3. Kapitel
Tonya hatte geduscht und sich mit Hautcreme eingerieben – Letzteres vergaß sie oft aus Gedankenlosigkeit – und hatte sich einen kuscheligen rosafarbenen Trainingsanzug und warme Socken angezogen. Soeben hatte sie im Ofen Holz gegen die beginnende Kälte nachgelegt, als der erste Blitz die Fenster der kleinen Hütte erleuchtete.
Während sie ihre Haare mit einem Badetuch abrubbelte, zählte sie gewohnheitsmäßig die Sekunden zwischen Blitz und Donner. "Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dr..."
Wäre das Geschirr nicht bereits gehörig angeschlagen gewesen, hätte der markerschütternde Donnerschlag das besorgt.
"Das war knapp." Sie schaute zum Dach hoch und horchte auf das Trommeln des Regens. Eine Badekabine aus Metall war nicht der richtige Aufenthaltsort bei so einem Gewitter, und so war sie froh, dass sie sich nach Websters Aufbruch mit dem Duschen und Haarewaschen beeilt hatte.
Sie reckte sich, um die Öllampe auf dem hölzernen Bücherregal, das mit Westernromanen des einstmals sehr beliebten Schriftstellers Zane Grey und uralten Bauernkalendern gefüllt war, zu erreichen. Charlie Ericksons Bücherschatz war zwar begrenzt, aber heiß geliebt, nach dem Zustand der Bände zu schließen.
Anstatt sich um Webster Tyler zu sorgen und sich zu fragen, ob er es geschafft hatte, noch vor Ausbruch des Unwetters die Hauptstraße zu erreichen, dachte sie an Charlie. Wie mochte es ihm gehen? Der Regen prasselte auf seine Hütte, der Sturm zerrte an den verwitterten Balken, peitschte die Fichten und Eschen.
Äste schlugen aufs Dach. "Das Haus hat schon viele Stürme überstanden", sagte sie laut zu sich selbst. Das Licht flackerte, doch erstaunlicherweise hielt die Stromleitung stand.
Tonya stellte die Lampe auf den Tisch und dachte an Charlie, der sechzig von seinen achtzig Jahren in dieser Hütte zugebracht hatte, lange bevor die Stromund Telefonkabel gelegt worden waren. Er liebte die Einsamkeit, die Natur und vor allem seine Bären. Er hatte die Bären mit Nüssen, Beeren und Hundefutter auf sein Grundstück gelockt, um sie vor Jägern und Wilderern in Sicherheit zu bringen.
Gestern hatte sie ihn im Krankenhaus angerufen und ihm versichert, dass sie sich um alles kümmerte. Er hatte ihr versprechen müssen, sich Ruhe zu gönnen und auf den Arzt zu hören. Zwar hatte er den Herzanfall vor drei Wochen überlebt, aber um vollständig zu genesen, musste er sich schonen.
Inzwischen trommelte der Regen in Strömen auf das Schindeldach und schoss über die Gauben herunter. Es war nicht das erste Unwetter, das Tonya seit ihrer Ankunft erlebte. Minnesota war ein Land der Extreme. Es gab extreme Hitze und extreme Kälte, und manchmal, so wie heute, beides am selben Tag. Und es war wunderschön und zuweilen extrem einsam.
Gut, dass Charlie es in seinem Klinikbett in International Falls warm und bequem hatte. Eine ältere Frau namens Helga sah täglich nach ihm, umsorgte ihn hingebungsvoll und munterte ihn mit ihrer guten Laune auf.
"Sie ist bloß eine Bekannte", hatte Charlie Tonya bei ihrem Besuch vor zwei Tagen versichert.
"Wenn du es sagst, Charlie", hatte sie erwidert und dabei gelacht.
Ein neuer Donnerschlag, heftig wie ein Peitschenknall, erschütterte die Hütte.
