5

Danny wusste, was Kriegsrecht war. Sie hatte vor nicht allzu langer Zeit dafür gesorgt, dass eine Ausgangssperre eingehalten wurde.

In einer solchen Situation drehten die Leute durch. Eingesperrt in einem fremden Haus, zusammen mit zwanzig anderen Leuten, die man nicht kannte, die man nie kennenlernen wollte, an einem Ort, wo man gar nicht sein wollte, bis die Ausgangssperre für wenige Stunden aufgehoben wurde. Was manchmal erst nach mehreren endlosen Tagen geschah. Man lebte von Konservendosen und allem, was man mit Mehl und Wasser anstellen konnte, vorausgesetzt, es war Gas da, mit dem man kochen konnte. Oder Wasser. Kein Strom. Also brüteten diese eingepferchten Menschen in einer Hitze, die sich irgendwann als tödlich erwies.

Meistens waren Kinder dabei, die es nicht aushielten. Manche litten lautstark. Sie wollten einfach nur, dass man ihnen erlaubte, herumzurennen und am Leben zu sein. Sie hatten noch nicht gelernt, wie die Erwachsenen zu leiden und still zu sein. Also rasteten sie aus und schrien. Selbst unter solchen Umständen hörte der Kopf nicht auf zu denken.

Wut kochte hoch, geschürt vom Gestank nach Urin und Kot und ungewaschener Haut, von der abgestandenen Luft, vom Rumpeln gepanzerter Fahrzeuge draußen auf dem Pflaster.

Der Hunger verstärkte alles. Der Durst machte es noch schlimmer. Sobald etwas geschah, eine Hausdurchsuchung oder ein Toter auf der Straße, explodierte die Wut und wurde in Aktion umgesetzt.

Danny kehrte zum Bürogebäude zurück, als ihre Wachschicht vorbei war, um sich neben Yanaba auf den Boden zu legen. Die Frau schlief auf der Seite, die Fäuste am Gesicht, Schweißperlen auf der Haut. Danny erinnerte diese Haltung an ein schlafendes Kleinkind.

Danny lag auf dem Rücken. Ihr Körpergewicht drückte so auf ihre Reptiliennarben, dass das Jucken gelindert wurde. Sie hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und starrte auf die Unterseite des Schreibtischs, an dem irgendwelche anonymen IT-Angestellten ihre Arbeit erledigt hatten. Dort klebte ein alter Kaugummi. Über ihr eine Spanplatte, unter ihr ein dünner Teppich – trotzdem war es um Längen besser, als im Mustang zu schlafen, den Fahrersitz so weit zurückgedreht, wie es ging. Sie fragte sich, wie sie ihre Suche nach Kelley fortsetzen sollte und wie lange es dauern würde, bis sie die Stadt verlassen konnte. Hier war kein Überleben möglich. Danny döste ein, ohne dass es ihr bewusst wurde. Sie wachte erst wieder auf, als sie laute Rufe hörte.

Es war Vormittag. Natürlich hatte man die Nachtschicht ausschlafen lassen. Yanaba war nicht mehr da. Danny war einen Moment lang verärgert, dass sie geschlafen hatte, obwohl sich Leute in ihrer Nähe bewegt hatten, aber sie hatte schließlich schon sehr lange nicht mehr anständig schlafen können. Hier war sie recht gut geschützt, sie war ein Teil der Maschine, die unsichtbar und plangemäß funktionierte.

Sie stand auf, zog sich die kalten, schweißfeuchten Stiefel an und ging zur Glaswand. Sie blickte vom zweiten Stock auf einen Platz, der an zwei Seiten von Straßen begrenzt wurde und an den anderen von Bürogebäuden. Der Platz war mit Ziegelsteinen gepflastert, und in der Mitte stand ein moderner Springbrunnen, der sich aus mehreren Reihen niedriger, runder Ziegelsteinmauern erhob. Eine gute Deckung bei einem Schusswechsel, dachte Danny, obwohl man in der Falle saß, wenn einem die Munition ausging. Über allem lag Aschestaub, der aufgewirbelt wurde, sobald sich die Luft bewegte.

Die gegenüberliegende Seite des Platzes war im Rauch der Feuer kaum zu erkennen. Es regnete flockige Asche. Eine leichte Änderung der Windrichtung, und schon drohte das Feuer jene zu ersticken, die es nicht verbrennen konnte.

Etwas geschah dort draußen. Leute rannten die Straße entlang. Einige überquerten den Platz diagonal. Ein Hawkstone-Humvee raste durch die Menge und kam auf der Straße im schrägen Winkel zum Stehen, sodass er die Menge teilte. Danny schätzte, dass es etwa zweihundert Menschen waren, die dort draußen herumliefen. Männer sprangen aus dem Humvee und schlugen Zivilisten nieder. Ein Schuss war zu hören, und die Hawkstone-Söldner gingen in Deckung. Sie hoben die Waffen und eröffneten das Feuer. Danny warf sich zu Boden und rückte ein Stück vom Fenster weg, beobachtete aber weiter das Geschehen.

Zuerst sah es aus, als wäre niemand getroffen worden. Die Zivilisten änderten den Kurs und zerstreuten sich wie ein Fischschwarm. Sie verschwanden in Nebenstraßen und Hauseingängen. Einige hockten hinter dem Springbrunnen, mit dem Rücken zu Danny. Jetzt konnte sie sehen, dass zwei Menschen auf der Straße lagen. Einer winkte, der andere rührte sich nicht. Die Hawkstone-Männer rückten mit erhobenen Waffen vor, bis sie die zwei Verletzten zum Humvee zerren konnten. Sie hievten sie hinein. Dann rollten drei grollende Bradleys heran und blieben auf dem Platz stehen. Weitere Männer sprangen aus dem Schützenpanzer und trieben alle Leute zusammen, die sie erwischten. Hinter den Maschinengewehren saßen Männer, die den Platz mit den schweren Geschützen sicherten.

Aus dem Erdgeschoss des Gebäudes drang Lärm herauf. Menschen riefen und flehten. Etwas Schweres stürzte um, vielleicht ein Aktenschrank. In den nächsten Minuten überlegte Danny, ob sie sich einmischen sollte, ohne sich von der Stelle zu rühren. Dann war zu hören, wie Türen aufflogen, und schließlich wurden drei sich wehrende Menschen, eine Frau und zwei Männer, von einem Dutzend Söldner aus dem Gebäude geführt. Sie schienen zu den Randalierern zu gehören und hatten sich drinnen versteckt. Doch hier wusste jeder, wer dazugehörte und wer nicht.

Zehn Minuten später sah es so aus, als wäre nichts geschehen. Die Straße war wieder leer bis auf das gelegentliche Fahrzeug mit Genehmigung, das Vorräte brachte.

Danny hatte einen vagen Plan im Sinn. Er sah vor, dass sie noch ein paar Tage lang blieb, wo sie war, und nach Gelegenheiten Ausschau hielt. Das Abwarten war immer der schwierigste Teil eines Einsatzes. Äußerlich völlig ruhig ging Danny nach unten, um nach Kaffee zu suchen. Wie auf jedem Kriegsschauplatz waren kleine Dinge wieder zu unbezahlbarem Luxus geworden: private Toilettenkabinen, heißer Kaffee, eine gelegentliche Dusche. Wasser, das nicht nach Swimmingpool schmeckte. Sie sollte diese Dinge genießen, solange sie noch verfügbar waren.

Danny kam die große Treppe herunter und näherte sich einer Gruppe von Leuten in der Lobby. Sie sprachen leise und eindringlich über die Unruhen auf der Straße. Man war sich darin einig, dass es ein Aufstand war. Jemand warf ein, dass es kein Aufstand war, sondern die Menschen nur vor den Bränden flüchteten. Der Wind hatte sich gedreht, und nun erreichten die Flammen die bewohnten Bereiche. Danny kam näher, um die Gespräche zu belauschen. Vielleicht konnte sie diese Informationen gut gebrauchen.

»Die Leute flippen aus«, sagte ein junger Weißer mit Dreadlocks und großen Dichtungsringen aus Metall in den Ohrläppchen.

»Mann, man kann Menschen nicht auf ewig einsperren, Alter«, gab eine ältere Frau zurück, indem sie die Sprache des Jüngeren imitierte.

