13
»Ich fürchte, diese ganze Geschichte könnte gefährlich werden für Caroline.« Emma legte ihre Füße auf den kleinen Hocker vor ihrem Sessel und genoss die wohlige Wärme in dem kleinen Wohnzimmer.
Milly senkte das Buch, in dem sie gerade las, und setzte ihre Brille ab. Sie wusste sehr wohl, dass ihre Freundin schon seit Stunden über die letzten Ereignisse nachgedacht hatte. Nach all den Jahren, in denen sie bereits zusammenlebten, hatte sie gelernt, Emma die nötige Zeit zu lassen, um die Dinge zu verarbeiten.
»Ich glaube nicht, dass du dir Sorgen um Carolines Sicherheit machen musst.« Sie legte die Brille auf den kleinen Tisch neben sich. »Ich bin ganz sicher, dass Mr. Hardesty sehr gut auf sie aufpassen wird.«
»Aber wer wird Caroline vor Mr. Hardesty schützen?«, fragte Emma, und ihre Stimme klang voller Vorahnung.
Milly öffnete den Mund, um ihr zu antworten, doch dann zögerte sie. Ihr erster Gedanke war, die ganze Situation in möglichst optimistischem Licht zu sehen. Von Emma erwartete man natürlich, dass sie das genaue Gegenteil tat. In den meisten Fällen ergänzten sie sich beide sehr gut.
Im ersten Augenblick wollte sie Hardesty verteidigen. Sie hatte ihn gleich auf den ersten Blick respektiert, und ihr Instinkt sagte ihr, dass man ihm trauen konnte. Aber was wusste sie wirklich von ihm? Sie musste zugeben, dass Emma Recht hatte, wenn sie sich Sorgen machte. Es bestanden immerhin einige Risiken.
»Caroline ist alt und auch klug genug, um mit einem Mann wie Adam Hardesty fertig zu werden«, behauptete sie und versuchte, überzeugend zu klingen. »Es ist ja nicht so, als würde sie die Gefahr nicht sehen. Nach allem, was vor drei Jahren passiert ist, weiß sie, dass sie vorsichtig sein muss.«
»Da bin ich mir gar nicht so sicher. Hast du denn nicht gesehen, wie die beiden heute Nachmittag einander angesehen haben?«
Milly seufzte. »Doch, das habe ich gesehen.«
»Die Atmosphäre war so aufgeladen, dass ich mich schon gewundert habe, dass nicht hier mitten im Wohnzimmer die Blitze gezuckt haben.«
»In der Tat.«
Emma sah sie eindringlich an. »Du weißt genauso gut wie ich, dass eine intime Verbindung mit einem Gentleman wie Mr. Hardesty für Caroline nur Kummer bedeuten kann. Männer mit Macht und Reichtum heiraten nur, um noch mehr Macht und noch mehr Reichtum zu erlangen. Hardesty kann sich eine Frau wählen, die aus den höchsten Kreisen kommt, und das wird er wahrscheinlich auch tun. Von ihm kann sie höchstens eine diskrete Affäre erwarten.«
Milly dachte sehr sorgfältig über ihre Antwort nach. Immerhin begab sie sich hier auf gefährliches Gebiet.
»Wäre das denn ein so schreckliches Schicksal?«, meinte sie schließlich.
Emmas Miene wurde starr. »Wie kannst du nur so etwas fragen? Das wäre entsetzlich.«
»Du denkst an deine Schwester«, meinte Milly sanft. »Aber lass uns hier ganz offen reden. Caroline ist nicht ihre Mutter. Sie hat ein ganz anderes Temperament. Wir beide kennen sie schon, seit sie in der Wiege lag. Du denkst doch wohl keinen Augenblick lang, dass sie eine Frau ist, die sich das Leben nehmen wird, nur weil ihr Liebhaber sie nicht mehr haben will?«
Emma schloss die Augen. »Ich möchte nicht, dass Caroline leiden muss.«
»Vor dieser Art Schmerz können wir sie nicht beschützen. Früher oder später muss eine Frau lernen, damit umzugehen. So ist es nun einmal in der Welt.«
»Ich weiß. Aber dennoch …«
»Lass mich ausreden.« Milly stand von dem Sofa auf und trat neben Emmas Sessel. Sie legte der Freundin eine Hand auf die Schulter. »Als wir die Aufgabe übernommen haben, Caroline großzuziehen, nachdem deine Schwester gestorben war, haben wir uns geschworen, dass wir ihr beibringen würden, eine starke und unabhängige Frau zu werden. Und um das zu erreichen, haben wir ihr eine ausgezeichnete Ausbildung gegeben. Wir haben ihr beigebracht, logisch zu denken und zu argumentieren und ihre Finanzen zu verwalten. Wir haben dafür gesorgt, dass sie nicht heiraten muss, es sei denn, sie wünscht es sich. In der Tat hat sie bisher mindestens zwei Anträge bekommen, und sie hat beide abgelehnt.«
»Weil sie die Männer nicht geliebt hat«, platzte Emma heraus. Sie verschränkte die Hände fest im Schoß. »Darum geht es doch, Milly. Was geschieht, wenn sie nun diesmal ihr Herz an einen Mann verliert, der ihr gar keine Heirat antragen will?«
»Sie ist schon lange kein kleines Mädchen mehr. Sie kann sehr gut auf sich selbst aufpassen. Denk doch nur, was sie bisher schon erreicht hat. Trotz dieser schrecklichen Geschichte vor drei Jahren hat sie sich einen profitablen Beruf erarbeitet. Sie würde sich lieber den Schwierigkeiten stellen, ihren eigenen Weg im Leben zu finden, als sich in einer lieblosen Ehe elend zu fühlen. Jede Frau, die in der Lage ist, einen Entschluss zu fassen, kann selbst entscheiden, ob sie das Risiko einer Affäre mit einem Mann eingehen möchte, der sie wahrscheinlich niemals heiraten wird.«
Emma lächelte erschöpft, dann legte sie ihre Hand auf die von Milly. »Natürlich hast du Recht, meine liebe Milly. Du hast in solchen Dingen meistens Recht. Aber manchmal, wenn ich Caroline ansehe, muss ich daran denken, was mit Beatrice geschehen ist, und dass es mir damals nicht gelungen ist, sie zu beschützen. Ich habe mir geschworen, dass mir das bei ihrer Tochter nicht passieren wird.«
»Wir haben in der Vergangenheit schon so oft darüber geredet. Ich kann nur das wiederholen, was ich dir schon unzählige Male zuvor gesagt habe. Es gab nichts, was du für Beatrice hättest tun können. Und du hast ganz sicher nicht versagt bei Caroline. Sie ist intelligent, empfindsam und temperamentvoll, und all das verdankt sie dir. Sie ist deine Tochter, im wahrsten Sinne des Wortes, Emma.«
Emma drückte Millys Finger. »Immerhin habe ich sie nicht allein großgezogen. Du warst immer bei mir. Sie ist genauso sehr deine Tochter wie meine.«
Sie sahen ein paar Minuten lang schweigend in die Flammen im Kamin. Es war nicht nötig, zu reden. Sie waren schon so lange Zeit zusammen, dass sie die Gedanken des anderen lesen konnten.