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Bei Tagesanbruch ging Brianna in den Stall und sattelte Venus. Sehr zur Freude ihres Vaters war sie eine begeisterte Reiterin, für ihn ein Grund, ihr seinen Besitz Flamstead in Hertfordshire als Erbteil zu versprechen, wo er seine berühmten und sehr begehrten Warwick-Pferde züchtete, die für ihre Schnelligkeit und Kraft bekannt waren.

Als sie eintrat, gewahrte sie die Umrisse eines groß gewachsenen Mannes. Das Licht war schwach, und sie argwöhnte, dass es Wolf Mortimer war. Ihre scharfe Bemerkung erstarb ihr auf den Lippen, als er sich näherte und sie ihren Vetter Lincoln Robert de Warenne erkannte.

Ihre finstere Miene wich einem erstaunten und erfreuten Lächeln. »Ich hatte ja keinen Ahnung, dass du da bist!« Sein warmer Begrüßungskuss war ihr willkommen, vor allem aber genoss sie seinen Blick, aus dem glühende Bewunderung sprach.

»Als wir eintrafen, war es fast Mitternacht. Das Tauwetter brachte Hochwasser, das die Brücke über den Nene zerstörte.«

»Sicher fluchte Onkel Lynx, dass sich die Balken bogen.«

»Im Gegenteil, er bewies ungewöhnlich viel Geduld. In Schottland hatte er schon Ärgeres erlebt und wollte nun die Gelegenheit nützen, seinen Söhnen zu zeigen, wie man widrige Umstände meistert.«

»Wie ... Jamie ist auch da?«

Er nickte. »Der Bursche schnarcht noch unter seiner Decke.«

»Möchtest du mit mir ausreiten?«

»Du weißt, dass ich deswegen zu dieser unheiligen Zeit im Stall bin.« Er machte kein Geheimnis aus der Tatsache, dass er sich stark zu ihr hingezogen fühlte. »Mein Pferd hat sich gestern am Bein verletzt. Ich hoffte, du würdest dir die Wunde ansehen. Niemand versteht sich besser darauf, die Verletzungen der Pferde zu kurieren als du, Brianna.«

»Du schmeichelst mir unsinnig. Mein gesamtes Wissen über Kräuter habe ich von deiner Mutter. Meine Mixturen sind ja recht wirksam, aber Tante Jane besitzt die übersinnliche Fähigkeit, mit Tieren zu kommunizieren, eine Gabe, die ich noch nicht beherrsche.«

Brianna begutachtete das Bein seines Pferdes. »Der Schnitt sieht sauber aus.«

»Ich habe ihn gleich nach unserer Ankunft gesäubert«, versicherte er ihr.

»Eine Salbe aus Bryonia wird helfen. Ich habe immer einen großen Tiegel hier im Stall vorrätig.« Sie nahm das Gefäß vom Wandbrett und trug die Salbe auf den Schnitt auf, während Lincoln Robert das Bein des Pferdes festhielt. »Die Salbe verhindert, dass die Wunde sich entzündet. Such dir eines der Warwick-Pferde aus. Dein Tier dürfte in ein paar Tagen wieder gut laufen können.«

Wenig später ging es Seite an Seite in lockerem Trab und unter angeregtem Geplauder dahin. Lincoln Robert erwähnte, dass er seine Mutter zu einem Besuch bei ihrer Familie nach Schottland begleiten wolle. »Unsere Pläne sind noch nicht fix, da ich aber dort geboren bin, möchte ich als waschechter Schotte einmal meine Heimat sehen.«

Brianna warf einen Seitenblick auf seine goldbraune Mähne und die grünen Augen. »Für mich siehst du eher wie ein Luchs aus«, neckte sie ihn.

Er lachte. »Der Fluch der de Warenne!«

»Ich würde auch zu gern Schottland besuchen. Meine Mutter verbrachte dort fast so viel Zeit wie dein Vater. Es wäre ein großes Abenteuer.«

»Im Moment ist es nur Gerede, falls sie sich aber dazu entschließen sollte, werde ich vorschlagen, dass du mitkommst. Mutter würde dich sicher gern dabeihaben.«

»Danke, Lincoln. Ich bewundere Tante Jane. Sie ist so lieb, sanft und von ruhiger Gemütsart, ganz im Gegensatz zu meiner Mutter und mir.«

