8
Danny rannte zur Tür der Wache und blieb wie angewurzelt auf der Treppe stehen.
Die Toten schlurften vorbei, ein paar von ihnen blieben stehen und blickten sie an, als wäre sie ein Tier, das aus seinem Käfig geflohen war. Eine Masse von Leichen von einer Straßenseite bis zur anderen.
Mrs. Larry hielt sich die rechte Hand vor die Brust und drückte sie mit der linken, konnte allerdings den Blutstrom nicht stoppen, der ihr durch die Finger rann. Sie stand knapp einen Meter von Larry entfernt, dem Blut übers Kinn lief.
Er kaute.
Zombie.
Danny polterte die Treppenstufen der Wache hinunter, gefolgt von Weaver. Dannys Pistole war auf Larry gerichtet, während sie versuchte, die anderen Zombies, die auf sie zukamen, im Auge zu behalten. In den wenigen Minuten, seit sie die Straße verlassen hatten, schien sich ihre Anzahl verdoppelt zu haben.
Wie bei den Krähen, dachte sie.
Danny erinnerte sich plötzlich wie aus dem Nichts an eine Szene aus einem Hitchcock-Film, den mit den Möwen. Und den Krähen. Die Szene, an die sie sich erinnerte, war die mit den Krähen. Die blonde Frau stand vor einer Schule und rauchte. Eine Krähe saß auf einem Klettergerüst. Zack. Auf einmal war da noch eine. Zack. Und dann noch ein paar mehr. Als die Zigarette aufgeraucht war, blickte die blonde Frau auf, und um sie herum saßen zweihundert Krähen auf dem Klettergerüst, bereit zum Angriff. Danny hatte sich zu Tode geängstigt, als sie den Film im Alter von acht Jahren mit ihrem Vater gesehen hatte. Kelley hatte nie die Gelegenheit gehabt, einen Film mit ihm zu sehen.
»Gehen Sie weg von ihm«, sagte Danny, und ihre Stimme war gespannt wie Stolperdraht.
Mrs. Larry rührte sich nicht, und Weaver wagte es, an Danny vorbeizugehen und sie von Larry wegzuziehen.
Der tote, kauende Larry machte ein paar Schritte auf sie zu. Danny spannte den Hahn des Revolvers und zielte mit beiden Händen.
Mrs. Larry befreite sich aus Weavers Griff und hinterließ eine purpurne Spur auf seinem Hemd. Sie lief zu ihrem Mann zurück und stellte sich vor ihn hin. Danny konnte nicht schießen.
»Was ist passiert, Ma’am?«, fragte Danny. Vielleicht konnte sie sie mit Worten von dem Ding weglocken, das sie gebissen hatte.
»Es ist nur ein Kratzer. Ein Unfall. Kein Grund, ihm die Knarre vor die Nase zu halten, Sie Faschistin!«
Weaver näherte sich der Frau von der Seite, doch da waren zwei weitere Zombies – ein Teenager und eine kleine, weißhaarige Frau –, die ein besonderes Interesse an ihm zeigten. Weaver hatte die gleichen Filme gesehen wie Wulf. Ihm entging nicht, dass die beiden womöglich sein Blut spürten. Mein Gott, dachte er. Menschenfressende Zombies. Ich hätte mir ein paar Notizen machen sollen.
Oben auf der Treppe versteckte sich Patrick hinter Wulf, und Amy kam nicht an ihnen vorbei. Wulf hielt einen Bürostuhl aus Metall vor sich, die Stuhlbeine vorgestreckt.
»Amy«, sagte Danny, »wir bringen diese Person rein, und ich möchte, dass du Erste Hilfe leistest, okay?«
Mrs. Larry fauchte Danny an: »Ich werde nicht …«
Genau in diesem Moment stürzte sich Larry mit aufgerissenem Mund auf sie und schlug ihr die Zähne in den Nacken.
Danny sah, wie sie sich in die Haut gruben, jedoch zu stumpf waren, um einzudringen. Doch ein menschlicher Kiefer konnte einen enormen Druck erzeugen. Ihr Gesicht verriet Schmerz, dann schnitten die Zähne durch die Haut der Frau, und das Gewebe darunter war nicht so widerstandsfähig. Die Zähne des Zombies bohrten sich durch den Muskel tief in ein Gewirr aus Drüsen und Gefäßen und schlossen sich um die daumendicke Arterie darunter.
