Kapitel 8

Leckerchen können auch erlaubt sein

Es gibt zwei Ausnahmen, in denen es aus meiner Sicht Sinn macht, den Futtertrieb des Hundes auszunutzen, nämlich bei Werbe- und Filmaufnahmen am Set und beim Üben von kleinen Kunststückchen zu Hause. Dafür gibt es gute Gründe: Am Set geht es für den Hund um nichts, es sind in der Regel keine Artgenossen vor Ort, und wenn, dann nur solche, mit denen er sich verträgt. Außerdem muss auch ein Schauspieler, der keine Hundeerfahrung hat, den Hund sofort führen können. Und da der Schauspieler mit dem Hund nicht leben muss, hat die Bestechung mit Leckerchen demzufolge keinen negativen Einfluss auf eine stabile Hund-Halter-Beziehung. Genauso verhält es sich, wenn ein Halter zu Hause mit seinem Hund kleine Kunstsstücke übt – diese besondere »Leistung« darf er durchaus mit einem kleinen Snack belohnen. Denn anders als bei »Komm!«, »Sitz!« und den anderen Hörzeichen (auf keinen Fall mit Leckerchen belohnen!) geht es bei diesen »Positivdressuren« nicht um Unterordnung, sondern um Aktionen, die dem Tier etwas Nicht-Alltägliches abfordern. Wie schon im Kapitel »Die Leckerchen-Lüge« erklärt: Wenn ein Hund sich unterordnen soll, ist die gleichzeitige Gabe eines Leckerchens (= das Überlassen von »Beute«) kontraproduktiv. Andererseits werden Hunde, die sich gerade unterordnen bzw. unterwerfen, niemals durch einen Ring springen oder ein anderes Kunststück vorführen. Kunststücke macht ein Hund nur, wenn wir ihn begeistern können. Leckerchen sind in solchen Fällen als notwendiger Motivationskick erlaubt. Lediglich die gewünschte Aktion wird durch Gabe eines Leckerchens plus lobende Stimmlage positiv bestärkt.

Im Folgenden möchte ich Ihnen einige Anekdoten aus der Welt des Filmtiertrainings erzählen. So können Sie für Ihren Alltag mit Bello Normalhund hoffentlich einiges mitnehmen und vielleicht den einen oder anderen beschriebenen Trick ausprobieren – vorausgesetzt, Sie verzichten in der Basiserziehung auf Leckerchen und üben die Tricks ohne Ablenkung und Störung durch »Beute«-Konkurrenten.

Der Rudelführer und sein Rudel

Immer wenn ich an den Düsseldorfer Rheinwiesen die Hecktür meines Chevrolet-Kombis öffne, haben auch die vorbeischlendernden Spaziergänger bereits eine gedankliche Schublade geöffnet. Sie erwarten, dass im nächsten Moment ein großer Hund auftaucht. Vielleicht ein Dobermann. Oder ein Riesenschnauzer. Jedenfalls irgendein kerniges Exemplar einer größeren Rasse. Eine kleinere Kategorie passt doch nicht zu einem Typ mit Dreitagebart, grüner Bomberjacke, Boots und Baseball-Cap mit dem Aufdruck »Hundetrainer«. Aber siehe da: Überraschung! Drei nicht gerade große und ziemliche süße Cairn-Terrier-Mischlinge springen nacheinander aus dem Wagen. Höhe: etwa 30 Zentimeter. Gewicht: knapp acht Kilo. Dichtes, buschiges graues Fell, kleine, spitze Ohren. Typisch schelmisches Terrier-»Grinsen« im Gesicht. Gestatten: Alice, Gysmo und Houkey – mein Rudel.

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Mein Rudel: Houkey, Gysmo und Alice

Genauer gesagt bilden wir nicht nur ein Rudel, wir sind auch Arbeitskollegen. Ein Familienbetrieb, in dem alle zusammenhalten und sich jeder auf den anderen verlassen kann – wie in einem italienischen Eiscafé oder einer griechischen Gyros-Bude. Alice, die Mutter von Gysmo und Houky, ist die älteste und erfahrenste; sie hat meine Karriere als Filmtiertrainer von Anfang an begleitet und ihr Können bei allen großen TV-Sendern unter Beweis gestellt. Ursprünglich war sie die Hündin meiner damaligen Freundin. Die wollte Anfang der 1990er-Jahre einen etwas kleineren, niedlichen Hund – da war eine Cairn-Terrier-Shitsu-Mischung wie Alice genau die richtige. Als der Arbeitgeber meiner Freundin ein Hundeverbot einführte, begann ich, mich tagsüber um Alice zu kümmern und ihr viel beizubringen – so wie jedem Hund, der länger in meiner Nähe ist: Kommandos, Kunststückchen, das volle Programm. Ich kann es nicht lassen, irgendwie liegt es mir wohl im Blut. Und so wurde aus Alice allmählich »mein« Hund. Konsequenterweise ist sie dann nach Ende der Beziehung bei mir geblieben.

Bei meiner Arbeit gilt eine einfache Regel: Ein Filmtiertrainer arbeitet am besten und effektivsten mit den Tieren, die er gut kennt. Wenn also ein Hund aus meinem Freundes-, Familien- und Bekanntenkreis ins Anforderungsprofil einer Filmproduktion passt, buche ich ihn bevorzugt. Oft arbeite ich auch mit Hunden aus dem engeren Kundenkreis meiner Hundeschule, die häufig bei mir trainiert haben. Doch am allerliebsten drehe ich mit meinen eigenen Hunden. Kollegen-Ethos.

Sie kennen das: In Fernsehproduktionen sowie in Print- und TV-Werbung tauchen immer wieder tierische Darsteller auf, meistens Hunde, gelegentlich Katzen, selten vierbeinige »Exoten« wie Meerschweinchen, Hausschweine oder Leguane. Einmal habe ich sechs braun-weiße Kühe und ein filmerfahrenes Pferd für den Dreh des Films Operation Walküre mit Tom Cruise bereitgestellt, ein anderes Mal sogar Maden für eine (unechte!) Hundeleiche in einem Spielfilm.

Anders als ihre zweibeinigen Kollegen brauchen die tierischen Akteure für ihre mehr oder weniger großen Auftritte kein Drehbuch, sondern die Hilfe eines speziellen »Betreuers« – so jemanden wie mich. Ich arbeite vor allem mit Hunden. Dabei sehe ich es nicht nur als meine Aufgabe, die Hunde für die Anforderungen beim Dreh zu trainieren. Ich muss auch auf dem Weg zum Set und vor Ort dafür sorgen, dass die Situation für die Tiere ganz normal und keine Belastung ist.

Wir Menschen tun vieles mit einem bewussten Ziel, zum Beispiel um Spaß zu haben. Hunde hingegen reagieren nur auf äußere Reize, auf Menschen, auf andere Hunde, auf andere Tiere. Auch wenn Hunde untereinander oder mit einem Gegenstand »spielen«, sind das eher Folgereaktionen auf einen Anfangsreiz. Für einen Hund macht es keinen Unterschied, ob am Set vom Tatort 25 Leichen herumliegen oder ob er gegen »Rennschwein Rudi Rüssel« den zweiten Platz belegt. Genauso gut könnte ich ihn bei einem ausgiebigen Spaziergang über einen umgefallenen Baumstamm springen oder ein Stöckchen apportieren lassen.

Deshalb kann ich die Frage, ob ein Hund »Spaß« daran hat, in einem Film mitzuspielen, nicht einfach mit »Ja« beantworten. Denn der Hund denkt nicht: »Ob wir morgen mal wieder was richtig Geiles drehen?« Und er wird bestimmt nicht williger agieren, wenn die Regie ihn mit den Worten »Ach, bist du süß!« motiviert. Entsprechend unaufgeregt und sachlich komme ich mit meinen Filmhunden zum Drehort und gehe genauso wieder nach getaner Arbeit mit ihnen weg. Behutsam führe ich sie ans Set heran, sodass sie die neuen Eindrücke (zum Beispiel das Blitzlicht des Fotografen) verarbeiten können und sich nicht erschrecken.

