Südkontinent

17. Planetenumlauf

Trotz der Strapazen des vorangegangenen Tages erwachte Piemur im Morgengrauen und stöhnte, als er merkte, wie früh es noch war. Seine Rückenmuskeln verkrampften sich, und alle Versuche, sie zu lockern, brachten ihm nur noch deutlicher zu Bewußtsein, wie steif er war. Langsam stützte er sich auf einen Ellbogen, streckte sich vorsichtig und zuckte zusammen.

»Puh!« Der Ausruf entfuhr ihm, als er probeweise die beiden Beulen auf seinem Kopf betastete. Der Verband hatte sich in der Nacht gelöst.

»Piemur!« Jancis' weiche Stimme ließ ihn herumfahren, und auch das war nicht ratsam gewesen. Sie war bereits angekleidet und trug in einer Hand einen Becher Klah und in der anderen einen Binsenkorb mit Verbandmaterial und zwei Salbentiegeln.

»Steif, was?«

Sie lächelte ihn in zärtlichem Stolz an.

»Darauf kannst du wetten.«

»Hier.« Sie reichte ihm den Klah. »Damit du ein bißchen wacher wirst. Die Heilerin Jancis empfiehlt dem Harfner Piemur ein kurzes Bad im Meer, dann wird sie sich um seine ehrenvollen Verletzungen kümmern.

Kopfschmerzen?«

Piemur schnitt eine Grimasse. »Eine leichte Verbesserung gegenüber gestern.« Dankbar schlürfte er den Klah.

»Wie kannst du so unmenschlich früh schon so munter sein?«

Jancis grinste spitzbübisch. »Ach, ich habe schon geschlafen, aber die Aufregung hat mich geweckt.«

»Aufregung? Wegen gestern?« Nach dem Kampf mit Thellas Männern war Piemur und Jancis obendrein noch die Gunst - und der Nervenkitzel - eines Ritts auf Ramoth und Mnementh zum Landsitz an der Meeresbucht zuteil geworden, wo F'lar und Lessa eine Pause eingelegt hatten, um sich mit Meister Robinton zu beraten.

»Nein, wegen heute!«

Ihre Selbstzufriedenheit war unerträglich. »Aber ich möchte erst sicher sein, daß dein Harfnerverstand wieder voll funktioniert. Trink den Klah aus, geh schwimmen, laß dich von mir zusammenflicken, und dann werde ich dir alles erzählen.«

Sie zog ihn hoch und schickte sich an, ihn aus dem kleinen Schlafraum zu zerren.

»Du hast im Lagerhaus etwas gefunden?«

»Erst gehst du schwimmen!«

Jancis war unerbittlich, und trotz seiner Verärgerung mußte Piemur später zugeben, daß das Schwimmen seine Schmerzen linderte, auch wenn das Salzwasser in den offenen Wunden brannte. Nachdem Jancis überall Heilsalbe aufgetragen hatte, wo es nötig war, fühlte er sich viel besser. Bei aller Freude, daß sie bei dem Scharmützel tags zuvor unversehrt geblieben war, grämte er sich doch, weil er selbst so viel abbekommen hatte.

Er war bei dem Überfall auf Thellas Bande immer an ihrer Seite geblieben, hatte gejubelt, als ihr Speer ins Ziel traf, und hatte mit großer Erleichterung Alemi an der Spitze der Verstärkungstruppen auf die Baumgruppe zumarschieren sehen.

Erst als sie ihn zum Essen nötigte, merkte Piemur, wie hungrig er war, und sie griffen beide herzhaft zu.

Dann räumte Jancis den Tisch ab, und erst danach entrollte sie mit triumphierendem Lächeln vorsichtig ein transparentes Blatt aus dem eigentümlichen alten Material. Sie beschwerte die Ecken mit Messern und Gabeln und wartete, bis er es sich angesehen hatte.

»Ver… wal… tung An… bau«, las er langsam Silbe für Silbe die Überschrift. »Für Akki. Akki?« Er sah fragend zu Jancis auf.

