3

Sonnenuntergang in der Wüste. Der Himmel war eine tiefe Bronzeschale, die am Rand, wo die Sonne sie berührte, rot glühte. Danny und ihr Trupp Überlebender fuhren in die Stadt Riverton Junction hinein.

Sie waren quälend langsam vorangekommen. An einem normalen Nachmittag hätte Danny es von Forest Peak bis hierher in weniger als drei Stunden geschafft. Der Konvoi hatte einen ganzen Tag gebraucht. Danny hatte die Nachricht immer noch nicht angesehen.

Riverton Junction verdankte seinen Namen einem anderen Ort. Eine Bahnlinie führte in Ost-West-Richtung hindurch, und eine Spur zweigte nach Riverton ab, dreißig Meilen nördlich, wo es eine profitable Bauxitmine gab. Hier war lediglich die Stelle, wo sich zwei Linien trafen. Es gab ein Dutzend Holzhäuser und ein paar Wohnwagen, verteilt über eine schrottplatzähnliche Landschaft, die sich ansonsten auch auf dem Mars hätte befinden können. Es gab eine Kirche mit einem Blechturm und ein paar Kuhställe aus der Zeit, als das Vieh noch per Bahn zu den verschiedenen Militäreinrichtungen transportiert wurde. Und viele Meilen Stacheldrahtzaun. Riverton hatte eine asphaltierte Straße, die sich mit einer zweiten Straße kreuzte, die an den Gleisen entlangführte. Die übrigen Wege waren praktisch nur in die Erde gekratzt worden.

Wichtig war, dass Riverton eine Tankstelle und einen Lebensmittelladen besaß, obwohl Danny davon ausging, dass die Geschäfte nicht gerade über ein großes Angebot verfügten. Sie hatten die Ankunft in der Stadt bei einem kurzen Stopp ein paar Meilen außerhalb des besiedelten Gebiets besprochen. Die kleineren Fahrzeuge am Ende des Konvois würden durch die Nebenstraßen fahren und nach Lebenszeichen oder Zombies Ausschau halten. Danny würde direkt ins Zentrum vorstoßen. Das Wohnmobil sollte vor der Stadt auf das Okay warten.

Danny und Amy waren allein, als das letzte rötlich schimmernde Stückchen Sonne im Westen hinter den Bergen verschwand. Der Interceptor hielt in der Mitte der Leche Avenue, Rivertons Hauptstraße. Danny sah sich um. Auf der einen Seite gab es ein paar Geschäftsgebäude – ein Futtermittel- und ein Haushaltswarenladen und das Büro eines Landvermessers. Auf der anderen Seite befand sich der Gemischtwarenladen, der nicht viel größer als der Quik-Stop war und sogar noch viel ärmlicher aussah. Daneben war die Tankstelle mit den drei Zapfsäulen. Selbst in der Dämmerung war die Hitze, die vom Blechdach über den Zapfsäulen aufstieg, noch zu erkennen. Es knackte und ächzte, als es sich abkühlte. Handgesägte Sperrholzbuchstaben auf dem Dach bildeten das Wort TEXICO, um zu suggerieren, dass hier möglicherweise Markenbenzin erhältlich war. Was Dannys Blick auf sich zog, war die Szenerie neben den Zapfsäulen.

Dort standen drei Motorräder, zwei Chopper und eine restaurierte Hog. Und es gab drei Leichen.

Danny befahl Amy zu bleiben, wo sie war und sich zu ducken, und stieg aus dem Interceptor. Sie nahm die Waffe mit. Sie hatte keine Ahnung, ob sie geladen war, doch laut Vorschriften müsste sie es eigentlich sein.

In Gedanken kehrte sie in eine andere Wüste zurück, in der sie vor nicht allzu langer Zeit gewesen war, und sie verspürte eine Angst, die an Euphorie grenzte. Versteckspielen mit Killern. Bisher hatte sie das Spiel immer gewonnen, und sie glaubte, darin besser als die meisten anderen zu sein.

