12. Kapitel
Ich wußte nicht, was ich von Tamanrasset zu erwarten hatte, aber es war, verglichen mit Algier, eine andere Welt. Aus der Luft sah man nur ein paar verstreute Häuser inmitten eines grünen Flimmerns, am Fuße rauher Berge. Wenn man von der Landepiste in diese sogenannte Stadt wollte, mußte man sich auf einen Lastwagen schwingen, der über eine Asphaltstraße rumpelte, vorbei an hohen eckigen Säulen, die den Eingang zur Stadt bildeten. Diese Säulen sahen aus wie die Kulissen für einen fünftklassigen Film über die Fremdenlegion.
Tamanrasset nennt sich zwar Stadt, aber es ist wirklich nicht viel mehr als ein Dorf. Wie dem auch sei, es war die Metropole des Ahaggar-Gebietes. Die Hauptstraße war breit, Akazien warfen Schatten, und links und rechts standen einstöckige Häuser, die offenbar aus getrocknetem Matsch gebaut waren; vermutlich würden sie die nächsten halbwegs anständigen Regenschauer nicht überstehen. Der Lastwagenchauffeur ließ seine Hupe dröhnen, um sich einen Weg zwischen den Fußgängern hindurch zu bahnen, und diese Fußgänger waren hochgewachsene Männer in blauen und weißen Gewändern, und sie drängten sich in der Straßenmitte, als sei der Verbrennungsmotor noch nicht erfunden worden.
Der Lastwagen hielt vor dem Hotel Tin-Hinan, dort gab es einen Hof im Schatten von Bäumen, mit dünnbeinigen Metalltischen und Stühlen; Leute saßen dort und tranken. Aus einem Lautsprecher über dem Hoteleingang schepperte das nasale Geplärre eines orientalischen Sängers. Ich ging in die staubige Hotelhalle und wartete, bis jemand Notiz von mir nahm. Einen Empfangschef gab es nicht.
Schließlich fragte mich ein redefreudiger Mann in einem nicht allzu weißen Gewand in massakriertem Französisch, was er für mich tun könne. Ich sagte: »Eigentlich müßte für mich ein Zimmer reserviert sein. Mein Name ist Stafford.«
Seine Augenbrauen hoben sich. »Ah, Monsieur Stafford! Monsieur Byrne wartet schon auf Sie.« Er steuerte auf eine Tür zu. »Voilà!«
Ich sah mir den Mann an, der dahinter an einem Tisch saß. Er trug ein langes blaues Gewand und einen weißen Turban, und er sah nicht so aus, als hörte er auf einen guten amerikanischen Namen wie Byrne. Ich drehte mich nach dem Empfangschef um, aber der war schon wieder verschwunden. Also trat ich an den Tisch und sagte zögernd: »Mr. Byrne?«
Der Mann wollte sich gerade ein Glas Bier zum Mund führen, hielt aber auf halbem Weg inne und setzte es wieder ab. »Ja«, sagte er und wandte mir sein Gesicht zu. Unter buschigen weißen Augenbrauen lagen blaue Augen, die mich aus einem tief gebräunten Gesicht anstarrten, und dieses Gesicht war so ausgemergelt hager, daß die Nase wie ein Schnabel daraus hervorstach. Unter der Nase befand sich ein breiter Mund mit festaufeinandergepreßten Lippen; das Kinn konnte ich nicht sehen, da sich die Falten seines Turbans irgendwie um den Hals geschlungen hatten, aber seine Wangen schmückte ein weißer Bart. Er sah aus wie Moses und doppelt so alt.
Ich sagte: »Mein Name ist Stafford.«
»Setzen Sie sich, Mr. Stafford. Ein Bier?«
Er sprach englisch mit einem amerikanischen Akzent, was ich, unter den obwaltenden Umständen, unpassend fand.
Ich setzte mich, und er winkte dem Kellner. »Deux bières.« Er wandte sich mir zu. »Hesther hat mir von Ihnen berichtet. Sie brauchen Hilfe.«
»Könnte sein. Ich suche einen Mann.«
»So? Die meisten Männer suchen Frauen.«
»Er heißt Billson. Er muß sich hier in der Gegend herumtreiben.«
»Billson«, wiederholte Byrne nachdenklich. »Was wollen Sie von ihm?«
»Ich will gar nichts von ihm«, sagte ich. »Aber seine Schwester. Dieser Mann ist auf der Suche nach einem abgestürzten Flugzeug. Gibt es in dieser Gegend viele?«
»Etliche.«
»Das Flugzeug, um das es hier geht, ist vor vierzig Jahren abgestürzt.«
Byrne zuckte nicht mit der Wimper. »Scheint sich um nicht gerade neuwertigen Schrott zu handeln.« Der Kellner kam und stellte zwei Flaschen Bier und zwei Gläser hin. Byrne nickte ihm kurz zu, und er ging wieder. Offenbar hatte Byrne im Hotel Tin-Hinan Kredit.
