23. Kapitel

Und so ritt ich hoch zu Kamel auf Bilma zu. Paul ebenfalls. Aber Byrne ging schon am zweiten Tag wieder zu Fuß, Konti marschierte die ganze Strecke. Diese Männer waren einfach nicht kleinzukriegen. Mokhtar hatte, wo wir gefunden worden waren, das Nachtlager aufgeschlagen. Aber schon früh am Morgen waren wir mit der Karawane weitergezogen – und dann bis spät in die Nacht hinein, wie Byrne es mir vorher schon erklärt hatte. Byrne schritt rüstig neben dem Kamel aus, auf dem ich saß, und ich bemerkte, daß er barfuß ging – wie übrigens alle Tuareg der Karawane.

»Ist das normal«, fragte ich, »zu Fuß zu gehen?«

»Ja«, sagte er schlicht.

»Die ganze Strecke von Agades nach Bilma?«

»Und wieder zurück.« Er sah zu mir herauf. »Wir sind alle nur demütige Kameltreiber – wie der Prophet.«

Ich überlegte, wie geschwind wir diese Weiten mit dem Toyota durchmessen hatten. »Ich hätte gedacht, Lastwagen wären wirtschaftlicher.«

»Sicher. Sind sie auch.« Er wies voraus. »Bilma produziert viertausend Tonnen Salz im Jahr. Mit zweihundert Zwanzigtonnern könnte der gesamte Export auf einen Schlag bewältigt werden. Die Algerier würden bestimmt Lastwagen einsetzen. Diese Bastarde im Maghreb sind wie besessen von der Wirtschaftlichkeit, wenn damit Geld zu verdienen ist.«

»Und wieso ist das hier anders?«

»Weil die Regierung von Niger vernünftiger ist. Ein Kamel kann eine Siebteltonne tragen. Man braucht also für den Jahresexport achtundzwanzigtausend Kamele. Aber, wie gesagt, das Kamel ist ein zerbrechliches Tier; auf jeden Tag Arbeit braucht es einen Tag Erholung. Drei Monate auf der Salzpiste bedingen also drei Monate Erholung. Macht zusammen sechs Monate, und damit ist dann auch schon der Winter ausgefüllt; im Sommer ziehen hier keine Karawanen durch. Somit benötigt man achtundzwanzigtausend Kamele, denn jedes Kamel macht die Reise ja nur einmal im Jahr. Bei hundertachtzig Dollar je Tier ergibt sich daraus eine Kapitalinvestition von fünf Millionen Dollar. Nimmst du noch Zaumzeug, Decken, Treiberlöhne und so weiter hinzu, kommst du sogar auf sechs Millionen.«

»Mein Gott«, sagte ich, »da würden sich Lastwagen todsicher lohnen.«

»Ich bin noch nicht zu Ende«, sagte Byrne. »Ein Kamel kann nur vier Jahre lang eingesetzt werden. Das bedeutet: Jedes Jahr werden siebentausend neue Kamele benötigt. Die muß jemand züchten; Leute wie ich etwa, aber üblicherweise eher Leute wie Hamiada. Damit gehen aus dem Salzhandel von Bilma jedes Jahr drei Millionen Dollar an die Züchter. Und Bilma ist nicht der einzige Salzproduzent. Da gibt es noch Taoudenni in der Westsahara, das Timbuktu und das ganze Gebiet des Nigerbogens versorgt – mit einem Handelsvolumen, das viel größer als das von Bilma ist.« Er sah wieder zu mir hinauf. »Es ist verboten, Salz auf Lastwagen zu transportieren. Das würde das traditionelle Wirtschaftssystem ruinieren und die Struktur der Wüstenstämme zerstören.«

»Das seh ich irgendwie ein«, sagte ich. »Das Humanitäre gegen das Wirtschaftliche.« Vernünftig war es schon, aber ob man das einem hartköpfigen Geschäftsmann aus der Londoner City beibringen könnte, wagte ich doch zu bezweifeln.

»Schau«, sagte Byrne. »Der Kaouar.«

In der blaudunstigen Ferne, quer über den Horizont gestreckt, war ein Gebirgswall mehr zu erahnen als zu sehen. »Bilma?«

»Bilma«, sagte er zufrieden.

