Carla

Der Eingriff

»Und du denkst, das ist wirklich okay für dich?«, fragt Marie.

»Ja, klar, das geht schon. Ich meine, ich kann mich ja jetzt nicht für die nächsten Jahre ins Seniorenheim zurückziehen, nur damit ich keine Schwangeren und Kinder mehr sehe.«

»Aber Vanessa, Michaels Schwester kommt mit ihrem drei Monate alten Baby. Wird bestimmt nicht einfach für dich.«

»Keine Angst, ich werde die Kleine schon nicht kidnappen.«

Marie ist am Telefon. Paula wird in zwei Wochen getauft, und ich soll Patentante sein. Was mich natürlich freut. Obwohl Patentante ja so eine Sache ist. Ich habe bereits zwei Patenkinder. Eines habe ich seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen, seit seine Mutter, eine Schulfreundin von mir, nach Australien ausgewandert ist. Und das zweite, der Sohn meiner Cousine, meldet sich bei mir nur, wenn es Geschenke abgreifen möchte. Meine Erfahrungen als Patentante sind also steigerungsfähig. Aber bei Maries Tochter Paula ist das natürlich was ganz anderes. Schließlich liebe ich sie wie eine eigene Tochter. Wenigstens ein Kind, an dem ich meine Muttergefühle voll ausleben kann.

Die letzten Monate waren nicht leicht für mich gewesen. Nachdem ich unser Baby verloren hatte, fiel ich in ein tiefes Loch. Ach, was heißt Loch: Ich fiel in einen Abgrund, ungefähr so tief wie der Grand Canyon. Ich war traurig. So traurig wie noch nie in meinem Leben. Abgesehen von dem Moment, als mein Vater starb. Ein Verlust von einem Menschen ist immer schlimm, auch wenn er nur die Größe einer Erdbeere hat.

Aber wenn dein Vater stirbt, dann stirbt deine Kindheit. Deine Vergangenheit. Mit deinem Kind stirbt deine Zukunft.

Ich war erstaunt, wie häufig ich in letzter Zeit dann doch immer wieder von Frauen hörte, die das Gleiche durchgemacht haben. Und ich muss zugeben, dass mich dieses Wissen etwas tröstete. Wenn andere Frauen auch ihr Baby verlieren, kann es nicht nur an mir liegen. Trotzdem hatte ich enorme Schuldgefühle und ging gedanklich immer wieder die letzten Wochen durch. Hätte ich vielleicht doch mehr auf mich achten sollen? Hätte ich irgendetwas anders machen können, um unser Baby zu behalten?

Ich habe mich sehr in meine eigene Welt zurückgezogen, zu der eigentlich nur Marie Zugang hatte. Es gibt Situationen im Leben, da fühlt man sich manchmal der besten Freundin näher als dem eigenen Mann. Marie war einfühlsam, wusste, wie sie mit mir umzugehen hatte, und fand immer die richtigen Worte. Sie war mir in den letzten Monaten ein starker Halt. Martin bemühte sich, mir das Gefühl zu geben, dass ich nicht alleine war mit meinem Schmerz. Dass er mich immer lieben wird, auch ohne Kind. Manchmal denke ich, dass sein Wunsch nach einem Baby vielleicht gar nicht so stark ist wie meiner. Was mich merkwürdigerweise sogar erleichtert. Der Gedanke, einen Mann an meiner Seite zu haben, der noch zusätzlichen Druck aufbaut, wäre nicht auszuhalten.

»Wir führen doch auch ohne Kind ein glückliches Leben«, sagt er.

Und ich weiß nicht, ob er mich damit nur trösten will oder es wirklich so meint. Ja, sicher tun wir das, wir sind auch zu zweit glücklich. Wenn da nicht diese Sehnsucht in mir wäre.

Ich glaube, Männer gehen prinzipiell anders mit Verlust um als Frauen. Martin konzentrierte sich verstärkt auf seinen Job und machte extrem viel Sport. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht mindestens eine Stunde durch den Park rannte oder ins Fitnessstudio ging. Abends kam er oft sehr spät nach Hause. Manchmal sogar erst, wenn ich schon im Bett lag. Bis vor ungefähr zwei Wochen. Ich weiß nicht warum, aber seitdem habe ich das Gefühl, dass er wieder mehr die Nähe zu mir sucht. Na ja, wahrscheinlich hatte er genauso wie ich, einfach etwas Abstand gebraucht.

