21. Kapitel
Acht Kilometer hinter Agades bogen wir querfeldein zum Treffpunkt mit Hamiada ab. Hamiada hatte bereits das Lager aufgeschlagen und ein Zelt hochgezogen. Wir legten uns früh schlafen, um zeitig zur Durchquerung der Ténéré aufzubrechen.
Am Morgen gab ich Billson die Jeans und die Hemden, die ich gekauft hatte. »Sie können nicht andauernd in einem Bürovorsteher-Anzug durch die Wüste marschieren«, sagte ich. »Ziehen Sie lieber das hier an. Die Größe müßte stimmen.«
Er lehnte ab, und ich sagte: »Paul, Sie sind wirklich ein verdammter Narr! Kissack hat Ihre Beschreibung und weiß, was Sie tragen.« Ich zuckte die Achseln. »Aber ganz, wie Sie wollen.«
Paul wechselte sehr schnell die Kleider.
Ich bemerkte, daß Hamiada einen Haufen Akazienzweige geschnitten hatte, die er nun in Bündeln zusammenband und hinten in den Wagen legte. Ich sprach Byrne darauf an, und er sagte: »Wenn wir warme Mahlzeiten wollen, brauchen wir Brennmaterial.« Er nickte in Richtung Osten. »Da draußen wächst nichts.«
Hamiada ritt mit den Kamelen nach Timia zurück. Wir brachen in die entgegengesetzte Richtung auf, erst genau nach Osten, dann bogen wir leicht in nordöstlicher Richtung ab. Die ersten achtzig Kilometer strengten uns kaum an; die Piste war einigermaßen befahrbar, und wir konnten eine Durchschnittsgeschwindigkeit von fünfzig Stundenkilometern beibehalten. Aber dann verlor sich die Fahrspur, wir gerieten auf schwierigen Boden; bald kamen Sandverwehungen und schließlich Dünen.
»Das ist also ein erg«, sagte ich.
Byrne lachte nur. »Noch nicht.« Er wies auf eine halbmondförmige Düne, an der wir vorüberfuhren. »Wanderdünen«, sagte er. »Ständig in Bewegung. Der Wind treibt sie vor sich her. Nicht sehr schnell – aber sie wandern. Der ganze Sand ist in Bewegung. Deshalb gibt es hier auch keine Piste.«
Allmählich machten die Wanderdünen größeren Sandgebilden Platz, eine Hügellandschaft aus Sand. Die Berge der Air waren längst hinter uns am Horizont verschwunden. Byrne steuerte geschickt, hielt sich in den Talsohlen und schlängelte sich zwischen den Dünen hindurch. Ich begriff nicht, woran er den Weg erkannte, aber er schien sich keine Sorgen zu machen. Während wir dahinrollten, verbreitete er sich über die unterschiedlichen Sandarten.
