22

 

Um die Mittagszeit herum stattete Oskas, halbbetrunken wie immer, Burton einen Besuch ab. Es machte ihm nichts aus, und außerdem war der Häuptling so freundlich, ihm einen Ledersack mitzubringen, der wenigstens zwei Liter Bourbon enthielt.

»Hast du die Geschichten gehört, die man sich von einem großen weißen Schiff erzählt, das den Fluß hinaufkommen soll?« fragte der Indianer.

»Man müßte schon taub sein, um davon nichts zu wissen«, erwiderte Burton und trank einen großen Schluck Whisky. Er hatte ein Aroma, das entfernt an Wein erinnerte, ging aber, ohne daß man ihn verdünnen mußte, glatt die Kehle hinunter. Und das war nicht verwunderlich, denn die Gräle lieferten stets das Beste vom Besten.

Burton machte genießerisch »Ah!« und fuhr fort: »Diese Geschichten sind allerdings schwer zu glauben. Wenn die Beschreibungen stimmen, wird das Schiff von zwei Schaufelrädern angetrieben. Das würde bedeuten, daß es über Maschinen aus Eisen verfügt. Ich bezweifle, daß es bis heute jemandem gelungen ist, dermaßen viel Erz zu finden, um daraus Maschinen herzustellen. Außerdem sagt man, die Schiffshülle soll ebenfalls aus Metall sein. Auf diesem Planeten gibt es aber nicht genügend Metall, um ein Schiff solcher Größe zu bauen. Vorausgesetzt, es ist so groß, wie man sagt.«

»Du bist voller Zweifel«, sagte Oskas, »und das ist nicht gut für die Leber. Wenn die Geschichten allerdings stimmen, muß das Schiff eines Tages hier vorbeikommen. Auch mir würde es gefallen, solch ein Gefährt zu besitzen.«

»Dir geht es wie Millionen anderen. Aber wenn ein solches Schiff wirklich existiert, könnten jene, die es gebaut haben, auch über eiserne Waffen, vielleicht sogar über Feuerwaffen verfügen. Trotz der Pulverbomben, die ihr besitzt, hast du vielleicht noch nie solche Waffen gesehen. Feuerwaffen sind metallene Rohre, die über weite Entfernungen eiserne Projektile verschießen können, und manche davon sind so schnell, daß sie einen Bogenschützen schon zehnmal getroffen hätten, ehe er auch nur einen Pfeil an der Sehne hat. Und dann gibt es noch Kanonen, deren Rohre so groß sind, daß sie ihre Granaten bis in die Berge hineinschleudern können.

Du kannst sicher sein, daß auch andere schon auf die Idee gekommen sind, sich dieses Schiffes zu bemächtigen. Sie müssen gestorben sein, noch ehe sie auf Pfeilschußweite heran waren. Nebenbei, was würdest du mit einem solchen Schiff anfangen, wenn es dir gelänge, es zu erobern? Du brauchtest eine Menge ausgebildeter Leute, um es überhaupt von der Stelle bewegen zu können.«

»Die könnte man schon kriegen«, sagte Oskas. »Was ist zum Beispiel mit dir? Könntest du es bedienen?«

»Möglicherweise.«

»Hättest du vielleicht Interesse daran, mich dabei zu unterstützen, es in die Finger zu bekommen? Ich würde mich als dankbar erweisen. Du könntest der oberste meiner Unterhäuptlinge werden.«

»Ich bin weder ein kriegerischer Mann«, sagte Burton, »noch habe ich Interesse daran, habsüchtig zu werden. Aber um den Gedanken einmal weiter auszuspinnen, nehmen wir einmal an, ich sei an deinem Plan interessiert. Ich würde dann folgendes tun.«

Oskas war von dem komplizierten, aber fantastischen Plan, den Burton vor ihm ausbreitete, über alle Maßen fasziniert. Als er ging, versprach er seinem Gastgeber, auf der Stelle mehr Whisky vorbeizuschicken. Außerdem müßten sie über dieses Thema noch ein weiteres Mal konferieren. Mit einem breiten Grinsen taumelte Oskas schließlich von dannen.