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Am Filmset

All das funktioniert allerdings nur optimal mit dem für die jeweiligen Foto- oder Filmaufnahmen passenden Hund: Ein unterwürfiger Rassehund, der ganz toll aussieht und auf einer Hundeausstellung Preise einheimst, wird sich am Set womöglich verweigern – weil es ihm zu dunkel ist, weil ihm die Gespräche zwischen den Schauspielern zu laut sind oder weil ein anderer Filmhund vor Ort ist. Ein solcher Hund ist also kein stressresistenter Kandidat für die Rolle als Hilfskommissar in einer Krimiserie. Denn der darf sich von nichts und niemandem ablenken lassen und muss nicht nur aufs Wort, sondern auch auf Handzeichen gehorchen.

Beherrscht ein Hund hingegen die Grundkommandos wie »Sitz!«, »Platz!«, »Bleib!«, »Komm!«, »Nein!« und »Aus!« und hat eine passable Optik, kann er womöglich bei der einen oder anderen Fotoproduktion mitwirken. Schließlich geht es nicht immer um Kunststückchen, sondern oft einzig und allein darum, ein paar Sekunden lang eine bestimmte Position zu halten und dabei eine gute Figur zu machen. Schließlich ist auch nicht jedes Topmodel automatisch eine künstlerische Bereicherung für den Film.

Damit ich bei allen Anfragen den passenden Hund vermitteln kann, veranstalte ich regelmäßig Hunde-Castings. Anschließend kommen die potenziellen »Schauspieler« und »Models« in meine Kartei, mit Foto und Beschreibung ihrer besonderen Merkmale und Fähigkeiten. Mittlerweile kann ich auf einen Pool von mehr als 5000 Hunden zurückgreifen. Wobei die Mode wie schon erwähnt oft wechselt: Mal liegen Dalmatiner im Trend, mal Labradore, mal Parson-Russell-Terrier. In letzter Zeit werden verstärkt Möpse nachgefragt. Prompt habe ich mehrere Mops-Castings organisiert – mit riesigem Andrang. In Zeiten von DSDS, Popstars und Germany’s Next Topmodel zieht es nämlich nicht nur Hinz und Kunz auf die Fernsehbühne, auch der dazugehörige Hund soll bitte schön TV- oder Modelkarriere machen. Oft bekomme ich Anrufe von Haltern, die ihren Hund in den höchsten Tönen als »Supertalent« anpreisen. Wenn ich beide daraufhin einlade, funktionieren die angekündigten Kunststückchen allerdings äußerst selten. Die Leute reden sich dann gerne mit dem Vorführeffekt heraus; ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft ich in den vergangenen Jahren den Satz »Komisch, zu Hause schafft er das immer« gehört habe.

Ich bin bekannt dafür, dass ich Klartext rede und keine falschen Hoffnungen mache. Die meisten Halter bekommen daher eine nette, aber unmissverständliche Absage. Nur einmal habe ich eine Ausnahme gemacht und mit einer Hundedame gearbeitet, die sich einzig und allein aufgrund ihres Promi-Status von jedem x-beliebigen Durchschnittshund unterschied: Daisy Moshammer, die Yorkshire-Hündin des kurz zuvor verstorbenen Münchner Modeschöpfers und Paradiesvogels. Ihr Einsatz war aber vor allem deshalb gefragt, weil sie als Gast-Star in einer Folge der RTL-Soap »Unter uns« niemand Geringeren als sich selbst spielen sollte. Daisy hat das nach einigen Anlaufschwierigkeiten ziemlich gut hinbekommen.

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Filmstar Daisy

Manchmal halte ich mich mit meinen Filmhunden bis zu sechs Stunden am Set auf. Das hört sich nach viel und anstrengend für die Hunde an, ist es aber nicht: Denn natürlich wird nicht die kompletten sechs Stunden lang mit Hund gedreht, die meiste Zeit verbringen meine Schützlinge und ich mit Warten, bis wir dann vielleicht insgesamt anderthalb Stunden an der Reihe sind. Ist der Hund in seiner Szene nicht aktiv, beschäftige ich mich solange mit ihm, um ihn körperlich und geistig auszulasten. Spielt er in seiner Filmszene ohnehin eine aktive Rolle, gebe ich ihm Zeit, zur Ruhe zu kommen.

Da ich auch für die Sicherheit und Gesundheit meiner Filmhunde verantwortlich bin, checke ich vorab, ob an irgendeiner Stelle Gefahr besteht. Ein Hund könnte sich zum Beispiel verletzen, weil er nach einem Sprung auf einem zu glatten Untergrund landet. Manchmal merke ich schon beim Lesen des Drehbuchs, dass der Regisseur unrealistische Vorstellungen hat, und weise ihn darauf hin, was machbar ist und was nicht. Wichtig ist auch, die Abfolge der Aufgaben am Set hundegerecht zu planen. Ein Hund, der in der ersten Szene noch über einen Zaun springen oder jemanden verfolgen soll, kann nicht in der anschließenden zweiten Szene ruhig und entspannt auf dem Sofa liegen. Denn dann würde er wahrscheinlich hecheln, ständig aufstehen und den Wassernapf suchen.

Leckerchen als Motivationskick für Nichtalltägliches

Ich erinnere mich noch genau an Alices TV-Debüt … Köln, Mitte der 1990er-Jahre. Die ersten Folgen der RTL-Krimiserie »Die Wache« werden produziert. Für Alice steht eine eher kleine Nummer auf dem Programm: Laut Drehbuch liegt ein Obdachloser nachts im Hinterhof eines Hauses auf einer Matratze und schläft. Drei Hunde biegen um die Ecke, laufen auf ihn zu und wecken ihn auf. Daraufhin klaubt der Obdachlose überstürzt seine Sachen zusammen und verschwindet. Nun kann ich den Hunden schlecht das Kommando »Geht da mal rüber und weckt den Menschen auf!« geben. Was mache ich also? Ich verstecke einfach rund um die Schlafstätte des »Obdachlosen« und in seiner Kleidung Leckerchen, um Alice und die beiden anderen Hunde, die ich mit an den Drehort gebracht habe, anschließend auf Kommando dorthin zu schicken und sie suchen zu lassen. Das klappt wie erwartet ohne Komplikationen; schon nach zwei Anläufen ist die Szene im Kasten.

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Alice hat ihre Sache gut gemacht!

Reizthema Leckerchen: Mittlerweile dürfte klar sein, dass ich als Hundetrainer strikt dagegen bin, Leckerchen als Allheilmittel für die Grundkommandos der täglichen Erziehung zu benutzen. Als Filmtiertrainer nutze ich sie sehr gerne – aber nicht immer: Gäbe ich beispielsweise einem Hund vor laufender Kamera das Kommando, den Raum zu verlassen, so erhielte er dafür sicherlich kein Leckerchen, denn »Raus!« bedeutet ganz klar, dass der Hund sich unterordnen muss. Das fällt unter die Kategorie »selbstverständliche Alltagskommandos«.

Wenn es also wie bei der beschriebenen Szene darum geht, unter freiem Himmel auf einen Menschen zuzustürmen, der auf einer Matratze liegt, und ihn abzuschnüffeln und anzustupsen, gehört das sicher nicht zum Hundealltag. Das hat nichts mit Unterordnung zu tun und wird entsprechend honoriert. Die einzige Schwierigkeit besteht in diesem Fall darin, dass drei Hunde gleichzeitig beteiligt sind. Doch Alice kennt ihre beiden Hundekollegen bereits, die drei verstehen sich, es gibt kein Konkurrenzgehabe, und so ist die Aufgabe bei diesem Dreh vergleichsweise leicht: nur ein Schauspieler, sehr kurze Szene, kaum Ablenkung für die Hunde.

Tricks auf Sichtzeichen

Vor jedem Dreh erhalte ich die Dispo, eine Art Ablauf- und Organisationsplan, in dem alle möglichen Informationen zum Dreh festgehalten werden: Jeder – vom Maskenbildner über den Beleuchter bis zu den Schauspielern – erfährt genau, was er wann und wie zu tun hat. Auch der Filmtiertrainer. Die Dispo enthält zudem eine kurze Inhaltsbeschreibung der jeweiligen Szenen und ihre ungefähre Länge. Ich weiß also immer ziemlich genau, was auf mich und das Tier zukommt. Dennoch bin ich manchmal gefordert zu improvisieren, wenn irgendetwas im Ablauf nicht funktioniert wie geplant.

