte als unwahrscheinlich abtun ließen, sondern vor allem das Verhalten ihrer Tochter. Sie hatte in den letzten Monaten wirklich alle Register gezogen, auf sich aufmerksam zu machen, doch weder bei ihr noch bei Marius war sie damit weit gekommen. Die Behauptung, Janine würde sie misshandeln, passte da ins Bild, war sie doch nur eine konsequente Fortsetzung der anderen Dinge, die sie schon unternommen hatte.

Außerdem war es ja nicht das erste Mal, dass sie so etwas versucht hatte. Kurz nach der Trennung von Marius hatte sie ihr weinend erzählt, dass sie Angst vor Birthe hätte, weil sie sie oft ohne Abendbrot ins Bett schickte oder ihr den Hintern versohlt hatte. Letztendlich stellte sich heraus, dass Sina sich das ausgedacht hatte, um ihre Mutter dazu zu bringen, mehr zu Hause zu sein, aber es war darüber fast zum Bruch mit ihrer Schwester gekommen. Dass Sina jetzt nicht sofort zu ihr oder zu Marius gegangen war, sondern gleich bei der Polizei angerufen hatte, um Janine in Misskredit zu bringen, bestärkte sie nur in dem Glauben, dass ihre Tochter log.

Die Geschichte von den blauen Flecken hatte sie vorhin das erste Mal gehört. Auch der Polizist, der bei ihr aufgetaucht war, hatte davon nichts erwähnt. Es hatte sie betroffen gemacht, aber ihre Meinung nicht geändert. Sie war sicher, dass die Flecken eine andere Ursache hatten. Hatte Sina sie sich womöglich absichtlich beigebracht? Sie musste schlucken, wenn sie daran dachte, wie es in ihrer Tochter ausgesehen haben musste, wenn sie zu solchen Mitteln gegriffen hatte. Oder war etwas ganz anderes mit ihr geschehen und die ganze Sache nur ein Hilfeschrei? Sie mochte gar nicht weiter denken, dass sie sich dann völlig falsch verhalten hatte. Mein Gott, hätte sie Sina genauer zuhören müssen? Hätte sie vielleicht Schlimmeres verhindern können?

Plötzlich fiel ihr ein, wie Sina mal gefragt hatte, ob sie nicht zum Zuschauen kommen könnte, wenn sie am Wochenende Handball spielte. Sie war daraufhin zu Anfang auch wirklich ein paar Mal mit gewesen, eher lustlos, weil es sie nicht die Bohne interessierte, sie aber ihre Tochter nicht enttäuschen wollte, doch Sina kam kaum zum Einsatz. Und ihr Wochenende damit zu verbringen, fremden Kindern beim Handball zuzuschauen, da konnte sie sich was Besseres vorstellen. Wenn sie in den letzten Wochen mehr Interesse gezeigt hätte, ab und an mal bei einem Spiel aufgelaufen wäre, dann hätte Sina zum Training gehen müssen. Sie hätte es dann nicht als Ausrede für andere Dinge benutzen können. Verfluchte Scheiße! Sie hätte das alles verhindern können, wenn sie nur einmal nicht so verdammt selbstsüchtig gewesen wäre.

Sie war eine schlechte Mutter. Keine Frage! Es war ja nicht nur, dass sie sich nicht ausreichend um ihre Kinder gekümmert hatte. Sie konnte nicht einmal um ihre Tochter trauern, ohne sich alle möglichen Folgen auszumalen. Als sie von dem Geld in Sinas Zimmer erfahren hatte, war natürlich der erste Gedanke, der sich ihr förmlich aufgedrängt hatte, dass Sina anschaffen gegangen war, doch das hatte Funke sofort ausschließen können. Eigenartigerweise beruhigte sie das irgendwie, als ob es den Mord an ihrer Tochter weniger schlimm aussehen ließ, weil ihr Ruf dadurch nicht beschädigt wurde. Krank!