»Ich weiß auch nicht, was ein Akki ist, aber es muß etwas Wichtiges sein. Siehst du? Sie haben sich viel Mühe gegeben, das Gebäude zu verstärken.«

»Ker… a… mikkacheln« - nun, was >Kacheln< sind, wissen wir. Hitzebeständig, auch das ist klar. Was die Ziffern bedeuten, verstehe ich nicht, aber >Toleranzwert< deutet darauf hin, daß es ihnen ungemein wichtig war, dieses Akki zu schützen.«

Jancis war ganz aufgeregt.

»Verwaltung Anbau? Den haben wir noch nicht freigelegt, oder? Liegt ganz oben, am Rand des Lavastroms. Und was sind Son… nen… kol… lek … toren?« fragte er und tippte auf die langen Streifen, die offenbar auf dem Dach des Akki-Anbaus angebracht waren.

»Die Sonne kennst du ja wohl. Was Kollektoren sind, weiß ich auch nicht.«

»Sonnenkollektoren? Wozu sollen die gut sein?«

»Das weiß ich nicht, aber ich würde es gerne herausfinden.« Jancis' Augen funkelten.

»Du hast dich gestern sehr tapfer geschlagen, warst immer mitten im Getümmel«, bemerkte er unzusammenhängend, nur, weil sie im Moment so hübsch aussah.

Sie errötete.

»Und wenn du nicht gleich zu Anfang die Hunde freigelassen und damit verhindert hättest, daß Thella die Kinder und Ara in die Hand bekam…«

»Nun, sie hat sie nicht bekommen, und das war gestern. Heute ist ein neuer Tag, und ich glaube, wir haben einen sehr wichtigen Anhaltspunkt gefunden. Kein anderes Gebäude auf dem Plateau wurde besonders gegen Lava geschützt. Was sie nicht mitnehmen konnten, haben sie verglühen lassen.«

»Wir werden warten müssen, bis Meister Robinton aufwacht.

Nach allem, was gestern passiert ist, kann ich V'line wohl nicht mehr dazu beschwatzen, uns ohne Genehmigung des Harfners irgendwo hinzubringen.«

»Und wozu wird diese Genehmigung gebraucht?«

Der Harfner betrat gähnend die Küche.

Meister Robinton wandte sich noch am gleichen Vormittag persönlich an T'gellan, worauf dieser einen der grünen Jungreiter schickte. Der junge Mann hatte strenge Anweisungen erhalten und erklärte dem Meisterharfner respektvoll, er dürfe nur zum Plateau fliegen und müsse danach unverzüglich in den Ost-Weyr zurückkehren.

»Lessa hatte es sehr eilig, auf die Weyr einzuwirken, damit sie sich von unseren Problemen distanzieren«, bemerkte der Harfner eher belustigt als gekränkt.

»Aber geht nur, ihr beiden. Ein Grüner ist nicht nur unter meiner Würde, ich muß auch für Sebell einen Bericht über diese Angelegenheit verfassen. Der gestrige Tag mag den Baronen einen Dorn aus dem Fleisch gezogen haben, aber« - er seufzte tief - »eben nur einen, und an mir bleibt es wieder einmal hängen, den unvermeidlichen Aufruhr zu besänftigen. Ich bin nur froh, daß Jayge bereits vorher als Grundbesitzer bestätigt wurde. Vermutlich finden weder Larad noch Asgenar, daß der Junge seine Kompetenzen überschritten habe, aber seine Würde ist doch noch recht neu. So mancher könnte der Ansicht sein, er hätte Thella nicht töten dürfen. Das Geschlecht von Telgar ist uralt und im allgemeinen sehr ehrenwert.«

Piemur und Jancis waren froh über Robintons Erlaubnis, denn Jancis hatte den Gesellen mit ihrer Neugier angesteckt. Als Piemur den weißen Drachen heranfliegen sah, hatten sie gerade ihre Werkzeuge am Hügel zusammengetragen. Es war so viel passiert, daß ihm erst in diesem Moment sein Angebot an Jaxom wieder einfiel. Nun winkte er mit beiden Armen, um die Aufmerksamkeit des Barons von Ruatha auf sich zu ziehen, und schickte obendrein Farli mit der gleichen Botschaft zu Ruth. Jaxom und Ruth landeten auf dem Weg vor dem Anbau, so daß sich Jaxom mit den beiden auf der Hügelkuppe auf gleicher Höhe befand.