Tonya beschloss, lieber auf Nummer sicher zu gehen, und suchte nach Streichhölzern für den Fall, dass das Licht ausging. In der Besteckschublade fand sie eine Schachtel Streichhölzer und eine Kerze. In dem Moment, als sie ein Hölzchen anstrich, flackerte das Licht und ging aus, gefolgt von einem grellen Blitz.
"Glück gehabt", sagte Tonya zu sich selbst, während sie den Glaszylinder der Lampe abnahm, um den Docht entzünden zu können. Dann stülpte sie den Zylinder über die Flamme, und der sanfte Lichtschein erhellte die Hütte. Der leichte Kirschduft des Lampenöls mischte sich mit dem Duft des regennassen Waldes und Tonyas Shampoo.
"Und ich führe schon wieder Selbstgespräche", setzte sie hinzu. Da sie so viel allein war – entweder auf Fotosafari in entlegenen Weltgegenden oder zur Erholung in ihrer Freizeit –, bekam sie oft nur ihre eigene Stimme zu hören.
Charlie hatte das verstanden. Das alte Raubein war ihr sehr ähnlich. Und er ähnelte seinen Bären. Ein mürrischer, aber harmloser Geselle, der in seinem geliebten Wald umherstreifte und das Gebiet kannte wie seine Hosentasche. Genau wie Tonya war er ein Einzelgänger und glücklich damit. Allerdings war er keineswegs ungesellig, wie es manche Tonya unterstellten. Er hatte das Zusammensein mit ihr genossen und sie ohne Zögern zum Bleiben aufgefordert, als sie mit ihrer Fotoausrüstung, ihren Campingutensilien und der Bitte um Erlaubnis zum Fotografieren seiner Bären bei ihm angekommen war.
Wieder zerriss ein Blitz die Finsternis. Der Donner folgte diesmal so schnell, dass Tonya zusammenzuckte. Unwillkürlich legte sie die Hand auf ihr pochendes Herz.
"Meine Güte!" stieß sie hervor. "Der hat bestimmt in einen Baum eingeschlagen."
Interessehalber nahm sie den Telefonhörer ab. Wie erwartet, war die Leitung tot. Die Drähte führten meilenweit über unbewohntes Land, und so beschädigte ein abgebrochener Ast oder ein umgestürzter Baum sie oft, dazu brauchte es mitunter nicht einmal ein Unwetter wie dieses.
Erneut dachte sie automatisch an Webster Tyler. Aus irgendeinem Grund behagte es ihr nicht, ihn bei diesem schrecklichen Unwetter allein da draußen zu wissen.
"Er ist ein erwachsener Mann, er kann selbst auf sich aufpassen."
Zumindest in der Stadt konnte er das. Hier in der Wildnis war er eindeutig im Nachteil. Tonya schüttelte den Kopf bei dem Gedanken daran, wie tadellos seine teure Freizeitkleidung gesessen hatte. Eben der typische Städter, der in jeder Situation passend angezogen sein möchte. Aber auch wenn er in einem alten T-Shirt und löcherigen Jeans aufgetaucht wäre, hätte ein einziger Blick auf seinen perfekten Haarschnitt und die gepflegten Fingernägel genügt, um den Stadtmenschen zu erkennen.
Ihr jedenfalls hatte ein Blick genügt. Selbst jetzt ging ihr Puls schneller, und das keineswegs wegen des Gewitters.
Seit zwölf Jahren redete sie sich ein, ihre Schwärmerei für Webster überwunden zu haben. Offenbar hatte sie sich die ganze Zeit etwas vorgemacht. Dabei erinnerte er sich nicht einmal an sie. Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Fast hätte sie tatsächlich gelacht, doch in diesem Augenblick sprang die Hüttentür auf, schlug mit einem Knall gegen die Wand und jagte ihr einen Schreck fürs Leben ein.
Ein paar Herzschläge lang stand sie wie erstarrt da, die Augen weit aufgerissen, während ein tropfnasser, sehr zorniger Mann im Türrahmen erschien wie eine Gestalt aus einem Gruselfilm.