»Ich bewundere feuriges Temperament.«

Brianna lachte bedauernd. »Von Mutter habe ich zwar mein Temperament, leider aber nicht ihr silbriges Haar.«

»Dein Haar ist wunderschön. In der Morgensonne leuchtet es wie flüssiges rotes Gold.«

»Schluss jetzt! Du wirst mir noch den Kopf verdrehen. Erst gestern wurde ich beschuldigt, eitel und verwöhnt zu sein. Los, zurück geht es um die Wette!«

Kopf an Kopf ging es im Galopp zurück nach Hause. Dank ihres geringen Gewichts und ihres reiterlichen Könnens erreichte Brianna knapp vor Lincoln den Burghof. Dort wimmelte es vor Männern, die ihre Pferde aufzäumten, und als sie unter ihnen Wolf Mortimer sah, hob sie mit Absicht ihr Gesicht Lincoln Robert entgegen und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Wie galant du bist. Du hast mich gewinnen lassen.«

Er saß wie der Blitz ab und trat an ihre Seite. Sie glitt in seine ausgestreckten Arme, wobei sie ihre Unterröcke und ihre hohen schwarzen Reitstiefel sehen ließ.

Warwick kam in Begleitung seines Schwagers de Warenne. Lynx streckte seine große Hand aus und zerzauste Briannas Haar. »Na, wie geht es meinem Teufelsbraten?«, neckte er sie.

»Diese Woche erwäge ich das Klosterleben.«

»Nein, Nonne solltest du nicht werden, Brianna«, sagte er mit ernster Miene. »Du müsstest dein herrliches Haar verstecken.« Zu seinem Sohn sagte er: »Wir wollen nach Kenilworth und dann nach Pontefract. Geh und sag deinem Bruder, er möge sich beeilen, sonst reiten wir ohne ihn.«

Brianna wollte mit Lincoln Robert gehen, doch just in diesem Moment kam Roger Mortimer im Sattel seines Rapphengstes aus dem Stall. Er bot einen so prächtigen, hoheitsvollen Anblick, dass sie wie angewurzelt stehen blieb und ihn mit unverhohlener Bewunderung betrachtete. Seine Zähne blitzten weiß in seinem dunklen Gesicht, als seine zwei Söhne Edmund und Wolf neben ihm in Gleichschritt fielen. Sie seufzte und fuhr sich unwillkürlich mit der Zungenspitze über die Lippen. Errötend hielt sie inne. Plötzlich spürte sie, dass sie beobachtet wurde. Aufblickend sah sie, dass Wolf Mortimer sie nicht aus den Augen ließ. Sein durchdringender Blick schien ihre Gedanken lesen zu können. Sie fühlte sich gedemütigt, als sie sein Grinsen sah.

 

Brianna suchte ihr Gemach auf, um ihr Reitkleid auszuziehen, und traf dort ihre einstige Kinderfrau und jetzige Zofe an, die das Bett machte. »Mary, das überlasse mir. Setz dich, ich will dich etwas fragen.«

»Und das wäre, Mistress Neugier?«

»Ich haben eben erfahren, dass ich auf Windrush geboren wurde. Warum hast du mir das nie gesagt?«

»Keine Ahnung, Liebes«, lautete die ausweichende Antwort.

»Mary, das ist eine Lüge. Ich weiß, dass Vater und Mutter sich gestritten haben und sie sich auf ihren eigenen Besitz flüchtete. Ich möchte wissen, warum sie sich gezankt haben.«

»Ach, es war ein dummes Missverständnis«, sagte Mary leichthin.

»Ein Missverständnis worüber?«, ließ Brianna nicht locker.

Mary gab seufzend nach. »Eine böse walisische Magd, die mit der ersten Gemahlin deines Vaters nach Warwick gekommen war, gab deiner Mutter Ale, das mit Flohkraut versetzt war. Ein Glück, dass deine Mutter es nicht trank, sonst gäbe es dich nicht, Liebes.«

Brianna, die erbleichte, stockte der Atem. »Sie versuchte, mich abzutreiben?«

»Ich glaube, diese Person war nicht ganz richtig im Kopf.«

»Aber warum stritten sich meine Eltern?«

»Deine Mutter glaubte, der Earl of Warwick hätte das Mittel in das Ale getan, deshalb flüchtete sie nach Windrush, um dich zu schützen.«