Im Gegensatz zu mir schaut er nach vorn. Und ist nach wie vor fest davon überzeugt, dass ich ganz schnell wieder schwanger werde. Auch wenn wir dafür den nächsten Schritt unseres Masterplans gehen müssten:

Eine In-vitro-Fertilisation.

Ehrlich gesagt, war meine Meinung zu einer IVF-Behandlung immer sehr zwiegespalten. Einerseits ist es für mich nach wie vor ein enormes Wunder der Medizin, Eizellen außerhalb des Mutterleibs zu befruchten und danach als mehrzellige Embryonen in die Gebärmutter zu übertragen. Mit großem Erfolg. Immerhin sind seit dem ersten IVF-Baby 1978 bis heute weltweit mehr als vier Millionen Babys geboren worden. Andererseits frage ich mich, ob so eine Behandlung nicht ein zu starker Eingriff in die Natur ist. Wie weit möchten wir persönlich für ein Kind gehen?

Martin denkt da anders:

»Ein Schwerkranker wird ja auch mit Medikamenten unterstützt, damit er wieder gesund wird und weiterlebt«, sagt er. »Wenn die Medizin heutzutage über derartige Mittel verfügt, sollte man sie auch nutzen. Was hat es sonst für einen Vorteil, dass wir im 21. Jahrhundert leben und nicht mehr im Mittelalter, wo die durchschnittliche Lebenserwartung bei 30 Jahren lag und man schon an einer Lungenentzündung sterben konnte?«

Na ja, es ist doch leichter, ein Urteil zu fällen, wenn man nur theoretisch darüber nachdenkt. Ich hätte früher auch nie gedacht, dass ich jemals in die Situation kommen würde, mich mit künstlicher Befruchtung beschäftigen zu müssen. Aber damals hatte ich auch noch nicht mein Baby verloren und bewegte mich nicht mit der Geschwindigkeit eines ICE auf die 40 zu. Die Hormonbehandlung, Eizellentnahme und Embryotransfer sind ja kein Spaziergang, sondern eine enorme Belastung für den Körper. Abgesehen von dem emotionalen Stress.

Aber was ist, wenn ich mir später vorwerfe, nicht alles versucht zu haben? Wenn ich es mit 50 bereue, nicht auch noch diesen speziellen Weg gegangen zu sein?

Auslöser für unsere Entscheidung ist schließlich ein Gespräch mit Frau Doktor Steinberger.

»Ob Sie sich für eine IVF entschließen, ist eine Entscheidung, die letztendlich nur Sie beide treffen können«, sagt sie. »Aber Sie müssen wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, ab dem 40. Lebensalter extrem sinkt. Ein Beispiel: Bis zum Alter von 25 Jahren liegt die Chance, während eines Monatszyklus’ schwanger zu werden, bei etwa 30 Prozent. Ab 35 halbieren sich die Chancen und ab 40 Jahren liegen sie nur noch bei etwa zehn Prozent. Tendenz weiter abnehmend.«

Ich schlucke. Und da ist es wieder. Das Gefühl, im Leben mal wieder etwas später dran zu sein als alle anderen. Warum bin ich eigentlich immer davon ausgegangen, noch so viel Zeit zum Kinderkriegen zu haben?

»Ganz abgesehen davon, dass die Krankenkassen ab dem 40. Lebensjahr häufig große Schwierigkeiten bei der Kostenübernahme machen.«

Frau Doktor Steinberger macht eine Pause.

»Wissen Sie, Sie haben beide großes Glück. Ihre Spermienqualität ist hervorragend.« Sie blickt Martin an.

»Und was Ihre Fruchtbarkeit angeht, Frau Moretti, führen Sie als 39-Jährige sogar die Liste meiner Patientinnen an. Trotzdem ist auch unser Wissen nur begrenzt. So wissen wir beispielsweise nicht, was mit Ihrer Eizelle auf dem Weg durch den Eileiter Richtung Gebärmutter passiert.«

Wir sehen sie fragend an.