Danny schlich seitwärts vom Interceptor zum Gebäude. Keine Schüsse, kein Geräusch von rennenden Füßen, keine verborgenen Angreifer, die sich eine bessere Deckung suchten. Danny kam die Idee, dass sie Wulf hätte rufen sollen, damit er sie deckte.

Er hatte zwar einen Dachschaden, aber er war verdammt wachsam und konnte schießen.

Die Stadt verströmte nachlassende Hitze und Leere. Entlang der Gleise gab es sogar Steppenhexen. Danny glitt an der Fassade des Geschäfts vorbei und kniete sich neben die Mülltonnen am Rand des Tankstellengeländes. Kein Lebenszeichen. Nicht einmal die Toten rührten sich. Sie klappte die Waffe auf und überprüfte sie. Sie war geladen.

»Kommen Sie heraus!«, rief Danny. Irgendjemand musste da sein. Diese Leute waren nicht durch gegenseitigen Selbstmord gestorben.

Keine Antwort. Danny blickte zu den flachen, zerfallenden Gebäuden, dem rissigen Boden, den kleinen, verkümmerten Bäumen. Ein paar alte Fahrzeuge parkten in beiden Richtungen am Straßenrand, innerhalb und außerhalb der Ortschaft. Vielleicht wurden sämtliche Bewohner in der Kirche festgehalten, oder sie hatten den Ort allesamt in einem Schulbus verlassen. Wahrscheinlich lebten nicht mehr Menschen in Riverton Junction, als Danny im Konvoi unter ihrer liebevollen Fürsorge hatte.

Sie beschloss, ein gewisses Risiko einzugehen, weil sie sonst vielleicht den Rest des Abends zusammengekauert neben dem stinkenden Müll verbringen müsste, und dafür taten ihr die Knie zu weh. Sie erhob sich langsam mit gesenkter Waffe, jedoch bereit, sie in Anschlag zu nehmen, falls irgendetwas passieren sollte. Dann nahm sie ein paar Atemzüge und ging so lässig wie möglich auf die Zapfsäulen zu. Es war derselbe lässige Gang, den sie sich im Irak angewöhnt hatte. Es war Show, aber aus der Ferne konnte man das nicht sehen.

Zwei der Leichen neben den Motorrädern trugen staubige, abgenutzte Sachen, die zu selten und doch zu oft gewaschen worden waren. Leute von hier. Ein Mann in den Fünfzigern und eine Frau, die ein paar Jahre älter war. Der dritte Leichnam war ein kleiner Mann mit einem langen Schnurrbart. Er trug Motorradkluft, Lederhose, Lederjacke und ein rotes Halstuch. Außerdem hatte er sehr gute Stiefel an, und Danny ertappte sich bei der Überlegung, ob sie ihr wohl passen würden. Ihre eigenen Stiefel waren hinüber, die Sohlen zusammengeschmolzen und rissig.

Allen dreien hatte man in den Kopf geschossen. Sie ging neben ihnen in die Hocke und betrachtete die Wunden. Dann hörte sie ein leises Geräusch hinter sich und fuhr herum.

Amy war aus dem Interceptor gestiegen und schlenderte über die Straße. Danny machte eine warnende Geste, indem sie sich mit der Handkante über den Hals fuhr, doch Amy imitierte sie nur. Ein hoffnungsloser Fall.

»Troy will wissen, ob die Luft rein ist«, sagte Amy in normaler Lautstärke. Danny warf sich flach auf den Boden. Genau auf diese Weise zog man feindliches Feuer auf sich.

»Anscheinend nicht«, zischte Danny.

»Das habe ich ihm auch gesagt. Sie glauben, der Ort ist ansonsten verlassen.«

»Toll!«, erwiderte Danny.

»Wo ist das Problem?«, fragte Amy. »Wir haben den ganzen Tag Tote gesehen.«

»Schau dir das Blut an«, sagte Danny.

Zwei der Leichen hatten dunklen Zombieschleim geblutet, der Biker jedoch rotes Blut, und zwar eine ganze Menge.