Sie wusste es selbst, aber sie konnte sich einfach nicht helfen, hatte sie doch gleichzeitig die Konsequenzen vor Augen, die Sinas Tod für ihren Job nach sich ziehen konnten. Wer wollte Geschäfte mit einer Frau machen, deren Tochter ermordet worden war, weil sie auf den Babystrich ging? Sie hasste sich dafür, aber sie hatte eben Erfahrung in einem Business, in dem Image alles war und Vertrauen schaffte und eine ungeschickte Äußerung bedeuten konnte, dass man auf dem Schleudersitz saß. Gerade als Frau musste sie viel härter kämpfen als ihre männlichen Mitbewerber, Fehler wurden ihr doppelt angelastet. Sie hatte zwei Kollegen, die sofort ihren Platz einnehmen und auch nicht davor zurückschrecken würden, etwas so Schreckliches wie Sinas Ermordung für ihre Zwecke zu benutzen. Sie würden sich regelrecht darauf stürzen und sich im Dreck suhlen, aber die einzige, die dreckig werden würde, war sie.

Almut zwang sich, diese Gedanken weg zu schieben, was sie weit mehr anstrengte, als ihr lieb war, und wandte sich an Zoe. „Was wollten sie von dir?“

„Nichts Besonderes. Er hat halt so ganz allgemein gefragt.“

Almut merkte, dass sie ihr auswich, aber sie hatte keine Kraft, weiter nachzubohren. Ihre Tochter war tot, ihre Position in der Firma vielleicht in Gefahr und sie hatte außerdem noch einen kranken Typen, der sie einfach nicht in Ruhe lassen wollte. Sie hatte also weiß Gott andere Sorgen, als sich darüber Gedanken zu machen, was Zoe eventuell ausgeplaudert haben könnte.

„Soll ich uns einen Tee machen?“ fragte ihre Freundin, zweifellos bemüht, weiter von sich und dem jungen Polizisten abzulenken.

Almut erhob sich. „Lieb von dir, aber ich würde jetzt gern ein wenig allein sein.“

„Ich kann dir auch eine Tasse raufbringen.“

„Nein, lass nur.“

Sie meinte es ja gut, aber manchmal konnte einem ihre Fürsorge auch auf den Geist gehen. Sie ging die Treppe hoch, ihr Telefon in der Hosentasche versteckt. Im Schlafzimmer ließ sie sich aufs Bett sinken. Sie merkte, wie ihre Hände zitterten. Nein, nicht nur die Hände. Sie zitterte am ganzen Körper. Die Anspannung, unter der sie während der Befragung durch Funke gestanden hatte, löste sich langsam. Tränen strömten über ihre Wangen. Die Realität schlug ihr wie ein Vorschlaghammer ins Gesicht. Ihre Tochter war tot, unwiederbringlich. Sie würde niemals mehr ihr Haar kämmen, ihr niemals mehr eine heiße Milch mit Honig ans Bett bringen, wenn sie erkältet war. Sie würde niemals mehr die Freude in ihrem Gesicht sehen, wenn sie ein Weihnachtsgeschenk auspackte.  

Oh Gott, sie konnte ja doch trauern. Auf eine Art erleichtert, dass sie nicht das Monster war, für das sie sich selbst schon gehalten hatte, ließ sie ihren Tränen freien Lauf und schluchzte hemmungslos. Wie hatte das nur passieren können? Wer hatte ihrer Tochter das nur angetan? Hatte sie dem Falschen vertraut? War sie vielleicht schon mit ihrem Mörder verabredet gewesen und war nichts ahnend in ihr Verderben gerannt? Die Polizei glaubte nicht an ein Sexualverbrechen, aber wie konnten sie da sicher sein? Vielleicht war der Täter gestört worden oder Sina hatte sich zu stark gewehrt, dass ihm nichts anderes übrig geblieben war, als sie zum Schweigen zu bringen. Die Alternative, nämlich dass es einen anderen Grund für den Mord gab, war furchtbar und sie verbot sich, daran auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Es konnte unmöglich jemand gewesen sein, der sie gut kannte. Nein, die Polizei war da bestimmt auf der falschen Fährte.