»Ich hatte eine Patientin, die seit zehn Jahren versuchte, schwanger zu werden. Die Voraussetzungen waren gut. Beide waren gesund. Nach längerem Überlegen entschieden sie sich für eine IVF-Behandlung. Dabei stellte sich heraus, dass die Eihaut, also die Umhüllung der Eizelle der Frau, zu dick war, was ein Schlüpfen des Embryos unmöglich machte. Sie hätte also unter normalen Umständen nie schwanger werden können. Beim sogenannten ›Assisted Hatching‹ dünnten wir die Umhüllung aus, um das Schlüpfen zu erleichtern, und mittlerweile ist sie Mutter eines gesunden Jungen.«

Frau Doktor Steinberger steht auf.

»Wie auch immer. Lassen Sie sich Zeit mit Ihren Überlegungen. Aber nicht zu lange.«

»Amore, jetzt lass uns keine Zeit mehr vertrödeln, sondern Nägel mit Köpfen machen. Ich finde, das hört sich alles sehr logisch an, was deine Ärztin da sagt.«

Wir sind noch nicht mal richtig aus der Praxis draußen, da ist Martins Entscheidung schon gefallen. Wie war das noch mal mit dem »Dübeln, statt grübeln, Männer handeln ohne vorher lange nachzudenken?« Ich muss lachen.

Aber eigentlich hat Martin recht. Wir sollten uns auf die nächste Ebene bewegen und keinen Tag mehr vergeuden. Und Frau Doktor Steinberger klang wirklich sehr überzeugend. Vor allen Dingen die Geschichte mit der Eihülle hat mich beeindruckt. Das Paar hätte jetzt kein Kind, wenn es sich nicht für eine IVF-Behandlung entschieden hätte. Auf natürlichem Weg hätte es nie geklappt. »Ich habe wirklich ein gutes Gefühl. Wollen wir nicht sofort einen Termin vereinbaren?«, fragt Martin.

Er tut so, als würde er wieder zurück zur Praxis gehen.

»Martin, warte!« Ich laufe ihm hinterher. »Wir wissen ja noch gar nicht, wo wir es machen lassen. Vielleicht ist ja ein Kinderwunschzentrum in Spanien viel besser. Ich habe da gerade einen Artikel im Internet gelesen …«

Das ist wieder typisch für mich. Erst mal Zeit gewinnen, recherchieren und nochmals alles ausführlich mit Marie besprechen.

»Na hör mal, du warst doch diejenige, die sich gewünscht hat, spätestens an ihrem 40. Geburtstag ein Baby zu haben. Wir haben nur noch vier Monate Zeit. Dann haben wir zwar noch kein Baby, aber du bist schwanger. Das gilt auch.«

Und auf einmal spüre ich es wieder. Das Gefühl von Hoffnung.

Die nächsten Abende verbringen Martin und ich im Internet. Wir klicken uns durch Kinderwunschseiten, IVF-Erfahrungsberichte und die Homepages der erfolgreichsten Kinderwunschkliniken der Welt. Spanien, Türkei, Tschechien, Österreich – jedes Kinderwunschzentrum wirbt mit einem eigenen »Rundum-Sorglos-Paket«, mit extra hohen Erfolgsraten oder besonderen Behandlungsverfahren. Dazu gibt es spezielle Sonderangebote wie »Frühlings Special« oder »Happy Family Sale«: 20 Prozent Rabatt auf alle Behandlungen. Ich meine, wie um alles in der Welt soll ich unserem Kind später erklären, dass es ein Sonderangebot war?

Überhaupt ist es ein merkwürdiges Gefühl, hier mit Martin am Küchentisch zu sitzen und nach Kliniken für Reproduktionsmedizin zu suchen. Wie sich das schon anhört? Reproduktion. Nach Technik, nach Maschinen. Nicht nach Menschen.

Wollen wir wirklich so weit gehen? Vielleicht sollten wir es doch weiter natürlich versuchen? Aber wie lange noch?

Irgendwann müssen wir uns selbst eine Frist setzen. Langsam bekomme ich eine Wut auf diese dämliche biologische Uhr, die nichts als Stress macht. Und warum zahlen Krankenkassen eigentlich nur bis zum 40. Lebensjahr? Verliert man genau an seinem 40. Geburtstag die Gebärfähigkeit? Egal, ob man vorher täglich eine Schachtel Zigaretten geraucht oder sich gesund ernährt und auf seinen Körper geachtet hat. Ich kenne jede Menge Frauen, die erst mit über 40 Mutter wurden und die Schwangerschaft ganz lässig wegsteckten. Das ist so, als gäbe es eine Altersbegrenzung für Hörgeräte. Gerade las ich im Internet, dass eine Krankenkasse sich weigerte, einem Mann von 94 Jahren ein künstliches Hüftgelenk einzusetzen. Mit der Begründung, er wäre zu alt.

