25. Kapitel

Ich kroch unter dem Rangerover vor und blickte mich um. Ein mittleres Fragezeichen, das sich während meines Lauschangriffs immer wieder in meinem Hinterkopf verhakt hatte, wollte jetzt endlich wissen, wie der Rangerover in den Hof gekommen war. Durch Bilma konnte er nicht gefahren worden sein – nicht durch Gassen, die vielleicht gerade einen Meter breit waren. Das Rätsel löste sich jedoch beim Anblick einer großen Doppeltür. Ich öffnete die Flügel und schaute raus. Ich stand am Stadtrand. Das Restaurant mußte auf der anderen Seite der Stadt liegen. Um so besser.

Die fünf Kilometer nach Kalala machte ich im Dauerlauf, und in meinem Kopf fuhr Karussell, was ich gehört hatte. Am interessantesten fand ich dabei natürlich, daß Lash mich kannte – oder jedenfalls von mir wußte – und daß er überrascht war, weil ich mich in Bilma herumtrieb. Das und ein Satz, der ein paarmal gefallen war, ließen mich vermuten, daß es Lash gewesen war, der mich in Kensington zusammengedroschen hatte. Dafür schuldete ich ihm wohl noch einiges.

Als ich zur Karawane zurückkam, hatte Byrne sich schon schlafen gelegt, aber Billson war noch wach. Er sagte: »Wo waren Sie? Wohin hat er Sie gebracht?« Sein Blick fiel auf meinen englischen Anzug. »Und warum haben Sie sich umgezogen? Byrne wollte mir nichts sagen, als er zurückkam.«

Wenn Byrne es für richtig gehalten hatte, den Mund zu halten, durfte ich wohl auch nichts sagen. Paul hatte sich zwar in den letzten Tagen gebessert, aber wenn er nun erführe, was ich herausgefunden hatte, drehte er vielleicht doch wieder durch. Ich hatte jetzt immerhin den letzten Beweis, daß irgend jemand Paul um jeden Preis im Grab sehen wollte. Und allem Anschein nach spielten die Unkosten dabei keine Rolle. Ein halbes Dutzend Leute rund um die Sahara spazierenfahren und -fliegen zu lassen, ist sicher nicht das billigste Hobby auf der Welt, vor allem nicht, wenn es sich um Berufskiller handelt.

Ich sagte lässig: »Ich bin nur mal so durch Bilma geschlendert, wollte mal sehen, was es da so gibt.«

»Haben Sie den Rangerover gesehen?«

»Wenn er in Bilma ist, muß er gut versteckt sein«, sagte ich, und das war nicht einmal gelogen.

»Gibt's was Neues von Kissack?«

Weder Byrne noch ich hatten Paul davon erzählt, daß wir Kissack und Bailly in Agades begegnet waren. Ein bißchen Lüge mußte also diesmal sein – nur ein bißchen. Ich sagte: »Ich würde Kissack nicht einmal erkennen, wenn ich neben ihm stände. Und er mich auch nicht. Ruhig Blut, Paul. Hier bist du sicher.«

Ich ging zu dem Toyota, holte mir mein Tuareg-Zeug heraus und fühlte mich in der Gandura gleich viel wohler. Was Menschen wo auch immer auf der Welt an Kleidung tragen, ist im Lauf der Zeit ständig verfeinert worden und den jeweiligen landschaftlichen Gegebenheiten angepaßt. Es war einfach vernünftig, in dieser Gegend die Kleidung zu tragen, die von den Tuareg für diese Gegend entwickelt worden war. Ich fühlte mich darin nicht mehr wie auf dem Weg zu einem Faschingsball, sondern kühl und frei.

Als Paul eingeschlafen war, weckte ich Byrne und erzählte ihm alles. Als ich an die Stelle kam, an der Lash den – verspäteten – Ratschlag gab, Kissack hätte Bailly umlegen sollen, sagte Byrne ironisch: »Dieser Lash scheint eine Seele von Mensch zu sein.«

»Er bezeichnet sich als Realisten«, sagte ich und fuhr fort. Als ich geendet hatte, sagte Byrne: »Gut gemacht, Max; aber du hast auch verdammtes Schwein gehabt.«

»Und ob«, gab ich zu. »Am Anfang habe ich eine Menge verpatzt.«

»Glück liegt nie auf einer Einbahnstraße. Nimm einmal Billson – er kann von Glück sagen, daß du ihn seit England verfolgst. Sonst wär er schon in der Koudia verreckt.«