»Hör auf damit, Carol«, sagte ein großer, dünner Mann mit riesiger Brille. »Da draußen sind Leute erschossen worden. Wir könnten die Nächsten sein. Sie sind Tiere.«

»Die Menschenfresser da draußen sind die Tiere«, erwiderte Carol und wandte sich Brille zu. »Mir wäre ein wenig zusätzliche Sicherheit lieber als die Aussicht, von Monstern gefressen zu werden.«

»Ein wenig zusätzliche Sicherheit?«, sagte der Junge mit den Dreadlocks. »Du hast gesehen, was da abgegangen ist. Sie haben einfach auf Menschen geschossen. Das ist keine Sicherheit, das ist Nazi-Scheiße!«

Danny kam in den Sinn, dass über ihre eigene Marines-Truppe wahrscheinlich genau dasselbe gesagt worden war – allerdings auf Arabisch oder Farsi.

Ein kleinerer Mann in einer zerrissenen senfgelben Strickjacke meldete sich zu Wort. Danny erkannte ihn als Mitglied eines Minivan-Teams, das in der vergangenen Nacht auf Streife gewesen war. »Ihr müsst rausgehen, wenn ihr sehen wollt, was da los ist«, sagte er. »Die sichere Zone wird von Tag zu Tag kleiner. Gestern Nacht waren wir in einem Apartmentgebäude, und dort haben die Leute buchstäblich aufrecht auf der Treppe geschlafen. Es war kaum genug Platz, um mit dem Fuß aufzutreten. Es hat gestunken.«

»Wenigstens haben sie irgendein Dach über dem Kopf«, sagte Carol. »Wir sollten diesen tapferen Männern dankbar sein, dass sie uns beschützen – nicht nur vor diesen Wesen, sondern auch vor dem Mob –, Menschen, die nicht wissen, wie gut sie es haben.«

»Carol«, sagte der Mann mit der Brille, die er nun mit dem Hemdsaum putzte. »Wir arbeiten schon seit vielen Jahren zusammen, nicht wahr? Wir kennen uns schon sehr lange. Also versteh es nicht falsch, wenn ich sage, dass du einer der unsympathischsten Menschen bist, denen ich je begegnet bin.«

»Okay, was passiert also mit allen«, sagte Dreadlocks, »wenn der Platz nicht mehr reicht? Dann gehen sie auf die Straßen. Aber es herrscht Kriegsrecht. Man darf sich nicht auf der Straße aufhalten. Wenn der Druck im Kochtopf steigt, geht der Deckel hoch, Alter. Der Widerstand da draußen war erst der Anfang. Die Lage wird sich zusehends verschlimmern.«

»Freiheit«, sagte Carol mit eiserner Endgültigkeit, »gibt es nicht umsonst.«

Der Mann in der Strickjacke sah Danny und stupste Brille an. Alle Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Die Gespräche verstummten. In letzter Zeit geschah es häufig, dass Leute bei ihrem Anblick in Schweigen verfielen. Vielleicht änderte sich das, wenn ihr Haar nachwuchs und ihre Wunden verblassten, sodass sie nicht mehr so auffällig war. Es wäre nicht schlecht, wenn sie wieder Augenbrauen und Wimpern hätte. Sie würden Augen machen, wenn sie sie im Bikini sehen könnten. Sie ging zwischen ihnen hindurch, ohne Blickkontakt aufzunehmen, und war froh, dass es nicht mehr waren. Sie hasste es, angestarrt zu werden.

Danny ging in den Raum hinunter, wo die fertige Wäsche abgeholt werden konnte. Dann zog sie sich in der nächsten Damentoilette wieder den Überrest ihrer Uniform an, die sauber, aber immer noch zerfetzt war. Als ihre Kleidung den Eindruck erweckte, als hätte sie eine gewisse Autorität, erkundigte sie sich bei ein paar kompetent erscheinenden Leuten in der Lobby, ob es irgendwelche Konvois gab, die zur Pyramid fuhren. Eine Stunde später war sie unterwegs und bewachte mit einem Gewehr in der Hand eine Ladung Konservendosen mit Fertigsuppen und Ravioli.

Als sie sich den Wachen vor der Pyramid näherte, trug sie eine Kiste mit Dosen auf der Schulter. Der Fahrer des Lieferwagens, der ebenfalls mit Konservendosen beladen war, legitimierte Danny als »wichtige Angehörige des Wachpersonals«. Man hatte ihr keine Papiere gegeben, die sie hätte vorzeigen können, aber das spielte keine Rolle. Trotz der Ausgangssperre schienen nur wenige Leute Ausweise zu haben.

»So einfach ist das? Du bist bei ihm, also bist du in Ordnung?«, murmelte Danny dem Fahrer zu, als sie das Gebäude betraten.

»Du bist legitimiert, wenn sich jemand für dich verbürgt«, sagte er. »Ich beliefere diese Jungs mit Zigaretten. Sie mögen mich.« In der Lobby gingen sie nicht zu den Aufzügen hinüber, sondern nahmen die Treppe dahinter, die in den Keller mit den Lagerräumen führte. Danny hätte lebenswichtige Vorräte in einem höheren Stockwerk untergebracht, wo sie leichter zu verteidigen waren, aber das war nicht ihre Baustelle. Das gesamte Untergeschoss des Gebäudes war mit Trockennahrung, Medikamenten und Konservendosen vollgestopft. Es gab auch Munitionslager und Waffen, die gut zugänglich waren. Danny sah Tore, die groß genug waren, um mit einem Lastwagen hindurchzufahren, aber ihr war klar, warum man darauf bestand, das alles durch die Lobby hereingebracht wurde. Ein Zugang weniger bedeutete eine Schwachstelle weniger im Verteidigungsriegel. Man hielt die Tore verschlossen, damit niemand in einem benachbarten Gebäude auf die Idee kam, einen Überfall zu veranstalten. Und man konnte genau im Auge behalten, was rein- und rausging. Hier roch es intensiv nach Gemüsesuppe und Diesel. Danny konnte sich gut vorstellen, dass irgendwo ein paar kaputte Dosen herumlagen. Der Diesel war für die Generatoren, die in einem tieferen Geschoss unter dem Vorratslager rumpelten. Danny spürte die Vibrationen durch die Stiefelsohlen.

Nachdem alle Lebensmittel im Keller verstaut waren, entschuldigte sich Danny und fragte am Empfangstresen nach, wo die Personendaten aufbewahrt wurden. Die Frau am Empfang zog die Augenbrauen hoch.

»Ich bin Polizistin«, sagte Danny. »Ich suche nach verschiedenen Kriminellen.« Sie hatte beschlossen, es darauf ankommen zu lassen. Inzwischen würden die Leute jeden Vorwand schlucken, solange er dringlich klang.

Sie hatte sich eine recht melodramatische Geschichte ausgedacht. Wenn jemand fragte, würde Danny sagen, dass sie aus Los Angeles gekommen war, um mehrere Häftlinge zu verfolgen, die dort aus dem Gefängnis entkommen waren, als alles zusammenbrach. Sie gehörten zur allerschlimmsten Sorte. Sie hatte eine Liste mit Namen dabei. Natürlich stand auch Kelleys Name auf dieser Liste.

Wie sich herausstellte, war niemand daran interessiert, sich ihre Geschichte anzuhören. Sie wurde zu einem fensterlosen, beige gestrichenen Raum im ersten Stock geschickt. Dort saß ein müder Mann mit weißem Schnurrbart an einem Schreibtisch. Er und ein Dutzend andere übertrugen Namen von handgeschriebenen Zetteln in eine Computerdatenbank. Danny bat darum, die Liste der Flüchtlinge einsehen zu dürfen.

»Mit der Liste, die wir hier haben, werden Sie nicht viel anfangen können«, sagte der müde Mann.

»Ich würde sie mir trotzdem gern ansehen«, sagte Danny.

»Kommen Sie in einer Woche wieder«, erwiderte der Mann kopfschüttelnd.

»Sir … es ist sehr wichtig.«

Der Mann kniff die Augen zusammen. Er drehte den Bildschirm herum, sodass Danny ihn nicht mehr sehen konnte. »Zu wem gehören Sie?«

»Ich komme aus einer kleinen Stadt bei Los Angeles …« Danny machte sich bereit, ihre Geschichte zu erzählen, aber weiter kam sie nicht.