Die schlammbedeckte Gestalt schloss die Tür und knurrte: "Danke für den herzlichen Empfang. Ich komme gern herein."
Tonya wusste nicht, sollte sie vor Erleichterung lachen, weil es kein Axtmörder war, oder sollte sie mit ihrem Schicksal hadern, weil es Webster Tyler wieder auf ihre Türschwelle geweht hatte.
Eine Stunde lang hatte Webster Rot gesehen. Jetzt sah er nur Rosa. Rosa Socken, rosa Wangen, rosa Lippen. Die wilde Tonya Griffin in Pink war anbetungswürdig. Das feuchte Haar fiel ihr auf die Schultern und den Rücken, sie sah sanft und feminin aus und … Ach, verflixt, jetzt war nicht der passende Moment für romantische Anwandlungen.
Durchnässt und durchgefroren, war er heilfroh, dieser Sintflut draußen entronnen zu sein. Seine Reaktion auf Tonya würde er später analysieren, wenn seine Stiefel nicht mehr voller Schlamm waren und seine Zähne nicht mehr aufeinander schlugen. Wenn sein Gehirn wieder wie gewohnt funktionierte und er Tonya als das sah, was sie war – ein Problem, das er mit Geschick und Überredungskunst zu bewältigen hatte. Und das möglichst schnell, damit er wieder in die Zivilisation zurückkehren konnte, wo Bären nur im Zoo herumspazierten und "Nachtwanderungen" für ihn nicht mehr bedeuteten als einen Gang in die nächste Bar.
Vorerst wäre er jedoch zufrieden mit trockener Kleidung und ein paar Litern von dem heißen Kräutertee, den Tonya ihm vor dem Gewitter serviert hatte. Alles wäre ihm recht, solange es nur die schreckliche Kälte aus seinen Gliedern vertrieb.
"Alles in Ordnung?" erkundigte sich Tonya zögernd.
"Abgesehen davon, dass ich mich gerade noch mit Ach und Krach aus meinem zerquetschten Mietwagen befreien konnte, nachdem ein Baum darauf gestürzt war, ja."
"Allmächtiger!"
Webster brummte nur etwas, das sie nicht verstand, denn ein heftiger Schauer durchfuhr ihn.
Nun machte sie sich doch Sorgen. "Du frierst. Du musst aus den nassen Kleidern heraus und etwas Trockenes anziehen."
Er ließ seine Segeltuchtasche, die er über der Schulter getragen hatte, auf den Boden fallen. Wasser rann heraus. "Falls du nicht etwas in einer großen Männergröße hier hast, werde ich wohl weiter leiden müssen."
"Ich werde schon etwas auftreiben", erwiderte sie leichthin. "Zieh erst mal das Hemd aus."
Bei jeder anderen Frau hätte er das als Einladung zu mehr verstanden. Bei dieser Frau war es lediglich ein nüchterner Befehl ohne jeden sexuellen Unterton.
"Was ist passiert?" fragte sie. Seine eiskalten Finger waren steif wie Schraubenzieher, ungeschickt zerrte er an den Knöpfen.
"Fast hätte es mich erwischt", begann er. Ein neuer Kälteschauer jagte ihm über den Rücken. "Als ich durch eine Bodendelle fuhr, ging der Motor aus."
"Eine tiefe Delle?"
"Oh, der Wasserspiegel war ungefähr einen Meter hoch."
Sie murmelte etwas vor sich hin – er hörte etwas wie "Narr" und "sträflicher Leichtsinn, auf überfluteten Straßen zu fahren". Da sie seine Schwierigkeiten erkannte, schob sie seine Hände sanft weg und knöpfte ihm das Hemd selbst auf.
"Ja, die Welt ist voller Narren", bestätigte er. Er zitterte so sehr, dass er die Zähne zusammenbeißen musste, damit ihm nicht die Füllungen herausfielen. "Ich konnte gerade noch meine Tasche schnappen und aussteigen, bevor ich ein lautes Krachen hörte. Es war wie ein Erdbeben."
