33
»Ich bin wirklich nicht gern der Botschafter, der die schlechten Nachrichten bringt, alter Kumpel«, begann Ivybridge. Er machte es sich in einem der ledernen Ohrensessel bequem und warf Adam einen wissenden Blick von Mann zu Mann zu. »Aber immerhin sind wir Mitglieder im gleichen Club und so weiter. Es wäre ein Fehler, wenn ich Ihnen nicht einen guten Rat geben würde, bezüglich Ihrer Verbindung mit der Frau, die sich Mrs. Fordyce nennt.«
Adam lehnte sich in seinem Sessel zurück und betrachtete seinen Besucher nachdenklich. Als er in die Bibliothek zurückgekehrt war, hatte er Filby in ein anderes Zimmer geschickt, mit einer Flasche Ciaret und ein paar Sandwiches vom Büffet. Dann hatte er sich hingesetzt und auf Ivybridge gewartet. Sein Instinkt hatte ihm gesagt, dass er nicht lange würde warten müssen. Und er hatte Recht behalten.
»Sie kennen doch das traditionelle Schicksal des Boten, der schlechte Nachrichten bringt«, rief ihm Adam ins Gedächtnis.
Ivybridge zwinkerte mit den Augen und runzelte dann ein wenig die Stirn. Doch dann lachte er leise. »Sie werden mir für diese Nachrichten dankbar sein, Hardesty.«
»Wirklich?«
»In der Tat. Kein Mann wird gern in die Rolle eines Dummkopfes gedrängt.«
»Ich sehe, Sie können es kaum erwarten, mir Ihren neuesten Klatsch mitzuteilen.«
»Es geht hier nicht um Klatsch, Sir. Was ich Ihnen erzählen werde, sind Tatsachen. Zunächst einmal ist der Name der Lady nicht Mrs. Fordyce.« Ivybridge warf einen sehnsüchtigen Blick auf die Karaffe mit Brandy. »Caroline Connor ist ihr wirklicher Name. Ich nehme an, den Namen Mrs. Fordyce hat sie erfunden, um ihre Vergangenheit zu verbergen.«
Adam ignorierte den recht deutlichen Hinweis auf den Brandy. Er hatte nicht die Absicht, sein ausgezeichnetes Getränk jemandem wie Ivybridge anzubieten.
»Ich nehme an, Sie wollen mir erzählen, warum sie gewisse Dinge verbergen möchte«, meinte er.
»Ich werde Sie nicht mit allen Einzelheiten langweilen, aber ich kann Ihnen versichern, dass Miss Connor in einen großen Skandal verwickelt war, der ihren Ruf vollkommen zerstört hat.«
»Ach so.«
»Ich muss sagen, es erstaunt mich, dass sie es irgendwie geschafft hat, sich unter einem neuen Namen ein neues Leben einzurichten. Aber ich habe schon immer geahnt, dass sie eine sehr kluge Frau ist.«
Adam legte die Fingerspitzen zusammen. »Ich habe festgestellt, dass sie sehr intelligent und erfindungsreich ist.«
»Nun, das sind wohl die Eigenschaften einer erfolgreichen Abenteuerin, nicht wahr?« Ivybridge lachte. »Ich gebe zu, sie ist eine interessante Frau, wenn man gerade in der Stimmung ist, etwas Außergewöhnliches auszuprobieren. Aber sie ist wohl kaum das Vorbild anständigen weiblichen Benehmens, wie?«
Adam dachte über die verschiedenen Möglichkeiten nach, wie er Ivybridge loswerden konnte. Doch leider würden die meisten davon zu einer größeren Verschmutzung des Teppichs führen.
»Wohl nicht Ihre Wahl, nicht wahr?«, meinte er stattdessen.