»Was hast du denn angestellt?« fragte Jaxom besorgt, als er Piemurs zerschlagenes Gesicht sah. »Bist du in eine von den Höhlen gefallen?«

»So ungefähr«, sagte Piemur verlegen. »Baron Jaxom von Ruatha, dies ist die Schmiedegesellin Jancis, eine Enkelin von Meister Fandarel.«

»Kenne ich Sie nicht aus der Schmiedehalle von Telgar?«

Jaxom lächelte verbindlich, als Jancis ihn mit unverhohlener Neugier betrachtete.

»Ja«, antwortete sie schlagfertig. »Ich habe Ihnen immer Brot und Klah serviert, wenn Sie zum Unterricht bei Wansor in die Schmiedehalle kamen.«

»So alt bist du doch noch gar nicht«, protestierte Piemur, und Jancis sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an.

»Was wollt ihr denn mit diesem Gebäude?« fragte Jaxom. »Ich hatte mich auf einen Streifzug durch endlose Höhlen mit faszinierenden Schätzen gefreut.«

»Möglicherweise sind wir etwas viel Aufregenderem auf der Spur, Jaxom.« Piemur setzte den Sondierstab an der Kante eines langen, schmalen Streifens neben sich an und hämmerte ihn vorsichtig ins Erdreich. »Wir gehen einer Ahnung von Jancis nach.«

»Solche Ahnungen habe ich auch gelegentlich«, grinste Jaxom wehmütig. »Geht es um dieses Gebäude?«

»Ich… wir…«, stammelte Jancis, dann stockte sie und sah Piemur hilfeflehend an.

»Jancis hat eine alte Zeichnung gefunden«, nahm der Harfner geschickt den Faden auf und rettete sie damit vor einer möglichen Indiskretion. Jaxom würde noch früh genug von Thellas Überfall erfahren.

»Die brachte uns auf die Idee, daß es sich hier um eine wichtige Stätte handeln könnte. Und deshalb wollten wir uns den Hügel genauer ansehen. Die Ahnung stammt von ihr.

Auf dem Gesamtplan, den der Harfner und ich gefunden haben, ist das dort« - er zeigte auf den quer zu ihnen liegenden Hügel - »als VERWALT. eingetragen und der Abschnitt, auf dem wir jetzt stehen, als >AKKI< Unsere Vorfahren haben sich große Mühe gegeben, dieses Akki durch eine hitzebeständige Verkleidung vor dem Lavastrom zu schützen, und deshalb wollen wir es untersuchen.«

»Jetzt hast du mich neugierig gemacht.« Jaxom schwang sich schnell vom Rücken des weißen Drachens und stieg auf die Kuppe »Ich helfe euch.«

»Großartig!« Piemur schlug noch einmal auf die Stange, und plötzlich traf die Spitze mit hörbarem Klicken auf Widerstand.

»Das ist merkwürdig. Dieses Klicken, meine ich.«

»Gewöhnlich klingt es dumpf.«

Auch Jaxom hatte Erfahrungen gesammelt.

