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Als das Regenwetter seinen Höhepunkt erreicht hatte, kam das Luftschiff von Norden her über die Berge geschwebt. Blitze, die die einzige Beleuchtung darstellten, zerrissen den Himmel. Die Radarwellen krochen über das Tal, die Baumwipfel, die Felsnadeln und den Fluß dahin und erfaßten das große Schiff. Der Radardetektor zeigte an, daß die Radarsysteme des Gegners nicht arbeiteten. Schließlich lag das Schiff vor Anker; warum sollte man die Radaranlage eingeschaltet lassen, wenn man keinen Feind erwartete? Die großen Luken im Bauch der Parseval öffneten sich. Der Helikopter auf der Startplattform ließ seine Propeller kreisen. Im Innern der Maschine befanden sich einunddreißig Männer. Boynton saß an den Kontrollen und de Bergerac befand sich neben ihm. Hinter ihnen lagerten Waffen und Kisten mit Plastiksprengstoff.

Sobald die Motoren genügend vorgewärmt waren, gab Boynton das Zeichen. Szentes, der diensthabende Flugleiter, lauschte indessen einer aus dem Telefonhörer dringenden Stimme, die ihm die letzte Wettermeldung mitteilte. Dann schwenkte er eine kleine Flagge. Alles klar!

Der Kopter stieg innerhalb des Hangars auf, bewegte sich seitwärts über die Plattform und schwebte, während die Hangarbeleuchtung sich auf seinen Propellern und der Frontscheibe brach, auf die Bauchöffnung der Parseval zu. Dann fiel er wie ein Stein nach unten, und de Bergerac, der einen Blick aus dem Bugfenster warf, sah, wie das gigantische Luftschiff in die schwarzen Wolken hinauftauchte und unsichtbar wurde.

Cyrano wußte, daß ihnen innerhalb einer Minute ein Zwei-Mann-Gleiter folgen würde. Bob Winkelmeyer würde ihn steuern und James McParlan würde sein Passagier sein. Winkelmeyer war West-Point-Absolvent, ein Flieger, den man während eines Beobachtungsfluges über einer nördlich von Australien gelegenen Insel abgeschossen hatte. McParlan war in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts ein bekannter Mann gewesen. Als Detektiv der Agentur Pinkerton hatte er die Mollie Maguires, eine Geheimorganisation irischer Bergarbeiter in Pennsylvanien, unterwandert. Es war ihm unter dem Decknamen James McKenna gelungen, bis in die geheimsten Kreise dieser Gruppe vorzudringen, wobei er mehrere Male nur knapp der Enttarnung und dem Tod entgangen war. Seine Arbeit hatte zur Verhaftung der Maguires geführt. Man hatte neunzehn von ihnen gehenkt, was den Minenbossen die Möglichkeit gegeben hatte, ihre Arbeiter auch weiterhin nach besten Kräften auszubeuten.

Winkelmeyer und McParlan würden auf dem Fluß wassern und ihren Gleiter anschließend versenken. Später – wenn die Möglichkeiten es erlaubten – würden sie sich auf die Rex herbegeben und in deren Mannschaft eintreten. Da es den Angreifern unmöglich erschien, einen Überfall auf das Schiff auszuführen, ohne jemanden von der Mannschaft zu töten, würde es an Bord Ausfälle geben.

Sam Clemens hatte zu den beiden gesagt: »Hundesohn-John hat kein Monopol auf Doppelagenten. Leckt ihm die Stiefel, Jungs, tut alles, um euch bei ihm einzuschmeicheln. Das heißt natürlich, daß ihr das nur dann tun sollt, wenn der Überfall fehlschlägt. Vielleicht wird es aber gar nicht zu eurem Einsatz kommen. Aber ich kenne diesen schleimigen Charakter. Er ist so glitschig, daß es nicht einmal ein Affe schaffen würde, an ihm hochzuklettern.

Wenn er also ohne gekrümmtes Haar aus der ganzen Affäre herauskommt, tretet ihr in seine Mannschaft ein. Und dann – wenn es die Zeit für das Armageddon ist – jagt ihr seinen Kahn in die Luft. Es wird so sein, als hätte Gabriel zwei Engel in der Verkleidung von Teufeln in die Hölle abkommandiert.«

Der Helikopter tauchte in die Wolkendecke ein. Blitze spalteten die Welt und rasten wie ein Feuerschwert zwischen Boden und Himmel dahin. Der Donner brüllte. Regen klatschte gegen die Sichtscheiben und machte das Erkennen ihres Zieles unmöglich. Die Radaranlage des Kopters allerdings sah das Schiff, und zwei Minuten später erkannten sie auch die Lichter ihres Gegners.

Boynton flog in einem Winkel von fünfundvierzig Grad auf das Schiff zu und ließ den Kopter so weit absinken, daß er beinahe das Wasser berührte. Mit voller Geschwindigkeit ließ er ihn einen Meter über dem Wasserspiegel auf das Ziel zurasen. Blitze erhellten die Nacht. Die Lichter auf den Decks und im Steuerhaus wurden heller und größer.

Abrupt stieg der Kopter wieder auf, schoß über den Rand des Flugdecks der Rex hinweg, verharrte und sank. Seine Räder berührten die Oberfläche. Die Maschine federte leicht, dann stand sie still. Die Propeller zirpten ein wenig, als sie sich verlangsamten, dann wurden die Luken aufgestoßen.

Als de Bergeracs Füße das Deck unter sich spürten, waren die Motoren bereits abgeschaltet. Boynton half an seiner Seite den Männern beim Aussteigen; Cyrano erteilte einem der Leute im Inneren der Maschine den Befehl, die Bombenkisten auszuladen.

Cyrano warf einen Blick auf das Oberdeck des Steuerhauses. Bis jetzt hatte weder jemand aus dem Heckfenster gesehen noch irgendeine Art von Alarm ausgelöst. Ihr Glück war größer, als sie erwartet hatten. Unglaublicherweise gab es nicht einmal Wachtposten. Wenn es welche gab, hatten sie bis jetzt zumindest nichts Ungewöhnliches bemerkt. Vielleicht fühlte man sich in diesem Gebiet außerordentlich sicher. Ein Großteil der Mannschaft befand sich möglicherweise auf Landurlaub, was den Wachen genug Grund lieferte, Unfug zu machen, zu schlafen, zu trinken und zu bumsen.

De Bergerac zog seine Mark-IV-Pistole und klopfte auf den Griff seines Degens. »Mir nach!« Fünf Männer rannten hinter ihm her. Zwei weitere Gruppen nahmen die ihnen zugewiesenen Stellungen ein. Boynton blieb im Innern des Kopters, um ihn zum richtigen Zeitpunkt sofort wieder starten zu können.