Der müde Mann winkte ab. »Sie haben nichts mit Hawkstone oder der Stadtverwaltung zu tun, oder?«

»Nein«, sagte Danny. »Bitte zeigen Sie mir die Liste. Es ist wichtig.«

»Man hat Sie nicht aufgefordert, hier unten nach dem Rechten zu sehen?«

»Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein«, gab Danny zu. »Es ist eine persönliche Angelegenheit. Deswegen bin ich dreihundert Meilen weit gefahren.«

Der Mann lehnte sich in seinem quietschenden Stuhl zurück und gluckste leise. Es war ein trockenes, humorloses Lachen, fast wie das Schnaufen, das auf einen bösen, aber nicht besonders komischen Witz folgte.

»Die Mühe hätten Sie sich sparen können. Die Idioten da oben haben uns gesagt, dass jeder von uns fünfhundert Namen pro Stunde eingeben soll, sonst würden wir wieder auf der Straße landen. Also gab man uns diese Stapel mit Namenslisten, die man an den Kontrollpunkten zusammengestellt hat.« Er zeigte auf einen Karton voller schmuddeliger Zettel. »Jetzt tippen wir jeden verdammten Namen in den Computer ein, und am Ende jeder Schicht werfen wir diesen ganzen Mist in die Verbrennungsanlage. Mit anderen Worten: Es gibt keine Liste.«

Dannys Augen brannten. Die Luft draußen war drückend und verrußt. Der Wind hatte sich erneut gedreht und wehte dreckigen Rauch und Asche heran. Falls Danny weinte, konnte sie sich einreden, dass es nur am Rauch lag. Aber letztlich war es ohnehin egal. So oder so blieb am Ende nur Asche übrig. Sie blickte sich zur Transamerica Pyramid um und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis auch dieses Gebäude von wandelnden Leichen bewohnt wurde. Es wurde Zeit, aus San Francisco zu verschwinden, bevor hier alles zusammenbrach. Sie musste nach Boscombe Field zurückkehren und das tun, was sie am besten konnte: über ihre Fehler nachgrübeln.

Danny fuhr mit ihrem Wachteam zur Begrenzung, das Gewehr aufrecht zwischen den Knien, ein Messer in der Tasche ihrer Uniformhose. Sie war nur auf ein einziges Ziel konzentriert: Sie wollte aus der befestigten Stadt herauskommen. Sie übernahm die erste Patrouille des Blocks, der ihnen zugewiesen worden war. Gegenüber hatten zwei Gebäude während des Tages Feuer gefangen, und nun drückten sie beide Augen zu, als die früheren Bewohner während der Stunden der Ausgangssperre in der schwelenden Ruine ein- und ausgingen. Der gesamte Block wurde durch die kleinen Feuer erhellt, die alles verzehrten, was außer Holzkohle und Mauerwerk übrig geblieben war. Im Laufe der Nacht fanden die Leute einen neuen Unterschlupf und wurden nicht mehr gesehen.

Irgendwann war Danny ganz allein, in der Stunde zwischen sehr spät und sehr früh. Sie stand unter dem Rauch, der mit einem Geräusch wie rieselnde Schneeflocken über der Stadt aufstieg. Es war eher ein Druck im Ohr, fast ein Nicht-Geräusch. Dahinter grollten und murmelten die Brände. Dicker Rauch wirbelte empor und leuchtete, wo drinnen rote Flammen loderten, umtanzt von hellen Funken, die in der Luft erloschen. Der Rauch sammelte sich schwarz, heiß und trocken am Himmel und ließ Asche und Schlacke herabregnen. Der Gestank war furchtbar. Schwefel und Gift und die Überreste alltäglicher Dinge drangen in Dannys Nase.

Sie wollte unbedingt vor Sonnenaufgang aus der Stadt raus und auf dem Weg nach Boscombe Field sein, aber zu große Hast konnte sich zu diesem Zeitpunkt als verhängnisvoll erweisen. Sie beschloss, wie gewohnt zu patrouillieren und nach einer Gelegenheit Ausschau zu halten, sich davonzustehlen und durch die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten zu schlüpfen. Sie glaubte fast, sich unter den Toten sicherer zu fühlen. Zumindest reagierten sie vorhersagbarer.

Nachdem Danny ihren ersten stationären Posten übernommen hatte und sich bereits eine Ascheschicht auf ihren Schultern angesammelt hatte, hörte sie einen Motor. Ein Humvee näherte sich dem Block und kam genau vor ihr zum Stehen. Ein Mann in Tarnuniform mit struppigem Kinnbart beugte sich aus dem Fenster auf der Beifahrerseite.

»Sind Sie Danny?«, fragte er.

Danny sagte nichts. Sie hatte den Kragen ihres T-Shirts hochgezogen, um ihre untere Gesichtshälfte vor dem Ruß zu schützen. Ihre Gedanken rasten: Was wollte der Mann? Warum war er hier? Wer hatte ihn geschickt? Er strahlte ihr mit einer Taschenlampe in die Augen, um zu bestätigen, dass sie die gesuchte Person war. Dann zeigte er mit dem Daumen auf den Rücksitz des Fahrzeugs.

»Ich darf meinen Posten nicht verlassen«, sagte Danny. »Das hier ist die Seite, von der die Zets kommen werden.«

Der Mann im Humvee sagte etwas in ein Funkgerät.

»Das geht in Ordnung«, sagte er zu Danny.

Sie nahm ihr Gewehr von der Schulter und stieg in den Humvee, in die vertraute große Kabine mit den Bänken an den Seiten, auf denen sie während ihrer Einsätze so viele Stunden durchgerüttelt worden war. Zwei Hawkstone-Männer waren bei ihr. Beide trugen zivile Atemschutzmasken. Sie setzte sich in die Nähe des offenen Hecks des Fahrzeugs und hielt ihr Gewehr lässig in der Hand – so, dass sie es schnell hochreißen konnte, falls man ihr irgendwelche Schwierigkeiten machen wollte.

Ihre schnelle Analyse der Situation erbrachte keine angenehmen Gründe für die Aufmerksamkeit, die man ihr schenkte. Sie hatte ein Problem. Wahrscheinlich wegen ihrer sinnlosen Nachfrage im Datenraum der Pyramid. Vielleicht hatte der müde Mann mit dem Schnurrbart sie verpfiffen.

Einige Minuten lang fuhren sie schweigend, zuerst nach Westen, dann nach Süden, wie es aussah. Die Westseite der Straße wurde von einer massiven Barrikade begrenzt, die hauptsächlich aus Autowracks und Gebäudetrümmern bestand. Man hatte alles mit einem Bulldozer zu einem Wall zusammengeschoben und mit Stacheldraht verkleidet. Soweit Danny sehen konnte, zog sich die Barrikade die ganze Straße entlang, an die Fassaden der Gebäude gedrückt und an den Kreuzungen aufgetürmt, um eine ununterbrochene, knapp vier Meter hohe Begrenzung zu bilden. Die verrauchte Dunkelheit wurde in diesem Bereich punktuell von batteriebetriebenen Lampen erhellt, sodass die Welt zwischen tiefen, blutig braunen Schatten und Teichen aus kränklichem grünen Licht wechselte. Es schien heftig zu schneien, aber die Luft war sengend heiß.

Die Scheibenwischer kratzten die Asche vom Glas. Der Fahrer hatte sich über das Lenkrad vorgebeugt. Schlechte Sichtverhältnisse. Dreck wirbelte durch das Heck des Humvee herein. Ein Scheinwerfer fing ein Straßenschild ein, und Danny erkannte, dass sie über die Guerrero Street fuhren. Damit konnte sie nichts anfangen, aber sie wusste, was das Wort bedeutete: Krieger. Ramirez hatte es ihr beigebracht, in der Wüste auf der anderen Seite der Welt.

Sie kamen an eine breite Kreuzung, auf der ein Bradley-Schützenpanzer stand. Ein Söldner mit Nachtsichtbrille saß hinter der Kaliber-50-Kanone auf dem Dach. Die Kreuzung war mit Stacheldraht verbarrikadiert. Nicht weit dahinter brannten neue, helle Flammen vor den Silhouetten einer Massenansammlung von Untoten. Sie zerrten an der Barrikade, und ihre Augen schimmerten gelb, wenn Licht darauf fiel. Es waren Tausende. Das Feuer dröhnte, und stimmlose Münder stöhnten.

Danny hatte die buchstäbliche Grenze zwischen Leben und Tod erreicht.

