1. Kapitel
Wir leben ja alle in der ›Instant‹-Zeit – im Zeitalter der Augenblicklichkeit. Clevere Chemiker haben den Instant-Kaffee erfunden, demonstrierende Studenten schreien mit Kinderstimmen »Wir wollen die Welt, und wir wollen sie sofort!«, und die Staffords haben den Instant-Kracherfunden, der sich ohne Grund und ohne Ursache vom Zaun brechen läßt.
Unsere Ehe trudelte dem Scheitern zu, und wir wußten es beide. Die Reibungshitze wurde immer unerträglicher. An diesem Montagmorgen, als alles anfing, wertete Gloria eine behutsame Anfrage nach ihrem Wochenendzeitvertreib aufmüpfig als ungehörige Einmischung in ihr Privatleben. Ein Wort gab das andere. Ich fühlte mich schon ziemlich geschlaucht, als ich in die Firma kam.
Joyce Godwin, meine Sekretärin, empfing mich mit einem strahlenden: »Guten Morgen, Mister Stafford!«
»Morgen«, brummte ich verschnupft und knallte die Tür meines Büros hinter mir zu. Und dann war ich sauer auf mich selbst. Ein mieser Chef, der seine Launen am Personal ausläßt, und das hatte Joyce nicht verdient.
Ich knipste die Sprechanlage ein. »Kommen Sie doch mal rein, Joyce.«
Sie kam mit ihrer Sekretärinnenausrüstung, Stenoblock und spitzen Bleistiften.
Ich sagte: »Tut mir leid, Joyce. Aber ich fühl mich nicht besonders heute morgen.«
Sie verzog die Lippen zu einem angedeuteten Lächeln. »Kater?«
»So was Ähnliches. Der Sieben-Jahres-Katzenjammer«, gab ich zu. »Wo brennt's denn heute morgen?«
»Mr. Malleson möchte wegen der Gesellschafterversammlung heute nachmittag mit Ihnen sprechen.«
Ich nickte. Die Gesellschafterversammlung der Stafford-Sicherheits-Beratungs-GmbH war eine reine Rechtsformalität: Da saßen dann drei erwachsene Männer in einem Penthouse über der City und teilten untereinander die Gewinne auf. Ein Finanzwitz. »Sonst noch was?«
»Mr. Hoyland hat angerufen. Er möchte Sie persönlich sprechen.«
»Hoyland? Wer ist denn das?«
»Unser Werkschutz-Chef bei der ›Franklin-Technik‹ in Luton.«
Es hatte mal Zeiten gegeben, da kannte ich jeden Mitarbeiter beim Vornamen; jetzt hatte ich nicht mal mehr die Familiennamen der Objektleiter im Kopf; eine miese Situation, das mußte ich ändern, sobald sich Zeit fand. »Warum verlangt er ausgerechnet mich?«
»Erst wollte er Mr. Ellis, aber der ist bis Mittwoch in Lancaster, und Mr. Daniels hat immer noch Grippe.«
Ich grinste. »Ich bin also dritte Wahl. Wollte er was Wichtiges?«
Joyce mußte meinen Kater für überlebensgroß halten, jedenfalls sah sie mich so an. Werkschutz-Objektleiter waren zu selbständigem Handeln verpflichtet. Wenn einer schon den Boß anrief, dann mußte er was verdammt Wichtiges wollen.
»Er hat nur gesagt, er ruft wieder an«, sagte Joyce.
»Was gibt's sonst noch?«
Wortlos wies sie auf meinen überfüllten Eingangskorb. Ich warf einen angewiderten Blick in die Richtung.
»Sie sind eine Sklaventreiberin, Joyce. Wenn Hoyland anruft – ich bin im Büro von Mr. Malleson.«
»Aber Mr. Fergus sagt, der Vertrag mit den ›Electronomics‹ müßte heute noch unterschrieben werden!« jammerte sie.
»Fergus sagt viel, wenn der Tag lang ist. Ich will erst noch mit Malleson darüber sprechen. Die ›Electronomics‹ wird schon eine halbe Stunde mehr oder weniger verkraften können.« Ich fischte mir die Electronomics-Akte aus dem Korb und ging. Der mißbilligende Blick von Joyce bohrte sich mir in den Rücken.
