29

 

Trommelwirbel. Das Schmettern hölzerner Trompeten. Peter Frigate fand sich mitten in einem anderen Traum wieder. Die Zeit: drei Monate nach Pearl Harbor. Er war Luftwaffenkadett in Randolph Field und wurde gerade von seinem Fluglehrer zusammengestaucht.

Der Leutnant, ein hochgewachsener junger Mann mit dünnem Schnurrbart und großen Füßen, war beinahe ebenso hysterisch wie Großmama Kaiser.

»Wenn Sie das nächste Mal links schwenken, wenn ich rechts sage, Frigate, brechen wir den gottverdammten Flug ab – und das wird dann für Sie der letzte sein! Möglicherweise finden Sie irgendwo anders einen Fluglehrer, der drauf scheißt, ob sein Schüler ihn um Kopf und Kragen bringt – aber das werde ich jedenfalls nicht sein! Herrgott, Frigate, wir hätten beinahe umkommen können! Haben Sie denn die Maschine zu Ihrer Linken nicht gesehen? Sie sind der reinste Selbstmörder! Solange Sie das allein tun, kann mir das ja egal sein, aber geben Sie sich wenigstens dann Mühe, wenn ich und zwei weitere Leute in Ihrer Kiste sitzen! Und dann machen Sie es in Ihrer Freizeit, auf einem anderen Flugplatz und nicht mit Regierungseigentum! Was, zum Teufel, ist mit Ihnen los, Frigate? Hassen Sie mich?«

»Ich konnte Sie leider nicht hören, Sir«, sagte Peter. Obwohl er in der warmen Fliegerkombination und in dem engen Raum stark schwitzte, zitterte er und hatte das schmerzhafte Verlangen, seine Blase entleeren zu müssen. »Ich glaube, ich kann durch diese Kopfhörer nichts hören.«

»Mit den Kopfhörern ist alles in Ordnung! Ich empfange Sie bei jedem Flug ausgezeichnet! Und mit Ihren Ohren ist ebenfalls alles in Ordnung. Sie hatten doch erst vor zwei Wochen eine medizinische Überprüfung, nicht wahr? Aber es ist halt immer dasselbe mit euch Hosenscheißern! Sobald ihr einmal in der Luft seid, geht euch die Muffe eins zu tausend! Oder wollen Sie das etwa abstreiten?«

Peter schüttelte den Kopf und sagte: »Nicht mehr als früher auch Ihnen, Sir.«

Das Gesicht des Leutnants lief rot an. Seine Augen quollen hervor. Dann sagte er: »Was wollen Sie damit sagen, Frigate? Etwa, daß ich mir früher selbst in die Hosen geschissen habe?«

Peter warf den anderen Kadetten und Fluglehrern aus den Augenwinkeln einen kurzen Blick zu. Die meisten von ihnen taten so, als ginge sie die ganze Sache nichts an. Einige grinsten.

»Ich würde es niemals wagen, solche Sachen von Ihnen zu denken, Sir«, sagte Peter.

»Was? Wohl weil Sie der Meinung sind, ich sei es gar nicht wert, daß man einen Gedanken an mich verschwendet, wie? Hören Sie, Frigate! Mich stößt nicht nur Ihr Verhalten in der Luft ab, sondern auch das, das Sie am Boden an den Tag legen! Aber kommen wir doch wieder zu dem Thema zurück, dem Sie sich hier mit aller Gewalt zu entwinden versuchen. Warum, zum Teufel, können Sie mich nicht hören, wo ich Sie doch ausgezeichnet empfange? Etwa, weil Sie mich nicht hören wollen! Nun, das kann gefährlich werden, Frigate! Außerdem ist der Gedanke beängstigend, denn er kann dazu führen, daß ich ganz plötzlich die Sau rauslasse! Wissen Sie eigentlich, wie viele von diesen stummelflügeligen Kisten jede Woche ins Trudeln geraten? Ich frage mich manchmal, ob all diese Hundesöhne wie Sie über einen eingebauten Trudeleffekt verfügen, Kadett! Selbst wenn ein Fluglehrer sich die größte Mühe gibt, seinen geistig minderbemittelten Schülern einzubläuen, daß sie sorgfältig mit der Kiste umgehen sollen, und er die ganze Zeit die Hand auf dem zweiten Knüppel hat, um im Notfall die Maschine übernehmen zu können, stellt sich jedes Mal heraus, daß die Jungs automatisch Karussell fahren! Deswegen frage ich mich, wie Sie, wenn ich ihnen sage, nach rechts abzuschwenken, plötzlich auf die Idee kommen, Kreisel zuspielen! Hätte ich nicht eingegriffen, lägen wir jetzt sieben Meter unter der Erde, Frigate! – Was ist also mit Ihren Ohren los?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Peter mit einem miserablen Gefühl in der Magengrube. »Vielleicht entwickeln sie zuviel Schmalz und verstopfen mein Gehör. Es ist eine Familienkrankheit, Sir. Ich muß mir normalerweise alle sechs Monate die Ohren auspusten lassen.«