Ich lächelte. »Wir haben beide Glück, daß du bei uns bist, Luke.«

Er brummte nur. »Eins versteh ich nicht. Du hast einen Vertrag erwähnt. Was ist das für ein Vertrag?«

»Du bist zu lange von der Zivilisation weg. Das ist ein Wort aus dem amerikanischen Unterweltjargon. Wenn du einen Mann umlegen willst und nicht den Nerv hast, es selbst zu tun, setzt du einen ›Vertrag‹ auf Pauschalbasis auf – einen ›contract‹.«

»Das nennst du Zivilisation? Wenn hier draußen einer einen töten will, dann macht er das selber – wie Konti.«

Ich lächelte, aber diesmal geriet es mir etwas sauer. »Das nennt man eben Arbeitsteilung.«

»Das bringt uns wieder auf die große Frage zurück«, sagte Byrne. »Wer will Paul umlegen lassen? Und eine noch größere Frage, jedenfalls für mich: Wer will mich umlegen lassen?«

»Ich glaube, ich stehe jetzt auch auf der Liste«, sagte ich. »Ich weiß es nicht, Luke. Aber ein Name, der mir immer wieder in den Sinn kommt, ist Sir Andrew McGovern.«

»Ein britischer Sir!« sagte Byrne erstaunt.

»Ich habe dir noch nie viel vom englischen Teil der ganzen Geschichte erzählt«, sagte ich. »Aber da du nun auch auf Lashs Liste stehst, mußt du alles wissen.« Ich erzählte ihm alles, was mir bekannt war, dann sagte ich: »Ich glaube, Lash hat mich zusammendreschen lassen. Nicht jeder ›contract‹ wird gleich fürs Umlegen ausgeschrieben. Man wollte mir einen Denkzettel verpassen.«

»Und dieser McGovern?«

»Alle Spuren führen zu ihm.« Ich zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Zuallererst hat McGovern unserem Paulchen einen Job gegeben und ihn unverschämt überbezahlt. Als Paul seinen Anfall kriegte und verduftete, hat McGovern den Werkschutzvertrag mit meiner Firma gekündigt. Und zwar für die gesamte Wensley-Gruppe. Für die ›Franklin-Technik‹ allein konnte er ihn nicht kündigen, das hätte verdächtig ausgesehen, verstehst du? Er wollte verhindern, daß ich mich zu intensiv um Paul und seine Verhältnisse kümmere, und im Augenblick war das die beste Methode. Dann hat er versucht, Pauls Schwester mit einer Versetzung nach Kanada aus dem Weg zu schaffen, ehe ich sie aufsuchen konnte. Das klappte nicht, also ließ er den Plan fallen und behielt sie in England. Und genau zu diesem Zeitpunkt wurde ich verhauen und damit gewarnt. Alles geht auf McGovern zurück.«

»Okay«, sagte Byrne. »Aber nun mußt du mir auch noch sagen, warum das alles so ist. Warum sollte ein geadelter Brite sich wegen eines Flugzeugs, das 1936 abgestürzt ist, in die Hosen machen?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich's weiß. Aber wenn ich wieder nach London komme, wird mir Andrew McGovern sehr viele Fragen bis zu meiner vollsten Zufriedenheit beantworten müssen.«

»Das formulierst du besser anders«, sagte Byrne trocken. »Falls dunach London heimkehrst. Wie alt ist McGovern?«

Daran hatte ich noch nicht gedacht. »Weiß ich nicht. Vielleicht fünfundfünfzig – an die Sechzig.«

»Nehmen wir sechzig an. Dann war er 1936 also achtzehn.«

Oder dreizehn – wenn wir den unteren Wert annehmen. Ich sagte: »Das gibt immer weniger Sinn. Was hätte ein Halbwüchsiger schon damit zu tun haben können?«

Byrne winkte ab. »Halten wir uns an die Gegenwart. Hast du dir Lash anschauen können?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nur die Füße. Ich hab' unter dem Rangerover flach auf dem Bauch gelegen. Auch die anderen habe ich nicht zu sehen bekommen. Nur Kissack natürlich, und seinen arabischen Spezi.«

»Dann sind es jetzt also fünf?« Ich nickte, und er sagte: »Die müssen mit dem Flugzeug gekommen sein, das Bailly dann nach Agades ausflog. Und Lashs Plan sieht also so aus, daß nichts geschehen soll, bis wir das Flugzeug gefunden haben?«

