Souvenir, Souvenir!

Ich bin kein Sammler. Noch nie gewesen. Menschen, die sich Jahresteller, Happy Hippos oder «alles, was irgendwie mit Elefanten zu tun hat», in die Wohnung stellen, machen mir tendenziell ein bisschen Angst. Auch mit Urlaubssouvenirs tue ich mich schwer. Warum soll ich Sachen aus Ländern, die mir gefallen haben, auf meinen Möbeln platzieren? Damit ich immer wieder draufschaue und mir denke: «Ach ja, da war’s schön. Aber jetzt bin ich wieder in Deutschland – na bravo!»? Das kann doch nicht der Sinn sein.

 

Deshalb bin ich immer wieder erstaunt, was Menschen nach einer Urlaubsreise ins Handgepäckfach stopfen. Musikinstrumente, handgeschnitzte Kommoden, Einbaum-Kanus – offensichtlich sind viele trotz Globalisierung noch immer überzeugt, dass man gewisse Dinge nirgends so günstig und in so guter Qualität bekommt wie von dem schief grinsenden Straßenverkäufer in Lumbu Bumbu. Oder haben sie vielleicht Angst, dass sie irgendwann im Wohnzimmer sitzen und sich denken: «Mensch … Giraffen – wie sahen die noch mal aus? Hätte ich mir damals doch eine aus Holz mitgebracht, dann könnte ich die jetzt anschauen.»

 

Und so beobachteten Stefan und ich auf dem Rückflug von Mauritius amüsiert eine Frau, die einen riesigen Holz-Dodo, das Wappentier des Landes, in eine Ablage einige Reihen vor uns stopfte. Der Dodo ist, nein: war ein flugunfähiger Vogel, der lange Zeit auf Mauritius lebte. Er war sehr menschenfreundlich, leider waren die meisten Menschen nicht besonders Dodo-freundlich, und schließlich wurde der letzte von einem gelangweilten Holländer erschlagen. Seitdem ist der Dodo das Standardsouvenir aus Mauritius. Wobei ich es einen lustigen Gedanken finde, dass sich Menschen als Erinnerung an ein so artenreiches Land wie Mauritius genau das eine Tier auf die Kommode stellen, das es dort nicht mehr gibt. Das ist, wie wenn sich Deutschland-Urlauber als Erinnerung an den Schwarzwald ein Mammut auf die Kommode stellen würden. Oder noch besser: alles, was irgendwie mit Mammuts zu tun hat.

 

Die Frau war jedoch sichtlich stolz auf ihren Kauf. Es handelte sich um eine dieser resoluten Damen, die sich sonntagnachmittags mit Hildchen und Luise zu einer Runde Nordic Walking verabreden, dann in die Ballonseide springen, eine halbe Stunde im Stadtwald Skistöcke hinter sich herschleifen und sich anschließend auf die Käsesahne stürzen. Offensichtlich hatte sie auf Mauritius einen längeren Urlaub verbracht, denn sie hatte einen so dunklen Teint, dass man sie, nackt auf einem Mahagoni-Schreibtisch liegend, niemals gefunden hätte. Die Sonne schien ihre Laune jedoch nicht dauerhaft verbessert zu haben. Verbissen drückte sie ihr Souvenir in die prall gefüllte Ablage und quäkte dabei: «Der Dodo muss da rein!» Dann motzte sie einen anderen, etwas dickeren Passagier an: «Nehmen Sie doch Ihren Trolley auf die Beine, die sind doch weich gepolstert!» Stefan und ich grinsten vor uns hin, allerdings verging uns das Grinsen schnell, denn als der Dodo verstaut war, steuerte die Dame schnurstracks auf unsere Reihe zu, krabbelte umständlich mit ihrem Rucksack über uns und ließ sich mit einem «Haben wohl gedacht, Sie hätten den Platz für sich, was?» auf den Fensterplatz fallen. (Übrigens: Falls Sie jemals mit mir zusammen in einen Flieger steigen, freuen Sie sich und lehnen Sie sich entspannt zurück: Die Verrückten sitzen nämlich immer neben mir!) Sofort merkte ich, dass die Dame sich noch ein zweites Souvenir mitgebracht hatte: Vanille. Die wird auf Mauritius angebaut. Beziehungsweise: wurde. Denn dem Duft nach zu urteilen, hatte meine Sitznachbarin nicht eine Schote auf der Insel zurückgelassen.

«Riechst du das?», fragte mich Stefan.

«Wie soll man das nicht riechen?», fragte ich zurück. Ich wandte mich der Frau zu, deutete auf ihren Rucksack und fragte scherzhaft: «Na, haben Sie ’ne Wunderbaum-Fabrik überfallen?»