Sie stieg aus dem Humvee. Ihr Gewehr baumelte lässig an ihrer Schulter, nur wenige Grad von den Männern abgewendet, mit denen sie zusammen war. Sie standen herum und schienen auf jemanden zu warten. Der Mann mit dem Kinnbart sprach wieder in sein Funkgerät. Danny wünschte sich sehnlichst ein solches Gerät. Außerdem wünschte sie sich eine Maschinenpistole. Doch am meisten sehnte sie sich danach, nicht hier herumzustehen, wo sich das Getöse des Feuers mit dem Stöhnen der Untoten in der heißen Brise vermischte. Die Luft war derart brandgeschwängert, dass es schien, als könnte sie sich jeden Moment selbst entzünden.

Das, dachte Danny, ist die Apokalypse.

Es gab mehrere Möglichkeiten. Die erste: Man erschoss sie hier an Ort und Stelle. In diesem Fall würde sie versuchen, ein paar von ihnen mitzunehmen, bevor sie starb. Kein beeindruckender Plan.

Zweite Möglichkeit: Man schickte sie hinaus, damit sie starb. In diesem Fall würde sie einfach ihrem ursprünglichen Plan folgen und wie eine Verrückte losrennen. Diesem Plan fehlten die Details.

Die dritte Möglichkeit: Man wollte, dass sie sich die Situation ansah und ein paar strategische Vorschläge unterbreitete, die auf ihren Erfahrungen basierten, die sie auf der anderen Seite gesammelt hatten. Das war die logischste Schlussfolgerung und für Danny die am wenigsten wahrscheinliche Möglichkeit. Sie hatte immer wieder die Erfahrung gemacht, dass niemand etwas aus guten, logischen Gründen tat. Jeder ging nur von seinen eingeschränkten Vorstellungen aus, wie die Welt funktionieren sollte.

Vielleicht war es einfach nur das. Doch Danny spürte die Nähe des Todes.

Nachdem sie und ihre Eskorte so lange im kränklichen Licht der Batterielampen gestanden hatten, dass sie von einer neuen Ascheschicht bedeckt waren, trat eine neue Variable auf der Kreuzung in Erscheinung.

Es war ein Motorrad, irgendein schnelles japanisches Ding, das mit Kunststoff verkleidet war. Der Fahrer ließ die Maschine auf die Seite fallen und entfernte sich. Für ihn war es nicht mehr als ein Werkzeug. Danny bemerkte, dass sich Kinnbart und die übrigen Männer anspannten, als die Gestalt näher kam. Sie gingen nicht so weit, Haltung anzunehmen, aber wirkten auf einmal nicht mehr so lässig. Danny hielt weiterhin unauffällig ihr Gewehr bereit. Wenn das ihr Henker war, würde sie den ersten Schuss abgeben.

Als sich der Schattenriss vor dem Feuerschein in eine räumliche Gestalt auflöste, dachte Danny, dass es der Tod höchstpersönlich war, der auf sie zukam. Vielleicht lag es auch nur an der Szenerie.

Er war komplett in Leder gekleidet. Für menschliche Zähne bot dieser Mann keinerlei Angriffspunkt. Er war in eine dicke, zerkratzte Motorradkluft aus Leder eingepackt. Die Schutzpolster verliehen ihm einen steifen Gang. Die Stiefel waren der Overkill, entschied Danny. Etwa fünfzig Riemenschnallen von den Zehen bis zum Knie, was bedeutete, dass sie verdammt schwer und unflexibel waren. Aber die unterarmlangen Schutzhandschuhe fand sie eine gute Idee. Der Mann sah wie ein schlanker, schwarzer Alligator aus. Auf dem Kopf trug er einen gelben Bauarbeiterhelm aus Kunststoff über einer ledernen Fliegerkappe, dazu eine Skibrille und eine Atemschutzmaske. Um die Hüfte war ein Gürtel geschlungen, an dem hässliche Instrumente zum Schlagen und Stechen hingen, außerdem ein Holster mit einer Waffe, die wie eine Luger-Selbstladepistole aus dem Zweiten Weltkrieg aussah.

Ein paar Sekunden lang fühlte sich Danny durch dieses bizarre, unverwundbare Geschöpf eingeschüchtert, das auf sie zumarschierte. Doch im nächsten Moment musste sie sich zusammenreißen, um nicht laut zu lachen. Er sah eher aus, als wäre er zu spät zu einer Halloween-Party gekommen. Sehr Mad-Max-mäßig. Seine Kleidung war so schwer, dass er sich nur halb so schnell wie Danny bewegen konnte. Wahrscheinlich hörte er nicht besonders gut, und sein Blickfeld musste verdammt eingeschränkt sein. Diesen Kerl konnte sie mit links fertigmachen.

Die Erscheinung zog sich die Atemmaske vom Gesicht, und Danny erlebte die nächste Überraschung. Es war eine Frau. Der Werkzeuggürtel und die Lederschichten hatten ihre Figur verborgen. Die Frau setzte die Skibrille auf den Helm und blickte die Männer an. Dann musterte sie Danny wie einen Wettkampfgegner. Danny sagte nichts und zeigte auch keine Reaktion.

»Sie sind also die zähe Kämpferin«, schnurrte die Frau. »Mich nennt man die Zet-Killerin.« Ihre tiefe Stimme klang wie Honig und Bourbon. Ihr Gesicht war sauber und glatt, wo der Ruß nicht hingelangt war, und eine schmutzige Kriegsbemalung markierte die schmale Lücke zwischen Brille und Maske.

Kinnbart räusperte sich und spuckte vor ihren Füßen in die federleichte Asche. Er zeigte mit dem Daumen auf Danny.

»Sie weiß nichts über die Mission. Ich dachte mir, du könntest ihr davon erzählen.« Seine Worte waren ausweichend, dachte Danny. Also würde der nächste Teil des Gesprächs aus einer großen Lüge bestehen, oder vielleicht geschah etwas. Auf diese Weise starben die Leute. Der Henker erwies sich als Bondage-Girl, man entspannte sich, und im nächsten Moment war man tot. Das durfte Danny nicht zulassen.

Die Frau wandte sich Danny zu und beachtete die Männer nicht mehr. Sie standen weiter herum, während sie unmerklich von einer Eskorte zur bloßen Gefolgschaft degradiert wurden.

»Wie ich hörte, hast du dich von L. A. bis hierher durchgekämpft«, sagte die Frau.

»Ja«, bestätigte Danny. »Was ist los?« Sie wollte keine Zeit mehr verlieren. Wenn es jetzt ums Ganze geht, wollen wir es hinter uns bringen. Es ermüdete sie, ihren Körper so lange in Verteidigungshaltung anzuspannen.

»Ich habe da draußen einen Auftrag zu erledigen«, sagte die Frau, »aber ich kann es nicht allein tun. Dazu sind vier Hände nötig. Bisher sind alle gestorben, bevor wir das Ziel erreichen konnten. Was ich ihnen nicht mal übelnehmen kann.«

»Hm«, machte Danny. Die Absurdität dieser Situation machte sie nachlässig, aber sie konnte sich nicht mehr zusammenreißen.

Sie hatte das Gefühl, immer tiefer in die Irrealität abzutauchen. Sie kam sich vor, als würde sie mit Bozo, dem Clown, über eine Reise zum Mond reden. Aber wenn Danny durch diesen Auftrag die Gelegenheit erhielt, aus der Stadt rauszukommen …

»Du lächelst. Was amüsiert dich so?«, fragte die Lederfrau.

»Ich habe mich nur an einen alten Witz erinnert«, sagte Danny, die für diese Leute kein Interesse mehr aufbrachte. Man würde sie nicht töten, zumindest nicht sofort. Sie hatten einen ausgeklügelten Plan. Wenn Danny ihnen draußen im Niemandsland den Rücken zukehrte, hetzten sie ein paar Zombies auf sie, aus welchem Grund auch immer. Oder man schoss ihr in den Kopf, während sie zu einer Sehenswürdigkeit unterwegs waren, die die Senatorin ihr unbedingt zeigen wollte. Danny wurde klar, dass sie viel mehr daran interessiert war, warum all das geschah, als daran, was als Nächstes geschehen sollte. Was natürlich äußerst gefährlich werden konnte. Sie konzentrierte sich wieder. Bleib wachsam. Du gegen den Rest der Welt. Angefangen mit diesen Verrückten.