Nach langem Überlegen entscheiden wir uns dann doch für eine IVF-Behandlung bei meiner Ärztin, Frau Doktor Steinberger. Die angeblichen Vorteile, die IVF im Ausland durchzuführen, überzeugen uns nicht. Frau Doktor Steinberger kennt mich und meinen Körper, und wir vertrauen ihr.

Es fängt alles ganz harmlos an. Mit einem Nasenspray, das ich zweimal täglich nehmen soll. Das darin enthaltene Hormon blockiert die natürliche Regulation meiner Eierstöcke und verhindert damit einen vorzeitigen Eisprung. Downregulation nennt man das. Mein Hormonhaushalt wird also einmal komplett runtergefahren, um die für die IVF-Behandlung notwendige Stimulation der Eizellen besser steuern zu können. Außer dass ich seit Tagen den Geruch von Essig in der Nase habe, vertrage ich das Spray gut.

Zwei Wochen später sitze ich auf unserem Bett – und habe ein Déjà-vu. Insgeheim hatte ich ja immer gehofft, dass sich unsere Begegnung auf ein einmaliges Treffen beschränken würde. Aber da ist sie wieder. Die Spritze. Na ja, ich versuche, es positiv zu sehen. Immerhin weiß ich jetzt schon, wie’s funktioniert. Und auch, dass ich diesmal auf meine tägliche Belohnung mit Häagen-Dazs-Eis und Dallmayr-Pralinen verzichten werde. Der Spaß hat mir das letzte Mal vier Kilo Übergewicht beschert.

Ich bereite die Spritze vor und steche zu. Schnell und ohne hinzusehen. Das ist mein neuer Trick. Augen zu und durch. Die ersten Male hatte ich beim Anblick des Pens in meinem Bauch solche Panikgefühle, dass ich die Nadel viel zu hektisch wieder herauszog. Was dazu führte, dass es blutete.

Ich drücke gerade den Alkoholtupfer auf meinen Bauch, als mein Handy klingelt. Es ist Martin.

»Und, Doktor Carla? Hast du’s schon hinter dir?«

Ich bin erstaunt. Martin hat sich doch sonst nie dafür interessiert, wann ich mir die Hormone spritzen musste. Außerdem ist er gerade für ein Interview in Berlin.

»Haben wir jetzt Überwachungskameras in unserer Wohnung, oder woher weißt du das?«

Martin lacht. »Du hast mir gestern erzählt, dass es heute Abend wieder losgeht mit der Spritzerei. Und ich hab’s mir gemerkt.«

Ich bin beeindruckt. Das ist ja mal ganz was Neues. Martin hört mir genau zu, wenn ich was erzähle! Und merkt es sich auch noch.

»Amore, ich muss los. Die anderen warten schon. Schau mal ins Tiefkühlfach, da ist eine Überraschung für dich.« Er legt auf.

Neugierig gehe ich in die Küche und öffne den Eisschrank. Und da steht sie: eine große Packung Häagen-Dazs-Eis. Strawberry Cream, meine Lieblingssorte. Ich bin gerührt. Das ist wirklich süß von Martin. Wie war das noch mal mit der Belohnung? Na ja, eine winzige Portion ist okay. Ich hole die Packung raus. Und sehe, dass er auf die Schachtel ein großes rotes Herz gemalt hat. Darunter steht: Diesmal klappt’s ganz sicher! Ich liebe Dich.

Die Ultraschalluntersuchung zwölf Tage später ergibt, dass meine Eizellen inzwischen reif genug sind, um den Eisprung auszulösen. Zusätzlich wird mir Blut abgenommen, um meine Hormonwerte zu bestimmen. Erst wenn diese Ergebnisse vorliegen, werde ich telefonisch erfahren, wann ich mir die Spritze zur Auslösung des Eisprungs setzen soll und wann die Eizellentnahme stattfinden kann. Am späten Nachmittag klingelt endlich das Telefon.