"Wie ein umstürzender Baum."
"Mitten auf das Auto", setzte er hinzu. Plötzlich machte es ihm sehr zu schaffen, dass sie ihm das Hemd aus dem Bund zog, es über seine Schultern herunterstreifte.
"Ein großer Baum?"
"Kaliber Urwaldriese."
Sie warf ihm einen fragenden Blick zu.
"Okay, stell dir vor, du stehst da und schaust hoch, und ein Baumwipfel kommt auf dich zu. Dann hast du garantiert dasselbe Gefühl. Immerhin war er so groß, dass das Auto jetzt flach wie ein Pfannkuchen ist."
Tonya erstarrte. "War es so schlimm? Ist es noch fahrtüchtig?"
"Fahrtüchtig? Honey, es ist nicht mehr zu sehen."
Die schmalen Finger, sanft und heiß wie Feuer auf seiner unterkühlten Haut, zögerten. Dann glitten sie unerwartet sinnlich über seine Schulterblätter, während sie ihn herumdrehte und seinen Rücken untersuchte.
"Au." Webster zuckte zusammen, denn sie hatte eine empfindliche Stelle berührt.
"Der Baum hatte es augenscheinlich auf dich abgesehen", bemerkte Tonya.
"Ich weiß, etwas traf mich, aber ich habe mich nicht damit aufgehalten, nachzusehen, was es war."
"Setz dich", befahl Tonya und rückte ihm einen Stuhl am Tisch zurecht.
"Ich werde alles schmutzig machen."
"Morgen kommt die Putzfrau", entgegnete sie trocken. Dann ging sie ins Bad und kehrte mit mehreren Handtüchern zurück.
"Dies ist eine Blockhütte", erläuterte sie, als er noch immer am Fleck stand. "Eine alte. Der Fußboden hat schon mehr erlebt als ein bisschen Schmutz und Wasser. Und jetzt komm her, damit ich deine Schulter bei Licht betrachten kann."
Von sanften Tönen hielt sie offenbar nichts. Er streifte seine Stiefel und die triefend nassen Socken ab, ließ sie zusammen mit seinem durchweichten Hemd in einem Häufchen an der Tür liegen und ging steifbeinig zum Tisch.
Dankbar nahm er ein Handtuch entgegen, trocknete sein Gesicht und rubbelte sich die Haare ab. Inzwischen nahm Tonya die Lampe vom Tisch und untersuchte seinen Rücken.
"Tut das weh?" Sie drückte auf sein Schulterblatt.
Er schüttelte den Kopf. Ihre Hände waren warm auf seiner nackten Haut, und wieder erschauerte er, aber diesmal nicht vor Kälte.
"Und das?"
"Au! Ja!" schrie er, als sie stärker drückte. "Ist das die Reaktion, die du wolltest? Es schmerzt höllisch. Zufrieden?"
"Teilweise", erwiderte sie barsch, doch sie wurde vorsichtiger.
Sie beugte sich über ihn, um die Lampe wieder auf den Tisch zu stellen. Dass ihre Brüste dabei seinen Rücken streiften, war Zufall. Sie waren warm und fest, und es erregte ihn, obwohl er sich wie ein Eiszapfen fühlte.
Behutsam hob sie seine Arme, bewegte sie in verschiedene Richtungen, prüfte die Funktionsfähigkeit.
"Es ist nur eine Prellung", stellte sie schließlich fest und ließ von ihm ab. "Eine starke zwar, aber es ist offenbar nichts gebrochen."
Er ließ die Schulter kreisen und unterdrückte einen Aufschrei. "Tut mir Leid, dass ich dich enttäuschen muss."
Schweigend ging sie zu einem Schrank und holte eine Flasche kanadischen Whisky heraus. Ihm kamen vor Dankbarkeit fast die Tränen, als sie ein Glas damit füllte und es ihm reichte.
