13
Die Fahrt zu Sylvias Haus verlief langsam, da der abendliche Berufsverkehr noch nicht abgeebbt war. Als er ins Haus trat, saß sie in ausgebleichten Blue Jeans und einem T-Shirt von der Grant High-School am Eßzimmertisch und las Lektüreberichte. Einen der Englischkurse, die sie in der elften Klasse an der Grant High-School im Valley unterrichtete, hieß »Los Angeles in der Literatur«. Sie hatte ihm erzählt, daß sie diese Klasse entwickelt hatte, damit die Schüler ihre Stadt besser kennenlernen würden. Die meisten kamen aus anderen Städten, anderen Ländern. In einer ihrer Klassen hätten die Schüler elf verschiedene Muttersprachen.
Er legte die Hand auf ihren Nacken und beugte sich hinab, um sie zu küssen. Die Hausarbeiten, die vor ihr lagen, behandelten Nathanael Wests Roman »Der Tag der Heuschrecken«.
»Hast du’s mal gelesen?« fragte sie.
»Vor langer Zeit. Eine Englischlehrerin in der High-School hat es uns aufgegeben. Sie war verrückt.«
Sie stieß ihm mit dem Ellbogen ins Bein.
»Okay, du Witzbold. Wir wechseln schwierige und leichte Bücher. Davor haben sie ›Der große Schlaf‹ gelesen.«
»Wahrscheinlich dachten sie, so sollte dieses Buch heißen.«
»Du bist ja heute gut drauf. Ist etwas Positives passiert?«
»Eigentlich nicht. Da draußen läuft nur Scheiße ab. Aber hier – ist es anders.«
Sie stand auf, und sie umarmten sich. Mit seiner Hand fuhr er ihren Rücken hinauf und hinab, so wie sie es gern hatte.
»Was passiert in dem Fall?«
»Nichts. Alles. Vielleicht lande ich im Dreck. Ich frage mich, ob ich danach einen Job als Privatdetektiv bekommen kann. Wie Marlowe.«
Sie machte sich frei.
»Wovon redest du?«
»Ich weiß es nicht. Von irgendwas. Ich muß heute abend noch was tun, ich werde am Küchentisch arbeiten. Du kannst hier bei deinen Heuschrecken bleiben.«
»Du bist mit dem Kochen dran.«
»Dann geh ich zum Colonel, Kentucky Fried Chicken.«
»Scheiße.«
»He, eine Englischlehrerin sollte so etwas nicht in den Mund nehmen. Was ist mit dem Colonel?«
»Er ist schon ein paar Jahre tot. Es macht nichts, es ist okay.«
Sie lächelte ihn an. Sie kannten dieses Spiel schon. Wenn er mit dem Kochen dran war, führte er sie meistens zum Essen aus. Er konnte ihr ansehen, daß sie enttäuscht war, mit gebratenem Hähnchen vom Imbiß abgespeist zu werden. Aber es gab zu viel zu tun, zu viel, worüber er nachdenken mußte.
Wenn er ihr Gesicht ansah, wollte er ihr am liebsten alle Sünden beichten. Aber er wußte, daß er dazu nicht in der Lage war. Und sie wußte es auch.
»Ich habe heute einen Mann gedemütigt.«
»Was? Warum?«
»Weil er Frauen erniedrigt.«
»Alle Männer tun das, Harry. Was hast du getan?«
»Ich habe ihn zu Boden geschlagen, vor den Augen seiner Frau.«
»Er verdiente es sicher.«
»Ich möchte nicht, daß du morgen zum Gericht kommst. Ich werde wahrscheinlich von Chandler in den Zeugenstand gerufen, aber ich möchte nicht, daß du da bist. Es wird ziemlich schlimm werden.«
Sie schwieg einen Moment.
»Warum tust du das, Harry. Du erzählst mir all diese Dinge von deiner Arbeit, aber den Rest behältst du für dich. In mancher Hinsicht sind wir so intim und in anderer … Du erzählst mir von dem Mann, den du niedergeschlagen hast, aber nicht von dir. Was weiß ich von dir, von deiner Vergangenheit? Ich will, daß wir den Punkt erreichen, Harry. Wir müssen – oder wir erniedrigen uns am Ende gegenseitig. So ist es schon einmal für mich ausgegangen.«
Bosch nickte und sah auf den Boden. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Ihn bedrückten zu viele andere Sachen, um jetzt noch darüber zu sprechen.
