Carla

Die Reise

»Habe ich das richtig gehört?« Erstaunt schaue ich Martin an. »Hat uns der Kellner gerade zur Hochzeit gratuliert? Wir sind doch schon seit zwei Jahren verheiratet!«

Martin grinst. »Manchmal sind eben kleine Schwindeleien nötig, um den besten Platz im Restaurant zu bekommen. Und einen Gratischampagner dazu«, sagt er.

Auf unserem Tisch sind frische rote Rosenblätter in Herzform dekoriert, um uns herum stecken brennende Fackeln im Sand. Das Meer ist nur drei Meter entfernt, sanft schwappen kleine Wellen an den Strand. Ein Logenplatz für Honeymooner. Und für die wird der Tisch am Strand exklusiv reserviert. Aber eigentlich sind wir ja auch in den Flitterwochen. Wenn auch mit zwei Jahren Verspätung.

Wir sind auf den Malediven. Wie sich das schon anhört: Male-diven. Der Name sagt alles. Und wie eine Diva fühle ich mich auch. Wie eine champagnertrinkende Diva aus der Raffaello-Werbung. Barfuß, denn Schuhe trägt hier auf der Insel niemand.

Ich habe mich heute für ein Abendkleid entschieden, dem Anlass entsprechend. Diesen Moment will ich auskosten. Schließlich habe ich mein Leben lang darauf gewartet. Und wenn nicht hier, wo dann kann ich endlich mal mein langes Kleid von Hugo Boss anziehen, in das ich gerade noch so reinpasse. Wenn ich den Bauch weit genug einziehe. Denn die Kombination aus Hormonen, Häagen-Dazs-Eis und Dallmayr-Pralinen hat leider Spuren an meiner Figur hinterlassen.

Martin sitzt mir im weißen Hemd und in weißer Hose gegenüber. Meine Güte, ich wusste gar nicht mehr, was für einen gut aussehenden Mann ich habe! Seine dichten schwarzen Haare sind nach hinten gekämmt. Er hat das große Glück, auch mit über 40 noch über eine volle Haarpracht zu verfügen, was ihn um Jahre jünger aussehen lässt. Und dann seine Art, den Kopf leicht schräg zu halten, während er mir aufmerksam zuhört. Was in letzter Zeit leider nicht immer der Fall war. Aber seit unserem Streit vor ein paar Wochen scheint er sich zumindest wieder etwas mehr anzustrengen, aufmerksamer zu sein.

Herrje, ich bin gerade dabei, mich neu in meinen eigenen Mann zu verlieben. Erste Auswirkungen der Liebesinsel? Oder habe ich einfach nur zu viel Champagner getrunken?

»Und? Hast du es dir so vorgestellt?«

Martin sieht mich an, und ich merke, wie er immer noch stolz auf seine Idee ist, mich hierher zu entführen.

»Nein. Ehrlich gesagt dachte ich nicht, dass es hier sooo schön ist.«

Meistens ist es doch im Leben genau andersrum. Man hat von etwas bestimmte Vorstellungen – und wenn man es dann sieht, ist man enttäuscht. Weil es so ganz anders ist, als man dachte. So habe ich mich gefühlt, als ich die Pyramiden zum ersten Mal sah. Klar, sie sind schon überwältigend. Aber in meinen Vorstellungen waren sie noch viel größer und gewaltiger als in Wirklichkeit.

Und hier ist alles noch viel intensiver als erträumt. Das Wasser noch blauer, der Sand noch weißer, die Palmen noch grüner. Hier sieht’s genauso aus wie auf der Fototapete im Partykeller meiner Eltern. Mit dem Unterschied, dass es nach Hibiskus und Rosen duftet statt nach Heizöl.

Nach unserer Ankunft am Nachmittag wurden wir erst mal von einer zarten Fee im Seidensari mit einem Tropical Fruit Punch und den Worten »Welcome to Paradise« begrüßt. Ja, ein Paradies ist das wirklich hier. Wir wohnen in einem Wasserbungalow. Einer luxuriösen Holzhütte auf Pfählen, mitten im Meer, die eigentlich nur aus einem einzigen großen Bett besteht. Ein schwimmendes Bett mit eigenem Jacuzzi, Open-Air-Dusche und einer Terrasse mit Holzstufen, die direkt ins Wasser führen. Romantischer geht’s nicht.