Einen halben Tag später sollte ich Flecken von Grün vor die Augen bekommen, die erste Spur von Vegetation seit Fachi. Und bald konnte ich auch einzelne Dattelpalmen ausmachen. Byrne eilte an die Karawanenspitze, um sich mit Mokhtar zu besprechen, dann wartete er mich ab. »Wir gehen nicht mit nach Bilma hinein«, sagte er. »Kann sein, daß Kissack da ist. Wir müssen vorsichtig sein. Wir trennen uns an den Salzwerken von Kalala von der Karawane.«

Kalala entpuppte sich als eine Ebene mit Haufen aufgeworfener Erde – die Salzwerke. Die Ebene war voll von Menschen und Kamelen, hier lagerten mehrere Karawanen. Von unseren Kamelen wurde alles abgeladen, und Byrne machte mich auf die Sehenswürdigkeiten aufmerksam. Er wies auf eine Gruppe von Männern, die um Mokhtar standen. »Tuareg aus der Air, die wahrscheinlich morgen heimgehen, allem Anschein nach schon reisefertig.« Er wies in eine andere Richtung. »Diese Burschen dort sind Kanuri aus dem Tschad. Salz ist in Afrika das Wichtigste. Salzmangel macht Tiere krank. Die Kanuri aus dem Tschad sind Viehzüchter, also brauchen sie Salz. Das gleiche gilt für die Haussa aus der Gegend von Kano in Nigerien.«

»Wie lange läuft das schon so?«

»Was weiß ich! Tausend Jahre – vielleicht länger. Du bleibst hier, Max. Paß auf, daß Paul sich nicht verläuft. Ich gehe morgen nach Bilma und versuche, mir einen Wagen zu borgen, damit ich mir meinen Toyota aus der Wüste holen kann. Außerdem hör ich mich mal nach Kissack um.«

»Paß auf dich auf.«

»Ich bin nur ein Targui wie tausend andere«, sagte er. »Der Schleier ist sehr nützlich.«

Er ging, ich nahm mir Billson, dann schauten wir uns die Salzwerke an. Billson hatte sich gemacht. Im allgemeinen wird ein Kamelritt nicht als Erholungskur angesehen, aber mit einer Dünenwanderung gegen den Strich verglichen, ist es ein Genuß. Mokhtar hatte eine Salbe beschafft, von der auch Byrne viel hielt, und Pauls Wunde verheilte nun schnell.

Paul war nun auch bei bester Laune, und für einen Mann, der sich normalerweise in schmollendes Schweigen hüllt, gab er sich ziemlich geschwätzig. Vielleicht lag es an der Wüste.

Die Salzpfannen kamen mir vor wie aus einem der weniger bekömmlichen Kapitel aus Dantes Inferno. Aus Schächten wurde die salzhaltige Erde ausgegraben und auf Pfannen geschaufelt, wo sich dann, wenn das Wasser unter der heißen Sonne verdunstete, das Salz absetzte. Dieses unreine Salz wurde nun mühsam abgekratzt und in Formen zu Säulen von etwa einem Meter Höhe gepreßt.

Paul sagte plötzlich: »Jetzt begreif ich auch den Bibelspruch über Lots Weib, die zur Salzsäule wurde – bis jetzt konnte ich mir unter einer Salzsäule nie etwas vorstellen.«

Ich dachte an die Karawanenpisten, die die Sahara durchzogen, und fragte mich, ob Salz aus Bilma auch ins alte Israel gelangt sein konnte; das war unwahrscheinlich, denn das Tote Meer ist ja salzhaltiger als alle anderen Gewässer, aber die Gewinnungsmethode war wahrscheinlich die gleiche. Und sehr alt.

Wir gingen zu unserer Karawane zurück und ruhten uns aus. Auch die Kamele ruhten sich aus; manche hatten sich, nachdem sie nun abgeladen waren, flach auf die Seite gelegt. Das hatte ich noch nie bei Kamelen gesehen. Ich schaute mir das gerade an, als Mokhtar vorbeikam. Er dachte angestrengt nach, dann fand er das Wort, das er suchte: »Fatigué – très fatigué.«

Ich nickte. Ich wäre auch verdammt müde gewesen, wenn ich einen Monat lang, sechzehn Stunden jeden Tag, zu Fuß gegangen wäre. Das hatte Mokhtar hinter sich – und er wirkte frisch wie der junge Frühling. Das Kamel, vor dem ich hockte, war abgehärmt, unter der mageren Haut zeichneten sich die Rippen ab. Ich sagte: »Es ist dünn – maigre.« Ich deutete auf meinen eigenen Brustkorb und wiederholte: »Maigre!«

Mokhtar sagte etwas auf tamachek, was ich nicht verstand. Er nahm das Kamel beim Halfter und trieb es auf die Beine. Er winkte mir, also folgte ich ihm und dem Kamel ein paar hundert Meter zu einem Steintrog, der mühsam mit Wasser aus einem Brunnen gefüllt wurde. Das Kamel senkte den Kopf und fing an zu trinken. Es trank zehn Minuten ununterbrochen und füllte sich vor meinen Augen auf und aus. Es mußte fast hundert Liter getrunken haben – vor mir stand das wohlgerundetste und wohlgenährteste Tier, das ich je gesehen hatte.