»Aber was ließ sie glauben, dass Vater mich nicht wollte?«

Mary zögerte, während sie nach einer Antwort suchte, die Briannas Neugierde befriedigen würde. »Schwangere Frauen leiden oft unter sonderbaren Vorstellungen. Der Earl schickte die Magd unverzüglich zurück nach Wales. Und dann ritt er nach Windrush, um alles wieder ins Lot zu bringen. Es war alles nur ein schreckliches Missverständnis.«

Brianna lächelte. »Danke, dass du es mir gesagt hast, Mary.«

Als die Zofe ging, verschwand auch Briannas Lächeln. Mutter glaubte, mein Vater wolle sich meiner entledigen ... Sie verließ Warwick, um mich zu schützen. Warum vermutete sie so etwas? Könnte es sein, dass Vater mich nicht wollte?

Der Gedanke flößte Brianna Entsetzen ein. Sofort wies sie die Idee von sich. Sie wünschte, sie hätte das Thema nicht so hartnäckig verfolgt. Natürlich wollte er mich! Vater liebt mich von ganzem Herzen.

Als die Adligen auf Henry Plantagenets Sitz nur fünf Meilen nördlich von Warwick eintrafen, war es für sie eine glückliche Fügung, dass sein Bruder Thomas, Earl of Lancaster auf Kenilworth weilte und sie sich den langen Ritt nach Pontefract ersparten.

Man versammelte sich in der Großen Halle und genoss ein gastliches Mahl, während Lancaster und sein Bruder sich Mortimers Beschwerden anhörten, dass Hugh Despencer sich Ländereien und Burgen der Grenzmark-Lords aneignete.

»Nicht nur die Grenzbarone leiden unter der Habgier der unersättlichen Despencers. Besitzt jemand etwas, das sie begehren, kerkern sie ihn ein und nehmen sich, was sie wollen. Ihre Macht im Land ist gefährlich und darf nicht fortdauern«, erklärte Thomas.

»Genau meine Überlegungen«, sagte Mortimer. »Ich verbündete mich mit den Grenzmark-Baronen Hereford, Mowbray, Audley, d'Amory und meinem Onkel Mortimer of Chirk, dem langjährigen Justiziar von Nordwales. Ich bin gekommen, um mich der Unterstützung Warwicks und Lancasters zu versichern. Wir müssen eine mächtige Allianz bilden, ehe wir völlig ruiniert werden.«

»Wir müssen den König zwingen, Hugh Despencer fortzuschicken. Man darf keine Zeit verlieren. Dieser Lustknabe ist viel raffinierter und klüger, als Gaveston es je war«, mahnte Warwick.

»Wir sehen uns einer unmöglichen Entscheidung gegenüber«, betonte Roger Mortimer. »Die Grenzmark-Barone waren stets aufrechte Royalisten. Sich gegen einen rechtmä ßigen König zu erheben ist für sie Verrat. Aber Hugh Despencer bedeutet unseren Ruin. Er will uns unserer von jeher gewährten Privilegien berauben. Das kann man nicht dulden.«

Nach einem Blick zu seinem Bruder Henry nickte Lancaster. »Wir halten mit Euch gegen die Despencers zusammen.« Thomas war nicht eben für seine Entschlussfreudigkeit bekannt. Mit seinen fünf Grafschaften hätte er die Macht hinter dem Thron sein können, wenn er den jungen König von Anbeginn an straff gelenkt hätte. »Welche Vorgangsweise schlagt Ihr vor?«

Warwick sagte: »Ich glaube, der beste Plan wäre es, eine Offensive gegen die Despencers auf dem Boden der Grenzmarken in Südwales zu eröffnen. Ich werde mit dir zurückkehren, Mortimer, und eine Streitmacht aufbieten.«

»Ich danke dir. Ich habe eine Armee, brauche aber noch Verstärkung.«

Lynx de Warenne versprach, Truppen zu schicken, sobald er seine Burg Hedingham erreicht hätte. Vor kurzem hatte er von seinem verstorbenen Onkel John de Warenne die Grafschaft Surrey geerbt und befehligte eine stattliche Anzahl von Kriegern.

»Ich stelle Euch nötigenfalls Truppen zur Verfügung«, versprach Lancaster.