So geschehen beim Dreh des Fernsehkrimis Herzrasen für die ARD. Der ursprüngliche Plan: Zwei Schauspielerinnen sitzen in einer Cafeteria am Tisch und sind in ein Gespräch vertieft. Ein Komparse betritt mit einem großen Hund an der Leine den Raum, als Reaktion darauf fängt ein kleiner Hund unter dem Nachbartisch laut an zu bellen. Daraufhin erschrickt eine der Schauspielerinnen und lässt die Tasse, die sie gerade zum Mund führen wollte, fallen. Natürlich bekleckert sie sich. Schnitt.

Keine Frage – für die Rolle des kleinen Hundes ist die zu diesem Zeitpunkt etwa fünfjährige Alice eine Idealbesetzung. Bellen auf Sichtzeichen – auch aus größerer Entfernung – gehört zu ihrem Standard-Repertoire. Und auf Sichtzeichen zu gehorchen ist für einen guten Filmhund unabdingbar. Schließlich kann ich ihm kein Kommando wie »Bleib!« oder »Aus!« zurufen, wenn die Schauspieler im gleichen Moment ihren Text sprechen.

Einem Hund das Bellen auf Sichtzeichen beizubringen, ist gar nicht so schwer. Wie immer bei »besonderen Leistungen« aus der Kategorie »Positivdressur« arbeite ich mit Leckerchen. Diesen Trick kann jeder zu Hause mit seinem Hund üben – am besten funktioniert das natürlich, wenn der Hund im Alltag und bei der Basiserziehung nicht andauernd mit Leckerchen vollgestopft wird.

Hund.epsEXTRA-Tipp:

Der »Bellen auf Sichtzeichen«-Trick!

Erster Schritt: Sie halten dem Hund ein Leckerchen vor die Nase, am besten ein Top-Leckerchen, auf das er besonders scharf ist. Dann tun Sie nichts, beobachten ihn nur und sagen dabei: »Gib Laut!« Dem Hund wird schnell langweilig, er fragt sich: Warum bekomme ich das verdammte Leckerchen nicht?! Und irgendwann, vielleicht schon nach zwei, vielleicht erst nach zehn Sekunden, wird er eine Reaktion zeigen, wahrscheinlich erst mal kein Bellen, eher ein hörbares Ausatmen, Schnaufen, Brummen oder Fiepen. Aber egal, wie die Reaktion des Hundes ausfällt: Sie loben ihn dafür ausgiebig und belohnen ihn mit dem Leckerchen.

Im nächsten Schritt spielen Sie das gleiche Programm noch einmal durch: Leckerchen vor die Nase halten, »Gib Laut!« sagen, Reaktion abwarten. Der Hund fiept, schnauft oder brummt. Doch diesmal belohnen Sie ihn nicht sofort, sondern motivieren ihn erneut mit »Gib Laut!«. Erst wenn seine Reaktion etwas lauter ausfällt, loben Sie ihn, und er darf an das Leckerchen ran. Der Hund lernt: Ich muss bei »Gib Laut!« eine deutliche Reaktion zeigen, denn das lohnt sich. Dieses Spiel steigern Sie so lange, bis der Hund beim Bellen angelangt ist – und nur noch dafür sein Leckerchen erhält.

Wenn er das beherrscht, vergrößern Sie die Entfernung. Der Hund muss nun nach dem gleichen Schema lernen, aus einem Meter Abstand zum Halter das Signal »Gib Laut!« zu befolgen und zu bellen. Um ihm das Leckerchen zu geben, müssen Sie sich natürlich zu ihm gehen. Und schließlich ersetzen Sie »Gib Laut!« durch ein Handzeichen, zum Beispiel, indem Sie langsam die Faust öffnen. Ganz wichtig ist, den Hund nicht unter Druck zu setzen. Er braucht eine positive Erwartungshaltung (Stichwort »Positivdressur«), denn sonst will er sich unterwerfen, möglichst kaum auffallen – und bestimmt nicht bellen.

Auch für die Rolle des großen Hundes habe ich einen passenden Kandidaten mitgebracht: Hugo, eine stattliche Mischung aus Berner Sennenhund und Schäferhund. Seine Besitzerin ist ebenfalls vor Ort, denn oft binde ich Herrchen oder Frauchen meiner Filmtiere als Co-Trainer oder Komparsen mit ein. Das hat eine beruhigende Wirkung auf die Hunde; darüber hinaus kann ein Hundehalter, der sein Tier im Griff hat und es noch besser kennt als ich, eine große Hilfe sein. Es sei denn, der Hund ist extrem auf Herrchen oder Frauchen fixiert. Dann kann der Schuss auch nach hinten losgehen: Der Besitzer lenkt den Hund von seiner »Arbeit« ab, womöglich ist er aufgrund der Drehsituation angespannt und überträgt das auf den Hund. Schlimmstenfalls steht der Hund mitten im Dreh auf und läuft zu Herrchen/Frauchen. Auch solche Konstellationen habe ich öfter erlebt. Dann erkläre ich den Besitzern die Situation und bitte sie, draußen zu warten, während die Szene gedreht wird.

Als wir am Drehort, der Kantine eines Bürogebäudes im Kölner MediaPark, ankommen, spricht mich die Aufnahmeleiterin an, die ich schon aus der Zusammenarbeit bei anderen Produktionen kenne:

»Hallo Dirk! Wie sieht es aus? Klappt das heute gut mit den Tieren?«

Ich schaue sie etwas verblüfft an, runzele die Stirn. Warum fragt sie das?

»Hier ist momentan etwas Stress angesagt«, erklärt sie, »wir hatten gestern eine Szene mit einer Katze, die gar nicht gut gelaufen ist und ewig gedauert hat. Jetzt hat der Regisseur überhaupt keine Lust mehr auf Filmtiere.«

Nur damit ich Bescheid wisse, ich könne ja schon mal mit den Hunden üben. Sie lächelt gequält. Doch ich bin mir sicher, dass meine beiden Schützlinge ihren Job gut machen werden, und lasse mich von der angespannten Stimmung am Set nicht aus der Ruhe bringen. Grundsätzlich habe ich Verständnis für die Befindlichkeiten der Regie, denn für den Regisseur gilt bei derart kostenintensiven Produktionen tatsächlich die Redensart »Zeit ist Geld«.

Bis zu unserem Einsatz dauert es noch etwas, deshalb beschäftige ich die Hunde zwei Stunden lang, bis der »Startschuss« fällt und wir – Alice, Hugo, Hugos Frauchen und ich – endlich dran sind: Der Regisseur ist – da hat seine Aufnahmeleiterin nicht untertrieben – richtig mies gelaunt. Er zeigt mir den Tisch in der Cafeteria.

»Da muss der eine Hund drunterliegen. Die Komparsin geht mit dem anderen Hund hinaus und führt ihn anschließend auf Zeichen an der Leine herein. Und dann wird gebellt!«

»Kein Problem«, denke ich und positioniere Alice unter dem Tisch. Hugos Frauchen soll die Komparsenrolle übernehmen und macht sich schon auf den Weg nach draußen, doch plötzlich stürmt die Regieassistentin auf mich zu.

»Nein, nicht der kleine, der große Hund soll unter den Tisch.« So wolle es der Regisseur.

Ich erwidere, dass die Konstellation genau andersrum geplant gewesen sei: kleiner Hund liegt unterm Tisch und bellt, wenn großer Hund vorbeikommt. Ich zeige ihr das entsprechende Auftragsfax, sie spricht mit dem Regisseur, doch der besteht auf seiner Version. Großer Hund unterm Tisch bellt, wenn kleiner Hund vorbeikommt. Diskussion zwecklos.

Nun bekomme ich doch ein wenig Muffensausen. Ein schlecht gelaunter Regisseur, der unter Zeitdruck steht, und zwei Hunde, die ich genau auf die entgegengesetzte Szene vorbereitet habe. Und drum herum ein Team, das erwartet, der Filmtiertrainer möge nun gefälligst seinen Job machen und das irgendwie hinbiegen. Zwei Dinge sind mir klar: Wenn jetzt etwas schiefläuft, bekommt der Regisseur noch schlechtere Laune … und ich hätte bei dieser Produktionsfirma in Zukunft schlechte Karten. Wie also kann ich Hugo dazu bringen zu bellen? Wird mir der Regisseur wenigstens zehn bis 15 Minuten Zeit geben, um die neue Konstellation zu proben? Denn im Vergleich zu Alice ist Hugos Repertoire auf ein paar Kleinigkeiten begrenzt – und »Bellen auf Sichtzeichen« gehört in jedem Fall nicht dazu. Schließlich habe ich Hugo als den Hund gecastet, der entspannt durchs Bild läuft, und nicht als denjenigen, der auf Kommando bellt.

