Leben pur

Wir ritten durch die Prärie und die Sonne ging unter. Dann bot sie mir eine Marlboro an und ich lehnte dankend ab.

Das wär’s doch, Leute, aber so war es nicht.

Es war viel schöner. Die Sonne schien orange und wir saßen im warmen Kies. Die Birke zappelte mit den dünnen Zweigen, aus der Ferne Kindergeschrei, Tellerklappern, Autohupen. Manchmal fuhr hinter dem Bauzaun ein Touristenbus vorbei und die Meute auf dem oberen Deck reckte die Köpfe.

Wir saßen nebeneinander und hielten warme Kieselsteine in den Händen. Ab und zu rutschte eine kleine Gerölllawine unter unseren Füßen hinab. Ich hatte ihre Füße genauestens betrachtet und kannte sie schon besser als meine eigenen. Meine Zehen waren weiß und eckig und ohne Hornhaut. Mal abgesehen von den letzten zwei Tagen war ich mein Leben lang in anständigem Schuhwerk herumgelaufen, mit Socken und Einlegesohlen, um Senk-, Spreiz- und Plattfüßen vorzubeugen. Ich war froh, dass eine Dreckschicht meine unerfahrenen Treter versteckte. Ihre Füße sahen so biegsam und geschmeidig aus, als würden sie sich jeder Unebenheit im Leben anpassen, als könnten sie Baumstämme, Laternenpfähle und Kräne hochklettern. Sie legte den Kopf in den Nacken und tat so, als merkte sie nicht, dass ich ihr auf die Füße starrte.

Später, viel später gestand sie mir, ihre Füße hätten sich in meinem Blick gesonnt. Und ich hatte gedacht, sie wirft den Kopf in den Nacken, weil Frauen das in der Shampoo-Reklame auch immer tun, um ihre Haarpracht zu offenbaren – mit Omega und Ceramid, für bis zu 95% weniger Haarbruch.

Da kann man mal sehen, wie blöd wir Männer sind. Merken nichts, es sei denn, es spannt in der Hose. Das tat es natürlich auch. Und ich war echt froh, dass ich nicht mehr in Shorts durch die Gegend lief!

Als ich merkte, dass Sandra mich mit einem Auge anblinzelte, mir zuschaute, wie ich ihren Füßen zuschaute, da fühlte ich zum ersten Mal in meinem Leben, dass ich nicht nur aus Kopf und Schwanz bestand, sondern etwas in mir hatte, was mich gleich zum Fliegen bringen würde. Ein verschluckter Flügel oder so was, der sich unter meinem Brustbein ausgebreitet hatte und nun meine Bauchdecke von innen berührte, dabei leicht kitzelte, sodass man am liebsten abheben und zehn Zentimeter über dem Boden schweben möchte. Ja, Sandras Blick und die warmen Kieselsteine unter meinen Händen brachten meinen Flügel in Schwingung, sodass ich mich schwebend fühlte, neben ihr, obwohl ich mitten im Geröll saß. Da spürte ich es zum ersten Mal: Sie sprach zu mir, es entbehrte aller Worte.

Wir saßen ewig so da; das Pferd zupfte sich Grasbüschel aus der Erde und wir lernten uns kennen. Ich hatte überhaupt keinen Hunger mehr. Aber pures Glück dauert nicht ewig, es ist wie ein Ton oder ein Duft oder ein Flügelschlag. Das habe ich mal im Wartezimmer meiner Mutter gelesen, in der Brigitte. Ich glaube, Frau Heidenreich, diese Kurzhaarschnecke, die so aussieht, als hätte sie wirklich all die Bücher gelesen, über die sie spricht, hatte sich in einer Kolumne über Glück ausgelassen, obwohl Glück doch nur aus Fett, Zucker, Salz und Sex besteht. Das ist längst wissenschaftlich bewiesen, aber es imponierte mir, wie sich die Autorin einfach über diese Tatsachen hinwegsetzte und sich selbst was zurechtfriemelte, und als ich die Kolumne las, dachte ich das erste Mal daran, selbst Schriftsteller zu werden, denn Gedanken über Glück oder das Leben habe ich auch jede Menge, und wenn man dann ein paar schöne Formulierungen dafür findet und ansonsten immer schön Fragen stellt, die eh keiner beantworten kann, ist man schon ein intellektueller Hecht. Man müsste das einfach nur aufschreiben.

