KAPITEL ZEHN
Ich zog mir einen nassen Waschlappen durchs Gesicht und spülte die letzten Blutspuren den Abfluss hinunter. Dem Spiegel war ich ausgewichen. Schon bei dem Gedanken, wie ich derzeit, halb Wolf, halb Mensch, aussehen mochte, wurde mir ganz anders.
Immer noch über dem Waschbecken hängend, straffte ich die Schultern. Jetzt oder nie. Das Chaos in meinem Wohnzimmer konnte nicht ewig warten.
Ich hob den Kopf und betrachtete mein Spiegelbild.
Ich sah ganz normal aus, nur ein bisschen erschöpfter als vorher.
Mein Haar war scheußlich durcheinander, ein Strubbelkopf war nichts dagegen. Aber es hatte wieder die normale Länge. Ich hatte blaue Flecken am ganzen Leib; sie bildeten sich jedoch schon zurück. Als ich mich vorbeugte, entdeckte ich einen violetten Fleck, der wie ein glühendes Stück Kohle tief in meiner Iris aufblitzte. Jetzt noch von gelben Augen zu sprechen, wäre Unsinn. Da war nichts Gelbes.
Ich hatte violette Augen.
Genau wie mein Vater.
Ich hatte vergessen, meinem Vater von diesem Detail zu erzählen. Aber meine Augenfarbe war auch das Letzte gewesen, woran ich gedacht hatte. Vor dem Spiegel verzog ich das Gesicht. Lykaner mussten ein furchterregender Anblick gewesen sein. Ein Wolf in seiner vollständigen animalischen Gestalt war die schönste Kreatur der Welt. Aber ein halber Wolf?
Der schönste Wolf der Welt war mein Vater. Das Bild von ihm in seiner wahren Gestalt gehörte so sehr zu meiner Kindheit wie alles andere, woran ich mich erinnern konnte. Dad war prachtvoll: Das Fell, so schwarz wie Kohle, überragte er alle anderen, war stark und gefährlich und zugleich atemberaubend schön. Einfach umwerfend.
Ich trat vom Spiegel zurück, warf meine zerfetzten Laufschuhe in eine Plastiktüte, die ich unter der Küchenspüle hervorgeholt hatte. Meine Kleider würden ihnen in Kürze folgen.
Ich verknotete den Beutel, öffnete die Badezimmertür und ging hinaus ins Chaos.
»Die Luft ist offiziell rein«, erklärte Nick, nachdem Danny und er wieder hereingekommen waren. Er drehte sich um, um meine kaputte Tür zurück in die Zarge zu drücken. Die Tür war unverschlossen gewesen. Aber James, der gewusst hatte, dass ich in Gefahr war, hatte keine Zeit darauf vergeudet, sich davon zu überzeugen, sondern war einfach durchgestürmt. »Wir haben deine Nachbarn zusammengetrieben und schnellstens zurück in ihre Wohnungen gescheucht.«
James und Tyler hatten den Leichnam in eines meiner Laken eingewickelt und diskutierten nun darüber, wie sie ihn am besten aus meiner Wohnung schaffen könnten.
Danny kicherte. »Ja, wir haben dem ganzen Haufen draußen auf dem Korridor erzählt, wir feierten gerade eine Riesenparty, die ein bisschen aus dem Ruder geraten sei. Sie haben den Köder samt Angelschnur und Schwimmer geschluckt.«
Nick schnaubte. »Sie haben ihn geschluckt, nachdem ich ihnen gesagt habe, sie sollen schlucken!«
»Das einzige andere Problem war die Polizei vor dem Haus. Aber um die hat Nick sich auch gekümmert.« Danny klopfte Nick auf den Rücken. »Echt eine tolle Gabe, diese Überzeugungskunst!«
»Die Polizei war hier?«, fragte ich erschrocken.
