10
»Woher wusstet ihr, wo wir waren?« Brianna war erstaunt, ihre Eltern im Hof von Tonbridge Castle anzutreffen, als sie aus dem Stall kam.
»Kaum hatte Simon Deveril dich wohlbehalten bis hierher geleitet, ritt er nach Flamstead. Wir wollten schon nach Warwick zurückkehren, als er uns die Schreckensnachricht brachte.« Guy de Beauchamp schloss seine Tochter in die Arme.
Brianna blickte in sein Gesicht auf und sah die Sorge darin. Er liebt mich wirklich innig.
»Deveril versicherte uns, dass du, Isabelle und ihre anderen Damen unverletzt und auf Tonbridge in Sicherheit wärt, doch wollten wir uns selbst davon überzeugen.« Erleichtert küsste Jory ihre Tochter.
»Kommt, Isabelle wird überglücklich sein, euch zu sehen.« Brianna führte ihre Eltern zu dem großen, hellen Privatgemach, in dem die Königin saß und Briefe schrieb.
»Jory ... Mylord Earl ... die Nachricht von unserer Feuerprobe hat Euch erreicht?«
Die Countess knickste. »Euer Gnaden, befindet Ihr Euch wohl?«
»Jory, nicht so förmlich. Du bist meine liebe Freundin. Es war ein großer Schock, als zwei meiner Reitburschen vor meinen Augen getötet wurden. Wir suchten Zuflucht in Maidstone Priory, Euer Mann Deveril aber meinte, Tonbridge Castle käme unseren Bedürfnissen mehr entgegen. Ich bin ihm überaus dankbar.«
Beim Mittagmahl schilderten Isabelle, Marie und die anderen Damen den schicksalsträchtigen Nachmittag in Leeds.
»Als wir die Grenze nach Kent überschritten, begegneten wir Pembroke und einer gewaltigen Armee auf dem Weg nach Leeds Castle.« Warwick fiel auf, dass die Countess of Pembroke diese Nachricht höchst befriedigt vernahm, während die Königin mit Niedergeschlagenheit reagierte.
Nach dem Essen nahm Jory ihre Tochter beiseite. »Ich nehme an, dass man dir den Dienst bei der Königin nicht ausreden kann, wenngleich dein Vater zunächst zu deinem eigenen Schutz darauf bestehen wollte. Nun, wenigstens sehen wir jetzt, dass du nicht in Gefahr bist. Das ganze Land ist zur Verteidigung der Königin bereit.«
»Danke für dein Verständnis. Simon Deveril ist ein idealer Beschützer.«
»Aus diesem Grund entschied dein Vater sich für ihn.« Jory umarmte ihre Tochter. »An deinem Geburtstag werden wir nicht bei dir sein, doch werden wir wenigstens wissen, dass du es warm hast.« Sie entnahm ihrem Gepäck ein Paket.
Brianna öffnete es und entdeckte einen mit blauem Samt gefütterten Zobelmantel darin. »Ach, der ist aber schön!« Sie zog ihn an und die Kapuze über den Kopf. »Ich liebe schöne Kleidung über alles.«
Jory blinzelte ihr zu. »Wie die Mutter, so die Tochter. Also, erfreu dich an diesem schönen Stück, mein Liebling.«
Als ihre Eltern reisefertig waren, begleitete Brianna sie hinunter in den Hof. »Vater, Isabelle äußerte mir gegenüber eine Befürchtung, die sie sich wohl scheut, vor Marie oder den anderen auszusprechen. Sie argwöhnt, Edward hätte sie belogen, als er sagte, Leeds wäre wieder in ihrem Besitz, und hält es sogar für möglich, dass die Gardisten den Befehl hatten, den Angriff zu provozieren. Ich verstehe das nicht. Warum sollte er so etwas tun?«
Warwick zog die Brauen zusammen. »Ein solches Ränkespiel würde die Barone spalten. Badlesmere schlug sich auf die Seite Lancasters und der Grenzmak-Lords. Die meisten Earls werden die Partei der Königin ergreifen. Brianna, du hast mir reichlich Stoff zum Nachdenken geliefert. Keine Sorge, die Königin ist nicht in Gefahr, was ich freilich von den Badlesmeres und jenen, die sie unterstützten, nicht behaupten kann.«
Als Brianna ihnen zum Abschied zuwinkte, dachte sie an die Mortimers. Als Wolf Mortimer Isabelle in Saint Albans traf, sagte sie zu ihm: Richte deinem Vater aus, dass die Königin für immer in Roger Mortimers Schuld stehen wird. Edmund Ist nun aber mit Elizabeth Badlesmere verheiratet. Ich bete darum, dass dieses Dilemma die Brüder nicht entzweit. Brianna stellte sich Wolf Mortimer vor und schauderte. Als Feind muss er wahrhaft furchteinflößend sein.