Jancis zog die Zeichnung zu Rate, die sie sorgfältig auf einem Schreibbrett befestigt hatte. »Diese ungewöhnlich langen Ausbuchtungen werden als Sonnenkollektoren bezeichnet«, sagte sie und zeigte Jaxom den Plan. »So etwas findet sich bei keinem der anderen Gebäude.« Sie deutete mit einer weit ausholenden Armbewegung auf die umliegenden Hügel. Plötzlich grinste sie so ansteckend, daß Jaxom unwillkürlich zurücklächelte. »Glauben Sie, meine Ahnung hat Chancen?«

»Hört sich jedenfalls gut an. Haben Sie noch einen Spaten?«

Sie hatte einen, und alle drei machten sich daran, von einem der sechs langen Sonnenkollektoren vorsichtig die Erdschicht abzutragen.

»Farli!«

Piemur winkte der kleinen Königin, sie solle mithelfen. Alle waren ein wenig überrascht, als Ruth eine Vorderpfote ausstreckte und ebenfalls Unterstützung anbot.

»Jetzt noch nicht, Ruth.«

Jaxom drohte seinem neugierigen Freund mit dem Finger.

»Aber später brauchen wir dich wahrscheinlich.«

»Langsam, Farli!« warnte Piemur, als die Feuerechse mit dem grenzenlosen und oft blinden Eifer ihrer Gattung zu scharren begann.

Farli zirpte fragend.

»Ja, genau da«, bestätigte Jancis geistesabwesend. »Und sei bitte vorsichtig.« Jaxom zwinkerte Piemur zu, und der platzte fast vor Stolz, weil Jancis sich so mühelos mit seiner kleinen Königin verständigen konnte.

Farli mäßigte gehorsam ihr Tempo und grub langsam Klaue über Klaue weiter. Endlich hielt sie inne und schnatterte erfreut, als unter ihren Krallen eine mattschwarze Fläche erschien.

»Vorsichtig…« Jancis schob mit den Händen die restliche Asche beiseite, und ein handgroßes Quadrat wurde sichtbar. Farli strich mit klickenden Krallen darüber. »Ich weiß nicht, was das ist. Jedenfalls ein anderes Material, als sie sonst verwendet haben. Sieht eher aus wie dickes undurchsichtiges Glas.« Sie klopfte probeweise dagegen. »Klingt aber nicht wie Glas.«

»Legen wir das Stück doch vollständig frei«, schlug Jaxom vor.

Doch als die ganze Tafel offen vor ihnen lag, waren sie nicht klüger geworden. Also befreiten sie auch die anderen fünf Tafeln auf der südlichen Dachseite von der Erde, und schließlich, mit Ruths Hilfe, den Rest des Dachs, der vollständig mit handgroßen quadratischen Platten verkleidet war. Ein Stück löste sich und rutschte zu Boden, wurde aber zum Glück nicht beschädigt.

»Schau nur, diese Kacheln bedecken das ursprüngliche Dach. Sind mit Mörtel aufgeklebt.«

Mit einem scharfen Schneidewerkzeug kratzte Jancis die Oberfläche einer Platte an. »Könnte Keramik sein, aber dann die härteste, die ich jemals gesehen habe. Wie haben sie nur eine solche Festigkeit erreicht?« wunderte sie sich.

»Könnte das vielleicht auch Keramik sein?« fragte Jaxom und klopfte auf eine der langen Tafeln.

Piemur lag auf dem Bauch und tastete mit dem Finger um das Rechteck herum. »Nicht auszuschließen. Die Dinger hier sind nämlich irgendwie am ursprünglichen Dach befestigt, vielleicht reicht die Halterung auch bis nach innen. Alle Kacheln sind so geformt, daß sie lückenlos um die Tafeln herum und auf das Dach passen. Sehr merkwürdig. Warum hat man die Tafeln nicht auch gegen Hitze geschützt? Ich verstehe das nicht.

Meinst du, dein Großvater sollte es sich einmal ansehen?«

»Zuerst müssen wir es wohl Meister Esselin zeigen«, sagte sie nicht allzu begeistert. »Er ist schließlich der Verantwortliche.«

»Nur für die Ausgrabungen.« Jaxom winkte Ruth zu sich heran. »Die neuen Materialien untersucht Fandarel.« Grinsend schwang er sich auf Ruths Rücken. »Er ist sicher bei den Höhlen, die ich eigentlich besichtigen wollte.«

»Sieh dich wenigstens auf dem Flug ein bißchen um!« rief ihm Piemur nach, als Ruth sich in die Lüfte erhob.