Jetzt bin ich zwar im Paradies, aber immer noch nicht richtig glücklich. Denn insgeheim hatte ich so gehofft, dass ich endlich schwanger bin. Dafür hätte ich sogar meinen Traum geopfert und die Reise verschoben. Aber leider hat es wieder nicht geklappt. Mein Zyklus hatte sich sogar noch zwei Tage nach hinten verschoben. Was besonders zermürbend war, denn damit verlängerte sich die Warterei um weitere unerträgliche 48 Stunden.

Da checkt man seinen Körper alle paar Minuten nach ersten Schwangerschaftsanzeichen, und in Gedanken rechnet man schon das Sternzeichen seines ungeborenen Kindes aus. Und dann? Fehlanzeige. Wieder nichts. Alles Hoffen umsonst.

Ich war traurig. Und deprimiert. Dabei hatte ich diesmal so ein gutes Gefühl gehabt. Mein Körper hatte positiv auf die Hormonspritzen reagiert, und insgesamt hatten sich drei Eizellen gebildet. Und das, obwohl wir erst mal nur mit einer milden Stimulierung anfingen, um zu sehen, wie ich die Hormone vertrage.

Frau Doktor Steinberger war begeistert.

»Die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingsschwangerschaft ist durch die gute Eizellenreifung bei Ihnen erhöht. Aber ich denke, das Risiko können wir in Kauf nehmen, oder?«

Sie lächelte mir zu, während sie mir nach der Insemination ein Medikament zur Auslösung meines Eisprungs in den Bauch spritzte.

Mehrlingsschwangerschaft? Meine Güte, daran hatte ich ja überhaupt noch nicht gedacht! Natürlich ist uns aufgefallen, dass die Zwillingsdichte um uns herum extrem zugenommen hatte, aber bisher war ich immer davon ausgegangen, dass Zwillinge eher das Ergebnis einer In-vitro-Behandlung sind. Dass auch bei einer Insemination mit hormoneller Stimulierung die Chance, Zwillinge zu bekommen, höher ist, war mir neu. Wobei Martin die Vorstellung sehr praktisch fand. Typisch Mann eben.

»Besser geht’s doch nicht!«, sagte er. »Dann haben wir mit einem Aufwasch gleich zwei Kinder.«

Während ich noch ein paar Minuten mit hochgelegten Beinen auf Doktor Steinbergers Behandlungsstuhl lag, fing ich langsam an, mich an die Vorstellung von Zwillingen zu gewöhnen. Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Schließlich hatte ich mir immer eine große Familie gewünscht, und so wie es aussah, war ich trotz meines gebärfreudigen Beckens und Martins prädikatgeprüften Spermien anscheinend nicht dafür bestimmt, schnell schwanger zu werden. Mit Zwillingen könnten wir wieder Zeit aufholen und wären innerhalb von Rekordzeit eine vierköpfige Familie!

Nun ja, über eine mögliche Zwillingsschwangerschaft musste ich mir dann keine Gedanken mehr machen.

Ich war wahnsinnig enttäuscht, dass es wieder nicht geklappt hatte, und kurz davor, unseren Kinderwunsch erst mal auf Eis zu legen. Das letzte Jahr war eine extreme nervliche Belastung für mich gewesen: Zyklusüberwachungen, vier Inseminationen, davon eine mit hormoneller Stimulierung, und die ganzen Hormone hatten nicht nur meinen Körper verändert – ich hatte bestimmt vier Kilo zugenommen –, sondern mir auch meinen Optimismus und meine Unbeschwertheit genommen. Ich hatte keine Lust mehr, mir alle zwei Wochen morgens und abends irgendwelche Hormondragees in den Körper zu schieben und dazu noch täglich Unmengen von schwangerschaftsunterstützenden Tabletten zu nehmen.

Ich wollte nur noch weit weg. Abstand bekommen vom Babythema und mich auch mal wieder mehr um mich und unsere Beziehung kümmern. Die zugegebenermaßen in den letzten Monaten ziemlich gelitten hatte. Martin und ich, wir lebten immer mehr nebeneinander her. Der ewige »Jetzt-muss-es-aber-klappen«-Druck hatte unsere Partnerschaft verändert. Sie war ernsthafter geworden. Die Leichtigkeit fehlte.