»Badlesmere bleibt unauffindbar. Seine Männer schlugen heute frühmorgens ihr Lager auf. Gerüchte wollen wissen, dass es in Kent Probleme gab.«
Roger Mortimer nickte seinem Leutnant zu. »Er ist zweifellos zur Verteidigung seiner Burg losgeritten.« Er wandte sich an Hereford. »Ich rücke weiter in den Süden vor für den Fall, dass er Unterstützung braucht. Ihr braucht nicht mitzukommen.« »Wir machen gemeinsame Sache. Vielzahl bedeutet Macht.«
Mortimer kehrte in sein Zelt zurück. »Badlesmere ist schon fort. Wolf, lass das Lager abbrechen. Wir folgen der Themse südwärts nach Reading, umgehen die Chilterns und reiten dann ostwärts nach Kent. Bis nach Leeds Castle sind es einige Tagesritte.«
Wolf Mortimer bedachte Edmund mit einem durchdringenden Blick und verließ das Zelt.
»Vater, der Hauptmann, der nach Leeds kam, sagte, dass die Königin Obdach suche. Lady Badlesmere glaubte ihm nicht und rechtfertigte sich damit, dass sie Befehl hätte, niemandem Zutritt zu gewähren.«
»Maggie de Cläre hat wenig Geduld mit Schwachköpfen. Edmund, sieh zu, dass du dich ausruhst. In zwei, drei Stunden reiten wir los.«
»Du bist heute recht nachdenklich, meine Liebe.« Guy de Beauchamp sah seine Frau forschend an, als sie Seite an Seite nach Warwick ritten. Ehe sie nach Hause aufbrachen, hatten sie zwei Tage auf Jorys Burg Chertsey verbracht und die Ernteerträge abgeschätzt, um sicher zu sein, dass es für das Vieh im kommenden Winter ausreichend Futter geben würde. »Ist es deswegen, weil du missbilligst, dass ich beschlossen habe, neutral zu bleiben und mich nicht mit Pembroke zu verbünden?«
»Wäre ich mit deiner Entscheidung nicht einverstanden, hätte ich den Mund aufgemacht und es gesagt«, erklärte Jory.
»Dein Bruder Lynx eilte nach Kent, um Königin Isabelle seine Hilfe anzubieten. Bist du sicher, dass du mir nicht zürnst?«
»Im Laufe der Jahre lernte ich, deiner Weisheit zu vertrauen. Sicher gibt es für deine Entscheidung einen triftigen Grund.«
»Die Grenzmark-Barone haben mein Wort. Jetzt kann ich nicht zurück. Mortimer, Hereford, Lancaster und ich gelobten Zusammenhalt. Nie würde ich einen Schwur brechen. Das ist mein Prinzip, das ich auch an meine Kinder weitergab.«
Jory nickte. »Wir sind mit Mortimer zudem durch eine Ehe verwandt, und er ebenso mit Badlesmere. Doch weiß ich, dass du auf der Seite der Königin stehst ... neutral zu bleiben ist die klügste Vorgehensweise.«
»Wenn wir Oxford erreichen, treffe ich mich mit Mortimer.«
Eine Stunde später sahen der Earl und die Countess of Warwick eine große Abteilung Bewaffneter auf sich zukommen.
»Hölle und Teufel, es sieht aus, als hätte Mortimer sich in Bewegung gesetzt. Entrollt unser Banner«, befahl er.
In der Nähe lag Reading Abbey, und Jory und ihre Dienerinnen suchten das Innere der Abtei auf, um sich zu erfrischen, während Warwick, Mortimer und Hereford im umfriedeten Hof beratschlagten.
»Ich kann kaum erwarten zu hören, was sich zutrug«, sagte Roger.