»Entspann dich, Jess!« Nick kam zu mir und legte mir die Hände auf die Schultern. »Es war nicht Ray, und sie waren nur hier, um einer ›Lärmbelästigung‹ nachzugehen, nicht der grausigen Tötung eines Werwolfs. Ich habe sie davon überzeugt, dass dies das falsche Gebäude ist. Jetzt ist alles bestens.«
»Danke.« Meine Wölfin stromerte durch mein Bewusstsein. Sie und ich waren immer noch erregt. »Wir müssen ihn schnell hier rausschaffen.« Ich sah mich zu dem eingewickelten Leichnam um. »Und dann müssen wir herausfinden, was eigentlich los ist – warum der Kerl überhaupt hier war. Ich bin gerade erst zur Werwölfin geworden. In so kurzer Zeit hätte eigentlich noch niemand hinter mir her sein dürfen. Es ist beinahe so, als hätte der Kerl auf Abruf bereitgestanden.«
»Wir müssen ihn in den geheimen Unterschlupf bringen, damit wir herausfinden können, wer er ist und was hier vorgeht«, sagte James.
»Einverstanden«, erwiderte Tyler. »Wir bringen ihn über den Balkon raus. Danny und ich gehen runter, und ihr könnt ihn zu uns hinunterwerfen.«
Ich zog eine Braue hoch und ging dazwischen. »Äh, ein bisschen viel Hauruck-Aktion, meint ihr nicht? Wenn etwas in Form einer Leiche von meinem Balkon fällt, könnte das ja immerhin jemandem auffallen.«
Sie starrten mich ausdruckslos an.
Mit Werwölfen auf Vernunftbasis zu diskutieren, erfordert Geduld, aber die hatte ich gerade nicht. »Na schön, wie wäre es damit«, schlug ich vor. »Stellt euch doch mal vor, es wird bemerkt und folglich auch gemeldet. Ich kann mir nicht leisten, noch mehr Misstrauen zu erwecken. Nur für den Fall, dass ihr die letzten paar Tage hinterm Mond verbracht habt …« Meine Stimme wurde um einige Dezibel lauter, während ich die Finger spreizte und ungeduldig abzählte. »Ich habe gerade einen Werwolf getötet, über den wir nichts wissen. Ich werde vermutlich wegen des Todes eines Vergewaltigers in Koboldgestalt vor Gericht aussagen müssen. Meine Wohnung war bereits Tatort eines gemeinen, unerklärlichen Einbruchs, der vor … oh, ja, richtig … vor gerade vier verdammten Tagen passiert ist. Eine nicht identifizierte Droge, die einen ganzen Viehstall umhauen könnte, wurde in meiner Wohnung beschlagnahmt …«. Meine Lautstärke erreichte ihren stimmlichen Höhepunkt, als ich bei meinem kleinen Finger angelangt war. »… und ich habe gerade eine irre, unmögliche Transformation in eine Bestie hinter mich gebracht, die dafür sorgen könnte, dass jeder abergläubische Werwolf auf der ganzen gottverdammten Welt mir nach dem Leben trachtet! Darum will ich nicht – auf gar keinen Fall! –, dass eine menschlich aussehende Leiche, eingewickelt in eines meiner Laken, von meinem Balkon geworfen wird. Die landet dann nämlich auch noch auf meiner verdammten Liste!« Ich strahlte Anspannung ab wie ein Ofen Hitze, die spürbar und heiß durch den Raum wirbelte.
Drei Paar Wolfsaugen fixierten mich, und in jedem funkelte mehr als nur eine Spur Gelb. Und mittendrin sah ich ein Paar ruhiger, goldener Augen.
Wölfe funktionieren nicht gut, wenn sie emotional aufgewühlt sind. Und es war sicher nicht hilfreich, dass meine Muskeln vibrierten und sich erneut weiches Fell auf meinen Handrücken ausbreitete.
In meinem Denken und Fühlen spürte ich meine Wölfin. In Abwehrhaltung, die Beine gespreizt, baute sie sich auf und hob die Schnauze.
