14
»Marie vertraute mir eben etwas an, von dem ich glaube, dass Ihr es wissen solltet.« Brianna hatte Marie just in dem Moment ins Gemach der Königin geführt, als die Kinder von ihren Wärterinnen zu Bett gebracht wurden.
Nach kurzem Zögern platzte Marie heraus: »Der König befahl meinem Gemahl, die Armee nach Cirencester in Gloucestershire zu verlegen.«
»Hat Pembroke dir den Grund genannt?«, fragte Isabelle.
»Weil der König sich im nahen Gloucester Castle befindet und Cirencester zum Sammelpunkt der königlichen Truppen wählte.«
»Die Brüder des Königs brachen heute Morgen mit ihren Abteilungen auf«, setzte Brianna hinzu.
Die erstaunte Isabelle stand vor einem Rätsel. »Hat Edward die Absicht, mit seiner Armee gegen Schottland zu ziehen?«
Brianna schüttelte den Kopf. »Nein. Edwards Ziele sind Mortimer, Hereford und die zwei anderen, die den Despencers ihre Besitzungen im walisischen Grenzland abnahmen und sie ins Exil zwangen.«
Isabelle fasste sich an die Kehle. »Aber Edward begnadigte die Barone per königlichem Dekret.«
»Die Gnadenakte des Königs sind das Papier nicht wert, auf das sie geschrieben sind.« Brianna ballte die Fäuste. Ich wette, dass Despencer Vergeltung fordert. Dieser habgierige Schuft muss wieder Im Land sein ... falls er denn je fort war.
»Würdest du mich entschuldigen, Isabelle?«, flehte Marie. »Ich möchte zu meinem Mann. Bei Tagesanbruch muss er
Als sie gegangen war, sagte Isabelle zu Brianna: »Ich wollte Marie nicht beunruhigen und werde für Pembrokes sichere Rückkehr beten, doch haben die Mortimers und Lancaster sich verbündet und werden das Heer des Königs besiegen wie immer, wenn eine Entscheidung gefordert war.«
»Gerüchteweise verlautet, die königliche Streitmacht sei auf nahezu dreißigtausend Mann angewachsen. Edward rief sie in Eurem Namen zu den Waffen. Die Männer werden nach Cirencester strömen, weil sie einen kämpferischen König jenem Schwächling vorziehen, als der er sich immer zeigte.«
Plötzlich bekam Isabelle es mit der Angst zu tun. »Das englische Volk wird aus Liebe zu mir in den Kampf ziehen, ohne zu ahnen, dass es manipuliert wird. Ich will nicht, dass in meinem Namen Menschen sterben!«
Das Bild Wolf und Roger Mortimers stand blitzartig vor Briannas geistigem Auge. »Darauf sage ich Amen, Eure Hoheit.«
Warwick ritt mit einer Abteilung von zwei Dutzend Rittern in Ludlow ein. Er saß ab und nahm seinen Helm ab, um mit Roger Mortimer zu sprechen. »Mir kam zu Ohren, dass die walisischen Heiden sich wieder erhoben und du vielleicht Hilfe benötigst.«
»Die habe ich bereits - ich rief deinen Sohn Rickard aus Irland zurück.«
»Rickard ist hier?« Guy de Beauchamps Miene hellte sich auf.
Warwicks Erbe, der den Hufschlag gehört hatte, trat aus der Rüstkammer. »Vater! Wer sagte dir, dass ich hier bin?«
»Niemand - ich ahnte es.« Die beiden umarmten einander voller Wärme.
