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Am nächsten Nachmittag saßen alle zusammen in der Bibliothek am Laxton Square. Adam goss Wilson, Robert, Eisworth und sich selbst Brandy ein, Caroline, Julia, Emma und Milly tranken Tee.

Adam betrachtete Carolines Gesicht, als er die Karaffe wieder abgestellt hatte. Ihr Blick war getrübt, die Anstrengung der Ereignisse der vergangenen Nacht waren auf ihrem Gesicht noch zu erkennen, doch bemerkte er auch, dass ihr wacher, aufmerksamer Geist nicht in Mitleidenschaft gezogen war. Sie erholte sich sehr schnell.

Was er von sich selbst nicht so unbedingt behaupten konnte. Er nahm an, die letzten Augenblicke im Wintersett House würden ihn noch auf Jahre als Alptraum verfolgen.

Wäre er nur ein paar Augenblicke später gekommen, hätte er nicht zufällig die Dienstbotentreppe entdeckt…

Denke nicht daran, denn sonst wirst du verrückt.

Er nahm einen Schluck des starken Brandys und setzte sich dann hinter seinen Schreibtisch.

»Es war die Tatsache, dass sowohl Irene Toller als auch Elizabeth Delmont mit Reed und auch mit Eisworth in Verbindung standen, die alles noch viel komplizierter machte«, wandte er sich an die anderen. »Wie es scheint, hat Eisworth eine recht einträgliche Geschäftsverbindung mit einer ganzen Anzahl von Medien unterhalten, auch mit Irene Toller und Elizabeth Delmont.«

»Aber mehr war da auch nicht.« Eisworth nippte an seinem Brandy und stellte das Glas dann wieder ab. »Ich mache es mir zur Gewohnheit, mich niemals mit meinen Geschäftspartnerinnen auf eine Beziehung einzulassen. Meiner Erfahrung nach führt eine solche Verbindung immer zu einem finanziellen Desaster.«

Caroline sah ihn an. »Haben Sie denn gewusst, dass Mr. Reed eine weitaus intimere Beziehung mit Elizabeth Delmont und Irene Toller eingegangen war?«

»Ich habe es vermutet«, gab Eisworth zu. »Mir schien, dass Reed ein wenig zu großzügig war, als er Irene Toller erlaubte, ihre eigentlich recht amateurhaften Dienste mit diesen lächerlichen Vorführungen der Planchette im Hauptquartier der Gesellschaft anzubieten. Aber ich habe auch vermutet, dass diese Beziehung sich sehr schnell einem Ende näherte. Reed hat mehr und mehr seine Aufmerksamkeit auf Elizabeth Delmont gerichtet.«

»Hat er Sie je gebeten, eine Seance durchzuführen, in der Hoffnung, mit seiner toten Frau in Verbindung zu treten?«, fragte Julia.

»Nein.« Eisworth schwenkte den Brandy in seinem Glas. »Ich habe von Anfang erklärt, dass ich nicht mit Toten in Kontakt treten kann. Meine Kräfte sind ganz anderer Natur.«

Robert warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Aus reiner Neugier würde es mich interessieren, wie viele Medien in London Ihre Investmentpläne unterstützen.«

Eisworth bemühte sich, unschuldig und sogar ein wenig beleidigt auszusehen. »Sie können nicht von mir erwarten, dass ich ein Berufsgeheimnis lüfte, Sir.«

Adam mischte sich in die Unterhaltung ein. »Eisworth hat zugestimmt, den Kunden von Elizabeth Delmont und Irene Toller, die ihm das Geld gegeben haben, um es für sie zu investieren, ihre Einlage zurückzuzahlen. Das stimmt, doch, Sir, nicht wahr?«

Eisworth seufzte. »Ja, so ist es.«

Wilson trommelte mit den Fingern auf der Armlehne seines Ledersessels. »Wenn Toller und Delmont unfähige Medien waren, warum hat sich Reed dann für die beiden entschieden?«

Eisworth rümpfte verächtlich die Nase. »Reed war in solchen Dingen bemerkenswert begriffsstutzig. Der Dummkopf hat nicht einmal gemerkt, wenn jemand ein Betrüger war. Immerhin hat er ja auch ein Medium geheiratet, wenn Sie sich erinnern. Vielleicht hat er das damals getan, um an ihr Vermögen zu kommen, aber er hat wirklich daran geglaubt, dass sie übersinnliche Fähigkeiten besaß.«