Danny löste die Spannung, indem er vortrat. Er ging in unterwürfiger Haltung mit hängenden Schultern und sorgsam gesenktem Blick auf mich zu. »Ganz ruhig, Jess!«, murmelte er, als er sich vor mich kniete. »Ich verspreche dir, wir werden hier nichts tun, was dir schaden könnte. Das Gegenteil ist der Fall, ehrlich. Wölfe können saublöd sein, das ist wahr. Wir sind stur und aggressiv, und wir mögen keine Veränderungen. Aber ich verspreche dir, bei uns bist du in Sicherheit.« Er legte die Hand aufs Herz. »Ich schwöre es bei meinem Leben.«
Ich stand ganz still da und wagte nicht, irgendetwas zu tun. Meine Wölfin beobachtete Danny argwöhnisch. Die Trennlinie zwischen mir und ihr war nach dem Kampf gegen den Angreifer immer noch verwischt. Ich wusste nicht so genau, was während des Kampfes geschehen war. Aber nun war meine Wölfin neben mir, auf derselben Seite der Barriere. Im Moment gab es kein Dominanzgerangel, nur eine Einheit, dazu geschaffen, uns beide zu schützen.
Danny sah mir für einen Moment in die Augen und wandte dann hastig den Blick ab. Er sah sich über die Schulter zu James, Tyler und Nick um, die unmittelbar hinter ihm standen. »Ich glaube, ich kann für jeden in diesem Raum sprechen, für Leute, die dich seit deiner Kindheit kennen und heranwachsen gesehen haben …« Ein unverschämtes Grinsen schlich sich in seine Züge. »… und ich darf sagen, du bist zu einer hinreißenden Schönheit herangewachsen.« Er zwinkerte. »Wir alle haben vor, dir beizustehen. Wir sind voll und ganz bereit, unser Leben zu geben, um dich zu beschützen, Jessica McClain. Das waren wir immer.« Überlass es Danny, eine schlimme Situation zu entschärfen, und er beginnt mit einem Pseudoaufhänger und endet mit einer Feststellung, die aus tiefstem Herzen kommt.
Ich lächelte vorsichtig. Meine Wölfin entspannte sich bei seinen Worten ein bisschen, und das Haar hörte auf, aus meinen Armen zu sprießen.
»Wir wussten immer«, fuhr er fort, »dass es riskant wäre, eine Wölfin unter uns zu haben. Ich habe es gewusst, als ich mich diesem Rudel angeschlossen habe. Wir alle haben uns entschlossen, trotz all der Mythen und Gerüchte dabeizubleiben. Jeder von uns hätte jederzeit gehen können, hätte er es gewollt. Aber das ist nicht geschehen. Wir haben entschieden, bei dir und deinem Vater zu bleiben. Callum McClain ist ein großartiger Anführer, der unseren Respekt verdient, genau wie du.« Danny senkte den Kopf. »Ich habe freiwillig den Lehnseid vor meinem Alpha abgelegt. Ich schwor, seinem Rudel bis zu meinem Tod zu folgen. Nun lege ich den Eid vor dir ab. Ich habe die Absicht, meine Seite der Vereinbarung einzuhalten und dich zu beschützen, koste es, was es wolle. Ich verspreche, du hast von mir nichts zu befürchten, Jessica McClain.«
Zu meinem Schrecken senkte er den Kopf noch weiter und bot mir seinen ungeschützten Nacken dar.
Meine Wölfin reagierte unwillkürlich mit einem heiseren Bellen. Sie erkannte die Pose an, als wäre das ihr gutes Recht, und knurrte vergnügt vor sich hin, drängte mich insgeheim, ebenfalls anzuerkennen, was er uns geben wollte.
Ich blinzelte. Meiner menschlichen Seite war äußerst unbehaglich zumute.
Plötzlich zitterte ich. Ich verstand einfach gar nichts.
Das war alles nicht richtig. Es konnte nicht richtig sein. Statt vorzutreten, tat ich einen kleinen Schritt zurück. Meine Wölfin reagierte mit einem schrillen, ärgerlichen Jaulen.
Meine Augen huschten zu meinem Bruder. Er begegnete meinem starren Blick eine Sekunde lang, ehe seine Stimme in meinem Geist erklang. Alles in Ordnung, Jess. Nach außen blieb Tyler still. Das ist ganz normal. Dannys Wolf hat deine Dominanz ihm gegenüber anerkannt. Also verhält er sich genauso, wie er sollte. Er kann entweder einen Rangkampf mit dir ausfechten oder sich fügen. Er hat beschlossen, nicht gegen dich anzutreten, was wirklich klug von ihm ist. Denn ich hätte ihm die gottverdammte Kehle rausgerissen, hätte er es versucht.