Burton hielt den Häuptling für ziemlich leichtgläubig, war allerdings der Ansicht, daß es nicht weiter schlimm war, ihm ein paar Hoffnungen zu machen. Immerhin würde sich der Mann – dankbar, wie er war – zunächst einmal glücklich fühlen und sich dankbar zeigen.

Die Wahrheit allerdings war, daß Burton bereits einige eigene Pläne entwickelt hatte.

Wenn die Gerüchte um das eiserne Schiff der Wahrheit entsprachen, dann war dieses mysteriöse Schiff auf jeden Fall eher für eine solch weite Reise geeignet als ein Segelboot. Irgendwie mußte er es sich aneignen. Nicht mit Gewalt – aber mit Tücke. Die Hauptschwierigkeit bestand allerdings darin, daß er nicht den blassesten Schimmer hatte, wie er das fertig bringen sollte.

Erstens gab es keinerlei Hinweis darauf, ob das Schiff – wenn es hier vorbeikam – in diesem Gebiet anlegen würde. Und zweitens wußte niemand, wie es um seine Aufnahmekapazität bestellt war. Und drittens: Aus welchem Grund sollte sich der Kapitän überhaupt bemüßigt fühlen, ihn und seine Leute an Bord zu nehmen?

Den Rest des Tages verbrachte Burton mit einem dumpfen Vor-sich-hin-Brüten. Selbst als er im Bett lag, ließen sich die faszinierenden Gedanken nicht abschütteln. Er durchdachte jede Möglichkeit. Sollte er mit Oskas zusammenarbeiten? Vielleicht böte sich im letzten Augenblick ja doch noch die Möglichkeit, ihn hereinzulegen. Möglicherweise konnte er sich durch eine solche Tat das Vertrauen des Kapitäns erschleichen.

Aber nein. Burton fegte den Plan gleich wieder beiseite. Selbst wenn Oskas sich als verräterisch und hinterlistig erweisen sollte: Gedanken dieser Art waren für Burton keine Planungsgrundlage. Außerdem würden bei einem solchen Unternehmen viele von Oskas Leuten verwundet werden oder sterben. Dafür wollte er nicht verantwortlich sein.

Nein, er mußte es anders anstellen.

Schließlich fand er die Lösung. Alles würde davon abhängen, ob es ihm gelang, das Schiff anzuhalten oder zumindest die Aufmerksamkeit seiner Mannschaft zu erringen. Wie er das anstellte, wenn das Schiff während der Nacht an ihrem Standort vorbeikam, wußte er zwar noch nicht, aber irgendwie würde es schon klappen.

Lächelnd schlief Burton ein.

 

Zwei weitere Monate zogen ins Land. Noch eine Woche, dann konnte die Snark vom Stapel laufen. Inzwischen waren weitere Nachrichten, die den Raddampfer betrafen, bei ihnen eingetroffen. Man hatte dazu alle Möglichkeiten der Neuigkeitenübermittlung eingesetzt: Trommeln, Rauchzeichen und Spiegelsignale. Nachdem Burton die einzelnen Steinchen zu einem Mosaik zusammengesetzt hatte, machte er sich ein Bild von dem angekündigten Schiff: Es war allem Anschein nach größer als jedes Flußboot, das zu seinen Lebzeiten auf dem Mississippi gekreuzt hatte, bestand unzweifelhaft aus Metall und konnte mindestens fünfzehn Meilen oder vierundzwanzig Kilometer in der Stunde zurücklegen. Andere Informationen besagten, man habe es mehrere Male mit der doppelten Geschwindigkeit fahren sehen. Natürlich waren alle diese Schätzungen grob, da kein einziger der Beobachter über eine Stoppuhr verfügt hatte. Zumindest konnte man anhand der Gralsteine eine ungefähre Schätzung auf der Basis von Sekunden abgeben.

