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Adam fand Wilson schließlich in seinem Club, wo dieser allein in einer Ecke saß, Kaffee trank und die Ausgabe des Flying Intelligencer las.
»Wo um alles in der Welt bist du nur gewesen?« Wilson sah ihn über den Rand der Zeitung hinweg an. »Ich habe dich schon vor Stunden zurückerwartet.« Er zog einen Umschlag aus seiner Tasche. »Dieses Telegramm ist für dich gekommen.«
Adam setzte sich und riss den Umschlag auf. Das Telegramm war von Harold Filby.
BEDAURE SIE INFORMIEREN ZU MÜSSEN, DASS ES KEINERLEI FORTSCHRITTE IN DEN NACHFORSCHUNGEN GIBT. STOP
Adam blickte auf. »Hast du schon einmal von einem Dorf mit dem Namen Chillingham gehört?«
Wilson dachte kurz nach. »Es gibt ein Chillingham, das nicht weit von Bath entfernt liegt, wenn ich mich recht erinnere.«
Adam winkte einem der älteren Kellner. »Stift und Papier, bitte. Ich möchte ein Telegramm aufgeben.«
Der Mann kam mit den gewünschten Sachen zurück, und Adam schrieb eine Nachricht.
VERSUCHEN SIE ES IM DORF CHILLINGHAM IN DER NÄHE STOP. VERSUCHEN SIE ES UNTER DEM NAMEN CONNOR STOP. DISKRETION UNBEDINGT ERFORDERLICH. STOP.
Er schrieb Filbys Adresse in Bath darauf und reichte die Nachricht dann dem Portier, der eilig damit zum Telegraphenbüro lief.
Wilson zog die Augenbrauen hoch. »Worum geht es denn hier überhaupt?«
»Das werde ich dir später erklären.«
»Also, hat Irene Toller versucht, mit Hilfe dieses Tagebuches Geld aus dir herauszuholen, so wie du es angenommen hast, als sie dich heute Morgen zu sich bestellt hat?«
»Nein. Toller ist in der vergangenen Nacht umgebracht worden, genau auf die gleiche Art, wie Delmont umgebracht worden ist. Sie hat mehrere heftige Schläge auf den Kopf bekommen, und das Seancezimmer wurde vollkommen auseinander genommen.«
»Gütiger Himmel. Ist das dein Ernst?«
»Jawohl.«
»Erstaunlich.« Wilson griff mit besorgt verzogenem Gesieht nach seinem Kaffee. »Das ist wirklich höchst ungewöhnlich. Ein zweites ermordetes Medium wird sicher das Feuer noch anheizen, das in einigen der bunten Zeitungsblätter bereits entfacht wurde.« Er deutete mit dem Kopf auf den Flying Intelligencer, in dem er gerade gelesen hatte. »Ich habe da gerade einen Artikel gelesen von so einem Dummkopf namens Otford, der angedeutet hat, dass der Mord an Delmont übernatürlichen Kräften zuzuschreiben wäre. Was für ein verdammter Unsinn. Ich kann mir sehr gut vorstellen, was er über einen zweiten Mord zu sagen haben wird.«
»Otford könnte sich noch auf andere Weise als Problem herausstellen.« Adam legte die Fingerspitzen zusammen. »Ich werde mich um ihn kümmern, wenn das notwendig sein wird. In der Zwischenzeit werde ich der Möglichkeit nachgehen, dass Toller und Delmont einen betrügerischen Finanzplan ausgeheckt haben.«
»Ah ja.« Wilson nickte ernst. »Folge dem Geld.«
»Und dabei habe ich geglaubt, dein Rat sei, cherchez la femme«, meinte Adam.
