16

 

»Isabelle, auf dem Rückweg von Chertsey kam mir ein ziemlich gewagter Gedanke.« Brianna hatte es so eilig, mit der Königin zu sprechen, dass sie in ihrem Reitkleid vor ihr erschien.

»Begleite mich in die königliche Kleiderkammer und hilf mir, die Stoffe für die neuen Kleider auszusuchen, die ich bestellte. Wenn Despencer zurückkehrt und Sparmaßnahmen anordnet, werde ich mich in diesem Punkt sehr bescheiden müssen.«

Brianna sah sie anerkennend an. »Ihr habt rasch erfasst, was zu tun ist. Meine Idee ist folgende: Wir wissen, dass man die Mortimers nach London in den undurchdringlichen Tower bringen wird, wo ihre Getreuen sie nicht befreien können. Habt Ihr nicht erwähnt, dass die Gemächer der Königin im Tower zu wünschen übrig lassen ... dass die Wände undicht sind? Lasst sie doch frisch verputzen, streichen und neu ausstatten. Auf diese Weise könnt Ihr den Tower beliebig oft aufsuchen, ohne Argwohn zu erregen. Ihr könntet sogar von Zeit zu Zeit dort wohnen.«

»Brianna, das ist eine blendende Idee! Noch heute will ich alle Räder in Bewegung setzen.«

Brianna unterdrückte ihr Schuldgefühl. Sie wusste, dass sie Isabelle manipulierte, doch war es der einzige Weg, der ihr einfallen wollte, um Roger Mortimer sehen und sprechen zu können.

»Der Tower hat einen neuen Constable. Wir werden mit meiner Barke flussabwärts fahren, damit ich Sir Stephen Segrave kennen lernen und ihn von den bevorstehenden Reparaturen in Kenntnis setzen kann.«

Tags darauf legte die königliche Barke vor dem Tower an, und Königin Isabelle und ihre Damen stiegen aus. Sie war in ihr Hermelincape gehüllt, und Brianna trug ihren mit blauem Samt gefütterten Zobelmantel.

Der Leutnant des Constable, Gerard Alspaye, hatte Segrave gemeldet, dass die königliche Barke sich näherte, und die zwei Männer eilten zum Coldwater Gate am Anleger vor dem Tower, um die Königin zu begrüßen.

Brianna und Isabelle hatten einen Plan ausgeheckt, der vorsah, Segrave mit weiblicher List beizukommen. Sie wollten ihn blenden, ihm schmeicheln und ihn umgarnen, bis sie ihn nach Belieben manipulieren konnte.

Königin Isabelle hieß den Constable, sich aus seiner tiefen Verbeugung aufzurichten. »Sir Stephen, ich bin entzückt, Eure Bekanntschaft zu machen. Man sieht Euch an, dass Ihr ein Gentleman seid, anders als der grobe Rüpel, Euer Vorgänger, der wegen Nachlässigkeit gehen musste - und weil er das Missfallen seiner Königin erregte.«

»Euer Gnaden, es ist mir eine Ehre, Euch zu Diensten zu sein. Gestattet, dass ich meinen Stellvertreter Gerard Alspaye vorstelle. Er hat strikten Befehl, Euch und Euren Damen gefällig zu sein und Eure Wünsche zu erfüllen.«

Dann stellte die Königin ihre Damen vor und beeindruckte die zwei Männer mit deren edlen Namen. »Sir Stephen, Euren Arm bitte. Begleitet mich in meine königlichen Gemächer.« Für den Constable war diese Vertraulichkeit geradezu atemberaubend.

Brianna schenkte dem jungen Gerard Alspaye ein strahlendes Lächeln und hängte sich bei ihm ein. Fast konnte sie hören, wie sein Herz schneller schlug.