Aufgrund der ersten Berichte hatte Burton zunächst angenommen, es handele sich um ein Dampfschiff. Erst spätere Meldungen hatten ihm klargemacht, daß die Landgänge der Mannschaft viel zu selten waren, um für ein solches Boot genügend Brennmaterial zu bunkern. Das an Bord genommene Holz wurde lediglich dazu verwendet, Wasser für Duschanlagen und Dampf für die Maschinengewehre zu erzeugen. Es war Burton unklar, wie Dampf dazu dienen konnte, Kugeln voranzutreiben, und es blieb Monat überlassen, den Gedanken zu äußern, daß die Waffensysteme des Schiffes offensichtlich auf einem Synchronverfahren basierten, die die Kugeln aus dem Lauf preßten, indem sie in bestimmten Intervallen hochgespannten Dampf dafür verwendeten.

Die Schiffsmotoren wurden elektrisch angetrieben, und den nötigen Strom holte man sich bei Bedarf aus einem Gralstein.

»Dann haben diese Leute nicht nur Stahl, sondern auch Kupfer für die Windungen ihrer Elektromotoren«, sagte Burton. »Wo haben sie nur all das Material her?«

»Das Schiff besteht vielleicht hauptsächlich aus Aluminium«, mutmaßte Frigate. »Da könnte man ebenso gut Aluminiumwindungen nehmen, auch wenn sie weniger effizient sind als solche aus Kupfer.«

Weitere Daten liefen ein. Das Schiff trug auf beiden Seiten einen Namen in großen, schwarzen, römischen Lettern. Rex Grandissimus. Das bedeutete »Der Große König«. Wenn die weiteren Informationen stimmten, wurde es von niemand anderem als dem Sohn Heinrichs II. von England und seiner Frau Eleanor, der geschiedenen Ehefrau Ludwig VII. von Frankreich, der Tochter des Herzogs von Aquitaine, kommandiert. König John, den man mit dem Beinamen Ohneland versehen hatte, war der Kapitän. Nachdem sein weltberühmter Bruder Richard Löwenherz gestorben war, hatte er den Titel Joannes Rex Angliae et Dominus Hiberniae etc. angenommen. Er hatte einen solch schlechten Ruf besessen, daß es nach ihm ungeschriebenes Gesetz wurde, nie wieder einen Thronfolger auf den Namen John zu taufen.

Als Burton den Namen des Kapitäns zum erstenmal hörte, begab er sich zu Alice. »Der Kommandant des Schiffes ist einer deiner Vorfahren. Vielleicht sollten wir uns auf irgendeine familiäre Verbundenheit berufen, um an Bord genommen zu werden. Allerdings sagt man ihm, wenn man der Geschichte trauen kann, wenig Familiensinn nach. Er führte einen Aufstand gegen seinen Vater und soll seinen Neffen Arthur ermordet haben, dem Richard seine Krone überließ.«

»Er war nicht schlimmer als jeder andere König seiner Zeit«, sagte Alice. »Und ungeachtet dessen, was die Leute über ihn reden, hat er auch einige gute Dinge getan. Er reformierte die staatliche Münze, unterstützte den Ausbau der Flotte und unternahm alles, um den Handel in Schwung zu halten. Außerdem sorgte er für die Fertigstellung der London Bridge. Er war schon deswegen eine Ausnahme unter den Monarchen seiner Zeit, weil er zu den Intellektuellen zählte. Er las nicht nur lateinische Bücher, sondern auch französische Geschichte, und hatte, wohin er auch ging, stets seine Bibliothek dabei.

