Mettwurst ist kein Smoothie
Erfinder sind meine Helden. Ich habe jahrelang davon geträumt, irgendwann einmal selbst ein Produkt zu entwickeln, das die Menschheit so richtig nach vorne bringt. Meine einzige Erfindung entstand allerdings im Laufe einer sehr langatmigen Religionsstunde in der zwölften Klasse: die Nasenloch-Verstärker.
Das waren zwei normale Lochverstärker, die man sich bei starkem Schnupfen über die Nasenlöcher klebt, damit die nicht immer so einreißen und wund werden. Vielleicht ist es Ihnen schon aufgefallen: Das Ganze wollte sich nie so richtig durchsetzen. Später habe ich es noch mit einer Variation versucht: dem Mundwinkel-Verstärker (zwei halbe Lochverstärker links und rechts gegen eingerissene Mundwinkel). Aber auch das hatte nicht den gewünschten Erfolg.
Erfindungen sind heutzutage aber auch eine schwierige Sache. Wie großartig muss das früher gewesen sein. Man sagte einfach: «Hör mal, is’ ganz schön kalt hier. Ich mach mal Feuer!», und hoppla – schon hatte man das Feuer erfunden. Heute dagegen sind die Grundlagen der Zivilisation schon alle entdeckt: Feuer, Rad, Tesafilm. Da kann es passieren, dass ein Tüftler nach jahrelanger Entwicklungsarbeit freudestrahlend aus seinem Labor gerannt kommt und ruft: «Heureka! Ich habe den dipolaren Chromosomen-Fluxator erfunden!», und seine Mitmenschen schauen ihn nur unbeeindruckt an. Vielleicht sagt dann sogar einer: «Ach, erfind doch lieber mal ’nen Tetrapack, den man öffnen kann, ohne dass die Milch oben rausschwappt», und der arme Mann verzieht sich wieder beleidigt in sein Labor.
Ein frustrierender Job.
Deshalb überlasse ich das Erfinden inzwischen lieber anderen. Und ich bin immer wieder überrascht, welche Neuheiten sich bei konsumfreudigen Großstädtern durchsetzen und welche nicht.
Beispiel: die Kopfmassagen-Kralle. Es gibt wohl kaum etwas, das so bescheuert aussieht, wie Menschen, die sich so einen Drahtkraken auf den Kopf setzen und ihn langsam auf und ab bewegen. Ich ließe mich ja vielleicht zum Kauf überreden, wenn mich wenigstens der Effekt überzeugen würde. Aber ich habe es mal bei einer Freundin, die so ein Ding hatte, ausprobiert und finde eine Kopfmassage mit der Drahtkralle genauso entspannend, wie eine halbe Stunde ohne Mütze durchs Gebüsch zu rennen. Trotzdem zahlen Millionen Menschen fünf bis zehn Euro für das bisschen Draht. Es ist mir ein Rätsel.
(Immerhin: Die Freundin erzählte mir, dass sie die Kralle mal an ihrem Hund ausprobiert hat. Der wurde dadurch aber so wuschig, dass er sich anschließend eine halbe Stunde lang an seinem Lieblingsstofftier schubberte. Das erzählte sie mir übrigens, nachdem sie mir die Kralle geliehen hatte.)
Eine andere Erfindung hat mir mein Kollege Sven vor kurzem aufgedrängt.
«Guck mal», sagte er und platzierte fünf bunte Fläschchen auf meinem Schreibtisch. «Ich hab Smoothies gekauft. Die guten aus England. Schon probiert?»
Noch so eine Sache, die mich ratlos macht: dass Engländer auf einmal als Fachmänner in Sachen gesunder Ernährung gelten. Früher aß man bei einem Ausflug auf die Insel Pommes mit Essig und Majo und gönnte sich hinterher einen frittierten Mars-Riegel. Heute pürieren die Erfinder von Black Pudding und Clotted Cream lieber Mangos, Litchis und Boysenbeeren, und Jamie Oliver rupft noch ein bisschen frische Minze obendrüber. Ich könnte schreien.
Da gegen Svens Begeisterung nicht anzukommen war, öffnete ich ein Fläschchen und setzte es an die Lippen.
«Und, wie schmeckt’s?», fragte er.
«Obft-Mapf», antwortete ich.
«Bitte was?»
«Es schmeckt nach Obst-Matsch», sagte ich, nachdem ich die Pampe runtergeschluckt hatte. «Wahrscheinlich, weil es Obst-Matsch ist.»
«Das ist doch kein Matsch. Das ist feinstes Fruchtpüree mit Fruchtsaft. Und jedes Fläschchen enthält das Gute aus zwei Portionen Obst!»
«Das enthalten zwei Portionen Obst aber auch! Wie viel kostet der Spaß denn?»
Sven zuckte die Schultern. «Keine Ahnung. Vier Euro oder so.»
«Vier Euro? Für 200 Milliliter püriertes Obst, das wahrscheinlich so gammelig war, dass sie es im Laden nicht mehr losgekriegt hätten?»
«Seit wann bist du denn so fortschrittsfeindlich?», fragte Sven.
«Bin ich gar nicht», antwortete ich. «Es graut mir nur davor, dass bald alles, was püriert, zermatscht und gehäckselt ist, Smoothie heißt und doppelt so viel kostet wie vorher. Reibekuchen mit Apfel-Smoothie, Bratwürste mit Kartoffel-Smoothie und aufm Weihnachtsmarkt Kohl-Smoothie mit Schweine-Smoothie.»
Sven schaute mich fragend an.
«Grünkohl mit Mettwurst», erklärte ich.
Sven verdrehte die Augen: «Kannst sagen, was du willst. Das ist ’ne tolle Erfindung.»
«Im Grunde ist das doch gar keine Erfindung», protestierte ich. «Obst wird schließlich von ganz alleine zum Smoothie. Du musst es nur lange genug im Korb liegen lassen.»
Sven schüttelte den Kopf.
«Ich lass dir die anderen mal da. Du wirst schon noch Fan.»
Dann zog er ab. Ich nahm mir ein Fläschchen und las die Aufschrift:
«Wir versprechen, dass wir niemals Konzentrate in unsere Smoothies mischen. Sonst kannst du es unseren Müttern erzählen.»
O Gott, dachte ich, der Obst-Matsch ist auch noch lustig! Ich hatte plötzlich unbändige Lust auf eine ganz humorlose deutsche Apfelschorle.
In dem Moment kam meine Kollegin Meike ins Zimmer und sah mich mit den Fläschchen.
«Wow, Smoothies!», rief sie. «Darf ich einen haben?»
«Klar. Alle. Sag bloß, du magst die?»
Sie nickte begeistert. «Ich verdünn sie mir aber immer mit Wasser. Sind mir sonst zu dickflüssig.»
Ich runzelte die Stirn. «Du verdünnst sie?»
«M-hm.»
«Aber sind verdünnte Smoothies nicht quasi einfach … Saft?»
Sie überlegte kurz. Dann nickte sie und lachte: «Stimmt!» Sie nahm sich kopfschüttelnd das Maracuja-Mango-Fläschchen und ging in die Küche.
Dass solche Leute meine Nasenlochverstärker nicht kaufen wollten, wird mir für immer ein Rätsel bleiben.