Die Gemächer der Königin nahmen die oberen Stockwerke des Hall Tower ein, der so hieß, weil man von ihm aus in die Große Halle gelangte. In den unteren Geschossen waren die Räume für die Wachen untergebracht. Isabelle entzog Segrave ihren Arm und deutete auf die feuchten Flecken und den abbröckelnden Putz an den Decken. »Meine schönen Räume sind völlig heruntergekommen. Ich habe angeordnet, dass alles erneuert werden soll. Wenn meine Maurer und Maler kommen, werdet Ihr Ihnen doch ungehindert Zutritt gewähren, Sir Stephen?«

»Alspaye soll die Arbeiten beaufsichtigen. Er wird den Leuten in jeder Weise entgegenkommen, Euer Gnaden.«

»Großartig. Wenn alles fertig ist, werde ich eine Weile hier residieren, und da Ihr mein Gastgeber sein werdet, bitte ich Euch, an den Freitagabenden mit mir zu speisen.«

Segrave war über die Maßen geschmeichelt. »Ihr erweist mir eine große Ehre, Euer Hoheit.«

Brianna warf ein: »Euer Hoheit, ich sollte Euch erinnern, dass wir Saint Thomas Tower besichtigen wollten, wo das königliche Magazin untergebracht ist.« Im Saint Thomas Tower lagen auch die Gemächer des Königs.

»Danke, Lady Brianna. Neben den königlichen Gewändern und Juwelen befindet sich dort auch ein Möbeldepot. Du solltest eine Liste jener Einrichtungsgegenstände anlegen, die wir in meinen Räumen verwenden können.«

Wieder verbeugte sich Segrave. »Alspaye hat die Schlüssel. Ich überlasse es dem Leutnant, Euch alles zu zeigen.«

»Lasst Euch nicht länger von Euren Pflichten abhalten. Lebt wohl, Sir Stephen, bis zum nächsten Mal.«

Als die Königin und ihre Damen vor dem Magazin, der Tower Wardrobe standen und Alspaye einen Schlüssel von dem eisernen Ring nahm, der an seinem Gürtel hing, murmelte Brianna: »Gerard, vielleicht könnt Ihr ein Duplikat für mich anfertigen lassen, damit ich kommen und gehen kann, ohne Euch ... aus der Ruhe zu bringen.« Ihr vertrauliches Lächeln verriet ihm, dass sie sehr wohl wusste, wie sehr sie ihn bereits aus der Ruhe gebracht hatte.

Die Tower Wardrobe entpuppte sich als wahre Schatzkammer. Es gab nicht nur einen Vorratsraum für Wein, Lebensmittel und Mobiliar, hier wurden auch königliche Gewänder, Pelze, Schuhwerk sowie Stoffe aller Art gelagert - dicker französischer Samt in Ballen, Goldstoff, Seide, Satin und Brokat. Isabelle nahm sich, was ihr gefiel. »Ich komme bald wieder. Wenn ich diese luxuriösen Dinge nicht beanspruche, werden andere sie sich aneignen.«

Die Königin entdeckte zwei schwarze Samtmäntel. Sie wählte den mit dem roten Satinfutter und überließ jenen mit dem fuchsiafarbenen Futter Brianna. Isabelle nahm auch ihre Juwelen an sich und überließ die Schmuckkassette der Obhut Briannas.

Auf der Bootsfahrt nach Windsor drängte Brianna Isabelle, den anderen Damen die Neuigkeit mitzuteilen.

»Es tut mir leid, euch sagen zu müssen, dass Roger Mortimer und sein Onkel Chirk Gefangene des Königs sind«, eröffnete die Königin ihren Begleiterinnen.

Marguerite Wake rang nach Atem und erbleichte.

»Ich weiß, dass Euer Vater, Lord John, Mortimers Vetter ist. Man kann nur hoffen und beten, dass er dafür nicht bü ßen muss. Übrigens hat der König die Despencers aus dem Exil zurückgerufen.«

Arbella Beaumont war am Boden zerstört. Hugh Despencer hatte ihre Mutter aus dem Dienst der Königin entlassen, und ihr Vater war als Gegner der Despencers bekannt.

Die Königin fuhr fort: »Ich weigere mich, Hugh Despencers Nähe zu ertragen. Sollte Edward ihn nach Windsor oder Whitehall bringen, werde ich mich in den Tower zurückziehen. Marie, hast du durch Pembroke nichts davon erfahren?«

Marie errötete. »Von meinem Mann hörte ich nichts, seitdem er nach Cirencester ging. Er befolgt nur die Befehle des Königs.«

Und dieser Hurensohn von König befolgt Despencers Befehle, dachte Brianna erbittert.