Das Flugdeck war die Verlängerung der Aufbauten. Der Franzose rannte auf das Steuerhaus zu, und die Füße seiner Männer trommelten über die eichenen Bodenplanken. Als er den Eingang zum zweiten Steuerhausdeck erreichte, hielt er inne. Aus einer offenen Luke des Steuerhauses rief plötzlich jemand etwas zu ihnen herunter. Cyrano ignorierte den Mann und schob sich durch den Eingang. Die anderen folgten ihm eine steile Leiter hinauf. Bevor der letzte Mann in Sicherheit war, erklang ein Schuß. Cyrano sah sich um. »Irgend jemand getroffen?« rief er.

Cogswell, der Mann, der direkt hinter ihm war, sagte: »Er hat mich verfehlt.«

Jetzt wurde über ihnen Alarm geschlagen. Aus der Ferne erklang das Heulen einer Sirene. Sekunden später fielen auch die restlichen ein.

Das zweite Deck bestand aus einem hellerleuchteten Korridor, von dem Kabinen abzweigten, in denen die Stabsoffiziere mit ihren Frauen wohnen mußten. Wenn die Hoffnung Cyrano nicht trog, mußte John Lackland sich in der Kabine zu seiner Linken aufhalten, direkt unterhalb der Leiter, die zur Brücke hinaufführte. Zwar war es Clemens’ Plan gewesen, diese Kabine – zumal sie die größte war – dem Kommandanten zu reservieren, aber es war nicht unmöglich, daß König John es vorzog, in einer kleineren zu leben.

Von jeder Korridorseite zweigten vier Türen ab, und eine davon öffnete sich genau in dem Moment, als Cyrano in den Gang hineinstürmte. Ein Mann steckte seinen Kopf heraus. De Bergerac legte die Pistole auf ihn an, woraufhin die Tür sofort wieder ins Schloß fiel.

Rasch – und genau nach Plan arbeitend – zogen die sechs Männer einige Gegenstände aus ihren Gürteln, die erst eine Stunde vorher aus der Werkstatt des Luftschiffes gekommen waren. Zwei von ihnen waren für alle Fälle doppelt ausgerüstet. Bei den Gegenständen handelte es sich um kurze, an beiden Enden mit Stahlnägeln versehene Querriegel, die nun unter Zuhilfenahme schwerer Hämmer mit wuchtigen Schlägen in die Türen und deren Pfosten getrieben wurden. Ein zu allem entschlossener Mann konnte diese Sperren natürlich im Laufe der Zeit von innen sprengen, aber bis dahin würde John sich bereits – wenn alles wie geplant verlief – im Gewahrsam seiner Häscher befinden und verschwunden sein.

Aus dem Innern der Kabinen kamen Rufe und Schreie. Während Cogswell auf eine der Sperren einhämmerte, versuchte jemand die gerade von ihm bearbeitete Tür zu öffnen. Cogswell ließ den Hammer fallen und feuerte durch den schmalen Türspalt einen Schuß ab, hatte aber nicht die Absicht, jemanden zu verletzen. Die Tür wurde auf der Stelle wieder geschlossen, und Cogswell setzte seine Arbeit fort.

Inzwischen mußte John über das Interkom vom Angriff auf das Schiff erfahren haben. Schon der im Korridor herrschende Lärm hätte genügt, ihm zu sagen, daß die Invasoren nicht mehr fern waren, und es hätte nicht einmal des Schusses bedurft, ihn darin sichergehen zu lassen.

Drei weitere Männer mußten inzwischen das Steuerhaus umrundet und die vordere Leiter erklommen haben. Allerdings… ah, ja, da kam jemand von der Steuerhauswache. Der Mann schob sein blasses Gesicht durch den Eingang am Ende der in den Korridor hinabführenden Leiter. Er kam einen Schritt nach vorne und zeigte seine Pistole. Sie war vom Kaliber .069, aber der Schütze selbst trug keinen Panzer.

»Feste!«

Obwohl es Cyrano ganz und gar nicht zusagte, einem Menschen, den er nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte, etwas anzutun, zielte er und schoß.

»Quelle Merde!«

Er hatte ihn verfehlt. Die Plastikkugel war neben dem Mann in die Türöffnung gedrungen, aber einige Splitter mußten ihn getroffen haben, denn er schrie auf, taumelte zurück, ließ die Waffe fallen und betastete sein Gesicht mit beiden Händen.

Cyrano wußte, daß er nicht gerade einen Meisterschuß abgegeben hatte, aber er sagte sich, daß er dennoch seine Wirkung getan hatte. Wenn die Kugel den Mann außer Gefecht setzte, ohne ihn ernsthaft zu verletzen – oder gar zu töten –, war das eine Lösung, die seinen Absichten entgegenkam.

Schüsse und Schreie drangen nun vom Steuerhaus zu ihnen herab. Das konnte nur bedeuten, daß die drei anderen inzwischen die Leiter erklommen hatten und die Wachen beschäftigt hielten.

Cyrano ging auf die Tür zu, hinter der er die Kabine Johns vermutete. Es gab keinen Grund, ihn aufzufordern, er solle mit erhobenen Händen herauskommen. Was immer man über den ehemaligen Herrscher Englands und der Hälfte Frankreichs auch sagen konnte: ein Feigling war er nicht.

Natürlich bestand die Möglichkeit, daß er sich heute nacht gar nicht an Bord aufhielt. Er konnte genauso gut irgendwo an Land sein und sich mit Huren vergnügen.

Cyrano lächelte, als er sich neben der Tür aufbaute und deren Knauf berührte. Sie war verschlossen. Das bedeutete also, daß der Kapitän der Rex daheim war.

Eine Männerstimme rief auf Esperanto: »Was ist denn da los?«

Cyrano grinste. Das war König Johns Bariton.

»Wir sind überfallen worden, Kapitän?« gab Cyrano zurück.

Er wartete. Vielleicht fiel John auf diesen Trick herein. Wenn er ihn für einen seiner Männer hielt, würde er vielleicht die Tür öffnen.

Plötzlich gab es einen Knall. Die Kugel hätte Cyrano, wäre er direkt vor der Tür stehengeblieben, in die Brust treffen müssen. Es war keines der üblichen Plastikgeschosse, die höchstens die Türfüllung erschüttert hätten. Und der Schuß war gezielt und hinterließ in der Tür ein respektables Loch.