»Ich werde noch mehr als nur Ohrenschmalz aus Ihnen herauspusten, Bürschchen! Hat der Arzt sich Ihre Ohren etwa nicht angesehen? Natürlich hat er das! Also erzählen Sie mir nicht, daß es an zuviel Ohrenschmalz liegt! Es liegt einfach daran, daß Sie mich nicht hören wollen! Und warum? Das weiß Gott allein! Vielleicht wollen Sie mich aber auch deswegen nicht hören, Frigate, weil Sie mich so sehr hassen, daß es Ihnen scheißegal ist, ob Sie draufgehen – solange Sie nur mich dabei mitnehmen können! Stimmt’s?«

Es hätte Peter nicht überrascht, wenn dem Leutnant jetzt Schaum vor dem Mund gestanden hätte.

»Nein, Sir.«

»Nein, Sir, was?«

»Nein, Sir, nichts von dem stimmt.«

»Soll das heißen, daß Sie alles, was ich jetzt gesagt habe, abstreiten? Daß Sie links abgeschwenkt sind, als ich Ihnen sagte, Sie sollten nach rechts abschwenken? Wollen Sie etwa behaupten, ich lüge?«

»Nein, Sir.«

Der Leutnant legte eine Pause ein. Dann sagte er: »Warum grinsen Sie, Frigate?«

»Das ist mir gar nicht aufgefallen«, sagte Peter. Und das war die Wahrheit. Tatsächlich war er innerlich wie äußerlich ziemlich mit den Nerven herunter. Warum also hatte er gegrinst?

»Sie sind ein Irrer, Frigate!« brüllte der Leutnant. Ein hinter ihm stehender Captain machte zwar ein finsteres Gesicht, machte jedoch keine Anstalten, um einzugreifen.

»Ich will Sie hier erst dann wieder sehen, wenn Sie ein unterschriebenes Attest mitbringen, auf dem steht, daß Ihre Ohren in Ordnung sind, Frigate«, sagte der Leutnant. »Haben Sie das gehört?«

Peter nickte.

»Jawohl, Sir.«

»Bis ich diesen Bericht bekomme, werden Sie am Boden bleiben. Aber morgen, wenn die Flugstunde beginnt, und ich wieder mit Ihnen aufsteige – Gott möge mir beistehen! – will ich diesen Wisch sehen!«

»Jawohl, Sir!« sagte Peter und hätte beinahe salutiert. Er unterließ es, denn das wäre für den Fluglehrer nur eine weitere Möglichkeit gewesen, ihn niederzubrüllen: Es war verboten, im Schulungsraum die Hand an die Schläfe zu legen.

Während er seinen Fallschirm untersuchte, warf er einen Blick nach hinten. Der Captain und der Leutnant unterhielten sich in einem ernsthaften Tonfall. Was redeten sie da nur über ihn? Hatten sie möglicherweise vor, sich ihn vom Halse zu schaffen?

Vielleicht war das wirklich besser so. Er konnte diesen Fluglehrer wirklich nicht verstehen. Stets kam nur die Hälfte vom Gerede des Leutnants an seinen Ohren an. Es lag natürlich nicht an zuviel Ohrenschmalz. Es hatte auch nichts mit der Flughöhe oder irgendeinem physischen Defekt seines Gehörs zu tun. Es hatte viele Jahre gedauert, bis ihm klargeworden war, daß er den Mann wirklich nicht hatte hören wollen.

»Er hatte recht«, sagte Peter.

»Wer hatte recht?« fragte Eve. Sie saß aufrecht im Bett, lehnte sich auf einen Arm und schaute auf ihn herab. Ihr Körper war mit dicken, bunten Tüchern bedeckt, die durch Magnetverschlüsse miteinander verbunden waren. Die Kapuze ließ ihr Gesicht winzig klein erscheinen.