Mann, Leute, plötzlich wusste ich, was ich werden wollte: ein literarischer Hecht! Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich gleich angefangen zu schreiben und mich voll innovativ auf meine Zukunft als Schriftsteller eingestellt.

In Gedanken konnte ich schon gar nicht mehr aufhören zu schreiben. Manuskriptseiten stapelten sich auf meinem Schreibtisch und ich sah mich schon im Buchkaufhaus Bücher signieren. Wenn auch nicht Sandra III, so hatte mich doch die Muse geküsst, mitten im Kies, auf einer Baustelle im Herzen Berlins.

Sandra stützte sich mit den Händen ab und schaute in den Himmel. Ich nutzte die Gelegenheit und schaute auf ihre kleinen Brüste. Sie trug keinen BH. Zwei Kuchenkleckse mit Rosinen drückten durch ihr Shirt. Als meine Oma-Hannover früher noch Kuchen backte, durfte ich immer die Schüssel auslecken.

Sandra spürte vielleicht, was mir durch den Kopf ging, und kehrte vom Himmel zurück. Ich tat so, als schaute ich nur auf ihre Schnullerkette, und fragte: »Wem gehört denn der Schnuller?«

Sie fasste an ihren Hals und knetete das Saugteil. Ich wurde rot. Aber dann wurde mir anders. Ganz anders!

»Luka«, sagte sie. »Meinem kleinen Bruder. Er ist tot.«

Sie machte eine Pause. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

»Vorletztes Jahr ertrunken«, fuhr sie fort, mit der Stimme einer russischen Berichterstatterin. »Ist auf einen Maulwurfshügel geklettert und kopfüber ins Planschbecken gefallen. Hat den Kopf nicht mehr rausgekriegt. Als ich ihn gefunden habe, war er circa eine halbe Stunde unter Wasser.« Jetzt schaute sie mich an. »Er war anderthalb, als das passierte. Ein Jahr hat er noch im Koma gelegen. Dann ist er gestorben.«

Das Pferd schüttelte die struppige Mähne. Sandra nahm eine Handvoll Kieselsteine und ließ einen nach dem anderen zu Boden tröpfeln.

»Ich bin seitdem fast jeden Abend auf der Baustelle. Buddle mich in den Sand oder übernachte in einem der Büros da hinten.«

Sie zeigte auf das graue, achtstöckige Betongerippe hinter uns, eine Bauruine.

»Sie haben genau an dem Tag aufgehört zu bauen, als Luka gestorben ist.«

Ich nahm auch eine Handvoll Kieselsteine. Mein Flügel in mir stand still, ein Schwarm Spatzen flog über uns hinweg. Ich kannte Todesfälle nur aus Filmen, und meine toten Opas waren schon tot, als ich auf die Welt kam. Und aus dem fernen Bekanntenkreis hat sich mal einer aufgehängt. Herr Hellbauer, Vater von Anton Hellbauer. Er soll irgendwie mit der russischen Mafia was zu tun gehabt haben. Leider werden die wirklich interessanten Sachen immer verschwiegen. Vielleicht war er auch in der Pornobranche, denn Anton hatte wirklich eine enorme Auswahl an Pornos.

Ich weiß, Leute, es war eklig, jetzt an Pornos zu denken, aber manchmal machen die Gedanken mit einem, was sie wollen, besonders die Porno-Gedanken, die Schmeißfliegen aller Gedanken. Doch ich gab mir einen Ruck und befreite mich von meinen Fantasien, bevor sie Formen annehmen konnten. Oh, ich heiliger Sünder!

»Das ist ja furchtbar!«, sagte ich.

Der Wind spielte mit einer Haarsträhne auf ihrer Wange.

»Das ist das Leben pur«, sagte Sandra leise und strich sich die Strähne hinter das Ohr.