»Auf Edwards Befehl marschierte Pembroke mit seiner großen Armee nach Kent und zog seine Streitmacht vor Leeds Castle zusammen. Der König hat sich großer öffentlicher Unterstützung versichert. Hunderte Londoner sowie Bewaffnete aus den umliegenden Grafschaften strömten nach Kent. Die Earls von Arundel und Richmond sowie Edwards Halbbrüder Edmund of Kent und Thomas of Norfolk vereinigten sich mit Pembroke, um die Beleidigung und ungebührliche Behandlung der Königin zu rächen.«
Roger Mortimer kniff die Augen zusammen. »Soll das heißen, dass die Königin vor Leeds Castle von Maggie Badlesmere angegriffen wurde?«
»Das wusstest du nicht?«, fragte Warwick.
»Ich hielt es für ein Gerücht.«
Warwick schüttelte den Kopf. »Wenn du nach Kent reitest, um Badlesmere zu unterstützen, wirst du geschlagen und vermutlich des Verrats angeklagt. Die Belagerungstruppen müssen an die dreißigtausend Mann stark sein. Das ganze Land ist gewillt, die Königin zu rächen.«
Hereford sah Mortimer an. »Jede Wette, dass Lancaster Badlesmere nicht gegen die Königin verteidigen wird.«
Roger Mortimer sagte entschieden: »Ich auch nicht. Aus Respekt vor der Königin werde ich nichts unternehmen, um Leeds Castle zu entsetzen.«
»Eine weise Entscheidung. Mein Schwager Lynx de Warenne ist unter den Tausenden, die in Kent zusammenströmten, doch beschloss ich, nach Warwick zurückzukehren.«
Hereford ging, um seinem Leutnant Bescheid zu geben, dass man nicht weiter vorrücken würde.
Warwick zog Mortimer beiseite, um ihm etwas anzuvertrauen. »Meine Tochter war mit der Königin in Leeds. Ich ritt nach Tonbridge Castle, wo die Königin und ihre Damen nun sicher aufgehoben sind. Isabelle glaubt, dass die Eskorte, die Edward ihr mitgab, Befehl hatte, den Angriff auf ihre Gruppe absichtlich zu provozieren.«
Mortimers dunkle Brauen zogen sich zusammen. »Ein gerissener Plan, um einen Keil zwischen die Barone zu treiben. An Badlesmere liegt dem König wenig. Wir sind es, auf die er es abgesehen hat.«
»Der Plan ist so ausgeklügelt, dass er nicht von Edward allein stammen kann.«
»Herrgott ... sicher steckt Despencer als geheimer Ratgeber des Königs dahinter!«
»Genau. Leeds Castle kann sich nicht viel länger halten.«
»Die Frau meines Sohnes befindet sich dort«, sagte Mortimer bedauernd.
»Pembroke führt den Befehl. Seine Ehre verbietet, Frauen etwas anzutun.«
Mortimer nickte. »Ich danke Euch für die Nachricht, mein Freund. Wir werden hier unser Lager aufschlagen und abwarten, was sich tut.« Roger bestieg sein Pferd und machte sich auf die Suche nach seinen Söhnen.
Als er Edmund erblickte, war er wie der Blitz aus dem Sattel. Wutentbrannt hob er den Arm und versetzte seinem Sohn einen Hieb, der diesen seitlich am Kopf traf und niederstreckte. »Hurensohn! Du wusstest, dass die Königin vor Leeds Castle stand.«
Er blickte auf und sah Wolf über den Hof schreiten. »Wusstest du von der Königin?«, herrschte er ihn an.
»Allerdings«, entgegnete Wolf knapp, auf einen Hieb gefasst.
Mortimer atmete tief durch, was jedoch wenig half, seine Wut zu dämpfen. »Ich werde dich nicht schlagen. Loyalität zu deinem Bruder ist in deinen Augen offenbar eine ehrenhafte Sache.« Er sah den noch immer auf dem Boden liegenden Edmund an. »Und wo ist deine verdammte Loyalität?«
»Seine Loyalität gilt seiner Frau. Das kann man ihm nicht verdenken.«
»Nein? Seine Pflicht wäre es gewesen, Elizabeth von Leeds fortzuschaffen.«
»Sie war vor Angst außer sich - und weigerte sich fortzugehen«, murmelte Edmund.