Charlie Malleson war offensichtlich arbeitslustiger als ich. Sein Eingangskorb war schon halb leer. Ich setzte mich auf den Rand seines Schreibtisches und warf ihm die Akte hin. »Mir schmeckt das überhaupt nicht!«
Er sah hoch und stöhnte. »Stimmt was nicht, Max?«
»Die wollen Wachhunde ohne Hundeführer, das ist gegen die Vorschriften.«
Er hob die Brauen. »Das ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Fergus auch nicht, und dem hätte es aufstoßen müssen. Du weißt, was ich davon halte. Du kannst um eine Fabrik einbruchsichere Anlagen bauen wie die Berliner Mauer, aber eines Nachts schlüpft dann doch irgendein frecher Bengel durch, bloß weil ihn der Teufel reitet, und dann läuft er einem losgelassenen Hund in die Fänge, und der beißt ihn zum Krüppel; oder sogar tot.«
Charlie schlug die Akte auf. Ich sagte: »Schau dir nur Paragraph achtundzwanzig an.«
Er las nach. »Davon stand nichts in dem von mir abgezeichneten Vertragsentwurf. Das muß im letzten Moment reingeschmuggelt worden sein.«
»Dann muß es eben schleunigst wieder rausgeschmuggelt werden, und wenn nicht, soll die ›Electronomics‹ anderswo Geschäfte machen. Du wolltest mit mir über die Gesellschafterversammlung sprechen?«
»Seine Lordschaft wird heute nachmittag um vier zu Hause sein.«
Seine Lordschaft, das war Lord Brinton, und dem gehörten fünfundzwanzig Prozent der Stafford-Sicherheits-Beratungs-GmbH. Ich stand auf, ging ans Fenster und blickte zum Hochhaus-Turm des Inter City Building hinüber – Brintons Adlerhorst. Von seinem Penthouse aus übersah er die ganze City, und von Zeit zu Zeit stieg er von dort herab, um hier eine Firma zu schlucken oder dort eine profitbringende Fusion zu manipulieren. »Vier Uhr paßt mir«, sagte ich. »Ich gebe Joyce Bescheid. Und sonst läuft alles?«
»Glatt wie geschmiert.« Charlie beäugte mich abschätzend. »Du siehst nicht besonders gut aus. Kriegst du Grippe oder was?«
»Oder was, glaube ich. Heute morgen ist mir ein Name genannt worden, und ich habe nicht mal mehr gewußt, daß der Mann bei uns arbeitet. Ist doch schlimm.«
Er lächelte. »Der Laden wächst uns über den Kopf. Die Strafe des Erfolges.«
Ich nickte. »Sieben von acht Stunden am Tag bin ich an den Schreibtisch gefesselt. Manchmal wünsch ich mir die schlimmen alten Zeiten zurück, wo wir noch selber die Knochenarbeit gemacht haben. Heutzutage schiebst du doch als Chef nur noch jede Menge verdammtes Papier in der Gegend herum.«
»Ja, Papierkram«, sagte Charlie, »aber ein großer Teil von diesem Papier besteht aus knusprig-knackigen Fünfpfundscheinen.« Charlie wies auf die Stadtlandschaft vor den Fenstern, die City von London in ihrer ganzen Majestät. »Kein böses Wort gegen das Erfolgserlebnis auf diesem geheiligten Boden – das wäre höchst unmoralisch!«
Dann klingelte das Telefon, und er hielt mir den Hörer hin. Joyce war am Apparat. »Mr. Hoyland möchte Sie sprechen.«
»Okay. Verbinden Sie.« Ich legte die Hand auf die Sprechmuschel und sagte zu Charlie: »Vielleicht hörst du dir das mal mit an. Kann euch Verwaltungsheinis ja nichts schaden, die Stimme der Front zu vernehmen.«
Es klickte und knackte im Hörer. »Mr. Stafford?«
»Ja, hier ist Max Stafford.«
»Hier spricht Hoyland, von …«
»Ich kenne Sie gut, Mr. Hoyland«, sagte ich und kam mir wie ein Hochstapler vor. »Wo brennt's denn?«
»Hier ist was Komisches passiert, Sir«, sagte er. »Vor einer Woche ist ein Mann namens Billson verschwunden, und ich hab' das Gefühl, ich renne gegen eine Wand.«
»Ist dieser Billson ein Sicherheitsrisiko?«
»Zum technischen Bereich gehört er nicht, er arbeitet in der Buchhaltung, aber …«
»Haben Sie die Bücher überprüft?«
»Alles okay bis auf den letzten Penny«, sagte Hoyland. »Aber da liegt der Hase nicht im Pfeffer, Sir. Es geht um das Verhalten der Firma. Ich komme da zu überhaupt keiner Zusammenarbeit.«
»Das müssen Sie mir genauer erklären.«
»Also, dieser Billson ist eigentlich ein Schwachkopf, aber er kriegt viel mehr bezahlt, als seine Arbeit wert ist. Er tut kaum mehr als ein Laufjunge, und dafür kassiert er achttausend Pfund im Jahr. Und als ich Isaacson fragte, wieso, bekam ich eine ziemlich patzige Abfuhr. Die Lohnpolitik der Firma ginge den Werkschutz einen Dreck an, hat er gesagt.«
Hoyland war sauer und mit Recht. Ich war auch sauer. Denn wenn wir mit einer Firma einen Werkschutzvertrag abschließen, dann ist damit auch festgelegt, daß den Werkschutz alles angeht.