Adam deutete auf das dicke Buch auf seinem Schreibtisch. »Das hier ist Reeds privates Tagebuch. Ich habe es heute Morgen in seinem Arbeitszimmer gefunden, als ich mich dort mit der Polizei getroffen habe. Wie es scheint, hat Reed nur sehr wenig Interesse für männliche Medien gezeigt. Er war davon überzeugt, dass eine Frau viel wahrscheinlicher in der Lage sein würde, mit dem Geist seiner toten Frau in Verbindung zu treten.«

Eisworth zuckte mit den Schulter. »Die meisten Menschen, die sich mit der Erforschung des Ubersinnlichen beschäftigen, sind davon überzeugt, dass allgemein Frauen wesentlich besser mit der anderen Seite in Verbindung treten können.«

Adam blätterte in dem Buch, las Namen und Daten. »Wie es scheint, hat Reed in den letzten Jahren systematisch eine ganze Anzahl gut aussehender weiblicher Medien benutzt. Er macht kein Geheimnis aus der Tatsache, dass er mit jeder von ihnen eine intime Verbindung eingegangen ist, weil er glaubte, dass eine solche Verbindung die Kräfte des Mediums verstärken würde.«

Caroline erschauderte. »Das wird in gewissen Kreisen allgemein angenommen.«

Adam blätterte eine weitere Seite um. »Nach einer angemessenen Zeit der Verführung und des Ausprobierens hat er das Medium dann schließlich in Sarahs altem Schlafzimmer getestet. Er war davon überzeugt, dass sie in diesem Zimmer spukt. Wenn das Medium diesen Test nicht bestand, hat er sich eine neue Kandidatin gesucht.«

»Er hat Sarah in diesem Schlafzimmer umgebracht, in ihrer Hochzeitsnacht«, flüsterte Caroline.

Adam nickte. »Wenn man diesem Buch hier glauben kann, hat er ihre Leiche umgezogen und sie dann in den Park getragen, wo man sie am nächsten Tag gefunden hat. Keiner aus der Dienerschaft hat sie am nächsten Morgen als vermisst gemeldet, weil alle geglaubt haben, dass sie, wie jede anständige Braut, von den traumatischen Ereignissen der Hochzeitsnacht so überwältigt war, dass sie lange geschlafen hat, um sich zu erholen. Später hat man angenommen, dass sie unbemerkt das Haus verlassen hatte, um einen Spaziergang zu machen.«

Julia legte den Kopf ein wenig schief. »Reed sah ganz sicher nicht besonders gut aus, und er war auch nicht sehr charmant. Ich frage mich, warum Irene Toller und Elizabeth Delmont und all die anderen Medien, die er benutzt hat, seine Annäherungsversuche so bereitwillig akzeptiert haben.«

»Für jedes Medium hatte es entschiedene Vorteile, eine Beziehung zu Durward Reed zu unterhalten«, erklärte Eisworth. »Solange eine jede seine Zuneigung genoss, hat sie von der Unterstützung der Gesellschaft profitiert, und das hat ihrem Ruf und auch ihrem Einkommen sehr genützt.«

»Ja, natürlich«, murmelte Milly. »Ein solches Motiv kann man verstehen, denke ich.«

»Das Geschäft ist sehr hart«, warf Eisworth ein. »Ganz besonders, wenn man noch ganz am Anfang steht.«

»Aber Irene Toller hat den tödlichen Fehler begangen, sich in Reed zu verlieben«, erklärte Caroline. »Und als sie dann feststellte, dass er sie sehr wahrscheinlich verlassen würde, um sich mit Elizabeth Delmont zusammenzutun, war sie zunächst verzweifelt und wurde dann schrecklich wütend.«

»Ich nehme an, ihre Situation war ganz besonders schlimm, weil sie Elizabeth Delmont schon immer als ihre härteste Konkurrentin angesehen hatte«, meldete sich jetzt auch Emma. »Irene Toller sah sich als verschmähte Frau.«