»Im Augenblick jedenfalls. Er kann sich das immer noch anders überlegen.«

»Das Risiko müssen wir eingehen. Also, wir wissen, was er vorhat, aber er weiß nicht, daß wir das wissen; das gibt uns einen Vorteil in die Hand. Er will uns helfen, bis wir das Flugzeug finden – okay, mir soll's recht sein. Ich schlage vor, daß wir uns von ihm helfen lassen. Zu diesem Zweck muß er sich erst einmal zeigen.«

»Vielleicht. Aber vielleicht will er auch nur aus dem Hintergrund die Drähte ziehen.«

»Glaub ich nicht. Kissack wird er nicht einsetzen, denn er weiß, daß ich Kissack gesehen habe. Und Kissack weiß, daß ich versucht habe, ihn aufs Kreuz zu legen, und damit weiß Lash das ebenfalls. Nach dem, was du mir erzählst, müssen die anderen Typen bei ihm angeheuerte Schläger aus Algier sein.«

»Oder angeheuerte Killer«, sagte ich düster.

»Würdest du ihn an der Stimme wiedererkennen?«

»Sicher. Außer, er ist so schlau und verstellt sie.«

»So weit, so gut.« Ich konnte Byrne in der Dunkelheit nicht sehen, aber in seiner Stimme klang ein Lächeln mit. »Wenn diese Typen uns folgen und uns sogar helfen wollen, Max, dann würde es mich nicht wundern, wenn sie auf einmal in verdammte Schwierigkeiten gerieten. Die Wüste kann arg gefährlich sein, besonders wenn da auch noch irgendwo ein bißchen nachgeholfen wird.«

Ich sagte: »Wieviel von alldem lassen wir Paul wissen?«

»Bist du wahnsinnig?« sagte Byrne. »Kein verdammtes Sterbenswort. Er soll froh sein, daß er mitfahren darf!«

Wir brachen am frühen Morgen auf, auch Konti war mit von der Partie. »Wir nehmen ihn bis Djado mit«, sagte Byrne. »Von dort aus geht er nach Osten, heim in die Tibesti.«

Wir fuhren offen durch Bilma und am Fort vorbei. Ich sah keinen Kissack und auch niemanden, der nach Lash aussah. Dann nahmen wir die Piste nach Norden, die das Felsmassiv des Kaouar-Gebirges umgeht – meilenweit nichts als nacktes Gestein. Hinter Bilma sagte Byrne: »Vierzig Kilometer voraus liegt der Militärposten Dirkou, dort muß ich zum Auftanken Station machen. Du fährst nicht mit rein – da wollen sie bloß wieder deine Papiere sehen, und du hast ja keine. Ich setze dich kurz davor zusammen mit Konti ab. Konti mag nämlich auch keine Soldaten.«

Als in der Ferne Palmenhaine in Sicht kamen, hielt er an. »Marschiert schnurgerade darauf zu. So gelangt ihr an die Straße auf der anderen Seite des Postens, bleibt aber außer Sicht. Wartet dort auf mich.«

Ich stieg mit Konti aus. Byrne wollte schon weiterfahren, als ihm noch etwas einfiel: »Hast du eine Flasche Whisky übrig?«

»In meiner Tasche im Wagen. Warum?«

»In Dirkou kenn ich einen Mann, der trinkt gern einen. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.« Und fort war er.

Konti und ich machten uns auf den Weg durch die Wüste, die hier, Gott sei Dank, eben war. Plötzlich bückte ich mich. Da lag etwas im Sand, das ich unbedingt aufheben mußte. Byrne hatte recht gehabt: In der Wüste bei Bilma lagen Muscheln.

Nach einer halben Stunde Mühsal erreichten wir die Piste. Das Warten begann. Wir hockten uns hinter einen günstig gelegenen Felsen. So fielen wir nicht gleich jedem zufälligen Reisenden ins Auge. Bald hörten wir Kupplungsgeräusche. Ich spähte um die Felsen – der Toyota näherte sich. Wir traten auf die Piste, und Byrne hielt eben so lange an, daß wir einsteigen konnten.

Er wies mit dem Daumen auf Dirkou, hinter uns. »Würdest du sagen, daß Lash groß ist?«

»Ich kenne nur seine Schuhgröße. Mittel, etwa.«

»Da ist ein Engländer in der Stadt. Kam zwanzig Minuten nach mir an.«

»Sag bloß nicht, in einem Rangerover.«

»Nein, in einer alten Kiste, fast so verbeult wie meine. Ziemlich groß, ziemlich breit gebaut, dunkles Haar.«

»War jemand bei ihm?«

»Zwei Typen. So, wie sie arabisch miteinander sprachen, müssen sie aus dem Maghreb sein. Aus Algier, vermutlich. Der Engländer spricht kein Arabisch, er redet französisch mit ihnen, was sie aber nicht sehr gut beherrschen.«

