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Der Kantor spielte die letzten Takte des Chorals Jesu bleibet meine Freude von Johann Sebastian Bach. Für einen Moment noch schwebten seine Finger regungslos über den Tasten, dann legte er die Hände in den Schoß. Während die Musik mit einem sanften Ausatmen der Pfeifen erstarb, erhob sich Pater Sebastian und trat vor die Anwesenden.

“Liebe Gäste, liebe Gemeinde, liebes Brautpaar, ich darf Sie alle ganz herzlich hier in der Kapelle von Burg Hohenthann willkommen heißen. Wir sind an diesem schönen Sommertag vor Gott zusammen gekommen, um diesen Mann und diese Frau in den heiligen Stand der Ehe zu führen...”

Christine lauschte mit halbem Ohr den Worten von Pater Sebastian und betrachtete die Sonnenstrahlen, die durch die bunten Fenster in die Kapelle einfielen. Das Licht brach sich an Myriaden von Staubteilchen, die in der stillen Luft tanzten. Tupfen aus farbigem Licht wanderten unablässig über die Wände und den Boden der Kapelle, wie Irrlichter in dunkler Nacht. Durch die Rosette an der Südwand des Raumes beschien ein blendender Strahl von leuchtendem Lapislazuli den goldenen Kelch, der auf dem Altar stand.

Ein gutes Omen, dachte sie. 

Christine saß in der ersten Reihe, neben Mathilde und ihrem Vater. Auf der anderen Seite des Ganges hatten Marcus und seine Eltern Platz gefunden. Verstohlen schaute sie nach rechts und sah gerührt, daß ihre Eltern sich bei den Händen hielten. Mit der freien Hand umklammerte ihre Mutter ein weißes Taschentuch und tupfte sich  gelegentlich ein Tränchen aus den Augenwinkeln. 

Während der Pater predigte, blickte Marcus von Zeit zu Zeit zu Christine herüber. Sie erwiderte seinen Blick und lächelte schwach.

“...und so, liebe Gemeinde, möchte ich zum Schluß kommen, und was könnte passender sein für den Ort, an dem wir uns befinden, als der 19. Psalm. Dort wird uns gesagt: Die Himmel preisen die Herrlichkeit Gottes, die Himmelsfeste verkündet das Werk seiner Hände. Nun sind diese Kapelle und diese Burg ein Werk von Menschenhand, doch bedenkt, daß nichts geschieht auf Erden ohne den Ratschluß und den Willen und die Liebe des allmächtigen Gottes. Amen.”

“Amen.”  

Endlich war es Zeit für das Eheversprechen. Wilhelm und Hedy erhoben sich von ihren Stühlen und traten vor Pater Sebastian.

Gespannte Stille knisterte im Raum, als beinahe einhundert Menschen den Atem anhielten. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

Der Pater segnete die Ringe, dann räusperte er sich und blickte das Brautpaar ernst an.

“Willst Du, Wilhelm Anton Johannes von Schönberg-Wüstfeld, die hier anwesende Hedwig Josephine Margarethe von Hohenthann zu Deiner angetrauten Gattin nehmen, sie lieben und ehren, zu ihr stehen in guten wie in schlechten Zeiten, bis der Tod Euch scheidet?”

“Ich will.”

Wilhelm steckte den Ring an Hedys Hand.

“Im Namen des Vater, des Sohnes und des heiligen Geistes”, sagte er mit fester Stimme.

“Willst Du, Hedwig Josephine Margarethe von Hohenthann, den hier anwesenden Wilhelm Anton Johannes von Schönberg-Wüstfeld zu Deinem angetrauten Gatten nehmen, ihn lieben und ehren, zu ihm stehen in guten wie in schlechten Zeiten, bis der Tod Euch scheidet?”

“Ich will.”

Nun nahm Hedy den Ring.

“Im Namen des Vater, des Sohnes und des heiligen Geistes.”

Sebastian sah Wilhelm und Hedy lange forschend in die Augen. Endlich war er zufrieden mit dem, was er dort fand und nickte. 

“Nehmt Euch nun bei den Händen.”

Er legte seine Stola über die Hände des Paars und sagte feierlich:

“Im Namen Gottes erkläre ich Euch zu Mann und Frau.”

Ein Seufzen aus hundert Kehlen ging durch die kleine Kapelle. 

Der Pater wandte sich an die Gemeinde.

“Euch alle, die Ihr zugegen seid, nehme ich zu Zeugen dieses heiligen Bundes. Was unser Gott zusammenfügt, das darf der Mensch niemals trennen.”

Pater Sebastian trat einen Schritt zurück, lächelte und machte eine aufmunternde Handbewegung.