Byrne kam erst am nächsten Vormittag zurück, aber er kam in seinem Toyota. Abgesehen von der zersplitterten Windschutzscheibe, sah der Wagen nicht viel anders aus als vor dem Beschuß; aber die Kiste hatte ja schon immer ziemlich verbeult ausgesehen, da machten auch ein paar Löcher nicht viel aus.

Billson und ich waren gut ausgeruht – eine bequem durchschlafene Nacht wirkt Wunder –, aber zum erstenmal sah nun Byrne übermüdet aus. Ich sagte: »Du mußt dich mal anständig ausschlafen.«

Er nickte: »Heute nachmittag ruhe ich mich aus, und heute abend geh ich früh schlafen. Aber vorher haben wir noch was zu erledigen. Steig ein.«

Ich kletterte in den Wagen, und Byrne legte den Gang ein. Eine frische Brise fegte durch den Wagen. »Von nun an haben wir immer viel frische Luft im Auto«, sagte ich. »Wohin fahren wir?«

»Wir lauern einer Bande von Touristen auf«, sagte er zu meiner Überraschung. »Sprichst du deutsch?«

»Soso, lala«, sagte ich.

»Vielleicht kommen wir damit hin. Kissack ist in Bilma. Er hat Bailly ins Hospital gebracht, oder was man hier dafür hält, und eine Geschichte von einem Autounfall erzählt, um Baillys Fußverletzung zu erklären. Das hat man ihm auch geglaubt, weil es hier keinen Arzt gibt. Er soll morgen ausgeflogen werden.«

»Er konnte ja auch nicht gut angeben, er sei überfallen worden – nicht nach dem, was er mit uns getrieben hat. Aber warum melden wir das nicht der Polizei?«

»Und wie erklären wir deine Anwesenheit? Du bist illegal nach Niger eingereist.« Byrne schüttelte entschieden den Kopf. »Polizei! Dann sitzen wir hier monatelang fest, mit oder ohne Visa. Außerdem rechne ich mit Kissack auf meine Weise ab.«

»Und was haben die deutschen Touristen damit zu tun?«

»Mir ist eingefallen, daß Kissack von dir nichts weiß.«

Damit konnte Byrne recht haben. In England hatte ich niemandem erzählt, wohin ich geflogen war. Da dachten alle, ich sonnte mich, wie Charlie Malleson vorgeschlagen hatte, in Jamaica – und sicher nicht in einem so ungewöhnlichen Ort wie Bilma. Und wenn ich auch auf Tuchfühlung an Kissack herangekommen war – er mußte mich für einen namenlosen Targui gehalten haben. Nur zweimal hatte er mich gesehen: im Hotel de l'Air und im Visier seines Gewehres.

Byrne sagte: »Ich möchte, daß du dich an Kissack ranmachst. Und rauskriegst, was er vorhat.«

»Aber diese deutschen Touristen?«

»Ich habe mit einem Touristenführer aus der Ténéré gesprochen, mit einem Targui namens Rhossi. Der hat mir erzählt, daß heute eine deutsche Reisegruppe von Norden runterkommt – er soll mit den Leuten die Ténéré durchqueren. Regierungsvorschrift. Reisegruppen dürfen ohne Führer nicht durch die Ténéré.«

Das überraschte mich wenig. »Na und?«

»In Bilma halten sich nicht viele Europäer auf. Du kannst also nicht einfach reinmarschieren und Kissack anquatschen. Du würdest sofort den Bullen auffallen, und die würden dann deine Papiere sehen wollen. Aber wenn du mit einem Haufen Touristen ankommst, kannst du dich unauffällig im Hintergrund halten. Ich setz dich ein paar Kilometer vor Bilma ab. Du mußt dann per Anhalter weiterkommen.«

Das konnte klappen. Europäer würden immer einen anderen Europäer auf der Straße auflesen. »Was soll ich denn diesen Touristen erzählen?«