Die Männer hinter Danny scharrten unruhig mit den Füßen. Diese Frau jagte ihnen offenbar eine Heidenangst ein. Danny entschied, wieder ernst zu werden. Den erfahrenen Profi auszuspielen. Um Mrs. Mad Max das Gefühl zu geben, dass sie es mit einem ebenbürtigen Gegenüber zu tun hatte. Danny sprach in die Stille.

»Ich habe Wache geschoben, dann haben mich diese Jungs quer durch die Stadt in dieses Höllenloch gebracht, und ich weiß überhaupt nicht, was hier gespielt wird. Also wäre es eine gute Idee, wenn du mir einfach erklärst, was los ist. Weil wir gerade unsere Zeit vergeuden. Und ich hasse es, Zeit zu vergeuden. Weil nicht mehr allzu viel davon übrig ist.«

Eine halbe Stunde später waren Danny und die Leder-Lady alias Liz Magnussen alias die »Zet-Killerin« auf dem Weg ins Zombie-Territorium. Sie hatten kurz an einem Bauwagen mit Generator angehalten, wo Danny ihre Ausrüstung erhielt. Jetzt trug sie über ihrer Uniform eine Bikerjacke im Polizeistil, gelbe Wildlederhandschuhe und eine Strickmütze, die ihre Ohren schützte. Sie hatten schon viele Leute durch infizierte Bisse in die Ohren verloren. Danny lehnte die schweren Reiter-Chaps und die lederne Schädelkappe ab. Dafür nahm sie dankbar einen der Werkzeuggürtel entgegen, die an Kleiderhaken im Bauwagen hingen.

Es war der Standardgürtel der Polizei mit geprägtem Flechtmuster. Die kleinen Taschen, in denen normalerweise Pfefferspray, Handschellen, Messer und Kaugummi steckten, waren unten aufgeschnitten worden, damit Waffen hineinpassten. Anderes Gerät war mit Klettband befestigt.

Magnussen demonstrierte die Verwendung dieser Dinge, während sich mehrere Zuschauer ehrfürchtig auf Distanz hielten. »Wir haben Schweißgeräte zur Verfügung, und wir haben uns ein paar neue Sachen hergestellt. Diese Waffe ist nagelneu – eine Schädelhacke.« Es war eine Stahlstange mit kreuzförmigem Ende. Alle drei Spitzen des Kreuzes waren scharf wie Nägel. »Stoßen Sie mit der mittleren Spitze zu. Zielen Sie auf den Mund. Hinein und hinauf. Man kann die Hacke auch seitlich wie einen Hammer schwingen. Ich finde es mit der Rückhand leichter als mit der Vorderhand. Zumindest für weibliche Handgelenke«, fügte sie hinzu, worüber ein paar der Zuschauer lachten.

Danny war vom Gesicht dieser Frau fasziniert. Sie hatte einen skandinavischen Namen, aber wenn man nach ihrem Aussehen ging, war sie mindestens zur Hälfte asiatisch. Sie könnte ein Showgirl gewesen sein, wenn man von der schiefen Nase und der alten weißen Narbe über ihrer Oberlippe absah.

»Mit diesen Schädelhacken hat sich die Angelegenheit entscheidend verändert«, fuhr Magnussen fort. »Ich habe vier bei mir, und du hast drei bekommen. Wenn eine in einem Zet feststeckt, will man keine Zeit damit verlieren, sie herauszuzerren, während andere auf einen zukommen. Schnapp dir einfach eine neue, wie ein Papiertaschentuch.«

»Was du nicht sagst.« Danny dachte daran, wie praktisch diese Waffen in den letzten paar Wochen gewesen wären. Sie bemerkte nicht, dass sich die Aufmerksamkeit im Bauwagen auf sie konzentrierte. Jetzt war sie in ihrem Element und klang genauso hart und kompetent wie die Zet-Killerin. Absolut cool und professionell.

»Da drüben gibt es noch mehr von den Hacken«, sagte Magnussen. »Zustechen und zurücklassen, empfehle ich, aber man kann gar nicht zu viele Waffen bei sich haben. Eins ist mir noch aufgefallen: Ziel auf die Nase. Das bringt den Vorstoß der Zets zum Stocken.«

Danny nickte. »Wenn sie uns verfolgen, arbeiten sie mit dem Geruchssinn. Ich glaube, sie wittern unseren Atem. Ich habe gemerkt, dass sie mich nicht mehr wahrnehmen, wenn ich den Atem anhalte.«

Magnussen schien davon beeindruckt zu sein. »Genau. Aus diesem Grund trage ich die Atemschutzmaske. Das verwischt meine menschliche Signatur.«

Sie löste ein anderes Gerät von einem Klettstreifen an ihrem Gürtel, ein Metallrohr mit einer Drahtschlaufe am einen Ende und einem Schraubdeckel am anderen. Die Zuschauer wichen noch weiter zurück. Danny dachte sich, dass es nur eine selbst gebastelte Handgranate sein konnte. Magnussen hatte ein halbes Dutzend davon hinten an ihrem Gürtel, was gleichzeitig ein guter Nierenschutz war – vorausgesetzt, die Drahtschlaufen verfingen sich nicht irgendwo.

»Am Draht reißen und werfen. Selbst wenn der Draht nicht ganz herauskommt, geh am besten davon aus, dass dir noch zehn Sekunden bleiben. Wir haben uns für die lange Zünddauer entschieden, weil es kein üblicher Kampf unter Menschen ist. Dieser Feind flüchtet nicht, wenn eine Granate auf ihn zufliegt. Sie sind mit Stahlkugeln oder Zehn-Cent-Münzen gefüllt. Wer behauptet, Geld hätte seinen Wert verloren?«

Darüber lachten alle außer Danny.

»Ich will auch eins von diesen Funkgeräten«, sagte Danny und zeigte auf Magnussens Satellitentelefon. An der Wand hing ein Regal, auf dem mehrere Geräte aufgeladen wurden.

»Keine Chance«, sagte ein Mann am anderen Ende des Wohnmobils.

»Warum nicht?«, fragte Danny. »Es geht um Leben und Tod.«

»Weil Sie keine Befugnis …«, begann der Mann.

Magnussen fiel ihm ins Wort. »Gib ihr eins, Sheldon. Stell es auf sechs-sieben-sieben ein.«

Der Mann zuckte mit den Schultern und gehorchte. Danny nahm das kostbare Funkgerät entgegen und steckte es sich in den Gürtel. Doch dann stellte sie fest, dass ihre Hose rutschte. In der Aufregung der letzten Zeit hatte sie eine Menge Gewicht verloren. Also erleichterte sie den Gürtel. Sie würde auch mit einer Schädelhacke auskommen. Die vielen spitzen Waffen, die an ihren Beinen hingen, konnten zu selbstverschuldeten Verletzungen führen, die sie im Kampf gegen die Zombies schwächten. Sie würde lieber improvisieren als kriechen. Sie war in ihrem Leben schon genug herumgekrochen.

Neben der Schädelhacke behielt sie vier Handgranaten und ein großes Jagdmesser. Außerdem war sie mit einigen üblicheren Geräten ausgestattet: einem Multifunktionswerkzeug, einem kleinen Gasbrenner und einer kurzen Hochleistungstaschenlampe.

»Du bist unzureichend für die Mission ausgestattet«, sagte Magnussen, nachdem Danny ihre Ausrüstung reduziert hatte.

»Dann sag mir doch einfach, worum es bei dieser verdammten Mission geht«, erwiderte Danny und verließ das Wohnmobil.

Sie stapften durch die Trümmer und verkohlten Überreste dessen, was einst das Glen-Park-Viertel von San Francisco gewesen war. Danny bemerkte mit verbitterter Belustigung, dass sich an der Ecke, wo sie durch die Barrikade gingen, die Guerrero Street und die Army Street kreuzten. Auch César Chávez war hier irgendwo, aber das System, nach dem die Straßen benannt waren, ergab keinen Sinn, da Hauptverkehrsadern überall ohne Plan ineinander übergingen. Sie liefen die Guerrero hinunter, bis sie zur San Jose Avenue wurde, dann bewegten sie sich über eine längere Strecke durch die Dämmerung.

Überall rückten die Zets vor. Sie drängten sich hinter der Barrikade, und man hatte für beträchtliche Ablenkung sorgen müssen, damit Magnussen und Danny über die Mauer steigen konnten, ohne dass eine Horde der stöhnenden Geschöpfe in so großer Zahl über sie herfiel, dass sie nicht weitergekommen wären. Die Tore zu benutzen kam nicht infrage. Die Zets schienen erkannt zu haben, dass sie der leichteste Zugang zum Fleischbuffet waren.