»Was für ein Hähnchen willst du? Extra knusprig?« fragte er schließlich.
»Okay.«
Sie kehrte zu ihren Hausarbeiten zurück, und er ging, um das Abendessen zu besorgen.
Nachdem sie mit dem Essen fertig waren, und sie zum Eßzimmertisch gegangen war, öffnete er seine Aktentasche auf dem Küchentisch und holte die blauen Mordbücher heraus. Auf dem Tisch war eine Flasche Henry Weinhard’s, aber keine Zigaretten. Er würde nicht im Haus rauchen. Wenigstens nicht, solange sie wach war.
Er öffnete den ersten Ordner und breitete die abgehefteten Berichte zu jedem der elf Opfer auf dem Tisch aus. Mit der Bierflasche in der Hand stand er auf, um einen besseren Überblick zu haben. Oben auf jedem Bericht war ein Foto der Leiche, wie sie gefunden worden war. Elf dieser Fotos lagen vor ihm auf dem Küchentisch. Er ließ sich die Fälle durch den Kopf gehen und begab sich dann ins Schlafzimmer. Er sah in dem Anzug nach, den er gestern getragen hatte. Das Polaroid-Bild der Beton-Blondine steckte noch in der Tasche.
Er nahm es mit in die Küche und legte es auf den Tisch zu den anderen. Nummer zwölf. Eine Schreckensgalerie zerstörter, mißhandelter Körper mit knalligem Make-up und geschminktem Lächeln unter toten Augen. Die Leichen waren nackt dem grellen Licht des Polizeifotografen ausgeliefert.
Bosch trank die Flasche aus und starrte weiter. Er las die Namen und Todesdaten, betrachtete ihre Gesichter – verlorene Engel in der Stadt der Nacht. Er merkte erst, daß Sylvia hereinkam, als es zu spät war.
»Mein Gott«, flüsterte sie, als sie die Fotos sah, und machte einen Schritt zurück. In der einen Hand hielt sie eine Hausarbeit, mit der anderen bedeckte sie ihren Mund.
»Es tut mir leid, Sylvia«, sagte Bosch. »Ich hätte dich warnen sollen, nicht hereinzukommen.«
»Das sind die Frauen?«
Er nickte.
»Was tust du?«
»Ich bin mir nicht sicher. Ich versuche irgendwie weiterzukommen. Vielleicht bringt es mich auf irgendeine Idee, wenn ich sie mir alle ansehe. Vielleicht verstehe ich dann, was passiert ist.«
»Aber wie kannst du dir das ansehen? Du warst ganz in ihrem Anblick versunken.«
»Weil ich muß.«
Sie sah auf das Blatt in ihrer Hand.
»Was ist das?« fragte er.
»Ach nichts. Einer meiner Schüler hat etwas geschrieben. Ich wollte es dir vorlesen.«
»Fang an.«
Er ging zur Wand und schaltete die Lampe über dem Tisch aus. Die Fotos und Bosch wurden von der Dunkelheit eingehüllt. Sylvia stand in dem Licht, das vom Eßzimmer in die Küche fiel.
»Fang an.«
Sie hielt das Blatt hoch und sagte: »Es ist von einem Mädchen. Sie schrieb: ›West präfigurierte das Ende der goldenen Jahre von Los Angeles. Er sah, daß die Stadt der Engel eine Stadt der Verzweifelten werden würde, ein Ort, an dem die Hoffnung der wütenden Meute zum Opfer fällt. Sein Buch war die Warnung.‹«
Sie sah auf.
»Sie schreibt noch mehr, aber das war der Teil, den ich dir vorlesen wollte. Sie ist erst im zehnten Schuljahr aber nimmt schon fortgeschrittenere Kurse. Irgendwie hat sie etwas ganz Bewegendes hier erfaßt.«
Er bewunderte sie, weil ihr alles Zynische fremd war. Sein erster Gedanke war gewesen, daß das Mädchen es abgeschrieben hatte. Woher sollte sie das Wort »präfigurieren« kennen. Aber Sylvia sah darüber hinweg. Sie sah das Schöne in den Dingen. Er sah die Dunkelheit.
»Es ist gut«, sagte er.