»Mensch, was du willst! Oder nein. Zehn Kilometer vor Bilma, gleich neben der Straße, gibt es Felsmalereien. Erzähl ihnen halt, du wärst dahin spaziert, aber jetzt wärst du zu müde, zu Fuß heimzulaufen. Wär ganz gut, wenn du dir vorher die Felsmalereien ansehen würdest.«

Also fuhren wir die Piste hoch, die von Bilma aus nach Norden führt, und schauten uns die Felszeichnungen an. Es waren eigentlich mehr Ritzungen, die in das senkrechte Gestein geschnitten waren. Die Motive waren recht interessant: allerhand Vieh mit gespreizten Hörnern, ein Reiter auf einem Pferd, das unverkennbar ein Hengst war – der Reiter war allerdings nur wie ein Strichmännchen dargestellt –, und dann noch, ganz überraschend, ein Elefant, und der war in einer einzigen, durchgehenden Linie, auf die ein Picasso hätte stolz sein können, verewigt.

»Ein Elefant?«

»Warum nicht?« fragte Byrne. »Was meinst du denn, wo Hannibal die Elefanten für seine Alpenüberquerung herhatte?«

Diese Frage hatte mich nie beunruhigt.

Byrne sagte: »Der nordafrikanische Elefant ist vor zweitausend Jahren ausgestorben. Ich hab' allerdings noch Skelette gesehen. Es waren Zwergelefanten, halb so groß wie der indische Elefant.«

Ich blickte über das vegetationsarme Land ringsum. Hier wuchs nicht einmal genug für ein Zwergkaninchen. Ich sah mir noch einmal die Zeichnungen an. »Wie alt?«

»Vielleicht zweitausend Jahre. Allerdings nicht so alt wie die Malereien im Tassili.« Er wies auf einige Zeichen – Kreuze, Kreise, Vierecke, Punkte. »Das ist jünger. Das ist Tifinagh, die Tamachekschrift.«

»Und was heißt das?«

»Kann's leider nicht lesen.« Er lächelte. »Vielleicht heißt es so etwas wie ›Ich liebe Lucy‹ oder ›Kilroy war hier‹. Am besten ziehst du dir was anderes an.«

Und damit verwandelte ich mich wieder in einen Europäer. Hemd und Hose wirkten seltsam beengend nach der Freiheit, die mir die Gandura gewährt hatte. Byrne fuhr auf die Piste nach Bilma zurück. »Der Reiseleiter wird wahrscheinlich alle Pässe einsammeln und zur Überprüfung im Fort vorlegen. Dich wird er natürlich nicht nach dem Paß fragen. Misch dich einfach nur unter die Leute, damit es so aussieht, als gehörtest du dazu. Kurz danach wird sich die Gruppe auflösen, um sich Bilma anzuschauen. Das ist dann deine Chance, Kissack aufzustöbern.«

»Hoffentlich lassen die Bullen nicht abzählen«, sagte ich. Aber Byrne schüttelte den Kopf. »Und wo finde ich Kissack?«

»Du mußt eben überall herumschauen. Achte auf einen Rangerover. Außerdem gibt es noch einen vergammelten Schuppen, der sich Restaurant nennt. Auf jeden Fall kriegst du da ein Bier.«

Er ließ mich am Straßenrand stehen und fuhr davon. Freundlicherweise ließ er mir etwas Wasser da – in einer Feldflasche, die ihren verschlungenen Schicksalsweg offenbar in der britischen Armee begonnen hatte.

Die deutsche Reisegruppe gab mir nach etwa drei Stunden Wartezeit die Ehre ihres Erscheinens: achtzehn Leute in vier Landrovern mit verlängertem Radstand. Ich stellte mich auf die Piste und hob die Hand. Gleich der erste Landrover hielt. Mein Deutsch, das ich einmal bei der Britischen Rheinarmee gelernt hatte, war grammatikalisch etwa so wie Byrnes Französisch, aber ich kam damit zurecht. Kein Ausländer nimmt es einem übel, wenn man seine Sprache schlecht spricht, sofern man es nur überhaupt versucht. Außer den Franzosen natürlich.