»Du und Baron Jaxom, ihr seid wohl alte Freunde«, bemerkte Jancis beiläufig während sie nach ihrem Notizblock und dem durchsichtigen Meßstab griff. Als sie seinen Blick bemerkte, errötete sie. »Immerhin haben wir mehrere Kisten davon gefunden.«

»Werkzeuge sind zum Gebrauch bestimmt«, antwortete er großmütig. »Es gibt Dinge, die sollte man lassen, wie sie sind, und andere sollte man benützen, weil sie effektiver sind als alles, was wir haben.« Er grinste über ihre Verlegenheit, und sie beschäftigte sich angelegentlich mit ihren Messungen.

Nur wenige Minuten später kehrte Ruth mit Jaxom und dem Meisterschmied zurück. Der massige Fandarel ließ sogar den hochgewachsenen Ruathaner wie einen Zwerg erscheinen und war auf dem kleinen weißen Drachen jedenfalls nicht zu übersehen. Mit einer Gelenkigkeit, die man einem Mann seiner Größe gar nicht zugetraut hätte, legte er sich neben einen der Sonnenkollektoren, untersuchte ihn eingehend und fuhr mit den Fingern prüfend über die rätselhafte neue Oberfläche.

»Die Kacheln sind mir bekannt«, sagte er, registrierte grimmig eine weitere lockere Platte und rieb mit dem Daumen darüber. »Die hier sollte auch nicht flach liegen. Seht ihr, sie ist leicht gewölbt. Vielleicht war sie in diesen Mörtel eingebettet…« Er zerrieb ein wenig Staub von der Stelle, wo das Stück gelegen hatte, zwischen den Fingern. »Aber ursprünglich hatte sie einen anderen Zweck.«

Plötzlich stieß Jaxom einen Triumphschrei aus. »Das sieht aus wie die Verkleidung der Flugschiffe auf der Wiese!«

»Wozu sollte man ein Gebäude so verschalen…«, begann Piemur.

»Hitzebeständigkeit. Bei Hitze oder Reibung…«, sagte Jancis im gleichen Moment.

Beide verstummten und sahen verwundert zu, wie sich der Schmied gefährlich weit nach unten beugte, um die freiliegende Ecke des Dachs und der Mauer zu untersuchen. Er knurrte und winkte ungeduldig mit einer Hand. Jancis reichte ihm den Spaten, er griff danach und begann, das Erdreich um die Ecke wegzuschlagen, während er leise vor sich hinmurmelte. Es klang ratlos und gleichzeitig zufrieden.

»Jaxom, wäre Ruth wohl so freundlich, diese Ecke für mich auszugraben?«

Das war bald geschehen, obwohl Ruth dabei noch ein paar Kacheln ablöste und sich durch Jaxom dafür entschuldigen ließ.

»Sagen Sie ihm, er soll sich deshalb keine Sorgen machen«, antwortete der Meisterschmied. »Der Mörtel, der sie festhielt, hat seinen Dienst getan. Deine Theorie hat sich bestätigt, Jancis. Die Kacheln wurden angebracht, um den Inhalt dieses seltsamen Gebäudes gegen die Hitze der Lava zu schützen. Was enthält es denn nun?«

»Ein Akki«, sagte Jancis, räusperte sich mit Nachdruck und reichte ihrem Großvater die Zeichnung. Piemur bemerkte, daß sie sehr kleinlaut geworden war und sich so zurückhaltend gab wie eine richtige junge Dame.

»Und was, Meister Fandarel, ist ein >Akki<?« fragte Jaxom geduldig.

»Das weiß ich nicht«, gab der Schmied zurück. »Das müssen wir alle erst herausfinden.«

»Die Idee stammt von Jancis«, sagte Piemur, der nicht wollte, daß sie ihr Licht unter den Scheffel stellte.

