11. Kapitel

Ich kenne nur eine Stadt auf der Welt, wo das Hauptpostamt wie eine Moschee aussieht und die Hauptmoschee wie eine Post, und das ist Algier. In der Moschee hielt ich mich nicht lange auf, aber als ich zum erstenmal das Postamt betrat, um postlagernde Briefe abzuholen, dachte ich schon, ich hätte mich verlaufen. In ehrfürchtigem Staunen starrte ich in die riesige, von Dämmerlicht erfüllte Halle mit den bunten Glasfenstern und den Arabesken; offenbar handelte es sich hier um einen orientalischen Versuch, jenen respektheischenden Kathedralenstimmungsstil zu erzeugen, durch den sich auch die größeren britischen Banken mit Bedeutung aufzuladen trachten. Ich sollte das Postamt von Algier noch sehr gut kennenlernen.

Den Aufenthaltsort von Paul Billson zu finden, bereitete indessen weit mehr Mühe. Mein Französisch ist zwar ganz gut, mein Arabisch jedoch gleich Null, und das machte den Weg durch die byzantinischen Kompliziertheiten der algerischen Bürokratie auch nicht gerade leichter, denn dabei hat man es mit einer amorphen Struktur zu tun, die dem Parkinsonschen Gesetz bis zur x-ten Stelle hinterm Komma nahekommt.

Wären die Spuren meiner Wanderungen durch Algier auf dem Stadtplan nachgezeichnet worden, so hätte man bald ein Bild gewonnen, das die Irrgänge einer geisteskranken Spinne nachzeichnet. Als auch auf der zwanzigsten Behörde die gleichen von Mißtrauen infizierten Beamtengesichter meinen Paß der mir nun schon sattsam geläufigen fünfzehnminütigen Routineinspektion unterzogen, trieb meine Geduld gemeingefährlich dem Dollpunkt entgegen. Ich war ohnehin schon wütend, daß ich hier immer wieder ohne Heimvorteil zum Spiel antreten mußte und mir die Spielregeln der Algerier immer undurchsichtiger schienen.

Mein Hotel lag in Hamma, in der Stadtmitte, gleich beim Nationalmuseum, und als ich eines frühen Abends heimkehrte, war ich völlig entmutigt. Eine Woche verschärftes Algier hatte ich nun bereits hinter mir, und immer noch drehte ich mich im Kreis. Aber wenn ich nicht einmal in der Stadt Billsons Spur aufzunehmen vermochte, welche Hoffnungen konnte mir dann die Wüste bieten? Der Mangel an Praxis machte sich bemerkbar. Die Schreibtischarbeit hatte meine Antennen nicht gerade empfangsbereiter gemacht.

Ich stapfte durch die Hotelhalle, um mir an der Rezeption meinen Zimmerschlüssel abzuholen. Da sprach mich ein hochgewachsener Araber an, der wie fast alle die Dschellabah trug. »Monsieur Stafford?«

»Ja, ich bin Stafford.«

Wortlos händigte er mir einen Briefumschlag aus, der nur mit meinem Zunamen und sonst mit nichts beschriftet war. Ich sah den Mann neugierig an, während ich den Brief öffnete; er hielt meinem Blick aus braunen Augen ohne ein Lidzucken stand. In dem Umschlag lag ein Zettel, ohne Anrede und Unterschrift; nur zwei maschinengeschriebene Zeilen:

Wie ich erfahre, suchen Sie Paul Billson.
Warum kommen Sie nicht zu mir?

Ich sah den Araber an: »Von wem kommt das?«

Seine Antwort war eine Geste zum Ausgang des Hotels hin: »Folgen Sie mir.«

Ich überlegte mir das einen Augenblick, dann nickte ich. Vor dem Hotel öffnete der Araber die Tür eines großen Mercedes. Ich nahm in dem Wagen Platz, er schlug die Tür zu und setzte sich hinters Steuer. Als er den Motor anließ, sagte ich: »Wohin fahren wir?«

»Bouzarea.«

Von da an konzentrierte er sich aufs Fahren und blieb mir jede Antwort schuldig. Ich gab das Fragen auf, lehnte mich in die Polster und widmete mich dem exotischen Straßenbild von Algier.