»Deine Leute sollen sich ausruhen«, riet Roger. »Für heute Nacht ist ein Überfall geplant. Wigmore wurde letzte Woche zweimal heimgesucht. Wolf hatte eine Vision, dass unsere Schafe und Rinder nach Radnor getrieben wurden. Er ritt im Schutz der Dunkelheit nach Wales und fand bestätigt, dass sein sechster Sinn ihn nicht getrogen hatte.«
»Wir werden ihnen eine Lektion erteilen, die sie nicht vergessen werden«, gelobte Warwick. »Sobald wir unsere Pferde getränkt und gefüttert haben, leisten wir dir in der Halle beim durstlöschenden Ludlow-Ale Gesellschaft.«
Rickard ging mit seinem Vater in die Stallungen, der seit ihrem letzten Beisammensein sichtlich gealtert war. »Roger berichtete, dass du so vernünftig warst, dich aus dem Debakel zu Leeds herauszuhalten und ihm dasselbe geraten hättest.«
»Deine Schwester Brianna dient Isabelle als Hofdame. Sie war mit der Königin in Leeds und erfuhr, dass alles nur eine Falle war. Ich sah ganz klar, dass mit diesem Schachzug ein Keil zwischen die Barone getrieben werden sollte. Meine praktische Vernunft sagte mir, dass die Mortimers und ich uns nicht beteiligen sollten.«
Rickard legte seinem Vater eine Hand auf die Schulter. »Wir erwarten, dass der König uns Verdruss bereiten wird. Hoffentlich sagt dir auch diesmal deine praktische Vernunft, dass du dich heraushalten solltest.«
»Ich kam, um zu kämpfen«, erklärte Guy de Beauchamp unbeirrt.
»Gegen die Waliser, ja, aber nicht gegen den König. Das ist nicht dein Kampf.«
An der Tafel erlebte Guy de Beauchamp an jenem Abend einen Schock, als Lady Mortimer erschien. Er hatte sie als jugendliche Schöne in Erinnerung und konnte es nicht fassen, dass sie eine Tonne mit schwerem Doppelkinn und mürrischem Zug um den Mund geworden war. Im Herzen Romantiker, reagierte er mit Charme auf ihre schneidenden Bemerkungen, schickte jedoch ein stilles Dankgebet zum Himmel, weil Gesicht und Gestalt dieser Frau, der großen Liebe seines Lebens, noch immer wunderschön waren.
Guys Blick glitt zu dem Tisch, an dem die zwei noch ledigen Mortimer-Töchter saßen. Seine Aufmerksamkeit galt vor allem Katherine, die als Partie für seinen Sohn Guy Thomas genannt worden war. Erleichtert sah er, dass an dem hübschen Kind nichts auszusetzen war. Man sah ihr an, dass sie unschuldig und - anders als ihre Mutter - von angenehmem Wesen war.
In tiefster Finsternis stießen Warwick und seine Leute zu der Truppe Roger Mortimers und Mortimers of Chirk. Mit den Männern, die Rickard aus Irland mitgebracht hatte, zählten sie an die zweihundertfünfzig Mann.
Wolf bildete die Vorhut und führte die kleine Streitmacht durch die stockfinstere Nacht unbeirrt nach Radnor zum Lager der Waliser. Ihr Überraschungsangriff sicherte den Grenzmark-Kämpfern einen Vorteil gegenüber den Walisern, wenn diese auch in der doppelten Überzahl waren - ein Missverhältnis, das nicht bedrohlich war, da die Grenzmark-Kämpfer über bessere Rüstungen und Waffen verfügten.
Die Waliser waren wilde Draufgänger, deren Tollkühnheit sich jedoch im Kampf gegen die disziplinierten Engländer oft als nachteilig erwies. Deren Taktik war wohl überlegt. Erst kämpften sie wie die Teufel, stoben sodann wie in angstvoller Flucht auseinander, um im großen Bogen zurückzukehren und den Feind zu umzingeln. Damit wurden die Gegner ins gebirgige Gelände gedrängt - ein Vorteil für die Waliser, da sich ihnen in den Bergen andere walisische Stämme anschlössen.
Mortimer of Chirk war schon Stunden zuvor ausgeschieden, und Wolf und Edmund Mortimer befehligten seine Männer zusammen mit ihren eigenen. Dämmerung brach herein, ehe die walisischen Räuber bezwungen waren. Tote und Verwundete lagen über Meilen verstreut auf gefrorenem Gelände. Die Grenzer hielten inne und gestatteten den Gegnern, ihre Verwundeten zu bergen, doch plötzlich stürzte sich ein blutrünstiger Krieger mit einer Streitaxt auf Warwick und riss ihn vom Pferd. Ein lautes Krachen ertönte, als Warwicks Schädel auf einem Stein auftraf und sein Helm gespalten wurde.