Sie schnaubte sich die Nase. Wie sollte es jetzt nur weitergehen? Sie konnte doch unmöglich morgen einfach wieder zur Tagesordnung übergehen und ihre Termine wahrnehmen. Wie sollten sie und Judith überhaupt durch die nächsten Tage und Wochen kommen? Gott, was hätte sie eine Stütze gebrauchen können. Sicher, Zoe war eine große Hilfe, aber sie hatte auch einen Job, den sie nicht vernachlässigen konnte. Und so sehr sie Zoe als Freundin liebte, so genau kannte sie sie auch und wusste, dass Empathie nicht ihre größte Stärke war, zumal ihr so etwas wie mütterlicher Instinkt komplett abging.

Sie wettete, dass Marius das alles viel leichter wegsteckte. Nein, jetzt war sie ungerecht. Wenn sie ihn auch nicht mehr riechen konnte, wusste sie, dass er seine Töchter liebte und mindestens genauso litt wie sie. Aber er würde den Verlust nicht jeden Tag spüren, weil er nicht wie sie ständig damit konfrontiert sein würde, denn schließlich hatte Sina nicht bei ihm gelebt. Und er hatte noch einen entscheidenden Vorteil. Er musste das alles nicht allein durchleiden, er hatte Janine, die ihm eine echte Krücke sein konnte. So sehr sie es hasste, sich das einzugestehen, aber die beiden schienen wirklich glücklich miteinander zu sein. Janine würde ihm schon durch die schwere Zeit helfen, kein Zweifel.

Und wer half ihr? Es war so ungerecht. Warum war es ihr nicht vergönnt, einen Mann an ihrer Seite zu haben? Na, die Antwort darauf war leicht, sie war ja selbst schuld, dass sie allein war. Was war denn das Bild, das sie nach außen hin verkörperte? Sie war die Powerfrau, die ihren Mann stand, die es unbedingt allen zeigen wollte, die keinen Mann an ihrer Seite brauchte. Bei diesem Image, das sie sich selbst verpasst hatte, durfte sie sich nicht wundern, wenn kein Mann bei ihr richtig anbiss. Sie hatte sich immer eingeredet, so lange sie ausreichend Sex bekam, war alles in Ordnung, aber das hatte sich längst als Trugschluss herausgestellt. Mittlerweile war ihr klar geworden, dass der geilste Sex keine Beziehung ersetzen konnte, die auf Vertrauen aufgebaut war und in der man einfach mal in den Arm genommen wurde, ganz ohne Hintergedanken. Wie sehr sie sich allerdings nach einer starken Schulter sehnte, an die sie sich anlehnen konnte, das fiel ihr erst jetzt auf.

Was hatte sie stattdessen? Einen verheirateten Mann, mit dem sie sich ab und an in einem Hotelzimmer vergnügte. Zugegeben, es war immer toll, sie hatte gar nicht gewusst, dass man auch mehrere Orgasmen hintereinander haben konnte, aber es war auch klar, dass von seiner Seite nicht mehr dahinter steckte als das spontane Vergnügen. Den brauchte sie gar nicht erst anzurufen, um ihn um Beistand zu bitten. Die Fronten waren klar abgesteckt, sie wusste, dass er keine Komplikationen wollte und sofort alle Brücken abbrechen würde, sobald sie ihm zu nahe kam.

Ein anderer würde nur zu gern diese Stelle einnehmen, aber sie musste sich allein bei dem Gedanken schütteln, dass er ihr noch mal zu nahe kam. Den Fehler hatte sie einmal begangen und sie würde ihn sicher kein zweites Mal tun. Es war vor etwa drei Monaten, als ihr Chef in ihr Büro kam, nachdem sie ihm in einem Memo mitgeteilt hatte, den bislang größten Kunden für sie gewonnen zu haben. Die Verhandlungen hatten sich über Monate hingezogen, bis es überhaupt zu einem Treffen zwischen ihr und dem Geschäftsführer von Meditech & Co. gekommen war, und sie hatte innerlich schon aufgegeben, weil jedes Zugeständnis, das sie gemacht hatte, eine neue Bedingung nach sich gezogen hatte. Doch dann reichten zehn Minuten unter vier Augen und der Vertrag war unterschrieben. Sie würden das komplette Marketing für alle medizinischen Produkte übernehmen, die Meditech vertrieb, und es war ihr sogar gelungen, einige ursprüngliche Forderungen ihres Unternehmens wieder zu verankern.