»Sie ist Afro-Amerikanerin. Sie kommt mit dem Bus – ich glaube aus dem Crenshaw-Bezirk. Sie ist eine meiner intelligentesten Schülerinnen, aber ich mache mir Sorgen, weil sie mit dem Bus fährt. Sie sagt, die Fahrt dauert fünfundsiebzig Minuten, und in der Zeit liest sie, was ich ihr aufgebe. Aber ich mache mir Sorgen. Sie wirkt so sensibel, vielleicht zu sensibel.«
»Mit der Zeit wird ihr schon eine Hornhaut übers Herz wachsen. Wie jedem.«
»Nein, nicht jedem, Harry. Deshalb mach ich mir Sorgen um sie.«
Sie schaute lange zu ihm in die Dunkelheit hinüber.
»Es tut mir leid, daß ich dich gestört habe.«
»Du störst mich nie, Sylvia. Entschuldige, daß ich das mitgebracht habe. Wenn du willst, kann ich gehen und es mit zu mir nehmen.«
»Nein, Harry, ich will dich hier haben. Soll ich Kaffee kochen?«
»Nein, ich brauche nichts.«
Sie ging zurück ins Wohnzimmer, und er schaltete das Licht wieder an. Er betrachtete wieder die Bilder. Obwohl sie sich wegen des vom Killer aufgetragenen Make-ups im Tod ähnelten, fielen sie in unterschiedliche Kategorien in bezug auf Rasse, Größe, Haarfarbe, etc.
Locke hatte der Fahndungsgruppe erklärt, dies bedeute, daß der Killer nicht wählerisch sei. Ihm ginge es nicht um einen bestimmten Typ, sondern nur darum, ein Opfer zu finden, daß er dann seinem erotischen Programm einverleiben könne. Es sei ihm ganz egal, ob sie schwarz oder weiß seien, solange er sie ohne große Gefahr töten könne. Er schwimme ganz unten im Menschenmeer, wo die Frauen schon Opfer waren, bevor sie in seine Hände fielen. Es waren Frauen, die ihre Körper schon lange an fremde Hände und Augen ausgeliefert hatten. Sie waren dort draußen und warteten auf ihn. Die entscheidende Frage war jetzt, ob der Puppenmacher auch noch dort draußen sein Unwesen trieb.
Er setzte sich und nahm aus einem Ordner eine Karte von West L. A. Die Faltstellen knisterten und rissen an einigen Stellen ein, als er sie öffnete und auf den Fotos ausbreitete. Die schwarzen Klebepunkte, die die Leichenfundstellen bezeichneten, waren noch an ihren Plätzen. Neben jedem schwarzen Punkt stand der Name des Opfers und wann sie gefunden wurden. Die Fahndungsgruppe hatte bis zum Tod von Church ihrer geographischen Verteilung keine Bedeutung zugemessen. Die Leichen hatte man an Orten zwischen Silverlake und Malibu gefunden. Der Puppenmacher hatte den ganzen Westteil der Stadt mit seinen Opfern übersät. Allerdings waren die meisten Leichen in Silverlake und Hollywood gefunden worden, nur je eine in Malibu und West Hollywood.
Der Fundort der Beton-Blondine lag viel weiter südlich als der der vorherigen Leichen. Sie war als einzige vergraben worden. Locke hatte gesagt, daß der Mörder die Leichen dort hinlegte, wo es für ihn am einfachsten war. Dies schien nach Churchs Tod bestätigt zu werden. Vier der Opfer hatte er nur eine Meile von seinem Apartment in Silverlake fortgeschafft. Die anderen vier waren im Osten von Hollywood gefunden worden, ebenfalls nur eine kurze Fahrtstrecke entfernt.
Die Daten hatten nichts für die Ermittlungen gebracht. Kein Muster. Zuerst schienen die Zeitabstände zwischen den Funden abzunehmen, aber dann gab es größere Abweichungen. Anfänglich waren die Intervalle zwischen den Morden fünf Wochen lang, dann zwei, dann drei. Es gab nichts her für die Untersuchung, und die Detectives beachteten es nicht mehr.
