In ihrem Schlafzimmer angekommen, holte Luciana eine Kiste aus ihrer Kommode. Mit zitternden Händen sah sie im schwachen Licht der Zimmerlampe ihren besten Schmuck durch. Sie legte nur die wertvollsten Familienerbstücke zur Seite, die sie unter großen Mühen bei verschiedenen Pfandleihern der Stadt wiedererlangt hatte.
Diese Schätze würde sie nicht noch einmal hergeben. Nicht einmal, wenn sie dafür das Risiko einging, geschnappt zu werden. Sie dachte an Carlotta und die Ohrringe.
„Willst du vielleicht verreisen?“, erklang eine bekannte Stimme hinter ihr.
Luciana erschrak, und ihr fiel der Schmuck aus der Hand.
Sie wirbelte herum. Corbin lehnte lässig an der Wand und beobachtete sie.
„Ich wusste es“, sagte sie rundheraus. „Ich wusste, dass du auftauchen würdest. Ich wusste, dass es dir irgendwie gelingen würde, dich wieder einmal einzumischen und mir alles zu verderben.“
„Wovon redest du nur, Luciana? Sag, hast du vor, in Urlaub zu fahren, meine Liebe? Vielleicht meinst du ja, dass du dir ein bisschen Erholung verdient hast, nachdem du den Engel abgeliefert hast. Heute ist die letzte Nacht, weißt du. Ich hätte eigentlich erwartet, dass du die Sache schon längst über die Bühne gebracht hast.“
„Ich habe einfach nur meine Sachen durchgesehen. Mach dir keine Gedanken, Corbin! Du bekommst schon noch, was dir zusteht.“
„Du hast doch nicht etwa Hintergedanken? Aus meiner Sicht muss ich leider sagen, dass du bisher noch keine großen Fortschritte gemacht hast, was deine Aufgabe betrifft. Der Schutzengel ist immer noch da. Ich habe Grund zu der Annahme, dass du dich heimlich mit ihm triffst.“
„Es ist kein Geheimnis, dass ich mich mit ihm getroffen habe“, blaffte Luciana ihn an. Obwohl sie innerlich zitterte, brachte sie den Mut dazu auf. „Wie sonst sollte ich ihn wohl verführen können?“
„Hast du dich etwa in ihn verliebt?“
„Natürlich nicht. Nicht, nachdem ich dich hatte“, erwiderte sie mit einem affektierten Lächeln.
„Du kannst mir nichts vormachen, Luciana. Ich weiß, dass du mich nur benutzt hast, um an Julian heranzukommen. Du bist eine Lügnerin und eine Hure. Wie dem auch sei … Die Tatsache, dass du dich in einen unserer eingeschworenen Feinde verliebst, ist unerwartet idiotisch – selbst für jemanden wie dich.“
Sie reckte trotzig das Kinn und sah ihn an. „Und selbst wenn ich mich in ihn verlieben würde, was geht es dich an?“
Das war ein Fehler.
Corbin schnappte sich den Schmuck, den sie aufs Bett hatte fallen lassen, und schleuderte ihn auf den Boden. Dabei gingen einige der filigranen Teile zu Bruch, kleine Goldstückchen und wertvolle Edelsteine kullerten über den Holzfußboden. Luciana war außer sich.
Nicht weinen, ermahnte sie sich. Er wird dich zerstören, wenn du anfängst zu weinen.
„Du hast etwas zu erledigen. Ich habe dir aufgetragen, den Engel zu töten. Heute Nacht läuft die Frist ab.“ Corbins Stimme klang erschreckend normal.
„Brandon … er ist noch nicht so weit“, protestierte sie schwach.
„Du bist aber doch sicher in seine Träume eingedrungen?“
„Ja, aber … Ich bin noch nicht nahe genug an ihn herangekommen. Er ist stark. Zu stark.“
Corbin schlug krachend mit der Faust in die Wand neben ihrem Ohr. Sie erstarrte.