Alles in allem war es kein Wunder, dass Karsten überglücklich war. Er war auf sie zugestürmt und hatte sie in der Luft herumgewirbelt. Anschließend hatte er sie zur Feier des Tages ganz feudal zum Essen ausgeführt. Im Nachhinein konnte sie gar nicht mehr sagen, wie genau es dazu gekommen war, aber sie hatte irgendwie eine Euphorie gespürt, die sie mit niemand anderem hätte teilen können. Mit wem auch? Ihre Kinder verstanden nichts von ihrem Geschäft und würden das Wochenende eh bei Marius verbringen. Seine Freude war so ansteckend, dass sie sich einfach hatte mitreißen lassen. Und warum auch nicht? Hatte sie nicht nach dieser anstrengenden Zeit auch mal ein wenig Spaß verdient? Immerhin war Karsten ein sehr attraktiver Mann. Da gab es weit schlechtere Möglichkeiten, einen Abend zu verbringen.

Wie sollte es anders sein? Natürlich waren sie in der Kiste gelandet. In seiner. Die kannte sie schon zur Genüge, hatten sie doch schon vor ein paar Jahren eine kurze aber heftige Beziehung geführt. Als sie am Morgen mit schwerem Kopf aufwachte, war ihr sofort klar, dass sie eine Riesendummheit begangen hatte. Ihr waren gleich zwei Kardinalfehler unterlaufen. Sagte man nicht immer Don’t fuck in the office? Außerdem hatte ihre Mutter, Gott hab sie selig, immer gesagt, dass man kalten Kaffee nicht aufwärmen sollte. Und hier musste sie ihrer Mutter Recht geben. Man ging einfach nicht zurück zu jemandem, mit dem es schon einmal nicht funktioniert hatte. Die Menschen änderten sich nicht so leicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Beziehung aus denselben Gründen wie vorher scheitern würde, war groß.

Ein Blick auf Karsten sagte ihr, dass er das ganz anders sah. Er hatte schon den Küchentisch fürs Frühstück gedeckt und Kaffee aufgesetzt. Das Bild schlug ihr auf den Magen. Er hatte ihre erste Trennung schon kaum wegstecken können und hatte immer wieder versucht, sie umzustimmen. Natürlich musste er jetzt denken, dass er nun doch noch erfolgreich gewesen war. Dass sie einfach nur Sex gebraucht hatte, würde er nicht verstehen. Was für sie nicht mehr als eine schnelle Nummer ohne Bedeutung war, war für ihn der Neuanfang.

Sie sollte Recht behalten. Er steckte es sehr schlecht weg, man konnte auch sagen, überhaupt nicht. Er wollte partout nicht akzeptieren, dass sie ihn nicht wollte. Oberflächlich betrachtet mochte sich ein Außenstehender das gleiche fragen. Karsten war zwar keine Schönheit, aber durchaus attraktiv mit seinem fast kahl geschorenen Kopf. Für seine fünfzig Jahre war er super in Schuss, er war gebildet, hatte einen tollen Job und verdiente gut. Alles top, nur war Almut nicht verliebt in ihn. Der Grund für die Trennung damals war, dass er sie eingeengt hatte. Er wollte plötzlich, dass sie bei ihm einzog oder er bei ihr. Dabei hatten nicht einmal ihre Kinder eine Ahnung, dass sie einen Freund hatte. Sie hatte etwas Zwangloses gewollt, doch damit war er nicht zurecht gekommen. Das gleiche Spiel wiederholte sich nach jener Nacht. Bei der Arbeit folgte er ihr auf Schritt und Tritt. Er lauerte ihr ständig irgendwo auf, machte ihr Geschenke und lud sie ein, was sie natürlich jedes Mal ablehnte. Was zunächst nur ein bisschen anstrengend war, entwickelte sich zu beängstigend, seitdem Karsten wusste, dass sie etwas mit Pierre angefangen hatte, dem Geschäftsführer von Meditech. Bis heute hatte Almut keine Ahnung, wie Karsten dahinter gekommen war, denn sie waren sehr diskret vorgegangen. Aber vor ein paar Tagen war er wie ein Irrer in ihr Büro gestürmt und hatte die Tür hinter sich geschlossen.