»Sie weigerte sich? Sie ist eine Frau, um Himmels willen! Wolf oder ich hätten sie nötigenfalls an ihren verdammten Haaren fortgezerrt.«
Von Scham überwältigt senkte Edmund den Blick.
Als König Edward erkannte, dass die Belagerungsarmee, die nach Kent strömte, an die dreißigtausend Mann zählte, begab er sich eilends nach Leeds Castle, um das Kommando zu übernehmen.
Ohnehin schon arg erschüttert, da ihr Gemahl nicht zu ihrer Verteidigung herbeigeeilt war, sank Maggie Badlesmeres Mut von Stunde zu Stunde, während ihre Verzweiflung wuchs. Neben ihren Kindern, unter ihnen die frisch vermählte Elizabeth, befanden sich auf der Burg Badlesmeres Schwester und deren Sohn Lord Burghersh. Da sein Bruder vom König persönlich in das bedeutende Bischofsamt von Lincoln berufen worden war, bot Burghersh sich zu Verhandlungen mit dem Earl of Pembroke an.
Von plötzlichem Machthunger erfasst, verweigerte König Edward Verhandlungen, und Anfang November ergab sich Leeds Castle. Edward übte grausame Rache. Er ließ den Constable und seine zwölf Bogenschützen vor dem Burgtor hängen. Dann nahm er trotz Pembrokes Einwand Lady Badlesmere, ihre Kinder und die anderen Familienmitglieder in Haft. Er ließ sie in Dover Castle einkerkern, dessen unüberwindliche Mauern zwanzig Fuß stark waren.
Der König ließ eine Proklamation verlautbaren: Ich habe an Leeds Castle ein Exempel statuiert, damit in Zukunft niemand wagt, Festungen zum Widerstand gegen mich zu nutzen.
In den nächsten Wochen ergaben sich alle Burgen der Badlesmeres dem König, und die Suche nach Lord Badlesmere nahm ihren Fortgang.
»Eine große Kavalkade nähert sich«, kündigte Brianna an. »Vielleicht der Erzbischof von Canterbury. Die Herolde blasen eine Fanfare.«
Isabelle eilte zu den hohen Glasfenstern. Sie und ihre Damen weilten nun schon über einen Monat auf Tonbridge Castle und wussten nicht, was sich außerhalb der Burgmauern zugetragen hatte.
»Es ist der König.« Isabelle gab sich nicht die Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen.
Brianna hörte auch Ängstlichkeit aus ihren Worten heraus. »Isabelle, lasst Euch nicht einschüchtern. Ihr solltet hinuntergehen und ihn in der Großen Halle begrüßen. Wenn er Euch in einem Privatgemach aufsuchen muss, sieht es aus, als würdet Ihr Euch verstecken. Wir alle bleiben bei Euch, wenn Ihr ihn empfangt, Eure Hoheit.«
Eine halbe Stunde später stand Königin Isabelle königlich und hoheitsvoll in der Großen Halle. Das Licht der flackernden Feuer in den großen Kaminen ließ die hastig von ihren Damen zusammengeborgten Juwelen funkeln.
Edward stolzierte mit einem Dutzend Diener im Gefolge herein und winkte den Steward der Burg heran. »Wein für alle! Meine Gegner sind bezwungen - ich möchte jetzt auf meinen großen Sieg trinken.« Da es der erste militärische Erfolg des Königs seit der Krönung war, schwelgte er im Siegesrausch und platzte fast vor Stolz.
Isabelle bewies Haltung und verneigte sich, während die Damen anmutig knicksten. »Ich heiße Euch willkommen, Sire.«
Er breitete die Arme aus. »Ich rächte den brutalen, gegen dich gerichteten Angriff, Isabelle. Leeds Castle ist nun aller Dinge von Wert entblößt, einschließlich seiner Vorräte, und ich brachte sie mit, um sie dir zu Füßen zu legen als Kompensation für die schlimme Prüfung, die dir auferlegt wurde.«
»Danke, Sire.« Isabeiles ruhiger Ton verbarg ihren inneren Aufruhr.
»Als Leeds Castle sich ergab, fiel der Besitz wieder an die Krone zurück. Es ist mein Geschenk an dich.«
Sein Gefolge beklatschte die großmütige Geste.
Isabelle verriet weder durch ein Wort noch einen Blick die Verachtung, die sie empfand. Er hatte ihr Leeds Castle gegeben, als es nicht ihm gehörte. Und jetzt war es sein, und sie wollte es nicht.