Die Straßen nach Bouzarea klettern steil zu den Bergen vor der Stadt hinauf; ich verdrehte mir den Hals, um aus dem Rückfenster auf Algier hinabzuschauen, das sich unter mir ausbreitete. Und dahinter dehnte sich das Mittelmeer, dessen Horizont sich mit dem nun einsetzenden Sonnenuntergang verdunkelte. Schon flammten in den Straßen Lichterketten auf.

Der Wagen bog in eine Nebenstraße ein, ich richtete meinen Blick wieder nach vorn. Wir fuhren nun eine endlose Mauer entlang, die nur von einer schmalen Pforte unterbrochen wurde. Der Wagen hielt an. Mein schweigsamer arabischer Chauffeur stieg aus, hielt mir die Wagentür auf und wies auf das Mauerpförtchen, das nun auch schon von innen geöffnet wurde. Ich trat in einen mauerumgürteten Park – nur wenig kleiner als der große Park von Windsor. In mittlerer Entfernung erblickte ich ein Haus – nein, kein Haus: Nennen wir es niedrige Baulichkeiten, im maurischen Stil, mit flachem Dach, die sich in unregelmäßiger Form über den größeren Teil eines Hektars hinzogen. In der Abendluft lag der Duft von Jasmin, aber in meiner Nase stank es nach Geld.

Hinter mir schnappte die Mauerpforte ins Schloß, und wieder stand ich einem Araber gegenüber; diesmal war es ein alter Mann mit einem zerfurchten Walnußgesicht. Was er sagte, verstand ich nicht, aber seine Geste war nicht mißzuverstehen, also folgte ich ihm durch den Park zu den Gebäuden. Er führte mich durch Türen, Bögen, Durchgänge und Räume und schließlich in einen Innenhof, wo er dann wie eine Weihrauchwolke in einer versteckten Nische verschwand. Auf einer Chaiselongue lag eine Frau. »Stafford?«

»Ja. Max Stafford.«

Die Frau war etwa sechzig – mindestens, schätzte ich – und war in einem Stil gekleidet, den man bei aller Höflichkeit altmodisch nennen mußte. Sie hatte weißes Haar und hätte fast die nette alte Mutter jenes lieben Nachbarn sein können. Fast – und das lag an zwei Dingen. Da war erst einmal ihr Gesicht, das war braun wie Schuhleder. Ein Netzwerk tiefer Fältchen rund um die Augen verriet, daß sie zuviel in der Sonne gewesen war, und diese Augen waren von einem überraschenden Blau. Die blauen Augen und das weiße Haar hoben sich von ihrem Gesicht ab, und das ergab eine aufsehenerregende Kombination. Das zweite war, daß sie die dickste und längste Havannazigarre rauchte, die ich je gesehen hatte.

»Was für ein Gift nehmen Sie gewöhnlich? Scotch? Bourbon? Gin? Sie brauchen es bloß zu sagen.«

Ihr Englisch war definitiv nordamerikanisch.

Ich lächelte langsam. »Ich lasse mich nie von Fremden zum Trinken verführen.«

Sie lachte. »Ich bin Hesther Raulier. Setzen Sie sich, Max Stafford. Aber vorher schenken Sie sich ein. Ersparen Sie es mir, aufstehen zu müssen.«

Auf einer fahrbaren Bar standen eine Menge Flaschen, da ging ich hin, goß mir einen Scotch ein und füllte mit Wasser aus einem silbernen Krug auf. Ich setzte mich in einen Korbsessel, und sie sagte: »Was treiben Sie denn so in Algier?« Sie sprach englisch, aber wenn sie Algier sagte, kam es als El Dscheza'ir heraus. Also beherrschte sie gut Arabisch. Ich sagte: »Ich suche Paul Billson.«

»Warum?«

Ich klopfte an meinen Scotch. »Was geht das Sie an?«

Sie bedachte mich mit einem spitzbübischen Grinsen. »Ich sag Ihnen was, wenn Sie mir was sagen.«

Ich sah zum Himmel hoch. »Ist es hier im Winter immer so schön?«

Sie legte ihre Zigarre behutsam in einen großen Aschenbecher. »Okay, Stafford. Sie machen also auf stur. Aber sagen Sie mir nur eins. Sind Sie gekommen, um Paul etwas anzutun?«

»Warum sollte ich ihm etwas antun?«

»Hol's der Geier!« sagte sie wütend. »Müssen Sie jede Frage mit einer Gegenfrage beantworten?«