»Das paßt zusammen.«

»Wenn sie aus Dirkou rauskommen, werden sie mehr als zwanzig Minuten hinter uns liegen«, sagte Byrne und grinste. »Ich hatte ein freundliches Gespräch mit meinem Freund, der so gern Whisky trinkt. Jetzt ist er gerade dabei, dem Engländer höchst offiziell den Wagen auseinanderzunehmen. Der Engländer platzt fast vor Wut, was ihm aber wenig nützt. Offenbar hat Whisky doch seine Vorteile.«

»Das kann sogar sehr nützlich sein«, sagte ich nachdenklich. »Wenn dein Whiskyfreund gründlich genug sucht, findet er vielleicht sogar Waffen. Das würde er doch bestimmt nicht gern sehen, oder?«

»Das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen«, stimmte Byrne fröhlich zu. »Und ebnet nicht die Pfade des Gesetzesbrechers.« Er lachte, als er mein Gesicht sah. »In der Bibel steht viel Kluges.«

Vom Rücksitz meldete sich eine Stimme. »Wovon redet ihr?« wollte Billson wissen. »Was war das für ein Mann in der Stadt?«

»Irgendein Mann«, sagte Byrne. »Hat vielleicht gar nichts mit Kissack zu tun. Aber ich geh gern auf Nummer Sicher.«

Ich sagte: »Mach dir keine Sorgen, Paul.«

Die Piste war schlecht und wurde stetig schlechter. Hin und wieder rumpelten wir an einem Dorf mit dem unvermeidlichen Palmenhain vorbei; offenbar gab es unter den hochragenden Felsmassen des Kaouar-Gebirges Wasser, aber sich durch die Anlage von besseren Pisten das Leben leichter zu machen, war den Dorfbewohnern wohl nicht eingefallen.

Wir bewegten uns den ganzen Tag vorwärts, aber nicht nur die Fahrspur wurde immer schlechter, sondern auch das Wetter. Wind kam auf, der den Sand wie einen Dunst, der die Sonne trübt, in die Luft trieb, und Staub drang überall in den Wagen ein. Auch hier erwies sich der Tuareg-Schleier wieder einmal als äußerst praktisch; enger schlang ich mir die Tuchbahnen ums Gesicht.

Das Unheil ereilte uns am späten Nachmittag. Aus den hinteren Bereichen des Wagens drang ein mahlendes Geräusch, und mit Bocksprüngen kam der Toyota im weichen Sand zum Stehen. »Verdammter Hyänenmist«, sagte Byrne. »Da muß was mit der Kurbelwelle sein.«

Wir stiegen aus und sahen uns den Schaden an. Die Hinterräder waren bis fast zu den Achsen in den feinen Sand eingesunken, es würde, selbst wenn die Kurbelwelle heil war, eine Heidenarbeit sein, den Wagen wieder freizukriegen. Und wenn die Kurbelwelle hin war, steckten wir wohl für alle Zeiten fest. Byrne schien sich nicht allzu viele Sorgen zu machen; er kramte zwei Wagenheber aus den unauslotbaren Tiefen des Toyota-Laderaums hervor und legte sie in den Sand. »Nun artet unser Ausflug in harte Arbeit aus«, sagte er. »Holt mal die Sandleitern vom Dach.«

Ich machte mit Paul die Sandleitern los, und Byrne sah Paul nachdenklich an. »Tust du mir einen Gefallen?« fragte er.

»Klar. Was denn?«

»Steig auf die Anhöhe dahinten und halt die Augen offen. Wenn du Leute kommen siehst, gibst du Zeichen.«

Pauls Blick fiel auf Konti. »Könnte er das nicht besser?«

»Ich brauch Konti hier unten«, sagte Byrne.

»Ich geh schon«, sagte Paul und lief die Spur zurück.

Byrne lachte. »Niemand hält so scharf Ausguck wie Paul. Denn niemandem ist die eigene Haut so teuer wie ihm.«

»Ich weiß nicht«, sagte ich. »Ich halte meine Haut auch für ziemlich wertvoll.«

Eine Stunde später wußten wir genau, wie schlimm es um uns stand, und zwar sehr schlimm. »Das Differential ist völlig im Arsch«, sagte Byrne. »Kein Wunder, daß es Töne von sich gegeben hat wie die Kaffeemühle bei meinem Alten damals zu Hause in Bar-Harbor. Die hat auch nie eine verdammte Kaffeebohne kleingekriegt.«