»Abgemacht. Ich glaube, jetzt habe ich alles, was ich wollte«, sagte Robert Mortimer entschlossen. »Ich danke Euch, Gentlemen.«

Auf dem Ritt von Kenilworth zurück nach Warwick lenkte Wolf Mortimer sein Pferd so, dass er neben Lincoln Robert de Warenne ritt. »Euer Pferd ist bewundernswert.«

»Es gehört mir nicht. Es ist ein Warwick-Pferd, das ich mir heute zu einem Ausritt mit meiner Kusine Brianna ausborgte.«

»Ich habe euer Wettrennen beobachtet. Es war sehr galant, sie gewinnen zu lassen.«

»Das tat ich nicht. Sie hat ehrlich gewonnen. Brianna reitet wie der Wind. Und sie versteht unheimlich viel von Pferden. Ihr Vater hat eine Zucht auf Flamstead unweit von Windsor, wo sie und ihre Mutter am Hof der Königin lebten. Sie fehlt mir sehr.«

»Eure Burg Hedingham liegt in Essex, in einiger Entfernung von Windsor, wenn ich mich nicht irre?«, fragte Wolf.

»Ja, aber Hedingham ist nur wenige Meilen von Flamstead entfernt. Wir waren dort oft zusammen.«

Wolf erfasste sofort, dass Lincoln de Warenne in Brianna verliebt war. Sein besitzergreifender Ton verriet es. Seine dunklen Bauen zogen sich einen Moment in tiefer Konzentration zusammen und entspannten sich wieder. Armer de Warenne - dir steht eine Enttäuschung bevor, wenn ich dir deine Beute vor der Nase wegschnappe!

 

»Beim Abschied dachte ich, mir stünde mindestens eine Woche Ruhe und Frieden bevor«, neckte Jory ihren Mann. »Warum diese rasche Rückkehr?«

»Lancaster war in Kenilworth und hat Mortimer Unterstützung zugesichert.«

»Thomas machte zweifellos die Runde auf den reichen Rittergütern, die er jüngst vom verstorbenen Vater seiner Frau erbte.« »Um Derby beneide ich ihn. Manche Menschen haben eben großes Glück«, zog er sie auf.

»Neidest du ihm auch Alice de Lacy?«

Warwick schnitt eine Grimasse. »Nicht sehr. Ich glaube, ich muss mich mit Schönheit zufriedengeben.« Er senkte den Kopf und küsste sie.

»Ich hoffe sehr, dass man dir auf Kenilworth ein warmes Essen aufgetischt hat. Hier gibt es um diese späte Stunde nur einen kalten Imbiss.«

»Ich werde dich für mich erwärmen«, raunte er ihr zu.

Sie schlug ihm auf die Hand, als er nach ihrem Hinterteil fassen wollte.

Nach dem Essen forderte Guy Thomas seine de Warenne-Vettern zum Würfeln auf, und die Mortimer-Brüder stie ßen zu ihnen. Als Wolf zu gewinnen begann, zeigte sich der junge de Beauchamp von dessen Geschicklichkeit sehr beeindruckt und beobachtete jede seiner Bewegungen. Der Würfel aber fiel immer so, wie angesagt, mochte er ihn noch so lässig über den Tisch rollen lassen. »Wie machst du das?«

»Sein Geheimnis heißt Glück«, sagte Edmund Mortimer. »Mein Bruder hat geradezu teuflisches Glück.«

Wolf Mortimer hatte die Gabe des Zweiten Gesichtes und andere intuitive Kräfte von seinen keltischen Ahnen geerbt. Er war froh, dass Edmund sein wahres Geheimnis nicht enthüllt hatte.

Wolf blickte in das ernste junge Gesicht von Guy Thomas. »Ich muss dir wohl die Wahrheit sagen.« Er lächelte andeutungsweise. »Es ist nicht Glück, sondern Übung.«

Guy Thomas schaute auf und sah seine Schwester. »Brianna, komm und sieh zu. Wolf Mortimer hat beim Würfeln erstaunliches Glück.«

Sie hatte sich der Gruppe junger Männer, die großen Spaß hatten und sie gar nicht zu bemerken schienen, schon nähern wollen. Sie trat an den Tisch und blieb neben Lincoln stehen.

»Wollt Ihr einen Wurf wagen, Mistress de Beauchamp?« Wolf Mortimers graue Augen sahen sie herausfordernd an, als er ihr den Würfel reichte.