„Es gibt gewisse Regeln im Umgang zwischen Engeln und Dämonen.“ Luciana schloss die Augen, während sie ihre Angst herunterzuschlucken versuchte. „Diese Regeln dürfen nicht gebrochen werden.“
„Regeln können umgangen werden“, erwiderte er und stellte sich drohend vor sie. „Wenn ich dich zitieren darf. Vergiss nicht, was du bist! Was du immer warst: eine Dämonin und eine Hure.“
Sie öffnete die Augen und funkelte ihn wütend an. „Ich weiß, was ich bin. Die Aufgabe, die du mir gestellt hast, ist nicht leicht, aber ich habe trotzdem zugestimmt. Schon vergessen? Ich werde dir den Engel noch heute Nacht bringen. Ich bin nur auf ein paar unerwartete Hindernisse gestoßen, wie du sicher weißt. Es gab einige Tote in der Dämonengemeinschaft hier in Venedig.“
„Ach ja, du hast schon davon gehört? Aber lass es mich so sagen: Diejenigen, die gestorben sind, haben ihr Ende verdient. Hör auf zu jammern wegen Carlotta! Sie war lange genug unter uns, länger, als es sich die meisten erträumen würden. Es war Zeit für sie, zu gehen.“
„Also hast du sie alle umgebracht“, stellte Luciana fest.
Er machte einen schnellen Schritt auf sie zu und packte ihren Hals. „Wieso sollte ich so etwas jemals zugeben?“
Sie bekam keine Luft mehr und fing an zu würgen.
Es war, als stürbe sie noch einmal. Sein Blick, so kalt und un- erbittlich wie der einer Schlange, bohrte sich in ihren.
Nein, dachte sie. Eine Schlange wäre nicht so unerbittlich.
Sie spürte, dass sie ohnmächtig wurde. Vor ihren Augen tanzten Sternchen, viele Milliarden kleiner Lichtpunkte. „Ich weiß noch, wie es sich anfühlt zu sterben“, würgte sie mit einem kaum hörbaren Krächzen hervor. „Also drück schon zu!“ Sie schloss die Augen und wünschte, er würde ihr ein Ende machen. „Töte mich!“
„Dich töten, meine Liebe?“, fauchte er. „Niemals würde ich es dir so leicht machen. Nein, mein Liebling. Ich werde dir meine persönliche Version der Hölle zeigen. Nur um dich daran zu erinnern, was auf dem Spiel steht. Mach die Augen auf!“
Meine persönliche Version der Hölle. Ich kann nicht dorthin zurückgehen, und ich werde es auch nicht. Sie mobilisierte all ihren Willen. Nicht die Augen öffnen. Nein. Nicht.
Er schüttelte sie so heftig, dass sie glaubte, die Augen würden ihr aus dem Kopf fallen.
„Öffne die Augen, oder ich öffne sie dir. Ich werde dir die Lider ausreißen. Das könnte sehr schmerzhaft werden.“
Sie hegte keinen Zweifel daran, dass er seine Drohung wahr machen würde.
Als sie die Augen aufschlug und sich umsah, war sie mit Corbin nicht länger in ihrem Palazzo. Sie standen auf der Treppe der Erlöserkirche. Nicht der echten Erlöserkirche. Sondern vor der, die in den tiefsten Tiefen ihrer schlimmsten Ängste vorkam. Die unberührte Marmorfassade dieser Kirche war entweiht worden, die Engel- und Heiligenfiguren enthauptet und mit einem schwarzen, feuchten Zeug beschmiert worden, das jetzt auf sie heruntertropfte.
„Willkommen zurück in der Unterwelt“, sagte Corbin. „Wir haben dich hier unten vermisst.“
Der Himmel war fleckig rot, von dunklen, scharlachroten Wolken bedeckt, die in Klumpen über sie hinwegzogen wie in einem beschleunigten Film, der mit einer blutverschmierten Kameralinse gedreht worden war. Donner grollte, und die Erde unter ihren Füßen bebte, als wollte sie sich auftun und sie verschlingen. Noch tiefer konnte es nicht mehr gehen.
„Lass mich gehen. Du hast keine Macht über mich.“
„Im Gegenteil, meine Liebe. Ich habe alle Macht der Welt über dich, bis du endlich deinen Teil unserer Abmachung einlöst. Und da das noch nicht erfolgt ist, erlaube ich mir, dich zu motivieren. Hattest du mich nicht außerdem gerade aufgefordert, dich zu töten?“
Er zerrte sie in die Kirche. Sie war leer und heruntergekommen. Im langen Kirchenschiff lagen vermodernde Blätter, der Steinfußboden war zerbrochen. Das große Kruzifix hing immer noch über dem Altar, doch die Christusstatue fehlte, und an seiner Stelle war ein großer Spalt im Holz.