Ich betrachtete finster den aufgebockten Toyota. »Wie kommen wir nun weiter? Wieder mal zu Fuß?«

»Ein Stück voraus liegt ein Ort namens Seguedine. Etwa zehn Kilometer. Viel ist da nicht zu finden, aber vielleicht ein Kamelgespann, das uns rauszieht.«

»Und dann? Das Differential ist hin. Eine Werkstatt gibt's wohl nicht in Seguedine?«

Byrne lachte. »Kaum. Aber ich hab' ein Ersatzdifferential im Wagen. Die Mistdinger gehen immer kaputt, da hab' ich's mir angewöhnt, immer eins als Reserve mitzunehmen. Aber ich möchte gern unter ein Dach kommen, ehe ich's auswechsle. Wird bis zum Abend ganz schön stürmisch werden, und der verdammte Sand dringt überall ein. Das ist schlecht für ein Differential.«

»Also gut. Wer marschiert los? Ich kann die Sprache nicht.« Byrne grinste. »Ich hab' schon vor einer halben Stunde Konti losgeschickt. Ich wußte, was ich unterm Wagen zu sehen bekommen würde.«

Ich sah mich um und tatsächlich. Konti war weg. Aber nun stürzte Billson außer Atem die Anhöhe herab. »Da kommen Leute!« schrie er. »In mindestens fünf Minuten sind sie hier!«

Er stolperte uns fast in die Arme. »Und wie sieht das aus, was da kommt?«

»Ein Wagen. Ich glaube, der Wagen, den wir in Dirkou gesehen haben.«

Byrne ließ seinen rechten Arm unter der Gandura verschwinden, und als der wieder zum Vorschein kam, hielt er eine Pistole in der Hand. Er entsicherte die Waffe und steckte sie wieder weg. Paul machte große Augen. »Setz dich vorn in den Wagen«, sagte Byrne.

Paul wieselte um den Wagen, und ich machte auch meine Pistole schußfertig. Byrne sagte: »Wenn's Lash ist, werden wir bald wissen, wie hilfsbereit er wirklich ist. Zieh den Schleier hoch und halt den Mund.« Er stellte eine Ölkanne auf den Boden. »Wenn du seine Stimme wiedererkennst, stößt du wie zufällig die Kanne um.«

Wir warteten. Der heiße Wüstensand trieb uns Sandkörnchen ins Gesicht. Nicht nur, um mein Gesicht zu verbergen, sondern auch als Sandschutz zog ich nun den Schleier hoch, wie ich es von Byrne gelernt hatte. So stand ich da, jeder Zoll ein Targui in der Wüste, wie ein Genrebild für Postkartenmaler, nur daß ich unter der Gandura meine Pistole in der Hand hielt; ich würde keine Zeit damit verschwenden, sie erst noch aus dem Halfter ziehen zu müssen.

Der Wagen kam über die zweihundert Meter entfernte Anhöhe und zog eine Staubwolke hinter sich her, die vom Wind seitwärts verweht wurde. Der Wagen verlangsamte die Fahrt und kam dicht vor uns zum Stehen. Der Fahrer war offensichtlich kein Europäer, wohl aber der Mann, der nun vom Beifahrersitz stieg. Es war der Mann, den Byrne beschrieben hatte, einigermaßen groß, mit dunklem Haar. Seine Blicke flitzten zwischen Byrne und mir hin und her, dann zu Paul vorn in unserem Wagen. »Panne? Kann ich Ihnen helfen?« Was Paul ihm antwortete, hörte ich nicht, denn ich machte einen halben Schritt zur Seite, scheppernd fiel die Ölkanne um. Byrne erhob die Stimme. »Panne – ja, Mann, das kann man wohl sagen. Das lausige Differential ist im Eimer.« Lash drehte den Kopf und blickte Byrne an, dann kam er langsam aufs Heck des Wagens zu. »Sie sind Amerikaner?« Er legte viel gut gespielte Ungläubigkeit in seine Stimme.

»Wir Amerikaner kommen halt rum in der Welt.«

»Sehr amerikanisch sehen Sie nicht gerade aus.« Lash machte auf belustigt. Er nickte zu mir hin. »Dann ist er wohl auch Amerikaner, was?«

»Der nicht«, sagte Byrne. »Der ist Engländer wie Sie.«

Lash zog die Brauen hoch und sagte nichts. Byrne hatte richtig gehandelt. Lash wußte, daß ich irgendwie dabei war, und mich zu verstellen, hatte keinen Zweck, die Tarnung hätte sich nur aufrechterhalten lassen, wenn ich auf taubstumm gemimt hätte.