Tyler. Meine Stimme bebte unter dem Ansturm der Emotionen. Ich verstehe nicht, was mit mir passiert. Das alles kann doch nicht richtig sein! All diese Mythen und Gerüchte dürften doch gar nicht wahr werden. Ich sollte nicht so stark sein. Ich bin ein Weibchen. Das bedeutet in unserer Welt, dass ich schwach bin. Ich war immer geringer als ihr. Ein Wolf wie Danny sollte sich mir nicht fügen. Das muss doch ein Irrtum sein.
Jess, es kommt alles in Ordnung. Wenn Dad hier ist, können wir das alles klären. Ich weiß auch nicht, was los ist. Es wird uns ein bisschen Zeit kosten, das alles zu verstehen. Als du dich gewandelt hast, war deine Wölfin voll ausgebildet. Es ist genauso gelaufen, wie es sollte. Deine Aufgabe ist es, sie zu formen und zu beherrschen, so gut du kannst. Wir sind beide Nachfahren eines Alpha. So etwas lernt man nicht in der Schule. Du brauchst nur Zeit, und ich verspreche dir, alles wird sich richten.
Ich bin nicht überzeugt davon, dass mir genug Zeit dafür bleiben wird. Ich sah mich zu dem toten Wolf um, der wie eine Mumie in meinem lavendelfarbenen Laken lag. Dann schaute ich Danny an, der immer noch vor mir auf dem Boden kniete und geduldig darauf wartete, dass ich etwas tat. Was soll ich jetzt tun?
Zeig ihm die Zähne, sieh ihm in die Augen, zähl bis fünf, und geh weg, als wäre dir das alles vollkommen egal!
Das ist alles?
Tyler schnaubte. Das ist alles, Schwesterlein. Danach können wir versuchen, so schnell wie möglich zur beschissenen Tagesordnung zurückzukehren!
Ich tat, was er mir gesagt hatte. Ich fletschte die Zähne, knurrte dank der Unterstützung meiner Wölfin, wandte mich ab und ging davon. Zielstrebig ging ich in meine Küche. Was ich jetzt brauchte, war eine Flasche Whiskey. Stattdessen gab ich mich mit einem Glas Wasser zufrieden.
Mein Bruder verschwand in meinem Schlafzimmer. Ich hörte ihn Schränke öffnen. Eine Minute später kam er mit einem großen blauen Leinenseesack zurück, den ich normalerweise dazu benutzte, schmutzige Wäsche zu transportieren. Ich folgte ihm ins Wohnzimmer.
»Wir können ihn hier hineinstopfen«, meinte Tyler zu James. »Danach werfen wir ihn vom Balkon. Das hat keine Körperform, und falls jemand fragt, dann sind wir gerade auf dem Weg zum Waschsalon.«
Alle verhielten sich ganz normal. Ich zeigte auf die Leiche. »Der passt da nicht rein. Er ist doppelt so lang wie die Tasche.« Ich ließ meinen Blick über die umhüllte Gestalt am Boden schweifen, um mich zu vergewissern, dass ich nichts übersehen hatte.
»Nicht mehr lange.« Tyler grinste.
Genau. Ich entschuldigte mich und ging zurück ins Schlafzimmer, um mich von den schmutzigen, blutbefleckten Klamotten zu befreien. Leichen zu zerhacken und von Balkonen zu werfen, war Hardcore. Es würde wohl etwas Mühe kosten, mich an das Leben als Wolf zu gewöhnen.
Nachdem ich mich umgezogen und frisch gemacht hatte, ging ich zurück ins Wohnzimmer. James und Tyler kamen gerade mit leeren Händen von meinem Balkon zurück. Dieser Teil war also erledigt.
Zeit zum Saubermachen. Das war etwas, was ich konnte.
Ich schnappte mir Mopp und Eimer aus dem Küchenschrank und machte mich an die Arbeit. Obwohl ich immer noch bemüht war, zur Ruhe zu kommen, vibrierten meine Muskeln vor lauter Adrenalin. Das machte mich nervös. Die Endorphine in meinem Körper nagten stakkatoartig an meinen Nervenenden. Aber es gab nichts, was ich dagegen tun konnte. In den Kämpfen gegen den Kobold und den Werwolf hatte mein Körper einfach zu viel davon ausgeschüttet. Ich war auf Droge, daran führte kein Weg vorbei.