Ich war daher froh, dass Martin sofort den nächstmöglichen Flug auf die Malediven buchte, als er erfuhr, dass ich wieder nicht schwanger war. Der lange Flug war ja nun kein Problem mehr. Und eine einsame Insel im Indischen Ozean genau das Richtige, um sich endlich mal wieder als verliebtes Paar zu fühlen – und nicht als Frau und Mann, die seit über einem Jahr verzweifelt versuchen, ein Kind zu bekommen. Ich wollte Ablenkung. Spontanen, wilden Sex, ohne dabei meinen Eisprungkalender im Kopf zu haben. Und endlich unsere Flitterwochen nachholen.

»An was denkst du gerade?«

Martin und ich laufen am Strand zurück zu unserem Wasserbungalow. Über uns ein strahlend heller Sternenhimmel, wie man ihn nur auf Inseln sieht. Es ist warm. Die Luft hat bestimmt noch 28 Grad.

»Ich überlege gerade, wann wir zwei das letzte Mal so einen romantischen Abend hatten«, sage ich.

»Ab jetzt jeden Tag. Ich glaube, ich habe dir schon viel zu lange nicht mehr gesagt, wie sexy du aussiehst.« Martin bleibt stehen und zieht mich an sich.

Stimmt, denke ich. Es ist noch nicht lange her, da hast du mir gesagt, dass ich ungefähr so sexy wie ein Walross bin und mal ganz genau in den Spiegel schauen soll. Das zum Thema Romantik.

Genau zwei Jahre, sechs Monate und 25 Tage dauert es im Schnitt, bis die Romantik in einer Ehe nachlässt. Habe ich auf dem Flug in einer Zeitschrift gelesen. Dann lassen 70 Prozent der Männer ihre gebrauchten Socken auf dem Boden liegen, und jede zweite Frau läuft zu Hause nur noch im Jogginganzug rum.

Okay, dass mit den Socken stimmt, aber im Jogginganzug laufe ich nie rum. Vielleicht sind wir doch nicht so durchschnittlich.

»Iiih, was ist das denn?«, schreie ich.

Ich habe das Gefühl, dass mir gerade etwas Nasses, Feuchtes, Unangenehmes direkt über den Fuß gekrabbelt ist.

Martin leuchtet mit der Taschenlampe nach unten, und wir sehen eine Herde Krabben den Sand entlangflitzen.

»Komm, ich nehm dich huckepack.«

Martin bückt sich, und ich klettere auf seinen Rücken. Unter meinem lauten Gekicher schleppt er meine 70 Kilo über den Strand zurück zu unserem Wasserbungalow. Schon lange hatten wir nicht mehr so viel Spaß zusammen. Wir fallen sofort ins Bett. Und während das Meer draußen vor sich hin plätschert, schlafen wir später eng umschlungen ein.

Mitten in der Nacht weckt uns das Geräusch von Wellen, die dumpf an die Pfähle unseres Hauses schlagen.

»Was ist denn hier los?«, brummt Martin. »Wie soll man denn bei diesem Lärm schlafen?«

Er steht auf und geht auf die Terrasse.

Ich drehe mich um und ziehe mir die Bettdecke über den Kopf.

Durch die ich immer noch Martins Geschimpfe höre. Wenn er sich in etwas reinsteigert, dann richtig.

»Jetzt komm wieder ins Bett«, sage ich und schaue genervt auf die Uhr: 4.28 Uhr. Ich bin todmüde und will nur weiterschlafen.

»Gleich morgen früh beschwere ich mich«, höre ich Martin weiternörgeln.

»Bei wem willst du dich denn beschweren? Beim Meeresgott Poseidon vielleicht? Martin, das ist die Brandung! Die kann keiner abstellen.« Langsam werde ich sauer. Wütend schlüpft Martin wieder unter die Bettdecke. »So eine Unverschämtheit! Hier bleiben wir nicht …«, ist das Letzte, was ich von ihm höre. Dann schlafe ich wieder ein.

Am nächsten Morgen hat sich das Meer wieder beruhigt. Wir hören nichts. Keine Wellen, keine Brandung. Stille.

Kein Wunder, denn das Meer ist weg.