Lincoln gab seiner Missbilligung Ausdruck. »Brianna hat kein Interesse am Würfeln, sie hat von Glücksspielen keine Ahnung.«

»Doch natürlich«, erklärte ihr Bruder. »Wer, glaubst du, hat es mir wohl beigebracht?«

Wolf wusste, dass sie nicht widerstehen konnte, zumal, wenn man ihr davon abriet.

Brianna sah ihren Vetter an und sagte leichthin: »Ich sollte das nicht ... aber ich tue es dennoch! Danke, dass du die Entscheidung für mich getroffen hast, Lincoln.« Sie nahm den Würfel, der so verführerisch auf Wolf Mortimers Handfläche lag. »Was war der letzte Wurf?«

»Eine Zehn.«

Sie sah ihm direkt in die Augen und las darin kühne Herausforderung. »Das kann ich übertrumpfen.« Sie warf den Würfel mit der überlegenen Haltung einer Göttin, die gewöhnlichen Sterblichen eine Gunst erweist, und ging dann davon, als stünde das Ergebnis für sie fest.

»Die doppelte Sechs!« Ihr Bruder lachte. »Das nenne ich Glück!«

Aus Wolfs Augen blitzte Bewunderung. »Nein, das war Stolz.« Er griff nach dem Würfel, ehe ein anderer ihn berühren konnte. Er wusste, dass nun Spuren von Brianna daran hafteten, die er nach Wunsch für seine Zwecke nutzen konnte.

 

Jory de Beauchamp genoss die seltene Gelegenheit, mit ihrem Bruder vor dem Zubettgehen ein Gespräch zu führen. »Armer Lynx, du hast dir für deinen Besuch einen ungünstigen Zeitpunkt ausgesucht. Kaum warst du eingetroffen, wurdest du auch schon entführt und musstest dich mit den Problemen der anderen befassen.«

»Die schändliche Art und Weise, wie das Land regiert wird, berührt uns alle. Die Barone müssen zusammenhalten. Edward ist so weich und kraftlos, dass die Despencers sich königliche Macht anmaßen. Wir müssen sie ihnen entreißen - wir haben keine andere Wahl.«

»Da nun die Grafschaft Surrey an dich fiel, muss die Verantwortung umso schwerer auf dir lasten.«

»Nicht wirklich. Der schlechte Gesundheitszustand unseres Onkels John brachte es mit sich, dass ich schon lange als Earl lebte, ohne den Titel zu führen.«

Jory legte ihre kleine Hand auf seine große. »Ja, er hat sich sehr auf dich gestützt, und du hast ihn nie enttäuscht.« »Darüber lässt sich streiten. Der Earl of Surrey war wie sein Vetter Pembroke stets ein aufrechter Mann des Königs. Und ich schlage mich als Earl nun auf die Seite der Barone.«

»Der Earl of Pembroke ist Taufpate des Königs. Er gelobte, nie von ihm abzufallen, auch wenn Edward sich noch so schändlich beträgt. Du handelst richtig und gerecht«, versicherte sie ihm.

»Eigentlich kam ich, um deinen Rat zu erbitten. Jane hat ihre Familie seit über sechzehn Jahren nicht mehr gesehen, und ich weiß, dass sie zu gern einen Besuch in Schottland machen würde. Meinst du, dass eine solche Reise sicher ist, nun, da ein Waffenstillstand in Kraft getreten ist?«

»Eine Gefahr für Leib und Leben sehe ich nicht, aber wäre es politisch ratsam? Du wirst doch nicht glauben, dass König Edward den Baronen vergab, die sich weigerten, mit ihren Truppen bei Bannockburn zu kämpfen?«

Er grinste. »Lancaster, Warwick, Arundel und de Warenne. Mit unserer Weigerung blieben wir im Rahmen unserer legalen Rechte.«

»Das war der Vorwand, den ihr benutzt habt. Du und Arundel wart mit Robert Bruce von Kindesbeinen an befreundet. Eure Ländereien in Essex grenzen aneinander.«

»Ehe wir Schottland verließen, schwor ich Robert, dass ich nie die Waffen gegen ihn erheben würde. Und ich vermute, dass sich Warwick aus Liebe zur dir weigerte, bei Bannockburn zu kämpfen.«

»Nun, auch wenn er Robert vielleicht hätte töten wollen, weil dieser einmal mein Geliebter war, so sah Guy aus ehrlicher Überzeugung in Bruce den rechtmäßigen König Schottlands.« Sie beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Rickard eilte ebenso wie Roger Mortimer zu den Fahnen. Sie hielten dem König stets die Treue.«