»Sie kannte das Wintersett House sehr gut, ganz besonders auch das Schlafzimmer von Sarah Reed, weil sie dort als letzten Test die Seance für Reed durchgeführt hatte«, meinte Adam. »Sie muss sich eines Tages nach oben geschlichen haben, ohne dass Reed etwas davon bemerkt hat, und dann hat sie die Brosche und den Schleier aus dem Schrank gestohlen.«

Caroline nickte. »Sie hat beides in der Nacht mitgenommen, in der sie Elizabeth Delmont umgebracht hat, und dann hat sie die Sachen am Tatort zurückgelassen. Offensichtlich hatten sie für sie eine Bedeutung, weil sie der Frau gehört hatten, von der Reed besessen war.«

»Und was ist mit der Taschenuhr, die man neben Delmonts Leiche gefunden hat?«, fragte Julia. »Von der Uhr stand doch auch etwas in der Zeitung.«

»Sie gehörte Elizabeth Delmont«, erklärte Adam. »Es war ein Geschenk von Reed gewesen. Irene Toller musste das gewusst haben, deshalb hat sie in ihrer Wut die Uhr zerstört. Ich war der Erste, der in Delmonts Haus war, in der Nacht, nachdem der Mörder gegangen war. Als ich sie fand, lagen sowohl der Schleier als auch die Brosche und die Uhr noch am Tatort.«

»Reed kam als Nächster«, spann Wilson den Faden weiter. »Zweifellos muss er entsetzt gewesen sein, als er die Brosche seiner toten Frau und ihren Schleier am Tatort fand. Er muss sofort geahnt haben, wer diese Dinge gestohlen und demnach auch Delmont ermordet hatte. Er hat die Brosche und den Schleier mitgenommen, doch die Uhr hat er liegen gelassen. Sie bedeutete ihm nichts.«

»Und ich kam als Letzter«, berichtete Eisworth. »Ich wollte ihr nach einem langen Abend in der Stadt einen Besuch machen. Es war schon fast Morgen.«

Milly sah ihn ernst an. »Warum um alles in der Welt sind Sie so spät noch zu ihrem Haus gegangen?«

»Ich hatte vermutet, dass Delmont, nachdem sie von mir ein paar Tricks gelernt hatte, ihre eigenen finanziellen Pläne hatte, die sie ohne meine Mithilfe durchführen wollte. Ich wollte, dass sie sich diesen Schritt noch einmal überlegt. Ich hatte die Absicht, ihr zu drohen, sie zu entlarven, wenn sie ihre eigenen Geschäfte machen würde. Als ich dort ankam, war die Tür offen. Ich ging ins Haus und fand die Leiche.«

»Und Mauds Tagebuch«, fügte Adam noch hinzu.

Eisworth winkte ab. »Ich bin jemand, der jede Gelegenheit nutzt. Aber wie ich Ihnen schon sagte, als ich das Tagebuch gelesen hatte, habe ich entschieden, dass ich diese Sache nicht weiter verfolgen wollte. Das wäre viel zu leichtsinnig gewesen.«

»Aber da war es schon zu spät, nicht wahr?«, meinte Milly fröhlich. »Sie wussten bereits, dass Adam Ihnen auf den Fersen war.«

Eisworth verzog das Gesicht. »Als ich ihn nach der Vorstellung von Irene Toller zusammen mit Mrs. Fordyce sah, wusste ich, dass ich mich in einer ausweglosen Situation befand. Ich habe alles getan, um die Aufmerksamkeit der Leute auf eine andere Spur zu lenken, indem ich meine Dienste der Polizei angeboten habe. Ich war sicher, dass die Presse eine große Sensation daraus machen würde. Und als ich Sie an diesem Tag im Publikum entdeckte, Mrs. Fordyce, habe ich versucht, Sie zu warnen, dass Sie in Gefahr sind. Ich dachte, dass könnte Sie und Hardesty vielleicht ablenken. Doch als auch das nichts nutzte, musste ich stärkere Mittel einsetzen.«

»Sie haben diese beiden Halunken bezahlt, damit sie Adam angriffen«, warf ihm Caroline vor.