»Was ist denn hier passiert?« Martin sieht mich ungläubig an. »Waren wir nicht gestern noch auf den Malediven? Oder hab ich das geträumt? Und jetzt sieht’s hier aus wie an der Nordsee!«

Martin lässt sich in den Liegestuhl auf der Terrasse fallen und starrt aufs Meer. Oder auf das, was davon übrig ist.

»Sieht nach Ebbe aus«, sage ich und muss lachen.

»Verdammt! Da buche ich schon die teuerste Kategorie, einen Bungalow direkt im Meer. Und dann lassen sie das Wasser ab.«

Martin schaut auf die Pfahlbauten neben uns, die ebenfalls wie traurige Störche in der Landschaft stehen.

Später beim Frühstück erzählt uns eine Schweizerin, dass alle Inseln der Malediven zwei Seiten haben: Eine raue, auf der unser Wasserbungalow steht und die den Gezeiten ausgesetzt ist, und eine ruhige, auf der die Lagune mit Korallenriff liegt. Zielsicher hat Martin die falsche Seite gebucht.

Ausnahmsweise beschwert er sich diesmal höchstpersönlich beim Hotelmanager. Was sonst nicht seine Art ist. Denn meist schickt er mich vor. Mit der Bemerkung, ich würde das Problem doch viel charmanter und diplomatischer lösen als er. Was ja auch stimmt.

Wir haben Glück. Eine Strandvilla auf der anderen Seite der Insel ist noch frei, und wir können sofort umziehen. Schnell packen wir unsere Sachen zusammen und ziehen um.

Bevor wir an den Strand gehen, erkunden wir erst mal die Insel. Insgesamt eine Sache von zehn Minuten. Denn dann hat man sie einmal zu Fuß umrundet. Es gibt drei verschiedene Restaurants, zwei Bars, ein Spa, ein Fitnessstudio, eine Surfschule und einen Souvenirshop. Was braucht man auch mehr? Die Insel ist schließlich ein Hideaway für verliebte Honeymooner. Besonders hoch scheint die Heiratsrate unter Chinesen zu sein. Denn die ganze Insel ist von ihnen bevölkert. Neben dem Schweizer Paar und zwei Franzosen scheinen wir hier die einzigen Europäer zu sein.

Wir nehmen unsere Tauchbrillen und Schnorchel und gehen schwimmen. Auf der richtigen Seite der Insel, der Lagune mit dem Korallenriff. Auch hier ist das Wasser immer noch sehr niedrig, und man muss aufpassen, dass man beim Schwimmen mit dem Bauch nicht wie ein gestrandeter Tanker auf dem Sand aufsetzt.

Ich komme mir vor, als wäre ich in ein Aquarium gehüpft. Tausende bunter Fische schwimmen neben, unter und über mir. Einige sehen aus wie Nemo, der Clownfisch aus dem Disneyfilm. Ein besonders frecher knabbert sogar das Bändchen meiner Bikinihose an. Ein Stück weiter draußen sehen wir Papageifische, Mantarochen und sogar Babyhaie. Wir sind so fasziniert, dass wir erst Stunden später aus dem warmen Wasser steigen.

Den Rest des Tages verbringen wir auf den dick gepolsterten Sonnenliegen mit einem Buch in der einen und einem tropischen Drink in der anderen Hand. Bis sich eine Wolke in unser Paradies schiebt.

Ich merke es zuerst. Was auch daran liegen kann, dass Martin auf seiner Liege eingeschlafen ist. Na ja, war ja auch eine kurze und aufregende Nacht für ihn gewesen.

Der Regen kommt so schnell und heftig, als hätte jemand eine Wasserfalldusche angestellt. Wir sind bereits patschnass, als wir im Laufschritt unsere kleine Strandvilla erreichen. Und plötzlich ist mir kalt. Verdammt kalt. Eine warme Badewanne wäre jetzt schön. Aber die ist draußen im Regen, denn unser Badezimmer ist nur zur Hälfte überdacht. Cooles Design, aber nur wenn die Sonne scheint.

Ich bestelle mir über den Room Service einen heißen Tee. Martin trinkt einen Whiskey. Sein Allheilmittel zur Immunstärkung.