Was seine Opposition zur Magna Charta angeht, so ist sie falsch interpretiert worden. Die Revolte der Barone lag nicht im Interesse des gemeinen Volkes; sie stellte keine demokratische Bewegung dar. Alles, was die Barone wollten, waren Privilegien für sich selbst. Die Freiheit, für die sie eintraten, war die Freiheit des Ausbeuters, seine Untertanen bis aufs Hemd ausplündern zu können. Er hatte einen schweren Kampf gegen die Barone zu bestehen und focht manche Schlacht aus, um der englischen Krone die französischen Provinzen zu erhalten. Er sah einfach keinen Ausweg aus dieser Situation; die alten Konflikte harten ihm sein Vater und sein Bruder mitvererbt.«

»Hm!« machte Burton ungehalten. »Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, er sei ein Heiliger gewesen.«

»Er war weit davon entfernt. Aber er war andererseits weitaus mehr an England und dem Wohlergehen seiner Bürger interessiert als jeder seiner Vorgänger.«

»Du mußt eine Menge über ihn gelesen und nachgedacht haben. Deine Ansichten stehen jedenfalls im völligen Gegensatz zu allem, was ich über ihn weiß.«

»Als ich in Cuffnells lebte, hatte ich zum Lesen jede Menge Zeit. Und ich hatte schon meine eigenen Ansichten.«

»Wie schön für dich. Nichtsdestotrotz sollten wir nicht vergessen, daß es diesem mittelalterlichen Monarchen irgendwie gelungen ist, die absolute Kontrolle über das fantastischste Gefährt, das diese Welt je gesehen hat, an sich zu reißen. Ich traue mir schon zu, mit ihm fertig zu werden, wenn ich die Chance hätte, zu ihm an Bord zu kommen. Die Frage ist nur: Wie stelle ich das an?«

»Du meinst, wie stellen wir es an!«

»Richtig. Entschuldige. Nun, wir werden sehen.«

Als die Snark vom Stapel lief, gab es viel Hallo und noch mehr Alkohol. Dennoch war Burton nicht so glücklich, wie er es an sich hätte sein sollen. Sein Interesse an der Sache war erkaltet.

Während die Festivität weiterging, zog Oskas ihn beiseite.

»Ich hoffe, ihr werdet uns nicht so bald verlassen? Ich zähle immer noch auf dich. Du weißt, ich denke an das große Schiff.«

Burton befand sich in einer Stimmung, die es ihm leichtgemacht hätte, ihm zu sagen, er solle sich zum Teufel scheren, aber das wäre nicht diplomatisch gewesen; immerhin besaß der Häuptling hier die Macht. Niemand hätte ihn davon abhalten können, die Snark zu beschlagnahmen. Auch konnte er ihre Abmachung vergessen und Loghu in sein Bett holen. Er hatte sie zwar das ganze Jahr über mit Anträgen verfolgt, war ihr jedoch nie zu nahe getreten: Im Zustand der Trunkenheit (was nicht selten der Fall war) beschränkte er sich darauf, sie zu fragen, ob sie mit in seine Hütte kommen wolle.

Da es das eine oder andere Mal tatsächlich so ausgesehen hatte, er werde sie mit Gewalt nehmen, hatte Frigate, dessen Natur alles andere als aggressiv war, mit dem Gedanken gespielt, ihn zum Duell herauszufordern, um das leidige Problem für immer aus der Welt zu schaffen. Genauso gut hätte er natürlich auch mit Loghu in der Nacht verschwinden können, aber es behagte ihm nicht, die Leute, mit denen er seit so vielen Jahren zusammenlebte, sang- und klanglos allein zu lassen. Obwohl das Verhalten des Häuptlings seine Ehre und Männlichkeit erniedrigte, war Frigate tapfer geblieben und hatte alle Demütigungen hingenommen, um den Bau der Snark nicht noch mehr zu verzögern.

Schließlich hatte Loghu zu ihm gesagt: »Du wirst diesen Wilden nicht töten, um seinen Leuten ein Motiv dafür zu liefern, anschließend dich zu töten. Überlaß die Sache mir.«

Die anderen hatten nicht schlecht gestaunt – und Oskas war der Überraschteste von allen –, als sie den Häuptling zu einem Kampf auf Leben und Tod herausforderte.