Der Fahrer dieses Autos war auch der Reiseleiter; er war gern bereit, mich bis Bilma mitzunehmen, sofern ich mich neben ihm dünn zu machen bereit war. Dann sah er mich neugierig an: »Was hat Sie denn in diese Wildnis geführt?«

»Ich bin von Bilma aus hierher spaziert, um mir die Felszeichnungen anzusehen«, lächelte ich. »Aber ich möchte nicht gern noch einmal die ganze Strecke laufen.«

»Ich wußte gar nicht, daß es auch hier Felszeichnungen gibt. Im Norden, am Col des Chandeliers, da gibt es ja viele. Aber hier?«

»Nur drei Kilometer von hier landeinwärts.«

»Können Sie uns das zeigen? Es würde meine Leute bestimmt interessieren.«

»Selbstverständlich. Mit dem größten Vergnügen.«

Und schon stand ich wieder vor dem zweitausendjährigen Vieh, dem Hengst und den Elefanten. Ein Glück, daß Byrne mit mir diesen Abstecher gemacht hatte. Wir verbrachten etwa zwanzig Minuten in den Felsen, und die Deutschen knipsten fleißig mit ihren japanischen Kameras. Es war eine gemischte Gesellschaft: Teenager, aber auch alte Leute; ich hätte gern gewußt, was sie in der Wüste suchten, denn die üblichen Gesellschaftsreise-Typen waren das nicht. Kaum eine halbe Stunde später fuhren wir die lange Steigung hinauf, die zum Fort in Bilma führt. Die Landrover wurden mit deutscher Präzision vor dem Tor in Reih und Glied geparkt, und ich öffnete die Tür. »Vielen Dank fürs Mitnehmen.«

Der Fahrer nickte. »Mein Name ist Helmut Schäffer. Vielleicht sehen wir uns noch auf ein Bier im Restaurant?«

»Eine gute Idee. Ich bin Max Stafford. Wo ist das Restaurant?«

»Das wissen Sie nicht?« Überraschung lag in seiner Stimme.

»Von Bilma selbst habe ich noch nicht viel gesehen. Wir sind erst gestern abend angekommen.«

»Ach so.« Er zeigte die Straße hinab und dann rechts. »Dort drüben. Sie können es nicht verfehlen.«

Wie Byrne vorausgesagt hatte, sammelte er nun die Pässe ein. Ich stand noch ein wenig herum und sprach mit einem Herrn in mittleren Jahren, der sich über die Wunder verbreitete, die er im Norden besichtigt hatte. Schäffer trug den Stapel Pässe ins Fort, und die Reisegesellschaft zerstreute sich. Ich schlenderte nun auch lässig davon und hielt mich an ein Trio, das offenbar das Restaurant ansteuern wollte.

Auch das war genau so, wie Byrne es beschrieben hatte – ein vergammelter Schuppen. Die Touristen warfen zweifelerfüllte Blicke auf das sonnengebleichte Schild und die abbröckelnden Wände und murmelten wenig Vertrauensvolles, entschlossen sich aber dann doch, den Vorstoß zu wagen. Ich folgte ihnen dicht auf den Fersen.

Die Wände waren nackt, an der einen Seite gab es eine Theke, außerdem ein paar altgediente Tische, unordentlich verteilte Stühle und an zwei Wänden eine Bank. Auf der Bank an einem Ecktisch saß Kissack.

Der Mann neben Kissack trug Landestracht, aber ein Targui war er nicht, denn er hatte keinen Schleier. Wahrscheinlich der Araber, den Konti gesehen hatte. Kissack stocherte in einem Omelett.

Kissack blickte hoch und beäugte uns neugierig. Ich drehte mich weg und fing mit einem Deutschen neben mir ein Gespräch an und warf die Frage auf, ob das Essen hygienisch einwandfrei sei; der Tourist riet mir, mich an Eier zu halten. Kissack verlor das Interesse an uns und schaute sich wieder an, was er auf dem Teller hatte.

Das brachte mich auf eine Idee. Ich ging durch den Gastraum zu ihm hin, baute mich vor seinem Tisch auf und fragte ihn auf deutsch, ob er das Omelett empfehlen könne.

Er sah mich an und sagte: »Wie? Sprechen Sie kein Englisch?«

Ich produzierte ein Lächeln, wiewohl mir nicht danach zumute war, diesen Mörder anzulächeln, und plapperte in fröhlichem Englisch drauflos: »Wollte fragen, ob das Omelett okay ist. Sorry, aber ich war die ganze Zeit mit diesen Leuten unterwegs, da spricht man schon automatisch deutsch.«

Er brummte nur. »Das Omelett ist nicht schlecht.«

»Vielen Dank. Mit einem Bier kriegt man's sicher runter.« Ich setzte mich an den Nebentisch, dicht neben ihn.