Bosch machte weiter. Er las das biographische Material durch, das man für jedes Opfer zusammengestellt hatte. Es war meistens spärlich – zwei bis drei Seiten über ihr trauriges Leben. Eine der Frauen, die nachts auf dem Hollywood Boulevard angeschafft hatte, hatte tagsüber eine Ausbildung als Kosmetikerin gemacht. Eine andere hatte regelmäßig Geld nach Chihuahua in Mexiko zu ihren Eltern geschickt, die glaubten, sie hätte einen tollen Job als Führerin im berühmten Disneyland. Es gab manchmal eigenartige Übereinstimmungspunkte zwischen den Opfern, aber nichts, womit man etwas anfangen konnte.
Drei der Huren vom Boulevard gingen zu dem gleichen Doktor, um ihre wöchentliche Tripperspritze zu bekommen. Daraufhin wurde er drei Wochen observiert. Eines Nachts, als der Arzt beobachtet wurde, gabelte dann der wirkliche Puppenmacher eine Prostituierte auf dem Sunset Boulevard auf, deren Leiche man am nächsten Morgen in Silverlake fand.
Zwei der anderen Frauen hatten auch den gleichen Arzt, einen Schönheitschirurgen aus Beverly Hills, der ihre Brüste vergrößert hatte. Die Fahndungsgruppe hatte diese Entdeckung gefeiert, weil ein kosmetischer Chirurg das Aussehen verändert, ähnlich dem Vorgehen des Puppenmachers, der Make-up benutzte. Der Kosmetiker, wie er von den Cops genannt wurde, wurde ebenfalls observiert. Aber er tat nichts Verdächtiges und schien eine Bilderbuchehe mit seiner Frau zu führen, deren Körper er nach seinem Geschmack geformt hatte. Er stand immer noch unter Beobachtung, als Bosch den Telefonanruf entgegennahm, der zum Tod von Norman Church führte.
Soweit Bosch wußte, hatte keiner der Ärzte je geahnt, daß er beobachtet wurde. Bremmer hatte ihre Namen in seinem Buch geändert.
Als er zwei Drittel des Hintergrundmaterials durchgesehen hatte und bei Nicole Knapp, dem siebten Opfer, angelangt war, erkannte Bosch das Muster im Muster. Irgendwie hatte er es vorher übersehen. Sie alle hatten es. Die Fahndungsgruppe, Locke, die Medien. Sie hatten die Opfer alle in die gleiche Kategorie eingeordnet. Eine Hure ist eine Hure ist eine Hure. Aber es gab Unterschiede. Es gab Straßendirnen und solche, die für Escort-Services tätig waren. Innerhalb dieser zwei Gruppen waren einige Striptease-Tänzerinnen und eine war eine Telegramm-Stripperin. Zwei arbeiteten im Pornogeschäft – wie auch das neueste Opfer: Becky Kaminski – und machten nebenbei Hausbesuche als Nutten.
Bosch nahm das Material und die Fotos von Nicole Knapp, dem siebten Opfer, und Shirleen Kemp, dem elften Opfer, vom Tisch. Unter den Namen Holly Lere beziehungsweise Heather Cumhither traten sie in Pornovideos auf.
Dann blätterte er einen der Ordner durch, bis er den Bericht zu der einzigen Überlebenden fand, der Frau, die entkommen war. Auch sie war Pornodarstellerin, die nebenbei als Callgirl arbeitete. Ihr Name war Georgia Stern, alias Velvet Box. Sie war zum Hollywood Star Motel gegangen, wo sie einen Kunden traf, der ihr durch den Callgirl-Service vermittelt worden war, der in den lokalen Sexblättern annoncierte. Dort angekommen hatte der Kunde sie gebeten, sich auszuziehen. Dazu drehte sie sich um, falls der Mann auf der schamhaften Tour stand. Als nächstes sah sie, wie der Lederriemen ihrer Handtasche ihr über den Kopf geworfen wurde. Dann begann der Mann sie von hinten zu würgen. Sie wehrte sich wie wahrscheinlich alle Opfer, aber sie war in der Lage, sich freizukämpfen, indem sie ihm den Ellbogen in die Rippen rammte, sich dann umdrehte und ihm einen Tritt in die Geschlechtsteile versetzte.