»Hier geht's noch ganz gut«, sagte er. »Hier könnte man wenigstens noch gefahrlos anhalten. Schlimm ist nur der fech-fech.«
»Was ist das?«
»Es gibt Zeiten hoher Luftfeuchtigkeit – jedenfalls nach Wüstenmaßstäben. In Winternächten gefriert die Luftfeuchtigkeit und bildet auf der Sandoberfläche Eis. Dadurch entsteht eine Kruste über dem weicheren Sand; die ist zwar auch noch befahrbar, aber wenn du anhältst, brichst du durch bis zu den Achsen.« Und einige Zeit später merkte er noch an: »Kamelen macht das natürlich nichts aus.«
Ein anderes Mal sagte er: »Vor ein paar Jahren kam ich im Norden, bei Hassi-Messaoud, wo die Ölquellen sind, an einem Laster vorbei. Schwerer Brummer – hundert Tonnen. Russisches Fabrikat, für den Transport von Bohrgerät. Die Fahrer waren auch Russen, und sie zeigten mir, wie ihr Speziallaster funktionierte. Acht Achsen, sechzehn riesige Ballonreifen, und durch Knopfdruck konnte von der Fahrerkabine aus der Luftdruck in den Reifen reguliert werden. Die Idee war nicht schlecht. Damit hofften sie, auch bei maximaler Belastung den Druck auf die Bodenfläche so ausjonglieren zu können, daß er pro Quadratzentimeter dem Gewicht eines Kamels entsprach. Wirklich ein hübsches Spielzeug.«
»Genial.«
»Fast.« Er lachte. »Aber sie gingen schlampig mit dem Ding um. Fünf Reifen saßen verkehrtherum dran. Und ein paar Wochen später hörte ich, was passiert war. Auf einer Fahrt machten die Russen abends Rast, aßen zu Abend und legten sich dann schlafen. Der Brummer stand auf fech-fech, und mitten in der Nacht brach er durch. Die Russen hatten unter dem Wagen geschlafen – sie kamen beide ums Leben. Sie sind nie rausgeholt worden. Der Apparat steht immer noch im Sand.« Wieder schwieg er eine Weile, dann gab er seinen Kommentar: »Lausige Stinkpötte! Hab' sie nie leiden können. Außer, wenn ich's eilig habe, wie jetzt.«
Nach einiger Zeit flachten die Dünen zur Ebene ab, und wiederum einige Zeit später rief Byrne: »Der Baum!« In der Ferne, am Horizont voraus, schien ein schwarzer Punkt auf, der genausogut eine optische Täuschung sein konnte – ein Stäubchen im Auge –, sich aber dann doch als einsamer Dornbaum mit weitausgebreiteten Zweigen entpuppte. Auch der Brunnen war da, in einiger Entfernung, und der ganze Boden ringsum war mit Kamelmist, der wie Oliven aussieht, übersät. Ein paar Kamelskelette lagen auch herum, manche noch mit Fell überzogen, sie waren von der trockenen, heißen Wüstenlandschaft mumifiziert worden.
Byrne sagte: »Wir machen hier Rast und genehmigen uns eine Mahlzeit. Aber nicht am Brunnen. Da sind mir zu viele stechfreudige Insekten.«
Wir fuhren in einiger Entfernung vorbei, und plötzlich sagte Paul: »Da steht ein Mann an dem Baum.«
»Tatsächlich«, sagte Byrne. »Ein Mann allein. Das ist ungewöhnlich. Fahren wir mal hin und fragen ihn, wer er ist.«
Byrne schlug das Lenkrad ein, unter dem Baum hielt er an. Der Mann war kein Targui; er trug keinen Schleier, und seine Haut war dunkel – tiefes, sattes Braun. Er war auch kleiner als die Tuareg und nicht sehr gut gekleidet. Er trug eine schwarze Gandura, sein Kopftuch war wirr verschlungen.
Byrne stieg aus und sprach eine Zeitlang mit dem Mann, dann kam er zum Wagen zurück. »Ein Teda aus der Tibesti. Er steht schon seit drei Tagen hier und wartet, daß jemand vorbeikommt. Er will nach Osten und kann allein nicht weiter.«
»Wie ist er denn bis hierher gekommen?«
»Zu Fuß. Hat's gerade noch so eben geschafft. Die zwei letzten Tage ohne Wasser. Hast du was dagegen, wenn wir ihn mitnehmen?«
»Es ist dein Wagen«, sagte ich. »Und du bist der Boß.«
Byrne nickte und winkte dem Mann. Langsam schritt er auf den Toyota zu. Er hatte einen vergammelten Ziegenlederbeutel bei sich, der – wie Byrne erklärte – dscherba genannt wird und in dem die Wüstenbewohner Wasser mit sich führen. Byrne zeigte auf den Beutel, stellte eine Frage und deutete auf den Brunnen. Der Mann gab eine Antwort und entleerte dann, auf ein Wort von Byrne, die dscherba in den Sand.