Peter setzte sich hin und reckte sich. Im Inneren der Hütte war es dunkel; in der Ferne erklangen die schwachen Geräusche von Trommeln und Signalhörnern. Irgendwo in der unmittelbaren Nähe bearbeitete einer ihrer Nachbarn seine mit Fischhaut überzogene Bambustrommel, als lege er es darauf an, die halbe Welt aus dem Schlaf zu reißen.

»Es ist nichts.«

»Du hast gestöhnt und vor dich hin gemurmelt.«

»Die Erde ist stets bei uns«, sagte Peter und ging, ohne ihr eine weitere Erklärung zu geben, hinaus und nahm den Nachttopf mit, den er in der nur hundert Schritte entfernten Gemeinschaftstoilette entleerte. Eine ganze Reihe von Männern und Frauen mit dem selben Ziel begegneten ihm unterwegs. Nacheinander schütteten sie den Inhalt ihrer Töpfe in einen großen Bambusholzwagen, den eine bestimmte Gruppe nach dem Frühstück durch die Hügel an den Fuß der Berge fahren würde. Aus, den Exkrementen entstand Pottasche, und die brauchte man wiederum, um Schwarzpulver herzustellen. Zwei Tage im Monat arbeitete Frigate in der Pulverherstellung, vier weitere machte er Dienst bei den Wachttürmen.

Der nächste Gralstein befand sich dem Hügel, auf dem seine Hütte stand, genau gegenüber, und normalerweise gingen Frigate und Eve gemeinsam dorthin, um sich ihre Gräle füllen zu lassen. An diesem Morgen allerdings hatte Frigate das starke Bedürfnis, mit der Mannschaft des während der Nacht angekommenen Schiffes ein Schwätzchen zu halten. Eve würde schon nichts dagegen haben, wenn er heute alleine ging; außerdem hatte sie noch einige Arbeiten zu erledigen: Sie fertigte aus Hornfischgräten und Knochen sehr begehrte Halsketten und andere Kunstgegenstände an, die sie gegen Tabak, Schnaps und Feuersteine eintauschte. Frigate selbst stellte Bumerangs her – und hin und wieder auch einen Einbaum oder ein Kanu.

Er trug den Gral in der linken, den mit einer Feuersteinspitze versehenen Eibenholzspeer in der rechten Hand. Um seine Hüften spannte sich ein Fischhautgürtel, an dem in einer Scheide eine steinerne Streitaxt hing, und an seiner Schulter baumelte ein prallgefüllter Köcher mit schlanken Knochenpfeilen und ein Eibenholzbogen. Letzterer war in Bambuspapier gewickelt, um zu verhindern, daß die Sehne (sie war aus dem Darm eines Flußdrachenfisches gefertigt) der morgendlichen Feuchtigkeit ausgesetzt wurde. Ruritania, der kleine Staat, dessen Bürger Frigate war, befand sich allerdings weder im Kriegszustand, noch wurde er von einem anderen bedroht: Das alte Gesetz, das jedermann dazu verpflichtete, seine Waffen stets griffbereit zu halten, stammte noch aus den Zeiten der Unsicherheit und Turbulenz. Überflüssige Gesetze starben auf dieser Welt ebenso langsam wie auf der Erde. Allgemeine Trägheit hatte auch hier um sich gegriffen, wenngleich der Ansporn, sich überkommener Verhaltensweisen zu entledigen, von Staat zu Staat unterschiedlich war.

Frigate wanderte zwischen den Hütten, die die gesamte Ebene bedeckten, hindurch, und Hunderte von Leuten, die ebenso wie er von Kopf bis Fuß eingehüllt waren, um sich gegen die Kälte zu schützen, schlossen sich ihm an. Erst eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang begann man sich aus den Kleidern zu schälen. Während er sein Frühstück verzehrte, hielt Frigate nach neuen Gesichtern Ausschau. Er zählte fünfzehn, und sie stammten ausnahmslos von der Razzle Dazzle, dem Schoner, der während der Nacht gekommen war. Die Leute saßen in einer Gruppe beisammen, verzehrten ihre Mahlzeit und unterhielten sich mit denjenigen, die etwas von der Welt erfahren wollten. Schließlich nahm Peter bei ihnen Platz, beobachtete sie und hörte den Gesprächen zu.