Nachdem er sich von diesem Schock erholt hatte, war Oskas in ein brüllendes Gelächter ausgebrochen. »Was? Ich soll gegen eine Frau kämpfen? Ich verprügele meine Weiber zwar, wenn sie mich zu sehr ärgern, aber niemals würde ich gegen eine von ihnen kämpfen, denn wenn ich das täte, wäre es eine Leichtigkeit, sie zu besiegen. Man würde mich deswegen auslachen. Ich würde nicht mehr Oskas die Bärenpranke, sein, sondern Der-der-mit-einer-Frau-kämpfte.«

»Welche Waffe wählst du?« hatte Loghu daraufhin weiter gestichelt. »Den Tomahawk? Oder einen Speer? Das Messer? Vielleicht auch nackte Fäuste? Du hast mich während der Wettkämpfe gesehen und weißt, wie gut ich mit all diesen Waffen umgehen kann. Es stimmt zwar, daß du größer und stärker bist als ich, aber ich kenne eine Menge Tricks, die dir unbekannt sind. Immerhin wurde ich von einigen der besten Kampflehrer der Welt ausgebildet.«

Was sie Oskas allerdings nicht an den Kopf warf, waren seine Fettleibigkeit, seine Trunksucht und die Tatsache, daß ihn beides in ihren Augen ziemlich unbeweglich gemacht hatte.

Ein Mann hätte sich diese Dreistigkeiten nicht herausnehmen können, ohne daß Oskas ihm an die Kehle gesprungen wäre. Betrunken, wie er war, wurde dem Häuptling dennoch rasch bewußt, daß er in der Klemme steckte. Tötete er diese Frau, machte er sich in der Öffentlichkeit zum Narren. Wies er die Herausforderung zurück, konnte man ihn für einen Feigling halten.

Monat trat lächelnd einen Schritt vor. »Loghu ist eine meiner besten Freundinnen«, sagte er. »Aber gleichermaßen, Häuptling, sehe ich auch dich als meinen Freund an. Warum wollen wir diese Sache nicht einfach vergessen? Wir wissen doch alle, daß es der Alkohol ist, der aus dir sprach, und nicht Oskas, der Häuptling, der mächtige Krieger, der einst auf Erden wandelte und jetzt noch mehr Ruhm in diesem Flußtal genießt. Niemand wird es wagen, dich zu verhöhnen, wenn du dich weigerst, die Herausforderung dieser Frau anzunehmen. Allerdings ist es auch nicht schön, der Frau eines anderen Mannes nachzustellen. Wenn du nicht voll mit Whisky wärst, das wissen wir, würdest du so etwas auch nicht tun. Deswegen, meine ich, solltest du von nun an damit aufhören, diese Squaw zu belästigen, und ihr statt dessen mit dem gleichen Respekt begegnen, die auch die anderen Männer deinen eigenen Weibern gegenüber zeigen.

Ich war einst – wie Burton schon erwähnte – ein großer Zauberer. Einige meiner Kräfte sind mir auch auf dieser Welt erhalten geblieben, und ich werde nicht zögern, sie einzusetzen, solltest du Loghu etwas antun. Es würde mir sehr leid tun, denn einem Häuptling wie dir gebührt allerhöchster Respekt. Aber wenn sich kein Ausweg findet, werde ich keine Wahl haben.«

Oskas wurde daraufhin unter seiner dunklen Haut und dem vom Whisky geröteten Gesicht blaß. Er sagte: »Ja, es muß am Whisky liegen. Niemand kann mich für etwas verantwortlich machen, das ich während der Trunkenheit tat.«

Damit war der Fall aus der Welt geschafft, und am nächsten Morgen behauptete der Häuptling sogar, er sei dermaßen berauscht gewesen, daß er sich nicht einmal an das vergangene Gespräch erinnern könne.