»Man kann's natürlich trinken, wenn's unbedingt sein muß«, sagte Byrne. »Aber wirklich nur im Notfall. Vor ein paar Jahren ist eine Antilope in den Brunnen gestürzt, und seitdem ist das Wasser verdammt miserabel.«
Als wir weiterfuhren, fragte ich: »Wie heißt der Mann?«
»Das hat er nicht gesagt. Er hat nur gesagt, früher hätte er den Namen Konti getragen.«
»Sehr komisch«, meinte ich.
»Keineswegs«, erklärte Byrne. »Es bedeutet nur, daß er ein Mörder ist.« Byrne schien das nichts auszumachen.
Ich drehte mich um und sah mir den Mann hinten im Wagen an, der einmal Konti geheißen hatte. »Was, um Himmels willen …«
»Schon gut«, sagte Byrne. »Er wird uns nicht umbringen. Das ist kein Berufsmörder. Wahrscheinlich hat er zu Hause jemanden aus Blutrache umgebracht und mußte dann verduften. Jetzt glaubt er wohl, ungefährdet wieder heimkehren zu können, oder er hat Bescheid bekommen, daß die Familie das Blutgeld bezahlt hat.«
Byrne hielt den Wagen einen guten Kilometer hinter dem Baum an. Wir stiegen aus. Byrne holte ein Metallrohr aus dem Wagen. »Hilf mir mal, das Ding zu füllen«, sagte er. Am Rohrende saß ein Messingverschluß, den er abschraubte. Nun sah ich, daß das Ding aus zwei ineinanderliegenden Rohren bestand. Byrne füllte den Zwischenraum zwischen den Rohren, die Außenwandung also, mit Wasser aus einem Kanister. »Das ist nach dem Vulkanprinzip gebaut«, sagte er dabei. »Die wirtschaftlichste Methode, Wasser zu kochen.« Eigentlich ganz einfach. Der Wasserraum, der einen Liter aufnehmen konnte, umgab gewissermaßen einen Kamin, in dessen Brennkammer unten Byrne nun ein Papierknäuel und ein paar Akazienzweige stopfte, anschließend – nachdem er das Ganze mit einem Streichholz angezündet hatte – auch noch ein paar Kamelmist-Oliven. Es brannte heftig, aber ohne Geruch. Fünf Minuten später hatten wir kochendheißes Wasser. Unsere Mahlzeit bestand aus Brot, Käse und Minztee, und unser Mörder langte auch kräftig zu. »Frag ihn doch nach seinem Namen«, bat ich Byrne. »Ich kann ihn doch nicht ständig ›der Mann, der früher Konti hieß‹ nennen.«
Während Byrne mit dem Mann sprach, sagte Paul plötzlich: »Wenn ein Mörder im Wagen ist, fahre ich nicht weiter mit. Ich bin nicht gefragt worden, ob er sich uns anschließen darf.«
Byrne brach abrupt sein Gespräch ab und ging auf Paul los. »Dann werden Sie den Rest des Weges zu Fuß zurücklegen müssen, die Richtung können Sie sich aussuchen. Dieser Mann ist vermutlich ein besserer Mensch als Sie. Und der Grund, weshalb Sie niemand nach Ihrer Meinung gefragt hat, ist ganz übersichtlich. Es kümmert mich einen Dreck, was Ihnen paßt oder nicht paßt. Kapiert?« Er wartete keine Antwort ab und unterhielt sich weiter in gutturalen Lauten mit dem Mörder.
Pauls Gesicht nahm die Farbe von gekochten roten Beten an. Ich sagte milde: »Ich hab' Ihnen doch gesagt, daß Sie Byrne aus dem Weg gehen sollen. Sie lernen auch niemals dazu, nicht wahr?«
»So darf er nicht mit mir reden!« murmelte Paul.
»Er hat aber soeben so mit Ihnen geredet«, klärte ich ihn auf. »Und was, zum Teufel, gedenken Sie dagegen zu unternehmen? Nichts. Denn zwischen Ihnen und dem Tod steht einzig und allein Byrne.«
Er verfiel in schmollendes Schweigen.