»Frauen und Geld gehören sehr oft zusammen.«
»Verzeih mir bitte, Sir, aber diese Art von Weisheit ist nicht sehr hilfreich, angesichts der Tatsache, dass Männer und Geld auch sehr oft zusammengehören.«
»Das gebe ich zu.« Wilson verschränkte die Hände vor dem Bauch. »Warst du denn in der Lage, in Tollers Haus nach dem Tagebuch zu suchen?«
»Nicht sehr eingehend. Als ich heute Morgen an ihrem Haus ankam, war die Polizei bereits da. Ich habe nur eine flüchtige Untersuchung des Seancezimmers und von Teilen des Flurs im Erdgeschoss durchführen können, während ich mich mit dem Inspektor unterhalten habe, aber ich konnte wohl kaum Schubladen öffnen oder den Teppich hochheben. Aber ich bin ganz sicher, dass das Tagebuch verschwunden ist.«
»Glaubst du, der Mörder hat es mitgenommen?«
»Das ist eine Möglichkeit, aber es gibt auch noch andere.«
»Zum Beispiel?«
»Mrs. Toller hat eine Haushälterin, die ihr auch assistiert hat, und die bei einigen Dingen wohl auch ihre Partnerin war. Sie scheint verschwunden zu sein. Ihren Namen habe ich von den Nachbarn bekommen, und ich hoffe, ich werde sie aufspüren.« Er hielt inne. »Und ganz zufällig ist der Tod von Toller nur eines der vielen Dinge, die dich zweifellos interessieren werden.«
»Ach, wirklich?«
»Die Polizei hat eine Taschenuhr mit meinem Namen am Tatort von Tollers Mord gefunden, und die Uhr ist offensichtlich genau zu dem Zeitpunkt stehen geblieben, als der Mord ausgeführt wurde.«
Wilson sah alarmiert auf. »War es eine deiner Uhren?«
»Nein, es war ein billiges Ding. Die Gravur war auch nicht sehr gut gemacht, doch man konnte den Namen immerhin lesen.«
»Das bedeutet, der Mörder weiß, dass du ihn suchst. Er hat die Uhr benutzt, um den Verdacht auf dich zu lenken.«
»So scheint es zu sein.« Adam klopfte mit den Fingerspitzen gegeneinander. »Die Dinge sind noch viel komplizierter geworden. Ich wollte Julia eigentlich gar nicht in die Sache hineinziehen, aber ich denke, es ist an der Zeit, ihr und Southwood zu sagen, was los ist.«
»In der Tat. Die Situation ist wirklich besorgniserregend. Es wäre besser, wenn die beiden Bescheid wüssten.« Wilson zog die Augen zusammen. »Ich nehme an, die Polizei betrachtet dich als einen der Verdächtigen?«
Adam zuckte mit den Schultern. »Der Inspektor hat mir einige Fragen gestellt, doch die meisten der Fragen haben sich erübrigt, als er feststellte, dass ich ein ausgezeichnetes Alibi hatte. Eine enge Vertraute hat meine Behauptung bestätigt, dass ich anderweitig beschäftigt war zu dem Zeitpunkt, als Toller ermordet wurde.«
»Ich bin erleichtert, das zu hören.« Wilson entspannte sich sichtlich. »Das sollte die ganze Sache wesentlich einfacher machen. Um welche Zeit wurde Toller denn umgebracht?«
»Um Mitternacht.«
Wilson nickte. »Zu dem Zeitpunkt war die Seance aber schon eine Weile vorüber. Du warst zweifellos in deinem Club. Wahrscheinlich hast du dort sogar ein ganzes Dutzend Zeugen.« Er schnaufte verächtlich. »Der Mörder hätte genügend Verstand haben müssen, um sich zu versichern, wo du warst, ehe er versuchte, den Verdacht auf dich zu lenken.«
»Ich war nicht in meinem Club.«
»Aber wo warst du dann? Im Theater?«
»Nein, ich war in der Wohnung in der Stone Street.«
»Um Mitternacht?«
»Jawohl.«
»Das verstehe ich nicht.« Wilson verzog unwillig das Gesicht. »Wenn du dorthin gehst, gehst du doch immer allein. Aber wer ist denn diese Bekannte, die dir dieses Alibi gegeben hat?«
»Meine sehr gute Freundin, Mrs. Fordyce.«
»Fordyce? Fordyce.« Wilson sah ihn verwirrt an. »Meinst du etwa die Schriftstellerin, Mrs. Fordyce?«
»Jawohl.«
Wilson war verblüfft. »Zum Teufel, was sagst du da? Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für deinen exzentrischen Humor, Adam.«
»Das ist kein Spaß. Mache dich auf einiges gefasst, Sir. Ich stehe kurz davor, in einen schockierenden Skandal verwickelt zu werden, in dem es um Mord geht und um eine verbotene Beziehung zu einer berühmten Schriftstellerin von Sensationsromanen.«