Rickard, dem das Herz bis zum Hals klopfte, sah, wie die Kämpfenden sich in tödlicher Umarmung auf dem Boden wälzten. Er sprang aus dem Sattel, um seinem Vater beizustehen, doch ehe er ihn erreichte, zog Warwick seine Klinge aus dem Körper des Angreifers und richtete sich schwankend auf.
»O Gott, Vater, bist du unversehrt?«
Guy führte die Hand an seinen helmlosen Kopf. »Fast hätte er mit das Gehirn herausgeprügelt - das bisschen, das ich habe!«
Beide lachten erleichtert, und Warwick pfiff nach seinem Pferd und saß auf. »Ich bin zu alt für dergleichen.«
Damit war die Arbeit der Grenzmark-Kämpfer noch nicht getan. Wieder zurück im Lager zu Radnor, mussten sie die Schafe und Rinder der Mortimers einsammeln und sie zurück nach Ludlow treiben.
Spät am nächsten Tag kamen zwei der Kundschafter, die Roger Mortimer zur Beobachtung der königlichen Armee ausgeschickt hatte, in den Burghof geritten. Roger, Wolf und Rickard empfingen sie voller Erwartung.
»Der König hielt sich mit einer kleinen Anzahl von Gardisten in Gloucester auf. Heute ritt er frühmorgens nach Cirencester. Wir folgten ihm und sahen, dass Pembroke bereits mit Hunderten Bewaffneter zur Stelle war. Weitere Hunderte strömten binnen einer Stunde herbei. Als wir uns auf den Rückweg machten, waren es nicht mehr Hunderte, sondern Tausende.«
»Weiß es Hereford?«, fragte Mortimer.
»Ja, seine Kundschafter sahen, was wir sahen.«
Rickard sprach mit den Mortimers. »Ich bitte Euch, dass Warwick es nicht erfährt. Er würde noch mehr Truppen zu Hilfe holen, und ich möchte, dass er sich heraushält.«
»Einverstanden«, sagte Roger grimmig. »Anders als Chirk ist er noch immer ein formidabler Krieger, doch ist dies nicht sein Kampf.« Mortimer schickte zwei Boten zu Thomas of Lancaster, die melden sollten, dass ein größerer Teil seiner Truppen unverzüglich in den Grenzmarken gebraucht würde.
Hugh Audley, der mit zweihundert Mann eintraf, wurde von seiner Frau und seinem kleinen Sohn begleitet. »Ich konnte sie nicht allein zurücklassen, und ausreichende Bewachung für sie hatte ich nicht. Margaret und James werden in Ludlow bei Euren Töchtern sicherer sein.«
Mortimer begrüßte Margaret. »Willkommen. Auf Ludlow haben wir genug Platz.« Er schnitt eine Grimasse. »Ich muss Euch allerdings vor meiner Frau Joan warnen, von der ich wünschte, sie wäre in Irland geblieben.«
Man ging zusammen hinein, und gleich darauf trafen Audley, Mortimer, seine Söhne und seine Leutnants sich im Strategie-Raum der Burg, um ihre Vorgehensweise zu planen.
Rickard ging ins Badehaus, wo sein Vater seinen zerschundenen Körper im Wasser badete. Es waren nicht Warwicks schmerzende Muskeln, die Rickard Sorgen machten, es waren vielmehr die Beule am Kopf und das blutunterlaufene Weiß seiner Augäpfel. Rickard spielte die Bedrohung bewusst herunter.