»Da sie so lange in Irland waren, konnten sie sich wenigstens aus den ständigen Zwistigkeiten der Barone mit dem König heraushalten.«

»Bis jetzt. Und wo ist der Dank für alles, was sie getan haben? Der König stellt sich blind, während sein Geliebter Despencer ihr Land in den walisischen Grenzmarken raubt.«

»Nun ja, wir können keine Pläne für Janes Besuch in Schottland machen, ehe diese Schwierigkeiten nicht gelöst wurden. Vielleicht nächstes Jahr. Möchtest du denn Schottland nicht wiedersehen, Jory?«

»Nein, niemals. Mein Herz gehört Warwick.«

Lynx wusste, dass seine Schwester den Mann Warwick und nicht den Besitz meinte. »Da kommt er ja. Ich wünsche dir eine gute Nacht.«

Als Guy und Jory die Treppe des Guys Tower hinaufschritten, nahm er ihre Hand. »Es tut mir leid, dass der Besuch deines Bruders so kurz ausfiel, meine Liebe.«

»Ich erwog, ihn zum Bleiben zu überreden, und verwarf den Gedanken wieder, da ich weiß, dass Lynx rasch nach Hause zu Jane kommen möchte.«

»Es ist teuflisch, wenn man in seine Frau verliebt ist.«

Jory begann, ihr Gewand aufzuschnüren. »Ist das so? Die meisten Männer kennen dieses Problem nicht.«

»Überlass das mir.« Guy zog ihr das Gewand aus und liebkoste ihre nackten Schultern.

»Mortimer beispielsweise. Seine Frau Joan blieb in Irland. Er sagte, sie zöge es Wales vor, da sie dort in großem Stil lebt, doch weiß ich zufällig, dass Roger sowohl Wigmore als auch Ludlow zu richtigen Palästen umbaute und in Wales ein Leben wie ein unabhängiger Fürst führt. Ihre Entscheidung für ein getrenntes Leben fiel nach der Geburt ihrer jüngsten Tochter. Sie hatten sich einander entfremdet.«

Guy zog sich rasch aus. »Sie wurden von ihren Familien so jung vermählt, dass sie sich nicht frei entscheiden konnten. Eine Liebesheirat war es also nicht, wiewohl die Verbindung mit zahlreichem Nachwuchs gesegnet wurde.«

»Ja, Mortimer ist ein guter Vater. Für vier seiner Töchter sicherte er sich Söhne aus Englands reichsten Familien.«

»Auch für seine Söhne muss er ehrgeizige Pläne haben. Wie ich hörte, trat er an Lord Badlesmere heran, dem Leeds Castle in Kent gehört. Er brachte eine Verbindung zwischen seinem Erben Edmund und Badlesmeres Tochter zustande. Die Mutter des Mädchens ist eine de Cläre, und Mortimer weiß, dass der Familie halb Wales gehört.«

Warwick hob seine Gemahlin schwungvoll hoch und trug sie zum Bett. »Genug von Mortimer. Willst du meine Eifersucht auf diesen virilen Teufel reizen?«

Jory schwelgte in dem in die Länge gezogenen Vorspiel. Seine Küsse und Liebkosungen erregten sie zutiefst. Wenn Warwick sie liebte, weckte er in ihr immer das Gefühl, schön und erlesen zu sein, und ihr Körper reagierte auf jede seiner Berührungen. Nach einer Stunde der erfüllten Liebe räkelte sich Jory träge vor Befriedigung.

Wieder legten sich Guys Arme um sie, sie wurde an seinen Körper gezogen und spürte voller Staunen seine harte Erektion an ihrem Leib. »Heute bist du aber besonders liebesbedürftig und besitzergreifend, mein Liebling. Was weckt diese Leidenschaft in dir?«

Plötzlich erstarrte Jory.