»Mord«, sagte Danny, und Amy ging neben ihr in die Hocke.

Danny überlegte, was als Nächstes geschehen sollte. Wer auch immer die drei erschossen hatte, war im Recht gewesen, Zombies zu töten, wie Danny fand. Doch der Biker war lebendig und bei Verstand gewesen, als man ihn niedergestreckt hatte. Ganz gleich, wie schlimm die Lage war, Mord blieb Mord. Und derjenige, der das getan hatte, hatte keinen Grund gehabt: Die Motorräder waren vollgetankt und fahrbereit gewesen. Wollten sie sie nicht stehlen? Es sei denn, die Motorräder gehörten den Begleitern des Toten. Vielleicht waren sie angegriffen worden und versteckten sich irgendwo. Abwesend streckte Danny die Hand aus und berührte einen der Zylinderköpfe. Er war heiß. Sie hatte eine Idee. Doch in diesem Moment kam ein Geräusch aus der Ferne näher. Sie blickte die Leche Street hinunter und sah, wie das Wohnmobil mit eingeschalteten Scheinwerfern im schwindenden Licht auf sie zukam. Es fuhr hinter den Interceptor und kam dort zum Stehen.

Troy sprang vom Fahrersitz, und einen Augenblick später traten mehrere Überlebende aus der Seitentür.

»Was zum Teufel soll das?«, rief Danny und stand auf. In einer Umgebung mit so vielen Zielen hatte es keinen Sinn, in Deckung zu bleiben.

Troy zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Fragen Sie ihn«, sagte er und kniete sich hin, um die Leichen zu begutachten. Ted im Hawaiihemd folgte Troy mit einem entschuldigenden Ausdruck im Gesicht. Patrick und Wulf tauchten unerwartet gemeinsam auf. Einige Augenblicke später bemerkte Danny, dass sie in eine lebhafte Debatte verstrickt waren. Dann stand Ted am Straßenrand und betrachtete die Szenerie an der Tankstelle.

»Haben Sie sie erschossen?«, fragte er. Dannys Blick verschleierte sich wieder, und sie dachte kurz daran, zu dem verdammten Kerl hinzugehen und ihm mit der Waffe eins über den Schädel zu ziehen. Sie zählte bis zehn, atmete tief durch und wartete noch einen Moment.

Dann sagte sie: »Wir haben hier einen Mordfall. Und der Mörder ist wahrscheinlich noch in der Nähe.«

»Mord … Also etwas ganz anderes als das massenhafte Auftreten menschenfressender Leichen.«

Danny sah, dass Ted vor dem Häufchen Überlebender, die etwas abseits standen und mithörten, aufschneiden wollte. Er musste seine Argumente den Nachmittag über während der Fahrt im Wohnmobil geprobt haben.

Sie ging zu Ted hinüber und sprach mit gesenkter Stimme. »Was ist Ihr Problem? Wollen Sie allein weiterziehen? Gehen Sie! Niemand wird Sie aufhalten.«

»Klar doch«, sagte er. »Allein weiterziehen, großartige Idee. Ich habe eine bessere: Wie wär’s, wenn wir gemeinsam in der Gruppe beschließen, wohin wir als Nächstes fahren. Sie scheinen nämlich entschlossen zu sein, uns an den Arsch der Welt zu bringen.«

»Völlig richtig!«

»Und jetzt müssen wir hier rumhängen, weil Sie einen Mord untersuchen. Was wollen Sie tun? Den Kerl schnappen und ins Gefängnis stecken?«

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Wulf von Patrick gelöst und überquerte die Straße, das Gewehr locker unter den Arm geklemmt. »Lass den Scheiß, Mann«, sagte er.