„Auf die Knie!“, befahl Corbin ihr.
„Nicht für dich“, stieß Luciana aus. „Nicht dieses Mal.“
Das Klatschen seiner Hand auf ihrem Gesicht hallte durch den Kirchenraum. Sie fiel um und sah nach oben zur Kuppel. Und schloss leise flehend die Augen. Sie dachte nur ein Wort: Bitte!
„Meinst du, es hilft dir, wenn du jetzt mit dem Beten anfängst, meine Liebe?“ Er lachte sie aus. „Hast du denn immer noch nichts dazugelernt? Glaubst du etwa, dein Heiliger wird kommen und dich retten? Dein großer, tätowierter Freak wird nicht auftauchen, um dich zu erlösen. Es ist genau andersherum. Dein Job ist es, ihn hierherzubringen.“
Er zog sie an den Haaren wieder auf die Füße.
„Unsere kleine Tour durch die Hölle ist noch nicht zu Ende. Wir wollen dein Gedächtnis noch ein bisschen mehr auffrischen. Das kleine Hotel, in dem Julian sein Zimmer hatte. Wo du ihm deine Jungfräulichkeit geschenkt hast. Und da ist …“
Sie wusste genau, was kommen würde.
Die eine Sache, die sie versucht hatte zu vergessen.
Die eine Sache, über die sie nicht mit Brandon reden konnte, weil sie den Mut dazu nicht aufbrachte.
„… der Ort, an dem du versucht hast, dich zu erhängen, nachdem er dich verlassen hat. Aber es hat nicht funktioniert, nicht wahr? Nachdem dir klar wurde, dass du deine Familie nicht retten kannst. Nachdem dir klar wurde, dass du versagt hattest. Bewundernswert, dass du es noch mal probiert hast nach diesem Desaster. Und sieh mal, hier ist auch der Trottel, der dich aus deiner misslichen Lage befreien wollte. Harcourt. Meine Güte, der ist aber alt geworden, was?“
Sie hatte Harcourt seit über zweihundert Jahren nicht gesehen – seit er sich aus der Hölle nach oben gekämpft hatte. Seine Haut sah verwittert aus, verschrumpelt, älter als alles, was sie jemals gesehen hatte. Sein Kopf quietschte, als er sich zu ihr umdrehte.
„Ah, meine Liebe.“ Er streckte die Hand nach ihr aus. „Luciana, meine kleine todbringende Braut. Ich habe immer davon geträumt, was ich mit dir anstellen würde, wenn wir uns wiedertreffen.“
Mit seiner uralten, prankigen Hand packte er sie und schnappte sich ihren Arm. Sie wollte schreien, aber sie erkannte, dass das Harcourt eher in einen Rausch versetzen würde, aus dem es kein Entrinnen gab. Sie erschauderte, sowie sich seine knochige Pranke zu ihren Brüsten schob.
„So frisch …“, stieß Harcourt stöhnend aus.
„Vielleicht können wir ja eine Wiedervereinigung von euch beiden für später arrangieren“, meinte Corbin lachend und riss sie weg von ihm. „Aber jetzt müssen wir weiter. Denn es gibt noch eine Sache, die ich dir gern zeigen würde.“
Er zerrte sie an den Haaren in einen weiteren Raum, der Carlottas Bordell glich. In der Mitte des mit Blutflecken beschmutzten Zimmers lag ein Haufen zerstückelter Leichen. Unter ihnen entdeckte Luciana die zerschundenen, blutigen Gesichter einiger der Mädchen, deren Kollegin sie vor langer Zeit gewesen war. Es gab auch andere, die sie nur vom Sehen und nicht persönlich kannte. Sie hatte sie erst vor Kurzem bei Carlotta herumlaufen und lachen sehen. Atmen.
Auch das Gesicht ihrer Schwester sah sie, ihre grünen Augen starr und kalt.