Cyrano gab seinen Leuten einen Wink, und einer von ihnen entnahm seiner Ausrüstung eine kleine Plastikbombe. Während der Mann – es war Sheehan – gebückt auf die Kabinentür zuschlich und die Bombe an der Klinke befestigte, trat Cyrano zur Seite.

Der listige John jagte eine weitere Kugel durch die Türfüllung. Diesmal zielte er tiefer und traf Sheehan genau in den Kopf. Der Mann fiel zurück und blieb mit offenen Augen und heruntergefallenem Unterkiefer auf dem Boden liegen.

»Quel Dommage!«

Sheehan war ein netter Bursche gewesen. Es war geradezu eine Schande, daß alles, was man über seinen Tod im Moment sagen konnte, aus den Worten »Welch eine Schande!« bestand.

Andererseits hätte er nicht so unvorsichtig sein und sich genau in die Schußlinie begeben dürfen.

Cogswell eilte auf die Leiche zu, entnahm ihren Händen die Batterie und Leitungsdraht und zog sich flink, das Kabel dabei entrollend, zurück. Zum Glück – das bedeutete eine große Zeitersparnis – hatte Sheehan es noch geschafft, das Kabelende mit der Sprengladung zu verbinden. Jetzt kam alles auf die richtige Geschwindigkeit an, denn von nun an konnten Sekunden über das Gelingen ihres Vorhabens entscheiden.

Cyrano zog sich in eine Ecke zurück, drückte den Rücken gegen ein Schott, wandte das Gesicht zur Seite, steckte zwei Finger in die Ohren und öffnete gleichzeitig weit den Mund.

Obwohl er ihn nicht sehen konnte, wußte er, daß Cogswell in diesem Augenblick das andere Ende der Leitung an die Batterie anschloß.

Die Explosion ließ Cyrano schwanken und machte ihn halb taub. Rauchwolken breiteten sich im ganzen Korridor aus. Cyrano tastete sich hustend an der Wand entlang, berührte schließlich den jetzt leeren Türrahmen, sah aus den Augenwinkeln, daß die Füllung auf Sheehans Leiche herabgestürzt war, und stürmte in Johns Unterkunft.

Er sprang gebückt in den Raum hinein und ließ sich augenblicklich zur Seite fallen, was nicht einfach war, wenn man bedachte, wie sehr der an seinem Gürtel hängende Degen ihn dabei behinderte.

Dann berührte er etwas, das er für die Beine eines Bettes hielt. Fast genau über ihm schrie eine Frau. Aber wo war John Lackland?

Ein Pistolenschuß krachte. Durch den Rauch hindurch sah Cyrano den Feuerstrahl. Er sprang auf und warf sich seitlich über das Bett. Seine Arme packten eine fette, nackte Hüfte, und der völlig überraschte Mann rollte zur Seite. Cyrano hörte jemanden grunzen. Er spürte einen Schlag auf seinem Schädel, der ihn jedoch nicht schmerzte, dann wurde die Gestalt seines Gegners schlaff.

Cyrano riß seinen Dolch hoch und richtete ihn auf die Kehle des anderen. »Keine Bewegung, sonst ist es um dich geschehen!«

Er erhielt keine Antwort. War der Bursche vor Schreck erstarrt oder plante er irgendeinen schmutzigen Trick?

Cyrano tastete mit der anderen Hand die Schulter, den Hals und schließlich den Kopf seines Gegners ab. Der Mann bewegte sich noch immer nicht. Ah, Nässe! John – vorausgesetzt, dieser Mann hier war der Gesuchte – hatte sich den Kopf gestoßen und die Besinnung verloren.

Cyrano stand auf, tastete die Wand ab und fand schließlich einen Schalter. Als das Licht aufflammte, beleuchtete es einen großen, luxuriös eingerichteten Raum, dessen Möbel durchaus dem Standard der Flußwelt entsprachen. Der Rauch begann sich allmählich zu verziehen und offenbarte seinen Blicken eine sehr hübsche und ziemlich nackte Frau, die in der Mitte des Bettes kniete. Sie hatte ihr Geschrei inzwischen eingestellt und starrte ihn mit großen blauen Augen an.

»Begeben Sie sich unter die Decke und bleiben Sie dort, Mademoiselle«, sagte Cyrano, »dann wird Ihnen auch nichts geschehen. De Bergerac führt keinen Krieg gegen Frauen. Außer natürlich, sie versuchen ihn umzubringen.«

Der Mann, der aus dem Bett gefallen war und nun auf dem Boden lag, war untersetzt, muskulös und hatte dunkelbraunes Haar. Seine blauen Augen waren geöffnet, und er murmelte etwas. In ein paar Minuten würde er wieder völlig bei sich sein.

Cyrano wandte sich um und sah, aus welchem Grund John den letzten Schuß abgegeben hatte. Hoijes lag rücklings auf dem Boden. Seine Brust war zerfetzt.

»Mordioux!«

Er mußte ihm im gleichen Augenblick nachgefolgt sein, als er sich gebückt über die Schwelle geworfen hatte. Und John, der den Mann im Schein der Korridorbeleuchtung umrißhaft gesehen hatte, hatte auf ihn gefeuert. Cyrano lag zweifellos nur deswegen nicht an Hoijes’ Stelle, weil während seines Vordringens der Rauch noch zu dicht gewesen war, so daß er kein gutes Ziel abgegeben hatte.

Zwei seiner Männer hatten also bis jetzt schon ihr Leben lassen müssen. Vielleicht hatte es anderswo noch weitere Opfer gegeben. Man mußte sie hier zurücklassen, damit sie die Flucht nicht behinderten.

Wo waren die anderen? Warum waren sie ihm nicht in die Kabine gefolgt?

Ah, da kamen Cogswell und Propp!

Etwas Hartes traf ihn, riß ihn hoch, warf ihn zurück und schleuderte ihn gegen die nächste Wand. Cyrano fiel aufs Gesicht und blieb liegen, während es in seinen Ohren klingelte und sein Kopf Anstalten machte, sich auszudehnen und zu platzen. Wieder erfüllten schwere Rauchwolken den Raum, brachten seine Augen zum Tränen und ließen ihn laut husten.

Es dauerte einige Zeit, bis er es schaffte, sich wieder auf die Knie zu erheben, und noch länger, bis er schließlich stand. Erst dann wurde ihm klar, daß im Korridor eine weitere Bombe hochgegangen sein mußte. Hatte man sie vom Steuerhaus herabgeworfen?

Wer immer es getan hatte, er hatte Cogswell und Propp auf dem Gewissen und war ziemlich nahe daran gewesen, auch Savinien de Cyrano Il de Bergerac umzubringen.