Alle Schamhaftigkeit vergessend, rannte sie nackt aus dem Zimmer. Als die Polizei eintraf, war der Täter geflohen. Es dauerte drei Tage, bis die Nachricht von dem Vorfall zur Fahndungsgruppe gelangt war. Zu dem Zeitpunkt war das Hotelzimmer schon dutzendemal benutzt worden – das Hollywood Star war ein Stundenhotel – und es hatte keinen Sinn mehr, noch Beweismaterial zu sammeln.
Beim Durchlesen des Berichts begriff Bosch, warum das Phantombild, bei dem Georgia Stern dem Porträtzeichner der Polizei geholfen hatte, so ganz anders als Norman Church aussah.
Es war ein anderer Mann gewesen.
Eine Stunde später schlug er in einem der Hefter die letzte Seite auf, wo er die Adressen und Telefonnummern der Hauptmitarbeiter der Fahndungsgruppe aufgelistet hatte. Er ging zum Telefon, das an der Wand hing, wählte Dr. John Lockes Privatnummer und hoffte, daß der Psychologe in den letzten vier Jahren seine Telefonnummer nicht geändert hatte.
Nach dem fünften Läuten nahm Locke den Hörer ab.
»Entschuldigen Sie, Dr. Locke, ich weiß, es ist schon spät. Hier spricht Harry Bosch.«
»Harry, wie geht es Ihnen? Es tut mir leid, daß wir heute nicht miteinander sprechen konnten. Die Situation ist sicher nicht sehr angenehm für Sie, aber …«
»Ja, Doktor. Hören Sie zu. Ich habe etwas entdeckt. Es hat mit dem Puppenmacher zu tun. Es gibt ein paar Sachen, die ich mit Ihnen ansehen und besprechen will. Wäre es möglich, daß ich vorbeikomme?«
Es gab eine lange Pause, bevor Locke antwortete.
»Geht es um den neuen Fall, über den ich in der Zeitung gelesen habe?«
»Ja, darum und um ein paar andere Sachen.«
»Nun es ist schon fast zehn. Sind Sie sicher, daß das nicht bis morgen Zeit hat?«
»Morgen bin ich im Gericht, Doktor, den ganzen Tag. Es ist wichtig, und ich wüßte es sehr zu schätzen, wenn Sie Zeit hätten. Ich bin bis elf Uhr bei Ihnen und gehe wieder vor zwölf.«
Als Locke nichts sagte, fragte Harry sich, ob der Doktor Angst vor ihm hatte oder ganz einfach keinen Killer-Cop in seinem Haus haben wollte.
»Außerdem«, beendete Bosch das Schweigen, »glaube ich, daß Sie es interessant finden werden.«
»Nun gut«, sagte Locke.
Nachdem er die Adresse aufgeschrieben hatte, legte Bosch den ganzen Papierkram wieder in die zwei Ordner. Sylvia kam in die Küche, nachdem sie an der Tür kurz innegehalten hatte, um sicher zu sein, daß die Fotos wieder verschwunden waren.
»Ich habe dich sprechen hören. Fährst du heute noch zu ihm?«
»Ja, jetzt gleich. Zum Laurel Canyon.«
»Was ist los?«
Er unterbrach sein überhastetes Zusammenpacken; die beiden Hefter hatte er sich unter den rechten Arm geklemmt.
»Ich – das heißt, wir haben etwas übersehen. In der Fahndungsgruppe. Wir haben Mist gebaut. Ich glaube, es waren von Anfang an zwei, aber mir ist es erst jetzt aufgegangen.«
»Zwei Mörder?«
»Ich glaube ja. Ich will Locke darüber ein paar Fragen stellen.«
»Kommst du heute nacht wieder zurück?«
»Ich weiß es nicht, es wird spät werden. Ich dachte, ich fahre zu mir nach Hause, seh’ nach, was für Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter sind, und ziehe mir ein paar saubere Sachen an.«
»Sieht nicht gut aus mit dem Wochenende, oder?«
»Was … Ach ja, Lone Pine. Ja, mh, ich …«
»Das macht nichts. Aber ich werde vielleicht zu dir kommen wollen, wenn hier Hausbesichtigung ist.«
»Sicher.«
Sie begleitete ihn zur Tür und öffnete sie. Sie bat ihn, vorsichtig zu sein und sie am nächsten Tag anzurufen. Er versprach es. An der Schwelle zögerte er. Dann sagte er: »Weißt du, du hattest recht.«
»Womit.«
»Was du über Männer gesagt hast.«