Bockige Beine
Es ist Zeit für ein Geständnis: Ich bin kein Skifahrer. Nicht dass ich etwas gegen das Skifahren hätte, im Gegenteil: Ich würde wahnsinnig gerne mal locker-lässig und braun gebrannt über eine Buckelpiste schweben, links und rechts kleine Schneewölkchen in den azurblauen Himmel wedeln, ab und zu den Stock hochreißen und einem anderen Skifahrer ein gutgelauntes «Servus, Schorschi! Kaiserwetter, oder?» zurufen. Aber die Erfahrung hat gelehrt: Nach dem ersten Buckel liege ich mit dem Gesicht im Schnee, und dann ist es ziemlich egal, was ich rufe, weil es sowieso keiner hört. Außerdem kenne ich keinen Schorschi.
Meine Eltern trifft übrigens keine Schuld. Die haben wirklich alles getan, um aus mir einen Skifahrer zu machen. Ich erinnere mich, wie meine ganze Familie jeden Winter im Wohnzimmer vor der Eichenschrankwand in die Hocke ging und zu Rosi Mittermeiers Skigymnastik-Schallplatte den Doppelstockschub geübt hat. Das war eine schweißtreibende Angelegenheit. Vor allem deshalb, weil meine Mutter der Ansicht war, dass man Skigymnastik auch im Skianzug machen muss, damit der gleich an den richtigen Stellen gedehnt wird. Nach fünf Minuten Training beschlugen die Fensterscheiben unseres Wohnzimmers, und die Nachbarn wussten: «Ah, die Barths gehen bald in Skiurlaub.»
Skigymnastik fand ich super. Nur bei der Umsetzung in die Praxis haperte es: Irgendwann in meiner Kindheit müssen meine beiden Beine einen fürchterlichen Streit gehabt haben. Denn sobald man sie auf zwei Skier stellt, versuchen sie, so weit wie möglich auseinanderzukommen. Kinderfotos von mir auf Skiern sehen alle gleich aus: Das linke Bein strebt beleidigt nach Westen, das rechte nach Osten, darüber mein verzerrtes Gesicht, und man kann sich denken, was ich meinen Beinen in dem Moment zurufe: «Jetzt vertragt euch doch endlich wieder!»
Auch der Skikurs in der achten Klasse konnte daran nichts ändern. Wenn ich mich richtig erinnere, sind Schulskikurse sowieso nur bedingt dazu da, das Skifahren zu lernen. 90 Prozent des Tages verbrachten wir damit, zu diskutieren, wer am Vorabend mit wem im Partykeller Schiebeblues getanzt und anschließend im Heizungskeller geknutscht hatte. Die restlichen zehn Prozent gingen fürs Flaschendrehen drauf.
Als Erwachsener habe ich es dann mal mit Snowboarden versucht, weil ich mir dachte: Wenn meine beiden Beine auf einem einzigen Brett fixiert sind, kann ja eigentlich nichts schiefgehen. Und tatsächlich: Anfangs lief alles gut. Bis zum ersten Turn. Da konnten sich meine bockigen Beine wieder nicht einigen, wer sich wohin verlagern muss. Mein Oberkörper verlagerte sich dagegen relativ schnell nach vorne in den Schnee, und die Fahrt war beendet. Das ideale Snowboard-Gebiet für mich wäre wohl ein sehr hoher und vor allem sehr breiter Berg. Da würde ich morgens mit dem Skilift hinauffahren, mich oben auf mein Snowboard stellen, den ganzen Tag ohne einen einzigen Turn seitlich runterrutschen und mich unten zufrieden dem Après-Ski widmen.
Leider habe ich so einen Berg noch nicht gefunden. Ich wohne ja mittlerweile in Köln. Die höchste Erhebung hier ist der Herkulesberg mit 78 Metern über Normalnull. Allein die Tatsache, dass wir das hier «Berg» nennen, treibt vielen Süddeutschen Tränen der Rührung in die Augen.
Aber ich gebe die Hoffnung noch nicht auf: Falls irgendjemand eine Wintersportart kennt, die sich mit fixierten Beinen und ohne Drehung auf einem nicht mal 100 Meter hohen «Berg» ausüben lässt, soll er sich bitte bei mir melden. So lange lege ich noch mal Rosi Mittermeiers Skigymnastik-LP auf und übe zu «Zwei Bretteln im Schnee» das Wedelfinale. Im Skianzug, versteht sich.