„Carlotta ist sogar in der Hölle tot. Du kannst nichts tun, um sie hier noch einmal herauszuholen.“
Luciana betrachtete den Leichenberg. Tote um Tote waren hier aufgeschichtet.
Und sie erkannte plötzlich, wer sie selbst wirklich war: ein Todbringer.
Eine Person, die anderen nichts als Leid brachte. Auch wenn sie diese Frauen nicht eigenhändig umgebracht hatte, war sie dennoch eine Mörderin. Auch sie hatte viele Männer und Frauen umgebracht.
Und jetzt hatte Satan höchstpersönlich ihr den frevelhaftesten und abscheulichsten Auftrag erteilt.
Einen Engel zu töten.
Nicht einfach irgendeinen Engel, sondern einen Mann, der begonnen hatte, ihr zu vertrauen.
Einen Mann, der sie liebte.
„Was ist der Unterschied zwischen deiner Version der Hölle und der Version auf der Erde?“, fragte sie Corbin, ehrlich verwirrt.
Wieder schlug er ihr ins Gesicht. So fest diesmal, dass ihre Lippe aufplatzte und Blut an ihrem Kinn herunterlief. Sein gelassener Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. „Pass auf, was du sagst!“
Sie schaute ihn wütend an. „Im Ernst, ich weiß es nicht. Ob man ein Sklave in der Hölle oder ein Sklave auf der Erde ist … Beides hat mit Leid zu tun. Was haben diese Frauen getan, dass sie diesen Tod verdient haben? Nichts. Manche von ihnen waren keine schlechten Frauen. Sie waren nicht einmal Dämonen. Sie waren Menschen. Was gab dir das Recht, sie zu töten?“
„Ich habe jedes Recht der Welt. Ich bin ein Erzdämon.“
Wenn ich hier unten bleibe, wird Brandon vielleicht einfach verschwinden, dachte sie plötzlich. Und zurück nach Amerika gehen, wenn er feststellt, dass mir zuteilwird, was ich verdiene. Dass seine Mission damit beendet ist, wenn auch anders als geplant.
„Oh nein, dazu wird es nicht kommen.“ Corbin hatte ihre Gedanken erraten. „Du bleibst nicht hier unten. Du bist Satan noch eine Opfergabe schuldig, und du wirst wieder schön nach oben gehen und ihn holen. Und wenn es das Letzte ist, was du auf der Erde tust. Was durchaus realistisch ist.“
Er zog sie wieder mit sich nach oben. An die Oberfläche.
Als sich die Welt um sie herum materialisierte, waren sie wieder in Lucianas Schlafzimmer, standen auf dem zerschmetterten Schmuck. Endlich ließ er sie los. Sie fiel auf den Fußboden und keuchte, umklammerte die brennend schmerzhafte Stelle an ihrem Hals, an der er sie gewürgt hatte.
Er warf etwas neben sie, ein kleines Ding, das nur ein paar Zentimeter neben ihrem Gesicht landete.
Es war ein einzelner Smaragdohrring, das Gegenstück zu dem, den sie in der vergangenen Nacht begraben hatte. „Wieso hast du das getan?“ Tränen rannen ihr die Wangen hinab.
„Wieso?“, zischte er und sah sie an. Seine bernsteinfarbenen Augen glänzten noch immer voller Mordlust. „Weil ich es konnte, baronessa. Weil ich die Macht habe. Ich brauche kein Gift. Ich muss nicht eine Woche warten, um jemanden umzubringen. Ich kann von einem Augenblick auf den anderen töten. Ohne jegliche Konsequenzen und ohne jede Schuldzuweisung von irgendjemandem.“
„Du kannst vielleicht jeden Menschen und jeden Dämon töten, ohne dafür Rechenschaft ablegen zu müssen“, stieß sie heiser hervor. „Aber auch du kannst keinen Engel töten.“
Da rastete er aus, schnappte sich den Stuhl, der vor ihrer Kommode stand, und schleuderte ihn gegen die Wand. Splitternde Holzstücke flogen herum. Er kniete sich neben sie und knurrte ihr drohend ins Ohr. „Diese Huren sind jetzt alle in der Hölle, wo sie hingehören. Lass dir das eine Warnung sein. Deine Zeit mit dem Engel ist so gut wie abgelaufen.“
„Ich kann es nicht.“ Luciana schloss die Augen. Am liebsten wäre sie einfach verschwunden.