Byrne hatte sein Gespräch beendet und berichtete mir. »Er hat nichts dagegen, wenn man ihn nun wieder Konti nennt. Ich kenne mich in seiner Sprache nicht gut aus, aber er kann etwas Arabisch – ich habe mich kaum geirrt. Vor drei Jahren hat er in der Tibesti einen Mann getötet, und er ist seitdem auf der Flucht. Vor kurzem hat er erfahren, daß das Blutgeld entrichtet ist, also darf er nun wieder heim.« Er hielt inne. »Blutgeld ist vielleicht nicht das richtige Wort – Blutkamele. Geld ist nicht so geläufig in der Tibesti.«
»Wie viele Kamele ist denn ein Menschenleben wert?«
»Fünf.«
»Oder die Hälfte eines Flugzeugs Baujahr 1930.«
»So kann man's auch sehen«, sagte Byrne. »Der Namenswechsel ist natürlich nur ein Ritual. Weißt du, was Konti gemacht hat, als er flüchtete? Er tötete eine Antilope, schnitt sich zwei Stücke aus den mächtigen Eingeweiden heraus und zog sie sich wie Strümpfe über die Füße. Dann sprang er so lange auf und ab, bis der Überzug zerriß. Ein Symbol für die Vernichtung der Spur – verstehst du?«
»Unheimlich«, fand ich.
»Ja, komische Leute, diese Teda. Sind mit den Tuareg verwandt, aber das geht weit in die Vergangenheit zurück.« Er blickte zur Sonne hoch. »Wir müssen weiter. Ich will vor Einbruch der Dunkelheit hinter Fachi sein.«
Wir fuhren schnell und gelangten bald in eine Region, in der die Dünen immer höher wuchsen, oft über hundert Meter hoch. Da Byrne die ganze Zeit am Steuer gesessen hatte, bot ich ihm an, ihn abzulösen. Aber davon wollte er nichts wissen. »Später vielleicht, nicht hier. Du bleibst nur im Sand stecken. Durch weichen Sand zu fahren, ist eine Kunst. Man muß die Windkanten genau im richtigen Winkel angehen.«
Einmal erspähte ich ein Tier mit großen Ohren, das über eine Düne huschte. »Ein Wüstenfuchs«, sagte Byrne. »Verschafft sich Flüssigkeit, indem er Insekten und Jerboas frißt. Jerboas können in ihrem eigenen Körper Wasser erzeugen. Jedenfalls hat mir das mal einer erzählt, der extra hierher kam, um diese Tiere zu studieren. Im Sommer zeigt sich der Wüstenfuchs nie bei Tag. Da ist es verdammt heiß hier.«
Fachi war eine kleine, elendigliche Oase. Wir waren jetzt über hundertsechzig Meilen vom Baum von Ténéré entfernt. Die Menschen, die hier lebten, waren Negroide, die Frauen trugen Ringe in den Nasen. »Das sind Fulani«, sagte Byrne mit einem Anflug von Geringschätzigkeit. »Die Tuareg mögen sie nicht, und sie mögen die Tuareg nicht. Wir bleiben nicht hier – die stehlen dir die Hose vom Arsch weg.«
Wir hielten nur an, um die Wasserkanister aufzufüllen und eine Zicke zu kaufen, die Byrne sachverständig schlachtete und zerlegte. Unser Nachtlager bauten wir, die Sonne setzte sich eben auf den Horizont, zehn Kilometer weiter auf. Wir kochten und aßen, dann legten wir uns schlafen. Als der Morgen graute, waren wir bereits wieder unterwegs.