»Will noch jemand was, während wir draußen sind?«, hatte Magnussen gewitzelt, und wieder hatten die anderen gelacht. »Ich werde berühmt sein, wenn das hier vorbei ist«, flüsterte sie Danny zu.

Sie ist süchtig nach Aufmerksamkeit, erkannte Danny. Sie zieht die Sache durch, als wäre es eine Realityshow.

Die Situation kippte in Wahnsinn um. Die Welt verlor zusehends den Kontakt zur Wirklichkeit.

Sie hatten über das Hindernis klettern müssen, dann ging es über eine waagerecht ausgelegte Leiter zu einem Fenster im Obergeschoss eines Wohngebäudes, das sie auf der gegenüberliegenden Seite über eine Feuerleiter verließen. Zu diesem Zeitpunkt waren sie bereits einen Block von ihren Mitstreitern entfernt, die laut schreiend für Ablenkung sorgten und Trümmer auf die Untoten warfen.

Danny fragte sich, ob die Überlebenden wirklich eine so große Menge der Wesen hätten anlocken sollen. Es schien die Zets anzustacheln, den Druck gegen die Barriere zu erhöhen. Aber nur auf diese Weise konnten Magnussen und Danny an ihnen vorbeikommen. Besonders beunruhigend an dieser Höllenszene – abgesehen von den schrecklichen Verbrennungen und Verletzungen, die so viele Untote aufwiesen – war die Tatsache, dass die Zombies aus allen Teilen der Stadt auf die Barrikade zuströmten.

Danny und Magnussen rannten eine Viertelmeile, nachdem sie unter der Feuerleiter den Boden erreicht hatten. Die Strahlen ihrer Taschenlampen zuckten wild umher. Es gab keine andere Möglichkeit, wenn sie es vermeiden wollten, von der Übermacht des Feindes überwältigt zu werden. Danny stellte zu ihrer Zufriedenheit fest, dass sie eine bessere Ausdauer als ihre Begleiterin hatte, und es lag nicht nur an den schweren Mad-Max-Stiefeln. Danny war fitter.

Sie waren zu etwas unterwegs, das Magnussen als »280« bezeichnete. In Los Angeles sprach man von der 405 oder der 134. Hier nannte man nur die Zahl, was für Danny verwirrend war. Die 280 verlief diagonal vom Südwesten zum Nordosten der Stadt in Richtung Oakland. Die Mission war relativ einfach, doch sie hatte schon mehreren qualifizierten Menschen das Leben gekostet. Magnussen hatte die Sache zu ihrer persönlichen Aufgabe gemacht, aber eine Einzelperson konnte sich unmöglich darum kümmern und gleichzeitig auf sich aufpassen. Sie hatte von den Leuten »in der Kommandozentrale« gehört, dass Dannys Heldentaten sie zur besten potenziellen Kandidatin machten, die die Stadt seit dem Fall von Chinatown erreicht hatte.

Sie verglichen ihre Erfahrungen hinsichtlich der Fähigkeiten der Zets. Danny berichtete von ihren Begegnungen mit den schnelleren, geschickteren Exemplaren. Magnussen war ebenfalls auf ein paar relativ intelligente Wesen gestoßen, aber glaubte nicht recht daran, dass sie tatsächlich zu Problemlösungen imstande waren. »Die Tür war vielleicht gar nicht ins Schloss gefallen«, sagte sie zur alten Zombie-Frau, die Danny im Hotel in Potter angegriffen und eine Türklinke betätigt hatte, um zu ihr zu gelangen. »Denn falls sie wirklich schlauer werden, sind wir erledigt.«

Bislang gehörten die Zombies von San Francisco zur langsamen, stumpfsinnigen Variante. Trotz ihrer Witzeleien nahm Magnussen die Angelegenheit sehr ernst. Sie war eine führende Expertin für die Zet-Bekämpfung in dieser Stadt. Aber sie hatte nur Verachtung für den Feind übrig. Das würde irgendwann zum Desaster führen. Aus diesem Grund traute Danny ihrer Begleiterin keinen Millimeter über den Weg. Sie war sogar davon überzeugt, dass man sie für diese gemeinsame Mission mit Magnussen auserwählt hatte, weil sie entbehrlich war. Selbst wenn Danny bis zum Ende durchhielt, zweifelte sie daran, dass sich die Tore für sie beide öffnen würden. Nicht wenn es bedeutete, dass Magnussen den Ruhm mit ihr teilen musste. Nicht wenn Vivian Anka sie »wiederhaben« wollte. Aber vielleicht war Danny auch nur paranoid geworden. Ganz bestimmt. Das war der Grund, warum sie noch am Leben war. Letztlich spielte es sowieso keine Rolle, welche Pläne man in der Stadt mit ihr verfolgte. Sie hatte nicht die Absicht, hinter die Barrikade zurückzukehren.

Magnussen führte sie aus der heißen Zone heraus. Dafür wollte Danny ihr helfen, das Ziel zu erreichen, um ihr anschließend alles Gute zu wünschen, ein Fahrzeug zu beschlagnahmen und sich auf den Rückweg nach Boscombe Field zu machen.

»Wie ist deine Geschichte?«, fragte Danny, als sie zügig weitermarschierten. Sie zogen eine große Horde Zets hinter sich her, aber Magnussen schien sich deswegen keine Sorgen zu machen. Die Frauen bewegten sich schneller als die Zombies, und die Untoten verloren das Interesse, sobald die menschliche Witterung verblasste. Also war die Zahl ihrer Verfolger nie größer als vierzig oder fünfzig, und sie lagen weit genug hinter ihnen.

Seit ihrem Aufbruch waren sie keinem Zet näher als zehn Meter gekommen. Es brachte nichts, sich auf einen Kampf einzulassen. Fast alle Untoten in diesem Bereich waren verbrannt, manche sogar so stark, dass sie kaum noch bewegungsfähig waren. Sie waren von den brennenden Vierteln herübergewankt. Danny behielt vor allem die am frischesten wirkenden Exemplare im Auge, weil sie vielleicht von außerhalb der Feuerzone gekommen waren. Sie konnten zu den intelligenteren Zombies gehören.

Magnussen beantwortete ihre Frage nicht, und Danny ließ die Sache auf sich beruhen.

Sie liefen zügig drei oder vier Meilen weit durch die Nacht. Am besten konnten sie ihre Umgebung sehen, wenn sie die Taschenlampen hin und her zucken ließen. Dadurch wurde ein 3-D-Effekt erzeugt, der menschliche Gestalten aus der Hintergrunddunkelheit riss.

Magnussen hob die Hand und blieb stehen. Sie zog eine Schädelhacke aus dem Gürtel. »Vor uns sind verdammt viele von ihnen, und danach haben wir 280 erreicht. Dort ist ein Zaun, vor dem sie sich sammeln. Wir werden eine Abkürzung durch die Cuvier Street nehmen, wo es nicht so voll ist, aber die Straße ist recht eng, und überall stehen Autos herum. Zwei Blocks und ein Wendeplatz am Ende. Von dort geht es über eine Mauer und eine Böschung hinunter auf den Freeway. Wir können nicht über die Mauer blicken. Also machen wir es mit einem Ave Maria.«

Ihr Ziel, wie Magnussen erklärt hatte, bestand darin, einen Konvoi von Armeefahrzeugen zu erreichen, der am zweiten Tag der Krise stecken geblieben war, in nördlicher Richtung auf dem Freeway im sogenannten Sunnyside-Viertel. Vom Hubschrauber aus hatten die Hawkstone-Männer gesehen, dass zum Konvoi auch ein Lastwagen mit einer »höchst begehrenswerten militärischen Ladung« gehörte, dessen Einsatz einen Fluchtkorridor von der Innenstadt zu einer sicheren Zone im Umland öffnen konnte. Danny verzichtete auf den Hinweis, dass es außerhalb der Stadt keine sichere Zone gab, aber dort konnte es nur besser sein als hier. Schätzungsweise eine halbe Million Zets drängten sich um das Stadtzentrum mit der schmackhaften Beute.