Ich goß mir mein Bier ein. »Ich habe mir sagen lassen, daß der Ahaggar eine weitläufige Gegend ist – sehr gebirgig. Könnte ja sein, daß ein abgestürztes Flugzeug nicht gefunden wird.«
»Kaum«, sagte Byrne.
»Nun, bei dieser geringen Besiedlungsdichte …«
»Es wäre gefunden worden.« Byrne sprach sehr bestimmt. »Wie ist Billson hierhergekommen? Mit einem Flugzeug?«
»Er hat einen Landrover.«
»Seit wann ist er hier?«
Ich zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Eine Woche. Vielleicht zwei.«
Byrne starrte auf die Straße hinaus, ohne seine Augen zu bewegen, und schwieg eine Weile. Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und ließ ihn nachdenken. Dieser Mann war schwer einzuordnen. Nichts verriet, was ihn bewegte. Er war mir so fremd, wie irgendeiner von den Männern, die wie er angezogen waren und auf der Straße herumspazierten, und daran änderte auch die Tatsache nichts, daß er englisch sprach.
Schließlich fragte er: »Wie gut kennen Sie Hesther Raulier?«
»Eigentlich kaum. Ich habe sie erst vor zwei Tagen kennengelernt.«
»Sie mag Sie«, sagte er. »Haben Sie Gepäck?«
Ich zeigte mit dem Daumen zum Hotel. »Steht da drinnen.«
»Lassen Sie es stehen, wir holen es später ab. Ich lagere kurz vor Tam. Machen wir einen Spaziergang.« Er stand auf und bewerkstelligte irgend etwas Kompliziertes mit seinem Turban, und machte auch eine ziemliche Show daraus. Als er damit fertig war, verbarg sich sein Gesicht hinter dem Tuch, nur in Augenhöhe war ein Schlitz frei. Da schaute er hindurch. Wir verließen das Hotel und traten auf die Hauptstraße. Byrne war ein großer Mann, aber nicht größer als die anderen Männer, die in ähnlicher Kleidung träge die Straße bevölkerten. Ich war deutlich ein Fremdkörper in dieser Szenerie.
»Ziehen Sie sich immer wie ein Araber an?« fragte ich.
»Nur wenn ich muß. Ich mag Araber nicht.«
Ich starrte ihn an. Diese Antwort war unbegreiflich. »Aber …«
Er neigte den Kopf und sagte, nicht ohne eine gewisse Belustigung: »Sie müssen noch viel lernen, Stafford. Diese Burschen sind keine Araber. Das sind Imazighen – Tuareg, wenn Ihnen das lieber ist.«
Byrnes Camp lag etwa drei Kilometer vor der Stadt. Es bestand aus drei großen Lederzelten, die im Halbkreis aufgebaut waren, mit den Rückfronten zum Wind. Der Sand vor den Zelten war sauber gefegt, ein kleines Feuer loderte und knallte immer wieder effektvoll wie ein Miniaturfeuerwerk. In einiger Entfernung standen Kamele.
Als wir uns näherten, erhob sich neben dem Feuer ein Mann. »Das ist Mokhtar«, sagte Byrne. »Er wird sich um Sie kümmern, während ich fort bin.«
»Wohin gehen Sie?«
»In der Stadt herumschnüffeln. Aber erst erzählen Sie mir von Billson.«
Byrne schritt zum Feuer hinüber, und die Männer führten eine kurze Unterhaltung. Auch Mokhtar war groß und trug einen Schleier. Byrne winkte mich ins mittlere Zelt. Wir ließen uns auf weichen Kissen nieder. Die Innenwände des Zelts bestanden aus Reetgras.
»Und warum will dieser Billson überhaupt ein vierzig Jahre altes Flugzeugwrack finden?«
»Sein Vater ist beim Absturz ums Leben gekommen«, sagte ich und erzählte die ganze Geschichte.
Ich war eben zum Ende gekommen, als Mokhtar ein Kupfertablett vor Byrne niedersetzte, darauf standen eine Kanne mit geschwungener Schnauze und zwei Messingtassen. »Mögen Sie Minztee?« fragte Byrne.
»Hab' ich noch nie probiert.«
»Ist gar nicht mal so schlecht.« Er goß ein und reichte mir eine Tasse. »Würden Sie sagen, daß dieser Billson ganz richtig im Kopf ist?«
»Nein, würde ich nicht sagen. Er hat eine fixe Idee.«
»Dachte ich mir.« Er setzte seine Tasse an und trank, und ich folgte seinem Beispiel. Der Tee war sehr minzig und übersüß.