Ich überlege fieberhaft hin und her, immerhin gilt es nach dem Katzen-Debakel vom Vortag auch die Ehre meines Berufsstandes wiederherzustellen. Dann kommt mir der rettende Einfall: Hugo ist ein dominanter und damit tendenziell futterneidischer Hund. Andere Hunde lässt er nur ungern in die Nähe seines Fressens. Wenn es um die »Wurst« geht, wird er sicher entsprechend reagieren.

Ich frage den Regisseur, ob es ein Problem sei, wenn neben dem großen Hund auch eine Handtasche unter dem Tisch stünde. Ist es nicht. Und so platziere ich Hugo mitsamt Frauchen unter bzw. am Tisch. Dann besorge ich mir eine Scheibe Schinken beim Caterer. Nun muss Hugo nur noch auf seinen Auftritt vorbereitet werden. Ich lege die Schinkenscheibe neben ihm auf den Boden und briefe seine Besitzerin: Sobald Hugo an den Schinken ran will, soll sie ihm das mit einem klaren »Nein!« verbieten, unterstützt durch einen kurzen Leinenruck.

Und los geht‘s: Hugo will ran – »Nein!« plus Leinenruck. Hugo will noch mal ran – wieder »Nein!« plus Leinenruck. Der erste Schritt ist gelungen, Hugo hat erkannt, dass er nicht an den Schinken darf. Aber er ist immer noch megascharf auf das deftige Stück. Gut so, denn genau darauf beruht mein Plan. Könnte er sprechen, würde er vermutlich schimpfen: »Verdammt, ich darf da nicht ran, ich darf da nicht ran«, ich will da aber ran!‹ Und natürlich fixiert er die »Beute«, als handele es sich um ein Festessen und nicht um eine einfache Scheibe Schinken. Nun folgt Schritt zwei: Ich stelle die Handtasche auf die Schinkenscheibe. Und zwar so, dass noch ein kleines Stück herausguckt, das nicht im Blickfeld der Kamera liegt, wohl aber in dem des Hundes. Damit sind die Vorbereitungen abgeschlossen. Der eigentliche Dreh kann beginnen. Die Crew hat mich beobachtet, die meisten haben die Umstellung von »kleiner Beller« auf »großer Beller« gar nicht mitbekommen und denken wohl, dass ich meine üblichen Vorbereitungen treffe. Ich erkläre Hugos Frauchen, dass ich die ursprünglich ihr zugedachte Komparsenrolle übernehmen werde, dafür sitzt sie nun gemeinsam mit Hugo am Tisch. »Gleich werde ich mit Alice an dir vorbeigehen«, erkläre ich weiter, »sofort wird Hugo hochspringen und bellen, also erschrick nicht!« Proben kann ich die Szene nicht, sie muss beim ersten Mal sitzen. Alice würde sich weigern, ein weiteres Mal an »Beuteverteidiger« Hugo vorbeizulaufen.

»Und bitte!«, gibt die Regie das Startsignal für die neue Darsteller-Konstellation: Ich nehme die kleine Alice an die Leine und betrete mit ihr die Cafeteria. Währenddessen wartet der große Hugo unter dem Tisch; am Nachbartisch sitzen die beiden Schauspielerinnen und unterhalten sich. Ich führe Alice möglichst nahe an »Hugos Tisch« vorbei. Hugo ist immer noch auf seine Schinken-Beute fixiert: »Wenn ich es schon nicht fressen darf, bewache ich das Ding wenigstens, damit es sich keiner von meinen Kollegen schnappt.« Und dann bemerkt Hugo genau im richtigen Moment, dass sich mit Alice ein ebensolcher Nahrungskonkurrent nähert.

Bei uns Menschen sähe eine solche Situation im Extremfall so aus: Jemand betritt ein Restaurant und steuert auf den Tisch eines Gastes zu, der sich soeben eine große Fleischplatte hat servieren lassen. Ein Stuhl am Tisch ist noch frei, der »Fremde« macht Anstalten, sich dazuzusetzen und mitzuessen. Ganz klar: Der »Eindringling« wird in jedem Fall eine entsprechende Reaktion ernten. Ein selbstbewusster Typ steht vielleicht sofort auf und fragt, was das soll. Ein zurückhaltender Typ schaut womöglich erst einmal verwirrt.

Als Mensch wäre Hugo sicherlich ein sehr selbstbewusster Typ, denn kaum nähern Alice und ich uns seinem »Revier«, springt er auf und bellt dermaßen furchterregend, dass die Schauspielerin ihr Handwerk vergisst und wirklich erschrickt. Überzeugender kann man Kaffee nicht verschlabbern! Kommentar aus der Regie: »Super!« Es folgt ein kurzer Check, ob auch technisch alles okay ist. »War alles gut. Danke!«

Die allgemeine Stimmung entspannt sich, der Gute-Laune-Pegel zeigt wieder nach oben. Nur vier Minuten hat der Dreh gedauert, und die Produktion hat die verlorene Zeit wieder aufgeholt. Wir bleiben noch freiwillig eine halbe Stunde lang am Set, denn dort gibt’s nun ein leckeres Mittagessen. Und natürlich bekommt Hugo zur Belohnung noch eine weitere Scheibe des heiß ersehnten Schinkens.

Für Alice war die gedrehte Szene normaler Hundealltag und keine Belastung. Schließlich hat Hugo sie bloß davor gewarnt näherzukommen – auch wenn die Reaktion eines solch großen Hundes manchen Menschen Angst einjagt. Es ging Hugo in keiner Weise darum, Alice anzugreifen und zu verletzen, die beiden kennen sich und haben noch kurz vor dem Dreh miteinander gespielt. Hugo übermittelte lediglich eine klare Ansage: »Komm nicht näher, hier liegt Beute, und zwar meine.« Und dass Hugo Alice die Show gestohlen und ihre Rolle bekommen hat, hat sie gar nicht bemerkt. Wie schon in Kapitel 6 beschrieben: Hunde kennen zwar Futterneid, doch Eitelkeit kennen sie nicht.

Kleine Kunststückchen verbinden Hund und Halter

Ein Hund, der als »Schauspieler« arbeitet, sollte nicht nur auf Fotos gut rüberkommen, er muss vor der Kamera auch diverse Tricks und Anforderungen beherrschen. Also eigentlich nichts für Anfänger.

»Für einen neuen Videorekorder-Werbeprospekt suchen wir einen kleinen, süßen Hund«, lautet die Anfrage einer Kölner Werbeagentur. Ich schaue mir den Prospekt vom Vorjahr an, um ein Bild davon zu bekommen, wie die Agentur arbeitet. Damals warb ein gelber Labrador für die Videorekorder, nun ist ein kleinerer Sympathieträger gefragt. Am besten einer, der ungefähr genauso lang ist wie ein Videorekorder aus der neuen Serie breit. So kann der Hund – anders als ein Labrador – auch auf dem Gerät sitzend fotografiert werden.

Hund.epsEXTRA-TIPP:

Der »Zeitung tragen«-Trick !

Wenn Sie mit Ihrem Hund das eine oder andere Kunststückchen üben, lasten Sie ihn geistig aus und verbessern die Bindung. Wer einen apportierfreudigen Hund besitzt, kann Gysmos Übung zur Mission »Zeitung tragen« erweitern. Der Hund hält die Zeitung oder Zeitschrift (am besten eingerollt und mit Gummi zusammengehalten) nicht nur im Maul, er wird außerdem dazu animiert, sie beim Laufen wie ein Apportierholz zu tragen.

Hat der Hund die Zeitung im Maul, loben Sie ihn in entsprechend »erfreuter« Tonlage mit dem Wort »Halten«. Lässt er sie wieder los, beginnen Sie von Neuem und loben ihn, sobald er sie wieder im Maul hat, erneut mit »Halten«. Das üben Sie nun jeden Tag ein paar Mal. Mit der Zeit gelingt es dem Hund, die Zeitung auch während des Laufens im Maul zu behalten. Beginnen Sie also am besten mit kurzen Wegen und steigern Sie die Strecke allmählich. Bis Sie Ihrem Nachbarn (oder ihrer Nachbarin) damit imponieren können, dass Ihr Hund die Zeitung vom Kiosk bis nach Hause trägt, bedarf es allerdings eines geduldigen Trainings. Prinzipiell kann man diese Fähigkeit mit allen möglichen Gegenständen trainieren.