»Leider fürchte ich, dass nach den unglücklichen Umständen in Chillingham ihr Ruf so schlecht ist, dass wohl kein Gentleman daran denken würde, sie seiner Familie vorzustellen.« Ivybridge zwinkerte vielsagend. »Ich bin sicher, Sie verstehen, was ich damit sagen will.«
»Das tue ich«, antwortete Adam. Kurz dachte er über die verlockenden Dinge nach, die er mit seinem äußerst scharfen Brieföffner anstellen könnte. »Ich würde vorschlagen, wir kehren zu dem Thema des toten Botschafters zurück.«
Ivybridge runzelte verwirrt die Stirn. »Wie bitte?«
Ohne jede Vorwarnung öffnete sich schwungvoll die Tür, mit einer solchen Wucht, dass sie gegen die Wand flog. Caroline lief in das Zimmer, die Röcke wehten hinter ihr. Wilson folgte, er schien höchst belustigt.
»Meine Liebe.« Adam stand auf. »Was für eine unerwartete Freude.«
Sie ignorierte ihn. »Da sind Sie ja, Ivybridge.« Mitten im Zimmer blieb sie stehen. »Ich habe gesehen, wie Sie den Ballsaal verlassen haben, und ich habe sofort gewusst, was Sie vorhaben. Sie konnten es gar nicht erwarten, Mr. Hardesty Ihre Version der ganzen Geschichte in Chillingham zu erzählen, nicht wahr?«
Ivybridge betrachtete sie verächtlich, er machte sich erst gar nicht die Mühe, aufzustehen. Dann blickte er wieder zu Adam. »Wie ich schon sagte, wohl kaum ein Vorbild weiblichen Benehmens.«
Adam achtete gar nicht auf diese Bemerkung. »Bitte, setz dich doch, meine Liebe.«
Entweder hörte sie ihn gar nicht, oder sie hatte nicht die Absicht, sich zu setzen. Sie sah noch immer Ivybridge an, mit einem Blick, der eine Mischung war aus Wut und Verachtung.
Adam warf Wilson einen schnellen Blick zu.
»Tut mir Leid«, meinte Wilson fröhlich und schien die ganze Sache überhaupt nicht zu bedauern. »Aber ich konnte sie nicht aufhalten. Als sie erst einmal bemerkt hatte, dass Ivybridge den Ballsaal verlassen hatte, war sie hinter ihm her, wie der Jagdhund hinter einem Fuchs.«
Eigentlich hätte ich das wissen müssen, dachte Adam. Wilson amüsierte sich köstlich. Und er selbst hatte die Kontrolle über die ganze Sache verloren.
Er kam um seinen Schreibtisch herum und lehnte sich dagegen. Dann betrachtete er sein Publikum.
»Ich gebe zu, dass ich sehr neugierig darauf bin, zu erfahren, was in Chillingham geschehen ist«, begann er.
»Es hat eine ganze Menge hässlichen Klatsch gegeben, so viel kann ich Ihnen verraten«, antwortete Ivybridge düster.
Caroline wirbelte zu Adam herum. »Ich werde dir ganz genau erzählen, was geschehen ist.«
Noch einmal öffnete sich die Tür, ehe Caroline weitersprechen konnte. Julia und Robert betraten die Bibliothek.
»Lady Southwood.« Ivybridge sprang auf und verbeugte sich tief vor Julia. »Madam, darf ich Sie bitten, zu gehen. Ich bin sicher, Sie möchten diese unangenehme Unterhaltung nicht hören. Ihre zarten weiblichen Nerven …«
»Machen Sie sich keine Sorgen um meine Nerven, Mr. Ivybridge«, unterbrach ihn Julia mit eisiger Stimme.
»Ich versichere Ihnen, die Nerven meiner Frau sind sehr stark, Ivybridge.« Mit hochgezogenen Augenbrauen sah Robert Adam an. »Was zum Teufel ist hier eigentlich los?«
»Caroline wollte uns gerade die Einzelheiten eines großen Skandals erzählen, in den sie vor drei Jahren verwickelt war«, meinte Adam.
»Wie aufregend.« Julia setzte sich und sah Caroline erwartungsvoll an.
»Es geht doch nichts über einen guten Skandal«, stimmte ihr Robert zu. Er stellte sich an den Kamin und lehnte sich gegen den Sims.
Noch einmal wurde die Tür aufgerissen. Diesmal stürmten Emma und Milly in die Bibliothek. Ihr Gesichtsausdruck wechselte von Besorgnis zu offensichtlichem Zorn, als sie Ivybridge entdeckten.