Ich hätte gern meinen Arm um sie gelegt, aber mein Arm rührte sich nicht. Er war nicht zu bewegen, diese feige Sau! Ich starrte auf den Boden und ärgerte mich über meinen Arm. Dann spürte ich ihren Blick auf meiner Wange und sah, wie sie ihre Hand auf meine legte. Sie war rau; ich fühlte ihren Puls; Sonne drang aus ihren Poren und ihre Haut leuchtete warm. Ich hörte sie atmen und sah auf ihre abgebissenen Fingernägel.

»Bist du von zu Hause abgehauen?«

»Nein. Hab mich ausgesperrt.«

»Bei uns zu Hause ist es auch nicht immer kuschlig«, sagte sie und nahm ihre Hand von meiner. Augenblicklich setzte ein Phantomschmerz ein, von ihrer fehlenden Hand. Dann zeigte sie Richtung Osten. Ich folgte ihrem ausgestreckten Finger. Er zeigte auf die Plattenbauten am Horizont.

»Da wohne ich, 16. Stock. Süden. Immer schön warm, auch im Sommer.«

Ich fragte mich, wo sie wohl das verdammte Planschbecken aufgestellt hatten, in dem ihr Bruder ertrunken war. Auf dem Balkon? Aber im 16. Stock gibt es keine Maulwurfshügel.

»Mein Vater wohnt mit vier von meinen Geschwistern auf dem Land«, sagte sie, als könne sie Gedanken lesen.

»Wie viel Geschwister hast du denn?«

»Vier richtige, drei halbe und einen toten Bruder.«

An ihrem Ton hörte ich, dass sie die Geschichte mit Luka noch nicht verarbeitet hatte. Fast hätte ich ihr meine Mutter empfohlen, aber Brudertod war nicht gerade ihr Spezialgebiet. Sandra III fing an zu summen. Ihre Stimme machte mich traurig. Ich musste an Sandra I denken, ob sie wohl schon auf Pieters Sofa lag? Ich hatte immer noch den Drang, sie zu retten, aber eine Rettung muss straff durchorganisiert werden. So viel hatte ich inzwischen gelernt. Leider konnte ich diesbezüglich meinen Ansprüchen nicht gerecht werden. Ich lauschte Sandras Stimme. Mein Flügel in mir schlug schwer und wehmütig. Was, wenn Sandra III sich auch für »Sei unser Superstar« bewerben würde?

»Gefällt es dir?«, fragte sie.

Ich wusste erst gar nicht, was sie meinte. Dann kapierte ich: ihr Gesumme natürlich.

»Geht so«, log ich. Dabei war ihre Stimme himmlisch! Ich war bereit, sofort zu versinken. Echt, die Loreley hätte einpacken können, wenn sie Sandra summen gehört hätte.

Sandra strich sich die Strähnchen hinter die Ohren. »Wenn du willst, zeig ich dir was. Etwas, was du noch nie gesehen hast.«

»Den Eiffelturm?«

Sie stand auf, klopfte ihren Hintern ab. »Ja. Von mir aus auch den.« Ich stand auch auf und klopfte meinen Hintern ab. So fest, dass es wehtat.

Das Pferd nickte mit dem Kopf, als wir näher kamen. Ich klopfte dem Gaul den Hals.

»Wohnt er auch bei euch im 16. Stock?«

»Das ist eine Stute«, sagte Sandra und fummelte an den Zügeln herum. »Klar, die wohnt auf unserem Balkon.« Sie lachte über ihren Scherz und zeigte mir ihre kleinen schiefen Zähne. Ich lachte mit und wir lachten uns ein. Durch die Zahnspalte vorne konnte sie bestimmt wunderbar Spaghetti flutschen lassen.