Kilometer um Kilometer legten wir durch die erstarrten Wogen des Dünenmeers zurück, manchmal auch, wenn kein Umweg möglich war, über die Dünen hinweg. Einmal sagte ich zu Byrne: »Weiß der Teufel, wie du immer weißt, wo es lang geht.«
»Es ist eben eine Kunst«, sagte er. »Du mußt wissen, welcher Wind in den letzten Monaten vorherrschte. Der Wind bildet den Winkel der Dünenkämme – und daran kann man sich orientieren. Das verändert sich von einem Jahr aufs andere nur wenig – aber wenn du es nicht ganz genau weißt, können ein paar Grad dich auch in die Irre führen. Außerdem mußt du immer die Sonne im Auge behalten.«
Es war fast Mittag, als Byrne beim Überqueren eines Dünenkammes sagte: »Da ist die azelai.«
»Was ist da?«
»Die Karawane, die Mokhtar nach Bilma führt. In Fachi waren sie vor zwei Tagen.«
Das gab mir einen Hinweis auf den Geschwindigkeitsunterschied zwischen einem Kamel und einem Toyota. »Wie lange ist er insgesamt zwischen Agades und Bilma unterwegs?«
»Vier Wochen. Dann zwei oder drei Wochen Rast in Bilma, damit Tiere und Männer sich erholen können. Anschließend geht's mit Salz wieder zurück. Fast drei Monate für die gesamte Hin- und Rückreise.«
Die Karawane bestand aus etwa dreihundert Kamelen und vielleicht zwanzig Kameltreibern. »Fünfzig Kamele gehören mir«, sagte Byrne, dann begrüßte er Mokhtar. Mit dem lässigen, langsamen Schlendergang des Targui kam er auf uns zu, sah mich überrascht an und sagte dann etwas zu Byrne, der auflachte. »Mokhtar glaubt, ich hätte dich zum wahren Glauben bekehrt. Er fragt schon, ob ich etwa dem Propheten Konkurrenz machen will.«
Byrne sah sich die Tiere genau an, eins nach dem anderen, und äußerte sich zufrieden über das Befinden seiner Kamele. Wir kletterten wieder in den Toyota, und weiter ging die Fahrt; die Karawane, die im Fünf-Kilometer-Tempo dahinzog, blieb schnell hinter uns zurück.
Gegen drei Uhr an diesem Nachmittag platzte der rechte Vorderreifen, und das Lenkrad schlug in Byrnes Händen heftig aus. »Hol's der Geier!« sagte er und brachte den Wagen zum Stehen.
Ein Peitschenschlag – und die Windschutzscheibe zersplitterte. Ich hatte in Korea oft genug unter Beschuß gelegen, ich wußte, wie sich das anhört, ich brauchte nicht erst eine zersplitterte Windschutzscheibe zu sehen. »Volle Deckung!« schrie ich. »Feuerüberfall!«
Ich riß am Türgriff und ließ mich in den Sand fallen. Das Feuer kam von rechts, also robbte ich um den Wagen, um Deckung zu haben. Einen knappen Meter neben mir spritzte eine Sandfontäne hoch. Paul war noch im Wagen, da er nicht so schnell schaltete; Byrne zog ihn jetzt heraus. Ich entdeckte, daß ich die Walther in der Hand hielt, aber ich konnte mich nicht erinnern, daß ich sie aus dem Halfter gezogen hatte.
Der Beschuß dauerte an; knappe scharfe Detonationen erfüllten die tote, trockene Luft. Aber es schlugen keine Kugeln mehr in unserer Nähe ein. Byrne stieß mich an. »Dort drüben!« Er zeigte auf die Düne hinter uns.
Konti, der Teda, rannte die Düne hoch und war fast schon auf dem Kamm, etwa zwanzig Meter über uns; die Gandura flatterte hinter ihm her, rings um ihn spritzte der Sand auf. Als er den Grat erreicht hatte, eine Silhouette vom Himmel, schien er zu stolpern, er stürzte mehr als er sprang auf die andere Seite und war verschwunden. Es fielen keine Schüsse mehr.
»Ob's ihn erwischt hat?«
»Weiß nicht«, sagte Byrne, öffnete die Hecktür des Toyota und holte die Lee-Enfield heraus. »Kalkuliere, Kissack hat uns überholt.« Er nahm ein volles Magazin aus seinem Brustbeutel und lud die Waffe.