»Du gehst fort! Du kehrst mit Mortimer nach Wales zurück, um gegen die Despencers zu kämpfen!«

»Allerdings.« Seine tiefe Stimme klang unerbittlich. »Meine Teuerste, ich habe keine andere Wahl. Die Barone haben geschworen zusammenzustehen.«

Jorys Herz krampfte sich zusammen. Und wenn es zu einem Bürgerkrieg kommt? Das könnte ein tödlicher Kampf werden! Sie atmete tief durch und verbarg ihre Angst. »Natürlich musst du gehen. Mortimer könnte keinen stärkeren Verbündeten an seiner Seite haben.«

Wolf Mortimer saß auf der Bettkante, das Würfelpaar locker in der Hand. Er beschwor ein Bild Brianna de Beauchamps herauf und konzentrierte sich darauf, bis es scharfe Umrisse annahm. Sodann gab er seine Gedanken frei, um ihr Gemach aufzusuchen, um eintreten und sie mit seinem inneren Auge beobachten zu können.

Er lächelte in der Dunkelheit, als er zusah, wie sie sich für die Nacht zurechtmachte. Als sie ihr Hemd auszog und zwei feste Brüste enthüllte, übermannte ihn eine Welle der Lust, und als sie ein Nachthemd anzog, das ihre Nacktheit verbarg und ihre langen, schlanken Beine verhüllte, empfand er einen Moment der Enttäuschung.

Die junge Schöne trat vor einen Spiegel und begann, ihr schönes rotgoldenes Haar zu bürsten, und sein Entzücken kehrte wieder. Er sah zu, wie sie die Bürste aus der Hand legte und zum Bett ging. Zu seiner Verwunderung schlug sie nicht die Decke zurück, sondern sank auf die Knie. Und er vernahm ihre Stimme, ernst und zerknirscht.

»Es war schlecht von mir, die Wölfin böse zu nennen. Es war nicht so gemeint. Ich liebe alle Tiere. Sie ist ein schönes Geschöpf.« Brianna flüsterte andächtig den Namen des Wolfes. »Shadow.«

Wolf warf einen Blick auf den Silberwolf zu seinen Fü ßen. »Sie denkt an dich und spricht deinen Namen aus. Geh zu ihr.«

Das Tier erhob sich und trottete zur Tür. Wolf Mortimer folgte der Wölfin still wie die Nacht.

Am nächsten Morgen wurde Brianna von Mary geweckt. »Ist dir auch wohl, Liebchen? Um diese Zeit bist du meist schon auf und davon.«

»Mir fehlt nichts, Mary.« Brianna schlug die Decke zurück und stand auf. »Ich hatte einen höchst sonderbaren Traum. Ein großes, wildes Tier, ein Löwe, glaube ich, bedrohte die Sicherheit aller hier auf Warwick. Vater und Guy Thomas machten sich auf, um es zur Strecke zu bringen. Ein dunkler Engel kam zu mir und umhüllte mich schützend mit seinen Schwingen. Ich fühlte mich sicher und warm und empfand keine Angst mehr, auch nicht, als das Untier kam. Der dunkle Engel verwandelte sich in einen Wolf und richtete den Löwen böse zu. Dann ließ er sich neben mir nieder, um mich zu beschützen, bis ich erwacht bin.«

»Das lässt sich ganz leicht deuten. Die Bedrohung durch den Löwen steht für den König, und dein Vater rüstet sich für den Ritt in die Marken.«

»Er rüstet zum Aufbruch? Ich hatte ja keine Ahnung!« Brianna zog sich sofort an, fuhr mit der Bürste durch ihre zerzausten Locken und warf ihr Haar über die Schulter zurück.

»Was ist denn das?« Mary hob eine kleine silberne Scheibe auf, die zwischen den Decken lag, und reichte sie ihr.

Brianna untersuchte das kleine Ding, das aussah, wie das Medaillon eines Hundehalsbandes. Sie drehte es um und sah, dass ein Name eingraviert war. »Shadow«, flüsterte sie, als Teile ihres fragilen Traumes zerbrachen und sich ihrer Erinnerung entzogen.

Brianna eilte in die Große Halle, wo sie ihre Mutter antraf, die mit Mr. Burke, dem Burgwart, sprach. »Ist es denn wahr? Will Vater mit Roger Mortimer ins walisische Grenzland zurückkehren?«

»Ja, mein Liebes. Er rüstet sich mit seinen Kriegern zum Aufbruch. Wir haben nichts zu befürchten, da er eine starke Streitmacht zum Schutz Warwicks zurücklässt. Wenn alle bereit für den Aufbruch sind, werden wir sie gemeinsam verabschieden.«

Brianna fiel auf, dass ihre Mutter an diesem Morgen ungewöhnlich bleich war, doch ließ sie sich nicht das leiseste Anzeichen von Beunruhigung anmerken. »Du hast so viel Mut. Ich verspreche, dass ich tapfer sein werde, wenn Vater geht.«

Guy Thomas stürzte in die Halle, nicht imstande seine Erregung zu unterdrücken. »Vater sagt, dass ich mitkommen darf!«

Brianna sah, dass ihre Mutter daraufhin noch bleicher wurde.