Eine halbe Stunde später und nach mehr Krafteinsatz, als nötig gewesen wäre, sah das Zimmer mit bloßem Auge makellos aus. Der Geruch nach Blut und Werwölfen hing immer noch in der Luft. Aber für menschliche Sinne würde alles normal aussehen und riechen.
Tyler war unterwegs, um die Leiche verschwinden zu lassen, und Danny, um die Sicherheitsmaßnahmen rund um das Haus zu verstärken. Nick hatte, als er ging, mein blutiges Kleiderbündel samt den Schuhen mitgenommen, vermutlich um alles zu verbrennen. Außerdem hatte er mit Hilfe des Werkzeugs, das ich für Notfälle bereithielt, meine Wohnungstür wieder gerichtet. Sie würde keinem ernsten Angriff standhalten. Aber in der heutigen Nacht wäre ein großer Wolf bei mir, der mir helfen würde, Ruhe und Ordnung einkehren zu lassen.
Mein Vater hatte James angewiesen, bei mir zu bleiben, was mir nur recht war. Ich wusste wirklich nicht, ob ich physisch imstande wäre, damit klarzukommen, sollte heute Nacht noch etwas passieren. Ein bisschen Gesellschaft war durchaus angenehm.
»Gib mir das!«, meinte James, schnappte sich den Eimer samt der Lumpen, die ich zum Putzen benutzt hatte, und brachte alles raus auf den Balkon.
Ich lehnte den Kopf an die Ziegelmauer und fuhr mir mit den Händen durchs Haar. Es war ein langer Tag gewesen. Der längste Tag in meinem ganzen Leben.
James kehrte mit leeren Händen zurück. Er war beinahe noch genauso gekleidet wie gestern, schwarzes T-Shirt und ausgewaschene graue Cargohose. Eigentlich hatte ich ihn noch nie in etwas anderem gesehen. Beide Kleidungsstücke spannten sich eng um seinen Körper, was ihn besonders muskulös erscheinen ließ. James hatte keine Vorstellung davon, wie gut er aussah.
Die Ohren meiner Wölfin zuckten hoch, und ich wandelte mich ein wenig.
James stockte mitten im Schritt, und sein Blick schoss zu meinen Augen hinauf.
Ohne dass ich es beabsichtigt hätte, hielt ich den Atem an und erwiderte den starren Blick. Da, gleich unter der Oberfläche, tanzte ein Hauch von Gelb in seiner Iris.
Hmm.
Wenn Wölfe kämpfen, sind sie vollgepumpt mit Adrenalin, genauso wie ich es jetzt war. Nach einem kampfbedingt hohen Ausstoß, gefördert durch all die Anstrengung und Aufregung, rannten sie oft stundenlang, um Körper und Geist wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Manchmal hatten sie einfach Sex.
Ich senkte den Blick und fummelte am Saum des Trägerhemds herum, das ich mir übergezogen hatte. »Da wären wir also«, sagte ich leise.
James knurrte nur.
Meine Haut kribbelte. Stürmisch und heiß brach sich Begierde Bahn. Meine Wölfin ließ ein gequältes Heulen erklingen, das in ein wildes Gebell überging, als in mir ein Damm brach. Plötzlich war mein Körper ein einziger Schmerz. Mit den Fingerspitzen krallte ich mich an der Wand fest, sonst wäre ich glatt an ihr zusammengesackt. Wollust bedrängte mich. Sexuelles Verlangen zerrte an jeder Muskelfaser, jeder Nervenbahn.
James blieb, wo er war, und wartete.
Ich wagte nicht, ihn noch einmal anzusehen. Ich wusste, seine Augen würden glühen.
Meine Wölfin winselte. Sie wollte. Daran bestand kein Zweifel.
Aber wollte ich auch?