"Der wird dich aufwärmen."
Webster genoss den ersten Schluck wie bisher selten etwas. Derweil wühlte sie in einer Kommode und förderte einen Stapel Kleidung zu Tage.
"Dies gehört Charlie." Sie gab ihm ein dickes Flanellhemd, eine weiche, abgetragene Jeans und warme Socken. "Die Sachen werden dir zu groß sein, aber sie sind warm, und das brauchst du jetzt dringend. Zieh sofort die nassen Hosen aus. Das Bad ist dort."
Webster war so steif vor Kälte, dass er sich fühlte wie achtzig anstatt fünfunddreißig, als er aufstand. Er meinte sogar, seine Gelenke knacken zu hören. Barfüßig, mit blau gefrorenen Zehen, schlurfte er ins Bad.
Er sollte sich wohl bedanken oder sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigen, aber trotz seines desolaten Zustands war er wach genug, um zu erkennen, dass dies seine große Chance war, sein Ziel doch noch zu erreichen. Nachdem er seine erste und hoffentlich letzte Sintflut überlebt hatte, befand er sich in einer ausgezeichneten Verhandlungsposition. Er war Tonya Griffins Wohngenosse. Zumindest für eine Nacht. Gewiss, absichtlich wäre er nie so weit gegangen für eine Gelegenheit, noch ein Mal mit ihr zu sprechen. So verzweifelt war er wirklich nicht, um sich halbwegs zu ertränken und sein Auto von einem Baum vernichten zu lassen, aber da es nun mal passiert war, konnte er die Situation getrost ausnutzen. Ein guter Geschäftsmann verließ sich ebenso auf Glück wie auf Raffinesse. Und ein guter Geschäftsmann war er, daran gab es keinen Zweifel.
Zwar war er kein Überlebensexperte in der Wildnis, doch so weit kannte er sich aus, um zu wissen, dass die Straße zur Zivilisation blockiert war. Niemand würde aus diesem Waldstück herausoder hineingelangen, heute nicht und wahrscheinlich auch in den nächsten Tagen nicht. Das bedeutete, Tonya musste sich mit seiner Gegenwart abfinden. Das wiederum bedeutete, sein Publikum konnte nicht entrinnen.
Es war eine hervorragende Chance, sie zu überreden. Mit Chancen konnte er umgehen. Dieses Spiel beherrschte er. Sollte er nicht in der Lage sein, eine starrköpfige, in Bären vernarrte, ungesellige Fotografin dazu zu bringen, reich und berühmt zu werden, würde er das Handtuch werfen.
"Hier", sagte sie hinter ihm, als er gerade die Badezimmertür schließen wollte. Er drehte sich um, und Tonya reichte ihm eine brennende Kerze. "Die wirst du brauchen, sonst siehst du nichts."
Er streckte die Hand aus, und sie sahen beide, wie stark sie zitterte. Trotz des Whiskys kam er sich vor wie ein Eiswürfel. Tonya langte an ihm vorbei und stellte die Kerze auf eine kleine Kommode.
"Ich wünschte, ich könnte dir eine heiße Dusche bieten. Aber da die Stromleitungen unterbrochen sind, funktioniert die Wasserpumpe nicht. In ein paar Minuten habe ich einen Topf Wasser auf dem Herd erwärmt, damit kannst du dich wenigstens waschen. Der Regen hat den meisten Schmutz ohnehin abgespült."
Damit schloss sie die Tür.
Webster schaute sich im flackernden Kerzenschein um – und erblickte zu seiner Überraschung ein pinkfarbenes Spitzenhöschen mit passendem BH über der Stange, an der der Duschvorhang angebracht war.
Selbst in seinen kühnsten Träumen hätte er sich nicht vorgestellt, dass Tonya Griffin unter ihrem militärisch anmutenden Outfit das Gefühl von Spitze auf der Haut schätzte. Oder dass ihn der Anblick ihrer Dessous dermaßen erregen würde.