„Meine Liebe. Das ist keine akzeptable Antwort.“
Er zerrte sie auf die Füße und schob sie vor den Kleiderschrank, wo er ihre Abendkleider durchsah.
„Die meisten von den Dingern sind zu nuttig. Damit wirst du einen Engel nie rumkriegen.“ Jetzt warf er ein bodenlanges weißes Kleid aufs Bett. „Das da ist angemessen. Weiß. Schön jungfräulich. Wie ein Opferlamm. Das wird ihm gefallen. Ironisch, findest du nicht?“
Rasch entkleidete sie sich. Sie hasste es, wie er ihr dabei zusah und ihren nackten Körper gierig musterte.
Er hob den Smaragdohrring auf und stach ihn ihr unsanft ins Ohrloch. Dann presste er sie an sich. „Ja, das ist sogar sehr iro-nisch. Ich könnte dich jetzt flachlegen, aber ich warte lieber bis hinterher. Wenn ich Zeit habe, es zu genießen. Wenn du diesen Engel zerstört hast und diese erbärmliche Hoffnung aus dei-nem System gespült ist.“
Er stieß sie weg. Am liebsten hätte sie sich erbrochen.
„Und jetzt zeig mir das Gift, das du für ihn benutzen wirst.“ Sofort griff sie unters Bett, nach der Spritze.
„Natürlich. Sie bewahrt ihr wirksamstes Gift unter dem Bett auf. Was war jetzt daran so schwer? Ich hoffe in deinem Sinne, dass du nicht zu sehr an diesem Engel hängst. Denn sobald ich seines Körpers habhaft werde, will ich ihm seine eintätowierten Flügel abschneiden.“
„Was? Du willst ihn häuten?“
Der höfliche, gefühllose Ausdruck auf dem Gesicht dieses abscheulichen Mannes ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. „Selbstverständlich.“
Sie erschauderte bei dem Gedanken daran – sein herrlicher Körper derart gerichtet. Es bestand kein Zweifel daran, dass Corbin seine Drohung wahr machen würde. Und in seiner Tat schwelgen würde.
„Komm ja nicht zurück, bevor du deinen Job erledigt hast“, ermahnte Corbin sie ausdruckslos. „Denn es wäre doch eine Schande, wenn eine hübsche Frau wie du in die Hölle zurückgeschickt würde – selbst wenn du sie für eine bessere Alternative zum Leben auf der Erde hältst. Die Türhüter unten werden sich freuen. Ich schätze nur, länger als dreißig Sekunden wirst du nicht heil bleiben.“
Er fuhr mit einer Hand über ihren Körper.
Sie wich zurück und gab ihm eine Ohrfeige.
Einen schrecklichen Moment lang wartete sie auf seine Reaktion. In seinen grausamen Augen blitzte etwas Gefährliches auf. „Du weißt nicht, welche Art von Krieg du entfacht hast, meine Liebe.“
Dann warf er sie aufs Bett.
„Verlier keine Zeit mehr! Satan wartet auf niemanden. Zögere die Angelegenheit nicht länger heraus und wage ja nicht zurückzukommen, ohne dass du deine Aufgabe erledigt hast!“
Massimo sah, wie Corbin die Treppe des Palazzo herunterkam. Als er den Diener passierte, der am Treppenabsatz stehen geblieben war, nickte ihm der Erzdämon höflich zu, dann verließ er das Haus.
Kurz darauf trat Luciana aus ihrem Schlafzimmer. Sie trug das weiße Abendkleid.
„Baronessa?“ Massimo hatte sofort die Würgemale an ihrem Hals bemerkt und dass aus ihrem linken Ohr Blut tropfte. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Indem du sofort von hier verschwindest. Geh fort und komm nicht wieder! Du musst vergessen, dass du mich jemals gekannt hast. Versprich mir, dass du gehen wirst!“
Sie sah ihn intensiv an, und schließlich nickte er.
Dann schritt sie die Treppe herunter an ihm vorbei und verließ das Haus.
Massimo beobachtete sie und wandte sich dann an Violetta.