Alice hat mittlerweile Welpen bekommen – und einen von ihnen habe ich behalten: Rein optisch wäre der – zu diesem Zeitpunkt – rund sieben Monate alte und gut fünf Kilo schwere Gysmo der ideale Kandidat. Aber ist er schon reif für so einen Auftrag? Er beherrscht zwar diverse Tricks, ist aber noch lange nicht »top« trainiert und hat bisher keinerlei Erfahrung als Filmdarsteller oder Model. Andererseits bleiben noch drei Wochen Zeit zur Vorbereitung, und ich traue Gysmo den Job zu. Die Agentur erhält mehrere Bewerbungsfotos, die Auftraggeber sind begeistert. Also wird Gysmo »Cover-Dog« einer Videorekorder-Werbung.

Der Prospekt erzählt in Bild und Text eine kleine Geschichte, um die Vorzüge der neuen Technik anzupreisen – eine Geschichte aus Hundeperspektive: »Es klingelte. Ich rannte zur Tür, es roch aufregend anders. Die neue Nachbarin! Mein Mensch benahm sich so merkwürdig …« Kurz und knapp zusammengefasst: Die Nachbarin bittet Gysmos Herrchen, den Film Legenden der Leidenschaft aufzuzeichnen. Es bleibt nur noch eine Stunde Zeit, doch dummerweise gibt der Videorecorder genau in diesem Moment seinen Geist auf. Gemeinsam mit Gysmo schwingt sich Herrchen auf den Motorroller, um Ersatz zu besorgen. O-Ton Gysmo, dessen Name – wie bei vielen seiner Auftritte – im Prospekt übernommen wird: »Wie die geflügelten Höllenhunde rasten wir in die Stadt.« Und natürlich klappt es dann sowohl mit der Videoaufnahme von Legenden der Leidenschaft als auch mit der Annäherung zwischen Gysmos Herrchen und der neuen Nachbarin.

Was Newcomer-Model Gysmo bei seinem ersten Job zu tun hat? In Szene eins muss er eine Fernsehzeitschrift im Maul festhalten, um seinem Herrchen zu zeigen, wann und auf welchem Kanal Legenden der Leidenschaft gezeigt wird. (O-Ton im Prospekt: »Ich checkte schon mal das Programmheft.«) Wie ich ihn vor der Aufnahme dazu bringe? Ich wedele mit der Zeitschrift vor seinem Gesicht herum, damit er Interesse entwickelt. So ist es fast logisch, dass er nach ihr schnappt und sie im Mund halten will. Während er sie festhält, lobte und streichele ich ihn. Nach einigen Sekunden lasse ich die Zeitschrift los, in der Hoffnung, dass er sie nicht fallen lässt. Das klappt recht schnell, der Fotograf drückt auf den Auslöser, die Szene ist im Kasten, und Gysmo erhält zur Belohnung ein Leckerchen.

Hund.epsIrrtum Nr. 23:

»Ich lasse meinen Hund nach versteckten Leckerchen suchen, um ihn körperlich und geistig zu beschäftigen.«

Falsch! Auch wenn dieses Spielchen von vielen Hundeschulen empfohlen wird, rate ich davon ab – ganz besonders draußen. Der Grund: Die negativen Begleiterscheinungen überwiegen. Wer als Rudelführer zu oft die »Beute« freigibt, gefährdet seinen Status. Und wenn ein Hund immer animiert wird, im Gras oder im Gebüsch nach Leckerchen zu suchen, zieht er irgendwann den Schluss: Alles, was ich auf dem Boden finde, gehört mir und darf bzw. soll gefressen werden. Und schon haben Sie einen Hund, der beim Gassigehen ständig nach Döner-Resten oder verschimmelten Pausenbrötchen schielt.

In Szene zwei steht Gysmo mit seinem Herrchen am Schaufenster eines Elektro-Fachgeschäfts. Die Schwierigkeit für Gysmo: Er muss gemeinsam mit einer fremden Person (dem Herrchen-Darsteller) agieren und mit den Vorderpfoten auf einen Vorsprung am unteren Rand der Schaufensterscheibe springen, sodass es aussieht, als wolle er einen kritischen Blick auf die Videorekorder in der Auslage werfen. Für diese Aufgabe nutze ich den Futtertrieb und tue so, als würde ich auf dem Vorsprung ein Leckerchen verstecken. Die genaue Position spreche ich mit dem Fotografen ab. Dann gehen Herrchen und Hund in Stellung. Als Gysmo sieht, wie ich mich an dem Vorsprung zu schaffen mache, sagt ihm seine Filmhundundeerfahrung: »Aha, jetzt versteckt der Rudelführer wieder was.«

Ich gehe aus dem Bild. Noch sitzt Gysmo, ist aber bereits auf den Vorsprung fixiert. Dann erfolgt ein Kommando, das ich mit Gysmo vorher geübt habe: »Such! … Wo ist das Leckerchen?« Gysmo springt auf, stützt sich mit den Pfoten am Schaufenstervorsprung ab, steht auf zwei Beinen, schnüffelt nach der »Beute«. Der Fotograf macht seine Fotos. Wir spielen das Ganze dreimal durch, dann hat er Gysmo perfekt erwischt: ein vierbeiniger »Videorekorder-Freak«, der gemeinsam mit seinem Zweibeiner die technischen Innovationen bestaunt. Klar, dass Gysmo nach erfolgreicher Arbeit endlich sein Leckerchen bekommt. Auch hier handelt es sich um eine Positivdressur, daher ist das Leckerchen erlaubt. Für den Alltag von Otto Normalhund ist die Übung jedoch nicht geeignet, sonst würde er danach bei Stadt-Spaziergängen an jeder Ecke nach Leckerchen suchen.

Szene drei zeigt, wie Gysmo auf dem Karton des Videorekorders sitzt. Auf dem Kopf trägt er eine verspiegelte Sonnenbrille. Doch der eigentliche Clou: Der Karton ist auf dem Gepäckträger des Motorrollers festgeschnallt. Natürlich hat man hier ein bisschen getrickst, denn der ausgefahrene Ständer des Rollers wurde nachträglich wegretuschiert. Alles andere wäre für einen ungesicherten Hund viel zu gefährlich, zumal wir bei dieser Szene auf Kopfsteinpflaster arbeiten. Das Motorengeräusch an sich wäre für Gysmo allerdings kein Problem gewesen. Anders als viele Hunde reagiert er darauf nicht aggressiv, denn ich habe ihn schon als Welpen an laute Geräusche gewöhnt.

Gysmos Roller-Foto sieht im Prospekt völlig selbstverständlich aus, aber es steckt intensives, etappenweises Training dahinter. Gysmo muss sich zunächst daran gewöhnen, die Sonnenbrille zu tragen – zumindest für ein paar Sekunden –, obwohl Hunde normalerweise mit einem Abwehrreflex auf Brillen reagieren und den Fremdkörper vor den Augen so schnell wie möglich wieder loswerden wollen. Daher lasse ich Gysmo erst einmal an der Brille schnuppern. Dann setze ich sie ihm vorsichtig auf und lobe ihn mit einem lang gezogenen »Feiner Kerl!« in einer eher leisen, aber höheren Tonlage, die ihm zeigt, dass er gerade etwas gaaanz Tolles macht.

Gysmo wird aber bei diesem Training nicht nur enthusiastisch gelobt, er bekommt obendrein auch noch ein Leckerchen. Und schnell merkt er: »Je länger ich die Brille aufbehalte, desto mehr freut sich mein Rudelführer. Und desto mehr Extrahappen fallen für mich ab.’«

Nun kommt die nächste Schwierigkeit: Gysmo muss die Brille tragen, während er auf einem Karton sitzt. Auch das habe ich zu Hause mit einem Karton, der dem im Shooting ähnelt, trainiert. Mit einem einfachen »Platz!« – kurze Pause – und danach »Bleib!« hat Gysmo gelernt, auf dem Karton Platz zu machen und dort zu bleiben. Auch diesen letzten Schritt haben wir vor dem Shooting Dutzende Male so realistisch wie möglich trainiert: Ich hebe Gysmo hoch und platziere ihn auf dem Karton, der sich aber nun nicht mehr auf dem Boden, sondern auf dem Motorrad meiner Freundin befindet. Dann setze ich Gysmo die Brille auf. Er hat vor der Höhe keine Angst, denn aus Erfahrung weiß er: »Auf diesem Karton zu liegen tut mir gut, nach einer Weile kommt der Rudelführer zu mir und gibt mir ein Leckerchen.« Das intensive Training vorab zahlt sich aus. Rasch hat der Fotograf auch diese recht schwierige Szene in verschiedenen Motiven im Kasten. Die Agentur entscheidet sich schließlich für eines, bei dem Gysmo lässig die rechte Vorderpfote vom Karton herunterbaumeln lässt.