»Wo bleibt der Wein?«, mahnte Edward.
Ein Dutzend Diener eilte in die Halle, mit silbernen Tabletts, auf denen gefüllte Kristallpokale standen. Die Begleiter Edwards brachen in Jubel aus.
»Ich werde ohnmächtig«, flüsterte Isabelle.
Brianna griff nach einem Weinpokal und drückte ihn der Königin in die Hand. »Nein, das dürft Ihr nicht!«
Isabelle nahm zwei rasche Schlucke und spürte die belebende Wärme durch ihre Adern strömen. Sie leerte den Pokal, und in ihrer Brust blühte eine rote Rose auf. Ihr Selbstvertrauen regte sich wieder, und sie sah ganz klar voraus, dass Edward bis zur Abendtafel volltrunken sein würde wie an den meisten Abenden.
Dann werde ich ihn fragen, ob ich nach Windsor zurückkehren kann, da ich bei den Kindern sein möchte. Ich habe sie über einen Monat nicht mehr gesehen und vermisse sie sehr. Wenn ich ihn vor seinem kriecherischen Gefolge frage und er angetrunken ist, wird er mir die Erfüllung meines Wunsches nicht verweigern können.
Am Tag darauf traf Walter Reynolds, der Erzbischof von Canterbury, auf seiner Burg zu Tonbridge ein. Sein Gefolge war größer als jenes König Edwards.
Die Königin, die ihre Damen an ihrer Seite hatte, küsste den Ring des Erzbischofs. »Eure Exzellenz, bitte nehmt meinen tiefsten Dank für die Gastfreundschaft entgegen, die Ihr mir, meinen Hofdamen und meinen Bediensteten so großzügig gewährt.«
»Ich fühle mich geehrt, dass Ihr Tonbridge Castle in der Stunde Eurer Not als Zuflucht gewählt habt. Es ist wahrhaftig ein Privileg, meine bescheidene Gastfreundschaft der Königin von England zu bieten.« Reynolds wusste sehr wohl, dass in seiner Residenz nichts bescheiden war. »Bleibt, so lange Ihr wollt ... meine Burg ist Eure Burg.«
Der König antwortete anstelle der Königin. »Leider muss meine Gemahlin morgen nach Windsor zurückkehren. Sie ist nun mehr als einen Monat von den Kindern getrennt. Der Earl of Pembroke und die anderen Edlen, die ihretwegen so kühn nach Kent ritten, werden für ihr sicheres Geleit sorgen. Ich freilich werde den Besuch bei Euch hier auf Tonbridge genießen. Nie werde ich müde, die Schätze zu betrachten, die Ihr über Jahre hinweg angehäuft habt.«
Walter Reynolds war sofort klar, das Edward etwas wollte. Er hatte Edwards Haushalt in Kings Langley angehört, als sie beide Knaben waren, und verdankte seine Ernennung zum Erzbischof dem König. Ihm war klar, dass er Edward entgegenkommen musste, wenn er weiterhin seinen Lebensstil beibehalten wollte.
Königin Isabeiles Gesellschaft brach am nächsten Morgen auf, und an jenem Abend schloss Edward sich mit Reynolds in der prächtigen Bibliothek ein.
»Ich möchte, dass Ihr die hohe Geistlichkeit in der St. Paul's Cathedral versammelt und die Verbannung der Despencers formell aufhebt.«
»Mit welcher Begründung könnte die Verbannung für nichtig erklärt werden, Euer Gnaden?«, fragte Walter Reynolds vorsichtig.
»Ihr seid der verdammte Erzbischof von Canterbury. Ich habe vollstes Vertrauen, dass Ihr einen triftigen Grund findet, Walter.« Edward schenkte sich von dem importierten französischen Wein seines alten Freundes ein.