»Pembroke brachte eine Armee von einigen Hundert nach Cirencester. Zu unserem Glück ist Lancaster mit Verstärkung unterwegs.«
Warwick nickte. »Thomas hat überall seine Späher. Was aber, wenn die Truppenstärke der Königlichen in Cirencester größer als erwartet ist?«
Rickard zog die Schultern hoch. »Dann werden wir verhandeln. Wir sind ja keine Dummköpfe.«
Wieder nickte Guy de Beauchamp. »Wenn wir das tun, was ratsam ist, kann es nicht falsch sein.«
»Wir? Ich möchte, dass du nach Warwick zurückkehrst. Noch heute. Und ich möchte, dass du dich ruhig verhältst. Der Name de Beauchamp darf mit diesem an Hochverrat grenzenden Kampf gegen die Krone nicht in Verbindung gebracht werden.«
»Soviel ich weiß, ist de Beauchamp auch dein Name.«
»Nur die Mortimers wissen, dass ich hier bin. Ich bin so dunkel, dass ich als Mortimer durchgehe, während du überall erkannt wirst.«
»Stimmt. Aber warum liegt dir so viel daran, mich herauszuhalten?«
»Um Warwick und unsere anderen Burgen zu bewahren. Wenn es in diesem Kampf mit dem König zum Schlimmsten kommt, würde man unsere Besitztümer konfiszieren. Vater, du musst noch heute gehen. Grüß Jory und meinen Bruder von mir. Ich weiß nicht, wann ich sie wiedersehen kann.«
Als Guy de Beauchamp in die Halle ging, war er erstaunt, Margaret und ihren Sohn zu sehen. Sie war die Tochter seines gefallenen Freundes Gilbert de Cläre und Prinzessin Joannas. Warwicks Frau Jory, die bei Joanna ausgeharrt hatte, als Margaret zur Welt kam, war deren Taufpatin. Warwick spürte Margarets Verzweiflung, als er sie umarmte.
»Ich beruhigte sie, dass es hier nichts zu fürchten gäbe.« Joans Stimme troff vor Verachtung für Margarets Angst. »Der König ist ein geborener Feigling. Er wird es nie wagen, ins Grenzland einzudringen.«
Guy, dem es widerstrebte, Joan zu beunruhigen, ließ sich auf keine Debatte mit ihr ein. Andererseits aber wollte er Margaret Schutz bieten. »Ich kehre heute nach Warwick zurück, meine Liebe. Komm doch mit mir. Jory wäre überglücklich, dich und James zu sehen.«
Joan, die der jüngeren Frau ihre Schönheit und ihre vornehme Herkunft neidete, drängte sie zu gehen.
Galant dehnte Warwick sein Angebot auf Joan aus, sie aber lehnte verächtlich ab.
Rickard de Beauchamp war sehr erleichtert, seinen Vater in Begleitung von Margaret Audley und deren Sohn vor Einbruch der Dunkelheit losreiten zu sehen. Seine Erleichterung sollte jedoch nicht lange währen. Als die Bewohner von Ludlow am folgenden Morgen aufstanden, musste Rickard feststellen, dass siebzig seiner hundert aus Irland mitgebrachten Leute in der Nacht verschwunden und desertiert waren.
»Diese feigen Hurensöhne!«, schimpfte Roger Mortimer. »Als sie erfuhren, wie groß die Armee des Königs ist, ließ ihr Mut sie im Stich.« So wütend und enttäuscht er war, brachte Rickard dennoch ein gewisses Verständnis für die Deserteure auf. Die Männer hatten vier Jahre lang in Irland gedient; wieder in der Heimat, hatten sie sich, der Kämpfe überdrüssig, zu ihren Familien fortgeschlichen. Wer konnte es den armen Teufeln verübeln?
Am Tag darauf trafen auf Ludlow Herefords Söhne, John und Humphrey de Bohun, mit zweihundert Mann ein - nur der Hälfte von Herefords Truppen.
»Wo ist Euer Vater?«, fragte Roger Mortimer.
Die Brüder sahen einander an, ihr heller Teint rötete sich. »Er nahm Bewaffnete mit sich, um zu Lancaster zu stoßen. Er sagte, wir sollten unsere Truppen mit Euren vereinen. Ihr würdet auf unserer Seite des Severn bleiben und den Feind daran hindern überzusetzen.«
»Schlagt eure Zelte für die Nacht auf. Wir rücken morgen ab. Ich lasse d'Amory ausrichten, er solle seine Truppen mit unseren vereinen.« Roger war in Sorge um seinen Onkel Chirk. Er hatte nicht mehr die Energie, seine Leute in einem Feldzug zu befehligen.