In Szene Nummer vier hat das Herrchen den Videorekorder ausgepackt – und Gysmo sitzt in dem leeren Karton. Kein Problem: Ich positioniere ihn dort mit einem einfachen »Bleib!«. Dabei soll er jedoch »süß-traurig« gucken. Mit einer Positivdressur käme ich hier nicht weiter. Wäre ein Leckerchen mit im Spiel, würde Gysmo sofort die Ohren spitzen und alles andere als süß-traurig aussehen. Den gewünschten Gesichtsausdruck erreiche ich, indem ich Gysmo etwas ernster anspreche. Prompt legt er die Ohren an und wirkt eher unterwürfig, und wenn er könnte, würde er vermutlich diese typische »Ich weiß von nichts«-Melodie pfeifen. Wie bestellt zeigt er den »süß-traurigen« Blick sowie die entsprechende Körpersprache, die signalisiert: Bloß nicht auffallen! Dafür erntet Gysmo von mir, dem Ranghöheren, die natürliche Reaktion: Ich beachte ihn für einige Momente nicht und tue so, als wäre er gar nicht da. Fast wie in einem echten Hunderudel

In der folgenden Szene der Prospekt-Geschichte zeigt Herrchen »seinem« Gysmo einen Videofilm mit der Hundedame Lassie. O-Ton Gysmo im Prospekt: »Ich stellte mich auf die Hinterbeine, um der edlen Dame in die funkelnden Augen zu schauen.« Was damit gemeint ist? Gysmo soll einen Blick in den Kassettenschlitz werfen. Damit der Fotograf ein entsprechendes Foto schießen kann, stecke ich ein stark riechendes Leckerchen in den Schlitz und schicke Gysmo anschließend los, nach dem Motto: »Auf geht’s, das ist deins!« Mein »Nasentier« reagiert wie erhofft. Szene im Kasten.

Bleibt nur noch ein Foto – Gysmos letzte Szene: Herrchen und die neue Nachbarin sitzen auf dem Sofa und gucken die Aufzeichnung von Legenden der Leidenschaft. Wer den Film kennt, weiß, dass Brad Pitt und seine Kollegen darin oft auf Pferden reiten. O-Ton Gysmo: »Ständig musste ich nachspüren, wo die Pferde und Menschen in unserer Wohnung rumliefen. Keine da – dabei hatte ich sie in allen Winkeln gehört; doch mein Mensch lachte nur und sagte etwas von Rundumklang und Dolby Surround. Also, da muss ich mich erst noch dran gewöhnen.« Laut Drehbuch sucht Gysmo nun eine Ersatzbefriedigung und widmet sich einem der beiden hochhackigen Schuhe der Nachbarin, die in einer Ecke des Raumes auf dem Boden stehen: »Das Teil muss ich näher benagen.« Für das Foto, auf dem Gysmo am Damenschuh nagt, muss ich einen Weg finden, um seine gute Erziehung kurzzeitig außer Kraft zu setzen.

In solchen Situationen ist es wichtig zu verstehen, wie ein Hund tickt. Denn Gysmo denkt natürlich nicht: »Oh, sieht wie ein Schuh aus, davon lasse ich besser mal besser die Pfoten.« Man geht davon aus, dass die Sehschärfe von Hunden etwa sechsmal schlechter ist als die von Menschen, außerdem erkennen sie auch weniger Farben. Dennoch kann ein Hund klar definierte Formen wie einen Ball rein visuell wiedererkennen. Wird ein Hund mit fünf Bällen konfrontiert, findet er immer den »am schönsten«, der sich gerade bewegt. Wirft man drei Bälle gleichzeitig hoch, wird er sich den schnappen, den er am schnellsten erreichen kann. Neben der Form eines Objekts spielt es also auch eine Rolle, ob und wie es sich bewegt oder wie es bewegt wird. Eine der großen Stärken von Hunden ist, dass sie – die Nachfahren des Wolfes – selbst in großer Entfernung minimale Bewegungen wahrnehmen können. Ihr Gesichtsfeld beträgt 240 Grad, das des Menschen nur 200 Grad. Darum verharren Beutetiere in der freien Natur oft regungslos, wenn sie einen Feind wittern. Doch die neuesten Sandalen oder Pumps sind für Hunde – im Gegensatz zu vielen weiblichen Zweibeinern – keine Beute.

Wie also verarbeitet ein Hund Informationen, wenn es um Schuhe geht? Die Form allein kann er nur schwer verknüpfen, dafür gibt es zu viele Unterschiede: hohe und flache Schuhe, offene und geschlossene Schuhe, Leder- und Stoffschuhe, Stiefel und Sandalen. Schuhe sehen unterschiedlich aus, bestehen aus unterschiedlichen Materialien und riechen immer anders. Wie lernt ein Hund, dass er die Schuhe in der Garderobe nicht anknabbern darf? Ganz einfach, er erschnüffelt sich seine Information. Ein Welpe, der an einem benutzten Schuh zu knabbern versucht und daraufhin korrigiert wird, zieht folgenden Schluss: »An Dingen, die so riechen, darf ich nicht knabbern und zupfen, sonst gibt’s Ärger.«

Deshalb muss für die letzte Szene ein nagelneuer Schuh her, einer, der neutral riecht, sodass Gysmo ihn nicht zuordnen kann. Wir brauchen ein aus Hundesicht »neutrales« Objekt. Fragt sich nur noch, wie ich es erreiche, dass Gysmo den Schuh zerkaut? Oder anders gefragt: Wie mache ich den Schuh interessant? Ich gebe Gysmo den Schuh, lasse ihn daran schnüffeln, nehme ihm den Schuh wieder weg, nehme die Einlage heraus, lasse ihn auch daran schnüffeln, werfe den Schuh, lasse ihn von Gysmo apportieren, inszeniere ein kleines Gezerre, das ich gewinne. Kein Wunder, dass Gysmo jetzt extrem scharf auf diesen Schuh ist, den sein Rudelführer so vehement verteidigt.

Das nutze ich aus: Beim nächsten Spiel mit dem Schuh tue ich zunächst so, als wollte ich die »Beute« abermals bei mir behalten, gebe aber dann doch nach. Der Fotograf weiß bereits, dass er in ein paar Sekunden einsatzbereit sein muss – und Gysmo reagiert wie erwartet mit Imponiergehabe. Jetzt, da ihm Alphatier Lenzen die »Beute« überlassen hat, versucht er zu provozieren und fängt an, den Schuh zu benagen: »Siehst du, nun habe ich das Ding, und jetzt zeige ich dir mal, was ich kann. Ätsch.«

Ganz wichtig: Auch wenn das Zerrspiel für Filmhund Gysmo in diesem Fall Sinn macht, sollte es im normalen Alltag für einen Familienhund tabu sein. Ein Hund, der an etwas zerrt – sei es ein Apportierseil oder Herrchens Schal – baut automatisch Aggressionen auf. Und wenn der Hund gar ein Zerrspiel mit Herrchen oder Frauchen gewinnt, wird er sich im Alltag verstärkt dominant verhalten. In der Schutzhundausbildung sind Zerrspiele üblich, damit der Hund lernt, kräftig zuzupacken und nicht bzw. nur auf Kommando loszulassen.