»Das hat er wirklich gesagt? Und wer ist dieser Isaacson überhaupt?«
»Der Chefbuchhalter«, sagte Hoyland. »Können Sie sich den nicht mal zur Brust nehmen? Von mir läßt der sich nämlich nichts sagen.«
»Ich nehm ihn mir vor«, sagte ich grimmig. »Aber dieser Billson – was soll das heißen: Er ist verschwunden?«
»Billson ist seit voriger Woche nicht mehr aufgetaucht und hat sich auch nicht gemeldet. Wir haben nachgeforscht und festgestellt, daß er auch ohne Angabe von Gründen sein möbliertes Zimmer aufgegeben hat.« Hoyland machte eine Pause. »Das ist natürlich kein Verbrechen, Mr. Stafford.«
»Außer, er hat was mitgenommen. Sie sagten, er sei kein Sicherheitsrisiko?«
»Ausgeschlossen. Billson war fünfzehn Jahre lang ein kleiner, farbloser Fisch in der Buchhaltungsabteilung. Kein Zugang zu Verschlußsachen.«
»Soweit wir wissen«, überlegte ich laut. »Also gut, Mr. Hoyland, ich werde mit diesem Isaacson ein Wörtchen reden. Einstweilen überprüfen Sie Billson weiter, man weiß nie, was man findet.«
»Wird gemacht, Mr. Stafford«, sagte Hoyland erleichtert. Sich mit dem Topmanagement anzulegen, ist nicht jedermanns Sache.
Ich legte den Hörer auf die Gabel und grinste Charlie an. »Verstehst du nun, was ich meine? Wie würdest du jetzt diese Kiste schaukeln?«
»Die ›Franklin-Technik‹«, sagte er nachdenklich. »Rüstungsaufträge, nicht wahr?«
»Ja, die bauen was für die Armee. Federungssysteme für Panzer. Kleinkram.«
»Und was unternimmst du nun?«
»Na, diesem Chefbuchhalter setze ich den Kopf zurecht! Ich laß doch meinen Objektleitern nicht von einem Geldsack vorschreiben, was Werkschutz-Sache ist und was nicht.«
Charlie wippte seinen Stuhl auf zwei Beinen rückwärts und sah mich gespannt an.
»Warum machst du das nicht persönlich – von Angesicht zu Angesicht? Du hast dich doch über zuviel Schreibtischkram beklagt – also spritz rüber nach Luton und mach ein bißchen Knochenarbeit. Bis zur Gesellschafterversammlung schaffst du das leicht. Mach mal die Bürotür hinter dir zu und schnapp frische Luft, Max, vielleicht wirst du dann dein saures Gesicht los.«
»Sieht man es mir schon an?« fragte ich. Aber die Idee war verlockend. »Mach ich, Charlie, mach ich. Den Schreibtisch soll der Teufel holen.«
Ich nahm das Telefon und wählte die Nummer von Joyce: »Rufen Sie Hoyland bei der ›Franklin-Technik‹ an und sagen Sie ihm, daß ich selbst nach Luton komme, und er soll sich zur Verfügung halten.« Ich unterbrach ihr Protestgeheul. »Ja, ja, der Zustand meines Schreibtisches ist mir bekannt. Morgen erledige ich alles.«
Als ich den Hörer auflegte, sagte Charlie: »Na, so wichtig ist es nun auch wieder nicht.«
»Vielleicht nicht, der Kerl macht entweder einen Zug durch die Gemeinde, oder er hat sich vom Bus überfahren lassen, oder so was Ähnliches. Nein, weißt du, Charlie, ich seh das als einen Tag Urlaub auf Firmenkosten an.«