»Jawohl, was soll ich sagen, Madam? Ich war verzweifelt.«

»Reed war noch viel verzweifelter«, berichtete Adam weiter. »Seinem Tagebuch hat er anvertraut, dass er die große Hoffnung hatte, dass Elizabeth Delmont endlich das Medium sein würde, das den Kontakt zu seiner toten Frau herstellen konnte. Aber noch ehe er den letzten Test mit ihr in Sarahs Schlafzimmer machen konnte, hat Irene Toller sie umgebracht. Und dann hat Irene Toller ihm eine Nachricht geschickt und ihm befohlen, sie zu besuchen. Er hat wohl vermutet, dass sie vorhatte, ihn zu erpressen, indem sie drohte, die Geschichte seiner Seancen in Sarahs Schlafzimmer an die Presse weiterzugeben.«

»Und deshalb hat er sie umgebracht«, schloss Julia. »Und er hat den Mord so aussehen lassen, wie er in der Zeitung beschrieben worden war, weil er wusste, dass die Presse sich darauf stürzen würde.«

Adam nickte. »Nachdem Elizabeth Delmont tot war, hat Reed entschieden, dass Carolines Verbindung zum Wintersett House mehr war als nur ein Zufall. Er glaubte, dass ihre übersinnlichen Kräfte sie zu ihm geführt hätten, damit er sie dazu nutzen konnte, Sarah zu erreichen. Gestern hat er dann endlich Caroline in seine Falle gelockt.«

Emma runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht. Hat er wirklich erwartet, dass er so einfach Caroline entführen und sie in irgend so einer schrecklichen Seance benutzen könnte? Er muss doch gewusst haben, dass Sie Carolines Verschwinden untersuchen würden, Adam.«

»Wenn er mit Caroline fertig war, wollte er sie auch umbringen, und er wollte den Mord genauso aussehen lassen wie die anderen beiden Morde«, meinte Wilson und presste zornig die Lippen zusammen. »Er wollte dafür sorgen, dass ihre Leiche und noch eine weitere zerbrochene Taschenuhr in ihrem eigenen Haus gefunden wurden, damit es noch mehr Beweise gegen Adam gab.«

Julia erschauderte. »Die Presse hätte sich ganz sicher auf diese Geschichte gestürzt und hätte berichtet, dass eine Schriftstellerin für Sensationsromane von ihrem Geliebten getötet wurde.«

Milly war entsetzt. »Hat er wirklich geglaubt, dass ein solcher Plan klappen könnte?«

Eisworth schüttelte den Kopf. »Sie verstehen nicht, wie Menschen denken, die alle Logik und jeglichen Verstand außer Acht lassen, nur weil sie an die Möglichkeit glauben wollen, mit der anderen Seite in Verbindung treten zu können. Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass Reed einer der leichtgläubigsten Menschen war, die mir je begegnet sind.«

Caroline sah ihn an. »Waren Sie etwa derjenige, der Adam und mir die Nachrichten geschickt hat, am Morgen nach dem Mord zu Mrs. Tollers Haus zu kommen?«

»Nein.« Eisworth hob beide Hände mit den Handflächen nach oben. »In diesem Punkt bin ich unschuldig.«

»Reed hat die Nachrichten geschickt.« Adam schloss das Buch. »Er hat auch eine anonyme Nachricht an die Polizei und an einige Reporter geschickt. Er wollte eine Sensation schaffen.«

»Zweifellos hat er gehofft, dass du verhaftet würdest«, meinte Wilson. »Wenigstens sollte ein starker Verdacht auf dich fallen, und du solltest in einen Skandal verwickelt werden. Sein oberstes Ziel war es, einen Keil zwischen dich und Caroline zu treiben. Er hat angenommen, dass sie schockiert und entsetzt sein würde, wenn sie herausfand, dass du möglicherweise mit einem Mord in Verbindung gebracht würdest. Er hoffte, sie würde dir den Rücken zukehren, um ihren eigenen Ruf zu schützen.«

Adam lächelte lässig und sah dann Caroline an. »Reed hatte offensichtlich kein übersinnliches Talent. Er konnte nicht vorhersehen, dass du mir ein Alibi geben würdest, auch wenn das bedeutete, dass du dadurch noch tiefer in einen großen Skandal verwickelt werden würdest.«

Zum ersten Mal seit der Sache im Wintersett House blitzte ein Lachen in Carolines Augen auf. »Offensichtlich hat er keine Ahnung von Schriftstellerinnen, die Sensationsromane schreiben. Wir leben von solchen Dingen.«