Ich wusste, Lust auf Sex gehörte zu den Merkmalen der Neugeborenen. In Anbetracht der chaotischen Ereignisse am heutigen Abend bedurfte es keines besonderen Auslösers mehr. Ich gierte nach sexueller Befriedigung; es wäre eine Erleichterung gewesen. Ich wusste, Wölfe hatten viel Sex. Sie sahen das nicht so wie Menschen. Es war etwas Notwendiges. Ein Grundbedürfnis. Emotionale Bande waren dafür nicht nötig.
Aber ich war nicht als Wölfin aufgewachsen, ich war als Mensch aufgewachsen.
Hör auf damit, Isebel, wies ich meine Wölfin an. Ich bin nicht sicher, ob ich das tun kann – Korrektur: ob wir das tun können. Ich bin nicht daran interessiert, als nuttige Werwölfin zu enden, ganz gleich, wie gut sich das im Moment anfühlt. Als einziges Weibchen unter all den Wölfen müssen wir auf uns aufpassen. Und James ist nicht unser Gefährte.
Keine Ahnung, woher ich das so sicher wusste. Denn der Mann hätte die Rolle ganz sicher ausgefüllt, daran bestand kein Zweifel. Aber James gehörte nicht uns. Es hieß immer, den richtigen Gefährten zu finden, sei ein großes Glück und äußerst selten. Das bedeutete nicht, dass James und ich nicht miteinander schlafen konnten. Es bedeutete nur, dass die Chance, dass wir auf Dauer ein Paar würden, verschwindend gering bis nicht vorhanden war.
Meine Wölfin schnaubte enttäuscht und erzeugte in meinem Verstand das Bild eines Alphawolfs, der seine Wahl unter den Wölfinnen traf.
Wir sind nicht der Alpha!
Hmpf.
Noch ein Bild des Alphas mit der freien Auswahl, und … Hallooooo, das reicht. Ich habe es begriffen. Du willst ihn.
Grimmiges, zustimmendes Knurren.
Es war ein bisschen zu spät, um weiter mit ihr zu streiten. Der Geruch, den wir verströmten, verhieß puren, unverfälschten Sex, vorwiegend weil meine geile Wölfin es so wollte. Die Pheromonwolke war so dicht, dass ich sie beinahe sehen konnte. Herrje, geht’s nicht vielleicht ein bisschen kleiner?!
Ich inhalierte und nahm den neuen Geruch wahr.
Ein wilder, erdiger Duft flutete meine Sinne wie ein süßes, verlockendes Angebot. Alle Nervenzellen in meinem Körper ballerten simultan los, und alles, was so oder so schon wehtat, fing an, unter einem neuen, köstlichen Herzschlag zu pulsieren. Einladend kribbelte meine Haut. Ich ballte die Fäuste, und meine gewöhnlichen Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen.
Ich war dabei, mich in all dem, was meine Sinne mir meldeten, zu verlieren, so überwältigend war das Gefühl.
James regte sich, trat einen einzelnen Schritt auf mich zu. Ich hob langsam den Kopf und nagelte ihn mit einem hitzigen Blick fest. Er war ein Krieger; sein Blick begegnete dem meinen, und seine Augen glühten in vollem Gold. Eine neue Woge Begierde lief durch meinen Körper. James’ Blick löste irgendwo tief in mir etwas aus. Seine Hände waren Fäuste, seine Muskeln überall am Körper angespannt, sein Wolf deutlich im Vordergrund. So wie jetzt hatte ich ihn noch nie im Leben gesehen. Niemand konnte abstreiten, dass er ein schöner Mann war. Seine olivfarbene Haut schimmerte; sein dunkles Haar war gerade lang genug, um es herrlich zu verwuscheln; sein Kinn war stark und maskulin. Er sah aus wie höchstens dreißig, aber wir alle teilen das Schicksal ewiger Jugend.
Ich öffnete den Mund, und ein von unterschwelligem Knurren durchsetztes Schnurren kam heraus.
Meine Zustimmung.
Ein Schritt, und er nagelte mich mit seinem Körper an der Ziegelmauer fest. Er knurrte. Seine Lippen zupften an meinem Hals; seine Zunge glitt über mein Schulterblatt: Sein Wolf kostete meinen Geschmack. Sein üppiger Geruch entlockte mir ein wollüstiges Stöhnen, und ich presste Nase und Lippen in seine Haut, so tief es nur ging, und atmete ein. Sein Wolf sang direkt mit meiner Wölfin.