Mrs. Larry schrie, als ihr Mann ihren Kopf drehte. Eine Blutfontäne spritzte drei Meter hoch in die Luft, als er ein faustgroßes Stück Fleisch herausriss. Danny konnte das Ende der Arterie sehen. Das Blut sah aus wie lange rote Schals, wie bei einem Zaubertrick. Dann regnete es herab und spritzte auf die Gesichter eines halben Dutzend Zombies, die in der Nähe standen.
Danny sah das, was dann folgte, mit der perfekten Klarheit, die Adrenalin verleihen konnte, fast wie in Zeitlupe. Als die stumpfen, toten Gesichter das Blut spürten, waren sie wie elektrisiert. Sie wurden munter. Die Augen waren immer noch milchig, aber aktiv. Und die Münder veränderten sich. Die herabhängenden Lippen zogen sich erneut zusammen, und die Zähne waren zu sehen.
Bevor die dritte Blutfontäne in die Luft spritzte, hörte Danny ein Geräusch, das sie nie wieder vergessen würde, einen Urlaut wie das Heulen von Wölfen.
Die Zombies stöhnten.
Erst die Blutbefleckten und dann auch die anderen, bis es wie der Wind in den Bäumen klang, ein schluchzendes, schwermütiges Wehklagen. Es war ein Klang, erfüllt von Sehnsucht, Verlust und Verlangen, das Beten von Toten.
Doch in Wirklichkeit war es nur der Aufruf zum Festmahl.
Mrs. Larry schlug auf den Asphalt, und die klagende Menge kam näher. Von allen Seiten griffen sie mit gekrümmten Fingern nach den Lebenden, wankten herbei, um zu töten.
Danny feuerte einen einzelnen Schuss auf Larrys Kiefer ab, als seine Frau herabsank und sich an seinen Gürtel klammerte. Die Kugel schleuderte seinen Kopf zurück, und das Fleisch seiner Frau fiel ihm aus dem Mund. Steifbeinig taumelte er rückwärts.
»Kopfschuss«, stellte Wulf sachlich fest.
Danny drückte noch einmal ab und blies Larrys Schädeldecke weg. Schwärzliche Gehirnmasse spritzte aus seinem Kopf. Er stürzte auf seine Frau. Weaver stürzte nach vorn, um den zweifach Toten von der Frau herunterzuschieben, doch sie war so nass von ihrem eigenen Blut, dass er sie nicht zu fassen bekam, um sie zur Wache zu ziehen. Die kleine weißhaarige Zombiefrau tastete mit aufgerissenem Kiefer über seinen Rücken.
»Weaver, nicht bewegen«, sagte Danny.
Ein Schuss krachte, dunkle Masse flog aus dem weißen Haar hervor, und die alte Frau flog zurück. Zombies bluten schwarz, stellte die teilnahmslose Stimme in Dannys Kopf fest, als würde sie die Ereignisse im Fernsehen betrachten.
»Hinter Ihnen, Sheriff«, sagte Wulf.
Danny drehte sich mit hochgehaltener Waffe um und schoss in den offenen Mund eines Zombies, der kaum eine Armeslänge entfernt stand. In ihrem Zustand geschärfter Wahrnehmung sah sie das Innere seines Mauls durch den Mündungsblitz kurz aufleuchten. Aus der Gebäudefassade hinter dem Wesen schoss eine Wolke Ziegelstaub, als die Kugel seinen Kopf durchschlug und davon abprallte. Danny drehte sich zu Weaver um, der versuchte, die Frau am Kragen wegzuziehen. Mehrere Zombies ließen sich neben dem blutenden Opfer auf die Knie fallen und versuchten es festzuhalten.
Die Überlebenschancen waren eindeutig. »Lassen Sie sie los«, sagte Danny.
Weaver drehte sich ungläubig zu ihr um und bemerkte, dass er umstellt war. Sein Gesicht zeigte Verwirrung. Danny kannte den Blick, hatte ihn im Kampfeinsatz gesehen: Er war gefangen zwischen Aktion und Reaktion.