„Wie lange läuft das schon mit euch?“

Sie hatte ihn verständnislos angeguckt.

„Du und der Franzose. Seit wann fickst du mit ihm?“

Almut war aufgesprungen. „Sag mal spinnst du? Wie redest du mit mir?“

Er war vor ihr auf und ab gegangen, immerzu nickend und vor sich hin brabbelnd. „Klar. Kein Wunder, dass du den Vertrag mit ihm abgeschlossen hast. Wahrscheinlich hast du ihm einen geblasen, während er unterschrieben hat.“

„Du bist doch nicht ganz dicht.“ Sie zeigte ihm einen Vogel.

Es war kurz nach der Vertragsunterzeichnung passiert. Pierre hatte sie angerufen und sie zum Mittagessen eingeladen. Dort hatte er ihr unverblümt mitgeteilt, dass er das Geschäft nur abgeschlossen hatte, weil er sie attraktiv fand. Sie hatte ihn kurz gemustert, entschieden, dass sie sich ebenfalls zu ihm hingezogen fühlte und zum Essen waren sie dann gar nicht mehr gekommen. Dass er knapp zehn Jahre jünger war als sie, störte sie nicht. So falsch lag Karsten streng genommen also nicht.

„Und wie ist er? Besorgt er es dir gut?“

Sie hatte keine Lust, sich auf das Niveau zu begeben. „Ich denke, es ist für uns beide besser, wenn du mein Büro verlässt.“

„Du weißt, dass er verheiratet ist?“

Das wusste sie. Er hatte es ihr gesagt, bevor sie mit ihm geschlafen hatte. Und es stellte für sie kein Problem dar. Im Gegenteil, es war für beide eine willkommene Gelegenheit. Sie konnten sich in der Woche austoben und das Wochenende verbrachte er in Lyon bei seiner Familie und sie bei ihren Kindern. Es war ja nicht etwa so, dass sie sich in ihn verliebt hatte. Sie mochte ihn, das ja, und der Sex war einfach phänomenal, aber mehr war es nicht.

„Du weißt es“, sagte er entgeistert, als sie nicht reagierte. „Wie kannst du nur?“

„Lass mich einfach in Ruhe.“

„Du widerliche Schlampe! Gehst mit mir ins Bett und hast am selben Tag schon mit dem Baguettefresser gevögelt. Das wird dir noch leid tun.“

Damit war er verschwunden. Aber er hatte Wort gehalten. Seitdem machte er ihr das Leben zur Hölle. Er nervte sie mit Anrufen, boykottierte ihre Arbeit, auch wenn sie nicht beweisen konnte, dass er dahinter steckte und er schien sie privat zu verfolgen. Er machte ihr Angst. Sie warf einen Blick auf das Display ihres Telefons, das sechs entgangene Anrufe anzeigte. Sie drückte die Nummernanzeige. War klar. Alles die gleiche Nummer. Seine Nummer. Einen Moment unschlüssig wippte sie mit dem Hörer in der Hand auf und ab. Dann drückte sie auf die Rückruftaste. Sie musste nicht lange warten. Gerade ein Rufton war raus gegangen.

„Almut.“

War es Freude in seiner Stimme? Oder Erregung?

„Ich rufe nur an, um dich zu bitten, mich endlich in Ruhe zu lassen.“

„Aber, Almut. Tststs. Du weißt doch genau, dass ich das nicht tun kann.“

„Hör zu, du krankes Arschloch. Du brauchst ab morgen nicht mehr mit mir zu rechnen. Ich kündige. Fristlos!“

