Tröööt … Sprotz … Pffft!
Köln macht es einem nicht leicht, nach einem Urlaub gerne nach Hause zu kommen. Ich finde zwar, die Stadt hat einen sensationellen Auftritt, wenn man über die Deutzer Brücke fährt, den Dom sieht, Groß St. Martin und vielleicht noch die beleuchtete Hohenzollernbrücke. Das Problem beginnt, wenn man weiterfährt. Denn dann wird aus dem pompösen Fanfaren-«Tataaaa!» des Dom-Panoramas ein unmotiviertes «Tröööt … Sprotz … Pffft!» aus Baustellen, Stadtarchiv-Loch und Barbarossaplatz (dem einzigen Platz der Welt, dessen Bebauung komplett aus Antimaterie besteht). Und schon nach fünf Minuten fragt man sich schlecht gelaunt, wann genau die Städteplanung eigentlich an die Schimpansen des Kölner Zoos outgesourcet wurde.
Trotzdem: Ich komme gerne nach Hause, und das hat mit diesem besonderen Moment zu tun, wenn ich vor meiner Wohnung stehe, den Schlüssel ins Loch stecke und die Tür öffne. Zuerst muss man natürlich die abgestandene Luft vertreiben. Diese sämige Nach-Urlaubs-Luft, die in der Wohnung hockt wie ein Sumoringer in einem viel zu kleinen Pappkarton. Aber wenn das geschafft ist, startet mein 3-Stufen-Programm. Und auf das freue ich mich eigentlich schon während des Urlaubs.
Stufe eins: Handschriften lesen.
Ich stehe auf handschriftliche Briefe. Pizza-Flyer: Verpisst euch. Rechnungen: haben Zeit. Aber handschriftliche Briefe, die fische ich sofort aus dem Poststapel. Dann setze ich mich mit ihnen auf die Couch und öffne sie, als wär’s eine Flaschenpost aus dem 18. Jahrhundert. Ich weiß noch nicht einmal, worauf ich dabei eigentlich hoffe. Wahrscheinlich auf den Brief von einem unbekannten Onkel aus den Staaten, der mir schreibt: «Dear Markus, Du kennst mich nicht, ich Dich auch nicht, aber ich möchte Dir trotzdem mein gesamtes Vermögen sowie die Rinderfarmen und das Wochenendhaus in Kanada vermachen. Viel Spaß damit, Dein Onkel Johnny.»
Ich weiß: klingt nicht besonders realistisch. Ist auch noch nie passiert. Stattdessen enthalten die meisten handgeschrieben Kuverts nur ein Foto von sehr wohl bekannten Onkels. Daneben steht dann meistens ein Spruch wie: «Kaum zu glauben, aber wahr, Erwin wird bald 70 Jahr!», und es wird zu Kaffee, Kuchen und Brotzeit eingeladen. Mettigel statt Rinderfarm. Das echte Leben ist so ekelhaft phantasielos.
Stufe zwei meines Nach-Urlaubsprogramms ist etwas trauriger, gehört aber einfach dazu: Zimmerpflanzen-Bodycount. Ich stelle mich an die Fensterbank und zähle die Überlebenden. Meistens sind das nicht viele. Das Problem ist nämlich, dass sich traditionell mein Freund Mike um das Grünzeug kümmert. Und Mike hat keine Zimmerpflanzen. Er hat keine, er hatte noch nie welche, und man kann allen Orchideen und Ficussen der Welt nur wünschen, dass er auch nie welche haben wird. Oft bekomme ich an meinem Urlaubsort die eine oder andere SMS, in der es etwa heißt: «Sag mal, muss eigentlich der ganze Übertopf voll Wasser sein?» Oder: «Meinste, für deine Pflanzen wär’s okay, wenn ich die Jalousien mal wieder aufmache?»
In meinem letzten Urlaub schrieb er mir: «Die eine Pflanze kriegt lauter gelbe Blätter.»
Ich schrieb zurück: «Dann zupf sie ab!»