Er wandte sich ab und sprach leise mit dem Araber. Die Sonne hatte Kissack nichts erspart. Er hatte Sonnenbrand im Gesicht, die Haut schälte sich. Das tat mir gut – seinen Mörderlohn verdiente er sich nicht auf die leichte Tour. Der Kellner kam, ein Flugzeug dröhnte niedrig über die Stadt. Kissack machte eine hastige Bewegung, der Araber stand auf und ging hinaus. Ich bestellte mir ein Bier und ein Omelett. Ich drehte mich um und schaute durch das Fenster hinter mir. Der Araber ging zum Fort hinauf.

Bald kam auch das Bier, ein nicht allzu sauberes Glas wurde mir hingestellt. Ich schenkte mir aus der Bierflasche ein und fragte mich, wie ich Kissack angehen sollte. Byrne hatte gut reden: »Dann setzt du dich zu ihm und quetschst ihn aus.« So weit war ich nun, aber wie weiter? Ich konnte ihn ja nicht gut fragen: »Na, wie läuft denn so das Killergeschäft?«

Aber irgendwie mußte ich anfangen, und die alten Maschen sind vielleicht immer noch die besten. Also fragte ich dummdreist: »Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«

Er brummte und sah mich von der Seite an. »Woher kommen Sie denn?«

»Aus dem Norden. Über den Col des Chandeliers.«

»Da bin ich nie gewesen.« Er wandte sich wieder seinem Teller zu.

Ich blieb am Mann. »Dann muß es in England gewesen sein.«

»Nein«, sagte er patzig und sah nicht einmal mehr hoch. Ich trank von meinem Bier. Verdammter Byrne! Wie gut hatte sich der Plan angehört; Landsleute, die sich auf Reisen treffen, plaudern doch sonst immer gern ein bißchen. Aber Kissack war schlecht gelaunt, mürrisch und höchst ungesellig. »Ich hätte schwören können …«, sagte ich.

Kissack blaffte mich an. »Hören Sie mal zu, Mensch – ich war seit zehn Jahren nicht mehr in England!« Das war eine deutliche Abfuhr. Für ihn war das Thema beendet.

Ich trank, ich wartete auf mein Omelett, ich war sauer auf Kissack. Ich wollte eben schwereres Geschütz auffahren, als jemand durch den Gastraum »Herr Stafford!« rief. Ich zuckte zusammen.

Schäffer kam auf mich zu. Ich warf einen Seitenblick auf Kissack, aber offenbar bedeutete ihm mein Name nichts. Ich atmete auf.

»Hallo, Helmut!« sagte ich und hoffte, daß diese Vertraulichkeit ihn nicht überraschte. »Wie wär's mit einem Bier?« Er setzte sich zu mir, und im gleichen Augenblick bedauerte ich auch schon meine Einladung. Schäffer konnte mir unwissentlich ein Bein stellen, indem er verriet, daß ich nicht zu seinem Verein gehörte. Zum Glück war sein Englisch nicht sehr gut.

»Hat alles geklappt im Fort?« fragte ich ihn auf deutsch.

Er hob die Schultern. »Die haben jetzt keine Zeit für uns. Aus Agades ist ein Flugzeug angekommen, um einen Kranken auszufliegen. Ich habe die Pässe im Fort gelassen; ich hole sie erst später ab.«

Der Kellner stellte ein Omelett vor mich hin, und ich bestellte ein Bier für Schäffer. Kissack bestellte sich auch noch ein Bier, also wollte er noch eine Zeitlang bleiben. Ich ging ihn noch einmal an: »Aber wissen Sie, ich habe Sie doch schon irgendwo einmal gesehen.«

Er gab ein paar gelangweilte Töne von sich.

»Kann es nicht in Tamanrasset gewesen sein? Sie fuhren da einen Rangerover.«

Das saß. Er wurde sehr still, führte sein Glas halbwegs zum Mund und nicht weiter. Mit versteinertem Blick nahm er an mir Maß. »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus, Sportsfreund?«

»Ach, nichts«, sagte ich kühl. »So was macht mich halt nervös. Aber nun freue ich mich, daß ich mich doch nicht getäuscht habe. Sie waren also in Tamanrasset.«

»Na wennschon? Was geht das Sie an?«

Ich griff mein Omelett an. »Nichts.« Ich wandte mich Schäffer zu und sprach wieder deutsch. »Was ich noch sagen wollte – Rhossi, Ihr Reisebegleiter, ist schon hier in Bilma. Jemand sagte mir, er warte auf eine deutsche Gruppe; ich nehme an, das sind Sie. Haben Sie ihn schon gesprochen?« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Kissack mich anstarrte. Ich konnte nur hoffen, daß er kein Wort Deutsch sprach.