»Was will dieser Bastard denn hier?«, wollte Milly wissen.
»Was für eine Sprache.« Ivybridge sah aus, als würden ihm diese Worte Schmerzen bereiten. »Ich habe versucht, Sie zu warnen, Hardesty.« Er lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück. »Der gesamten Familie fehlt der Sinn für Anstand.«
Emma sah ihn voller Verachtung an. »Sie sind gekommen, um Caroline noch einmal zu ruinieren, nicht wahr?«
»Mrs. Fordyce wollte uns gerade die ganze Geschichte erzählen.« Robert warf Caroline einen aufmunternden Blick zu. »Bitte, fangen Sie doch an.«
Ivybridge presste verärgert die Lippen zusammen. »Ich weiß gar nicht, was Sie sich davon versprechen, wenn Sie sich auf diese gewöhnliche Art in Verlegenheit bringen, Miss Connor. Sie werden alles nur noch viel schlimmer machen.«
Julia war sofort neugierig. »Ist das Ihr richtiger Name? Connor?«
»Ja«, antwortete Caroline.
»Erzähle«, forderte Adam Caroline auf.
»Ich werde versuchen, meine Version der ganzen Geschichte so kurz wie möglich zu halten«, begann sie. »Mr. Ivybridge ist der Eigentümer einer großen Länderei außerhalb des Dorfes Chillingham. Seine Familie besitzt schon seit langer Zeit Land in dieser Gegend.«
»Seit sechs Generationen, um es genau zu sagen«, warf Ivybridge ein, mit der Arroganz eines Mannes, der weiß, dass er auf der gesellschaftlichen Leiter einen hohen Rang einnimmt.
»Vor drei Jahren hat sich Ivybridge entschieden, zu heiraten«, erzählte Caroline weiter. »Im Dorf war es kein Geheimnis, dass er sich das Ziel gesetzt hatte, eine Frau zu finden, die ihm zusätzlichen Besitz in der Nähe von Chillingham einbringen würde. Also suchte er sich eine Frau aus dem örtlichen Landadel. Eine kurze Zeit lang machte er Miss Aurora Kent den Hof, der Tochter einer anderen, wohlhabenden Familie der Gegend. Aber aus irgendwelchen Gründen entschied er sich dann, doch nicht um ihre Hand anzuhalten.«
Ivybridge schnalzte mit der Zunge. »Es stellte sich heraus, dass die Finanzen der Familie nicht so waren, wie ich es erwartet hatte«, erklärte er Wilson und Adam mit verschwörerischer Stimme.
»Mit anderen Worten, das Erbe der Lady war nicht groß genug und sagte Ihnen deshalb nicht zu«, erklärte Caroline eisig. »Sie haben sich also zurückgezogen und Ihre Interessen auf ein anderes Ziel gerichtet.«
»Auf meine bezaubernde Helen«, stimmte Ivybridge ihr zu und zeigte offen seine Zufriedenheit. »Wie es sich herausgestellt hat, war es eine ausgezeichnete Verbindung.«
»Sie war nicht nur sehr hübsch, sie hatte auch noch einen beträchtlichen Besitz, der gleich an das Land von Ivybridge grenzte«, erklärte Caroline. »Aber da gab es noch das kleine Problem mit Miss Aurora Kent, die gar nicht damit zufrieden war, dass man sie beiseite schob.«
Ivybridge verzog das Gesicht. »Meine geänderten Absichten haben offensichtlich die Nerven der Lady auf ganz besondere Weise angestrengt. Sie begann, sich sehr eigenartig zu benehmen. Sie ist sogar zwei Mal zu mir nach Hause gekommen, beide Male ohne jegliche Begleitung, muss ich erklären. Sie verlangte zu wissen, wen ich an ihrer Stelle ausgewählt hatte. Bei ihrem zweiten Besuch gab es eine schreckliche Szene, sie hat Drohungen ausgestoßen.«
Adams Magen zog sich zusammen. »Aurora Kent war geistig gestört?«
»Ich fürchte, ja.« Ein Schauer rann durch Ivybridge. »Es war damals sehr knapp, das kann ich Ihnen verraten. Wenn ich daran denke, dass ich diese Frau beinahe geheiratet hätte, dann lässt mich das noch immer schaudern.«