Da sagte Wolf: »Edmund und ich werden Chirks Männer im Auge behalten. Sie werden ihre Befehle von uns bekommen.« Er wartete, bis die Brüder de Bohun gegangen waren, um mit ihren Leuten zu konferieren, und fuhr fort: »Hereford trifft sich nicht mit Lancaster. Trotz seiner Versicherungen, uns mit seiner großen Streitmacht zu unterstützen, wird Thomas nicht kommen. Hereford ritt nach Norden, um sich mit Lancaster zusammenzutun und mit den Schotten zu einer Einigung zu gelangen.«
Roger starrte Wolf mit grimmiger Miene an. »Reite sofort los und überzeuge dich, ob d'Amory sich womöglich ebenso niederträchtig verhält.«
Wolf Mortimer war noch keine vier Meilen geritten, als er einem Boten d'Amorys begegnete. Eilig kehrte man nach Ludlow zurück.
Wolf überbrachte seinem Vater die Nachricht. »D'Amory zog mit seinen Leuten nach Tutbury in der Hoffnung, Lancaster dort anzutreffen.« Wolf hob die Hand, um die Flüche seines Vaters abzuwehren »Roger d'Amory desertierte nicht. Er ist so naiv zu glauben, Lancaster würde uns zu Hilfe eilen und bald auf Tutbury eintreffen.«
»Dann ist er ein ausgemachter Narr, wenn er sein Vertrauen in einen Mann mit Plantagenet-Blut setzt!«
Wolf schauderte, als sähe er dem Tod ins Auge, dem Tod d'Amorys.
Am nächsten Tag setzte sich die große Streitmacht der Grenzmark-Lords von Ludlow aus in Bewegung, ritt zum Severn und wandte sich in Sichtweite des Flusses nach Süden. Als sie ihr Lager aufschlagen wollten, holte ein Kundschafter Mortimers auf schnaubendem Ross sie ein.
»Die Königlichen haben sich in Bewegung gesetzt!«
»Sie ziehen gewiss nach Worcester, wo sie den Severn überqueren können.« Roger widerrief den Befehl zum Lagern. »Wir müssen sofort weiter.« Er übergab den Befehl an Edmund, Chirk, Audley und die de Bohun-Brüder. »Rickard, Wolf, wir müssen reiten wie die Teufel und vor Pembroke an der Worcester Bridge sein!«
Die drei Männer legten die zwanzig Meilen in zwei Stunden zurück. An der Brücke, die den Fluss überquerte und nach Worcester führte, saßen sie ab und banden ihre Pferde in sicherer Entfernung fest.
»Ich denke, wir sollten die Brücke an beiden Enden anzünden.« Roger sah Wolf direkt in die Augen. »Sag ehrlich - bist du sicher, dass du zurückschwimmen kannst, oder soll ich es machen?«
Ohne zu zögern, sagte Wolf: »Ich mache es - du bist unentbehrlich.«
Roger und Rickard entzündeten je eine Fackel, während Wolf Stiefel und Lederwams auszog. Sie reichten ihm zwei brennende Fackeln, und Wolf lief barfuß über die lange Brücke.
Am anderen Ufer angelangt, setzte er die hölzernen Streben in Brand. Sein Vater und Rickard taten dasselbe an ihrem Ende. Er hockte sich hin und wartete, bis das dicke Holz richtig durchgebrannt war und die Brücke völlig zerstört sein würde.
Während Wolf in die Flammen starrte, hatte er eine Vision der königlichen Armee. Das Heer, das er näher kommen sah, war so groß, dass er an seiner Sehergabe zweifelte. Er sah die königlichen Banner und die vier Earls - Pembroke, Norfolk, Kent und Arundel - und war überzeugt, seine Phantasie trübe seine Vision.
Als ihm der beißende Geruch brennenden Holzes in die Nase stieg und das Knistern der Flammen in seinen Ohren dröhnte, sah er plötzlich eine weibliche Gestalt in einem schwarzen Umhang. Sie schob die Kapuze zurück, und ihr herrliches rotgoldenes Haar übertraf die Flammen an Leuchtkraft. Brianna de Beauchamp winkte ihn zu sich. Wolf kämpfte gegen das Verlangen an, zu ihr zu gehen, gleichzeitig aber hatte er das unheimliche Gefühl, dass er bald bei ihr sein würde, ob er nun sein Sehnen unterdrückte oder nicht.