»Ja, muß ich«, sagte ich scharf. »Bis Sie mir Ihre Interessen erklären.«

»Sei's drum. Schluß mit dem Schnickschnack.«

Sie warf ihre Beine von der Chaiselongue und stand auf. Sie war untersetzt, ein muskulöser alter Vogel. »Pauls Vater war ein Freund von mir.«

Das war eine Überraschung, also gab ich's ihr im gleichen Maß. »Seine Schwester macht sich Sorgen um ihn.«

Jetzt wurde ihre Stimme scharf. »Seine Schwester? Daß Peter Billson eine Tochter hatte, ist mir neu.«

»Er hatte auch keine. Seine Witwe heiratete wieder. Im Krieg. Einen Norweger, der ums Leben kam. Alix Aarvik ist Pauls Halbschwester.«

Hesther Raulier schien sich in Gedanken zu verlieren. Nach einer Weile sagte sie: »Arme Helen; sie hat es sicher nicht leicht gehabt.«

»Sie haben Helen gekannt?«

»Ich kannte sie beide.« Sie trat an die Bar und schüttete sich einen tüchtigen Schluck Bourbon ins Glas. Sie leerte es in einem Zug und schauderte ein wenig. »Paul sagte mir, Helen sei gestorben. Von einer Schwester kein Sterbenswort.«

»Das sieht ihm ähnlich.«

Sie drehte sich nach mir um. »Was soll das wieder heißen?«

»Er hat sie ziemlich mies behandelt. Wer spricht schon gern von Leuten, die man schlecht behandelt hat. Soviel will ich Ihnen sagen – Paul war seiner Mutter in den letzten Jahren ihres Lebens keine große Hilfe.« Ich nahm mein Glas wieder auf. »Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich Paul was antun will?«

Sie sah mich geradeheraus an. »Ehe ich Ihnen das sage, muß ich Sie, verdammt noch mal, viel besser kennen, Max Stafford.«

»Kein unbilliges Verlangen«, sagte ich. »Und ich müßte auch noch eine Menge mehr von Ihnen wissen.«

Sie lächelte schwach. »Wir haben wohl eine längere Talkshow vor uns. Da bleiben Sie am besten gleich zum Essen.«

»Vielen Dank. Aber sagen Sie mir eins: Wo befindet sich Paul jetzt?«

»Kommen Sie mit«, sagte sie und führte mich in den Garten. Sie zeigte nach Süden, auf die niedrige Bergkette, die im Zwielicht eben noch auszumachen war. »Sehen Sie diese Hügellandschaft? Das sind die Ausläufer des Atlas-Gebirges. Paul Billson ist in dieser Richtung und übers Gebirge hinweg unterwegs zur Hölle.«

Bis es Zeit zum Essen war, hatte sich unsere Haltung ein wenig gelockert. Diese ältliche, leicht ordinäre Dame mit dem altmodischen amerikanischen Slang machte mich neugierig. Fehlte nur noch, daß sie Charleston tanzte. Ich gab ihr einen sorgsam abgefaßten Bericht, der nicht zuviel verriet, und schloß mit den Worten: »Das wär's, und deshalb bin ich hier.«

Sie trank Whisky, als hätte sie unten im Park ihre eigene Destillerie, aber in ihrem weißen Haar lockerte sich kein Strähnchen. »Die Geschichte klingt wahrscheinlich«, sagte sie ironisch. »Ein großer, bedeutender Mann wie Sie läßt alles stehen und liegen, kommt nach Algier und sucht Paul. Sind Sie scharf auf Alix Aarvik?«

»Ich kenne sie kaum. Außerdem ist sie mir zu jung.«

»Keinem Mann ist ein Mädchen zu jung – und ich weiß, wovon ich rede. Lassen Sie sich etwas Besseres einfallen, Max.«

»Eine Verkettung seltsamer Zufälle«, sagte ich müde. »Außerdem lasse ich mich gerade von meiner Frau scheiden, und ich hatte einfach Lust, eine Zeitlang abzuhauen.«

»Sie lassen sich scheiden«, wiederholte sie. »Wegen Alix Aarvik?«

»Wegen dem Mann im Bett meiner Frau«, gab ich zurück.