Schäffer schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich kampiert er in Kalala bei den Salzwerken.«

Nun nahm ich wieder Kissack unter Beschuß. »Ich habe gerade meinen Freund Helmut gefragt, ob er schon unseren Reiseführer gesprochen hat. Man braucht nämlich einen Reiseführer, wissen Sie, wenn man durch die Ténéré will.«

»Wann waren Sie in Tamanrasset?« fragte Kissack plötzlich.

»Offenbar, als Sie auch da waren«, sagte ich. »Ach, da fällt mir gerade ein – haben Sie etwas von dem Burschen gehört, der in Tam verschwunden ist? Ebenfalls Engländer. War eine ziemliche Aufregung, als ich abfuhr.«

Kissack machte sich die Lippen feucht. »Wie hieß denn dieser Engländer?«

»Wilson«, sagte ich. »Nein, das stimmt nicht. Williamson? Nein, auch nicht. Mein Gedächtnis spielt mir wirklich Streiche. Erst diese Sache mit Ihnen, jetzt dieser Engländer – wie hieß er doch gleich?« Ich zog die Stirn in Falten. »Billson!« sagte ich triumphierend. »Ja, so hieß er. Die Polizei war ziemlich aus dem Häuschen, aber Sie wissen ja, wie diese Algerier sind. Verdammte Bürokraten mit Maschinenpistolen!«

Der Kellner stellte eine Flasche Bier und ein Glas vor Schäffer auf den Tisch und auch eine Flasche vor Kissack. »Was ist mit diesem Billson passiert?« Seine Stimme war mehr als beherrscht.

Ich antwortete nicht gleich. Ich stopfte mir ein Stück Omelett in den Mund. Nun hatte ich Kissack so fest an der Angel, daß er Fragen stellte, das war schon ein Fortschritt, und das Omelett war wirklich nicht schlecht. Ich schluckte und sagte: »Er ist ohne Genehmigung in den Atakor gefahren und nicht mehr zurückgekommen. Die wildesten Gerüchte liefen in der Stadt um, als ich abreiste.«

»Was für Gerüchte?«

»Ach, das Übliche, wenn so etwas passiert. Zum größten Teil natürlich völlig unglaubwürdig.«

Jetzt zappelte er schon ganz schön, denn er fragte noch einmal: »Was für Gerüchte?«

Ich zuckte die Achseln. »Also, zum Beispiel hörte ich einmal, sein Landrover wäre völlig ausgebrannt hinter dem Assekrem gefunden worden. Kennen Sie die Gegend?«

»Nicht sehr gut«, sagte Kissack verkrampft.

»Das ist wirklich ein verdammt gutes Omelett«, sagte ich. »Ja, und dann sagten die Leute auch, der Leichnam wäre rausgeholt worden und dieser Billson wäre an einem Sonnenstich gestorben. Aber dann sagten andere Leute, nein, er wäre noch am Leben gewesen, als man ihn fand, aber es hätte jemand auf ihn geschossen. Wie gesagt, lauter unglaubwürdiges Gewäsch. So etwas passiert doch heutzutage gar nicht mehr, meinen Sie nicht? Die Wüste ist doch jetzt ziemlich zivilisiert.«

»Worüber sprechen Sie?« fragte Schäffer. Er grinste. »Ich spreche Tamachek besser als Englisch. Ich höre die ganze Zeit Tamanrasset und Atakor und Assekrem.«

»Ach, es geht da um einen Engländer, der in der Nähe von Tam verschwunden sein soll.«

Kissack machte ein finsteres Gesicht. »Gibt's auch Gerüchte darüber, was schließlich aus diesem Billson geworden ist?«

»Zuletzt habe ich gehört, er läge unter Polizeibewachung in Tam im Krankenhaus – Hausarrest, gewissermaßen. Aber das ist sicher auch wieder nur so ein Gerücht.«

Kissack schwieg und goß sich endlich sein Bier ein. Er dachte scharf nach, fast konnte man sehen, wie sich die Rädchen in seinem Gehirn drehten. Ich wandte mich wieder Schäffer zu und sprach mit ihm – auf deutsch – über die Probleme einer Ténéré-Durchquerung. Einige Zeit später sagte Kissack: »Stafford – Sie heißen doch Stafford, oder?«