John hockte jetzt auf den Knien. Er schwankte, hustete und stierte geradeaus. Obwohl sich innerhalb der Reichweite seiner Hand eine Pistole befand, schien er sie nicht wahrzunehmen.

Ah, jetzt streckte der Lump die Hand aus!

Da Cyrano im Moment weder eine Schußwaffe, noch einen Dolch zur Verfügung hatte, riß er seinen Degen aus der Scheide. Er machte einen Schritt nach vorn und versetzte John, als hielte er eine Keule in den Händen, mit der flachen Klinge einen Schlag auf den Kopf. John fiel vornüber, landete auf dem Gesicht und blieb bewegungslos liegen.

Die Frau lag bäuchlings auf dem Bett, bedeckte die Ohren mit beiden Händen und schlotterte vor Angst.

Cyrano taumelte durch das raucherfüllte Zimmer und stolperte beinahe über den toten Propp. Als er den Eingang erreicht hatte, blieb er stehen. Allmählich funktionierte sein Gehör wieder, aber dennoch hörten sich die aus dem Korridor zu ihm hineindringenden Schüsse an, als kämen sie aus weiter Ferne. Cyrano kniete sich hin und warf vorsichtig einen Blick um die Ecke. Der Luftzug war bereits dabei, den Rauch zu zerstreuen. Am Fuße der nach oben führenden Leiter lag jemand. Es war offensichtlich ein Mann aus dem Steuerhaus, vielleicht sogar der Bombenwerfer selbst. Am Ende des Korridors krochen zwei Männer über den Boden und feuerten durch den Eingang hinaus. Sie gehörten zu dem Überfallkommando und ihre Namen waren Sturtevant und Velkas.

Zwei pulvergeschwärzte Männer kamen jetzt die Leiter herab. Reagan und Singh. Offenbar hatten sie die Brücke gesäubert und kehrten jetzt zurück, um den anderen beizustehen. Ihre Hilfe wurde in der Tat dringend gebraucht.

Cyrano stand auf und gab ihnen einen Wink. Die Männer sagten etwas, aber er konnte sie nicht verstehen. Offenbar war die zweite Bombe stärker gewesen als die ihre. Jedenfalls hatte sie aus dem Korridor einen Schrotthaufen gemacht.

Reagan und Singh betraten die Kabine und packten den noch immer besinnungslosen John. Nachdem Cyrano seinen Degen eingesteckt und seine Pistolen nachgeladen hatte, folgte er ihnen. Die Frau blieb im Bett liegen, preßte weiterhin das Gesicht gegen die Matratze und verstopfte beide Ohren mit den Händen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

Als Cyrano die Kabine verließ, stellte er fest, daß Sturtevant und Velkas bereits wieder verschwunden waren. Das bedeutete, daß diejenigen, die auf sie geschossen hatten, nicht mehr existierten. Reagan und der riesenhafte Sikh – letzterer schleifte John wie einen schlaffen Sack hinter sich her – hatten beinahe den Ausgang erreicht, als Velkas wieder auftauchte, auf die drei Männer zulief und ihnen irgend etwas entgegenschrie. Während Velkas auf Cyrano zueilte, gingen die anderen weiter.

Velkas mußte laut in Cyranos Ohr schreien, um sich verständlich zu machen. Mehrere von Johns Leuten hatten ein Dampfmaschinengewehr aufgestellt. Aber von Johns Kabine aus mußte man sie von hinten angreifen können.

Sie eilten in die Kabine zurück und sahen durch eines der Bullaugen hinaus. Zu ihrer Rechten befand sich eine Plattform, die sich über den Rand des Flugdecks hinaus erstreckte. Darauf befand sich das mächtige Gehäuse eines Maschinengewehrs. Es wurde von zwei Männern bedient, die gerade dabei waren, die Waffe herumzuschwenken und auf den Helikopter zu richten.

Linkerhand unter ihnen wurden jetzt Sturtevant und die beiden Männer sichtbar, die John zwischen sich trugen. Sie mußten unweigerlich in die Schußlinie des Maschinengewehrs geraten.

Cyrano öffnete ein breites, rechteckiges Fenster, brachte auf dessen Rand seine Pistole in Anschlag und feuerte. Eine Sekunde später brüllte neben ihm Velkas’ Waffe auf und machte ihn nur noch tauber.

Sie schossen ununterbrochen. Zielgenauigkeit war bei dieser Entfernung unmöglich. Zwar verschossen die Mark-IV-Pistolen kostbare Bleikugeln, aber die Ladungen, die man benötigte, um die .6o-Millimeter-Geschosse in Rotation zu versetzen, erzeugten einen starken Rückstoß. Außerdem war diesmal der Wind nicht auf ihrer Seite.

Die ersten beiden Salven gingen völlig daneben. Dann fiel der MG-Schütze um, und der andere Mann, der augenblicklich dessen Platz einnahm, ein paar Sekunden später. Es war nicht einmal sicher, ob die Pistolenkugeln sie direkt getroffen hatten. Genauso gut konnten sie von Querschlägern erledigt worden sein. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Es war das Resultat, das zählte.

Sturtevant und die Männer, die John trugen, hatten inzwischen das Deck zur Hälfte überquert. Die Propeller des Helikopters setzten sich in Bewegung, ohne daß Cyrano den von ihnen erzeugten Lärm hören konnte. Aber selbst wenn er sein volles Gehör zurückerhalten hätte: die Alarmsirenen der Rex übertönten jegliches Motorengeräusch.

Cyrano packte Velkas’ Arm und zog den Mann zu sich heran. Ihm laut ins Ohr brüllend machte er dem Mann klar, daß er das MG übernehmen und jeden damit aufhalten solle, der Anstalten unternahm, den Helikopter anzugreifen. Dann deutete er auf eine Gruppe gepanzerter Männer, die jetzt vor einer Luke am äußersten Ende des Decks auftauchten.

Velkas nickte und rannte hinaus.

Erneut warf Cyrano einen Blick aus dem Fenster. Die Gruppen, deren Auftrag darin bestanden hatte, die Schaufelmotoren und die Waffenkammer der Rex in die Luft zu jagen, waren noch nicht in Sicht. Entweder waren sie noch beschäftigt, oder man hatte sie überrascht, so daß sie sich erst den Rückweg freischießen mußten.

Cyrano kletterte die Leiter hinauf und begab sich auf die Brücke. Überall lagen Tote. Er fand einen seiner Männer und zwei aus Johns Mannschaft. Lampen beleuchteten ihre blaugrauen Gesichter und offenen Augen und Münder.