»Braves Mädchen. Weiß Augen und Verstand zu gebrauchen«, lobte der Schmied und wunderte sich über Piemurs begeisterte Zustimmung.

Dann sprang Fandarel vom Dach und trommelte eine ganze Grabungsmannschaft zusammen, die er kurzerhand von anderen Projekten abzog. Als Meister Esselin und Breide eine Erklärung verlangten, hörte er gar nicht hin, sondern empfahl ihnen zerstreut, sich doch mit Dingen zu beschäftigen, auf die sie sich verstünden. Bis zum Abend war der Anbau völlig freigeschaufelt, und es zeigte sich, daß er im Gegensatz zu allen anderen alten Gebäuden weder Fenster noch Türen hatte, und daß die ursprünglichen Wände doppelt so stark waren wie üblich. Schließlich entdeckte man Lüftungsschlitze unter den Dachrinnen, aber sie gestatteten keinen Blick ins Innere. Bei Sonnenuntergang ließ der Schmied die Arbeiten einstellen, erklärte, dieses Projekt genieße nun Vorrang vor allen anderen, und verlangte von Meister Esselin, er solle so bald wie möglich nach Tagesanbruch eine ausreichende Zahl von Arbeitern bereitstellen, um den Zugang zum VERWALTUNG-Gebäude und zu dem rätselhaften Akki zu eröffnen.

»Hört zu, ich muß nach Ruatha zurück«, sagte Jaxom, nachdem der Schmied seine Anweisungen erteilt hatte. »Sharra wird ohnehin empört sein, weil sie gerade jetzt nicht mitkommen kann. Sie ist nämlich wieder schwanger.«

Sein Grinsen verriet verschämten Stolz.

Piemur entdeckte, daß er zum ersten Mal nicht neidisch war auf Jaxoms und Sharras Glück. »Wie ärgerlich«, grinste er zurück. »Könnte Ruth Jancis und mich vielleicht am Landsitz an der Meeresbucht absetzen?

Meister Robinton wünscht sicher einen ausführlichen Bericht über diesen Fund.«

Ruth war sofort einverstanden.

***

»Schon wieder ein Wunder?« fragte Meister Robinton.

Sein Arbeitstisch quoll über von Fundstücken aus den Höhlen. »Wir werden bis zum Ende dieser Phase brauchen, um nur das zu archivieren, was uns bis jetzt vorliegt.« Fast gereizt fuhr er mit der Hand durch das Chaos. »Lauter Sachen! Unsere Vorfahren hatten so viele Sachen!«

Piemur lachte in sich hinein, als er automatisch das leere Weinglas des Meisters nachfüllte.

»Ein Gebäude ist keine Sache, Meister Robinton.

D'ram, haben Sie oder Baron Lytol irgendwo einen Hinweis auf das >Akki< entdeckt?« fragte er dann.

»Auf dem Evakuierungsplan war es nicht verzeichnet«, antwortete Lytol und beugte sich vor, um die betreffenden Notizen zu suchen.

»Vielleicht konnte man ein Akki nicht evakuieren«, überlegte Jaxom. »Sie haben auch einige schwere Geräte zurückgelassen. Allerdings kann man nicht mehr erkennen, wozu sie dienten, sie sind völlig ausgeglüht.

Aber hierfür hat man einen besonderen Raum gebaut, ohne Türen und Fenster, nur mit Lüftungsgittern und mit ungewöhnlich dicken Mauern. Wir werden durch das VERWALTUNG-Gebäude gehen müssen.«

»Falls das möglich ist,« meinte Piemur skeptisch.

»Sie haben ihren stabilsten Baustoff in doppelter Stärke verwendet«, bemerkte Jancis nachdenklich. »Bisher konnte Großvater noch keine Möglichkeit finden, die Mauer zu durchstoßen, nicht einmal mit den Bohrwerkzeugen der Vorfahren.«

»Akki, Akki, Akki«, überlegte Meister Robinton.