Reynolds legte die Fingerspitzen gegeneinander, während er nach einem legitimen Vorwand suchte, der strengsten Prüfungen standhalten würde. Schließlich sagte er: »Die Verbannung könnte mit der Begründung aufgehoben werden, dass sie nicht einmütig von den Bischöfen befürwortet wurde.«
Brillant!« Edward füllte den edelsteinbesetzten Kelch nach und hob sein Glas. »Verliert keine Zeit. Beruft sie am ersten Dezember nach St. Paul's ein. Sicher brauche ich nicht zu betonen, dass ich mich in dieser heiklen Sache auf Eure Diskretion verlasse, bis alles erledigt ist, Walter.«
»Ich bestehe darauf, dass Ihr mit Eurer Gattin reitet, Lord Pembroke. Marie hat in letzter Zeit nicht viel von Euch zu sehen bekommen.« Isabelle wollte die grausigen Einzelheiten der Übergabe von Leeds Castle nicht hören. Insgeheim war sie entsetzt, dass Lady Badlesmere und ihre junge Familie eingekerkert worden waren, und sie hatte es satt, sich anzuhören, wenn Marie in gerechtem Zorn beharrlich forderte, dieser Drachen verdiene es, gehängt zu werden.
Ehe die Königin jedoch mit ihrem Gefolge Kent verließ, vergrößerten zwei sehr prominente Earls mit ihren Truppen die Reisegesellschaft. Richmond und Arundel flankierten Königin Isabelle, und sie bedankte sich bei ihnen anmutig für ihre loyale Hilfe.
Als sie nach Surrey gelangten, holten Kent und Norfolk, die jungen Halbbrüder des Königs, sie ein und beschlossen, ebenfalls nach Windsor zu reiten. Edmund, Earl of Kent, gefiel die blonde, blauäugige Marguerite Wake, und er lenkte sein Pferd so, dass er zwischen Marguerite und Brianna ritt.
»Lady Marguerite, Euch muss es auf Leeds Castle schrecklich ergangen sein.«
»Allerdings, Mylord. Hätte Lady Brianna nicht die Zügel meines Zelters erfasst und das Tier zurück über den Damm getrieben, wäre ich tot.«
Er drehte sich um und fasste Brianna genauer ins Auge, und als er sie erkannte, riss er die Augen auf. »Mistress de Beauchamp, wie schön, Euch wieder am Hof der Königin zu sehen.« Seinem Bruder, dem Earl of Norfolk, rief er zu: »Tom, komm her und sieh dir an, wer da ist.«
Norfolk gesellte sich zu ihnen. »Brianna! Ich hatte ja keine Ahnung, dass Ihr wieder am Hof seid. Ihr seid zu einer seltenen Schönheit erblüht.«
»Es heißt Lady Brianna, wenn Ihr gestattet, und ich kann Euch beim Pferderennen noch immer schlagen«, neckte sie ihn.
Die königlichen Brüder sahen sich über die zwei Hofdamen hinweg grinsend an. »Die Weihnachtszeit in Windsor verspricht, sehr festlich zu werden«, bemerkte der Earl of Norfolk.
Brianna lächelte insgeheim. Ich habe mein Herz Lincoln Robert geschenkt. Thomas of Norfolk wird zu seinem Amüsement eine andere Dame finden müssen, wenn er erfährt, dass ich verlobt bin.
Trotz der späten Stunde, zu der sie in Windsor eintrafen, konnte Isabelle sich nicht zügeln und suchte die Kinderzimmer auf, wo man die Kleinen schon zu Bett gebracht hatte. Brianna wurde warm ums Herz, als der kleine Prinz John die Arme um seine Mutter schlang und beteuerte, dass sie ihm sehr gefehlt hätte. Die kleine Eleanor hüpfte aufgeregt auf ihrem Bett auf und ab und kicherte entzückt, als Brianna zu ihr sagte, sie könne besser hüpfen als ein Frosch.
Isabelle küsste das Baby Joan ganz sacht, da sie das tief und fest schlafende Kind nicht wecken wollte.
Beim Verlassen der Kinderstube sah Brianna Tränen in Isabeiles Augen glänzen. »Nicht weinen ... sie lieben Euch von ganzem Herzen.«
Die Edelleute, die Isabelle und ihr Gefolge nach Windsor Castle begleitet hatten, nahmen Quartier in den ständig für sie reservierten Gemächern. Der Earl und die Countess of Pembroke bewohnten eine Zimmerflucht im Round Tower, und Marie hatte von Isabelle die Erlaubnis bekommen, sich mit ihrem Gemahl für einige Tage zurückzuziehen.
Als der König Pembroke zu sich nach Westminster befahl, kehrte Marie zu Isabelle und den anderen Damen zurück. Sie konnte es kaum erwarten, ihnen die Dinge zu berichten, die sie von ihrem Mann erfahren hatte und von denen die Königin nichts wusste.