Er antwortete: «Erledigt.»
Zehn Minuten später kam die Nachfrage: «Könnten das auch Blüten gewesen sein?»
Natürlich könnte ich jemand anders fragen, aber ich habe Angst, dass sich meine Pflanzen mit dem dann besser verstehen als mit mir. Es gab da mal einen Nachbarn, der einen so unverschämt grünen Daumen hatte, dass meine Zimmerpflanzen nur noch blühten, wenn er sie gepflegt hatte. Ich behaupte sogar, die blöden Dinger haben nur darauf gewartet, dass ich die Koffer packe. Können Sie sich vorstellen, wie enttäuschend es ist, wenn Sie nach Hause kommen, Ihre Pflanzen «Och nöööö!» seufzen hören und zuschauen müssen, wie sie alle Blüten von sich werfen?
Dann doch lieber Mike.
Stufe drei zieht sich über den gesamten Tag hin. Ich habe lange überlegt, wie man sie am besten beschreiben kann, aber eigentlich gibt es nur eine Bezeichnung dafür: «blinder Aktionismus».
Nie bin ich so aktiv, so energiegeladen und voll guter Vorsätze wie nach einem Urlaub. Das ist mein eigenes, inneres Fanfaren-«Tataaa!».
Harmlos sind dabei noch Vorsätze wie «Ab morgen lerne ich jeden Tag zwei Stunden Spanisch!» oder «Jetzt wird regelmäßig morgens Yoga gemacht!». Das geht vorbei, da muss man gar nichts tun. Eigentlich nur ins Bett gehen, am nächsten Tag hat man die Vorsätze eh vergessen und verbringt seine Zeit wieder sinnvoll, zum Beispiel mit einer Staffel «Dexter».
Manche Dinge erledige ich aber direkt, und da wird’s gefährlich. Plötzlich fange ich an, Dinge umzuräumen, zu reparieren oder wegzuschmeißen. Und wenn es ganz schlecht läuft, deute ich auf eine wehrlose Pfanne und sage: «Du da, Bratpfanne! Dir kauf ich jetzt endlich mal einen Deckel!»
Dann blinzelt mich die Bratpfanne verschlafen an und fragt: «Was? Wieso? Ich hab seit drei Jahren keinen Deckel!»
«Genau deswegen!», antworte ich. «Das spritzt doch immer aufs Ceranfeld.»
«Mir egal, ich muss es ja nicht sauber machen», sagt das Ceranfeld, aber da ziehe ich mir schon die Schuhe an.
«Ich geh mal zu Galeria Kaufhof!», rufe ich Stefan zu. «Muss dringend ein paar Sachen besorgen!»
Ich gehe übrigens das ganze Jahr nicht zu Galeria Kaufhof. Aber nach dem Urlaub, da gibt es für mich eigentlich nur dieses eine Geschäft. (Und vielleicht noch das Dingers Gartencenter, um die Lücken auf der Fensterbank wieder aufzufüllen.)
Allerdings ist das auch der Moment, in dem Stefan sich einschaltet. Meistens ruft er dann so etwas wie:
«Markus, wenn du wirklich zu Galeria Kaufhof gehst, denk bitte daran, dass wir keinen Pfannendeckel und keinen Römertopf brauchen. Und auch keine Filzgleiter, keine Yogamatte und keine Xbox 360. Und dass wir wirklich, wirklich keinen Platz für einen Crosstrainer haben, ja?»
Dann höre ich auf, meine Schuhe zu binden, gehe im Kopf meine Galeria-Kaufhof-Liste durch und merke, dass Stefan mal wieder jeden, aber wirklich jeden Punkt auf der Liste erraten hat.
Und genau da endet er dann, mein Nach-Urlaubs-Aktionismus. Ich lege mein kuscheliges Scheißegal-Mäntelchen an, knalle mich auf die Couch und schaue eine Folge «Dexter».
Das ist es dann: Mein ganz persönliches «Tröööt … Sprotz … Pffft!».