Der Kapitän des Schiffes, ein Mann namens Martin Farrington (man nannte ihn auch Frisco-Kid), war ein muskulöser, mittelgroßer Mann. Sein hübsches Gesicht wirkte irisch, und sein Haar war leicht gewellt und hatte die Farbe rötlicher Bronze. Seine Augen waren tiefblau und groß, sein Kinn breit. Er sprach mit energiegeladener Stimme, lächelte oft und besaß einen zündenden Humor. Sein Esperanto war zwar flüssig, aber nicht perfekt; allem Anschein nach bevorzugte er die englische Sprache.

Sein Erster Offizier, Tom Rider (man sprach ihn auch als Ex an), war beinahe einen Meter achtzig groß und somit nur knapp fünf Zentimeter kleiner als Frigate. Er war äußerlich das, was die Schundheftchenschreiber zu Frigates Zeiten als »wilde Schönheit« bezeichnet hatten. Etwas weniger muskulös als sein Kapitän, bewegte er sich mit einer katzenhaften Gewandtheit, die Frigate direkt für ihn einnahm. Puder hatte glattes, dunkles Haar und eine dermaßen dunkle Hautfarbe, daß man ihn beinahe für einen Onondaga-Indianer hätte halten können. Sein Esperanto war perfekt, aber wie Farrington freute auch er sich darüber, in der Menge einige Leute zu finden, die in der Lage waren, mit ihm in seiner eigenen Sprache einen Schwatz halten zu können. Seine Stimme war ein angenehm klingender Bariton, der den schleppenden Tonfall des amerikanischen Südwestens mit der Aussprache eines Mittelwestlers kombinierte.

Ohne auch nur eine einzige Frage zu stellen, erfuhr Frigate von den Neuankömmlingen nahezu alles, was er von ihnen hatte wissen wollen: Die Mannschaft der Razzle Dazzle bestand aus der üblichen bunten Mischung von Menschen, die man auf allen größeren Schiffen vorfand, die entweder flußab- oder flußaufwärts segelten. Die Gefährtin des Kapitäns war eine dem neunzehnten Jahrhundert entstammende weiße Südamerikanerin; die des Ersten Offiziers eine Bürgerin der römischen Stadt Aphrodita aus dem zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt. Frigate erinnerte sich, daß irgendwelche Archäologen die Stadt während der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts in der Türkei ausgegraben hatten.

Zwei weitere Mannschaftsmitglieder waren Araber. Einer davon hieß Nur el-Musafir – der Reisende. Der andere war weiblichen Geschlechts und war einst die Gattin eines arabischen Schiffskapitäns gewesen, der während des zwölften Jahrhunderts mit dem südafrikanischen Reich Monomotapa Handel getrieben hatte.

Ein chinesischer Matrose war ertrunken, als Kublai Khans Invasionsflotte bei einem Sturm vor der japanischen Küste untergegangen war.

Des weiteren fuhren auf Farringtons Schoner zwei Männer mit, die dem achtzehnten Jahrhundert entstammten: Edmund Tresillian, der 1759 während der Schlacht zwischen Hoods Vestal und der französischen Bellona vor Kap Finisterre ein Bein verloren hatte. Da man ihm keine Pension zugestehen wollte, er aber eine Frau und sieben Kinder zu versorgen hatte, war er zum Bettler geworden und wegen Diebstahls einer Geldbörse ins Gefängnis gewandert. Dort war er während des Wartens auf seinen Prozeß gestorben. Der zweite Mann, »Red« Cozens, war Bootsmann auf der Wagergewesen, einem umgebauten Kauffahrteischiff, das Admiral Ansons Flottille auf ihrer Fahrt um die Welt begleitet hatte. Vor der Küste von Patagonien war die Wager gesunken, und nach einer Reihe schrecklicher Leiden und Schicksalsschläge hatte es die Mannschaft schließlich geschafft, in die Zivilisation zurückzufinden. Die spanische Regierung Chiles hatte sie zwar für eine Weile in den Kerker geworfen, aber Cozens war die Freiheit nicht lange vergönnt gewesen: Ein gewisser Kapitän Cheap hatte ihn irrtümlicherweise für einen Meuterer gehalten und erschossen.

John Byron, der Großvater des Dichters, der zu dieser Zeit ebenfalls Bootsmann gewesen war, hatte diese Tat Cheaps in seinem Bericht des Ehrenwerten John Byron (Kommodore eyner Kürtzlich erfolgten EXPEDITION um die WELT), verbunden mit eyner Aufzählung aller Er-schröcklichen dortselbst erlebter Leyden und dero seyner Gefährten vor der Küste von Patagonien vom Jahre 1740 bis zu Ihro Ankunfft in England 1746, der 1768 in London erschienen war, heftig angegriffen.