Wieder fiel ein Schuß – ein dumpfer Schlag und dann das metallische Sausen eines von Metall abprallenden Querschlägers. Der Wagen bebte auf seiner Federung. »Die Bastarde haben uns festgenagelt«, sagte Byrne. »Abhauen ist nicht mehr drin, dann erwischen sie uns.« Er sah zur Düne hinter uns hoch. »Konti hat's nur geschafft, weil er so überraschend gespurtet ist. Schätze, es ist nicht das erste Mal, daß auf ihn geballert wird.«
»Falls er's geschafft hat.«
Wieder knallte eine Kugel ins Blech des Toyota.
»Ja«, sagte Byrne. »Falls.«
Ich sah mich nach Billson um. Er kauerte am Hinterrad und machte sich ganz klein. Byrne folgte meinem Blick. »Der hilft uns wenig«, sagte er. »Auf den brauchen wir nicht zu zählen.«
»Und was machen wir nun?«
»Schießen zurück.«
Wieder ein Schuß – und eine sanfte Explosion, als nun auch aus dem zweiten Reifen die Luft entwich. Byrne sagte: »Wenn er das noch mal macht, sind wir im Eimer. Ich hab' nur zwei Ersatzreifen. Schau doch mal, ob du den Hurenbock nicht ausmachen kannst.«
Vorsichtig hob ich den Kopf, um durch die Seitenfenster des Toyota zu spähen. Die Düne gegenüber war etwa dreißig Meter hoch. Ich suchte die Kammlinie ab. Wieder knallte ein Schuß, der den Wagen traf, und in diesem Augenblick bemerkte ich eine flüchtige Bewegung auf der Düne.
Ich duckte mich. »Oben auf der Düne, etwa zwanzig Grad nach links.«
»Entfernung?«
»Schwer zu schätzen. Zweihundertfünfzig bis dreihundert Meter. Und dann auch noch bergauf.«
»Mal sehen.« Byrne setzte ein Zielfernrohr auf das Gewehr. »So. Und nun zeigen wir dem Hund mal, wie der Hase läuft. Halt mir um Himmels willen die Pistole bereit. Flankensicherung.«
Ich stand halb geduckt, während Byrne den Lauf durch das offene Seitenfenster des Wagens schob. Ich sicherte seitwärts, aber da rührte sich nichts. »Jetzt seh ich ihn«, sagte Byrne leise. Beide Gewehre feuerten gleichzeitig, und Byrne ging gleich in Deckung. Der Wagen schaukelte in seiner Federung. »Schätze, ich hab' ihm Sand in die Augen gepfeffert«, sagte er.
Nun war es ganz still in der Wüste, lediglich vom Kühler kam ab und zu ein metallisches Knacken und ein leises Gurgeln. Ich wollte schon glauben, daß Byrne den Schützen erwischt hatte, da fiel wieder ein Schuß. Die Kugel kam durch die beiden offenen Wagenfenster geflogen und durchbrach zwei Handbreit über meinem Kopf mit einem gemeinen Knall die Schallmauer.
Byrne sagte: »Möchte wetten, daß er die Stellung gewechselt hat. Vielleicht kann ich ihn noch einmal dazu zwingen. Dann versuchen wir einen Ausbruch und einen Flankenangriff. Wenn wir nichts tun, knallen die uns zusammen – so, wie wir hier dumm rumstehen.«
»Ich bin bereit.«
Er hob den Kopf und sah zur Düne hoch. »Ja, er ist weg. Aber wo ist er jetzt?« Der nächste Schuß hatte verheerende Wirkung; er traf das Rad, hinter dem Billson kauerte, und zischend schoß die Luft aus dem Reifen.
»Das hat uns noch gefehlt«, sagte Byrne. Paul jammerte und versuchte, sich in den weichen Sand einzubuddeln. »Auf drei Rädern kommen wir nicht weit, aber dafür hab' ich den Bastard jetzt wieder im Auge.«
Er hob das Gewehr und machte sich schußfertig. »Nicht schießen, Luke!« schrie ich entsetzt.