Die folgenden Monate hindurch gebärdete sich Oskas Loghu gegenüber zwar kühl, aber durchaus entgegenkommend. Später ließ er zwar hin und wieder mal eine Bemerkung über sie fallen, wagte es jedoch nicht, sie anzurühren, was vielleicht daran lag, daß Loghu ihm unter vier Augen (damit nicht die Gefahr bestand, daß er sein Gesicht verlor) angedroht hatte, ihm, falls er es auch nur wagte, sie zu berühren, den Bauch aufzuschlitzen und den Sack abzuschneiden.

Später berichtete sie, daß Oskas darüber nur gelacht habe, aber dennoch sei sie davon überzeugt, daß er nun wußte, welche Gefahren ihm drohten. Und davon abgesehen wäre es für Loghu – gesetzt den Fall, das Moment der Überraschung sei auf ihrer Seite – nicht schwierig gewesen, genau das zu tun, was sie dem Häuptling angedroht hatte.

Aber ungeachtet dieser ständigen Bedrohung wurde Oskas seine Besessenheit in bezug auf Loghu nicht los. Und jetzt, wo der Zeitpunkt des Abschiednehmens immer näher rückte, folgte er ihr wieder lüstern auf Schritt und Tritt.

All dies ging Burton durch den Kopf, während er mit ihm sprach. Es verbesserte ihre Lage nicht gerade, zu wissen, wie klar es dem Häuptling war, daß seine Chance, sie zu guter Letzt doch noch in sein Bett zu bekommen, von Tag zu Tag geringer wurde.

»Nein, wir gehen noch nicht«, sagte Burton. »Wir werden den Plan, den ich für dich ausgearbeitet habe, ausführen. Ich selbst werde – wie auch meine Leute – der Vorhut angehören, die als erste auf das große Schiff übersetzt. Aber wie du selbst weißt, Häuptling, ist es ungeheuer wichtig, dazu den richtigen Zeitpunkt herauszufinden. Wir müssen es genau in dem Moment tun, wenn das Schiff anhält, um sich an einem Gralstein mit neuer Blitzkraft zu versorgen. Wenn es an uns vorbeifährt, haben wir keine Chance. Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, wo der Ort sein könnte, an dem es anhalten müßte. Natürlich ist es unmöglich, diesen Ort exakt vorherzusagen, aber ich habe eine ungefähre Vorstellung, die sich auf ein Gebiet von vier bis fünf Gralsteinen erstreckt. Unser eigenes Schiff hat allerdings noch keine Probefahrt gemacht. Eventuell werden wir morgen gegen eins aufbrechen. Ich werde dorthin segeln, wo das große Schiff meinen Berechnungen nach den vorletzten Anker wirft, ehe es hier ist, und mir einige Informationen verschaffen. Wir müssen herausfinden, unter welchen Bedingungen wir zu kämpfen haben, wenn wir ein solch mächtiges Schiff angreifen und dabei Erfolg haben wollen. Hättest du nicht Lust mitzukommen?«

Oskas hatte ihn die ganze Zeit über mit zusammengekniffenen Augen angesehen. Jetzt hellte sich sein Gesicht auf, und er lächelte.

»Natürlich will ich mit. Ich stolpere niemals blind in eine Schlacht.«

Irgendwie wurde Burton das Gefühl nicht los, als gehe der Häuptling davon aus, daß die Snark von dieser Kreuzfahrt nicht mehr zurückkehren werde. Möglicherweise hatte er aus diesem Grund auch vier Männer in einer Hütte, die in unmittelbarer Nähe der Werft lag, untergebracht. Sie sollten die Snark im Auge behalten, damit sie nicht heimlich in See stach. Natürlich sprach er über diese Sache nicht.