Er schaltete die Sirenen ab und warf einen Blick durch die Frontscheiben. Abgesehen von einer Leiche, die am Fuß der zum Steuerhaus hinaufführenden Leiter lag, und mehreren Toten am Bug befand sich niemand auf den Vorderdecks.

Das Schiff lag längsseits eines ausgezeichnet beleuchteten Docks, das weitaus länger und massiver war als jene, auf die man sonst am Fluß stieß. Möglicherweise hatte die Mannschaft der Rex es selbst gebaut, nachdem der Kapitän den Entschluß gefaßt hatte, den Leuten einen längeren Landurlaub zu gewähren. Vielleicht hatte die Rex aber auch größere Reparaturarbeiten nötig gehabt.

Es tat nichts zur Sache. Wichtig war allein, daß das Überfallkommando Glück gehabt hatte, das Schiff fast unbemannt anzutreffen. Daß John sich entschlossen hatte, die Nacht an Bord zu verbringen, war ein weiterer Glückstreffer gewesen – wenn auch nicht für ihn.

Das Kampfgetümmel hatte allerdings inzwischen auch jene erwachen lassen, die die Nacht an Land verbrachten. Aus allen Richtungen strömten sie zusammen, verließen die auf der Ebene liegenden Hütten und mit Palisadenzäunen umgebenen Festungen. Die Schiffslampen zeigten deutlich die ersten Vortruppen der Menge, die sich in Richtung auf das Ufer hin in Bewegung setzte. Viele von ihnen mußten, da sie Metallwaffen trugen, zur Mannschaft der Rex gehören.

Man hatte zwar nicht geplant, das Schiff vom Dock zu entfernen, aber jetzt wurde Cyrano klar, daß es keine andere Möglichkeit gab. Als ihm bewußt wurde, daß es nicht viel länger als eine Minute dauern konnte, bis sich der Mob vom Dock aus auf das Schiff ergoß, schritt er auf der Stelle zur Tat. Er ließ sich in den Pilotensitz fallen, betätigte die Schalter, die die Maschinen anwarfen, und nahm lächelnd zur Kenntnis, daß die AN-Lichter aufleuchteten. Bis jetzt war er nicht einmal sicher gewesen, ob die Motoren überhaupt einsatzbereit waren. Immerhin hätte John – um sicherzugehen, daß ihm niemand sein Schiff stahl – die Schaltkreise unterbrechen lassen können.

Cyrano betete darum, daß man die Motoren nicht ausgerechnet in diesem Moment in die Luft jagte. Wenn es doch dazu kam, würde die Rex nicht nur steuerlos werden, sondern es stellte sich dann auch die Frage, ob er und seine Leute den Kopter noch rechtzeitig erreichen konnten.

Die Zeit war zu knapp, um die Leinen loszumachen. Das war zwar Pech, aber andererseits steckte in den großen Elektromotoren eine Menge Kraft.

Cyrano zog an den seitlich angebrachten langen Stäben, und die Schaufelräder begannen sich rückwärts zu drehen. Sie bewegten sich anfangs zu langsam, um die Leinen zerreißen zu können, und so zog Cyrano die Stäbe so weit heraus, wie es nur möglich war. Die Schaufelräder rotierten nun mit voller Kraft.

Langsam begannen die dicken Taue sich zu straffen und anstatt zu reißen zerrten sie an den Enden der Anlegemasten.

Einen Moment lang hielten die Masten dem Zug stand. Die Leute auf dem Dock sprangen entweder von selbst herunter oder versuchten die Distanz zwischen Dock und Schiffsreling mit einem einzigen Satz zurückzulegen. Dann rissen die Masten mit lautem Getöse, daß man es noch im Steuerhaus hören konnte, aus ihren Verankerungen.

Die Auswirkungen waren unvorhersehbar. Die dem Wasser zugeneigte Seite des Docks brach zusammen und ließ den größten Teil der wutschnaubenden Mannschaftsmitglieder der Rex ins Wasser purzeln.

Lediglich ein einziger Mann schaffte den Sprung vom Dock aufs Schiff, ohne in den Fluß zu fallen.

Die Rex entfernte sich rasch vom Ufer und zog die entwurzelten Masten an den Leinen hinter sich her. Cyrano betätigte lachend einen Knopf und ließ die Dampfpfeifen aufheulen, um jenen, die nun hilflos im Wasser paddelten oder am Ufer zurückgeblieben waren, seinen Triumph mitzuteilen.

»Wie gefällt dir das, John?« rief er aus. »Man hat nicht nur dich, sondern auch noch dein Schiff gestohlen! Das ist nur gerecht!«

Cyrano betätigte den Steuerbordknüppel, und das große Schiff begann sich flußabwärts zu drehen. Er steuerte auf die Strommitte zu und schaltete die automatische Steuerung ein. Diese würde mit Hilfe der Sonare die Wassertiefe ausloten, die gleiche Entfernung zu beiden Uferbänken einhalten und das Schiff so lange exakt geradeaus fahren lassen, wie es nicht Gefahr lief, mit einem anderen großen Objekt zu kollidieren. In diesem Fall würde der Autopilot ein Ausweichmanöver einleiten, um einen Zusammenstoß zu vermeiden.

Der Mann, dem der Sprung vom Dock auf die Rex als einzigem gelungen war, rannte jetzt über das Deck und verschwand aus Cyranos Blickfeld. Eine halbe Minute später tauchte er auf einem anderen Deck auf, das er über eine Leiter erklommen haben mußte. Jetzt verdeckte der Schatten des Steuerhauses seinen Aufenthaltsort.

In diesem Moment begann es heftig zu regnen.

Cyrano nahm im Ausgang der Brücke Aufstellung und leerte, als er den Mann wieder rennen sah, das ganze Magazin seiner Pistole auf ihn. Der Mann tauchte unter einem Überhang hinweg, reckte plötzlich den Kopf und feuerte auf Cyrano. Die einzige seiner Kugeln, die nahe genug herankam, traf die vom Steuerhaus abwärts führende Leiter.

Cyrano warf einen Blick nach achtem. Der Helikopter stand noch immer auf dem Flugdeck, und John saß nebst seinen drei Entführern in seinem Innern. Vier Männer liefen über das Deck hinweg. Cyrano öffnete das Fenster, lehnte sich hinaus und gab ihnen mit Gesten zu verstehen, daß er derjenige gewesen war, der das Schiff in Bewegung versetzt hatte. Die Männer hielten an, grinsten und winkten und setzten dann ihren Weg zum Helikopter fort.