Er senkte den Kopf. »Was ist?«
Jetzt wußte ich, was das gurgelnde Geräusch bedeutete. »Es hat entweder den Tank oder einen Kanister erwischt. Riechst du nichts?« Er schnupperte. Benzingestank. »Wenn du feuerst, gehen wir mit großem Feuerwerk hoch. Ein Funke genügt.«
Er zog das Gewehr zurück, und in diesem Augenblick hatten wir beide den gleichen Gedanken. Es genügte auch nur ein Funke von einem am Wagenblech abprallenden Querschläger, um den Benzindunst in Brand zu setzen.
Ich sagte: »Den Fehler hab' ich einmal in Korea gemacht. Als mahnende Erinnerung hab' ich immer noch ein Stück verbrannte Haut auf der Brust.«
»Dann hilft uns jetzt nur noch ein Ausbruchsversuch. Jeder in eine andere Richtung. Wie's scheint, schießt nur einer auf uns, er kann uns nicht beide gleichzeitig erwischen.«
»Was ist mit Paul?«
»Er kann machen, was er will.«
Eine Kugel schmetterte in den Scheinwerfer, und Glas flog.
»Okay«, sagte ich. »Unmittelbar nach dem nächsten Schuß.«
Byrne nickte.
Aber es gab keinen nächsten Schuß mehr. In der Ferne schrie ein Mensch auf – das durchdringende Heulen eines Menschen in nackter Todesangst, das nicht enden wollte. Ich zuckte zusammen; die Anspannung vor dem Ausbruch wich einer Spannung gegenüber dem Unerklärlichen. Ich starrte Byrne an: »Was ist das?«
Der Todesschrei hielt immer noch an, wandelte sich dann in kreischendes Schluchzen; ein Mensch rang nach Luft. »Da tut einem was weh, soviel ist klar«, sagte Byrne. Jetzt fielen Schüsse in der Ferne; keine Gewehrschüsse, sondern Pistolenschüsse. Dann brach das Schreien ab. Alles war wieder still. Wir lauschten lange in die Wüste, aber nichts war zu hören. Schließlich sagte ich: »Ich glaube …«
»Still!« zischte Byrne.
Aus der Ferne drang das unmißdeutbare Geräusch eines schwerfälligen Starters zu uns, der sich vergeblich bemühte, einen Automotor anzuwerfen. Das Geräusch kam noch ein paarmal, dann mußte der Motor, der leiser lief, angesprungen sein, denn danach hörten wir nichts mehr. Byrne sagte: »Vielleicht hauen sie ab.«
»Vielleicht nur ein Trick, um uns aus der Deckung zu locken.«
Byrne nickte. Wir blieben.
Zehn Minuten vergingen. Dann ertönte ein Ruf. Ich spähte zur Düne hoch, blieb aber in Deckung. Da oben stand Konti und rief und winkte. Byrne holte tief Luft. »Jetzt holt mich der Geier«, sagte er. »Komm, wir schauen, was er will.«
Wir kletterten die Düne hoch, und Konti fing sofort an, mit wilden Gebärden auf Byrne einzureden. Er war ziemlich aufgeregt, und das war nur zu begreiflich, er hatte ja auch fünfzehn aufregende Minuten hinter sich. Konti zeigte auf die Senke hinter der Düne; Byrne marschierte mit Konti los, und ich versuchte, sie einzuholen. Wir sahen Reifenspuren – und wir sahen auch, daß jemand viel Blut verloren hatte, mindestens einen halben Liter. Byrne hockte sich nieder und zeigte auf eine Stelle, wo ein Reifen über den blutgetränkten Sand gerollt war. »Kissack«, sagte er. »Da ist das Zeichen, das ich ihm in den Hinterreifen geschnitten habe.«
»Was ist passiert?«
»Was passiert ist, ist, daß du Gott danken kannst, daß wir gestern Konti aufgelesen haben. Er hat uns wahrscheinlich das Leben gerettet.«
»Aber wie?«