Er wich zurück, und ich gab ein leises Maunzen von mir angesichts des Kontaktverlusts. Seine Hände glitten an meinem Oberkörper herab. Mit einem kurzen Ruck riss er mir das Trägerhemd vom Leib. Eine weitere Bewegung, und er war sein T-Shirt los. Meine Hände tasteten sofort nach seiner Brust. Meine Finger fuhren die konturierten Muskeln entlang, liebkosten samtene Haut. Erwartungsvoll leckte ich mir die Lippen. Meine Wölfin jaulte. James knurrte, senkte den Kopf und schnappte mit den Zähnen nach meinem Büstenhalter. Ich ließ die Arme sinken, und der BH landete auf dem Boden.
Da James den Kopf immer noch gesenkt hielt, beugte ich mich vor, schob die Hände wie eine trunkene Sirene in seinen Schopf. Ich packte zu und drängte seinen Kopf gegen meine Brust. Vor Ekstase heulte meine Wölfin.
James’ Lippen suchten meine Nippel. Er nahm einen davon in den Mund und war dabei so leidenschaftlich ungestüm, dass ich schauderte. Ich legte den Kopf in den Nacken und stöhnte laut. James schleckte an mir und zupfte an dem empfindlichen Gipfel. Mit beglückender Geschwindigkeit verstärkten sich die Empfindungen in meinem Körper. Als Wölfin nahm ich alles viel stärker wahr; jede Berührung löste eine stärkere Flut an Empfindungen aus als die vorangegangene.
James löste sich von meiner Brust. Seine Lippen glitten langsam an meinem Körper empor. Sein Mund strich über meinen Hals. Rauchig flüsterte James mir ins Ohr: »Jetzt ist es so weit, Jessica. Ich werde mich nicht mehr bremsen können, wenn wir noch weitergehen. Sag jetzt, was du willst!«
Ich konnte nicht antworten. Stattdessen fuhr ich ihm mit den Fingernägeln über den Rücken, hoch hinauf bis in seinen Nacken. Ich versenkte meine Finger in seinem dichten Haar, wühlte darin, um die Hände dann seinen Rücken wieder hinabgleiten zu lassen bis hinunter zu seinem festen Hintern. Ich zog James an mich.
Er löste die köstlichen Lippen von meiner Haut. Eine Hand legte er mir in den Nacken; mit der anderen drehte er mein Gesicht so, dass ich ihm direkt in die Augen blickte. Sein Daumen liebkoste träge mein Kinn.
Ich brauchte eine Sekunde, um ihn klar vor mir zu sehen.
»Jessica … mein Wolf ist zu weit gegangen.« Seine Stimme klang heiser vor Verlangen. »Sag mir jetzt sofort, ob du es wirklich willst! Ich kann sonst nicht mehr aufhören. Wenn du es nicht willst, verlasse ich augenblicklich die Wohnung und komme erst in einer Stunde zurück.«
Adrenalin pur pulste in meinen Adern und gierte nach Erleichterung. Entweder wir hatten jetzt Sex, oder ich musste mich umziehen und stundenlang zusammen mit James joggen.
»Ich will es«, sagte ich schlicht.
Er senkte den Kopf, sein Mund fand den meinen. Ich öffnete mich ihm, kostete, sog, umspielte seine Zunge. Seine Lippen waren heiß, fest und zugleich üppig weich. Und doch würde es zwischen uns keine Süße geben, kein Liebeswerben. Es würde exakt so sein, wie ich und er es jetzt brauchten.
Ich drängte mich an ihn, rieb mich an ihm, ganz verloren in köstlicher Begierde. Er knabberte überall, an meinen Lippen, meinem Hals und meinen Brüsten. Sein Körper war so fest, so voller Kraft. Der einzige Grund, warum er nicht schon in mir war, war, dass wir beide immer noch unsere Hosen trugen.
