Da hat aber einer was vor

Ich finde, jeder Großstadtbewohner sollte über einem Sexshop wohnen. Seit vier Jahren haben wir nun den «Bazar Bizarr» unter uns, mit all seinen Dildos, Masken und Penispumpen. Und den Unterhaltungswert, den so ein Laden bietet, kriegt man einfach nicht von einem Kiosk, einem Nagelstudio oder einem Steuerhilfebüro.

 

Nach jeder Schaufensterumgestaltung spielen Stefan und ich zum Beispiel eine Runde «Dildo durch den Dödel»: Das ist ein sehr kniffliges Spiel. Wir stellen uns dazu vor den Laden, schauen die Artikel in den Glasvitrinen an, und wer die sinnvollste Erklärung zur Anwendung der ausgestellten Produkte findet, hat gewonnen. Das Ganze heißt übrigens so, weil unsere Diskussionen dabei sehr an Mike Krügers Lied «Nippel durch die Lasche» erinnern.

«Also, als Erstes nimmt man diesen Dildo mit den zwei Verästelungen. Die eine steckt man in den … Ach nee, das sind ja drei Verästelungen …»

«Ja, über die eine stülpt man wahrscheinlich dieses noppige Gummiding, während der Partner mit dem Stäbchen da und dem geriffelten Glas-Nupsi …»

«Ach, Quatsch, an dem Stäbchen ist doch hinten noch ’ne Pumpe dran. Damit muss man irgendwas aufpumpen. Vielleicht den Dildo?»

«Oder die Noppen von dem Gummiding.»

«Und wofür ist überhaupt der Schieber mit der Gummilippe da unten?»

«Du Depp: Das is ’n Fensterabzieher.»

 

Den Gewinner zu ermitteln ist bei diesem Spiel übrigens ein bisschen schwierig, denn eigentlich wollen wir in den meisten Fällen überhaupt nicht wissen, wofür die Sachen gut sind. Einmal ging Stefan nämlich in den Laden, um Frank, den Besitzer, zu fragen, wozu man wohl im Bett diese dünnen Stäbchen aus chirurgischem Stahl benötigt. Nach drei Sekunden kam er mit zugehaltenen Ohren aus dem Geschäft gerannt und schrie: «Lalalaaaaaaa, ich kann dich nicht hööööööören!»

Ich halte uns nicht für prüde, wirklich nicht! Aber wenn Frank zu erzählen anfängt, erröten sogar Hamburger Hafennutten. Kennen Sie diese Opas, die auf Geburtstagsfeiern immer im unpassendsten Moment vom Krieg erzählen, bis alle die Gesichtsfarbe verlieren und die Buttercremetorte wegschieben? Genauso sind Franks Geschichten, nur mit Sex statt Schussverletzungen.

 

Trotzdem liebe ich den Laden. Es gibt nur ein kleines Problem: Franks Leidenschaft für schmierige Anspielungen.

Er steht nämlich fast den ganzen Tag vor seinem Geschäft, raucht und ruft jedem, der vorbeigeht, eine anzügliche Bemerkung hinterher. Das allein wäre noch nicht so schlimm. Aber es sind die mit Abstand schlechtesten anzüglichen Bemerkungen, die ich je gehört habe. Eigentlich sind sie, soweit ich das verstehe, auch gar nicht anzüglich. Er sagt sie nur in einem so wahnsinnig schmierigen Tonfall und betont dabei wahllos irgendwelche Wörter, dass es topversaut klingt. Man läuft also an dem Laden vorbei, Frank steht davor, zieht genüsslich an seiner Zigarette, setzt ein Grinsen auf und sagt in leicht tuckigem Ton so etwas wie: «Na, da knallt die Sonne aber wieder runter, was?»

Wenn man dann, wie ich am Anfang, ganz naiv und freundlich stehen bleibt und sagt: «Öh … stimmt», kriegt er sich gar nicht mehr ein, schnalzt mit der Zunge, wedelt mit den Händen und sagt: «Wusst ich doch, dass du ’ne kleine Sau bist!»

Der Mann ist mir ein einziges Rätsel.