»Ivybridge hat sehr richtig festgestellt, dass Aurora Kent nicht ganz normal war«, sprach Caroline weiter. »Als er seinen Antrag zurückzog, wurde sie zu einer Besessenen. Er schloss, dass es nicht sehr weise wäre, ihr den Namen seiner zukünftigen Frau zu nennen.«
»Ich habe befürchtet, sie könnte Helen etwas antun.« Ivybridge sah die Männer im Raum an, als wolle er ihr Verständnis und ihre Zustimmung haben. »Offensichtlich hatte ich die Pflicht, meine zukünftige Frau vor dieser Verrückten zu schützen.«
»Also hat er stattdessen Aurora Kent meinen Namen genannt.« Caroline ballte die Hände zu Fäusten. »Er hat dieser armen, gestörten Frau erzählt, dass er die Absicht hatte, mich zu heiraten. Und er hat nie den Anstand besessen, mir zu erklären, was er getan hatte.«
Ivybridges Gesicht verzog sich vor Wut. »Wie können Sie es wagen, mir vorzuwerfen, ich hätte Sie in eine solche Gefahr gebracht?«
»Genau das ist es, was Sie getan haben«, unterbrach ihn Caroline. »Sie wollten Rache.«
»Unsinn«, wehrte Ivybridge schnell ab. »Sie erfinden hier nur eine weitere Geschichte.«
Carolines Blick wich nicht von seinem Gesicht. »Sie waren wütend, weil ich ihre lüsternen Annäherungsversuche abgelehnt hatte. Und als Sie dann die Möglichkeit sahen, mich dafür zu bestrafen, dass ich Ihr abscheuliches Angebot, Ihre Geliebte zu werden, abgelehnt hatte, haben Sie diese Gelegenheit ergriffen, sich so an mir zu rächen.«
»Wie können Sie es wagen, mich zu beschuldigen, ich hätte mich Ihnen unerwünscht genähert?« Ivybridge warf Adam und den anderen Männern einen nervösen Blick zu, dann sah er schnell weg. »Sie haben mit ihrem unkonventionellen Verhalten meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ständig sind Sie allein herumgelaufen, ohne eine anständige Begleitung – was haben Sie denn von einem Gentleman erwartet?«
Alle Luft schien aus Adams Lungen gewichen zu sein. Er wagte es nicht, sich zu bewegen. Er wusste, wenn er sich in diesem Augenblick nicht vollkommen unter Kontrolle hielt, würde er Ivybridge ganz sicher umbringen.
»Es stimmt, dass ich lange Spaziergänge gemacht habe, um meine Romane zu überdenken und neue Gedanken zu fassen«, stimmte Caroline zu. Sie presste die Lippen zusammen. »Auf dem Land ist das alles ganz anders, dort ist alles wesentlich entspannter. Niemand im Dorf hat sich daran gestoßen, nur Sie. Und an diesem Tag waren Sie wütend, weil ich Ihre Annäherungsversuche abgewiesen hatte. Später, als Aurora Kent dann Anzeichen zeigte, recht gefährlich zu werden, haben Sie sie auf mich gehetzt.«
»Und was ist geschehen?«, fragte Julia.
»Aurora ist mir an einem Nachmittag gefolgt«, berichtete Caroline. »Ich schwöre, sie hat mich verfolgt, als wäre sie ein Jäger und ich die Beute.«
»Gütiger Himmel«, flüsterte Julia.
Ivybridge rollte mit den Augen. »Was für eine melodramatische Vorstellung. Kein Wunder, dass Miss Connor Schriftstellerin für Sensationsromane geworden ist.«
Caroline warf Adam rasch einen Blick zu. »Aurora Kent hat mich entdeckt, als ich unter einem Baum saß und mir Notizen machte. Ich habe sofort bemerkt, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Sie trug nur ein Nachthemd und Schuhe. Ich habe mit ihr geredet, habe sie gefragt, ob sie krank sei. Aber sie schien meine Fragen gar nicht zu hören. Sie hat immer nur die gleichen Worte gesagt, wieder und wieder.«
Adam konnte den Schrecken in ihrem Blick nicht übersehen. Er richtete sich auf und kam zu ihr hinüber, dann legte er ihr sanft die Hände auf ihre nackten Schultern.