»Lassen Sie sie los!«, wiederholte sie.
Doch Weaver schob lediglich den nächsten Zombie beiseite und griff erneut nach der blutenden Frau. Danny trat vor, um Weaver aus dem Kampfgewühl herauszuziehen, wobei sie wusste, dass sie denselben Fehler beging wie er: ein Leben für das andere zu riskieren.
»Weaver! Komm endlich her!«, rief Patrick, und Weaver löste sich aus seiner Erstarrung. Er kam auf die Beine und drängte zu einer Lücke zwischen zwei taumelnden Gestalten, doch sie fielen sofort über ihn her.
Weaver wand sich und trat und schwang blind die Fäuste, um die Zähne fernzuhalten. Doch er kämpfte gegen Körper, die ebenso gut aus Lehm hätten sein können.
Danny packte den obersten und stieß ihn mit aller Kraft beiseite. Er schien sich in seiner Haut zu drehen, wie ein Kampfhund. Doch er fiel gegen die Beine eines anderen, der stürzte, ohne den geringsten Versuch zu unternehmen, den Sturz zu verhindern, und klatschte mit dem Gesicht auf den Asphalt.
Im Eifer des Gefechts verlor Danny ihre Waffe, die an Weaver vorbeischlitterte. Auf dem Rücken liegend spannte Weaver die Beine unter dem zweiten Zombie an und kickte ihn von sich herunter. Er stürzte auf die anderen, die Larrys Frau in Stücke rissen. Sie war noch immer am Leben und krümmte die Beine. Weaver rollte sich ab und fiel auf die Ellbogen. Danny spürte kalte Finger, die über ihren Rücken glitten, dann ein erdrückendes Gewicht, und sie wusste, dass Münder sie von hinten angriffen, um ihr die Haut aufzureißen. Das Ding stank nach Aftershave. Sie entzog sich, und der Zombie fiel mit schnappendem Kiefer auf die Knie. Ein anderer kam mit der Schnelligkeit eines Lebenden auf sie zu …
Es war Wulf. Er ließ den Bürostuhl auf den Kopf des nächsten Zombies niedersausen und brach ihm die Halswirbelsäule. Der Kopf des Dings sank auf die Schulter und rollte dann auf die Brust, und der Zombie taumelte seitwärts und ging dann zu Boden. Danny erkannte Sy Crocker, der noch immer seine George-Washington-Uniform trug. Wulf schleuderte den Stuhl willkürlich in die vorrückende Horde, griff nach Dannys Pistole und zielte damit auf sie.
Danny war nicht in der Lage, darauf zu reagieren. Sie war an dem Punkt, wo man einfach starb, weil einem nichts Besseres mehr einfiel.
Ein Schuss krachte, und Danny sah die rosafarbene Flamme aus der Mündung schießen, etwas, das sie nie zuvor gesehen hatte. Sie spürte die Hitze der Explosion. Flüssigkeit spritzte ihr ins Gesicht, und ein weiterer Zombie – den sie nicht bemerkt hatte – sank mit gefletschten Zähnen gegen ihren Arm. Die Zähne rieben über den Stoff ihres Ärmels. Eine schmutzige Flüssigkeit strömte aus einem Loch in seiner Schläfe. Er stürzte und blieb liegen.
Frisches Adrenalin überschwemmte Dannys Nervensystem. Ihre Gliedmaßen fühlten sich elektrisch geladen an. Sie packte Weavers Hand. Gemeinsam rappelten sie sich hoch und drängten mit ausgestreckten Armen gegen die Untoten, die es auf sie abgesehen hatten. Patrick schrie sich inzwischen die Lunge aus dem Hals, und Amy rief irgendwelche Anweisungen, die Danny nicht verstehen konnte.
Wulf schlug einem der Wesen mit dem Revolver auf die Nase und erschoss es dann aus kürzester Entfernung. Der Rückstoß riss ihm die Waffe aus der Hand. Danny sah, wie ein Untoter ihn am Ärmel seiner stinkenden, abgewetzten Jacke packte. Die Augen des Zombies glitzerten gierig, als er den Hals reckte, um zuzubeißen.
