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Offensichtlich schenkte er dieser Situation nicht die ernsthafte Aufmerksamkeit, die sie verdiente. Vielleicht hatte er noch nicht an die möglichen Folgen gedacht.
»Das ist gar nicht lustig, Adam«, schalt sie ihn. »Deine Familie weiß, wie sehr du auf deine Regeln achtest.« Er senkte ein wenig den Kopf. »Das stimmt.« »Nach allem, was du Ivybridge gerade gesagt hast, werden sie zweifellos erwarten, dass wir uns verloben. Wirklich, Sir, was hast du dir dabei nur gedacht?«
»Offensichtlich habe ich an Heirat gedacht.« Er ging hinüber zu dem Tisch, auf dem der Brandy stand, und hob die Karaffe hoch. Das Licht brach sich im Kristall der Karaffe, als er sie über ein Glas hielt. »Alle, mit der offensichtlichen Ausnahme von Ivybridge, scheinen zu glauben, dass wir ein wundervolles Paar werden.« Er hielt inne und hielt die glitzernde Karaffe hoch. »Möchtest du auch einen Brandy?«
»Nein, danke. Einer von uns muss noch einen klaren Kopf behalten.«
»Besser du als ich.« Er nahm einen großen Schluck von dem Brandy.
Sie wirbelte herum und lief dann unruhig in dem großen Zimmer auf und ab, dabei versuchte sie, ihre chaotischen Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen.
»Bitte, du darfst mich nicht missverstehen«, begann sie. »Ich stehe tief in deiner Schuld, wegen der Art und Weise, wie du mit Ivybridge umgegangen bist. In der Tat weiß ich nicht, wie ich das je wieder gutmachen soll.«
Zum ersten Mal, seit Ivybridge die Bibliothek verlassen hatte, schien Adam ungehalten. »Es besteht überhaupt kein Grund, das wieder gutmachen zu wollen«, meinte er, und seine Stimme klang eisig. »Du schuldest mir gar nichts. Ich bin derjenige, der in deiner Schuld steht, weil du mir ein Alibi gegeben hast, für den Zeitpunkt des Mordes an Irene Toller.«
»Unsinn. Ich habe lediglich die Wahrheit gesagt.«
Er zuckte mit den Schultern. »Genau das Gleiche habe ich jetzt auch getan.«
»Aber du hast Ivybridge gegenüber behauptet, dass du vorhast, mir einen Heiratsantrag zu machen.«
»Ja, das habe ich getan, nicht wahr?«
Sie seufzte. »Ich weiß, dass all das Teil deines brillanten Plans war, ihn einzuschüchtern. Und ich bezweifle auch nicht, dass er es sich sehr gut überlegen wird, ehe er irgendein Gerücht verbreitet über die zukünftige Braut des geheimnisvollen Mr. Hardesty. Aber so weit brauchtest du gar nicht zu gehen. Das begreifst du doch sicher. Er hat doch bereits schon vor Angst gezittert, nachdem du seine Verbindung mit dem Bordell erwähnt hast.«
Adam nahm noch einen Schluck von seinem Brandy, er sah sehr nachdenklich aus. »Danke. Die Erwähnung seiner Verbindung zu diesem Bordell war wirklich sehr wirkungsvoll, findest du nicht auch?«
»Das war eine sehr kluge Strategie.« Am anderen Ende des Zimmers blieb sie stehen und gestikulierte heftig mit ihrem Fächer. »Aber alles, was du tust, ist sehr wirkungsvoll und sorgfältig geplant. Also, warum um alles auf der Welt hast du es für nötig gehalten, ihm zu erklären, dass du die Absicht hättest, mir einen Heiratsantrag zu machen?«
Er setzte sich auf die Kante des Schreibtisches und nahm noch einen Schluck von seinem Brandy, während er über diese Frage nachdachte.
»Sehr wahrscheinlich war der Grund dafür der, dass ich genau das vorhatte«, meinte er schließlich.
Sie hatte das Gefühl, sie sei zu einer Salzsäule erstarrt. Sie hätte sich nicht bewegen können, selbst wenn jemand »Feuer« gerufen hätte.
»Das verstehe ich nicht«, erklärte sie schließlich, und ihr war ein wenig schwindlig. »Ich dachte, unsere Affäre sei ganz in Ordnung.«
»Ich fürchte, das ist lediglich deine Meinung.«
Ihr Herz sank. »Oh, ich verstehe. Ich wusste gar nicht, dass du nicht… ich will sagen, ich … Nun ja, ich nehme an, mein Mangel an Erfahrung war für dich wohl eine Enttäuschung. Aber ich versichere dir, ich lerne sehr schnell.«
Er warf ihr einen rätselhaften Blick zu. »Sage mir die Wahrheit, Caroline. Benutzt du mich lediglich als deine Muse?«
Sie war entsetzt. »Nein, natürlich nicht.«
»Bist du auch ganz sicher?«
»Vollkommen sicher.«
»Dann bin ich also nicht nur ein Spielzeug für dich?«
Sie fühlte, wie eine heiße Röte in ihre Wangen stieg. Wahrscheinlich war ihr Gesicht jetzt genauso rot wie ihr Kleid. »Wie kannst du nur so etwas glauben?«
»Wenn ich also für dich mehr bin als nur ein Spielzeug oder eine nützliche Muse, warum zögerst du dann, von einer Heirat zu sprechen?«
Weil du nicht in der Lage zu sein scheinst, mir zu erklären, dass du mich verrückt, wild, leidenschaftlich liebst, dachte sie. Doch das konnte sie wohl kaum laut aussprechen.