»Ich glaube Ihnen gern«, sagte sie besänftigend. »Okay, und wie hoch ist Ihre Provision? Was kriegen Sie dafür?«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Sie bohrte mich mit ihrem kaltblauen Blick an. »Hör zu, Freundchen, komm mir nicht zu frech, entweder du sagst mir, was ich wissen will, oder du erfährst überhaupt nichts.«

Ich seufzte. »Vielleicht habe ich etwas dagegen, auf offener Straße verdroschen zu werden«, sagte ich, und dann erzählte ich ihr auch noch den Rest.

Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Da haben Sie sich ja eine irre Geschichte zusammengefaselt – aber ich glaube Ihnen trotzdem. Einfach irre. So was kann man nicht aus dem Hut erfinden.«

»Das höre ich gern«, sagte ich mit Gefühl. »Und nun bin ich an der Reihe. Fangen wir mal damit an: Wie kommt es, daß Sie in Algier leben?«

Sie sah mich überrascht an. »Hol's der Geier, ich bin hier geboren.« Wie sie es darstellte, war ihr Vater ein französisch-arabisches Gemisch und ihre Mutter Kanadierin gewesen. Wie diese unpassende Verbindung zusammengekommen war, darüber schwieg sie sich aus. Ihre Mutter mußte eine charakterstarke Frau gewesen sein, denn Hesther wurde auf ein Internat in Kanada geschickt, anstatt, wie die meisten Töchter reicher französischer Kolonialisten, nach Frankreich. »Aber ich war lange nicht mehr drüben«, sagte sie. Das mochte ihren aus der Mode gekommenen Slang erklären.

In Kanada hatte sie Peter Billson kennengelernt. »Er war natürlich älter als ich«, sagte sie. »Lassen Sie mich nachrechnen. Das muß 1933 gewesen sein, ich war also siebzehn.«

Und Billson war dreißig. Hesther machte einen Ferienbesuch bei einer Schulfreundin, als Billson in ihr Leben trat. Sie war bei den McKenzies zu Besuch, bei wohlhabenden Kanadiern, die finanzielle Interessen an der Entwicklung des Luftverkehrs hatten, besonders an Flugverbindungen in die abgelegeneren Teile Kanadas. Billson hatte sich da schon einen Namen gemacht, und so war er von den McKenzies für ein verlängertes Wochenende eingeladen worden, weil man ihn aushorchen wollte.

Hesther sagte: »Für mich war Paul ein Herrgott. Sie wissen ja, wie Kinder sind. Heutzutage stehen die Teenager auf langhaarige Sänger; seinerzeit waren Piloten die Stars.«

»Was war er für ein Mann?«

»Er war ein Mann«, sagte sie schlicht. Sie starrte mit geistesabwesendem Blick in ihre Vergangenheit zurück. »Natürlich hatte er seine Fehler – wer hat keine? –, aber es waren berufsbedingte Fehler. Peter Billson war ein tüchtiger Pilot, er war tapfer und ehrgeizig, ein Exhibitionist, aber so waren die Flugpiloten alle, und alle genossen sie die Verehrung des idiotischen Publikums.«

»Wie gut kannten Sie ihn?«

Sie sah mich von der Seite an. »Ungefähr so gut, wie eine Frau nur einen Mann kennen kann. 1933 war das Jahr, in dem ich meine Unschuld verlor.«

Man konnte sich dieses zähe, lederige Stück Frau nur schwer als schwärmenden, liebeskranken Teenager vorstellen. »War das vor Billsons Hochzeit?«

Hesther schüttelte den Kopf. »Es war die Hölle für mich, als ich einmal mit Helen bei Kaffee und Kuchen Konversation machen mußte. Ich war überzeugt, daß mir das Brandzeichen der Schuld auf der Stirn glühte.«

»Und wie lange waren Sie mit ihm befreundet?«

»Bis zu seinem Tod. Ich hätte damals, 1934, nach Algier heimkommen sollen, aber es gelang mir, meinen Ferienaufenthalt noch um ein Jahr zu verlängern – wegen Peter. Er besuchte mich jedesmal, wenn er nach Toronto kam, dann, 1935, mußte ich doch heimkommen, weil meine Mutter schon drohte, mir keine Schecks mehr zu schicken. Das nächste Mal sah ich Peter dann, als er hier bei der Flugzeug-Rallye London-Kapstadt landete. Das war 1936. Ich stand am Flugplatz. Ich sah, wie er startete. Und ich sah ihn nie wieder.« Ihre Stimme klang öde, als sie hinzufügte: »Ich habe übrigens nie geheiratet, wissen Sie.«