Isabelle nahm Maries Hand. »Wenigstens weißt du, dass Pembroke in Sicherheit ist. Offenbar ist es nicht zu Kämpfen gekommen.«

Maude Fitzallan errötete. »Mein Bruder Arundel schloss sich auch den Truppen des Königs an.«

»Ja, ein Jammer, dass die Barone untereinander uneins sind, das ist aber für uns kein Grund, einander gram zu sein. Ich weiß, dass ich mit Eurer Loyalität rechnen kann.«

Als sie von Bord gingen, nahm Isabelle Brianna beiseite. »Wenn wir den Tower besuchen, wäre es sicherer, Marie und Maude auf Windsor zu lassen, damit sie nichts ausplaudern können - wissentlich oder nicht.«

Aus Briannas Blick sprach Bewunderung. »Eure Hoheit, Ihr werdet mit jedem Tag klüger und stärker.«

 

Wenige Tage später kam Marie mit einem Brief, den sie eben von Pembroke erhalten hatte und las Isabelle daraus vor. »Mein Gemahl bedauert es, doch wird er nicht nach Hause kommen. Er schreibt, der König hätte für Ende Februar in Coventry eine allgemeine Musterung für einen Feldzug gegen Schottland befohlen.«

»Ein ehrgeiziges Unterfangen«, erklärte die Königin. Der Blick, den sie Brianna zuwarf, besagte: Das wird ihn gottlob von mir fernhalten!

Brianna presste die Lippen zusammen. Es sah aus, als würden sich ihre Sorgen vervielfachen. Weder ihr Vater noch die de Warennes würden dem König gegen die Schotten beistehen. Lynx und Jane waren mit Robert Bruce befreundet, und ihre Mutter hatte ihn einmal geliebt. Coventry ist nicht weit von Warwick. Hoffentlich gerät Vater über diesen Punkt nicht in Streit mit dem König.

Marie las weiter vor. »Die Mortimers werden bis zu ihrem Prozess in den Tower geschickt. Die Söhne Mortimers und Herefords sollen hier in Windsor festgehalten werden.«

Brianna wunderte sich sehr. Hier in Windsor? Verdammt, ich hatte eine so starke Vorahnung, dass ich Wolf Mortimer bald wiedersehen würde. Ich muss lernen, meinen Instinkten zu trauen.

»Herefords Söhne John und Humphrey de Bohun sind Neffen des Königs. Ich bin erleichtert, dass sie nach Windsor gebracht werden. Ihre Freiheit wird zwar eingeschränkt, doch wird ihre Unterbringung so sein, wie es jungen Männern blauen Blutes gebührt.« Isabelle wandte sich an Brianna. »Ich glaube nicht, dass ich Mortimers Erben schon begegnet bin, seinen zweiten Sohn aber habe ich kennen gelernt, als wir nach Saint Albans ritten. Er ist eine dunkle, stolze und wilde Erscheinung.«

Sofort stand Wolfs Bild Brianna vor Augen, und ihr Puls schlug schneller.

»Mortimers Erbe ist mit Badlesmeres Tochter verheiratet«, sagte Marie.

»Ja, ihm wird es in Windsor besser ergehen als seiner armen Frau, die in Dover eingekerkert wurde«, sagte Isabelle erleichtert.

»Arme Frau, wahrhaftig! Ich weiß nicht, wie du mit jemandem Mitgefühl haben kannst, der den Namen Badlesmere trägt«, äußerte Marie entrüstet.

»Sie ist eine junge Ehefrau ... was vor Leeds Castle geschah, war nicht ihr Verschulden, Marie.«

Ich muss nach Wolf Mortimer Ausschau halten. Ich muss einen Weg finden, mit ihm in Verbindung zu treten, überlegte Brianna. Ich werde diese Neuigkeit an Simon Deveril weitergeben. Er wird herausfinden, wo die vier untergebracht werden sollen.

Bei ihrem nächsten Besuch im Tower ließ Isabelle sich wieder von allen ihren Damen begleiten. Es wurde bereits emsig gearbeitet und der Verputz an Decken und Wänden erneuert. Die Königin sah voller Befriedigung, dass Marie ihre Langeweile nicht verbergen konnte. Es war der Effekt, den Isabelle sich erhofft hatte. Nächstes Mal konnte sie die Countess of Pembroke in Windsor lassen.

Brianna sorgte dafür, dass sie eine gewisse Zeit allein mit Alspaye blieb, um ihre vertraute Bekanntschaft mit ihm zu pflegen. Eben wollte sie auf Roger Mortimer zu sprechen kommen, als der Unterleutnant sich vertraulich zu ihr neigte.

»Wir erwarten zwei Gefangene, Lady Brianna.«

»Ach, wirklich, Gerard?« Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit war ihm sicher.