Auch wenn sie mir nicht gesagt hätte, wo sie herkam, eins war klar: nicht aus Zehlendorf. Solche Zähne waren nicht in Zehlendorf gewachsen. In Zehlendorf waren alle Zähne weiße, gerade Mauern, die bis in den Rachen glänzten, hübsch geparkt, einer wie der andere. Auch mir hatten sie als Kind eine Zahnspange verpasst, dabei hätte ich lieber eine Brille gehabt, eine schöne rote, aber so was gab es damals noch nicht für Jungs. Jetzt hätte ich am liebsten eine Lupe gehabt, um mir Sandra näher zu betrachten. Ich hätte mir zuerst ihre Oberlippe mit den feinen Härchen angeschaut, mich dann zu ihrem Mund vorgearbeitet, jeden Zahn betrachtet und ihre Zunge, denn als sie auf der Baustelle das erste Mal den Mund für mich öffnete, weil wir immer noch lachten, einfach nur so, herzhaft, mit einem kleinen Scherz von ihr und einem kleinen Scherz von mir, und sie merkte, dass ich nicht mehr weggucken konnte, ja mich kaum zurückhalten konnte, ihre Zähne einzeln und von allen Seiten zu berühren, mit dem Finger, mit der Zunge – da riss sie den Mund ganz auf und lachte aus vollem Halse. Mir raspelte eine Gänsehaut über den Rücken. Es war kein Auslachen, Leute, es war eine Äußerung der Lust, ein Urschrei, eine Akkumulation von pheromon-serotonischen Energien, die sie entladen musste, und mir schwellte die Brust, weil ich ihr so einen Ton entlocken konnte.

Keine fünf Minuten später saßen wir auf ihrem Pferd. Sie vorne, ich hinten. Ich reduzierte mich wieder auf meine normale Größe und suchte nach etwas zum Festhalten hinter mir, eine Gepäckträgerstange oder so was; jedes Moped hat das, aber ein Gaul leider nicht.

Sie nahm meinen rechten Arm und legte ihn sich um die Hüfte. Dann nahm sie meinen linken Arm und schob ihn von der anderen Seite auf ihre Hüfte.

»Du musst keine Angst haben«, sagte sie. Ihre Haare wehten mir ins Gesicht.

»Hab ich auch nicht«, rief ich, ein bisschen zu laut, jedenfalls zuckte sie zusammen. Dann setzte sich das Pferd in Bewegung und wir ritten dahin, über die Baustelle, an dem Baugerippe vorbei, das wie ein verwestes Tier in den Himmel ragte.

Hier sollten wohl Büros entstehen, jede Menge Büros, Zimmer mit Tisch, Kaktus, Computer, Papierkorb. Büros eben. Ich sah auf die schwarzen Löcher und fragte mich, in welchem Büro Sandra übernachtet hatte und ob sie das öfter getan hat und ob das unheimlich war, so ganz allein in einem feuchten Büro, ohne Fenster, ohne Computer, ohne Kaktus.

Ich krallte mich mit den Füßen am Pferdebauch fest, stemmte mich gegen jeden Schritt. Sie hingegen federte mit den Bewegungen des Gauls mit. Das Tier spielte mit den Ohren. In der Reitschule im Grunewald habe ich gelernt, dass das Pferd dann Kontakt zu dem Reiter aufnimmt. Sie war in Kontakt mit dem Pferd und ich war eifersüchtig. Echt, Leute, ich mag es nicht zugeben, aber ich hätte dem verdammten Vieh am liebsten die Löffel abgeschnitten. Sie unterhielten sich ohne Worte, schaukelten sich vorwärts, während ich mich festkrallte und ihre Hüften drückte.

»Hör auf zu grübeln!«, rief sie mir über die Schulter zu. »Das gibt nur schlechte Vibrationen.«

Leute! Die Frau hatte Einfühlvermögen! Was man von mir leider nicht sagen konnte.

V-i-b-r-a-t-i-o-n-e-n – mir fiel zu dem Wort nur mein Eierkocher ein, der mir angeblich schlechte gab.

»Das heißt vibrations«, sagte ich Klugscheißer hoch zehn. »Good vibrations oder bad vibrations oder kurz: vibes.« Ich hätte mir auf die Zunge beißen können. Dabei war es doch mutig von ihr, von Vibrationen zu reden! Ehrlich, ich bewundere ja auch jeden, der das »th« nicht richtig aussprechen kann.

Sandra ging nicht darauf ein.

Wir ritten weiter, auf kleinen Pfaden, am Spreeufer entlang, über Sandhügel, an Kränen vorbei, Bauhütten, Schubkarren, Löffelbaggern.