Ein lautes Krachen durchschnitt die Luft, als die brennende Brücke in den Fluss stürzte, und seine Vision erlosch sofort. Er sah zu, wie der tosende, vom frühen Tauwetter angeschwollene Fluss große Teile der Holzkonstruktion mit sich riss.
Wolf glitt über das steile Ufer hinunter, füllte seine Lunge mit Luft und sprang. Das gurgelnde Wasser schlug über seinem Kopf zusammen, seine Arme stießen nach oben, und als sein Gesicht auftauchte, musste er gegen die starke Strömung kämpfen, die ihn samt den Brückentrümmern mitzureißen drohte.
Er zwang sich, die eisige Kälte auszublenden und sich auf sein Ziel zu konzentrieren. Auf halbem Weg wurden seine Stöße schwächer, er wurde ein Stück flussabwärts getragen. Und plötzlich schwamm Brianna neben ihm. Der Fluss war nun nicht mehr der winterliche Severn, sondern der Avon im Sommer. Er wusste, dass sein ausgeprägter Mannesstolz nicht zulassen würde, dass sie das Wettschwimmen gewann. Mit neu gewonnener Kraft schwamm er, bis er das Ufer erreichte.
Wolf ergriff den ausgestreckten Arm seines Vaters, gleich darauf auch jenen Rickards, und wurde an Land gezogen. Schwer atmend blieb er liegen und sog die frische, kalte Luft ein.
»Gut gemacht«, murmelte Roger.
Als Erste trafen Edmund und Chirk mit den Truppen Mortimers ein, dann folgten Audley und seine Männer. In der frühen Dämmerung stand Wolf da und blickte über den Severn, nach Anzeichen des nahenden Feindes spähend. Wieder tauchte die Vision einer Armee auf - so gewaltig, dass sie sein Vorstellungsvermögen übertraf.
Er entfernte sich vom Fluss und ging zu den anderen, just als John und Humphrey de Bohun mit den Truppen Herefords zu ihnen stießen.
»Sobald die Armee des Königs Worcester erreicht und sieht, dass wir die Brücke zerstörten, wird sie doppelt so schnell zur nächsten Brücke marschieren. Bridgnorth liegt gute fünfundzwanzig Meilen von hier. Wir müssen auch diese Verbindung zerstören, ehe der Gegner sie erreicht. Warten wir bis morgen, könnte es zu spät sein«, sagte Wolf drängend.
»Die Armee kann nicht mit uns mithalten - ein so großes Heer ist ziemlich unbeweglich. Aber Wolf hat Recht, wir können nicht bis morgen warten. Wir machen Rast bis Mitternacht und stoßen dann weiter nach Norden vor. Feuer werden nicht angezündet.«
Im Feldzelt seines Vaters zog Wolf seine nassen Sachen aus, hüllte sich in eine Satteldecke und versuchte, seine böse Vorahnung zu verdrängen. Er fürchtete nicht um die Mortimers, auch nicht um sich selbst. Der König würde eine Konfrontation erzwingen. Sie war unausweichlich, doch wusste Wolf, dass man sie möglichst lange hinauszögern musste.
Er beschwor eine Vision Briannas herauf, die so greifbar war, dass er seine Arme um sie schlingen und sie fest an seinen Körper drücken konnte. Ihr nacktes Fleisch wärmte ihn, und das glühende Verlangen, das sie in ihm weckte, erhitzte sein Blut, das wild durch seine Adern strömte. Er schob seine steinharte Erektion in die Senke zwischen ihren Schenkeln und vergrub die Lippen in der warmen Mulde an ihrer Kehle. Allmählich beruhigte sich sein Herzschlag, und er verfiel immer wieder in seligen Schlummer, als hätte er Zuflucht gefunden.
Wolf ächzte, als sein Vater sich rührte und ihn weckte. In Sekundenschnelle war er hellwach und zog sich eilig an. Seine Sachen waren kalt und feucht, doch waren wenigstens Strümpfe und Stiefel trocken, ebenso sein Lederwams. Er lief eilig an den Fluss und sah mit sinkendem Mut die Vielzahl der Lagerfeuer am anderen Ufer. Während er hin überspähte, flammten weitere Feuer auf, Anzeichen dafür, dass die Armee erst im Anrücken war. Dank der Finsternis mochte dem Gegner entgangen sein, dass es keine Brücke mehr gab. Er spürte, dass die Überzahl des Feindes gewaltig war.