»Mal im Ernst«, fuhr Ted fort. Er sah jetzt die anderen an und nicht mehr Danny. »Sie wollen den Mörder finden und vor ein Gericht stellen? Kennen Sie irgendwelche Richter, die immer noch hier in der Gegend sind? Oder schießen Sie ihm in den Kopf, wie Sie es mit den Zombies machen?«

Alle hörten jetzt zu. Troy, Amy und Wulf auf Dannys Seite, die anderen von der gegenüberliegenden Straßenseite aus. Maria bahnte sich einen Weg durch die Gruppe und zeigte verärgert auf Ted. »Warum machen Sie einen solchen Aufstand? Sie machen das schon die ganze Zeit!«

Danny wandte sich an Troy: »Wie wär’s, wenn Sie und Wulf zur Tankstelle gehen und nachsehen, ob das Licht funktioniert?«

»Sollen wir nicht in der Nähe bleiben?«

»Ich komm schon klar.« Sie wandte sich wieder Ted zu, während die beiden Männer auf das Tankstellenbüro und die Reparaturwerkstatt zugingen. »Es gibt Gesetze. Dies ist ein Land mit Gesetzen. Egal, was passiert«, sagte sie.

Ted stützte die Hände in die Hüften und lachte mit vorgebeugtem Oberkörper. Eine Pose, die Danny an professionelle Baseballspieler erinnerte. Das Lachen fiel ihm aus dem Gesicht. »Land? Was für ein Land? Wir haben auf dem Weg hierher die ganze Zeit versucht, Funkkontakt zu bekommen, Sheriff. Wissen Sie, was passiert ist? Nichts. Da ist niemand. In dem Wohnmobil gibt es einen hübschen Satellitenfernseher. Nichts. Dieses Land existiert vielleicht nicht mehr. Und die Gesetze vielleicht ebenfalls nicht. Wir brauchen neue Gesetze, wenn sie auch nur vorübergehend sind, wie zum Beispiel, dass Sie hier nicht mehr das Sagen haben. Das haben wir jetzt alle.«

Die Scheinwerfer unter dem Blechdach über den Zapfsäulen summten und leuchteten auf, wodurch die umliegenden Gebäude in Dunkelheit getaucht wurden. Die Tankstelle jedoch erstrahlte in einem grellen, grünlichen Licht, das die Leichen erst recht tot aussehen ließ.

Danny wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr waren die Argumente ausgegangen. Sie hob die Waffe, und der Triumph in Teds Gesicht erlosch wie ein Streichholz, das jemand ausgeschüttelt hatte. In seinen Augen stand Angst. Dann rief Danny trotz ihrer brüchigen Stimme unerwartet laut in die Stille der anbrechenden Dämmerung: »Okay, hören Sie zu! Ich weiß, dass Sie mich hören können. Ich habe hier eine Repetierflinte vom Kaliber 12. Und wenn ich auf das Shovelhead-Motorrad schieße, klingt das so.«

Danny drückte den Abzug, und eine Flammenspur schoss auf das Oldtimer-Bike zu. Der Knall des Schusses war so laut, dass Ted sich zu Boden warf, was Danny mit Genugtuung zur Kenntnis nahm. Die Instrumente des Zweirads zersprangen, und die makellose Lackierung des Benzintanks war von mehreren Löchern gesprenkelt. Das Motorrad wankte wie ein verwundeter Büffel und fiel dann um. Nach etwa zwanzig Sekunden hallte das Echo von den Bergen zurück.

Danny konnte hinter sich Leute rennen hören, wahrscheinlich Überlebende, die versuchten, aus dem Schussfeld des verrückten Sheriffs zu kommen. Sie vermied es, sich nach Ted umzuschauen, und ging zu dem Motorrad, das am nächsten stand. Dann rief sie: »Haben Sie das gehört? Jetzt habe ich hier ein Motorrad, das aussieht wie ein 1000 Sportster Chopper aus den frühen Siebzigern mit einem Adler auf dem Tank. Ich zähle bis drei, weil ich annehme, dass Sie nicht höher zählen können. Eins.«

Sie konnte hören, wie noch mehr Leute davonrannten, und irgendjemand weinte. Es klang wie Marias Stimme.

»Zwei.«

Danny lud durch. Es machte ein lautes, muskulöses Geräusch. Als sie den Lauf auf den Chopper richtete, fragte sie sich, ob die Waffe absichtlich so konstruiert worden war. Es war jedenfalls genau das, was sie brauchte.