Er senkte die Stimme. »Roger Mortimer, Baron of Wigmore, und seinen Onkel, den Baron of Chirk.«

»Kann ich Euch etwas anvertrauen, Gerard?« Sie wusste, dass es ihm schmeichelte, Vertraulichkeiten mit der Tochter des Earl of Warwick auszutauschen.

»Absolut, Mylady.«

»Ich kenne Roger Mortimer schon mein ganzes Leben. Er ist der kühnste Gentleman, den man sich nur denken kann. Ein überragender militärischer Führer, der dem König getreu als Justiziar von Irland diente, doch zählt dies jetzt nichts mehr, da Despencer, der Liebling des Königs, zurückgerufen wurde.«

»Ich wusste nicht, dass er wieder im Land ist, Mylady.«

»Darf ich auf Eure Diskretion hoffen, Gerard?«

»Ihr habt mein Wort, Mylady.«

»Wo werden die Mortimers untergebracht?«

»Darüber wurde noch nicht entschieden. Da sie zu zweit sind und ihr hoher Rang Ihnen einen Diener erlaubt, wird es eine der größeren Zellen sein müssen. Sir Stephen Segrave hat das letzte Wort, doch wird er gewiss auf mich hören.«

Sie lächelte ihm zu. »Er traut Eurem Urteil so wie ich, Gerard.«

Brianna sagte nichts mehr. Die Voraussetzungen für Kontakte mit Roger Mortimer waren geschaffen.

 

Als Brianna wieder auf Windsor eintraf, wartete schon ein Brief Lincoln Roberts auf sie. Sie öffnete ihn hastig und las:

Meine liebste Brianna,

ich übersiedle nach Farnham Castle, damit ich das Gut übernehmen und die Aussaat dieses Jahres überwachen kann. Vater gab mir zwanzig Bewaffnete für die Verteidigung der Burg mit, die wir als Eheleute bewohnen werden. Mutter meinte, ich sollte dich fragen, welche Kräuter du im Küchengarten haben möchtest.

Du musst bald kommen und über die Einrichtung entscheiden. Ich weiß, dass der Besitz dir gefallen wird. Ein Forellenbach und ein Gehege mit Jagdfalken samt einem tüchtigen Falkner gehören dazu. Surrey ist eine so schöne Gegend, dass du hier sicher glücklich sein wirst.

Schicke deine Antwort nach Farnham Castle. Du fehlst mir, Brianna, und ich kann deinen Besuch kaum erwarten.

In zärtlicher Liebe

Lincoln Robert

 

Brianna legte den Brief aus der Hand. Sie hielt es für eine glänzende Idee, dass ihr Verlobter nach Farnham Castle umzog. Es würde kein leichtes Unterfangen sein, das große Gut zu bewirtschaften, das dem verstorbenen John de Warenne gehört hatte.

Sehr sonderbar erschien es ihr freilich, dass Lincoln Robert die schlimmen Ereignisse nicht erwähnte, die die Grenzmark-Barone betroffen hatten, auch nicht die kaltblütige Rache, die der König an seinen Widersachern ge übt hatte. Dass die Mortimers im Tower von London eingekerkert wurden und alle Burgen und Ländereien verloren hatten, war eine große Ungerechtigkeit, die ihre Gedanken betrübte.

Vielleicht wagt Lincoln nicht, diese Dinge zu Papier zu bringen. Die Rachsucht des Königs und der Despencers ist so schrecklich, dass alle Barone auf der Hut sein müssen.

Wenn Brianna auch zugeben musste, dass sie Farnham Castle gern sehen wollte, hoffte sie doch, dass Lincoln nicht auf einen zu baldigen Besuch drängen würde. Mein Leben ist mit Isabelles Angelegenheiten so verquickt, dass mich der Gedanke fortzugehen zögern lässt. Farnham Castle und den Hof der Königin hier in Windsor scheinen Welten zu trennen. Sofort meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Wie selbstsüchtig ich bin! Ich kann den Mann, der mich liebt, nicht so brüskieren.

 

Als Brianna am nächsten Morgen Simon Deveril untätig bei den Stallungen herumstehen sah, wusste sie sofort, dass er mit ihr sprechen wollte. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie unbeobachtet war, ging sie zu ihm. Wortlos fielen sie nebeneinander in Gleichschritt und entfernten sich ein Stück vom Stall. Erst dann fing er zu sprechen an.