Magnussen warnte Danny davor, dass es rund um das Ziel zahlreiche Zets in Uniform und Schutzkleidung gab, wodurch sie erheblich schwerer zu erledigen waren. Aber keiner von ihnen lebte. Also sollte sie nicht zögern, sie auszuschalten. Zusätzlich zu den Armeesoldaten, die die Waffen ursprünglich transportiert hatten, war bei einem anschließenden Einsatz auch ein Hawkstone-Helikopter verloren gegangen. Jetzt schlurften dort die Überreste der Soldaten und Hawkstone-Männer herum. Sie waren gierig auf Beute und bewachten unbeabsichtigt weiterhin ihren Konvoi.

Danny und Magnussen hatten sich kurz abgesprochen, wer was tun sollte. Es ging darum, den Lastwagen in Bewegung zu setzen. Der Freeway war eine einzige Ansammlung von Wracks und Trümmern, bis weit in den Norden, wo er zur Embarcadero wurde und eine der Grenzen der bewohnten Zone der Stadt bildete. Aber wie es aussah, würden sie sich mit einem so schweren Gefährt durch die verlassenen Fahrzeuge hindurchkämpfen können. An der Grenze konnte dann eine Einheit bewaffneter Leute durch die Barriere vorstoßen, die Ladung bergen und in den sicheren Bereich zurückkehren.

Das Problem war jedoch, dass die Spitze des Konvois aus einem großen, dinosaurierartigen Cougar MRAP bestand, einer Kreuzung aus Panzerwagen und Zementmischer. Dieses Ding blockierte die Straße. Also würden sie das monströse Gefährt aus dem Weg fahren müssen, weil der Lastwagen nicht imstande war, die fünfzehntausend Kilo, die das Ding wog, einfach zur Seite zu schieben.

Magnussen konnte mit einer nicht synchronisierten Schaltung umgehen. Also würde sie den Lastwagen fahren. Der MRAP hatte ein Automatikgetriebe.

Danny war mit dem Plan einverstanden, allerdings mit Ausnahme eines kleinen Details. Es gab für sie keine Möglichkeit, anschließend wieder zu Magnussen ins Führerhaus des Lastwagens zu steigen. Danny war auf sich allein gestellt, nachdem sie den Cougar aus dem Weg geschafft hatte. Doch sie hatte ohnehin vor, den Cougar für sich zu requirieren, um die Stadt mit einem geeigneten fahrbaren Untersatz verlassen zu können. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass Magnussen kein großes Problem damit hätte, wenn ihre Konkurrentin um den Titel der »Königin der Zombie-Killer« freiwillig das Feld räumte.

Obwohl es nicht ganz fair war, Magnussen schon vor der Rückfahrt zu verlassen, fand Danny, dass es wesentlich besser für sie wäre, sich möglichst früh aus dem Staub zu machen. Sie versuchte sich einzureden, dass sie zu viel grübelte. Mrs. Zet-Killerin schien sich zwar nicht besonders freundlich, aber professionell zu verhalten. Danny hatte ihre ungewöhnliche Begleiterin in Aktion beobachtet – offenbar zog sie sich an dem ganzen Superheldenkram hoch, wenn sie sich wie Batman verkleidete und sich mit möglichst vielen Waffen behängte. Es war reine Angeberei. Außerdem war Danny aufgefallen, dass Magnussen mächtig übertrieb, wenn sie ihren Kollegen von den drohenden Gefahren erzählte. Sie versuchte, so viel wie möglich für sich herauszuschlagen.

Danny glaubte nicht, dass sie verräterische Pläne verfolgte. Die Sache war auch ohne verwegene Intrigen schwierig genug. Aber sie würde sehr wachsam sein müssen, wenn der Moment gekommen war, an dem sie nicht mehr unentbehrlich war. Vielleicht sollte sie sich absetzen, bevor dieser Punkt erreicht war. Man konnte nie wissen. Schließlich war keiner von Magnussens früheren Begleitern lebend zurückgekehrt.

Sie blickten die Cuvier Street hinunter, während sich hinter den Bränden die Morgendämmerung den Himmel hinaufarbeitete und durch den Rauchschleier schimmerte, der sich über den gesamten Horizont erstreckte. Die Zets, die ihnen gefolgt waren, kamen näher und stöhnten vor Hunger auf Fleisch. Andere tauchten aus den Gebäuden ringsum auf. Dieses Viertel war bislang von den Bränden verschont geblieben. Danny vermutete, dass es hier noch vereinzelt lebende Menschen gab, die Toilettenwasser tranken und von Konservendosen oder einer Handvoll Mehl lebten. Es konnten Tausende sein, die überlebt und sich in panischer Angst verkrochen hatten. Für sie konnte niemand etwas tun. Diese Unternehmung sollte dem Wohl dessen dienen, was noch vom Stadtzentrum übrig war. Danny sah nur die üblichen stumpfsinnigen Zombies, die sich überall breitgemacht hatten. Keine Vertreter der intelligenteren Variante. Vielleicht waren sie nur ein Zufallsprodukt und kamen ausschließlich in Potter vor. Aber sie wagte nicht, darauf zu hoffen.

Die dunkle Straße war ein Durcheinander aus Fahrzeugen und Möbeln. Es sah aus, als hätten ein paar Leute versucht, in der Mitte des Blocks eine einfache Barriere zu errichten. Auf der Straße lagen Leichen, von denen einige in Stücke gerissen und andere vollständig waren. Danny war klar, dass Letztere irgendwann ihre Fährte aufnehmen würden. Sie machten nur ein paar Sekunden lang Pause. Dannys Gedanken rasten, obwohl es jetzt kaum noch etwas zum Nachdenken gab. Sie und ihre Begleiterin in der Lederkluft mussten nur durch diesen Hindernisparcours sprinten und über die Mauer gelangen. Nachdem sie den Freeway erreicht hatten, würde ein ganz neuer Kampf beginnen.

Danny zückte ihre Schädelhacke und nahm eine der primitiven Granaten vom Gürtel. »Ich denke, wir sollten uns etwas Platz schaffen«, sagte sie.

Magnussen nickte. Ihre Atemmaske hing ihr jetzt lose um den Hals. Es hatte keinen Sinn, ihren Eigengeruch zu kaschieren, wenn sich jemand ohne Maske an ihrer Seite befand. Gleichzeitig legten beide die Hände an die Drähte der Granaten.

»Wie genau arbeiten diese Zündvorrichtungen?«, wollte Danny wissen.

»Warte nicht zu lange«, sagte Magnussen nur. Dann zogen und warfen sie im gleichen Moment.

Danny ließ ihre Granate in hohem Bogen über die dunkle Cuvier Street fliegen. Sie landete auf dem Pflaster und rollte unter einen Plymouth, der schräg auf der Fahrbahn stand. Magnussen warf ihre nach hinten zu den Zombies, die sie verfolgten. Sie blieb vor den Füßen eines Mannes in der Mitte der nächsten Horde liegen, die aus etwa zwanzig der Wesen bestand.

Die Frauen warfen sich der Länge nach auf den Boden. Danny hatte noch nie eine Waffe mit so langer Verzögerung benutzt – sie erwartete, nach drei oder vier Sekunden die Explosion zu hören. Doch es dauerte so lange, dass sie schon dachte, die Granaten könnten Blindgänger sein. Sie hörte das metallische Geräusch, mit dem die eine hinter ihnen zwischen die Füße der Zombies rollte. Schließlich blickte sie auf. In diesem Augenblick gingen beide Waffen hoch.

Ihre erzeugte einen lauten Knall, zerfetzte die Reifen des Plymouth und alles andere, das sich in der Nähe befand. Der Wagen wurde mindestens zwei Meter hoch in die Luft geschleudert, landete dann krachend auf den Achsen und fing Feuer. Danny war für einen Moment geblendet und spürte, wie ihre Zähne aneinanderschlugen. Die Explosion war um ein Vielfaches stärker als die einer militärischen M-26-Granate. Alle Scheiben in den Gebäuden an der Straße zersplitterten, und von den Wänden lösten sich Staub und Stuckteile. Granatensplitter pfiffen über ihre Köpfe hinweg. Magnussens Granate war ihnen näher und ließ unter ihnen den Boden erzittern. Danny sah nicht, welchen Schaden sie anrichtete, aber sie hörte ein Prasseln auf den Dächern und dem Asphalt. Stückchen aus stinkendem Fleisch regneten auf sie herab.

»Los!«, sagte Magnussen.

Obwohl Danny von der Explosion immer noch formlose grüne Nachbilder vor Augen hatte, rappelte sie sich auf.