Lash bückte sich und guckte unter den Toyota, dann sagte er. »Ja, ich würde sagen, Sie stecken in Schwierigkeiten.« Er richtete sich wieder auf. »Übrigens ist mein Name Lash – John Lash.«

»Ich bin Luke Byrne, das ist Max Stafford, und unser Freund im Wagen heißt Paul Billson.« Ich hatte schon Angst, Lash würde nun zur Begrüßung seine Hand ausstrecken – wo ich doch die Pistole in meiner Hand hielt. Aber er nickte nur. Byrne sagte: »Das mit dem Differential ist nicht so schlimm. Ich hab' ein Ersatzstück bei mir. Aber es wär sehr nett von Ihnen, wenn Sie mich ein paar Kilometer abschleppen könnten.«

»Kein Problem«, sagte Lash, ging zu seinem Wagen und sprach auf seine Männer ein. Ich konnte zwar hören, daß er französisch sprach, aber die Worte bekam ich nicht mit. Er machte keine Anstalten, uns seine Freunde vorzustellen. Byrne nahm den Arm aus der Gandura, seine Hand war leer. Wenn er bereit war, das Risiko auf sich zu nehmen, war ich es auch. Unauffällig steckte ich meine Waffe wieder ins Halfter und ließ meine Hände sehen. Er sagte: »Erst die Sandleitern unterlegen, bevor wir den Wagen wieder runterlassen; dann geht's leichter.«

Die beiden Begleiter Lashs stiegen aus dem Wagen. Ich ging nach vorn zu unserem Toyota. Paul flüsterte: »Das ist der Mann, den wir in Dirkou gesehen haben.«

»Na und?«

»Ist Byrne nicht mißtrauisch?«

»Mensch, Paul«, sagte ich. »Das ist ein guter Samariter, der uns aus der Klemme hilft. Mach jetzt bloß nicht auf Verfolgungswahn. Steig aus und pack mit an.«

Wir schoben die Sandleitern unter die Hinterräder, ließen den Toyota darauf hinab und zogen die Wagenheber fort. Ein Abschleppseil hatte Lash nicht dabei, wohl aber Byrne, und innerhalb von zehn Minuten waren wir fahrbereit. Da bemerkte ich, daß einer von Lashs Freunden verschwunden war.

Lash und der zweite Mann stiegen in den Wagen und starteten. Ich flüsterte Byrne zu: »Wo ist der andere Spitzbube?«

»Der ist über den Hügel gegangen – und ich weiß auch, warum.«

»Dann sag's doch schon.«

»Nicht, weil er vor Fremden schüchtern ist«, sagte Byrne ironisch. »Ich schätze, daß er zurückläuft, um Kissack zu stoppen. Der Rangerover wird nicht mehr weit weg sein.«

Ja, so konnte es sein. Lash konnte nicht daran gelegen sein, daß wir Kissack sahen. Ich sagte: »Sprich nicht über Lash, solange er uns abschleppt, sonst dreht Paul durch.«

»Ich halte mich zurück«, sagte er. Dann rief er: »Paul, du übernimmst die eine Seite, Max die andere. Wenn du siehst, daß wir absacken, schreist du!« Dann setzte er sich ans Steuer und gab Lash ein Zeichen. Der Wagen zog an.

Es lief alles glatt. Lashs Wagen war kräftiger, als er aussah, und zog uns mühelos aus dem Sand. Die eine Sandleiter überstand den Kraftakt allerdings nicht. Byrne schmiß das verdrehte Stück Schrott weg. Als wir das Werkzeug aufsammelten, das noch herumlag, kam auch der verschwundene Mann im Laufschritt wieder über die Piste heran. Er sah unsere Blicke und machte sich umständlich den Hosenschlitz zu. Byrne warf mir einen Blick zu und grinste sich eins.

Und so schleppte uns der Mann, der uns töten wollte, nach Seguedine ab. Der Ort hatte nicht viel zu bieten, aber wir entdeckten eine Ruine, von der noch drei Mauern und ein verfallenes Dach erhalten waren, und das reichte uns, um den Toyota vor dem Wind zu schützen. Lash half uns sogar, den Wagen zwischen die Mauern zu schieben. »Wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte Lash, »bleib ich ebenfalls über Nacht hier. Vielleicht kann ich Ihnen beim Reparieren helfen.«

»Nicht nötig«, sagte Byrne. »Ich komm schon zurecht.«

Lash lächelte. »Außerdem habe ich wenig Lust, in einen Sandsturm zu geraten. Da kommt man leicht vom Weg ab, und ich hab' das dumpfe Gefühl, daß dergleichen hierzulande böse endet.«