»Frau Moretti, hier ist Frau Schmidt von der Praxis Doktor Steinberger. Bitte setzen Sie sich heute Abend die Auslösungsspritze. Und dann kommen Sie am Donnerstag um neun Uhr nüchtern zu uns. Ihren Mann bringen Sie bitte mit. Ich denke, es ist sinnvoller, die Samenprobe direkt bei uns in der Praxis zu gewinnen.«

Ich muss grinsen. Höre ich da einen gewissen Unterton? Die Aktion mit der Wärmflasche scheint bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen zu haben.

Aber meine Güte, das hätte ich fast vergessen. Am Donnerstag ist ja auch Martins Einsatz gefragt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Hormone nicht nur die Funktion meiner Eierstöcke, sondern auch die meiner Gehirnzellen beeinflusst haben. Ich bin vergesslicher geworden.

Ich wähle Martins Nummer. Doch gerade in diesem Moment kommt Coco, unsere neue Praktikantin in mein Büro. Und bleibt wie angewurzelt vor meinem Schreibtisch stehen, obwohl ich telefoniere.

»Donnerstag um neun Uhr ist es so weit. Erntezeit. Du weißt, was ich meine …«

Hoffentlich versteht Martin meine verschlüsselten Worte.

»Der Gärtner steht mit seinem Spaten bereit«, antwortet er, und ich muss grinsen.

»Guten Morgen.« Frau Schmidt, die Sprechstundenhilfe, lächelt uns an. »Wenn Sie bitte kurz mit mir kommen, Herr Moretti.«

Ich bin aufgeregt, und mir ist ein bisschen schlecht. Was sicher auch daran liegt, dass ich noch nicht gefrühstückt habe. Ich muss nüchtern sein. Aufregung und ein leerer Magen – diese Kombination ist nichts für mich. Schon gar nicht, wenn meine Eizellen gleich abgesaugt werden sollen. Ich bin froh, dass Martin bei mir ist. Während er in einem kleinen Nebenzimmer verschwindet, um seinen Beitrag zur Behandlung zu leisten, werde ich für die Punktion vorbereitet.

Die Entnahme der Eizellen erfolgt unter Narkose. Dabei werden die Eizellen mithilfe einer Ultraschallsonde aus meinem Eierstock entnommen und mit den Spermien von Martin gemischt. Danach kommen sie in einen Brutschrank und werden bei kuscheligen 37 Grad erst mal beobachtet. Ob es zu einer Befruchtung gekommen ist, werden wir dann morgen erfahren.

Das Erste, was ich sehe, als ich aus der Narkose aufwache, sind die Malediven. Genauer gesagt, ein Foto mit Palmen, Strand und türkisfarbenem Meer auf dem Kalenderblatt eines Pharmakonzerns. Bis ich aber realisiere, wo ich tatsächlich bin, dauert es eine Weile. Ich liege im Aufwachraum, und mir ist noch immer ein bisschen schwindelig. Die Tür geht auf, und Martin kommt rein.

»Wie geht es dir?« Er setzt sich und greift nach meiner Hand. »Es ist alles gut gelaufen, Carla. Frau Doktor Steinberger hat dir zehn Eizellen entnommen.«

Er schaut mich liebevoll an. Und ich habe das Gefühl, einen gewissen Stolz aus seiner Stimme zu hören.

»Und wie viele Eizellen haben sie dir dann wieder eingesetzt?« Marie sieht mich neugierig an.

Ich liege auf dem Sofa in eine Decke gewickelt und löffle Hüttenkäse. Die nächsten Wochen soll ich wieder mal viel Eiweiß essen.

»Drei. Von zehn Eizellen haben es fünf geschafft. Und die drei dicksten und fettesten haben sie mir dann wieder eingesetzt. Der Rest wurde eingefroren.«

»Eingefroren?«, fragt Marie.

»Na ja, es wäre doch schade, sie nicht aufzuheben. So können sie eventuell später noch mal verwendet werden. Kryokonservierung nennt man das.«

»Was? Gyros-Konservierung?«

Wir müssen lachen. Das hätten wir uns früher auch nie vorgestellt, dass wir uns irgendwann mal über eingefrorene Eizellen unterhalten würden.

»Kryokonservierung«, wiederhole ich. »Kommt von kryos, das griechische Wort für Kälte.«

»Aha. Und was passiert jetzt?«, fragt mich Marie.

»Wir warten. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wie ich die nächsten zwei Wochen überstehen soll. Das Warten ist immer das Schlimmste.«