Frigate hatte einst eine Erstausgabe dieses Buches besessen. Darin war auch Byrons Beschreibung eines von ihm entdeckten Tieres enthalten gewesen, das ein Riesenfaultier sein mußte.

Er wäre gern mit Byron zusammengetroffen. Der kleine Mann mußte unglaublich zäh gewesen sein, wenn er all diese schrecklichen Erfahrungen überlebt hatte. Er war später zum Admiral aufgestiegen, und seine Matrosen hatten ihm den Spitznamen »Schlechtwetter-Jack« verpaßt, denn jedes Mal, wenn er in See stach, geriet sein Schiff unweigerlich in einen schweren Sturm.

Andere interessante Besatzungsmitglieder der Razzle Dazzle waren ein ehemaliger Millionär und Jachtbesitzer aus dem Rhode Island des zwanzigsten Jahrhunderts; ein Türke aus dem achtzehnten, der an der Syphilis, der typischen Seemannskrankheit seiner Zeit, gestorben war, und Abjgail Rice, die auf der Erde mit einem Zweiten Offizier eines New-Bedford-Walfängers verheiratet gewesen war. Binns, der Millionär, und Mustapha, der Türke, schienen ein Verhältnis miteinander zu haben.

Erst später fand Peter heraus, daß sich Cozens, Tresillian und Chang zu dritt Abigail Rice teilten, und er stellte sich die Frage, wie sie wohl jene Zeit verbracht hatte, in der ihr Mann zwei oder drei Jahre lang irgendwelchen Walherden hinterhergejagt war. Vielleicht hatte sie auch gar nichts getan, was sie nicht hätte tun dürfen. Es war nicht auszuschließen, daß ihre irdische Enthaltsamkeit schuld daran war, daß sie hier größere sexuelle Aktivität an den Tag legte.

Dann war da noch Umslopogaas, abgekürzt Pogaas. Er kam aus Swasiland und war der Sohn eines Königs, dessen Volk mit dem der Zulus verfeindet gewesen war. Pogaas hatte während jener Zeit gelebt, die der Expansionismus der Briten und Buren in Südafrika und die Gemetzel des blutdürstigen militärischen Genies Shaka geprägt hatte. Auf der Erde war er aus zwölf Duellen als Sieger hervorgegangen; hier hatte er nicht weniger als fünfzig derartiger Kämpfe überlebt.

Die Geschichte hätte ihn normalerweise trotz seines Ruhmes als Kämpfer links liegengelassen, wäre er nicht in hohem Alter bei der Missionsstation von Sir Theophilus Shepstone aufgetaucht. Bei Shepstone hatte er nämlich einen jungen Mann namens Henry Rider Haggard kennen gelernt, der von der stattlichen Figur und den abenteuerlichen Geschichten, die der Alte auf Lager hatte, sofort beeindruckt gewesen war. Haggard hatte Umslopogaas in seinen drei Romanen Nada the Lily, She and Allen und Allan Quatermain unsterblich gemacht. Allerdings war in seinen Büchern aus dem Krieger aus Swasiland ein Zulu und illegitimer Sohn Chakas geworden, was sein Vorbild ziemlich verstört haben mußte.

Im Moment lungerte Pogaas gerade in der Nähe des Schiffes herum und stützte sich auf eine langschäftige, mit einer Feuersteinspitze versehene Streitaxt. Er war groß und schlank und seine Beine waren ungewöhnlich lang. Mit seinen dünnen Lippen, der Hakennase und den hohen Wangenknochen wirkte er eher hamitisch als negroid. Obwohl er einen ausgesprochen freundlichen Eindruck machte, strahlte seine Gestalt doch etwas Bedrohliches aus, das sagte, daß mit ihm nicht zu spaßen sei. Er war übrigens der einzige Mann auf der Razzle Dazzle, der sich weigerte, an Bord zu arbeiten, und seine Begründung dafür war die, daß er ein Kämpfer sei.

Frigate bekam hektische Flecken auf den Wangen, als er erfuhr, wer der Mann war. Das mußte man sich vorstellen! Umslopogaas!