Sie rannten wie olympische Sprinter, sprangen über Trümmer hinweg, wichen Autos und Lieferwagen aus. Am Anfang des Blocks wurden die Zombies in Stücke gerissen. Die Frauen schafften es bis zum Ende des Blocks, ohne dass auch nur eins der Wesen wieder auf die Beine kam.

An der Kreuzung vor dem zweiten Block gerieten sie in Schwierigkeiten. Zahlreiche Untote waren aufgetaucht, um nachzusehen, was der Lärm zu bedeuten hatte. Scheiße, dachte Danny und rannte, so schnell sie konnte. Ihre Stiefel knallten auf die Straße, die Arme pumpten. Einfache Pläne funktionierten am besten. Sie wollte so schnell rennen, dass die Zets sie nicht einholen konnten. Sie war bis zum dritten Haus des zweiten Blocks gerannt, als es Zeit für einen neuen Plan wurde. Magnussen war nicht mehr bei ihr. Danny blickte zurück, doch ihre Begleiterin war nirgendwo zu sehen. Sie hatte an der Kreuzung einen anderen Weg genommen. Vielleicht kehrte sie auch schon zur Basis zurück – Mission erfüllt, Danny tot.

Als sie zurückschaute, verlor Danny die Zets aus den Augen, die ihr am nächsten waren. Einer taumelte ihr in den Weg, und sie rammte das Wesen. Sie stürzte, rollte sich ab und prallte schmerzhaft gegen die Seite eines alten VW-Käfers. Das Trittbrett schlug ihr gegen die Rippen.

Ihr wurde die Luft aus den Lungen getrieben. Sie erhob sich und fühlte sich so erschöpft, dass sie beinahe in Panik geriet. Als sie versuchte, ihre Lungen wieder mit Sauerstoff zu versorgen, trafen die nächsten zwei Zombies ein. Sie griffen nach ihr, und ihre Finger – die bereits aus weichem, verwesendem Gewebe bestanden – glitten schlüpfrig über das Leder ihrer Jacke. Sie riss die Schädelhacke vom Gürtel und stieß sie einem der Zombies ins Gesicht. Sie zerrte die Waffe heraus und verpasste dem zweiten einen Hieb gegen die Schläfe. Es funktionierte nicht besonders gut, denn die Köpfe wichen zurück und entzogen sich einer schwereren Verletzung. Das Wesen, mit dem sie zusammengestoßen war, bewegte sich kriechend zu ihren Füßen. Es griff nach ihren Beinen. Der zerfetzte Stoff ihrer Uniformhose würde den Zähnen keinen Widerstand leisten, wenn sie versuchten, einen Happen Fleisch zu erwischen. Danny trat dem Zombie gegen den Kopf und schob sich an den beiden vorbei, die sie nur leicht verletzt hatte. Das Gehirn befand sich weiter hinten im Schädel, als sie gedacht hatte. Dann zwang sie sich trotz ihrer Atemlosigkeit zum Weiterrennen. Es war wieder wie in Forest Peak, nur dass ihr diesmal niemand zu Hilfe kommen würde.

Jetzt ging es nur noch um Ellbogenarbeit. Danny kämpfte sich durch die Masse der stinkenden, feuchten Körper. Durch ihre bloße Überzahl wurde sie beinahe zum Stillstand gezwungen. Doch sie bemerkte, dass ihre Finger sie nicht zu fassen bekamen, und die Zähne entwickelten nicht genügend Kraft, um ihre Haut zu verletzen. Die Dynamik ihres Angriffs hatte sich verändert. Diese Zombies hatten mindestens eine Woche lang gehungert. Ihr faules Fleisch fiel von ihnen ab. Ihre Gliedmaßen bewegten sich mühsam, ihre Sinne waren stumpf geworden. Sie stürzten häufig. Danny verstand, warum Magnussen ihre Geschichte von den fortgeschrittenen Zombies nicht glaubte. Sie war mehrmals hier gewesen, wo sich ihre Fähigkeiten nicht verbessert, sondern eher verschlechtert hatten.

Magnussens Ruf als Zet-Killerin gründete sich vermutlich auf diese Ausflüge in einen fernen Teil der Stadt, wo der Kampf in Wirklichkeit leichter wurde. Es war Magnussens bestgehütetes Geheimnis.

Danny war immer noch mit Angst geladen, aber sie pflügte wie ein Quarterback durch die Wesen hindurch. Sie riss ihnen beinahe die Arme ab. Sie war von stinkender Flüssigkeit und Schleimklümpchen überzogen wie das tote Fleisch eines Oktopus. Sie war eine Monsterschlächterin. Dann fand sie eine Waffe, mit der sie arbeiten konnte: eine Brechstange, die aus der Windschutzscheibe eines Autos ragte. Sie zog sie heraus und schwang sie wie König Artus. Köpfe platzten, Kiefer flogen davon, Arme brachen und zappelten hektisch an ein paar Sehnen.

Sie musste sie gar nicht abschlachten. Es genügte, sie zu verletzen und in hilflos zuckende Fleischhaufen zu verwandeln. Ohne Arme, ohne Kiefer und ohne Zähne konnten sie nur noch verrotten. Sie erinnerte sich an die große Anzahl von angesengten Zets an der Barrikade. Grässliche, schreckliche Wesen, rot und schwarz, von einem Netz aus weißen Streifen überzogen, wo Fett und Sehnen hervortraten. Ohren und Nasen waren verkohlt, die Augäpfel wie enthäutete Knöchel. Sie waren so gut wie harmlos, wurde ihr bewusst. Die gerösteten Muskeln würden es kaum noch schaffen, etwas festzuhalten und zu beißen. Und mit jedem verstreichenden Tag wurden sie schwächer.

Danny hackte sich einen Weg durch die Masse. Nachdem sie wieder zu Atem gekommen war, fühlte sie sich durch ihre Furcht gestärkt, und es bereitete ihr keine Mühe mehr, ihre Feinde zu vernichten. Die Furcht war noch da, aber es war eher das Gefühl, das einen zur Vorsicht trieb, wenn man Wildschweine jagte oder in den Bergen über einen hohen Grat kletterte. Sie musste nur handeln und würde ihr Ziel erreichen. Dann hatte sie den zweiten Block hinter sich gebracht und watete durch ein Efeubeet mit liegen gelassenen Einkaufswagen zur Mauer vor dem Freeway. Danny hatte es bis hierhergeschafft, weil ihre Feinde schwach waren und sie selbst stark. Das kam ihr sehr gelegen. Sie nahm ihren eigenen Gestank wahr, würgte, übergab sich und machte sich daran, die Mauer hinaufzuklettern.

Irgendwann, überlegte Danny, würde Magnussen im Hauptquartier melden, dass »die Zets sterben«. Dann würde man sie als die größte Heldin feiern, die diese Stadt jemals erlebt hatte. Und was hätte sie damit erreicht? Vielleicht hortete sie Geld – oder Gold und Edelsteine. Oder Staatsanleihen. Sie könnte das nötige Material für ein sorgenfreies Leben sammeln, um sich mit dem geplünderten Gut auf luxuriöse Weise zur Ruhe zu setzen. Vielleicht wollte sie auch nur ein Superstar sein.

Danny spürte eine Hand nach ihrem Bein greifen, als sie es über die Mauer schwang. Es war ein schneller, kräftiger Griff. Sie zuckte zurück und machte sich bereit, dorthin zu treten, wo das Gesicht sein musste.

Dann hörte sie Magnussens leise Stimme. »Komm rüber und lass uns eine geeignete Deckung suchen.«

Danny wurde wütend. Sie hätte ihrer exotischen Führerin durch die Stadtwildnis am liebsten ins Gesicht geschlagen. Am besten mit der Brechstange. Magnussen hatte Danny ohne jede Vorwarnung mit den Zombies allein gelassen, und nun war wieder alles in Ordnung. Danny war anderer Meinung.

»Was zum Teufel sollte das?«, zischte Danny durch die Zähne.

»Es waren zu viele«, sagte Magnussen. »Warum bist du mir nicht gefolgt?«

Danny erkannte, dass es zu nichts führen würde, Erklärungen zu verlangen.

»Weil ich vor dir war, deshalb«, sagte sie nur und ging nicht weiter auf diesen Punkt ein. Ihre seltsame Partnerschaft war ohnehin beinahe vorüber. Das Ziel lag genau vor ihnen.

Infektion - Tripp, B: Infektion - Rise Again
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