»Die Gentlemen sind eingetroffen.«

Brianna machte große Augen. »Alle vier?«

Simon nickte. »Sie sind im Lower Tower untergebracht. Ihre Räume liegen über denen der Wachen.« »Ach, verdammt! Überall Wachposten.«

»Es könnte schlimmer sein. Sie werden ihre Mahlzeiten mit den Mannschaften einnehmen und das gemeinsame Badehaus und den Abtritt benutzen, aber jeder wird sein eigenes, gut ausgestattetes Gemach haben.«

»Danke, Simon. Ich muss mir eine Möglichkeit ausdenken, zu ihnen zu gelangen.«

Es dauerte nicht lange, und Brianna hatte sich einen Plan zurechtgelegt.

Als sie ihr Reitkleid anzog, verdrängte sie die Gewissensbisse, die sie immer plagten, wenn sie jemanden für ihre Zwecke zu manipulieren gedachte. Ich sollte das nicht... aber ich tue es dennoch! Sie ging zum Turnierplatz, wo Prinz Edward nachmittags im Schwertkampf und in der Waffenkunst unterrichtet wurde. Der Prinz winkte ihr zu, und als sein Training zu Ende war, kam er zu ihr.

»Der Frühling liegt in der Luft, Lady Brianna. Den ganzen Winter über habe ich Euch nicht gesehen. Unsere Ausritte haben mir sehr gefehlt.«

»Ich habe Euch schändlich vernachlässigt, Euer Gnaden.«

»Ihr nanntet mich immer Teddy.«

»Und ich war für Euch Brianna«, neckte sie ihn.

»Reiten wir doch im Park aus«, schlug er eifrig vor.

Sie gingen zu den Stallungen und holten ihre Pferde. Der Prinz, der nun größer war als Brianna, half ihr in den Sattel. Er winkte dem Stallknecht ab, der sie begleiten wollte. »Mach dir nicht die Mühe - wir reiten nur im Park.«

Erst sprachen sie über Pferde, das Lieblingsthema des Prinzen, dann sagte Brianna: »Wisst Ihr, dass Eure königlichen Vettern John und Humphrey de Bohun in Windsor sind?«

»Ich hatte keine Ahnung. Sie haben mich noch nicht aufgesucht.«

»Nun, dazu sind sie eigentlich nicht in der Lage.«

»Wie meint Ihr das?«

»Herefords Söhne und Mortimers Söhne werden hier auf Windsor festgehalten.« »Soll das heißen, dass sie Gefangene sind?«, fragte er zweifelnd.

»Ja. Euer Vater befindet sich in einem Konflikt mit den Grenzmark-Lords und betrachtet sie als seine Feinde. Roger Mortimer ergab sich, um seine Leute zu retten. Offenbar konnte der Earl of Hereford entkommen, doch seine Söhne und jene Mortimers wurden festgenommen und hierher nach Windsor geschickt.« »Wir wollen gehen und sie aufsuchen. Wisst Ihr, wo sie sind?«

»Ja. Werdet Ihr Euch damit nicht Ärger einhandeln, Teddy?«

»Das kümmert mich wenig. Ich muss mich vergewissern, dass meine Vettern so untergebracht sind, wie es ihrem königlichen Rang entspricht, und ich möchte unbedingt Mortimers Söhne kennen lernen. Roger Mortimer ist ein großer Feldherr, den ich sehr bewundere. Ich kann ihn nicht als Feind sehen, schließlich sicherte er uns doch Wales und Irland.«

Brianna ritt vom Park zum unteren Hof voraus. Sie ritten an den Stallungen vorüber und saßen vor den Unterkünften der Wachen ab. Als sie eintraten, wurde es still im großen Raum. Die Gardisten konnten sich nicht erinnern, dass Prinz Edward sie je besucht hätte.

Der Prinz schritt mit Brianna im Gefolge an den Wachen vorüber. Als er seine Vettern erblickte, zeigte sein Gesicht ein Lächeln. »John, Humphrey, wie schön, euch zu sehen, wenn auch die Umstände alles andere als ideal sind.« Er trat vor und schüttelte ihnen herzlich die Hände. »Ich hatte keine Ahnung, dass ihr hier seid, bis ich es von Lady Brianna erfuhr.«

»Edward, du bist seit unserer letzten Begegnung ein ganzes Stück gewachsen«, erklärte John. Der Thronerbe war körperlich und geistig reifer, als es seinem Alter entsprach.