Jory machte den Mund auf und schloss ihn wieder, während sie ihre in Unordnung geratenen Gedanken sammelte und sich rasch fasste. »Ich helfe dir beim Packen.«

Er drehte sich peinlich berührt um. »Bitte ... ich werde mit Männern eine Mission erfüllen. Ich brauche keine Mutter, die meine Hand hält.«

Mr. Burke mischte sich geschickt ein. »Ich werde Euch raten, was Ihr mitnehmen sollt. Wir müssen uns beeilen, Ihr werdet doch die anderen nicht aufhalten wollen.«

Jory sah ihre Tochter an. »Er ist erst vierzehn.«

Brianna suchte nach aufmunternden Worten. »Roger Mortimer wurde mit vierzehn vermählt und war mit fünfzehn Vater.«

»Ich glaube, auch Warwick war etwa so alt, als er das erste Mal heiratete. Warum stürzen sie sich kopfüber in das Mannestum? Warum können sie nicht warten?«

»Aus demselben Grund, aus dem wir nicht erwarten können, Frauen zu werden.«

Jorys Lächeln verriet Sorge. »Echte Frauen tragen ihre besten Gewänder und Geschmeide und halten ihre Köpfe stolz erhoben, wenn ihre Männer in den Kampf ziehen. Das vermittelt den bleibenden Eindruck, dass wir sie für unbezwingbar halten, dass sie jeden Kampf gewinnen und siegreich heimkehren werden.«

Brianna erspähte Lincoln Robert und seinen Bruder Jamie, die ihre gepackten Satteltaschen herausschleppten. Sie eilte zu ihnen und fragte voller Angst: »Reitet ihr an die walisische Grenze?«

»Leider nein - ich würde alles dafür geben, wenn ich mitreiten könnte. Vater versprach, Truppen zu senden, deshalb kehren wir nach Hedingham zurück«, sagte Lincoln bedauernd und blickte lächelnd auf sie hinunter. »Es freut mich aber über alle Maßen, dass du um meine Sicherheit besorgt bist.«

Brianna empfand Erleichterung, wiewohl sie Lincolns Bedauern verstand. Wie alle Jünglinge konnte er es kaum erwarten, seine Männlichkeit im Kampf zu beweisen. »Es tut mir leid, dass ihr fortgeht. Ihr werdet mir fehlen.« Impulsiv umarmte sie ihn. »Gib gut acht auf dich. Auch du, Jamie. Grüßt Tante Jane von mir.«

 

Zwei Stunden später standen Mutter und Tochter angetan mit Samt und Pelzcapes, blitzende Juwelen um den Hals, stolz im Burghof, als die berittenen Krieger im leichten Galopp vorübersprengten. Die Warwick-Banner mit dem goldenen Bären auf schwarzem Grund flatterten lustig in der steifen Brise. Die Damen de Beauchamp hoben die Hände und winkten, als der berüchtigte Warwick mit seinem Sohn an der Seite losritt.

Wie habe ich nur daran zweifeln können, dass du wein wirklicher Vater bist? Möge Gott euch beide behüten und für eure rasche Heimkehr sorgen. Ihr Stolz auf den großen Mut, den sie zeigten, half mit, Briannas Ängste ein wenig zu zerstreuen. Sie hatte wie ihre Mutter ihrem Vater zuvor unter vier Augen Lebewohl gesagt. Dieser offizielle Abschied galt der gesamten Truppe.

Hinter den Kriegern Warwicks ritt Roger Mortimer, flankiert von seinen Söhnen, und salutierte galant vor den Damen.

Mit im Wind wehendem Haar, seinen Helm unter den Arm geklemmt, begegnete Wolf Mortimer Briannas Blick und hielt ihn fest. In seinen herausfordernden grauen Augen lag die Verheißung der nächsten Begegnung.

Brianna umklammerte das kleine silberne Medaillon so fest, dass es sich anfühlte, als würde es ein Loch in ihre Handfläche brennen. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Bitte, behüte seinen Wolf.