Pierre hatte ihr ein Angebot gemacht, in seinem Unternehmen die Marketingabteilung zu leiten, und ihr zwei Wochen Bedenkzeit gegeben. Sie hatte ursprünglich nicht vorgehabt, das Angebot anzunehmen, weil sie niemals eine von den Frauen hatte sein wollen, die Karriere machten, weil sie mit den richtigen Männern geschlafen hatten. Sie wusste um ihre beruflichen Qualifikationen und hatte es nicht nötig, sich auf solche Spielchen einzulassen. Mit Karsten war sie zusammen gekommen, als sie ihren jetzigen Posten schon zwei Jahre innehatte und er ihr gleichgestellt war, deshalb hatte sie damals weniger Bedenken. Es war auch nicht ideal, aber zumindest hatte sie beruflich dadurch nicht profitiert. Das wäre nun anders. Wer wusste, wie die Kollegen auf sie reagierten. Womöglich rochen die sofort, dass zwischen ihr und Pierre was lief, womit sie natürlich einen denkbar schlechten Einstieg hätte. Und was würde geschehen, wenn die Beziehung zu Ende war? Konnten sie dann überhaupt weiter zusammen arbeiten? In vielen Fällen ging das nicht. Eben das war ihr selbst ja nun gerade mit Karsten zum Verhängnis geworden. Warum sollte sie also freiwillig und sehenden Auges vom Regen in die Traufe kommen?

Jetzt hatte sie die Antwort. Weil sie es musste. Sie konnte einfach nicht mehr mit Karsten in einem Unternehmen arbeiten. Er war unberechenbar geworden. Sie wollte ihn niemals wieder sehen.  

Er lachte wie ein Irrer. Mein Gott, er war wirklich verrückt! Warum hatte sie das denn nicht früher bemerkt?

„Das kannst du gar nicht. Du bist auf den Job angewiesen. Du weißt es und ich weiß es.“

„Träum weiter. Ich habe ein Angebot bekommen und ich werde es annehmen. Dann bin ich dich ein für alle mal los und du kannst dir ein anderes Opfer suchen.“

„Jetzt hör mir mal gut zu“, zischte er und erinnerte sie dabei irgendwie an eine Schlange. „Du wirst nirgendwo anders arbeiten. Du wirst das Angebot ablehnen.“

Er war größenwahnsinnig. So musste es sein, anders war es doch nicht erklärbar.

„Das werde ich bestimmt nicht. Und jetzt lass mich in Ruhe. Ruf mich nicht mehr an. Ab morgen habe ich eh eine andere Nummer, dann wäre das Problem auch gelöst.“    

Stimmte nicht, aber es schadete ja auch nicht, wenn er das glaubte.

„Möchtest du, dass deiner anderen Tochter auch noch was passiert?“

Ihre Hand versteifte sich um den Hörer. Hatte sie richtig verstanden? „Was?“

„Ich möchte wissen, ob du deine große Tochter noch länger behalten möchtest.“

Es war, als ob sich eine eisige Hand um ihr Herz krallte. „Karsten, was willst du mir damit sagen?“

„Ganz einfach. Wenn du willst, dass deiner hübschen, blonden Tochter, die dir übrigens sehr ähnlich sieht, nichts zustößt, kommst du übernächste Woche ganz normal zur Arbeit. Nächste Woche gebe ich dir frei. Du hast ja sicher allerhand zu regeln mit der Trauerfeier und so.“

Sie hatte das Gefühl, als drehte sich auf einmal alles um sie. „Was…“

Aber es war zwecklos. Er hatte aufgelegt und alles, was sie hörte, war ein sich ständig wiederholender Ton, der anzeigte, dass die Leitung besetzt war.

 

Nachdem auch noch sein Vater aufgetaucht war, hätte Rouven sich am liebsten in Luft aufgelöst. Er hatte seinen Augen nicht trauen wollen, als er zu seiner Mutter ins Wohnzimmer gekommen war. Da saßen tatsächlich die beiden Schnüffler, die schon in seiner Klasse gewesen waren, bei ihr und wollten mit ihm sprechen. Warum nur? Wie waren sie auf ihn gekommen? Er hatte sich doch völlig unverdächtig verhalten. Sie konnten eigentlich gar nichts bemerkt haben. Scheiße! Wie sollte er sich da herauswinden?

Und als ob es nicht schon schlimm genug war, dass die von der Kripo bei ihnen zu Hause auftauchten, wollten jetzt auch noch beide Eltern bei der Befragung dabei sein. Prima! Das war echt zuviel für ihn. Wie sollte er das durchstehen? Wie in Trance ließ er sich von seinem Vater zum Sofa führen. Dass sein Vater sich mit den Beamten bekannt machte, bekam er schon gar nicht mit.