Zum Glück geht es nicht nur mir so. Die Postbotin kommt, Frank leckt sich die Lippen und ruft: «Meine Güte, ist das Wägelchen wieder voll!»

Der Müllmann kommt, Frank lächelt lasziv und ruft: «Das nenn ich mal ’ne gelbe Tonne!»

So geht das den ganzen Tag.

Der einzige Grund, warum er mit dieser Masche nicht in Schwierigkeiten gerät: Wirklich niemand versteht seine Anspielungen. Was soll man auch sagen, wenn man auf dem Fahrrad an einem Laden vorbeifährt, der Besitzer verführerisch zwinkert und dabei mit einem vielsagenden Grinsen ruft: «Na, da scheppert aber das Schutzblech!» Richtig: nichts.

Nur die Politesse, der Frank mal hinterhergerufen hat: «Herrschaftszeiten, da rattert aber der Knöllchendrucker», hat ihn mal wegen sexueller Belästigung angezeigt. Natürlich konnte niemand Frank nachweisen, dass «Knöllchendrucker» irgendeine sexuelle Bedeutung hat, und die Anzeige wurde wieder vergessen.

 

Kürzlich brachte mir ein Freund eine Stehlampe vorbei, die er selbst nicht mehr haben wollte. Er kam völlig verstört an meiner Wohnungstür an und sagte: «Euer Fetischtyp hat mich grade so komisch angeguckt und gesagt: ‹Na, da hat aber einer was vor!› Weißt du, was der meint?»

Ich wusste es nicht. Aber ich wusste, dass das Franks neuer Lieblingssatz war. Egal, was man tat, ob man mit einem Möbelstück, einer Aktentasche oder einem Hund vorbeikam – jedes Mal rief Frank: «Na da hat aber einer was vor!»

Besonders schlimm war es, wenn ich mit meinen Einkäufen nach Hause kam. Und ich rede hier nicht von Gurken und Margarine, die kaufte ich vor lauter Angst schon gar nicht mehr. Zumindest nicht zusammen. Ich rede von ganz gewöhnlichen Einkäufen, an denen ich beim besten Willen nichts Anzügliches finden kann.

«Kernlose Trauben! Na, da hat aber einer was vor!»

Aber kürzlich hat er es übertrieben. Ich kam gerade vom REWE, in der Hand eine Zeitung und eine Packung Kaffeefilter. Ich bog in unsere Straße ein und jubelte innerlich: Frank stand nicht vor seinem Laden. Schnell wollte ich an der Tür vom «Bazar Bizarr» vorbeihuschen, aber ich hatte mich zu früh gefreut.

«Na, da hat aber einer was vor!», tönte es aus der Fetischhöhle.

In dem Moment traf ich eine Entscheidung. Ich blieb stehen und fragte: «Nämlich?»

Frank kam aus seinem Laden. Ich konnte ihm ansehen, dass er damit nicht gerechnet hatte.

«Wie bitte?», fragte er.

«Nämlich was?», entgegnete ich. «Was soll ich deiner Meinung nach vorhaben mit einer Packung Filtertüten und einer Zeitung?»

Frank verdrehte die Augen und schaute mich vielsagend an. «Ach, Markus, jetzt schalt aber mal den Bambi-Modus wieder aus! Du weißt genau, was man damit anstellen kann!»

«Ja», sagte ich, «Kaffee kochen und Zeitung lesen! Mehr fällt mir nicht ein! Nenn mich naiv, aber mit einer Zeitung und Kaffeefiltern kann man nichts Erotisches anstellen. Deine Anspielungen machen doch gar keinen Sinn!»

Frank runzelte die Stirn. «Meinst du?»

«Ja, mein ich. Aber du kannst mir gerne das Gegenteil beweisen.»

Frank zuckte die Schultern. «Wiiiiirklich?»

«Ja», sagte ich. «Wiiiirklich.»

Dann fing Frank an zu erzählen.

 

Drei Sekunden später rannte ich mit hochrotem Kopf und zugehaltenen Ohren unser Treppenhaus hoch und rief: «Lalalaaaaaa, ich kann dich nicht hööööööören!»