Er konnte nicht umhin, er streckte die Hand aus und berührte das seidige Nichts.
Es war feucht. Wahrscheinlich hatte sie die Sachen heute gewaschen.
Dann begann er wieder heftig zu zittern. Langsam streifte er seine durchnässte Hose ab und legte sie in die Duschwanne. Jetzt trug er nur noch seine feuchten Boxershorts. Er wärmte sich die Hände über der Kerzenflamme und starrte auf die verführerischen pinkfarbenen Spitzendessous, als er ein leises Klopfen an der Tür hörte.
"Warmes Wasser", verkündete sie.
Als er die Tür öffnete, war Tonya nirgends zu sehen, nur ein Topf mit Wasser stand am Boden.
Begierig griff er danach und musste lachen über seine Vorfreude auf die paar Tropfen heißen Wassers.
"Wie tief bin ich gesunken", murmelte er und dachte an sein luxuriöses Apartment mit dem atemberaubenden Blick auf New Yorks Skyline, mit dem Whirlpool, so geräumig, dass man ein mittleres Schlachtschiff darin versenken könnte.
"Sagtest du etwas?" fragte Tonya von draußen.
"Ich sagte Danke", gab er zurück. Er tauchte seine halb erfrorenen Finger ins warme Wasser und stöhnte wohlig.
"Gern geschehen."
"Und du bist geliefert, Spatz", fügte er leise hinzu. Während er erneut ihre Dessous betrachtete, verspürte er lediglich einen Hauch schlechten Gewissens wegen des Plans, den er sich sorgfältig zurechtlegte. Er musste ihre Unterschrift unbedingt unter den Vertrag bekommen. Das war sein oberstes Ziel.
Warum sollte er sich deswegen schuldig fühlen? Letztlich tat er ihr einen Gefallen. Erstens war es ein äußerst großzügiges Angebot. Zweitens sahen die Männer vermutlich nur ihre Leistung. Bestimmt hatte ihr schon lange kein Mann mehr gesagt, wie hübsch und anziehend sie war und wie talentiert außerdem.
Ja, es muss lange her sein, sonst wäre sie bestimmt nicht so abweisend, dachte er. Nun, er würde dafür sorgen, dass sich das bald änderte. Er tauchte einen Waschlappen ins warme Wasser. Er würde die raue Schale dieses Wesens mit dem seidigen blonden Haar und den himmelblauen Augen knacken. Er würde sich zuvorkommend verhalten, sich für ihre Arbeiten interessieren und ihr immer wieder zu verstehen geben, dass er auch an ihr als Frau interessiert war. Es wäre ein kleiner, harmloser Flirt. Um sie daran zu erinnern, dass sie nicht nur eine einsiedlerische Fotografin war.
Sie war eine Frau. Das musste man ihr in Erinnerung bringen. Eine Frau mit weiblichen Wünschen, weiblichen Bedürfnissen, weiblichen Schwächen – für Spitze und Kerzenschein und männliche Bewunderung. Und er wusste genau, wie man auf diese Schwächen einging …
Nach geschlagener Schlacht würde sie sich entschieden wohler in ihrer Haut fühlen, und er hätte ihre Unterschrift unter den Vertrag. Das würde niemandem schaden – im Gegenteil, sie würden beide davon profitieren.
Noch immer frierend, schlüpfte er in das Flanellhemd. Wie sie angekündigt hatte, war es ihm zu groß. Nein, es war riesig, aber der Flanell war warm und weich. Ebenso die Socken.
Er stand mit dem Rücken zur Duschkabine und musterte die Jeans, als ihn etwas am Kopf traf. Er langte hin und hatte ein winziges, feuchtes Etwas in der Hand – Tonyas Slip.