»Ja, was ist?«

»Wie sind Sie von Tam hierhergekommen?«

Das war eine verdammt gute Frage. Ich versuchte, mir die Landkarte wieder vor Augen zu führen, und sagte wie nebenbei: »Von Tam aus bin ich nach Djanet geflogen und dann mit der Reisegesellschaft nach Süden gekommen. Warum?«

»Was haben Sie in Tam gemacht?«

»Ich wüßte nicht daß Sie das etwas anginge, aber ich interessiere mich für Charles de Foucauld; ich wollte sehen, wie und wo er gelebt hat.«

Kissack sagte: »Sie sind ein verdammter Lügner!« Er nickte zu Schäffer hin. »Die Reisegruppen, die von Djanet herunterkommen, müssen sowieso durch Tam. Warum also sollten Sie zweimal in Tam gewesen sein?«

Ich stand langsam auf. »Weil ich mich in Agades von der Gruppe trennte und nach Kano weiterreiste. Deshalb. So – und nun stehen Sie von Ihrer verdammten Bank auf und zeigen Sie, daß Sie ein Kerl sind. Lügner lasse ich mich von niemandem nennen!«

Kissack sah zu mir hoch, rührte sich aber nicht. Schäffer sagte: »Was ist los?« Den Wortwechsel hatte er nicht mitbekommen, aber was in der Luft lag, war auch ohne Sprachkenntnisse zu verstehen.

»Dieser Mann hat mich einen Lügner geschimpft!« schrie ich. Plötzlich überkam mich eine solche Wut auf Kissack, daß ich ihm mit bloßen Händen ans Fell wollte. Ich packte ihn am Hemd und riß ihn hoch. Der Tisch stürzte um, Glas zersplitterte am Boden. Kissack griff mit der Hand in seine Jacke; ich rammte ihm meinen Ellbogen in die Rippen und spürte, daß er da eine Waffe hatte.

Schäffer packte mich von hinten und drängte mich zur Seite. »Herr Stafford, machen Sie doch hier keinen Ärger«, sagte er, sein Mund war dicht neben meinem Ohr. »Das Gefängnis hier ist nicht sehr gut.«

Kissack hielt seine Hand unter der Jacke. Ich schüttelte Schäffer ab und drohte Kissack mit dem Finger. »Sie wollen auch keine Polizei hierhaben, stimmt's? Nicht mit diesem Ding da in der Jacke. Da hätten Sie allerhand zu erklären.«

Der Barmann kam mit einem Stück Eisenrohr in der Hand von hinten heran, blieb aber stehen, als Schäffer auf arabisch auf ihn einredete. Kissack zog seine Hand leer aus der Jacke. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.« Mit flatterndem Blick sah er auf den Barmann. »Das ist sowieso ein verdammt lausiger Laden.« Er steckte seine Hand in die Tasche, zog ein paar Geldscheine heraus und warf sie auf den Boden. Dann ging er. Irgendwo hörte ich jemanden auf deutsch sagen: »Da prügeln sich ein paar Engländer – Besoffene wahrscheinlich.«

»Herr Schäffer«, sagte ich, »sagen Sie dem Wirt, daß ich für den Schaden aufkomme. Ihr Arabisch ist besser als mein Französisch.«

Er nickte und gab ein paar rachenkratzende Sätze auf arabisch von sich. Der Barmann nickte kurz und unfreundlich, hob das Geld vom Boden auf und verzog sich wieder hinter seine Theke. Schäffer sagte: »Brechen Sie hier lieber keinen Streit vom Zaun, Herr Stafford.« Er schüttelte den Kopf. »Das ist nicht sehr klug von Ihnen.«

»Ich bin provoziert worden«, sagte ich. Ich schaute durchs Fenster und sah Kissack auf den Haufen schmutzfarbener Häuser zugehen, die Bilma darstellten. Die Sache war verpatzt. Ich hatte nichts Wertvolles aus ihm herausgebracht. Schlimmer: Nun hatte er sicher Verdacht geschöpft.

Aber vielleicht war doch noch etwas aus der Situation herauszuholen. Ich mußte nur schnell sein. Ich ging an die Theke und legte einen Geldschein hin. Der Barmann sah mich an und zuckte mit keiner Wimper. Also legte ich ihm noch einen Schein hin. Ich mußte noch zweimal Scheine hinlegen, bis er endlich einmal kühl nickte. Schnell ging ich auf die Straße, sah mich nach Kissack um. Wenn ich ihn allein erwischte, würde er mir noch allerhand erzählen müssen – Pistole hin oder her.