Danach gab es nicht mehr viel zu sagen. Ich gönnte ihr ein paar Augenblicke Nostalgie, dann brach ich das unbehagliche Schweigen. »Sie werden es mir wohl nicht übelnehmen, wenn ich Sie bitte, mir etwas mehr zu erzählen. Kannten Sie zum Beispiel Peters Flugplan?«

»Warum soll ich Ihnen das übelnehmen?« sagte sie ein wenig müde. »Aber ich weiß nicht viel. Ich war ein junges Mädchen von zwanzig, müssen Sie bedenken – kein Techniker. Die Northorp war eine aufgemotzte Frachtmaschine, und Jock Anderson hatte im Frachtraum zusätzliche Treibstofftanks installiert. Dem Plan nach sollte Peter von Algier aus nach Kano in Nigeria fliegen. Die Wüstenüberquerung war die schwierigste Etappe, deshalb flog Jock mit einem Mechanikerteam hier ein, um dem Flugzeug noch einmal einen gründlichen Check zu verpassen, ehe Peter startete.«

»Jock Anderson – wer war das?«

»Der Chefmechaniker. Peter und Jock kannten sich schon lange. Peter flog die Maschinen und nahm sie hart ran, und Jock sorgte dafür, daß die Apparate zusammenhielten und meinem Peter nicht um die Ohren flogen. Die beiden waren ein gutes Gespann. Jock war ein tüchtiger Mechaniker.«

»Und was wurde später aus ihm?«

»Als Peter vermißt wurde, drehte er völlig durch. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der so schnell so betrunken wurde. Drei Tage lang stand er bis zu den Ohren im Alkohol, dann wurde er nüchtern und verließ Algier. Seitdem habe ich ihn nicht mehr wiedergesehen.«

Ich dachte eine Weile darüber nach, aber das führte zu nichts. »Was halten Sie von Paul Billson?«

»Ich glaube, er hat eine Meise«, sagte sie. »Hysterisch und verrückt. Kein Vergleich mit seinem Vater.«

»Und wie haben Sie Paul kennengelernt?«

»Genauso, wie ich Sie kennengelernt habe. Ich habe meine Ohren überall in dieser Stadt, und als ich von einem Mann hörte, der sich nach Peter Billson erkundigte, wurde ich neugierig. Also ließ ich ihn kommen.«

»So weit, so gut«, sagte ich. »Und wo ist er jetzt?«

»Auf und davon, um nach dem lieben Papi zu suchen. Jetzt wird er wohl schon in Tamanrasset sein.«

»Wo ist das?«

Hesther bedachte mich mit einem verqueren Lächeln. »Da geht man in die Wüste rein, immer nach Süden, bis man aus der Wüste wieder rauskommt. Und da liegt Tamanrasset, im Ahaggar-Gebiet, ungefähr zweitausend Kilometer südlich von hier. Richtig mitten in der Sahara.«

Ich pfiff. »Und warum?«

»Wenn man im Ahaggar-Gebiet etwas suchen will, ist Tam ein guter Ausgangspunkt.«

»Wie sieht es im Ahaggar aus?«

Hesther sah mich einen Moment an, dann sagte sie: »Gebirgig und trocken.«

»Wie groß?«

»Menschenskind, was weiß ich – hab's lange nicht mehr nachgemessen. Augenblick mal.« Sie ging weg und kam mit einem Buch zurück. »Das Annexe du Hoggar – das ist der Verwaltungsbezirk – umfaßt 380.000 Quadratkilometer.« Sie sah mich an. »Ob das groß ist, müssen Sie sich selbst ausrechnen.«

Ich rechnete es mir aus und kam auf die dreifache Größe des Vereinigten Königreichs von England. »Paul Billson ist wirklich verrückt«, sagte ich. »Wieviel Menschen leben da?«

Hesther zog abermals das Buch zu Rate. »Ungefähr zwölftausend.«

»Da scheint es mir nicht viel zu verwalten zu geben. Ziemlich dünn besiedelte Gegend da draußen.«

»Wenn Sie dort hinfahren, wissen Sie auch, warum«, sagte sie. »Sie haben doch vor, hinter ihm herzufahren?«

»Gedanken dieser Art sind mir bereits durch den Sinn gezogen«, gab ich zu. »Was mich vermuten läßt, daß ich wahrscheinlich auch eine Meise habe.«