„Merles Vater und ich kennen uns noch aus unserer Schulzeit“, hörte er ihn sagen, nachdem sie alle Platz genommen hatten und er langsam seine Umwelt wieder wahrnahm.

Seine Eltern hatten ihn in ihre Mitte genommen, sein Vater hatte den Arm um seine Schultern gelegt, seine Mutter ihre Hand in seine geschoben. Alles sicherlich in guter Absicht, aber ihm war, als nahmen sie ihm damit die Luft zum Atmen. Ihm wurde innerlich heiß und er betete, dass alles ganz schnell vorüber ging.

„Ich hoffe wirklich inständig, dass Merle wieder wohlbehalten auftaucht.“ Sein Vater war die Ruhe selbst. Gerade Haltung, feste Stimme. Lag vielleicht an seinem Job. Er war Verhandlungen mit gewieften Geschäftspartnern gewohnt, da hatte er sicher keine Mühe, ein Pokerface aufzusetzen, wann immer er es brauchte.

„Das hoffen wir auch“, sagte der Mann, aber Rouven konnte an seinem Tonfall hören, dass er nicht daran glaubte. Er spürte den Blick des Beamten auf sich ruhen und hatte das Gefühl, als ob er in sein Innerstes sehen konnte. Er hielt den Atem an.

„Wie lange kennst du Merle schon?“

Na, das war einfach. Er atmete leise aus. „Seit dem Kindergarten oder noch länger.“

„Unsere Familien sind lange befreundet. Die beiden kennen sich praktisch seit der Geburt.“

Der Mann ließ sich nicht anmerken, ob ihm die Einmischung seines Vaters gefiel und nickte ihm nur zu. Dann wandte er sich wieder an ihn.

„Aber ihr geht erst seit kurzem in die gleiche Klasse.“

„Ja. Ich wiederhole die achte Klasse. Merle ist etwas jünger als ich.“

„Und versteht ihr euch gut?“

Sein Gehirn arbeitete schnell. Was hatte er im Internet gelesen, wie man sich bei Verhören durch die Polizei verhalten sollte? Immer nur direkt auf die Frage antworten. Bloß keine zusätzlichen Informationen geben, nach denen gar nicht gefragt worden war. Und wenn eine direkte Antwort nicht möglich war, irgendwie ausweichen. Das wollte er versuchen. Er gab sich betont gleichgültig und zuckte mit den Achseln.

„Wir haben nicht viel miteinander zu tun.“

„Warum nicht? Es war doch sicher schön, ein bekanntes Gesicht in der neuen Klasse zu sehen.“

Was sollte er darauf sagen? Dass sie ihn vor allen lächerlich gemacht hatte, als er es gewagt hatte, sie anzusprechen? Diese Demütigung wollte er nicht noch einmal durchleben. Außerdem ging das ja wohl auch niemanden etwas an. Ausweichen.

„Sie ist ein Mädchen.“

Das war doch wohl Erklärung genug.

„Ich verstehe“, mischte sich die Frau ein. „Ich weiß noch, dass wir in deinem Alter auch lieber unter uns geblieben sind. Man hat ja doch unterschiedliche Interessen.“

Er atmete leicht auf. Das lief doch besser als befürchtet. So schlimm waren die beiden gar nicht. Vor allem die Frau schien doch sehr nett zu sein.

„Hast du Merle gestern gesehen?“

Er blinzelte verwirrt. „Sie meinen in der Schule?“

„Oder danach...“

„Sie war ganz normal in der Schule. Und danach ist sie mit ihrem Fahrrad nach Hause gefahren. Das nehme ich jedenfalls an.“

„War sie irgendwie anders als sonst?“

Er überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Weiß nicht. Hab nicht darauf geachtet.“

„Weil sie für dich nicht wichtig war.“

Als ob. „Genau.“

„Die Lehrerin hat uns erzählt, dass Merle sich ziemlich aufreizend angezogen hat.“

„Das stimmt. Sie hatte ziemlichen Ärger deswegen in der Schule.“ Mist, jetzt hatte er die Regel vergessen, keine Information zu geben, die über die gestellte Frage hinausging.

„Mit allen Lehrern?“

War klar, dass der Typ sich jetzt darauf stürzte. Er runzelte die Stirn und dachte nach.