»Nicht schießen! Um Himmels willen, nicht schießen!« Die Stimme kam von einem Lagerschuppen in der Dunkelheit.

Ein riesiger Biker trat ins Licht. Er hatte einen dicken Bauch, Hände wie Baseball-Fängerhandschuhe und einen zehn Zentimeter langen Kinnbart. Seine Lederkombi war alt und brüchig. Kein Stadt-Biker wie der Tote. Er war ein Outlaw, so stark, wie Wulf es in seinen besten Zeiten gewesen sein musste. Doch er hatte Angst und die Hände mit den fingerlosen Handschuhen erhoben. Danny drehte sich zu ihm herum, die Waffe auf den Boden gerichtet.

»Haben Sie uns nicht kommen hören, Easy Rider?«

»Mein Gott, Billie Jean!«

»Wer ist Billie Jean?«

»Sie haben sie zerschossen.«

Der große Mann wollte zu dem Motorrad hinübergehen, doch Danny stellte sich ihm in den Weg. In den Satteltaschen konnte eine Waffe stecken. Der Biker rieb sich das Gesicht mit beiden Händen, legte dann einen Finger an die sonnenverbrannte Nase und schnäuzte sich geräuschvoll.

»Verdammt, spielt wahrscheinlich sowieso keine Rolle mehr.«

»Auf die Knie, Hände hinter den Kopf«, befahl Danny und ging auf den großen Mann zu. Sie nahm ihre Handschellen hinten vom Gürtel, die Waffe an der Hüfte und die Mündung auf die Taille des Bikers gerichtet. Er ließ sich mit erhobenen Händen auf die Knie sinken, doch er war jetzt wütend.

»Was zum Henker gibt Ihnen das Recht …?«

»Mord.«

Danny trat hinter ihn, zog einen vernickelten Revolver aus dem breiten, beschlagenen Gürtel und warf ihn in Richtung Wulf und Troy.

»Wurde damit geschossen?«, fragte sie und ließ die Handschellen um die Handgelenke des Bikers zuschnappen.

Wulf hob die Waffe auf und schnupperte daran.

»Ganz sicher.«

»Denken Sie etwa, ich hätte Mike getötet?«, brüllte der Biker plötzlich. Danny trat vorsichtshalber ein Stück zurück. »Sie glauben, ich habe ihm das angetan?« Er war außer sich, und sein Gesicht hatte die Farbe von rohem Fleisch angenommen. Er drehte sich um und sah Danny mit vor Hass schimmernden Augen an. Auf seinen Lippen war Speichel. »Ernie! Ernie, du arroganter Katzenficker! Komm gefälligst raus!«

Danny drehte sich zur Seite, um sowohl den Biker als auch den Teil der Dunkelheit, auf den er die Stimme gerichtet hatte, im Blick zu haben, dort, wo die Autowracks hinter der Tankstelle standen. Sekunden später tauchte eine seltsame Gestalt aus der Nacht auf, ein klapperdürrer Mann mit einem langen, gebeugten Körper wie ein Wiesel. Er trug eine zerbeulte Bibermütze mit Federn am Band, eine Lederweste im Cowboystil und kein Hemd. Auf den dünnen Armen zeichneten sich die Venen ab, und sein Gesicht sah viel älter aus als der Rest seines Körpers. Er trug eine Brille mit dicken Gläsern, die seine Augen wie ein Goldfischpaar aussehen ließen. Er hielt die Hände gerade hoch genug, um zu zeigen, dass er nichts darin hatte.

»Topper ist in Ordnung«, sagte Ernie mit hoher, pfeifender Stimme. »Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«

Wulf trat hinter Ernie und hielt ihn allein durch seine Nähe unter Kontrolle.

»Aufstehen!«, sagte Danny.