Wulf griff hinten unter die Jacke, und seine Hand kam mit einem Kampfmesser wieder hervor, von der altmodischen Art mit Ledergriff. Er packte das Wesen an den Haaren, stieß ihm das Messer bis zum Griff in die Augenhöhle und drehte es, als wollte er ein Schloss öffnen. Der Zombie erschlaffte. Wulf wischte sich die Klinge am Ärmel ab und flitzte zu Danny und Weaver.
»Gehen wir rein«, sagte er.
Danny hielt das für eine gute Idee. Zu dritt schlugen und traten sie um sich und schoben sich zum Eingang der Wache, wo Patrick und Amy auf den Stufen standen und in ihrem Bestreben, die Freunde hineinzuziehen, den Weg blockierten. »Macht verdammt noch mal Platz!«, bellte Danny, und innerhalb von Sekunden stürzten sie alle in die Wache.
Patrick packte Weaver und umarmte ihn, wich dann jedoch zurück, als er bemerkte, dass Weaver in Körperflüssigkeiten getränkt war: Blut und das braunschwarze Sekret der Zombies. »Blutest du?«, fragte er Weaver.
»Jeder tut das«, erwiderte Weaver und stieß ein hohes, angespanntes Lachen aus, als wäre es die geistreichste Bemerkung, die er je gemacht hatte. Als Danny die Tür hinter sich abschloss, sah sie ein Dutzend der Wesen schwerfällig die Treppe hochkommen.
Allmählich lernten sie wieder, sich zu bewegen. Zombies. Das Wort war noch nicht ganz in ihr Bewusstsein gedrungen. Aber das waren sie. Wenn sie bereits zu Anfang ihrer neuen Existenz so gefährlich waren, wie schlimm würde es noch werden? Wie intelligent konnten sie werden? Wie hatte es angefangen, und wie würde es aufhören? Hinter denen, die versuchten, mit den Stufen klarzukommen, erspähte Danny zwanzig oder mehr, die sich auf Larrys Frau stürzten. Sie war tot.
Danny schob alle durch die Trennwand in den hinteren Raum. Sie wusste nicht, ob die Hintertür abgeschlossen war oder noch ein Fenster offen stand, aber es wurde auf jeden Fall allerhöchste Zeit, das Gebäude zu sichern. Ihre Beine waren bereits wie Gummi. Das Problem bei extrem hoher Adrenalinausschüttung war das Absinken des Pegels danach. Adrenalin war hauptsächlich Superman-Sprit. Aber man kehrte nicht einfach zur Normalität zurück. Man stürzte ab, die Hände zitterten und die Beine versagten den Dienst, und oft musste man sich eine halbe Stunde lang übergeben. Danny hatte nach schwierigen Patrouillen ziemlich viel Zeit in diesem Zustand verbracht. Doch jetzt war nicht der Augenblick, um nach Anzeichen dafür zu suchen. Danny bewegte sich weiter in der Hoffnung, ihr Körper würde sie nicht im Stich lassen. Die Vorgänge da draußen duldeten vielleicht keinen Aufschub. Danny konnte es nicht sagen. Doch sie kam langsam an ihre eigenen Grenzen.
Die Wesen hämmerten mit Fäusten an die Glaswand der Wache. Sie stöhnten. Danny sorgte dafür, dass alle im Hinterzimmer außer Sichtweite blieben, während sie zwischen den Plakaten hindurchspähte, die an die Trennwand zum Wartebereich geklebt waren. In ihrem Kopf herrschte Chaos. Ihre Gliedmaßen fühlten sich wie Luftballons an.
Maria hatte die Runde gemacht und die Rollläden in der Wache geschlossen. Danny folgte Maria und überprüfte noch einmal die Schlösser, um ihr flatterndes Nervensystem zu beruhigen. Sie sah, wie Patrick Weaver zur Herrentoilette führte, wo er versuchte, das Blut mit rosafarbenem Granulatseifenpulver und Papiertüchern abzuwischen. Weaver stampfte und schrie: »Diese Scheißzombies, Mann! Das sind sie.« Amy versperrte Danny den Weg zwischen zwei Räumen der Wache.
»Danny? Ich muss untersuchen, ob du verletzt bist«, sagte Amy.