„Sie geht zum La Fenice. Das ist dein Territorium. Geh hin und gib auf sie acht. Bitte tu es, um meinetwillen, auch wenn du sie hasst. Wenn sie Hilfe braucht, komm zurück und hol mich! Ich werde sie nicht verlassen. Nicht, wenn sie mich braucht.“
„Natürlich nicht“, sagte das Mädchen, ohne zu zögern, und legte ihm einen Geisterfinger auf die Lippen. „Wenn wir keine andere Chance bekommen, soll das unser Abschied sein.“
„Wir werden einander wiedersehen, meine Liebe“, versprach Massimo ihr, obwohl er mit schmerzender Gewissheit wusste, dass sie nicht mehr zusammenkommen würden. „Doch bis dahin wisse, dass ich dich aus meinem vollen dunklen Herzen liebe.“
Auf der anderen Seite des Kanals machte sich Brandon bereit für sein Rendezvous mit Luciana.
Er duschte in der improvisierten Dusche, die die venezianische Einheit im hinteren Teil des Hauses installiert hatte. Dafür war er dankbar. Das Wasser verschaffte seinem Körper Abkühlung und seinem Geist ein wenig Trost.
Das war in der Tat eine vollkommen andere Mission. Es stand immer noch so viel auf dem Spiel.
„Warum hat sie dich gebeten, sie in der Oper zu treffen?“, wollte Arielle wissen, die mit verschränkten Armen im Türrahmen stand. Sie sah ihm zu, wie er sich über einem steinernen Becken vor dem Spiegel rasierte. „Das ist doch ein seltsamer Treffpunkt.“
„Ehrlich gesagt, glaube ich, dass sie die Oper nur vorgeschlagen hat, weil ihr gerade nichts Besseres einfiel. Ich weiß ja auch nicht, wie sie tickt. Aber du willst doch, dass ich ihr Vertrauen gewinne, oder? Ist das nicht meine Aufgabe? Deshalb bin ich doch hier“, sagte er grimmig. „Und jetzt muss ich mich anziehen. Würdest du mir also bitte etwas Privatsphäre gewähren?“
Arielles Vorstellung von Privatsphäre bestand darin, sich umzudrehen und so zu tun, als schaue sie aus dem Fenster auf den Kanal. Eine Bemerkung konnte sie sich aber nicht verkneifen. „Du hast nichts an dir, was ich nicht schon mal gesehen hätte.“
Aber eben schon länger nicht mehr, dachte er genervt.
Brandon hatte große Lust, Arielle mit dieser Tatsache zu konfrontieren, aber er hielt sich zurück. Einer der größeren Schutzengel aus der venezianischen Einheit hatte ihm mit einem schwarzen Anzug und einem weißen Hemd ausgeholfen. Er zog seine Jeans aus und die Anzughose an, dann streifte er das Hemd über.
„Ich weiß nicht, wie die Italiener es aushalten, bei dieser Hitze in solchen Klamotten herumzulaufen.“ Arielle drehte sich um. Sie berührte das Hemd am Kragen. „Du siehst gleich ganz anders aus. Nicht mehr wie der Brandon, den ich kenne.“
Er schob ihre Hand weg und ging zur Tür.
„Bist du dabei, dich in sie zu verlieben?“ Mit dieser anscheinend nebenbei gestellten Frage sorgte Arielle dafür, dass er noch einmal stehen blieb.
Er drehte sich zu ihr um. Es war vielleicht zum ersten Mal, dass er auf Arielles Gesicht echte Gefühle entdeckte. Echte Stirnfalten, echte zusammengezogene Augenbrauen. Echten Schmerz.
„Natürlich nicht.“ Die Lüge brannte in seinem Mund, und er hasste sich dafür.
„Gut. Ich weiß, du bist dagegen, dass wir sie zurückführen, so wie es die Kompanie beschlossen hat. Aber anders würde es noch eine Ewigkeit dauern, sie zur Umkehr zu bewegen.“
„Ich verstehe“, sagte Brandon knapp. Er ahnte, was gleich kommen würde.
„Es ist das Beste für sie.“
Darauf erwiderte er nichts mehr, sondern verließ mit der Anzugjacke in der Hand das Haus, um die Dämonin zu treffen.