Er konnte sich nicht beherrschen – immerhin war er ein Mann – und rieb den Slip zwischen den Fingern. Der Stoff fühlte sich glatt, sinnlich an. Und dann hob er den Slip ans Gesicht, atmete den blumigen Duft nach Seife ein und dachte an die Frau, die dieses zarte Dessous trug.
Zum ersten Mal seit dem Betreten der Hütte wurde ihm richtig heiß.
Am Gasherd rührte Tonya mit einem Kochlöffel in einem Topf mit Hühnersuppe vom Vortag, als sie die Badezimmertür aufgehen hörte.
Es war albern, aber sie schwankte zwischen kaltblütiger Gelassenheit und tiefer Verlegenheit, wenn sie an ihre Unterwäsche dachte, die sie im Bad zum Trocknen aufgehängt hatte. Hätte sie doch nur daran gedacht, sie wegzuräumen!
Ach was, sagte sie sich dann, ich trage nun einmal pinkfarbene Slips. Manchmal auch rote, blaue, pfirsichfarbene und, wenn mich die Lust ankommt, schwarze. Webster hat bestimmt schon viel heißere Dessous gesehen – und sie den Frauen ausgezogen. Es gibt keinen Grund, sich verrückt zu machen.
Trotzdem, es war ihr zu intim. Vorhin hatte sie ihn quasi ausgezogen. Sie hatte seine nackten breiten Schultern gesehen, die festen Muskeln seines Brustkorbs, hatte seine Haut gespürt.
Vor zwölf Jahren hatte sie heillos für Webster geschwärmt. Noch jetzt besaß er die Macht, ihr dummes Herz zum Rasen zu bringen. Und er erinnerte sich nicht mal an sie. Was für eine Null sie doch war!
Als sie ihn zum Ofen gehen hörte, bekam sie vor Verlegenheit rote Ohren. Sie atmete tief durch und überlegte, was sie sagen könnte. Doch er kam ihr zuvor.
"Wer ist dieser Charlie? Er ist nicht zufällig mit King Kong verwandt?"
Tonya rührte weiter in der Suppe und warf ihm einen Blick zu. Sie musste lächeln. "Jetzt kommst du dir wohl ganz klein vor, du großer Verleger, wie?"
Er schaute an sich herunter und lachte. Die Hemdsärmel hatte er ein paar Mal umgekrempelt, den Hosenbund hielt er krampfhaft umklammert, sonst wäre ihm die Jeans glatt heruntergerutscht. Die Hosenbeine hatte er aufgerollt, dennoch schleiften sie auf dem Boden. Er war fünfunddreißig und einer der mächtigsten Männer in der internationalen Verlagsszene, aber nun fühlte er sich wie ein kleiner Junge in den Kleidern seines Daddys.
Tonya drehte die Flamme kleiner und legte den Kochlöffel hin. "Warte mal, ich glaube, ich hab' da etwas, um dein neues Outfit zu verbessern." Sie ging zur Kommode, wühlte kurz darin herum und fand einen Gürtel sowie rot und blau gestreifte Hosenträger. Aus purer Bosheit entschied sie sich für die Hosenträger.
"Hier."
Sein Blick sagte: "Das darf doch nicht wahr sein!" Laut bemerkte er: "Fehlt bloß noch die Axt. Ab sofort bin ich Holzfäller."
"Nicht wirklich", gab sie mit einem prüfenden Blick zurück.
"Stimmt. Nicht alle Kleider machen Leute."
Leider doch, dachte Tonya und erinnerte sich daran, wie sie Webster zum ersten Mal in einem seiner Maßanzüge erblickt hatte. Da war es auf der Stelle um sie geschehen gewesen.
"Hast du Hunger?" fragte sie und verscheuchte die unwillkommenen Erinnerungen.
"Was, du bekochst mich sogar? Dafür könnte ich dir die Füße küssen."
"Im Klartext: Du hast einen Bärenhunger." Sie lachte leise. "Setz dich. Wenn dir noch immer kalt ist, nimm dir die Decke vom Schaukelstuhl und wickle dich ein."