Ich langte hinab und riss blindlings an den Knöpfen seiner Hose. Währenddessen versenkte ich meine Zunge erneut in seinem warmen Mund, schleckte wollüstig, während ich die weiche Baumwolle seiner Hosen über die Hüften nach unten schob.
James gab einen kehligen Laut von sich, als ich ihn befreite. Meine Hand glitt über die straffe, glatte Haut, und er stöhnte an meinen Lippen. Ich umfasste seine Rute und rieb sie, während seine Hände über meinen Rücken glitten und er die Daumen in meinen Hosenbund schob. Ein kurzer, kräftiger Ruck, und die dünne Jogahose, die ich trug, riss an den Nähten auf und fiel in einem Haufen zarten Stoffs um mich herum zu Boden.
Er dirigierte meine Hüften auf sich zu. Die Schultern stützte ich gegen die Wand, als er mein Becken aufreiten ließ. Mit einer einzigen fließenden Bewegung drang er in mich ein.
Ich bog das Kreuz durch, warf mich James entgegen, nahm ihn ganz in mir auf. Ich war mehr als bereit, und ihn in mir zu fühlen, so groß und fest, war wunderbar und steigerte noch meine Leidenschaft. Seine Hände umspannten meine Hüften, während er tiefer in mich eindrang und sich zurückzog, nur um schließlich heftiger zuzustoßen und schneller.
Ich legte die Stirn an seine Brust und schrie auf. Seine Oberarme, den Bizeps rechts und links, umklammerte ich, um mich zu halten. Ich konnte spüren, wie sich seine Muskeln unter meinen Handflächen anspannten. Meine Fingernägel gruben sich in seine Haut, im Rhythmus seiner Bewegungen, trieben ihn an. »Mehr«, flüsterte ich, »bitte, mehr!«
Er ließ meine Hüften los, suchte meine Handgelenke und umfasste sie. Hoch über meinem Kopf drückte er sie gegen die Wand, nagelte mich so an der Wand fest und bedrängte mich wild. Im Stakkato trafen seine Hüften meinen Leib. Die Kraft und die Energie, die wie Lichtbögen zwischen uns übersprangen, machten mich ganz schwindelig. Jeder Stoß jagte Schockwellen durch meinen Körper, verstärkte jede Empfindung, bis ich vor Wonne schrie.
»Herrgott, verdammt«, knirschte James, ließ meine Arme los und umfasste meine Taille. »Lange kann ich das Tempo nicht mehr bringen. Es fühlt sich einfach zu gut an.«
Meine Hände fanden seinen festen Hintern, und ich drückte James an mich. »James«, hauchte ich, »ich will es härter … Bitte!« Ich dirigierte ihn, drängte ihn mit den Fingernägeln zu einem noch höheren Tempo, und kam ihm bei jedem Stoß entgegen. Beide waren wir schweißnass.
Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte, und die Heftigkeit erreichte ihren Gipfel. »Jessica, bitte … Du musst jetzt kommen … Ich kann nicht …«
Noch zwei, und ich war so weit. Ich schrie auf und presste mein Gesicht an seine Brust, als ich kam. Der Orgasmus schlug machtvoll zu. Ich klammerte mich an James, während die wilden Spasmen jede Zelle in mir erbeben ließen.
James’ Reaktion folgte prompt.
Er heulte auf, wild, drückte mich hart gegen die Mauer, als er sein Ejakulat machtvoll in mich hineinpumpte. Mein Körper explodierte erneut, als ich ein zweites Mal kam. Köstliche Energie wütete in mir, und Muskeln, Sehnen, Nerven, alles pulsierte vor Hitze. Mit einem letzten Stoß kollabierten wir schwer atmend jeder am Körper des anderen.
Ich bebte vor Wonne.
Wir waren beide befriedigt, hatten beide jegliche verbliebene Energie erschöpft.
Wir hatten getan, was Wölfe tun.
Wir bahnten uns einen Weg in mein Schlafzimmer, krochen gemeinsam nackt und zufrieden ins Bett und umschlangen einander, um Wärme und Behaglichkeit zu teilen.
Keiner von uns rührte bis zum nächsten Morgen auch nur einen Muskel.
Erst vom unablässigen Hämmern gegen meine ziemlich kaputte Tür wurden wir unsanft geweckt.