Byrne sprach wieder ein paar Minuten lang mit Konti, dann sagte er zu mir: »Konti erzählt, daß drei Männer hier waren. Nach seiner Beschreibung Kissack, Bailly und anscheinend noch ein Araber. Kissack und der Araber lagen auf der Düne, Kissack war der Schütze; Bailly stand beim Wagen. Da hat Konti sich angeschlichen und mit einem Messer nach Bailly geworfen.«
»Mit einem Messer?« sagte ich verblüfft. »Und deswegen hat Bailly solch ein Geschrei gemacht?« Ich begriff das nicht. Normalerweise gibt ein Mensch mit einem Messer im Leib nicht derartige Töne von sich, es kommt natürlich darauf an, wo ihn das Messer getroffen hat. Ich sah mich um. »Wie konnte Konti auf Wurfweite herankommen? Hier ist nirgends Deckung.«
»Du hast das Messer nicht gesehen«, sagte Byrne. »Nachdem Bailly getroffen war, ist es in den Sand gefallen. Konti mußte es sich erst wieder holen, ehe er uns rief.«
Byrne sagte Konti ein paar Worte und streckte die Hand aus. Konti griff unter sein Gewand und brachte ein Messer zum Vorschein, wie ich noch nie ein Messer gesehen hatte. Die Klinge war etwa vierzig Zentimeter lang und aus daumendickem Stahl geschliffen. Der Griff war etwa dreißig Zentimeter lang, aber was da sonst noch war, ist schwer zu beschreiben. Der Griff war im Halbkreis gebogen, und zwei weitere Klingen, im rechten Winkel aufgesetzt, ragten – mit Widerhaken an den Enden – daraus hervor. Da war eine Vielzahl von Schnittkanten, und jede einzelne war rasiermesserscharf. Außerdem war das ganze Ding ziemlich verrostet.
»Das ist ein museri«, sagte Byrne. »Das Wurfmesser der Teda. Es wird waagerecht aus der Hüfte geworfen und kann ein Pferd im vollen Galopp fällen. Es wird zur Jagd verwendet, aber es kann einem Menschen auch noch auf fünfzig Meter den Fuß abhacken. Bailly hat überhaupt nicht mitgekriegt, was ihn da erwischt hat; aber Konti sagt, es hätte ihm den linken Fuß fast abgehackt und den rechten schwer verletzt.«
Ich sah auf die rostigen Klingen. »Und wenn ihn nicht der Blutverlust umbringt, dann stirbt er an Blutvergiftung«, bemerkte ich. Was dieses Ding ihm angetan hatte, hätte auch jeden anderen zu Todesschreien getrieben.
»Ich will's hoffen«, sagte Byrne barsch. Er nahm mir die seltsame Waffe aus der Hand und gab sie Konti zurück. Konti grinste fröhlich. »Konti sagt«, berichtete Byrne, »daß er mit diesem Messer seinen Blutrache-Feind in der Tibesti getötet hat.« Er warf noch einen Blick auf das Blut im Sand, dann sagte er achselzuckend: »Komm, schauen wir uns mal den Sachschaden an.«
Der Sachschaden war beträchtlich. Drei Reifen in Fetzen geschossen und nur zwei Reservereifen vorhanden. Aber das war noch nicht das Schlimmste: Auch der Tank hatte ein Loch.
Kurz vor der Schießerei hatten wir den Tank aus den Kanistern aufgefüllt – selbst mit heilen Reifen hätten wir nicht genug Sprit für die Weiterfahrt nach Bilma gehabt.
Ich sagte: »Wir haben ausreichend Wasser und Lebensmittel. Wir brauchen uns nur in den Sand zu setzen und zu warten, bis Mokhtar vorbeikommt, dann lassen wir uns per Anhalter auf einem Kamel mitnehmen.«
»Ja«, sagte Byrne, »soweit ganz gut. Bis auf einen Punkt. Mokhtar kommt hier nicht vorbei.«