Am äußersten Ende des Decks waren immer noch einige Leute damit beschäftigt, den Helikopter von einer Luke aus zu beschießen, aber ihre großkalibrigen Plastikkugeln hatten gegen den Wind anzukämpfen, weswegen die meisten von ihnen bereits zu Boden fielen, bevor sie ihr Ziel erreichen konnten oder über die Reling getrieben wurden. Cyrano konnte zwar nicht abschätzen, wie viele Männer sich hinter der Luke aufhielten, aber dem äußeren Eindruck nach zu schließen, konnten es nicht mehr als drei oder vier sein.

Es war natürlich nicht auszuschließen, daß eine ganze Reihe von Wächtern momentan unter Deck damit beschäftigt war, dem Sprengkommando zuzusetzen.

Und dann erzitterte das Schiff. Eine riesige Rauchwolke stieg hoch und breitete sich über dem Schaufelradgehäuse an der Backbordseite aus.

Dieser Explosion folgte fast augenblicklich eine zweite, die von der Steuerbordseite kam und noch gewaltiger war als die erste. Metallfetzen wurden durch die Luft gewirbelt und flogen über das Deck. Überall war plötzlich Rauch, der sich zerteilte und direkt neben dem Steuerbordrad ein gewaltiges Loch offenbarte.

Die Schiffslampen erloschen und flammten kurz darauf, als das Notsystem sich einschaltete, wieder auf. Da die Motoren nicht mehr liefen, begann die Rex sich nun langsam zu drehen und steuerte auf das rechte Ufer zu. Das Schiff wurde jetzt nur noch von der Strömung bewegt und konnte durchaus noch mehrere Kilometer treiben, bevor es gegen das Ufer stieß.

Sturtevant kletterte aus dem Kopter und gab Cyrano heftig winkend zu verstehen, daß er sich beeilen solle.

Auf der Steuerbordseite des Flugdecks tauchten nun vier Männer auf. Zwei weitere erklommen das Deck über eine Leiter von der gegenüberliegenden Seite her.

Cyrano fluchte. Sollten das etwa die einzigen Überlebenden der beiden Sprengkommandos sein?

Aus der Luke, von der aus die Verteidiger den Kopter unter Beschuß genommen hatten, quollen nun Rauchwolken heraus. Einer von Cyranos Leuten fiel hin. Während zwei andere ihn packten und auf den wartenden Hubschrauber zuliefen, gaben die anderen ihnen Feuerschutz. Dann fiel ein zweiter, der sich ohne Hilfe nicht wieder erheben konnte. Zwei andere Männer nahmen sich seiner an. Der erste Verwundete wurde von einem seiner Kameraden auf den Rücken genommen, und dieser trug ihn, obwohl er unter der Last wankte, weiter.

Cyrano rannte an die andere Seite des Ruderhauses zurück. Der verdammte Kerl, dem der Sprung an Deck geglückt war, tauchte plötzlich wieder auf und rannte genau unter ihm dahin. Er verfügte zwar über keine geladene Pistole mehr, aber er hielt den Degen in der Hand.

Aus den Augenwinkeln erfaßte Cyrano am Fuß der vom Ruderhaus auf das darunterliegende Deck führenden Leiter eine Bewegung. Einer der Männer, die er für tot gehalten hatte, lebte noch und gab ihm zu verstehen, daß er Hilfe brauchte. Wahrscheinlich hatte er das Gesicht seines Chefs an der Windschutzscheibe der Brücke gesehen.

Cyrano zögerte nicht. Es war zwar ausgemacht worden, daß die Toten in jedem Fall zurückgelassen wurden, aber niemand hatte etwas darüber gesagt, daß das auch für die Verletzten und Verwundeten galt. Abgesehen davon hätte er einen derartigen Befehl verweigert. Der Kopter schien momentan in keiner ernsthaften Gefahr zu schweben, denn die wenigen noch übriggebliebenen Verteidiger waren nicht dazu in der Lage, das Flugdeck zu überqueren, ohne sich blutige Nasen zu holen. Natürlich bestand die Gefahr, daß sie einen anderen Weg nahmen und das Deck über eine Leiter von den Maschinenräumen aus enterten. Aber er, Cyrano, konnte diesen armen Hund vielleicht noch retten, bevor Johns Leute den Kopter erreichten.

So schnell er nur konnte, kletterte Cyrano die Leiter hinab. Er übersprang mehrere Stufen und ließ sich mit den Händen an den abwärts führenden Eisenstangen hinabgleiten. Als er unten ankam, hatte der Mann – er hieß Tsoukas – sich bereits auf alle viere erhoben. Sein Kopf wackelte, und er zitterte am ganzen Leib.

Cyrano kniete neben ihm nieder. »Keine Angst, mein Freund. Ich bin schon da.«

Tsoukas stöhnte und spuckte einen Blutschwall aus.

»Mordioux!«

Cyrano tastete nach dem Puls des Mannes.

»Merde!«

Tsoukas fiel um und war tot.

Aber vielleicht lebten die beiden anderen noch.

Eine kurze Untersuchung beraubte ihn jeglicher Hoffnung.

Cyrano stand auf und legte die Hand auf den Knauf seiner Pistole. Da kam der einsame Mann, der sicher ein tapferer Kerl war, aber ganz bestimmt eine Last. Warum war er nicht ins Wasser gefallen und hatte Cyrano den Ärger erspart, daß er ihn jetzt töten mußte, damit er selbst am Leben blieb?

»Ayyy!«

Das Magazin der Pistole war leer. Er hatte vergessen, sie nachzuladen. Tatsächlich verblieb ihm kaum genügend Zeit, den Degen zu ziehen und eine Kampfstellung einzunehmen, um den Burschen daran zu hindern, ihn zu durchbohren.

Boynton würde noch einige Sekunden länger warten müssen. Die brauchte er, wenn er diese unerwartete Begegnung zu einem befriedigenden Anschluß bringen wollte.

»En garde!«

Der Mann war unbedeutend kleiner als er. Aber im Gegensatz zu Cyrano, der dünn war wie ein Rapier, wirkte dieser närrische Kerl so kompakt wie der Schaft einer Kampfaxt. Er hatte breite Schultern, einen weitausladenden Brustkasten und mächtige Arme. Sein Gesicht war dunkel und wirkte arabisch, aber seine Lippen waren zu dick und verliehen ihm im Zusammenhang mit leuchtendschwarzen Augen und weißen Zähnen das Aussehen eines Piraten. Bis auf einen Lendenschurz war er nackt.