»Natürlich bin ich verletzt«, fauchte sie. »Du solltest meinen Rücken sehen.«
»Ich meine, ob du gebissen wurdest, du könntest infiziert worden sein«, sagte Amy, und Danny erschauerte. Sie dachte an Walzenspinnen und Skorpione und ekelhafte Infektionen vom Waten durch Abwasser auf Patrouille in Bagdad.
Vorerst sah es so aus, als würden die Zombies nicht durch das bruchsichere Glas kommen. Hier war es zumindest für ein paar Minuten sicher. Danny sah blutige Handabdrücke an der Scheibe und stellte fest, dass selbst die Zombies, die die Frau verschlungen hatten, nach frischer Beute gierten.
Sie mögen es, wenn es blutet, dachte Danny und speicherte die Information zur späteren Verwendung ab. Ein Toter verschafft uns nicht viel Zeit.
Danny ging geduckt hinter dem Tresen entlang und schlüpfte in das Hinterzimmer. Amys Hände tasteten über ihren Hals, und ihre Augen suchten sie nach Bissspuren ab. Sie drehte Danny grob um und untersuchte ihren Rücken und ihre Arme. Dann stieß sie einen Seufzer aus, und Danny bemerkte, dass sie beide mehr oder weniger die Luft angehalten hatten, seit sie die Wache betreten hatten. »Du scheinst in Ordnung zu sein«, sagte Amy. »Weißt du noch, wie mich Tucker Pease in der zweiten Klasse gebissen hat? War eine große Sache. Das hier ist wahrscheinlich viel schlimmer. Lass dich nicht beißen.«
»Neue Regel: Niemand lässt sich beißen«, sagte Danny in den Raum.
Wulf stürmte mit wedelnden Armen auf sie zu. Sein Gesicht war geädert und violett vor Wut, sein Bart gesträubt. »Ich werde nicht unbewaffnet sterben, Sheriff«, sagte er.
»Sie haben ein Messer«, erwiderte Danny. »Ich vermute, ich hätte Sie besser durchsuchen sollen, doch Sie waren so betrunken, dass es nicht notwendig zu sein schien.«
Wulf spuckte auf den Boden. »Ein Messer, verdammt!« Doch er setzte sich schwer auf den nächsten Schreibtisch und kaute auf einem schwarz geränderten Fingernagel herum. Danny wollte ihm sagen, dass er die Hände von seinem Mund fernhalten sollte, bis er das Zombieblut abgewaschen hatte, doch dann verzichtete sie darauf. Jeder Zombie, der Wulf gebissen hätte, würde an Bauchschmerzen sterben. Wenn sie ein Team zusammenstellen müsste, um die Zombie-Apokalypse zu überleben, würde sie wahrscheinlich nicht einen paranoiden alten Mann, eine Veterinärin (nicht einmal Amy) oder zwei hübsche Hollywood-Jungs dafür auswählen. Wahrscheinlich aber auch keinen alkoholkranken Sheriff. Verdammt, sie brauchte einen Drink. Und nicht nur einen. Sie hatte einen gewaltigen Durst, den sie bei nächster Gelegenheit löschen musste.
Um sich abzulenken, rief sie Troy über Funk.
»Ich habe Schreie gehört«, sagte er.
»Das war hier«, sagte Danny. »Die Toten haben sich was Neues ausgedacht.«
»Haben sie tanzen gelernt?«
»Sie haben jemanden angegriffen und getötet.«
Troy schwieg so lange, dass Danny schon fragen wollte, ob er die Verbindung noch hielt. Doch als sie gerade den Mund aufmachte, sprach er weiter.
»Getötet? Wie in Die Nacht der lebenden …«
»Genau so.«
»Sheriff, wenn ich nicht wüsste, dass es Ihnen völlig an Humor mangelt …«
Danny unterbrach ihn. »Keine Zeit, Sie davon zu überzeugen. Überprüfen Sie sämtliche Türen, vergewissern Sie sich, dass sie abgeschlossen sind, und lassen Sie nicht zu, dass einer der Zivilisten davonläuft. Wir befinden uns auf einem Floß in einem Meer voller Haie. Ich gebe Ihnen den Plan durch, sobald wir einen haben, okay?«
»Viel Glück dabei«, sagte Troy und meldete sich ab. Danny hatte das Gefühl, gleich einzuschlafen, und ihre Augenlider waren schwer. Das war das schwindende Adrenalin. Sie gähnte immer wieder, während sie dem Stöhnen und Kratzen an der Glasscheibe der Wache lauschte.