Als der Fotograf fertig ist, mache ich Gysmo mit dem Kommando »Aus!« klar, dass das Spiel vorbei ist und er mir den Schuh geben muss. Bei den Kommandos gibt es kleine, aber feine Unterschiede: Würde ich Gysmo nach dem »Aus!« zusätzlich loben, hieße das für ihn: »Das Spiel ist nur unterbrochen, gleich geht’s weiter.« Um einen Hund beim gemeinsamen Spiel zum Loslassen der »Beute« (das kann auch ein Ball oder ein Frisbee sein) zu bewegen, dürfen wir das Hörzeichen »Aus!« ausnahmsweise durch ein Lob entschärfen – und zwar, um die Spielmotivation des Hundes zu erhalten (sonst nie! Siehe Kapitel 4, »›Nein!‹, ›Aus!‹ und ›Ab!‹«)

Alles in allem dauert Gysmos erstes Werbeshooting zwei Tage, einen Tag arbeiten wir draußen, einen drinnen. Aber ich werde noch einige Monate lang an diese Produktion erinnert: Der Hersteller des Videorekorders lässt nicht nur den Prospekt drucken, er verwendet die Fotos von Gysmo auch für einen Aufsteller, der in allen Elektronikshops steht, damit das Gerät sofort ins Auge fällt. Immer wieder begegnet mir mein Hund samt Werbeslogan. Ein vielversprechender Karrierebeginn! Ich bin stolz auf Gysmo … und nur wenig später landet er auch schon beim Fernsehen …

Wie Hunde »Teamplayer« werden

Generell ist es bei der Arbeit mit Filmhunden wichtig, einen ähnlich aussehenden Vertreter parat zu haben. Schließlich können auch Hunde kurzfristig durch Verletzung oder Krankheit ausfallen oder einfach mal einen schlechten Tag haben. Bei großen Hollywood-Produktionen mit einem tierischen Filmstar in der Hauptrolle wechseln sich sogar von vornherein bis zu einem halben Dutzend Hunde ab. In der Regel werden für Filmrollen Rassehunde bevorzugt, da es dann leichter ist, einen Ersatzhund zu beschaffen. Auch Alice und Gysmo haben sich schon einmal in der gleichen Rolle gedoubelt, schließlich sehen sie sich aufgrund der Konstellation Mutter-Sohn sehr ähnlich.

Für den Dreh einer Folge der Sketch-Comedy-Serie Das Büro (PRO7) wird ein Hund gesucht, der folgende Anforderungen erfüllt: apportierfreudig, menschenfreundlich, lässt sich auf den Arm nehmen. Das ist eigentlich eine Paraderolle für Alice, aber es gibt auch einige Szenen, für die Gysmo besser geeignet ist. Also habe ich einfach beide mit ans Set gebracht. Einen sichtbaren Unterschied gibt es allerdings: Alice hat ein etwas helleres Fell als Gysmo. Daher entscheide ich mich dafür, Alices silberfarbenes Fell mit einem auswaschbaren, unschädlichen Spezialspray einzufärben – bis auf die Brust. Auf diese Weise entsteht auf ihrem Fell eine Blesse: Gysmos Markenzeichen. Das funktioniert so gut, dass am Set niemand außer mir die beiden auseinanderhalten kann.

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Alice wird eingefärbt

Das Büro zieht »sinnlose Meetings, planlose Kollegen und hemmungslosen Klatsch« durch den Kakao, meistens steht Bürochef Behrensen, gespielt von Ingolf Lück, im Mittelpunkt. In der betreffenden Folge ist Behrensens Frau in Urlaub gefahren und hat ihrem Mann den Hund zur Pflege überlassen. Behrensen wiederum passt das überhaupt nicht, deshalb überträgt er die Beaufsichtigung des Hundes seinem Kollegen Vollmer, gespielt von Peer Kusmagk. Klar, dass dabei einiges schiefgehen muss. Das reine Chaos. Gysmo übernimmt die Rolle in einer Szene, die in der geschnittenen Version am gefährlichsten aussieht: Der Hundebetreuer wirft einen Ball, der Ball hüpft aus dem Fenster, der Hund springt hinterher. Was die Zuschauer nicht wissen: Wir haben vorher mithilfe eines Speziallifts ein breites Podest direkt vor die Scheibe gefahren, und dort steht ein Co-Trainer, der Gysmo mit dem Kommando »Hopp« nach draußen lockt. So landet Gysmo nach seinem Sprung über die Fensterkante nicht in der Tiefe, sondern in Sicherheit. Natürlich haben wir die Szene einige Male geprobt. Dabei spielt der Ball gar keine Rolle, damit Gysmo aus dem Fenster springt, denn nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen habe ich ihn nicht darauf, sondern auf ein Leckerchen fixiert, das ihn auf dem Podest erwartet.

Im weiteren Drehverlauf erfahre ich von der Regie, dass es Probleme gibt, weil Ingolf Lück eine Hundehaarallergie hat. Als er Alice auf den Arm nehmen muss, merke ich tatsächlich, wie er ein bisschen das Gesicht verzieht. Dafür habe ich volles Verständnis – denn wer läuft schon gerne Gefahr, während der Arbeit einen Schnupfen- oder Hustenanfall zu kriegen? Peer Kusmagk, dem »Hundebeauftragten«, macht die Arbeit mit den Hunden hingegen sichtlich Spaß, auch in den Drehpausen beschäftigt er sich mit Alice und Gysmo, stellt viele Fragen und ist sehr interessiert.

Hund.epsEXTRA-TIPP:

Der passende Zweithund

Ein Hundebesitzer holt sich einen zweiten Hund aus dem Tierheim. Dort hat er die Info »Kann gut allein bleiben, wenn noch ein anderer Hund dabei ist« bekommen. Auch mit dem Ersthund kommt der »Neue« gut klar. Alles klar? Leider nicht, denn schnell taucht ein Problem auf: Der Besitzer geht mit seinem ersten Hund regelmäßig joggen. Der Zweithund macht allerdings schon nach 1000 Metern schlapp und weigert sich weiterzurennen. Alleine zu Hause lassen kann der Halter den neuen Hund nicht. Es bleiben drei unbefriedigende Möglichkeiten: a) Der Halter bricht seine Jogging-Sessions fortan jedes Mal nach 1000 Metern ab; b) Er verzichtet ganz aufs Joggen; c) Er gibt den Zweithund wieder ab.

Damit so etwas nicht passiert, sollten Halter, die über Rudelzuwachs nachdenken, sorgfältig abwägen: Welche Eigenschaften hat der Ersthund, welche der Zweithund, und wie passt das zusammen? Wo könnten Probleme oder Konflikte entstehen? Größe? Geschlecht? Aktivitätsdrang? Ein sehr aktiver Zweithund, der einem älteren Ersthund eigentlich ein bisschen mitziehen und animieren soll, kann sich für diesen womöglich zum puren Stressfaktor entwickeln.

Zweithund-Kandidaten sollten den Ersthund mindestens einmal auf neutralem Boden kennenlernen, bevor sie einziehen. Die »Chemie« muss stimmen. Wenn Sie unsicher sind, sollten Sie einen Experten hinzuziehen. Hüten Sie sich auch hier vor spontanen und leichtfertigen »Der hat so süß geguckt«-Entscheidungen. Auch der zweite Hund braucht Aufmerksamkeit und muss erzogen werden.

Überhaupt zeigt sich während der Filmtierarbeit schnell, welche Regisseure, Schauspieler oder Crew-Mitglieder einen Draht zu Hunden haben und welche nicht. »Ich habe selbst einen Hund«, hören, ich oft von den Hundefreunden, die die vierbeinigen Kollegen als willkommene Abwechslung im Drehalltag sehen, andere hingegen sind auch ohne Hundehaarallergie noch deutlich reservierter als Ingolf Lück. Nun kann natürlich nicht jeder ein Hundefan sein, aber wenn einer meiner Schützlinge mit jemandem zu tun hat, der sich mit Hunden offensichtlich gar nicht wohlfühlt und das auch ausstrahlt, färbt das sofort auf meine Stimmung ab: Ich habe ein ungutes Gefühl und entspanne mich erst wieder, wenn der Hund in meiner Obhut ist.

Der »Doppeldreh« von Alice und ihrem Sohn Gysmo war für mich eine tolle Erfahrung. Doch gemeinsame Auftritte sind dennoch die Ausnahme. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Alice kurze Zeit später erneut Mutter wird.