Mit diesen Handgelenken, wurde Cyrano bewußt, mußte sein Gegner ein exzellenter Säbelfechter sein – wenn er geschickt genug war, um mit seinen Muskeln umzugehen.

Aber bei einem Rapier, wo es auf Schnelligkeit und nicht auf die Kraft ankam, würde es – hah! – für ihn anders aussehen.

Bereits nach den ersten Sekunden begann Cyrano klarzuwerden, daß er – welche Beziehung dieser Mann auch immer Säbeln gegenüber haben mochte – in seinem bisherigen Leben noch mit keinem Menschen dieses Formats die Klingen gekreuzt hatte.

Seine Angriffe, Vorstöße, Rückzüge, Ausfälle und Versuche, an Boden zu gewinnen, wurden von seinem Gegenüber geschickt gekontert und führten, ihn zu der Erkenntnis, daß der Mann ihm absolut gleichwertig war. Glücklicherweise war ihm dieser Teufel in bezug auf Schnelligkeit nicht auch noch überlegen, sonst hätte er ihn möglicherweise schon jetzt überrannt.

Es mußte dem Fremden allerdings klar sein, daß er ebenfalls einem Meister seines Fachs gegenüberstand. Aber noch grinste er und war scheinbar unbeeindruckt. Es mußte ihm einfach klar sein, daß es seinen Tod nach sich zog, wenn er auch nur um einen Bruchteil einer Sekunde langsamer wurde oder seine Reflexe erlahmten und sein Urteilsvermögen nachließ.

Cyrano wußte, daß die Zeit auf Seiten seines Gegners kämpfte. Der andere hatte kein Ziel außer dem, diesen Kampf durchzustehen – und Cyrano mußte schnellstens die wartende Maschine erreichen. Byonton mußte wissen, daß er noch lebte, schließlich hatte Sturtevant ihn im Ruderhaus gesehen. Wahrscheinlich würde der Helikopterpilot sich jetzt fragen, was ihn aufgehalten haben konnte.

Würde er noch ein paar Minuten Wartezeit zugeben und dann, wenn sein Chef nicht auftauchte, annehmen, er sei aus irgendeinem unvorhersehbaren Grund doch noch umgekommen? Würde er dann starten oder jemanden schicken, der nach ihm Ausschau halten sollte?

Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über derlei Dinge nachzudenken. Dieser Teufel wehrte jedes Manöver mit der gleichen Leichtigkeit ab, wie Cyrano die seinigen zurückschlug. Es war eine ausweglose Situation, in der niemand die Überhand gewann. Die angreifenden und abwehrenden Klingen gingen jetzt in einen monotonen, gleichbleibenden Rhythmus über.

Ah! Der Bursche hatte es auch gemerkt und den Rhythmus durchbrochen. Wenn ein Rhythmus sich erst einmal eingependelt hatte, tendierten die meisten Fechter dazu, ihn durchzuhalten. Dieser beinahe unnachahmliche Kämpfer hatte nur in der Hoffnung kurz gezögert, daß Cyrano seinerseits dem Rhythmus folgen rund sich damit selbst aus dem Rennen werfen würde.

Er hatte den Fremden unterschätzt. Cyrano stellte sich im Bruchteil einer Sekunde auf die veränderte Lage ein und bewahrte sich dadurch vor einer schlimmen Wunde.

Dennoch berührte die Spitze der gegnerischen Waffe kurz seinen Oberarm.

Cyrano ließ seinem Rückzug einen blitzschnellen Ausfall folgen, den der andere parierte. Aber nicht gut genug. Nun war auch sein Gegner am Arm verletzt.

»Ihnen gebührt die Ehre, das erste Blut fließen zu lassen«, sagte Cyrano auf Esperanto. »Und das ist in der Tat eine Ehre, die noch keinem Mann vor Ihnen zuteil geworden ist.«

Es war Unfug, den so dringend benötigten Atem jetzt in einer Konversation zu verschwenden, aber Cyrano war jetzt genauso neugierig wie die streunende Katze, der er äußerlich glich.

»Wie heißen Sie?«

Der Mann sagte nichts, aber man konnte davon ausgehen, daß es seine Klinge war, die jetzt für ihn sprach. Deren Spitze bewegte sich nun schneller hin und her als die Zunge einer Fellatrix.

»Vielleicht haben Sie schon einmal von mir gehört. Ich bin Savinien de Cyrano de Bergerac!«

Der dunkelhäutige Mann lächelte nur noch verbissener und rückte stärker gegen Cyrano vor. Offenbar konnte man diesen Burschen nicht einmal mit der Nennung eines großen Namens verunsichern. Er schien auch keinerlei Lust zu verspüren, seine Energien in einem Gespräch zu vergeuden. Allerdings war es auch nicht von der Hand zu weisen, daß ihm der Name de Bergerac bisher nicht begegnet war.

Jemand rief. Entweder lag es an dieser Störung, oder der Fremde hatte schließlich doch begriffen, wem er in diesem Kampf gegenüberstand. Auf jeden Fall verhielt er sich nicht so, wie er sich hätte verhalten sollen. Mit einem von Jarnac entwickelten Stoß trieb Cyrano blitzschnell seine Klinge in die Hüfte des anderen.

Gleichzeitig drang die Waffe des Fremden tief in Cyranos rechten Arm.

Sein Degen polterte zu Boden.

Der Mann fiel hin, versuchte aber sofort wieder auf die Knie zu gelangen, um sich zu verteidigen. Blut lief an seinem Bein herab.

Als Cyrano das Trappeln von Füßen hörte, sah er sich um, Sturtevant und Cabell kamen mit gezogenen Pistolen auf ihn zugerannt.

»Erschießt ihn nicht!« rief Cyrano.

Die beiden blieben stehen und richteten ihre Waffen auf Burton.

Cyrano nahm den Degen mit der linken Hand auf. Sein rechter Arm schmerzte unbeschreiblich, und das Blut floß wie Wein aus einem zerbrochenen Krug an ihm herab.

»Wenn ihr nicht dazwischengekommen wärt, wäre dieser Kampf möglicherweise anders ausgegangen«, sagte Cyrano.

Der Fremde mußte große Schmerzen haben, aber er zeigte sie nicht. Seine schwarzen Augen funkelten, als sei er Satan in Person.

»Legen Sie die Waffe nieder, Sir, dann werde ich Ihre Wunde verbinden.«

»Geh zum Teufel!«

»Na schön, Sir. Ich wünsche Ihnen dennoch eine baldige Genesung.«

»Komm schon, Cyrano«, drängte Cabell.