Nachdem er sich mit mehreren Leuten der Schiffsbesatzung unterhalten hatte, zog Frigate sich zurück und gesellte sich zu einer Gruppe, die sich um die beiden Offiziere geschart hatte. Aus dem, was er hörte, bekam er mit, daß man momentan keine Eile hatte, an irgendeinen Ort zu gelangen. Der Kapitän wies allerdings zwischendurch einmal darauf hin, daß ihm daran lag, eines Tages zur Quelle des Flusses vorzustoßen, die er, wie er annahm, in hundert Jahren oder so erreichen würde.

Schließlich meldete Frigate sich zu Wort und fragte den Kapitän und Rider nach ihrem früheren Leben auf der Erde. Farrington berichtete, er sei in Kalifornien gebürtig, nannte jedoch keinen Ort oder ein Datum. Rider war 1880 in Pennsylvanien zur Welt gekommen, hatte allerdings, wie er sich ausdrückte, den größten Teil seines Lebens im Westen verbracht.

Frigate stieß einen innerlichen Fluch aus. Beide Männer kamen ihm ziemlich bekannt vor. Allerdings trugen sie jetzt längeres Haar, als es auf der Erde üblich gewesen war, und die Tatsache, daß sie Kleider trugen, die mit der irdischen Mode rein gar nichts zu tun hatten, trug auch nicht dazu bei, ihren wahren Identitäten auf die Spur zu kommen. Er hatte irgendwie das Gefühl, daß Rider ein großer, weißer Zehn-Gallonen-Hut, ein flatternder Pseudowestem-Mantel, Breeches und ein Paar ornamentverzierter Cowboystiefel fehlten. Und ein Pferd.

Als Kind hatte Frigate ihn in dieser Aufmachung auf einem Pferd sitzen sehen – und zwar während einer Parade des Zirkus… Sells & Floto? Er wußte es nicht mehr. Jedenfalls hatte er zusammen mit seinem Vater am Rande der Adams Street, südlich vom Gerichtsgebäude, gestanden und sehnsüchtig auf seinen bevorzugten Westernfilmhelden gewartet, der an ihnen vorbeireiten sollte. Und genau das hatte der Held dann auch getan, und weil er betrunken gewesen war, hatte die Sache keinen guten Ausgang genommen. Er war vom Pferd gefallen, hatte sich unter dem Jubel und Gelächter der Massen wieder in den Sattel geschwungen und war weitergeritten. Der Sturz schien ihn ernüchtert zu haben, denn anschließend legte er einige Reiter- und Lassowurfkunststückchen aufs Parkett, die die Menge niemals vergaß.

Da Frigate zu jener Zeit Trinker für unmoralische Menschen hielt, hätte er eigentlich – was Rider anbetraf – absolut desillusioniert sein müssen. Aber die Verehrung, die er diesem Mann entgegenbrachte, war so stark, daß er bereit gewesen war, ihm zu vergeben. Welch ein dummer Bengel er doch gewesen war!

Farringtons Gesicht war ihm schon deshalb bekannt, weil er es auf den Schutzumschlägen zahlloser Bücher und in mehreren Biographien gesehen hatte. Frigate hatte im Alter von zehn Jahren angefangen, Bücher zu lesen, und als er siebenundfünfzig war, sogar ein Vorwort zu einer Sammlung seiner Fantasy- und Science Fiction-Stories beigesteuert.

Aus irgendwelchen Gründen reisten seine beiden Vorbilder unter falschen Namen. Er, Peter Frigate, würde der letzte sein, der ihre wahre Identität aufdeckte – wenn ihn die Umstände nicht dazu zwangen. Nein, er würde es nicht einmal dann tun, aber wenn es keine andere Möglichkeit gab, daß sie ihn mitnahmen, würde er ihnen zumindest damit drohen müssen. Er würde nahezu alles tun, um an Bord der Razzle Dazzle zu gelangen.

Eine Weile später gab Frisco-Kid bekannt, daß er und Tex gerne bereit seien, mit jedem Mann zu sprechen, der daran interessiert sei, in die Mannschaft der Razzle Dazzle einzutreten. Man stellte zwei Klappstühle am Kai auf, und sogleich begann sich vor den beiden Offizieren eine Linie von Freiwilligen zu bilden. Frigate reihte sich sofort ein. Vor ihm standen drei Männer und eine Frau. Dies gab ihm die Möglichkeit zu hören, welche Fragen die beiden Männer den Leuten stellten, und sich die entsprechenden Antworten bereitzulegen.