Der große Mann namens Topper hievte sich auf die Beine und ging, ohne sie zu beachten, zu Mikes Leiche. Er grummelte leise vor sich hin. Er kniete sich neben seinen toten Kameraden und nahm die gefesselten Hände herunter. Dann schob er ehrfürchtig den Ärmel des Toten zurück und zog ein Tuch am Handgelenk weg, wo eine tiefe Wunde zum Vorschein kam, in der Danny Sehnen und Knochen erkennen konnte. Danny hatte zuerst gedacht, es wäre ein rotes Taschentuch, das unter dem Ärmel hervorgeschaut hatte, doch der Stoff war ursprünglich weiß gewesen. Topper ließ den Arm los und erhob sich zur vollen Größe, wobei er Danny wie eine Eiche überragte.

Ernie sprach zuerst: »Sehen Sie?«

Topper seufzte, und sein Ärger schien zu verfliegen. Er trauerte immer noch, wie alle anderen auch.

»Er ist in Palmdale gebissen worden, wo wir hergekommen sind«, sagte Topper. »Wir haben es bis hierher geschafft, aber er hat zu viel Blut verloren. Er sagte, dass es ihn erwischt hätte.«

Amy kniete sich jetzt neben den Leichnam und leuchtete dem Toten mit der Taschenlampe ins Gesicht. »Hatte er irgendwelche Symptome? Das wäre gut zu wissen.«

»Nicht jetzt, Amy«, sagte Danny.

Doch Topper hatte es nicht gehört. Er sprach einfach gedankenverloren weiter: »Er wäre nicht gebissen worden, wenn er nicht noch bei seiner Exfrau vorbeigefahren wäre, um nachzuschauen, ob mit ihr alles in Ordnung war, aber das war es nicht. Ich weiß nicht, warum er sich um sie gekümmert hat, sie hat nie einen Finger für ihn gerührt. Aber man könnte wohl sagen, dass sie es ihm schließlich doch noch besorgt hat.«

»Das hat sie wohl«, bemerkte Ernie, der am ganzen Körper zitterte.

»Der gute alte Mike«, fuhr er fort, »hat dann zu uns gesagt, wir sollen zum Abschied von irgendwo Bier organisieren. Wir drehen uns also um, und da schießt er sich in den Kopf. Die anderen beiden haben wir erschossen. Sie waren eh schon tot und auf irgendwas zu futtern aus. Aber Mike hat sich wirklich selbst erschossen.«

Ted stellte sich vor die Überlebenden aus dem Wohnmobil. Er sprach zu laut, wahrscheinlich, weil man ihm die Show gestohlen hatte. In der Aufregung hatte man ihn nicht mehr beachtet, und das war jetzt sein Auftritt. »Er hat das Richtige getan«, sagte er.

Danny streckte Topper, der sie noch immer anstarrte, die Hand entgegen. Topper hob die gefesselten Hände, und Danny öffnete die Handschellen mit dem Schlüssel. Sie wusste jetzt, was sie sagen würde, wie sie auf Teds Behauptung, dass die Gesetze nicht mehr galten, reagieren sollte.

»Ted hat eine wichtige Frage gestellt. Wie können wir Gesetze befolgen, bevor wir unser Land wiederbekommen haben? Es gibt kein Gericht und keine Geschworenen. Und ich bin kein Henker, egal, was Sie denken. Ich versuche es auf den Punkt zu bringen. Vor ein paar Tagen hatte dieses Land noch Gesetze. Bis sie wieder gelten, haben wir nur Regeln. Meine Regeln. Wenn Sie meine Regeln nicht mögen, haben Sie einen langen, einsamen Weg vor sich. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«

Niemand sagte etwas. Topper verschränkte die dicken, tätowierten Arme. Danny konnte den Globus und den Anker unter den anderen, meist anzüglichen Motiven erkennen. Sie reichte ihm die Hand.

»Gefreite Danny Adelman. Drei Einsätze im Irak.«

Toppers Überraschung hatte beinahe etwas Komisches. Aus dem Augenwinkel konnte Danny sehen, wie Ernies Brillengläser das Licht reflektierten, als er zwischen ihnen hin und her schaute. Es folgte eine lange Stille, nur unterbrochen vom Summen der Insekten, die um die Lampen herumflogen.