Der Himmel war von orangen Schlieren durchzogen. Leute, ich war so glücklich wie die Pferde in diesen Mädchen-Pferdebüchern! Fehlte nur noch, dass wir uns in hellblaue Zuckerwatte wickelten und uns gegenseitig abschleckten.

Ich saß hinter ihr und hätte ewig so weiterreiten können. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass alles genau richtig, wohltemperiert, schnell genug und echt ist. Am liebsten hätte ich einen backup gemacht, damit ich das nie wieder verliere.

Dann sah ich die Molekül-Männer.

»Steig ab«, sagte Sandra und hielt das Pferd an. Vor uns ragten die drei Skulpturen aus dem Wasser.

Ich stieg ab, stolperte ein paar Schritte zurück. Der Gaul war größer, als ich dachte. Sandra band ihn am Ufergeländer fest. Hier fuhren keine Autos, ein breiter, erdiger Weg zwischen Spree und Parkplätzen. Dahinter jede Menge Bürogebäude, fertige, bezogene, mit Tisch, Kaktus, Computer, Papierkorb.

Ein paar Jogger kamen vorbei, Fahrradfahrer, zwei Typen mit Hund. Niemand guckte groß aufs Pferd, als würden Pferde immer mal so rumstehen, mitten in Berlin, angebunden an einem Geländer. Wenn ich in Zehlendorf so ein Tier an eine Laterne binden würde, würden mir die rüstigen Rentner schnell aufs Dach steigen und wahrscheinlich gleich Polizei und Gesundheitsamt anrufen. Hier in Kreuzberg, kurz vor Treptow, Nähe Friedrichshain, guckten die Leute nicht mal.

Ich war gespannt, was Sandra mir zeigen wollte.

Etwa die Skulpturen auf der Spree? Mann, die hatte ich schon bis zum Abwinken gesehen, vom Badeschiff aus. Sie machten mich nervös, weil es drei Männer sind, aber man immer nur zwei sieht, weil sie so geschickt aneinandergeschweißt sind, dass einem einer immer verloren geht, egal von welcher Seite man guckt.

»Komm mit«, sagte sie. Ihre braunen Haare flatterten im Wind. Es war hier deutlich kühler.

Wir gingen an der Skulptur vorbei und blieben stehen. Sandra zeigte Richtung Westen. Da ging gerade die Sonne unter. Der Himmel war orange.

»Du musst durch die Löcher in den Himmel gucken.«

Sie meinte die Löcher in den Männern. Es waren nämlich nicht nur drei Männer, von denen man nur zwei sah, sie waren auch noch voller Löcher. Ausgestanzt, die Armen.

»Such dir ein Loch aus«, rief sie. Der Wind und die Spree waren jetzt so laut, dass sie rufen musste. Ich kam mir vor wie auf einem Kahn, aber ich stand mit beiden Beinen auf einem Stück Steg, der in die Spree ragte.

»Warum?«

»Mach schon!«

Die Männer waren riesig. So nah war ich noch nie an sie herangetreten, und es war auch gar nicht so einfach, sich für ein Loch zu entscheiden. Außerdem hatte sie meine Frage noch nicht beantwortet.

»Warum soll ich das tun?«, fragte ich noch mal.

Aber mit Penetranz kommt man nicht unbedingt weiter. Sie ignorierte mich einfach und konzentrierte sich auf ein Loch im linken Mann.

»Ist das die neue Art, Sonnenuntergänge zu beobachten?«

Sie antwortete nicht.

»Oder eine Form von Meditation?«

Sie schaute mich nicht mal an.

Langsam hatte ich genug von meiner Nerverei und hielt die Klappe. Das hätte ich schon früher tun sollen. Plötzlich tat sich eine Stille auf, mit Spreebrise und lauter orangen Löchern. Ich musste an glückliche Goldfische im Himmel denken und an die ausgelöffelten Kugeln Fruchtfleisch von Galia-Melonen, die ich mir so gern im Liegen auf unserem Ledersofa einwarf, und ich schmeckte ihre kühle Süße und spürte Sandra neben mir, wie sie da ganz ruhig stand und schaute, und ich schaute auch und wurde auch ganz ruhig.