Am Abend gehen wir essen. Drinnen. Denn draußen schüttet es immer noch. Wir können wählen zwischen einem asiatischen, mediterranen und internationalen Restaurant. Aber eigentlich gibt es in allen das Gleiche.

Als wir das Restaurant betreten, bin ich innerhalb von Sekunden schockgefrostet. Himmel, ist das kalt hier. Ich habe nie verstanden, warum so viele Restaurants auf Eiszeittemperatur runtergekühlt sind. Na ja, zumindest bleibt der Fisch frisch, wenn man in einem Tiefkühlfach sitzt.

Ich ziehe meine Strickjacke an und wickle mir ein Tuch um den Hals. Wahrscheinlich bin ich die erste Frau auf den Malediven, die wie ein Eskimo verkleidet beim Dinner sitzt. Hätte ich das gewusst, hätte ich meine Daunenjacke eingepackt.

Als wir zwei Stunden später zurückgehen, regnet es immer noch. Innerhalb von Minuten sind wir wieder bis auf die Haut durchnässt.

Die ersten Anzeichen spüre ich schon, bevor wir unsere Strandvilla erreichen. Ein Gefühl, als hätte jemand in mir vergessen den Wasserhahn abzustellen. Dazu diese typischen Schmerzen im Unterbauch. Das darf doch nicht wahr sein! Ich bekomme eine Blasenentzündung. Nicht jetzt! Nicht hier! Sofort lege ich mich ins Bett, wickle mich in sämtliche Decken ein und trinke innerhalb von fünf Minuten eine große Flasche Wasser. Die einzige Chance, diese verflixte Entzündung so schnell wie möglich wegzubekommen.

»Kann ich irgendwas für dich tun?«, fragt Martin.

»Vielleicht kannst du in der Hotelbar mal nachfragen, ob sie Cranberrysaft haben? Der soll helfen.«

»Kein Problem. Bin sofort wieder da.«

Es ist wirklich seltsam. Jetzt sind wir extra hier hergekommen, um unser Sexleben mal wieder so richtig durchzulüften und durch die Hitze die Leidenschaft zu befeuern. Stattdessen haben wir Dauerregen und ich eine Blasenentzündung.

»Stell dir vor, was mir der Schweizer erzählt hat, den ich gerade an der Bar getroffen habe.« Martin kommt zur Tür rein. Mit einer Flasche Rotwein in der Hand.

»Dieser Regen hier, das ist der Südwestmonsun. Der ist typisch für die Jahreszeit.«

»Aha, typisch. Na, super!«, sage ich. »Da hast du dich ja vorher richtig schlaugemacht.«

»Jetzt verstehe ich auch, warum das Nebensaisonpreise waren«, sagt Martin.

Ich fasse es nicht. Da fliege ich mit meinem Mann einmal im Leben auf die Malediven, und dann haben wir hier ein Wetter wie in den Schottischen Highlands.

»Und was ist mit dem Cranberrysaft?«, frage ich.

»Hatten sie nicht, sorry. Aber dafür eine wirklich gute Flasche Rotwein. Trauben sind Trauben. Hilft bestimmt auch.« Martin grinst.

Na ja, besser als nichts. Hilft wenigstens einzuschlafen, denke ich mir und greife nach dem Glas, das er mir reicht.

»Okay, und was machen wir jetzt?« Martin sieht mich erwartungsvoll an.

Ich schaue auf meine Uhr. 22.30 Uhr.

Meine Güte, jetzt geht das wieder los. Wie verständnisvoll von ihm! Da liege ich schwer krank mit Schmerzen im Bett, und mein Mann erwartet eine Late-Night-Show.

»Also ich für meinen Teil, gehe jetzt schlafen«, sage ich.

»Wie? Jetzt schon? Es ist doch noch viel zu früh!« Martin sieht mich überrascht an.

»Es ist halb elf. Ich finde, eine durchaus angemessene Zeit, schlafen zu gehen. Und außerdem geht’s mir nicht gut.«

Ich bin gereizt. Martin könnte ruhig ein bisschen mehr Mitgefühl zeigen.

»Hmm, ist es okay für dich, wenn ich noch ein bisschen joggen gehe?«

»Bei dem Wetter? Bist du wahnsinnig?«

Mein Mann verfügt schon immer über ein paar merkwürdige Eigenarten.