»Sehr böse«, pflichtete Byrne bei. »Das kann einen das Leben kosten. Wenn Sie bleiben wollen, bleiben Sie; dies ist ein freies Land. Und vielen Dank auch für Ihre Hilfe, Mr. Lash; Sie haben uns aus einer schlimmen Klemme herausgeholfen. Aber es ist wirklich nicht nötig, daß Sie sich die Hände schmutzig machen.«

Aber Lash half uns trotzdem. Er meinte wohl, es läge in seinem Interesse, uns so schnell wie möglich wieder flottzumachen. Seine Helfershelfer verdünnisierten sich, wohl um Kissack auf dem laufenden zu halten. Eine große Hilfe war Mr. Lash allerdings nicht, und seine Rolle beschränkte sich darauf, Werkzeug zuzureichen, wenn er darum gebeten wurde; viel mehr leistete freilich auch ich nicht – Byrne hätte die Reparatur leicht allein bewältigen können. Trotz seiner vorgeblichen Abscheu gegenüber Stinkpötten war er doch Amerikaner genug, um sich damit auszukennen.

Paul ging derweil rastlos auf und ab. Einmal, Lash schien nicht in der Nähe zu sein, sagte Byrne begeistert zu Paul: »Dieser Lash ist wirklich ein patenter Kerl, findest du nicht? Ich meine, wie er uns da aus dem Sand gezogen hat und uns hilft, und überhaupt.«

»Ja«, sagte ich, »wirklich ein guter Samariter, Paul.« Ich sah Byrne über die Schulter; Lash trat langsam aus dem Schatten heraus. Ich hätte gern gewußt, ob Byrne wußte, daß Lash hinter ihm stand und lauschte. Sicher hat er es gewußt.

Wir arbeiteten im Schein von Notlampen und wurden erst spät am Abend fertig. Dann räumten wir auf und bereiteten uns ein Abendessen, und da endlich tauchte auch Konti wieder auf. Byrne sprach kurz mit ihm, dann sagte er zu mir: »Konti ist die ganze Strecke zu Fuß gegangen, hat aber niemanden gesehen. Dann ist er noch einmal die Piste zurückgegangen, auch ohne Erfolg. Diese Teda sind wirklich verrückt aufs Spazierengehen.«

Lash spendierte nach dem Essen eine Flasche Whisky. Ich akzeptierte einen kleinen Schluck, Paul ebenfalls, aber Byrne lehnte höflich ab. »Wo sind denn Ihre Freunde geblieben, Mr. Lash?«

Lash zog die Brauen hoch. »Meine Freunde? Ach, Sie meinen … Nun, die führen mich nur durch die Gegend. Fremdenführer von Beruf.« Ich warf einen Seitenblick auf Byrne, aber der zuckte bei der unverschämten Behauptung nicht einmal mit der Wimper. »Die Herren ziehen ihr eigenes Essen vor«, schloß Lash. Er blickte in die Finsternis um uns. »Was ist das für ein Ort?«

»Seguedine? Früher lebten einmal drei oder vier Kanuri-Familien hier. Sind wohl fortgezogen, seit ich das letzte Mal hier war. Wenn im Norden das Weideland knapp wird, kommen die Tassili-Tuareg bis hier herunter. Was ist Ihr Ziel, Mr. Lash?«

Lash zuckte die Achseln. »Ich habe nichts Besonderes vor. Ich schau mir die Gegend an.« Das sollte wohl eine Erklärung dafür sein, daß er so unvermittelt aus dem Nichts aufgetaucht war. Aber es war ein dümmliches Alibi. Selbst einem Greenhorn wie mir war längst klargeworden, daß Wüstendurchquerungen sorgfältig geplant werden – mit genau ausgetüftelten Abfahrts- und Ankunftszeiten, mit präzise berechneten Treibstoff- und Wasserreserven. Kein vernünftiger Mensch würde wie ein Schmetterling kreuz und quer durch die Wüste flattern. Das Risiko, plötzlich irgendwo ohne Benzin oder Wasser dazustehen, war tödlich.

Lash trank an seinem Whisky. »Und Sie?«

»So ungefähr das gleiche«, sagte Byrne ausweichend.

Ich hätte erwartet, daß Lash uns intensiver nach unseren Reiseplänen befragt hätte, aber er ging nicht weiter auf das Thema ein. Er machte oberflächlich Konversation, tischte uns auf, er sei Direktor einer Verpackungsfirma in Birmingham und dies sei seit sieben Jahren sein erster richtiger Urlaub. »Ich wollte einfach einmal völlig die Tapeten wechseln«, sagte er.