Humphrey sagte resigniert: »Da wir unserer Freiheit beraubt sind, ist Windsor der bestmögliche Ort.«

Beide de Bohun-Brüder sahen Brianna bewundernd an, und auch die Gardisten beäugten sie eingehend.

Brianna nahm keine Notiz davon. Wie angewurzelt stand sie da und starrte durch den Raum, von einem eindringlichen grauen Augenpaar festgehalten. Die anderen im Raum Anwesenden waren für sie unsichtbar. Sie sah nur einen Mann. Der Blick, den sie teilten, weckte jeden ihrer Sinne. Sie spürte ihr Herz bis zum Hals schlagen, ihr Mund war wie ausgedörrt.

Edward und seine Vettern durchschritten den Raum und John machte den Prinzen mit Edmund Mortimer bekannt.

Brianna hörte Wolfs Stimme in ihrem Kopf. Komm zu mir. Langsam folgte sie den anderen, bis sie neben ihm stand. Leise raunte sie ihm zu: »Sie kommen in den Tower. Ich will versuchen, Euren Vater wissen zu lassen, dass Ihr in Sicherheit seid.«

»Nein!« Ein abweisender Ausdruck trat in seine Augen. »Ihr dürft Euch nicht in Gefahr begeben.«

Wütend, weil er Sie selbst als Gefangener kommandierte, trat sie zurück. Wir können nicht in einem Raum sein, ohne dass mein Temperament mit mir durchgeht!

Edward sprach Wolf Mortimer an und sagte ihm, wie sehr er seinen Vater bewunderte. Ehe sie gingen, sagte der Prinz: »Ich werde Euch regelmäßig besuchen. Wenn Ihr etwas benötigt, das Eure Haft erträglicher macht, zögert nicht, es mir zu sagen.« Er durchquerte den Raum und sprach mit den Gardisten. »Wer ist für die Gefangenen verantwortlich?«

Captain Lionel Colby trat vor. »Ich, Euer Gnaden.«

»Haben sie Euch ihr Ehrenwort gegeben, Colby?«

»Das haben sie allerdings.«

»Gut. Sie sind Ehrenmänner. Ihr könnt sie beim Wort nehmen. Sie werden Euch keinen Ärger machen.«

»Die Mortimers gewiss nicht, da das Wohlergehen ihres Vaters davon abhängt. Das ist der Grund ihrer Haft.«

Edward fixierte Colby mit einem eisigen Blick seiner blauen Augen. »Und die de Bohuns nicht, weil sie königlichen Geblüts sind.«

Hölle und Teufel, bring ihre Wachen nicht gegen dich auf, Teddy! Brianna sah Colby an und blinzelte ihm vertraulich zu. Erleichtert registrierte sie, dass er seine Lippen amüsiert zusammenpresste.

 

»Die untere Hälfte der Wände soll getäfelt werden, die obere getüncht und mit einem Rosenmuster bemalt«, gab Isabelle den Handwerkern Anweisung, die mit der Ausstattung der königlichen Gemächer im Tower beauftragt waren.

Brianna sah Alspaye an der Nasenspitze an, dass er vor Mitteilungsdrang fast platzte, und nahm an, dass die Mortimers eingetroffen waren. Sie ging in die Große Halle, die zur königlichen Küche führte, wohl wissend, dass er ihr folgen würde.

»Wo sind sie?«, fragte sie ohne Umschweife.

»Im Lanthorn Tower. Das ist der Turm nebenan.« Er blickte sich im großen Saal um. »Zwischen diesem und dem Lanthorn Tower liegt die Küche.«

Bei der Vorstellung, dass der schöne, kühne Roger Mortimer in Gefangenschaft schmachtete, schloss Brianna einen Moment die Augen. Und ihr Puls raste, weil er ihr so nah und doch so fern war.

»Ihre Zelle ist alles andere als wohnlich. Sie ist lang, schmal und sehr hoch. Für den Unterhalt der Gefangenen wurden nur drei Pence pro Tag bewilligt. Ein wahrer Segen, dass sie ihren Diener mitbrachten, der ihre Wäsche erledigt.«

»Gewiss stehen vornehmen Gefangenen eine angemessene Unterbringung und Verköstigung sowie gewisse Privilegien zu«, sagte sie mit Nachdruck.