Keiner rührte sich, keiner sprach ein Wort. Sogar Ivybridge schien sprachlos.
»Was hat sie gesagt?«, fragte Adam Caroline, als sei sonst niemand mehr im Raum.
»Sie sagte, Du musst weggehen. Verstehst du denn nicht? Er wird zu mir zurückkommen, wenn du weggehst.«
Als sie Auroras Worte wiederholte, veränderte sich ihre Stimme, sie wurde eigenartig monoton. Sie versank wieder in Erinnerungen, begriff er, durchlebte den Alptraum noch einmal. Unter seinen Händen war ihre Haut eiskalt geworden. Er fühlte, wie ein Beben durch ihren Körper rann. Vorsichtig griff er fester zu und zwang sie so, ihn zu bemerken.
»Und was ist dann geschehen?«, fragte er in die Stille hinein.
Caroline sah ihn an, als sei sie gefangen in einem Wirbel, und nur er hielt das Seil in der Hand, das sie in die Sicherheit zurückholen konnte. »Sie hatte ein Messer hinter ihrem Rücken verborgen. Das hob sie hoch und lief auf mich zu. Sie hat versucht, mich umzubringen, Adam.«
Er zog sie in seine Arme und versuchte, sie mit seinem Körper zu wärmen.
»Du hast es überlebt«, flüsterte er in ihr Ohr und wiegte sie sanft hin und her. »Du hast es überlebt. Es geht dir gut, Caroline. Es ist alles vorbei.«
»Ich habe mich umgewandt, um davonzulaufen«, hauchte sie an seiner Brust. »Aber meine Röcke haben sich um meine Beine gewickelt, und ich bin gefallen. Sie war gleich hinter mir und hat versucht, mir das Messer in den Hals zu stoßen. Es ist mir gerade noch gelungen, mich auf die Seite zu rollen und aufzuspringen. Und dann bin ich losgerannt.«
»Caroline.« Mit ausgestreckten Armen kam Emma auf sie zu.
Aus dem Augenwinkel entdeckte Adam, wie Milly Emma die Hand auf die Schulter legte und sie so festhielt.
Ivybridge schnaufte verächtlich. »Zu Ihrer aller Information, es wurde nie ein Messer gefunden. Ich fürchte, das alles ist nur eine weitere Erfindung von Miss Connors überschwänglicher Vorstellungskraft.«
»Ich habe meine Röcke gehoben und bin zum Fluss davongelaufen«, sprach Caroline benommen weiter. »Sie war gleich hinter mir, ganz nahe. Ich wusste, dass ich ihr in meinem schweren Kleid nicht entkommen konnte. Und als ich dann am Fluss angekommen war, lief ich über die Brücke. Sie hatte mich fast eingeholt.«
Caroline war so angespannt, als würde sie noch immer um ihr Leben laufen, das fühlte Adam.
»Was in Gottes Namen hast du getan?«, fragte er gepresst.
»Ich habe mich schließlich an meinen Sonnenschirm erinnert. Er hing an meiner Taille, an einer neuen Kette, die Tante Emma und Tante Milly mir zum Geburtstag geschenkt hatten. Ich habe ihn von der Kette gelöst und bin dann auf der Brücke stehen geblieben. Und dann habe ich den Sonnenschirm eingesetzt wie ein langes Schwert, ich habe damit auf Auroras Gesicht gezielt. Sie ist zurückgewichen und hat instinktiv versucht, ihre Augen zu schützen, denke ich. Aber sie hat die Balance verloren. Mit der Rückseite des Knies ist sie gegen das niedrige Geländer der Brücke gestoßen. Sie ist in den Fluss gefallen. Das Wasser ist dort sehr tief, und sie konnte nicht schwimmen.«
»Ist sie ertrunken?«, fragte Adam.