Sie schaute mich an, als hätte ich ihren Dodo geköpft. Dann holte sie eine dünne Plastiktüte mit mindestens 50 Vanilleschoten hervor und hielt sie mir unter die Nase «Feinste Mauritische Vanille! In so guter Qualität kriegt man die bei uns gar nicht!» Das hielt ich für eine gewagte Theorie. Ich erwog kurz, die Frau zu einer Vanille-Blindverkostung zu mir nach Hause einzuladen. Dann bekam ich aber Angst, dass sie sich auf meine dunkle TV-Bank legt und ich sie nie mehr wiederfinde.

Ich lehnte mich also zurück und versuchte der süßlichen Wolke auszuweichen, die sich immer mehr zwischen uns ausbreitete. Es ging nicht. Ein klebriger Nebel, der nach Gebäck und neuen Starbucks-Kreationen roch, umhüllte mich und meine Geruchsnerven.

Ein Freund hat mir mal erzählt, dass er einen in München gekauften Leberkäse nicht mit ins Flugzeug nehmen durfte, weil das Fleischbrät noch nicht gebacken war und somit als Flüssigkeit und potenzielle terroristische Bedrohung galt. Umso rätselhafter finde ich, dass jemand mit 50 Vanilleschoten an Bord darf. Denn während mir wirklich schleierhaft ist, wie man mit zwei Kilo Leberkäse ein Passagierflugzeug in die Luft sprengen soll, kann man mit so viel Vanille jede Besatzung betäuben.

Der Duft wurde immer unerträglicher. Ich drehte mich zu Stefan. «Ich kann nicht mehr!»

«Denk einfach an was anderes!», versuchte er mich zu beruhigen.

Ich probierte es. Das Einzige, was mir einfiel, waren jedoch Vanillepudding, Vanillekipferl und Tic Tacs. Die schmecken zwar nach Pfefferminz; im ersten Moment, wenn man sie in den Mund gibt, haben sie aber einen leichten Vanillegeschmack. Die Tatsache, dass ich mir solchen Unsinn merke, machte mich direkt noch wahnsinniger.

Ich versuchte also irgendwie bei Besinnung zu bleiben und las die Anzeigen auf dem Mittelgang-Monitor. «Flughöhe 30000 Fuß. Außentemperatur: minus 35° C.» Wen interessiert denn das? Gibt es wirklich Menschen, die sich im Flieger denken: «Ui, das ist aber kalt da draußen, da lass ich das Fenster lieber zu.»?

Meine Stimmung trudelte derweil in ungeahnte Tiefen. Aber dann kam die schlimmste Anzeige: «Verbleibende Flugzeit: 11 Stunden.»

Ich wusste, dass ich das nicht überstehen würde. «Stefan, ich gehe!»

Er schaute mich verwundert an. «Du hast schon verstanden, dass wir in der Luft sind, oder?»

«Ich setz mich um», erwiderte ich unwirsch, klingelte nach der Flugbegleiterin und fragte sie nach einem anderen Sitzplatz. Offensichtlich war ich nicht der Erste, dem auf einem Mauritiusflug so etwas passiert ist. Die Stewardess schnupperte nämlich nur kurz, verstand sofort und führte mich unter den beleidigten Schmährufen der menschgewordenen Vanilleschote und einem leicht beschämten Kopfschütteln meines Freundes zehn Reihen nach vorne.

Ich war erleichtert. Weg aus dem Vanille-Armageddon, dachte ich, weg von Frau Dodo mit der Mahagoni-Haut, weg, weg, weg!

Doch als ich mich gerade auf den Platz fallen lassen wollte, schaute mich mein neuer Sitznachbar an und fischte aus seiner Tasche vier braune Ylang-Ylang-Ölfläschchen – die streng duftende Nummer drei unter den Mauritius-Souvenirs. Er verzog das Gesicht und jammerte mir in breitestem Schwäbisch entgegen: «Isch alles ausgloufe! Dr ganze Ruggsagg schtingt!» Fünf Sekunden später saß ich wieder zwischen Stefan und Misses Vanilli.

 

Irgendwann sind wir dann gelandet. Mir war noch nie so sehr nach etwas Würzigem zumute. Stefan zog mich wortlos zu einem McDonald’s-Schalter und bestellte für mich «einen BigMac und ’ne große Portion Pommes».

«Und noch zwei Pommes extra», rief ich dazwischen. «Für die Nasenlöcher!»

Der Verkäufer schaute mich an. «Noch ’nen Vanilleshake dazu?»

«Ich glaube nicht.»