»Ihr habt ihn zu Recht Gentleman genannt. Er zeigte mir gegenüber keinerlei Feindseligkeit, obwohl ich sein Bewacher bin.«

»Sein Stolz und sein Mut sind unübertroffen. Sicher wäre es für ihn eine große Erleichterung, wenn Ihr ihm sagen könntet, dass seine Söhne auf Windsor und in Sicherheit sind.« Brianna biss sich auf die Lippen. »Es tut mir leid, Gerard. Bitte vergesst, dass ich Euch um eine so gewagte Sache bat, von mir eine Nachricht weiterzuleiten. Ich habe kein Recht, Eure Integrität zu gefährden.« Sie senkte die Wimpern, damit er nicht sehen konnte, wie glücklich sie über ihre klugen Worte war.

Im Verlauf der nächsten Besuche ließ Isabelle ihren Zauber auf Sir Stephen Segrave wirken, bat ihn um Rat bei der Ausstattung ihrer Tower-Gemächer und schmeichelte ihm mit Aufmerksamkeit und Komplimenten. Unterdessen gab Brianna sich große Mühe, ihre Freundschaft mit Gerard Alspaye voranzutreiben, wobei die zwei Verschwörerinnen nur auf ein Ziel hinarbeiteten - mit Roger Mortimer Verbindung aufnehmen zu können. Irgendwie hoffte jede, irgendwann mit ihm von Angesicht zu Angesicht sprechen zu können.

 

Brianna fuhr im Bett auf. Sie spürte ein Prickeln im Nacken, und ihre Augen versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen und zu erkennen, was sie aufgestört hatte. Sie wusste, dass Mitternacht längst vorüber war, der dunkle Himmel aber verriet, dass das Morgengrauen noch auf sich warten lassen würde.

»Ich bin es.«

Als sie Wolfs Stimme aus der Dunkelheit hörte, glaubte sie zu träumen. Sie sah ihn aus den Schatten treten und näherkommen, obwohl er nicht hier sein konnte. Sicher schlief sie noch fest, und alles war nur ein Traum.

Er zündete eine Kerze an, deren flackernde Flamme seine wilden, dunklen Züge beschien. »Es ist kein Traum.«

Brianna glaubte ihm. »Wohl eher ein Albtraum! Wie seid Ihr den Wachen entkommen?«

»Es ist besser, wenn Ihr nichts wisst, Brianna.«

Seine Worte reizten ihren Trotz. »Ungeachtet Eurer Warnung ließ ich Eurem Vater ausrichten, dass Ihr in Sicherheit seid.«

»Mir wäre lieber, Ihr würdet Euch meinetwegen nicht in Gefahr begeben«, erwiderte er bestimmt.

Sie warf trotzig ihren Kopf zurück. »Ich tue es Roger Mortimer und nicht Euch zuliebe.«

»Ihr seid entschlossen, Euch einzumischen.« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.

»Wolf, wenn ich Eurem Vater oder Euch helfen kann, werde ich es tun.«

»Ich würde es nie von Euch verlangen.«

»Wäre es mir nicht ein Herzensbedürfnis, dann könnten mich Eure Bitten dazu nicht bewegen.«

»Brianna«, sagte er ganz leise, »ich könnte Euch dazu bringen, alles zu tun, was ich möchte.«

Ihr schauderte, und sie zog die Decke bis ans Kinn.

»Wenn Ihr uns helft, Nachrichten auszutauschen, wäre ich sehr dankbar. Ich verspreche aber, dass ich Euch nie dazu verführen werde, auch wenn Ihr mich noch so sehr in Versuchung führt. Meine Integrität ließe es nicht zu.«

»Ihr meint wohl, Euer Stolz!«

Er ging auf die Stichelei nicht ein. »Mein Vater freilich schreckt auch vor Verführung nicht zurück. Seid gewarnt, Brianna.«

Sie weigerte sich, diese Anschuldigung zu glauben. »Kürzlich war ich bei Shadow. Wir haben einen Tag im Wald verbracht.«

»Danke, Brianna.«

Sie sah, dass er ganz in Schwarz gekleidet war. Er zog nun seine schwarze Kapuze über den Kopf, und als er mit den Fingern die Kerzenflamme erstickte, wurde er unsichtbar.

»Wolf?«, flüsterte sie. Um sie war nur Schweigen. Er war so rasch verschwunden, wie er aufgetaucht war.