Ivybridge schnaufte. »So einfach war das alles nicht. Zufällig ist Miss Connor, zusätzlich zu ihren anderen, wenig damenhaften Eigenschaften, eine ausgezeichnete Schwimmerin. Sie hat sich bis auf ihr Hemd ausgezogen, ohne jeden Anstand, ist in das Wasser gesprungen und hat die arme Miss Kent gerettet. Beide Frauen hat schließlich einer meiner Pächter gefunden, nur in ihrer Unterwäsche. Ein erschreckender Anblick, kann ich Ihnen sagen. Der Klatsch hat sich monatelang gehalten.«
»Und was ist mit Aurora Kent passiert?«, wollte Robert wissen. »Ich nehme an, man hat sie in eine Anstalt eingewiesen?«
Caroline hob den Kopf von Adams Schulter. »Sie hat sich noch am gleichen Nachmittag das Leben genommen.«
»Sie hat die Pistole ihres Vaters benutzt, um das zu beenden, was der Fluss nicht geschafft hatte«, erklärte Ivybridge lässig. »Und Miss Connors lächerlicher Rettungsversuch war vollkommen vergebens.«
»Und was ist mit dem Messer geschehen?«, fragte Adam.
»Aurora Kent hatte es noch immer in der Hand, als sie in den Fluss fiel«, flüsterte Caroline. »Im tiefen Wasser unter der Brücke hat sie es fallen lassen. Ich nehme an, es liegt noch immer im Schlamm auf dem Grund des Flusses.«
»Es war alles ein riesiger Aufruhr, das kann ich Ihnen versichern«, behauptete Ivybridge. »Und zusätzlich dazu kam auch noch das Gerücht auf, dass Miss Connor und ich eine verbotene Affäre gehabt hätten. Und wenn man eines zum anderen zählte, war der Ruf von Miss Connors ruiniert.«
Robert nahm die Hand vom Kaminsims und verbeugte sich voller Respekt vor Caroline. »Meinen Respekt vor Ihrer heldenhaften Tat, Miss Connor.«
Julia stand auf. »Das empfinde ich auch so, Caroline. In der Tat hat mich diese traurige Geschichte sehr berührt. Meiner Meinung nach hat Ivybridge jegliche Ehre und jeglichen Edelmut vermissen lassen.«
Ivybridge war wie vom Donner gerührt. »Wie bitte, Madam? Ich bin ein Gentleman.«
»Ich stimme meiner Frau vollkommen zu«, meldete sich jetzt auch Robert. Er sah Ivybridge an. »Sie, Sir, sind kein Gentleman.«
»Ich mochte Sie noch nie, Ivybridge«, meinte Wilson. »Bitte, suchen Sie Ihre Frau im Ballsaal, und gehen Sie sofort. Sie sind in diesem Haus als Gast nicht länger willkommen.«
Ivybridge verzog ungläubig das Gesicht, doch dann breitete sich zusehends Schrecken in seinem Blick aus. Adam sah, dass er endlich begriff, dass seine Rolle in dieser Geschichte in Chillingham nicht von allen mit Zustimmung gesehen wurde.
»Also wirklich, Sie müssen verstehen …« Ivybridge sprang auf. »Ich wollte Ihnen doch nur einen Gefallen tun, Hardesty. Wenn Sie die Gesellschaft schockieren wollen, indem sie öffentlich eine Verbindung mit einer Frau eingehen, die in einen so großen Skandal verwickelt war, dann ist das Ihre Sache.«
»Da haben Sie vollkommen Recht.« Adam gab Caroline frei und ging auf Ivybridge zu. »Es ist meine Sache. Und es gibt noch einen anderen Aspekt dieser ganzen Situation, den ich Ihnen in Erinnerung rufen möchte.«
Ivybridge umklammerte die Lehne des Sessels. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Miss Connor ist nicht nur eine sehr gute Freundin, ich hoffe sogar, dass sie, wenn die Zeit gekommen ist, einen Heiratsantrag von mir annehmen wird.«
Ivybridge sah ihn mit offenem Mund an. Adam hörte, wie Caroline ein erstauntes kleines Geräusch ausstieß. Es amüsierte ihn, dass außer ihr niemand sonst in dem Raum von seiner Erklärung erstaunt zu sein schien.