»Ich gehe aufs Laufband im Fitnessstudio«, sagt Martin.

»Meinetwegen.«

Was soll ich auch sonst sagen? Bleib lieber bei mir und erzähle mir eine Gutenachtgeschichte, bis ich eingeschlafen bin? Obwohl ich das zugegebenermaßen die schönere und romantischere Variante fände. Warum haben Männer eigentlich diesen total übertriebenen Sporttick? Da wird gejoggt, Gewichte gestemmt und Spinning gemacht, als trainierten sie alle für den nächsten Ironman. Ach, ich werde Männer nie verstehen.

Es ist noch stockdunkel, als uns laute Geräusche wecken. Ein Schiffsmotor heult auf, wir hören aufgeregte Stimmen. Helles Licht flackert durch die Jalousien.

Schlaftrunken steht Martin auf und öffnet die Terrassentür. »Carla, schau dir das an! Das gibt’s doch nicht.«

Müde und widerwillig steige ich aus dem Bett.

Wir sehen taghelles Flutlicht und zwei Frachtschiffe, die mit großen Containern beladen werden.

»Was machen die da mitten in der Nacht?«, frage ich.

»Keine Ahnung, aber es sieht so aus, als würden die Müll verladen.«

Martin schließt die Tür, und wir legen uns wieder ins Bett. Ich habe immer noch Schmerzen und will einfach nur schnell wieder einschlafen. Was sich als schwierig herausstellt. Denn der Lärm hört nicht auf. Diesmal bin ich es, die ausflippt. Ich rufe bei der Rezeption an.

»Sorry Ma’am, können Sie morgen früh anrufen? Ich bin nur der Nachtportier.«

Wütend knalle ich den Hörer auf. Verdammt, wir sind hier auf den Malediven! Da träumt man doch nicht von einem Zimmer am Rand eines Industriegebiets!

Am nächsten Morgen scheint wieder die Sonne. Martin geht zum Strand. Ich zum Inselarzt. Leider fühle ich mich immer noch nicht besser. Er untersucht mich und gibt mir Antibiotika.

Auf einmal höre ich laute Stimmen. Ist das nicht mein Mann, der da gerade flucht »So ein Mist«?

Martin humpelt auf einem Bein in die Praxis. Er ist leichenblass und wird von zwei Männern gestützt. Vom Tauchlehrer und dem Schweizer. Die beiden Männer hieven ihn auf die Liege in der Ecke der Praxis.

Der Arzt untersucht sofort Martins Fuß, der mittlerweile stark geschwollen ist.

»Sie sind auf einen Skorpionfisch getreten«, sagt er auf Englisch. »Seine Stacheln sind äußerst giftig. Aber normalerweise ist das nicht tödlich.«

Nicht tööödlich? Panik steigt in mir auf.

»Jetzt unternehmen Sie doch was«, schreie ich den armen Arzt an. »Wo ist das nächste Krankenhaus?«

»Beruhigen Sie sich, Ma’am. Wir müssen die Wunde erst mal auswaschen und desinfizieren. Dann spritze ich Ihrem Mann ein Gegengift. Keine Angst, er ist nicht der Erste hier, der in einen Skorpionfisch tritt. Sollte sich sein Zustand wirklich dramatisch verschlechtern, bringen wir ihn in die Klinik nach Malé.«

Wir sitzen im Wasserflugzeug, das uns zurück zum Flughafen bringt. Die Sonne kommt raus. Was für ein Urlaub. Zum Glück ging es Martin nach zwei Tagen wieder besser. Wobei ich einen Moment wirklich Angst hatte, dass er das Ganze nicht überlebt. Die erste Nacht war fürchterlich. Martin schwitzte so stark, dass ich ihm im Zehn-Minuten-Takt feuchte Kompressen machen musste. Dazu meine Blasenentzündung, die leider den ganzen Urlaub anhielt. Und dann noch der Umzug plus Dauerregen.

Romantischer Liebesurlaub im tropischen Paradies? Fehlanzeige. Ehrlich gesagt, hatte ich mir den irgendwie anders vorgestellt. Und trotzdem war’s schön. Wir hatten mal wieder Zeit für uns, sind uns nähergekommen und haben gemerkt, dass eben alles im Leben zwei Seiten hat. Selbst die Malediven.