»Nicht unbedingt. Es dürfte nicht allzu schwer sein, ihn zu finden. Nach Tamanrasset zu kommen ist kein Problem. Es gibt jede Woche ein paar Flüge dorthin.«

»Fliegen macht die Sache schon leichter.«

Sie nickte. »Und dann brauchen Sie nur noch in Tamanrasset zu warten, bis er sich sehen läßt. Wenn er im Ahaggar ist und Benzin braucht, muß er sowieso wieder nach Tamanrasset zurück.« Sie überlegte einen Augenblick. »Anders ist es, wenn Sie ihn verfolgen wollen. Dann brauchen Sie natürlich einen Führer. Luke Byrne hält sich gewöhnlich um diese Jahreszeit in Tam auf – der Job könnte ihm gefallen.«

»Wer ist Luke Byrne?«

Sie lachte. »Auch ein Spinner. Könnte ihn schon jucken, einen Verrückten zu jagen.« Sie zündete sich eine Nachtischzigarre an. »Wenn Sie nach Tam wollen, brauchen Sie eine Genehmigung. Wenn Sie es selber versuchen, dauert es zwei Wochen – ich kann Ihnen das permis in zwei Tagen besorgen. Was werden Sie tun, wenn Sie Paul Billson finden?«

Ich zuckte die Achseln. »Ihn überreden, nach England heimzukehren, falls ich das schaffe.«

»Es wird schwer sein, ihn von seiner Besessenheit abzubringen.«

»Seine Schwester dürfte da bessere Chancen haben. Sie hat gesagt, sie würde herüberkommen. Würden Sie ihr helfen, so wie Sie mir jetzt helfen?«

»Aber sicher.«

»Was glauben Sie?« fragte ich. »Liegt Peter Billsons Leiche irgendwo da draußen?«

»Natürlich. Das heißt, was davon noch übrig ist. Ich weiß schon, worauf Sie anspielen; ich habe auch von diesem Hundesohn aus Südafrika gelesen, der Peter in Durban gesehen haben will. Ich habe mich oft gefragt, was dieser Bastard an Bestechungsgeldern kassiert haben mag. Ich will Ihnen eins sagen, Max: Peter Billson war wirklich kein Heiliger, aber in Geldsachen war er ehrlich. Und Helen war fast ein Engel, und mir kann niemand erzählen, daß sie für eine halbe Million Dollar einen Meineid geleistet hat. Das war einfach nicht ihre Art.« Sie seufzte. »Reden wir nicht mehr davon. Bis jetzt war es nicht meine Gewohnheit, so intensiv in die Vergangenheit zu schauen. Und ich möchte es mir auch jetzt nicht angewöhnen.«

»Tut mir leid. Vielleicht ist es besser, wenn ich jetzt gehe.«

»Was soll der Quatsch! Bleiben Sie noch ein bißchen und schütten Sie sich ein paar Brandys ein, und dann wollen wir mal sehen, wer von uns beiden die schmutzigsten Witze erzählen kann.«

»Mir soll's recht sein«, sagte ich verbindlich, und dann erzählte ich ihr den Limerick von dem Bischof von Chichester, der immer alle diese Heiligenfiguren in den Nischen seiner Kirche in Verlegenheit brachte.

Ich sah Hesther bis zu meiner Abreise nicht mehr wieder, aber sie schien durchaus über recht brauchbare Beziehungen zu verfügen, denn ich war bereits anderthalb Tage später abreisebereit, hatte mein permis und ein Flugticket. Beides lieferte mir ihr arabischer Chauffeur im Hotel ab. Die Kosten hatte sie übernommen. In einem Begleitbrief schrieb sie:

Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, daß ich das Flugticket gekauft habe. Es ist nur, weil ich meinen Teil beitragen möchte – im Gedenken an P.B. Wenn Sie diesen Trottel Paul finden, geben Sie ihm eins auf den Kopf, stecken Sie ihn in einen Sack und schicken Sie ihn mir nach Algier.

Ich habe Luke Byrne telegraphiert, und er erwartet Sie. Sie finden ihn im Hotel Tin-Hinan. Grüßen Sie ihn von mir. Ich weiß nicht, ob es etwas zu bedeuten hat, aber es sucht noch jemand nach Paul – ein Mann namens Kissack. Ich weiß nichts von ihm, weil er bereits abgehauen war, ehe ich die Spürhunde auf ihn ansetzen konnte. Viel Glück, und schauen Sie mal wieder vorbei.