Vor Ivybridge blieb er stehen. »Ich bin sicher, Sie können sich vorstellen, wie äußerst verärgert ich sein würde, wenn Miss Connor in Verlegenheit gebracht würde durch irgendwelchen Klatsch über die Ereignisse in Chillingham.«
»Wie können Sie es wagen, mir zu drohen, Sir«, platzte Ivybridge heraus.
»Ich wäre in der Tat so verärgert, dass ich nicht zögern würde, Ihre Investition in einem gewissen Etablissement in der Marbury Street an jeden Reporter der Stadt weiterzugeben.«
Erschrecken lag auf Ivybridges Gesicht. »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie überhaupt reden.«
»Es ist eine Sache, wenn ein Gentleman sich diskrete Unterhaltung in einem Bordell sucht, aber es ist eine ganz andere Sache, wenn er in ein solches Haus investiert, nicht wahr? Stellen Sie sich doch einmal vor, was geschehen wird, wenn Ihre Freunde davon in der Zeitung lesen.«
»Also wirklich, ich weiß gar nicht, was Sie damit sagen wollen, aber ich kann Ihnen versichern, dass Sie so etwas niemals beweisen können.«
Adam breitete beide Hände aus. »Das ist doch das Erstaunliche an einer Sensationsgeschichte in der Zeitung, nicht wahr? Man kann dem Ruf eines Gentleman und seiner Stellung in der Gesellschaft sehr schaden, ohne sich überhaupt die Mühe machen zu müssen, nackte Tatsachen zu nennen oder Beweise zu erbringen.« Er hielt inne. »Aber wenn es Sie beruhigt, dann kann ich Ihnen versichern, dass ich den Reportern genügend Beweise geben kann.«
»Ich habe nicht die Absicht, mich über Miss Connors Vergangenheit auszulassen«, erklärte Ivybridge, der offensichtlich erschüttert war. »Aber was ist mit meiner Frau? Sie wird sie doch sicher wiedererkennen.«
»Ich würde vorschlagen, dass sie das besser nicht tut«, erklärte Adam. »Wenn irgendwelche Gerüchte oder auch nur die Andeutung einer Verbindung von Mrs. Fordyce zu den Ereignissen in Chillingham vor drei Jahren an meine Ohren dringen, dann werde ich annehmen, dass diese von Ihnen kommen, Ivybridge, und ich werde mich entsprechend verhalten.«
»Sie können mir wohl kaum einen Vorwurf machen, wenn jemand anderes Miss Connor erkennt und den Klatsch in Umlauf setzt.«
»Ganz im Gegenteil, ich werde nicht zögern, Sie dafür verantwortlich zu machen. Keinen Augenblick lang. Ich bin sicher, Sie können Ihre Frau davon überzeugen, dass es nicht sehr weise ist, beim Tee diesen Klatsch zu verbreiten.« Adam warf einen Blick auf die große Uhr. »Ich gebe Ihnen fünf Minuten Zeit, Ihre Frau zu suchen und dann das Haus zu verlassen.«
Benommen ging Ivybridge zur Tür, riss sie auf und verschwand dann im Flur.
Ein kurzes Schweigen senkte sich über die kleine Gruppe von Menschen, die in der Bibliothek zurückgeblieben waren.
Milly durchbrach das Schweigen, indem sie ihren Fächer öffnete. Sie lächelte Adam zustimmend an.