»Nun ja …« Sie hielt inne und versuchte, einen Grund zu finden, der seiner Logik angemessen war. »Die Zeit hat damit sehr viel zu tun, Sir. Ich bin sicher, du stimmst mir zu, dass es noch viel zu früh ist, um über dieses Thema zu reden. Immerhin kennen wir uns doch erst wenige Tage.«
»Aber wie es scheint, passen wir sehr gut zusammen. Alle anderen scheinen das zu glauben.«
Wir passen gut zusammen. Das war wohl kaum eine Erklärung unsterblicher Liebe.
Sie räusperte sich und riss sich zusammen. »Wie gut passen wir denn zusammen?«
Er lächelte sie lässig und sinnlich an. »Du kennst meine Geheimnisse, und ich kenne die deinen.«
Das ließ sie einen Augenblick innehalten, dennoch gelang es ihr, einen Rest von Logik zu bewahren.
»Nun ja, das mag ja stimmen«, gab sie zu. »Aber glaubst du wirklich, dass das ein ausreichender Grund für eine Heirat ist?«
»In diesem ganz besonderen Fall schon, wenigstens sehe ich das so.« Er stellte sein Glas ab und stand von dem Schreibtisch auf. »Aber ich versichere dir, es gibt auch andere Dinge, in denen wir sehr gut zueinander passen.«
Ihr Kopf schien plötzlich ganz leer zu sein. »Und das wäre?«
Er kam auf sie zu, gefährlich sah er aus mit seinem blauen Auge und dem grimmigen Gesichtsausdruck.
»Auf diese Art, zum Beispiel«, flüsterte er.
Er legte seine starken Hände sehr vorsichtig um ihren Hals und hob ihren Kopf, um sie zu küssen.
Ein Schauer der Erregung rann durch ihren Körper. Das war zweifellos der Weg ins Unglück, rief sie sich ins Gedächtnis. Wenn sie auch nur einen Funken Verstand behalten wollte, würde sie sich von ihm abwenden müssen, jetzt sofort, in dieser Minute, ehe seine Lippen die ihren berührten.
Aber sie schien sich nicht bewegen zu können. Und dann war es auch schon zu spät, denn er küsste sie, so sanft und sinnlich, dass sie zu vergehen schien, und ihr Herz in Flammen stand.
Sie wollte gar nicht mehr an seinen Heiratsantrag denken, der so geschäftsmäßig geklungen hatte. Stattdessen wollte sie sich nur darauf konzentrieren, was sie fühlte, wenn sie in seinen Armen lag.
Seine Zunge strich über ihre Mundwinkel und schob sich dann vorsichtig zwischen ihre Lippen. Sie lehnte sich schwer an ihn und schlang die Arme um seinen Hals. Das erregende Feuer und die Kraft seines Körpers hüllten sie ein.
Sein Kuss wurde leidenschaftlicher und eindringlicher, bis sie sich hilflos an ihn klammerte.
Das Wissen, dass er sich so sehr nach ihr sehnte, gab ihr Mut und Hoffnung. Sie verstand seine Vorsicht. Er hatte auf der Straße überleben müssen und dann in einer glitzernden, übernatürlichen Welt, in der die Liebe höchstens mit belustigter Verachtung betrachtet wurde. Er hatte seine Lektionen gelernt und seine eigenen Regeln aufgestellt. Es war nur natürlich, dass er sehr vorsichtig war.
Ich gehe ein großes Risiko ein, dachte sie. Aber Adam war dieses Risiko wert.
Es klopfte leise an der Tür.
Adam hob den Kopf und runzelte ein wenig die Stirn. »Das muss Morton sein, und das bedeutet, dass es einen wichtigen Grund gibt, warum er klopft. Entschuldige mich bitte, meine Liebe.«
Er ging zur Tür und öffnete sie. Caroline entdeckte den Butler im Flur. Morton gab sich alle Mühe, nicht zu ihr hinzusehen. Sie hörte, wie er leise und ernst mit Adam sprach. Adam antwortete in knappen Worten.
Als er sich dann wieder zu ihr umwandte und die Tür schloss, wusste sie sofort, dass etwas geschehen war. Der sinnliche Ausdruck war aus seinem Gesicht verschwunden, jetzt lag die Konzentration des Jägers in seinem Blick.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Morton hat mir eine Nachricht von einer alten Freundin gebracht, von Florence Stotley. Ihr verdanke ich es, dass ich jetzt die Adresse von Irene Tollers Haushälterin bekommen habe, von Bess Whaley. Ich muss sofort zu ihr.«
»Du willst Bess noch heute Abend aufsuchen?«
»Ja.« Er zog seine Jacke aus. »Ich möchte nicht noch einmal das Risiko eingehen, sie aus den Augen zu verlieren.
Morton bringt mir eine andere Jacke und auch meine Stiefel.«
»Ich denke, ich sollte mit dir gehen, um mit ihr zu reden.«
»Das ist nicht nötig. Die Adresse, die ich bekommen habe, liegt nicht gerade im besten Teil der Stadt.«
»Bess hat offensichtlich einen Grund, sich zu verstecken. Wahrscheinlich wird sie in Panik geraten, wenn du zu dieser Zeit vor ihrer Tür erscheinst. Vielleicht wird meine Anwesenheit sie beruhigen.«
Er zögerte kurz, doch dann nickte er. »Also gut. Ich werde dir deinen Umhang holen lassen.«