"Danke, mir ist schon wärmer. In den letzten Stunden kam ich mir vor wie ein Schneemann. Ich weiß nicht, ob ich jemals so gefroren habe."
"Magst du Milch?"
"Aber ja. O Mann, das duftet ja himmlisch." Er trat hinter sie und schnupperte hingerissen.
Sie schnupperte ebenfalls. Eine Frau roch nach dem Duschen nach Blumen und Zitrusfrüchten. Ein Mann nach dem Duschen roch nach … Mann. Dieser hier zumindest tat es. Sie fand seine persönliche Duftnote so schön, dass ihr die Kehle eng wurde.
Es war lange her, seit sie dermaßen heftig auf einen Mann reagiert hatte. Es wühlte sie so sehr auf, dass ihre Hände zitterten, als sie das Gas abdrehte.
"Es ist eine ziemlich normale Hühnersuppe", erklärte sie und begab sich außer Reichweite der verführerischen Düfte. Sie nahm eine Suppentasse aus dem Schrank. "Leider kann ich dir nicht die raffinierte Küche bieten, die du aus der Stadt gewohnt bist."
"Okay, ich möchte etwas klarstellen." Webster legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zu sich herum. "Ich bin es nicht gewohnt, vor hungrigen Bären in Deckung zu gehen, auf überfluteten Straßen zu fahren, umstürzenden Bäumen auszuweichen und bei Unwetter einen Unterstand zu suchen. Oder mich irgendwo selbst einzuladen. Besonders, wenn meine Gesellschaft unerwünscht ist, ich aber trotzdem gewärmt, mit trockenen Sachen versorgt und verpflegt werde." Er machte eine kleine Pause. "Tonya", fuhr er fort und drückte leicht ihre Schultern, "glaubst du wirklich, ich würde nach alldem über das Essen meckern? Essen, das so köstlich riecht wie früher bei meiner Mom?"
Seine Augen waren dunkel im trüben Licht der Gaslampe und der Kerze, die er aus dem Bad mitgenommen hatte. Er wirkte vollkommen aufrichtig. In verblüfftem Schweigen schaute Tonya in sein freundliches Gesicht, das einen leicht amüsierten Ausdruck hatte. Seine bisherige Lockerheit war verflogen.
Sie verspannte sich am ganzen Körper. Diesen Blick kannte sie. Vor zwölf Jahren hatte sie ihn schon einmal bei ihm gesehen. Es war am Abend der Weihnachtsparty bei Tyler-Lanier, und sie hatte mit ihm auf dem Rücksitz eines Taxis gesessen. Er hatte angeboten, sie nach Haus zu bringen. Für sie war es wie im Märchen, wenn der Prinz um die Bauerntochter warb. So etwas passierte Tonya, die sich in eleganten Kleidern immer unwohl fühlte, sonst nicht. Doch dieses Mal war sie wie verzaubert. Dass er sie ständig Tammy nannte, verstimmte sie kaum, angesichts der Tatsache, dass er sie überhaupt wahrnahm. Außerdem hatte sie genügend Champagner getrunken, so dass sie beschloss, ihre Verliebtheit endlich einmal auszuleben.
Berauscht von seinem Lächeln hatte sie sich ihm im Taxi in die Arme geworfen und ihn zu ihrer beider Überraschung geküsst. Einfach so, ohne von ihm dazu ermutigt worden zu sein.
Es war wunderschön gewesen. Alles, was sie sich von seinem Kuss erträumt hatte, wurde wahr. Ein zartes Verschmelzen ihrer Lippen. Sanfte Glut, die das Feuer erahnen ließ, wenn er seiner Leidenschaft freien Lauf ließ.
Bis er den Kuss beendete – und damit ihre Euphorie im Keim erstickte. Sein Blick, als er ihre Arme von seinem Nacken löste, war derselbe gewesen wie jetzt.
Freundlich.
Wohlwollend.
Amüsiert.