»Semper fi«, sagte Topper und schüttelte Dannys Hand.

Ihre Hand tat schrecklich weh, aber sie fühlte sich genauso erleichtert wie in dem Augenblick, als sie Forest Peak verlassen hatten.

Wulf trat zu ihnen. »Wo waren Sie im Einsatz?«, fragte er Topper.

»Golfkrieg.«

»Vietnam, 65 bis 69. Hab den Sommer der Liebe damit verbracht, Schlitzaugen zu töten.« Wulf schüttelte ebenfalls Toppers Hand.

Dann drang eine gereizte Stimme aus der Dunkelheit über die Straße. Es war Patrick, der unbeeindruckt bemerkte: »Okay, hurra, wir haben uns ausgiebig beschnuppert. Können wir jetzt vielleicht mit unserem Leben weitermachen?«

Sie schliefen auf dem Dach des Lebensmittelladens. Sie kletterten über eine alte Aluminiumleiter hinauf, und einer der Überlebenden hatte einen Holzkohlegrill hinaufgeschleppt, sodass die brennende Kohle ihnen Licht spendete. Die Überlebenden hatten Grüppchen gebildet, fragile Bündnisse, die während der stressigen, aber langweiligen Fahrt über den Pass andere gewesen waren als jetzt.

Danny saß mit dem Rücken an ein Entlüftungsrohr gelehnt, das aus dem Dach ragte. Amy lag neben ihr und schlief, wobei sie hin und wieder etwas murmelte. Sie hatte ihren schmuddeligen Arztkittel wie eine Decke um sich gewickelt. Patrick lag neben ihr, auf Kissen von den Klappstühlen aus dem Wohnmobil. Das Mädchen schlief unter einem Haufen Vorhänge und hielt ihren Bruder in den Armen, und neben ihnen schnarchte Maria. Michelle und Danny hatten sich ein wenig unterhalten, bevor das Mädchen weggedöst war, was bestimmt ein gutes Zeichen war. Danny erinnerte sich an ihre untote Mutter: blicklos, mit offenem Mund, bevor auch sie von der Gier gepackt worden war. Sie hatte eine Dauerwelle gehabt und sich in die Hosen gemacht. Wenn sie kein Opfer der Schüsse geworden war, würde sie in diesem Zustand bleiben, bis sie verrottete. Danny hoffte, dass keins der Kinder so weit dachte.

Der Blödmann Ted lag ausgestreckt an der Stelle, wo sie die Leiter angelehnt hatten, wahrscheinlich, damit er beim ersten Anzeichen von Problemen verschwinden konnte. Dazwischen waren mehrere Leute unter Decken, Planen oder Tischdecken gekrochen. Es gab eine junge Mutter, eine hübsche Frau mit einem kleinen Baby, das nie schrie. Danny hoffte, dass das Baby gesund war. Sie würde Amy am Morgen bitten, es zu untersuchen. Danny wollte keinen kranken Säugling in der Nähe haben.

Es gab auch zwei junge Leute im College-Alter, ein Junge und ein Mädchen, die einen wohlbehüteten Eindruck machten. Er hieß Matt oder Mark oder so ähnlich. Ihren Namen kannte Danny nicht. Sie waren nicht viel jünger als Danny, aber für sie waren es Kinder ohne jede Lebenserfahrung. Sie konnte froh sein, dass sie Amy hatte. Wie dumm von Amy, dass sie wegen Danny zurückgekommen war.

Danny brachte in Gedanken einen Toast auf Amys idiotische Courage aus und nahm noch einen Schluck aus dem Flachmann, den sie im Laden beschlagnahmt hatte. Sie ließ dem Whiskey einen Schluck warmes Bier aus einer Dose folgen. Warum schlief sie nicht? Am Nachmittag hatte sie darum kämpfen müssen, nicht am Steuer einzuschlafen, war immer wieder in Trance gefallen, wenn sich ihre Augen verdreht hatten und die Lider schwer herabgesunken waren. Jetzt war sie hellwach, wenn auch erschöpft.