»Und was hat Hesther damit zu tun?«
»Sie war mit Billsons Vater befreundet.«
»Wie gut?«
Ich sah ihm ins Auge. »Wenn sie es Ihnen sagen will, wird sie es Ihnen schon noch erzählen.«
Er lächelte. »Schon gut, Stafford. Kein Grund zur Aufregung. Haben Sie das alles von Hesther selbst erfahren?«
Als ich nickte, sagte er: »Hesther muß Sie ins Herz geschlossen haben. Sie spricht sonst nicht viel von sich.«
Ich sagte: »Welche Chancen hat Billson, das Flugzeug zu finden?«
»Im Ahaggar? Überhaupt keine. Weil es hier kein Flugzeug gibt. Weiter im Norden liegen ein paar Flugzeugwracks.« Er lachte plötzlich. »Menschenskind, ich habe selbst eins dahin gepflanzt.«
Ich sah ihn neugierig an. »Wie ist das passiert?«
»Im Krieg. Ich war bei der Air Force, habe Liberators geflogen, Standort Oran. Da sind wir dann einmal von einer Meute Focke-Wulffs gehetzt worden, und die haben uns den Arsch weggeschossen. Die Kanzel sah aus wie ein Sieb, kein Kompaß funktionierte mehr, wir hatten nicht die geringste verdammte Ahnung, wo wir waren. Dann sind die Motoren ausgefallen, und ich mußte runtergehen. Ich schätze, die Maschine steht noch da, wo ich sie aufgesetzt habe.«
»Und wie ging's weiter?«
»Ich bin ausgestiegen und weggegangen«, sagte Byrne lakonisch. »Es dauerte anderthalb Wochen, bis ich wieder unter Menschen war.« Er stand auf. »Ich komme in ein paar Stunden wieder.«
Ich sah ihm nach, als er mit seinem sanften, fast trägen Gang, der, wie ich festgestellt hatte, für die Tuareg typisch war, davonschritt, und ich fragte mich, was, zum Teufel, ich eigentlich in dieser Wüste zu suchen hatte.
Schließlich kam Mokhtar und brachte noch ein Tablett mit Minztee und kleinen runden Kuchen.
Es dauerte drei Stunden, bis Byrne zurückkam, und da ritt er auf einem Kamel. Die Sonne ging unter, und die Dornenbäume warfen lange Schatten. Das Tier ließ sich schaukelnd auf die Knie nieder, und Byrne glitt aus dem Sattel, kam ins Zelt und trug meine Reisetasche. Das Kamel schnaubte, als Mokhtar es wieder auf die Beine trieb und wegführte.
Byrne setzte sich. »Ich habe Ihren Mann gefunden.«
»Wo steckt er?«
Er zeigte nach Norden. »Da draußen irgendwo – im Gebirge. Ist vor fünf Tagen fortgefahren. Hat im Fort Laperrine eine Genehmigung beantragt, aber keine bekommen. Da ist er eben ohne gefahren. Wirklich ein verdammter Narr.«
»Das weiß ich schon«, sagte ich. »Warum hat er keine Genehmigung bekommen?«
»Es gibt keine – nicht für einen Mann allein mit einem einzelnen Wagen.«
»Er wird zurückkommen«, sagte ich. »Hesther sagt, Tam ist der einzige Ort, wo es Benzin gibt.«
»Ich weiß nicht«, sagte Byrne. »Dann müßte er bereits wieder hier sein. Diese Landrover sind durstige Biester. Wenn Sie den Burschen haben wollen, müssen Sie ihn sich schon holen gehen.«
Ich lehnte mich gegen die Reetgraswand des Zeltes. »Das müssen Sie mir mal in Einzelheiten erklären.«
»Paul Billson ist ein Idiot. Hat aufgetankt und ist losgefahren. Keine Reservekanister. Da fünf Tage vergangen sind, ist er überfällig. Wenn er auch keine Wasserreserven bei sich führt, ist er jetzt schon tot.«
»Wie komme ich dorthin?« sagte ich gleichmütig.
Byrne sah mich lange an, dann seufzte er. »Wenn ich nicht wüßte, daß Hesther viel von Ihnen hält, würde ich Ihnen jetzt sagen: Gehen Sie zur Hölle. Aber so, wie die Dinge liegen, sage ich: Wir starten, sobald es hell wird.« Er zog eine Grimasse. »Muß sogar meinem Grundsatz untreu werden und mich in einen Stinkpott setzen.«
Was er damit meinte, wußte ich nicht, aber ich sagte nur: »Danke.«
»Kommen Sie«, sagte er. »Wir müssen Mokhtar helfen, Abendessen zu kochen.«
Das Abendessen entpuppte sich als zähe Ziege, die nicht nur den Zähnen, sondern auch der Verdauung zu schaffen machte, gefolgt von Käse mit strengem Geschmack, der, wie mir gesagt wurde, aus Kamelmilch war. Byrne gab sich schweigsam, und wir gingen früh schlafen, wir wollten ja früh aufbrechen. Ich lag im Zelteingang auf dem Rücken, starrte zum Himmel hinauf, der so sehr voller Sterne war, daß man meinte, mit ausgestrecktem Arm eine Handvoll pflücken zu können.
Ich fragte mich immer noch, was ich eigentlich hier machte, und worauf ich mich da einließe, und ich fragte mich auch, was dieser Byrne für ein Mann war, der einen fast ebenso amerikanischen Slang wie Hesther Raulier hatte.