Wolf lief zurück, wobei er gegen seine aufsteigende Panik ankämpfte. »Die gegnerischen Truppen treffen ein und schlagen Lager auf. Gebt das leise weiter.«
Roger und Rickard waren bereits im Sattel. »Wir reiten zu dritt nach Bridgnorth - noch vor Tagesanbruch können wir dort sein.«
Rasch sattelte Wolf sein Pferd und ritt wenige Minuten später seinem Vater und Rickard hinterher. Er besaß eine Gerte mit kurzem Stiel, die er selten einsetzen musste. Sein Pferd spürte, dass Eile nottat, und er sprengte in gestrecktem Galopp durch die Dunkelheit, in Gedanken bei Lady Badlesmere und Edmund. Er fragte sich, was ihnen widerfahren sein mochte, nachdem Leeds Castle zur Übergabe gezwungen worden war, und ein Angstgefühl stieg in ihm auf.
Nach sieben oder acht Meilen merkte Wolf, dass sie Wigmore passierten, das einige Meilen landeinwärts vom Severn lag. Er hatte versucht, seiner Furcht Herr zu werden, doch während das Trio weitere vier Meilen dahingaloppierte und sie auf der Höhe von Ludlow waren, konnte Wolf nicht anders und zügelte sein Pferd.
»Verdammt, was soll das?«, rief Roger über seine Schulter.
»Reitet weiter und setzt die Brücke in Brand - ich muss nach Ludlow!«
Wolf grub die Fersen in die Flanken seines Pferdes und ritt im Galopp westwärts. Als er etwa um drei Uhr morgens auf Ludlow ankam, herrschte noch immer tiefe Dunkelheit. Er war aus dem Sattel und rannte zum Haus, ehe sein Pferd stillstand.
Er weckte die Wachen und das Stallgesinde und befahl, zwei Wagen vorzubereiten. Dann lief er die Eingangsstufen hinauf. »Auf! Auf! Alle aufstehen!« Er lief durch die Große Halle und die Treppe zu dem sich anschließenden Wohntrakt, der erst zwei Jahre zuvor gebaut worden war. Er riss die Tür des Raumes auf, den seine jüngeren Schwestern teilten. »Katherine, steh auf und hilf Joan beim Anziehen.«
»Wolf, was ist denn los?«, rief Katherine und sprang von ihrem Bett.
»Nichts, wenn du tust, was ich sage.«
Aufgeschreckt von Wolfs Warnruf, drängten sich die Dienerinnen im Korridor. »Rasch, packt die Sachen der Mädchen. Ich bringe sie in Sicherheit ... Ihr könnt mitkommen, wenn ich auch bezweifle, dass ihr in Gefahr seid.« Sein Ton wurde tiefer. »O Gott, steht nicht herum und haltet Maulaffen feil - rührt euch!«
Wolf lief zurück ans andere Ende der Großen Halle, an die der helle Wohntrakt angebaut worden war. Er betrat das Gemach seiner Mutter und befahl ihr aufzustehen.
»Um Himmels willen, was hast du vor?«, wollte sie wissen.
Er riss ihr die Decke herunter. »Steh auf und pack alles zusammen. Vor allem Wertsachen. Ich bringe dich in Sicherheit.«
»Geh zum Teufel, du arroganter junger Lümmel! Du bist wie dein Vater«, zischte sie.
»Ich bringe dich und die Mädchen nach Wigmore Abbey. Bei den Nonnen findet ihr Zuflucht. Zieh dich an«, befahl er.
»Ich soll in ein Nonnenkloster? Verschwinde! Ludlow gehört mir, niemand kann es mir nehmen!«
Wolf fiel die Gerte ein, die er umklammert hielt. Er schwang sie und ließ sie um die Fesseln seiner Mutter tanzen. Als es knallte, schrie Joan auf und wich aus. »Gehorche oder ertrage die Konsequenzen.« Wieder hob er die Gerte, entschlossen, sie zu benutzen.
Joan wusste, dass man sich mit einem Mortimer in dieser bedrohlichen Stimmung besser nicht anlegte, und kapitulierte auf der Stelle.