Alices zweite Schwangerschaft bringt meinem Rudel Zuwachs – und Gysmo eine Halbschwester: Houkey. Als sie geboren wird, ist sie auf einem Auge blind. Doch ich bringe es nicht übers Herz, sie wegzugeben. Ich habe einfach das Gefühl, dass sie bei mir am besten aufgehoben ist. Bis heute bin ich sehr glücklich mit dieser Entscheidung. Im Vergleich zu Mutter Alice und Bruder Gysmo ist Houkey eher ein Mitläufer, eine Art Nesthäkchen in unserem Rudel – sozial, freundlich zu Kindern und anderen Hunden, trotzdem durchaus kernig. Bei mir darf sie einiges ausleben und muss nicht »arbeiten«.

Hunde – in der Riech-Liga ganz weit oben

Während ich Alice nach ihrer zweiten Schwangerschaft schone und nur noch recht selten für Film- und Fotoaufnahmen einsetze, entwickelt sich Gysmo zum Dauergast im Fernsehen. Gleich zweimal kommt er bei Anke Engelkes Comedy-Serie Ladykracher zum Einsatz.

Im ersten Sketch spielt Anke Engelke eine schick gekleidete Geschäftsfrau, die an der Seite ihrer ebenso gestylten Kollegin (gespielt von Dana Golombek) auf dem Weg zu einem wichtigen Meeting ist. Beide wollen unbedingt frühzeitig da sein, denn: »Beim Small Talk vor dem Gespräch erfährst du zehnmal mehr als in fünf Stunden Sitzung.« Ihr Weg führt sie durch einen Park. Noch liegen die beiden gut in der Zeit, alles bestens. Doch plötzlich hält Anke Engelke inne, im Hintergrund erklingt übertrieben dramatische Musik wie kurz vor dem Höhepunkt eines schlechten Gruselfilms. Langsam zoomt die Kamera auf den rechten ihrer hochhackigen Schuhe. »Oh nein, bitte nicht«, sagt sie zerknirscht – doch es ist zu spät. Sie ist in einen Hundehaufen getreten, von dem nun mindestens die Hälfte am vorderen Teil der Schuhsohle klebt. Natürlich wird bei dieser Szene kein echter Hundekot verwendet. Stattdessen hat das Team mit viel Spaß einen täuschend echten Haufen aus einem Schokoladen-Nutella-Mix kreiert. Um die Hunde davon abzuhalten, Anke Engelkes Schuh abzuschlecken, habe ich darauf bestanden, unangenehm riechendes Kriechöl hinzuzumixen. Doch noch ist in der Szene nichts von den Übeltätern zu sehen. Untermalt von der Psychomusik fragt Anke Engelke mit grimmigem Blick: »Wer war das?« Kurze Pause. Dann noch mal: »Wer war das, habe ich gefragt?« Nun schwenkt die Kamera auf den Gehweg vor den beiden Schauspielerinnen. Vier nebeneinander in Platz-Position liegende Hunde, die völlig unbeteiligt durch die Gegend schauen, versperren den Damen den Weg: der Dalmatiner einer Freundin, ein kniehoher schwarzer Mischling, eine kleine weiße Hündin, die ich erst ein paar Tage zuvor gecastet hatte – und Gysmo. Wichtig war, dass sich die vier Hunde deutlich voneinander unterscheiden. Denn in ihrer Rolle droht Anke Engelke: »Ich gehe hier nicht weg, bevor sich derjenige gemeldet hat, der das hier zu verantworten hat.« Danach zeigt die Kamera die einzelnen Hunde in Großaufnahme. »Ich habe Zeit«, verkündet Anke Engelke, derweil mahnt ihre Kollegin zur Eile: »Der Termin …« Doch Geschäftsfrau Engelke will das jetzt durchziehen: »Na schön, ich kann auch anders«, meint sie, zieht den rechten Schuh aus und fügt an die Hunde gerichtet hinzu: »Ich lasse mir doch von euch keinen Auftrag kaputt machen«. Sie hält sich den Schuh vor die Nase und schnüffelt wie ein Hund an der mit »Scheiße« verklebten Sohle. »Alter? Dreieinhalb Jahre«, sagt sie, riecht erneut und übermittelt ihrer Kollegin weitere Schnüffel-Infos: »Rüde! … Und definitiv nicht reinrassig!« Wieder die dramatische Musik. Showdown. Die vier Hunde regen sich nicht. Es fehlt nur noch eine letzte und entscheidende Information, um den Übeltäter zu identifizieren. »Terrier!« Mit dem vollgeschissenen Schuh in der Hand zeigt Anke Engelke auf Gysmo: »Du warst es!« Sofort dreht sich Gysmo um und nimmt Reißaus, Anke Engelke humpelt laut schreiend auf einem Schuh hinterher: »Bleib stehen, du Misttöle!« Ihre Kollegin bleibt zurück, schaut entnervt auf die Uhr … und stöckelt ebenfalls in den Hundekot. Nun nimmt sie wutentbrannt die Verfolgung auf: »Aus dir mach ich Hackfleisch, du Misttöle!« Die Schlussszene zeigt, wie Anke Engelke und Dana Golombek hinter Gysmo herlaufen, bis schließlich alle drei aus dem Bild sind. Die verbliebenen drei Hunde liegen immer noch in der gleichen Position, drehen nur den Kopf und schauen den beiden fluchenden Frauen hinterher, als dächten sie: »Mein Gott, diese empfindlichen Zweibeiner und ihre merkwürdigen Allüren.«

Entscheidend beim Dreh dieses Sketches ist, dass Gysmo im richtigen Moment stiften geht und dass es spontan aussieht. Außerdem müssen die anderen drei Hunde unbedingt in der Platz-Position verharren. Dafür habe ich zwei der Hundehalter als Co-Trainer eingebunden, die Gysmos Kollegen auf sich fixieren und von der Seite aus per Handzeichen dafür sorgen, dass sie sich nicht von der Stelle rühren. Direkt nach seiner Identifizierung als Übeltäter rufe ich Gysmo zu mir. Unmöglich, ihn per Handzeichen abzurufen, denn ich stehe etwa 30 Meter entfernt versteckt im Gebüsch. Per Funkgerät erhalte ich von der Regieassistenz den »Startschuss«. Allerdings rufe ich meinen Hund nicht wie üblich mit »Komm!« oder »Hier!« zu mir, sondern mit seinem Namen: »Gysmo!« Denn auch die anderen drei Hunde hören auf mich und könnten sich sonst angesprochen fühlen.

Wenn man wie in diesem Fall mit Hörzeichen arbeiten muss, dürfen diese nicht gleichzeitig zum Text der Schauspieler erfolgen, da sie dann bei der späteren Bearbeitung des Filmmaterials nicht mehr herausgeschnitten werden können. Ich rufe also nach Gysmo genau eine Sekunde nach Anke Engelkes »Du warst das!«. Wir brauchen vier bis fünf Anläufe, insgesamt anderthalb Stunden, bis alles stimmt. Schließlich sind nicht nur ein oder zwei, sondern gleich vier Hunde zu koordinieren, weshalb die Fehlerwahrscheinlichkeit steigt. Außerdem geht es zusätzlich um so kleine Details wie die korrekte Blickrichtung der drei liegenden Hunde. Dies erreichen wir, indem wir die Co-Trainer exakt so positionieren, dass die Hunde in die von der Regie gewünschte Richtung schauen.

Der Sketch »vermenschlicht« eine wirklich bemerkenswerte Fähigkeit von Hunden, die noch nicht gänzlich erforscht ist: Sie können durch ihre mit bis zu 220 Millionen Riechzellen bestückten Nasenschleimhäute Informationen aufnehmen und verarbeiten, die uns Menschen, die wir grade mal über fünf Millionen Riechzellen verfügen, für immer verborgen bleiben – und spielen damit in einer viel höheren Riech-Liga. Jeder Haufen Kot und jeder Tropfen Hundepipi ist gewissermaßen eine Visitenkarte und gibt unseren vierbeinigen Freunden Aufschluss darüber, welches Geschlecht der Artgenosse hat, wie alt und ob er eher dominant oder unterwürfig ist. Eine sehr effektive und im Laufe der Evolution bewährte Form der Kommunikation: Wenn eine Hündin läufig ist und folglich besonders viele Duftnoten in der Umgebung verbreitet, muss sie nicht lange auf »Bewerbungen« männlicher Verehrer warten. Kein Wunder, dass sich für am Boden schnüffelnde Hunde der Spruch etabliert hat: »Das ist für Hunde so spannend wie für uns das Zeitunglesen.«