Noch in der gleichen Nacht schlich die gesamte Mannschaft der Snark im Schutz des dichten Nebels in die Hügel, nahmen ihre dort am Fuße der Berge in einem Loch versteckten freien Gräle an sich und brachten sie auf ihr Schiff, wo sie in einem anderen Versteck untergebracht wurden: hinter einem Ding, das nur vordergründig so aussah wie ein solide gebautes Schott.

Am nächsten Tag, kurz nach dem Frühstück, kam Oskas mit sieben seiner besten Krieger an Bord. Obwohl es nun auf der Snark ziemlich eng wurde, sagte Burton nichts. Statt dessen packte er einige Behälter mit Flechtenalkohol aus und verteilte ihn an die Indianer. Für seine eigene Mannschaft galt allerstrengste Abstinenz. Gegen Mittag waren Oskas und seine Krieger dermaßen betrunken, daß sie lachten, sangen und lärmten und nicht einmal mehr von der folgenden Mahlzeit ernüchtert wurden. Und Burton animierte seine Gäste zum Weitertrinken. Etwa eine Stunde vor dem Abendessen taumelten die Krieger entweder nur noch auf Deck herum oder hatten sich gleich zum Schlafen auf die Planken gelegt.

Es war kein Problem, jene, die noch bei Bewußtsein waren, zu packen, über Bord zu werfen und dann das gleiche mit denen zu tun, die bereits im Reich der Träume weilten. Glücklicherweise führte das Eintauchen in das kalte Wasser des Flusses dazu, daß selbst der hartnäckigste Schläfer aufschreckte und wieder zu sich kam. Burton beglückwünschte sich dafür. Andererseits hätte er die Leute wieder herausfischen und an Land bringen müssen.

Oskas, der mit beiden Armen wild um sich schlug, schluckte Wasser, drohte der Snark mit der Faust und fluchte ununterbrochen in Menomini und Esperanto. Burton ballte lachend eine Hand zur Faust, hob den Arm und streckte den kleinen und den Zeigefinger aus. Es war das alte Abwehrzeichen gegen den bösen Blick, das allerdings wegen seiner Ähnlichkeit mit den Hörnern eines Bullen in moderneren Zeiten »Bullshit«, also etwa Bockmist oder Scheißdreck bedeutet hatte.

Oskas schnappte beinahe über. Er tobte und fluchte und schrie und schilderte Burton in möglichst bunten Farben, auf welche Art er Rache an ihm zu nehmen gedachte.

Grinsend schnappte sich Kazz den Gral des Häuptling und warf ihn mit einer solchen Zielgenauigkeit hinterher, daß seine Hülle den wütenden Häuptling am Kopf traf. Sofort gingen die Krieger auf Tauchstation, um nach Oskas zu suchen. Als sie ihn endlich erwischt hatten, mußten zwei Mann ihn festhalten, damit er nicht gleich wieder versank.

Möglicherweise hielt Kazz es für einen ausgezeichneten Witz, dem Häuptling seinen eigenen Gral an den Schädel zu werfen, und sicher wäre er noch mehr amüsiert gewesen, wenn der Indianer dabei ertrunken wäre, aber dennoch galt er unter seinen Freunden als umgänglich, hilfsbereit und liebevoll und war ein Kamerad, wie man ihn sich besser nicht wünschen konnte. Er war ein Primitiver, sicherlich, und wie alle Primitiven galt seine ganze Fürsorge dem Stamm. Nur die Mitglieder des eigenen Stammes wurden von Leuten wie ihm als menschliche Wesen angesehen und so behandelt. Wer außerhalb davon lebte, war – selbst wenn er zum einen oder anderen freundschaftliche Beziehungen unterhielt – für ihn in erster Linie ein Fremder. Und das war auch der Grund dafür, weswegen es ihm nicht in den Sinn kam, sie wie ihresgleichen zu behandeln. Obwohl der Neandertaler seinen irdischen Stamm verloren hatte, galt ihm die Mannschaft der Snark als gleichermaßen verbunden. Hier war seine Familie, sein Volk.