Er versuchte mir aus der Nase zu ziehen, was ich in England trieb, und da er sicher sowieso schon alles über mich wußte, zeichnete ich ihm mein klares Berufsbild. »Jetzt«, schloß ich, »erhole ich mich von einer Krankheit. Und von einer bevorstehenden Scheidung.« Beides war die reine Wahrheit; die Ursache meiner Erkrankung war höchstwahrscheinlich er selbst, und der Satz von der Scheidung verwirrte ihn vielleicht ein wenig, weil es stimmte, wenn er nachfragte. Manchmal kann man mit der Wahrheit mehr verschleiern als mit einem Schwindel.

Er versuchte dann, Billson auszuhorchen, kam aber nicht weit damit, dann wünschte er gute Nacht und legte sich in seinem Wagen schlafen. Kurz darauf trat Konti aus der Finsternis, und Byrne befragte ihn eindringlich. Paul sagte: »Neugierig, dieser Lash, finden Sie nicht?«

»Ja? Kann ich nicht finden. Ganz gewöhnlicher Signalaustausch zwischen Schiffen, die sich in der Nacht begegnen, meiner Meinung nach.«

»Mir ist er unsympathisch.« Paul zog die Dschellabah über sich. »Ich glaube nicht, daß er wirklich das ist, was er sagt.« Ich wußte es, aber Paul bewies da eine Wachsamkeit, die mich überraschte. Vielleicht war es der sechste Sinn des gehetzten Tieres.

Ein paar Minuten später, außer Pauls Hörweite, sagte Byrne: »Kissack kampiert anderthalb Kilometer von hier. Konti hat ihn ausgespäht.« Er kicherte. »Bequem wird Kissack nicht schlafen. Der Wind wird heftiger.«

»Teilen wir diese Nacht Wachen ein?«

Byrne schüttelte den Kopf. »Konti wacht die ganze Nacht.«

»Bißchen hart für den Jungen, oder?«

»Überhaupt nicht. Er schläft sich morgen im Toyota aus. Für einen Teda ist Schlafen auf der Reise ein ungewohnter Luxus.«

Am nächsten Morgen hatte sich der Sturm erschöpft. Lash war fort mit seinem Wagen. »Ist vor der Dämmerung schon abgehauen«, sagte Byrne. »Merkwürdige Burschen, deine Landsleute. Kissack schießt auf Menschen, ohne ein Wort zu sagen, und Lash verduftet ohne ein Goodbye. Ziemlich unnachbarlich nenn ich das.«

»Was nun?«

»Weiter nach Chirfa und Djanet.«

Chirfa liegt über hundertfünfzig Kilometer nördlich von Seguedine: Ein Tuareg-Lager um eine verlassene Fremdenlegions-Festung, die ganz gut die Kulisse für den Film Beau Geste abgegeben haben könnte, wäre da nicht eine reichlich unsaharische Kleinigkeit gewesen – über dem Haupttor war ein Anker in die Mauer gemeißelt. Wir waren so weit vom Meer entfernt, wie ein Mensch auf diesem Planeten nur sein kann, deshalb starrte ich lange verblüfft auf dieses unglaubliche Wappen und befragte Byrne.

»Keine Ahnung«, sagte Byrne. »Vielleicht ist die Festung von Marinesoldaten gebaut worden.«

Die Tuareg von Chirfa schienen mir anders als die Tuareg zu sein, die ich bisher kennengelernt hatte; viel schäbiger gekleidet, zum Beispiel. Byrne sagte, sie gehörten zu den Tassili-Tuareg. Er kaufte ihnen einen Esel ab, den er Konti schenkte.

»Er trennt sich hier von uns«, sagte er. »Er geht nun nach Osten, an Djado vorbei und weiter in die Tibesti.«

»Wie weit ist es bis in die Tibesti?«

»Fünfhundert Kilometer vielleicht, drüben im Tschad.«

»Und das geht er alles zu Fuß?«

»Sicher. Aber mit dem Esel hat er's leichter.«

»Mein Gott!« Ich sah ihm nach, bis er mit dem Esel, den er hinter sich herzog, außer Sicht war.

Byrne sagte: »Wir sind fast auf der ganzen Strecke verfolgt worden. Zwei Wagen. Aber vor einer Stunde hab' ich sie aus den Augen verloren.«

»Lash und Kissack.«

»Sicher. Zu dumm, daß sie mir verlorengegangen sind. Das sind so Typen, die ich gern ständig im Auge behalte.«