Patrick gelang es, Weaver größtenteils zu säubern, auch wenn sie jetzt beide nass waren und dank der Seife nach billigem Parfüm rochen. Weaver hatte einen Kratzer am Handgelenk, doch keine sichtbaren Bisswunden. Der Kratzer sah nicht so schlimm aus, musste jedoch im Auge behalten werden. Amy hatte ihn fachmännisch mit einer Wundsalbe und Verbandszeug aus dem Erste-Hilfe-Kasten der Wache versorgt. Darin fand sich alles. Sogar ein tragbarer Defibrillator war dabei. Patrick fand das beruhigend, genauso wie die Bemerkung der Tierärztin, dass es bis auf das Fell und die Pobacken keine großen Unterschiede zwischen Menschen und Tieren gab. Es gab sogar Menschen mit Ersterem und ohne Letzteres. Sie war verrückt, aber lustig.
Er betrachtete Weavers Gesicht. Ein wenig blass unter der Bräunung. Die Falten um die Augen, die beim Lächeln entstanden, waren nicht mehr weggegangen. Er sah regelrecht zerknittert aus. Der Sheriff ebenfalls. Sie war erschöpft und gähnte ständig. Es war ansteckend, weshalb auch Patrick gähnte.
Es war fünf Uhr. Der zweite Tag der Krise verging wie im Flug. Die Sommersonne würde noch ein paar Stunden am Himmel stehen, bevor sie hinter dem Berg verschwand, und es würde noch eine weitere Stunde dauern, bis sie hinter dem Horizont des Tieflands unterging. Dunkelheit würde hereinbrechen, eine Dunkelheit, die mit einem Albtraum infiziert war.
Danny und Troy standen über Funk in Verbindung, doch es gab nicht viel zu tun, außer zu hoffen, dass die Zombies nicht herausfanden, wie man ein Schloss aufbrach. Alle Lebenden, von denen man wusste, waren informiert, und alle, die bisher noch nicht aufgetaucht waren, würden einen schweren Schock erleiden. Doch es gab nichts, was Danny daran ändern konnte. Larrys Frau glich einer blutenden Vogelscheuche, die ausgestreckt vor der Wache lag und an deren Überresten sich noch immer ein Zombie gütlich tat. Die anderen hatten offenbar kein Interesse mehr an der Leiche.
Die Toten hatten sich nach dem Angriff wieder beruhigt und schienen vergessen zu haben, dass es in der Wache und in der Turnhalle Lebende gab. Danny beobachtete die Main Street versteckt durch die Trennwand. In der letzten halben Stunde hatten sich ein paar Zombies sogar auf den Boden gelegt. Sie wusste nicht, ob sie erneut gestorben waren oder schliefen oder möglicherweise nur so taten. Raffinierte Tricks schienen nicht ihre Art zu sein, andererseits steckten sie voller Überraschungen. Zwei waren wie Marionetten zusammengesunken, deren Fäden man gekappt hatte, und Danny vermutete, dass sie wirklich und endgültig tot waren. Vielleicht befiel die Krankheit nicht alle. Vielleicht hörte die Infektion irgendwann auf. Das war ein wunderbarer Gedanke. Vielleicht waren sie morgen früh alle tot, und Danny hätte nur ein Schäfchen aus ihrer Herde an die untoten Wölfe verloren. Vielleicht aber auch nicht.
Doch Danny wollte nicht warten, bis es dunkel war, um etwas zu unternehmen. Es war die Turnhalle, die ihr Kopfzerbrechen bereitete. Sie musste zehn Doppeltüren haben, und sie waren dafür gemacht, ein paar Teenager davon abzuhalten, hineinzukommen, aber nicht Tausende von Zombies. Allein unter ihrem Gewicht würden die Türen nachgeben, und dann gab es wirklich nichts mehr, wohin man hätte fliehen können. Die Turnhalle war ein großer, rechteckiger Kasten mit einem Foyer und Waschräumen. Sie hatte mit Troy darüber gesprochen und ihre Worte vorsichtig gewählt, falls einer von Troys Leuten mithörte.