»Das war der erfreulichste Anblick, den ich seit Jahren hatte, Sir«, meinte sie. »Danke, dass Sie einen höchst unterhaltsamen Abend mit einem so erfreulichen Ende abgerundet haben.«
Emma machte einen Schritt nach vorn und blieb dann stehen. »Haben Sie wirklich so entsetzliche Informationen, die Ivybridges Investitionen in ein Bordell bestätigen können?«
Wilson antwortete an Adams Stelle. Er lachte leise. »Darauf können Sie sich verlassen, Madam. Adam kennt die Geheimnisse aller in der Gesellschaft.«
»Ich bedaure es wirklich nicht, ihn von unserer Gästeliste gestrichen zu haben«, meinte Robert. Er griff nach Julias Arm und zog sie zur Tür. »Er stand sowieso nur darauf, weil sein Vater und meiner alte Bekannte sind. Aber sie sind beide schon tot. Ich sehe also keine Notwendigkeit, diese Verbindung noch weiter zu pflegen, oder was meinst du, meine Liebe?«
»Uberhaupt nicht«, stimmte ihm Julia zu.
»Komm, wir müssen zurück zu unseren Gästen.« An der Tür blieb Robert noch einmal stehen und strahlte Adam an. »Ach, übrigens, erlaube mir, dir zu deinen Hochzeitsplänen Glück zu wünschen, Hardesty. Es ist auch langsam Zeit, dass du dich endlich entscheidest. Du wirst auch nicht jünger, musst du wissen.«
Adam senkte ein wenig den Kopf. »Danke, dass du mir meine Vorzüge in Erinnerung rufst, Southwood.«
»Gern geschehen. Ich dachte, als dein Schwager hätte ich die Pflicht.« Er schob eine lachende Julia durch die Tür.
»Ich stimme Southwoods Gefühlen bezüglich deiner Hochzeitspläne zu, Adam.« Wilson lächelte Caroline dankbar an. »Eine ausgezeichnete Wahl, möchte ich behaupten. Sie wird sehr gut in die Familie passen.«
Milly wedelte sich glücklich mit dem Fächer Luft zu. »Das ist alles so romantisch.«
Emma zog die Augenbrauen zusammen. »Sind Ihre Absichten meiner Nichte gegenüber auch ernsthaft, Mr. Hardesty?«, fragte sie. »Oder war die Erwähnung des Antrages nur dazu gedacht, Ivybridge einzuschüchtern?«
»Natürlich meint er es ernst.« Wilson griff mit einer Hand nach Emmas Arm, mit der anderen nach dem von Milly und zog die beiden zur Tür. »Adam hat seine Regeln, wenn es um eine Lady geht. Vertrauen Sie mir, er hätte das Thema einer Heirat nicht zur Sprache gebracht, wenn es ihm nicht sehr ernst damit wäre.«
Die drei verschwanden durch die Tür.
Endlich war Adam allein mit Caroline.
»Adam.«
Sie lief zu ihm und warf sich in seine Arme, hielt ihn so fest, dass er hoffte, sie würde ihn nie wieder loslassen. Er legte die Arme um sie und genoss ihre Wärme und das Gefühl, sie so zu halten.
»Ich kann gar nicht glauben, was du und deine Familie gerade für mich getan habt«, flüsterte sie.
Er lächelte und drückte den Mund in ihr Haar. Sie hatte ja überhaupt keine Ahnung, überlegte er. Die milden Drohungen, die Ivybridge dazu gebracht hatten, den Raum zu verlassen, waren ja erst der Anfang. In den nächsten Monaten würde erst die wirkliche Gerechtigkeit einsetzen. Ivybridge würde ganz langsam, aber sicher feststellen, dass er nicht länger auf der Gästeliste einiger der wichtigsten Gastgeberinnen der Gesellschaft stand. Er würde von einigen gewissen privaten Investitionen fern gehalten. In gewissen Clubs wäre er nicht länger willkommen. Am Ende würde er zahlen, und zwar sehr teuer, für all das, was er Caroline angetan hatte. Aber es hatte keinen Zweck, sie mit all den Einzelheiten zu belasten.
»Das war doch nur sehr wenig, wenn man bedenkt, was er dir angetan hat«, antwortete er ihr.
»Ich weiß deine Gefühle zu schätzen.« Sie hob den Kopf und trat dann zögernd einen Schritt zurück. »Doch in deinem Wunsch, Ivybridge zu schaden, hast du, fürchte ich, die Dinge einen Schritt zu weit getrieben.«
»Verdammt. Es ärgert mich jedes Mal so sehr, wenn so etwas passiert.«