»Die Grenzmark-Barone verließen Oxford mit der Absicht, Badlesmere zu unterstützen, als aber Roger Mortimer von dem Angriff auf die Königin erfuhr, schickte er eine Botschaft an Pembroke, die besagte, dass sie aus Respekt für Königin Isabelle nichts zur Befreiung von Leeds Castle unternehmen würden«, sagte Isabelle erleichtert.
»Roger Mortimers Erbe Edmund ist mit Elizabeth Badlesmere verheiratet. Die beiden müssen sich in ihrer Loyalität zerrissen fühlen.« Brianna konnte sich in die Mortimers gut hineindenken. »Die Entscheidung muss ihnen schwergefallen sein.«
»Nachdem die Burg sich ergeben hatte, schickte Mortimer aus Reading Nachricht und bot Verhandlungen über die Gefangenen an, aber Pembroke sagte, der König hätte das Angebot glatt abgelehnt«, berichtete Marie.
Brianna hörte mit Verwunderung, dass Roger Mortimer und seine Truppen sich in Reading befanden. Das ist ja nur ein Dutzend Meilen von hier entfernt! Brianna stellte sich ihn auf seinem Rapphengst vor, wie sie ihn beim letzten Mal gesehen hatte, ein Bild, das ihren Puls rasen ließ. Ihre Gedanken wanderten zu Wolf Mortimer, und sie fragte sich, wie es kam, dass sie und der dunkle Grenzland-Waliser einander bei jeder Begegnung unweigerlich in die Haare gerieten. Dieser walisische Teufel legt es darauf an, mich mit Absicht zu reizen ... und immer gelingt es ihm, mich in Rage zu bringen. Briannas angeborene Aufrichtigkeit drängte sie zu dem Eingeständnis, dass sie es mit ihm ebenso hielt. Ich habe es darauf angelegt, ihm zu sagen, dass ich mit Lincoln Robert verlobt bin ... nur um ihn zu ärgern. Sie seufzte. Es schien ihn nicht im Mindesten bekümmert zu haben.
Die Adligen, die Königin Isabelle unbedingt ihre Treue bekunden wollten, versammelten sich auf Windsor Castle. Richmond, Arundel und die anderen verheirateten Earls bekamen nun Gesellschaft von ihren Frauen und Töchtern. An den Abenden erklangen in der Großen Halle Musik und Gelächter, und nach der Tafel wurde getanzt.
Die Königin und ihre Damen begannen mit der Planung des Weihnachtsfestes, und Brianna war erleichtert, dass Isabelle glücklicher wirkte. »Glaubt Ihr, dass der König Weihnachten auf Windsor verbringt?«
»Nein, dem Himmel sei Dank!«, murmelte Isabelle. »Er feiert immer auf Kings Langley. Das ist schon Tradition.«
Brianna, die wusste, dass Langley Prinz Edwards Residenz in dessen Jugend gewesen war, konnte sich nur annähernd vorstellen, was für eine verdorbene Atmosphäre in diesem männlich dominierten Haushalt geherrscht hatte.
Nach Tisch verbeugte sich der Earl of Richmond vor der Königin und forderte sie zum Tanz auf. Sofort forderte Edmund of Kent Marguerite Wake auf, mit ihm zu tanzen, und sein Bruder Norfolk konnte Brianna zum Tanzen überreden.
»Wollt Ihr Weihnachten auf Windsor verbringen, Mylord, oder geht Ihr mit dem König nach Langley?«
Tom beugte sich zu ihr hinunter, um vertraulich zu sagen: »Edward geht in diesem Jahr nicht nach Langley. Seine Armee ist so groß, dass er sie unbedingt nutzen will, da er entschlossen ist, seine königliche Macht zurückzugewinnen und es mit den Baronen aufzunehmen, die sich gegen ihn erhoben und ihm getrotzt haben.«
Brianna klopfte das Herz bis zum Hals. Sie senkte die Wimpern, damit Norfolk ihre Angst nicht sehen konnte. Meint er Lancaster? Nein, Thomas ist als Vetter des Königs von königlichem Blut. Edward wird sich an Roger Mortimer rächen, der den Aufstand anführte! Seine Strafe wird schrecklich sein - Edward kennt keine Gnade.