»Das klingt irgendwie nicht wie ein richtiges Wort. Ein Akki, der, die, das Akki, viele Akkis!« Entmutigt winkte er ab. »Du bleibst doch über Nacht, Jancis? Wir haben im Moment eine Köchin, die phantastische Fischgerichte zaubert.«

Jancis erwiderte sein strahlendes Lächeln.

»Dann kommen wir alle miteinander früh genug auf das Plateau, um einer neuen Erleuchtung teilhaftig zu werden.«

Nach dem Essen wollte Piemur nach Dummkopf sehen und forderte Jancis zum Mitkommen auf.

»Wie kann man einem Lebewesen nur einen solchen Namen geben?« schalt sie, als er ihr mit hoch erhobenem Leuchtkorb zu der eingezäunten Lichtung voranging, wo der kleine Renner untergebracht war.

»Nur ein alter Witz«, verteidigte Piemur sich schwach, aber als Dummkopf wieherte, sobald er seinen Namen hörte, sofort an den Zaun getrabt kam, den Kopf reckte und seinen Herrn beschnupperte, war sogar Jancis beeindruckt. »Dich stört das nicht, was, Dummkopf? Du würdest doch gar nicht kommen, wenn ich dich anders riefe?«

Dummkopf wackelte mit den Ohren und wieherte wieder, als Farli erschien und sich wie gewöhnlich auf der Kruppe des kleinen Renners niederließ. Er schlug mit dem Schweif, und sie zeterte.

»Sie mögen sich wirklich!« rief Jancis aus. »Ich hätte nie gedacht, daß Renner sich mit Feuerechsen oder Drachen anfreunden.«

Piemur lachte, lehnte sich gegen die oberste Zaunstange und streichelte Dummkopfs weiche Nüstern.

Jancis wirkte fast geheimnisvoll im weißen Licht des Mondes Belior, das die Linien ihres Gesichts veränderte.

»Nun, ich kann nicht leugnen, daß Dummkopf vor jedem Drachen scheut, sogar vor Ruth. Bisher hat dich allerdings noch keiner gefressen, was, mein Freund?« neckte er. »Aber er, ich und Farli arbeiten recht gut zusammen.«

»Man sagt«, Jancis kraulte genau die richtige Stelle an Dummkopf Hals, was ihn veranlaßte, sich gegen ihre Finger zu lehnen, den Kopf schief zu legen und die Augen halb zu schließen, »du hättest mit Dummkopf und Farli die ganze Küste des Südkontinents abgewandert.«

»Nur von der Burg des Südens bis zum Landsitz an der Meeresbucht. Den Rest hat man mir erlassen.«

»Selbst dazu braucht man viel Mut.«

»Mut?« Piemur schnaubte verächtlich. »Mit Mut hatte das wenig zu tun. Ich bin von Natur aus neugierig.

Und«, fügte er in einem Anfall von Offenheit hinzu, »auf diese Weise konnte ich es vermeiden, von Toric der Burg verwiesen zu werden.«

»Warum hätte Baron Toric das tun sollen?«

»Er konnte sich nicht dafür erwärmen, mich in seine Familie aufzunehmen.« Piemur war näher an sie herangerückt, obwohl er immer noch scheinbar träge an der Stange lehnte.

»Du? Und Sharra?«

Piemur grinste. »Für Jaxom konnte er sich übrigens auch nicht erwärmen, aber er ließ sich schließlich überzeugen.« Endlich konnte Piemur sich über die Komik dieser Konfrontation so richtig amüsieren. »Er hatte etwas dagegen, daß seine Schwester den Herrn einer tischtuchgroßen Burg heiratete.«

»Was?« Jancis war gebührend empört, sie hörte auf, Dummkopfs Hals zu kraulen und wandte sich Piemur zu. »Ruatha ist eines der ältesten Geschlechter auf Pern. Jede Familie mit heiratsfähigen Töchtern hat gehofft, Baron Jaxom einfangen zu können.«

»Toric hatte mit Sharra größere Pläne.« Piemur schob sich noch ein wenig näher heran, als Dummkopf den Kopf zurückwarf, um nach einem Nachtfalter zu schnappen.