„Eigentlich hauptsächlich mit den Lehrerinnen.“

„Und die Lehrer? Haben die sich nie geäußert?“

„Nein.“

Er sah, wie die beiden sich einen Blick zuwarfen. Wahrscheinlich malten sie sich jetzt aus, dass Merle was mit einem von den alten Säcken hatte. So ein Schwachsinn. Aber wenn sie das glauben wollten, sollten sie das ruhig. Er würde sie nicht daran hindern.

„Hast du eine Idee, warum sie sich so angezogen hat?“

Jetzt kam es darauf an. „Weil sie es hübsch findet, schätze ich.“

„Und du?“ fragte der Mann. „Findest du es auch hübsch?“

Sie war das hübscheste Mädchen in der Klasse, egal ob angemalt oder nicht. Er versuchte erneut, möglichst gleichgültig zu wirken. „Weiß nicht.“

„Hat Merle viele Freundinnen?“

„Weiß ich nicht.“

„Und in der Klasse? Hat sie da eine Freundin?“

„Es haben alle ziemlichen Respekt vor ihr.“ Halt doch einfach die Klappe. Was soll der Scheiß? Konnte er nicht einfach die Frage verneinen?

„Respekt? Warum?“

„Keine Ahnung. Ist einfach so. Da müssen Sie andere fragen, die schon länger mit ihr in einer Klasse sind.“ Besser.

„Hast du eine Idee, was sie so in ihrer Freizeit macht?“

Klar, aber das konnte er unmöglich sagen, oder? In diesem Augenblick merkte er den Arm seines Vaters, der auf seinen Schultern ruhte, besonders stark.

„Nein.“ Gelogen, aber was hätte er sonst sagen sollen?

Beide musterten ihn nachdenklich, gaben sich aber letztendlich mit seiner Antwort zufrieden. „Sagt dir der Name Sina Keller etwas?“

Und was sollte das jetzt? Ruhe bewahren, sagte er sich. Auch davon hatte er gelesen. Sie wollten ihn durcheinander bringen, indem sie ihm Fragen stellten, deren Antworten sie gar nicht interessierten, damit er unvorsichtig wurde und sie dann umso gnadenloser zuschlagen konnten. „Nein, nie gehört. Warum?“

„Das Mädchen wurde gestern ermordet.“

Er zog die Luft ein. Ach du Scheiße! Was zum Teufel ging hier ab?

„Und?“ sagte sein Vater mit aufgeregter Stimme. „Hat das etwas mit Merles Verschwinden zu tun?“

„Das wissen wir noch nicht, aber es gibt da schon gewisse Parallelen.“

Das war zuviel für Rouven. Er schaltete ab. In seinem Kopf rauschte es und er konnte an nichts anderes mehr denken, als daran, dass Merle womöglich ebenfalls tot war. Die Verabschiedung der beiden Beamten nahm er wortlos zur Kenntnis. Er sah wie durch einen Schleier, wie seine Mutter sie aus dem Zimmer begleitete. Er löste sich aus der Umklammerung seines Vaters und stand auf.

„Wo willst du hin?“ 

„In mein Zimmer“, sagte er ohne sich umzudrehen.

„Die beiden sind weg.“

Rouven blieb stehen. Ihm war der lauernde Unterton nicht entgangen. Er atmete tief durch und wurde wieder klarer.

„Jetzt kannst du sagen, falls du etwas weißt. Du weißt doch etwas, oder?“

Langsam drehte er sich um, dass er seinem Vater ins Gesicht blicken konnte. Sein Herz klopfte wie verrückt. „Und du?“

Sein Vater zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Was?“

„Ach Papa, hör auf. Du weißt doch genau, was Merle gemacht hat. Warum hast du der Polizei nichts gesagt?“

„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

Das Zittern in der Stimme sprach eine andere Sprache. Von der Sicherheit, die er noch vor zwei Minuten den Beamten gegenüber ausgestrahlt hatte, gab es keine Spur mehr. Rouvens Magen krampfte sich zusammen. Plötzlich wusste er, was ihn so beunruhigt hatte.

„Hast du etwas mit ihrem Verschwinden zu tun?“