Erst jetzt konnte Cyrano die Schüsse wieder hören. Sie kamen von der Steuerbordseite, was bedeutete, daß sich die Verteidiger mittlerweile so weit herangearbeitet hatten, daß sie den Kopter unter Beschuß nehmen konnten.

»Der Kopter ist schon mehrmals getroffen worden«, sagte Cabell, »und man wird uns unter Feuer nehmen, wenn wir uns zu ihm durchschlagen.«

»Gut mitgedacht, Richard«, sagte Cyrano kopfschüttelnd und deutete auf das an Sturtevant hängende Sprechfunkgerät. »Warum, mein Bester, bist du noch nicht auf die Idee gekommen, Boynton mit dem Ding da hierher zu rufen? Dann könnten wir ohne Schwierigkeiten an Bord gelangen.«

»Daran hätte ich eigentlich denken können«, nickte Cabell.

Er riß den Lendenschurz eines Toten in Fetzen und verband damit die Wunden des Franzosen. Die dunkle Haut des Fremden war jetzt fahlgrau geworden, und seine Augen hatten ihr Feuer verloren. Als der Helikopter in der Nähe der Gruppe landete, machte Cyrano einen Schritt nach vorn und schlug seinem ehemaligen Gegner mit dem Degen die Waffe aus der Hand. Der Mann sagte kein Wort; er wehrte sich auch nicht, als Cyrano seine Hüftwunde mit einem weiteren Stofffetzen verband.

»Deine Genossen werden dir mehr als nur Erste Hilfe geben können, wenn sie hier auftauchen«, sagte Cyrano.

Er lief auf die Maschine zu und kletterte hinein. Boynton ließ den Kopter aufsteigen, noch ehe Cyrano die Luke schließen konnte. Dann steuerte er ihn in einem steilen Winkel flußaufwärts. Der immer noch splitternackte John hockte schlaff auf einem Sitz in der zweiten Reihe. Cyrano musterte ihn und sagte: »Zieht ihm irgend etwas an und fesselt ihn an Armen und Beinen.«

Er warf einen Blick in die Tiefe. Auf dem Flugdeck hatten sich mittlerweile etwa zwanzig Männer versammelt, die wütend auf den davoneilenden Helikopter feuerten. Wo kamen die plötzlich alle her? Natürlich war die Reichweite ihrer Waffen zu gering, um ihnen jetzt noch irgendwelchen Schaden zuzufügen. Wußten sie etwa noch gar nichts davon, daß sich ihr Kapitän an Bord des Kopters aufhielt? Offenbar nicht.

Irgend etwas traf Cyrano von hinten am Kopf. Er schwebte plötzlich in einem grauen Nebel, während in weiter Ferne Stimmen erklangen. Das abstoßende Gesicht des Lehrers, der ihn als Kind unterrichtet hatte, tauchte unerwartet vor ihm auf. Er erinnerte sich daran, wie dieser brutale Bursche ihn mit einem Knüppel verprügelt hatte. Er hatte ihn auf den Kopf geschlagen. Als er zwölf Jahre alt geworden war, hatte Cyrano sich zum erstenmal gewehrt. Er hatte den grobschlächtigen Priester in einem Wutanfall angegriffen, niedergeschlagen, getreten und mit seinem eigenen Knüppel zusammengeschlagen.

Und jetzt schwebte das immer größer werdende, affenähnliche Gesicht dieses Mannes auf ihn zu. Cyrano merkte, daß er allmählich wieder zu sich kam.

»Ich kann es nicht glauben!« hörte er Boynton schreien. »Er ist uns entwischt!«

Cabell sagte: »Er hat mir seinen Ellbogen in die Rippen gehauen und Cyrano gegen den Kopf getreten!«

Der Kopter flog jetzt in einem solch steilen Winkel, daß Cyrano durch die immer noch offenstehende Tür hinaussehen konnte. Ein Suchscheinwerfer der Rex fuhr kurz über Johns nackten Oberkörper hinweg. Er ruderte mit den Armen, offenbar hatte er die Absicht, senkrecht ins Wasser zu fallen. Dann war er auch schon in der Finsternis untergetaucht.

»Das kann er nicht überleben!« sagte Boynton. »Wir sind über dreißig Meter hoch!«

Sie konnten jetzt nicht hinuntergehen, um sich von Johns Tod zu überzeugen. Von der heraus wurde noch immer heftig auf den Kopter geschossen, außerdem schleppten mehrere von Johns Leuten jetzt einen Raketenwerfer heran. Die Pistolen- und Gewehrkugeln konnten der Maschine zwar nicht sonderlich viel anhaben, aber mit einem solchen Ding war keinesfalls zu spaßen. Es würde Boynton nichts anderes übrigbleiben, als den Kopter so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen.

Glücklicherweise gehörte der Pilot aber nicht zu den Männern, denen man leicht Angst einjagen konnte. Und außerdem war er ungeheuer wütend darüber, daß ihnen ihr Gefangener im letzten Moment doch noch entwischt war.

Deswegen steuerte er die Maschine nicht von der Rex weg, sondern flog genau auf sie zu. Als der Kopter etwa neunzig Meter vom Rücken des Raketenwerfers entfernt war, feuerte er die vier Raketen ab, mit denen man sie vor dem Abflug versorgt hatte. Flammenzungen hinter sich herziehend jagten die Geschosse auf das Schiff zu und ließen den gerade in Stellung gebrachten Werfer und seine Mannschaft in Rauch und Feuer aufgehen. Glühende Metallteile flogen durch die Luft.

»Das wird ihnen eine Lehre sein!« knurrte Boynton.

»Wollen wir ihnen noch ‘ne Salve auf den Pelz brennen?« fragte Sturtevant.

»Du meinst mit dem Maschinengewehr?« Cyrano schüttelte den Kopf. »Nein, laßt uns jetzt mit Volldampf von hier verschwinden. Wenn es nur einen Überlebenden gegeben hat und er an einen anderen Raketenwerfer geht, ist es aus mit uns. Wir haben unsere Mission nicht erfüllen können und es sind schon zu viele tapfere Männer gestorben, als daß wir uns jetzt noch einem solchen Risiko aussetzen könnten.«

»Ich würde nicht sagen, daß wir versagt haben«, warf Boynton ein. »Sicher, es ist uns nicht gelungen, John mitzunehmen, aber er ist tot. Und es wird sehr, sehr lange dauern, bis die Rex wieder einsatzbereit sein wird.«

»Du glaubst also, daß John tot ist, wie?« fragte Cyrano. »Ich würde das ja auch gerne glauben. Aber ich würde seinen Tod niemals beschwören, solange ich seine Leiche nicht gesehen habe.«