“Jetzt dürft Ihr, Kinder.”

Die frisch gebackenen Eheleute lächelten sich an und tauschten einen zärtlichen Kuß. Applaus und Jubelrufe brandeten auf. 

Hedy und Wilhelm wandten sich der Gemeinde zu, strahlten um die Wette, und in diesem Augenblick beneidete Christine ihre Schwester glühend.

Ich wünsch’ euch alles Glück der Welt, Hedy. Alles Glück der Welt.  

Der Kantor beugte sich wieder über den Spieltisch der kleinen Orgel, und zu den getragenen Klängen von Pachelbels Kanon schritten Hedy und Wilhelm über einen Teppich aus Rosenblättern langsam an den klatschenden und winkenden Gästen vorbei. 


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Die Hochzeitsgäste strömten in den Korridor vor der Kapelle. An den Wänden hatten dienstbare Geister in der Zwischenzeit Tische aufgebaut, die mit Batterien von Flaschen und Tabletts voller Canapés beladen waren. Die Korken knallten und den Frischvermählten wurde eifrig zugeprostet. Der Champagner löste die Anspannnung der vergangenen Stunde und bald hallten angeregtes Geplauder und Gelächter von den Wänden wider. 

“Was für eine wunderbare Predigt, lieber Pater, ich danke Ihnen, es war unvergeßlich”, sagte Mathilde.

“Das war gar nicht so einfach, Durchlaucht. Ich wollte doch ein paar schöne Zitate unterbringen, also habe ich Hedy und Wilhelm nach ihrem Lieblingsfilm gefragt. Und dann sagen mir die beiden, das ist Harry und Sally. Ich kannte diesen Film gar nicht und habe mir den natürlich angesehen. Da sind auch ganz wunderbare Stellen in diesem Film, keine Frage.”

Hier wurde der Pater etwas rot.

“Auch, hm, durchaus zitierwürdiges. Aber das meiste davon ist nicht wirklich für eine Predigt geeignet, wenn Sie wissen, was ich meine...”

Der Pater driftete etwas ab und drehte sein Glas verlegen in den Händen.

“Tatsächlich? Ich fürchte, ich kann mich an den Film kaum erinnern, ist ja auch mehr was für junge Leute”, sagte die Fürstin leichthin. “Mich haben Ihre Worte jedenfalls sehr berührt, und Hedy  und Wilhelm waren bestimmt auch glücklich damit.”

“Ja, ich denke, wir haben die beiden auf einen guten Weg gebracht. Das wird wohl meine letzte Trauung gewesen sein, ich werde schließlich nicht jünger.”

“Nun, Pater, ich hoffe doch, daß Sie Hohenthann noch viele Jahre erhalten bleiben. Sie müssen sich eben gut mit Ihrem Chef stellen.”

“Ich glaube, ich habe tatsächlich ein ganz ordentliches Verhältnis zu ihm, jedenfalls hat das Wetter heute mitgespielt. Aber Sie wissen ja, was man sagt: Die Wege des Herrn sind unerforschlich”, sagte Sebastian lächelnd und ging, um sich mit Champagner zu versorgen.

Während sie mit dem Pater sprach, behielt Mathilde ihre Tochter im Auge. Christine hielt sich abseits und schaute dem Treiben wehmütig zu. Schließlich stellte sie ihr Glas ab, an dem sie kaum genippt hatte und ging den Korridor entlang zur Treppe, die in die Rüstkammer führte.

Wo ist Marcus, fragte sich die Fürstin und reckte sich, um das Gewimmel der Anwesenden zu überblicken. Wo steckst du, mein Junge?

Dann hatte sie ihn ausgemacht. 

Marcus stand am Eingang zur Kapelle und folgte Christine mit den Augen. Er sah ihr nach, bis der Zipfel ihres Kleides hinter der Treppe verschwunden war. 

Nun mach schon, dachte Mathilde. Die letzte Meile mußt du selber gehen. 

Marcus schien einen Moment zu zögern, dann straffte er sich und marschierte mit entschlossenem Gesichtsausdruck hinter Christine her. 

Mathilde lächelte.

“Warten Sie mit dem Ruhestand noch ein paar Monate, Pater. Wer weiß, was die nächsten Tage bringen.”

“Mit wem redest du, Schatz?”, sagte Gregor, der unbemerkt an sie herangetreten war.

“Ich habe nur mit mir selbst gesprochen.”

“So, machst du doch sonst nicht? Du siehst übrigens sehr glücklich aus.”

“Bin ich auch, Liebling, bin ich auch”, sagte Mathilde. “Ich denke, ich werde noch für eine Weile einfach so weiterlächeln.”

“Tu das, es steht dir.”