Topper, Wulf und der Wieseltyp Ernie schliefen auf dem Dach des Wohnmobils, obwohl wahrscheinlich nur die Biker schliefen. Danny vermutete, dass der alte Landstreicher genauso wach war wie sie, auch wenn er, die Winchester an die Wange gedrückt, ausgestreckt dalag. Troy war im Wohnmobil, der Einzige, der nah am Boden geblieben war. Doch er war einverstanden gewesen, dort zu bleiben, falls etwas passierte. Wenn Gefahr im Verzug war, sollte der Fahrer innerhalb von Sekunden das Steuer übernehmen können. Immerhin war er von Metall umgeben und befand sich ein gutes Stück über dem Boden. Der Mond war nicht zu sehen, doch so weit weg von der Menschheit (beziehungsweise dem, was noch davon übrig ist, rief die Stimme Danny ins Gedächtnis) verdeckten weder Smog noch Rauch oder Lichter den Himmel. Die Sterne reichten bis zum Horizont und verschwammen lediglich im Süden, wo Los Angeles wahrscheinlich immer noch brannte.

Der Schuss kam von rechts. Danny wandte den Blick von der schwarz gekleideten Frau ab. Der Frau mit dem Sprengsatz in den Händen. Am vorderen Fenster des Bauernhauses sah Danny die Mündung eines Automatikgewehrs. Reflexartig feuerte sie zwei Salven mit ihrer Waffe ab, und das Gewehr verschwand ruckartig im Haus.

Danny riss die Waffe zu der Frau herum, sah jedoch nur noch, wie sie zu Boden ging. Die schwarzen Kleider und der Schleier waren aus viel leichterem Stoff, als es schien, und bauschten sich, als die Frau stürzte. Die Tornistermine fiel ihr aus den Händen.

Einen Augenblick später krachte eine Panzerkanone, und das Haus schien einen Satz zur Seite zu machen. Staub und Rauch quollen aus dem Fenster, in dem Danny die Waffe gesehen hatte

Danny erwachte von einem quietschenden Geräusch. Es war spät; sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie eingeschlafen war. Sie blickte sich um und bemerkte, dass die Leiter an der Seite des Gebäudes lehnte. Vorsichtig ging sie zum Dachrand und blickte hinunter. Unten auf der Straße schob Ted mit ein paar anderen einen Wagen vom Laden weg. Danny wusste, dass es Ted war, weil er sich nicht mehr auf dem Dach befand. Eine weitere Person schloss sich ihnen an, nachdem sie die Leiter hinuntergestiegen war. Danny blickte zu Wulf hinüber und sah, dass er ebenfalls wach war und sie beobachtete. Er bemerkte ihren Blick und machte eine Bewegung mit den Händen: Und was jetzt?

Danny antwortete mit einer wegwerfenden Geste und sah zu, wie die Abtrünnigen den Wagen wegrollten. Außerhalb der Stadt ließen sie ihn an, schalteten aber die Lichter erst ein, als sie ein gutes Stück gefahren waren. Danny vermutete, dass Ted über sie lachte, begeistert, eine so eindrucksvolle Gegnerin wie sie überlistet zu haben. Wenn er von den Kiefern einer gefräßigen Leiche zerfleischt wurde, erinnerte er sich vielleicht daran, dachte Danny verärgert.

Sie hatte das Gefühl, nicht wieder einschlafen zu können. Wulf saß jetzt oben auf dem Wohnmobil und rauchte. Sie hatte nicht gewusst, dass er Raucher war.

Sie öffnete die Hemdtasche und holte Kelleys Nachricht heraus. Dann warf sie ein paar Kohlen auf den Grill und hockte sich in das gedämpfte rötliche Licht des Feuers und las die Worte ihrer Schwester, und nachdem sie sie zum zweiten Mal gelesen hatte, weinte sie bis zum Morgengrauen stumme und bittere Tränen.

Infektion - Tripp, B: Infektion - Rise Again
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