»Ich verstehe, was Sie meinen«, sagte er. »Und Sie haben recht. Es sind eine Menge an den Türen auf der Seite der Main Street. Sie stehen da draußen und stöhnen.«
»Haben Sie einen Plan?«
Troy erklärte, was sie für Möglichkeiten hatten. Die Basketballkörbe hingen von der Decke, also konnten sich vielleicht ein paar außer Reichweite der Untoten daran festklammern. Vielleicht konnten sie sich auch unter der Tribüne verstecken. In den Waschräumen war Platz für alle Überlebenden, doch dort gab es nur Wabentüren. Er glaubte nicht, dass sie standhalten würden.
»Tatsache ist«, stellte er fest, »dass sie nicht einmal feuersicher sind.«
»So spricht der Feuerwehrhauptmann«, sagte Danny. »Wenn man also keine Barrikade errichten kann und Sie davon überzeugt sind, dass die Außentüren nicht halten, müssen wir überlegen, wie wir aus der Stadt herauskommen. Es ist eben dieser eine neue Aspekt hinzugekommen, over.«
»Ja, der ›Gefressenwerden‹-Aspekt«, flüsterte Troy. »Over.«
Danny beobachtete, wie die Zombies draußen an der Glaswand entlangglitten und haferschleimartige Spuren hinterließen. Sie konnten sie nicht sehen, dessen war sie sich sicher. Aber sie konnten sie irgendwie spüren. Vielleicht erinnerten sie sich daran, dass Lebende hineingegangen waren. Doch sie glaubte es nicht. Die Wesen schienen nicht dazu in der Lage zu sein, Informationen zu behalten, sonst wären sie in Deckung gegangen, als sie auf sie geschossen hatte. Konnten sie die Lebenden wittern? Ihr Blut riechen? Erkannten sie Personen, die sie im Leben gekannt hatten?
Sie bemerkte, dass diese Gedanken sie mit Trauer und Furcht erfüllten, etwas, das sie sich nicht leisten konnte. Nicht jetzt. Sie sprach in das Funkgerät.
»Wie halten sich die Überlebenden da drüben? Over.«
»Sie verlieren langsam die Nerven«, sagte Troy. »Es ist wie in einem dieser alten Katastrophenfilme. Man sagt ›Bewahren Sie Ruhe‹, und sie wissen, dass sie geliefert sind. Sie versuchen sich locker zu geben, aber es wirkt nicht sehr glaubwürdig.«
»Okay, Troy, bündeln wir unsere Kräfte. Ich habe so etwas wie eine Idee«, sagte Danny, »und der Rest wird mir schon noch einfallen.«
Danny fühlte sich, als würde sie über den Rand einer Klippe blicken. Die Welt schien wegzukippen, und gleich würde sie fallen. Die Verletzungen, die Erschöpfung, der blanke Horror der Situation zog sie über den Rand. Doch vor allem wurde ihr klar, was sie zu tun hatte, wenn sie die Menschen in Sicherheit bringen wollte. Sie nahm einen tiefen Atemzug. Wartete, während ihr Puls mit dreifacher Geschwindigkeit in ihren Ohren pochte.
Dann fuhr sie fort: »Wir brauchen einen Köder.« Während sie sprach, entstand in ihrem Kopf der gesamte Aktionsplan. »Wenn diese Wesen sich in meine Richtung bewegen, haben Sie ein bisschen Luft, um die Leute zum Wohnmobil zu bringen. Es wird ein bisschen Geschrei und Knallerei geben. Das werde ich sein. Lugen Sie durch die Tür, halten Sie die Schlüssel bereit, und wenn Sie eine Lücke sehen, bringen Sie alle in das Wohnmobil. Out.«
»Bleiben Sie dran, Sheriff«, sagte Troy.
»Bin noch da«, erwiderte Danny. Sie hatte ein ungutes Gefühl.
»Es gibt ein Problem. Weaver hat die Schlüssel, und er ist bei Ihnen.«