»Wie konnte er nur? Jaxom ist der einzige junge Baron. Und man sagt, die beiden lieben sich sehr. Sie hat ihn hier auf dem Landsitz an der Meeresbucht gepflegt, als er die Feuerkrankheit hatte.«

»Ich weiß«, murmelte Piemur. Lächelnd legte er seine Hände zu beiden Seiten von Jancis auf die Stange. Sie bemerkte das Manöver, und er grinste auf sie hinab und wartete auf ihre Reaktion. »Und was sagt man über den Gesellen Piemur?«

Sie sah ihn herausfordernd an, das Grübchen in ihrer Wange erschien als dunkler Fleck auf ihrem mondbeschienenen Gesicht. »Nur das, was man über alle Harfnergesellen sagt. Daß man ihnen nicht über den Weg trauen kann.«

Langsam, damit sie ihm ausweichen konnte, falls sie das wirklich wollte, was er freilich nicht hoffte, senkte er den Kopf, hob die Arme und zog sie an sich. »Schon gar nicht in mondhellen Nächten wie dieser, was?«

Ganz sanft berührte er ihre Lippen mit den seinen und merkte, daß sie lächelte, daß sie nicht die Absicht hatte, sich ihm im letzten Moment zu entziehen. Plötzlich wurde sie heftig gegen ihn gestoßen. Er hielt sie fest, damit sie nicht stürzte, und sie legte haltsuchend die Arme um ihn. »Danke, Dummkopf, ich glaube, das genügt.« Die stürmische Unterstützung seines Renners hatte Piemurs Hemmungen hinweggefegt.

Beim Frühstück am nächsten Morgen, von Meister Robinton bei Tagesanbruch angesetzt, hatten Piemur und Jancis nur Augen füreinander, doch die anderen waren viel zu besorgt, nicht rechtzeitig auf dem Plateau einzutreffen, um es zu bemerken. D'ram sollte den Harfner, Piemur und Jancis zum VERWALTUNG-Gebäude bringen. Lytol hatte nicht mitkommen wollen.

»Ich finde, er altert zusehends«, murmelte Robinton, als er mit D'ram zu Tiroths Lichtung ging. »Auch Jaxom hat so etwas erwähnt.«

»Er ist bei guter Gesundheit, Robinton, wirklich. Es geht ihm nur wie uns allen, er schafft nicht mehr soviel wie früher«, gab D'ram traurig zurück. »Aber daß bei Jaxom wieder Nachwuchs unterwegs ist, hat ihn aufgeheitert.«

»Mich ebenfalls. Ach, Tiroth, ich finde es großartig, daß du uns hin- und herbeförderst.« Der Harfner versetzte dem alten Bronzedrachen einen freundschaftlichen Klaps, und schickte sich an, hinaufzuklettern und sich zwischen die Nackenwülste zu setzen. »Du kannst mir Jancis heraufreichen, Piemur. Ich kümmere mich schon um sie. Klammere dich nur an, so fest du willst, meine Liebe.«

»Behalten Sie Ihre Hände lieber bei sich, Meister«, grollte Piemur in gespieltem Zorn, stieg als erster auf und half dann Jancis, sich hinter ihn zu setzen. Seine steifen Muskeln und seine empfindlichen blauen Flecken machten sich unangenehm bemerkbar, aber er achtete nicht darauf.

»Hast du denn gar keinen Respekt mehr vor meinem Alter und meiner Stellung?« fragte der Harfner und nahm lachend vor dem Gesellen Platz.

»Daran hat sich nichts geändert«, versicherte Piemur ihm nachdrücklich. »Solange ich Sie im Auge behalten kann!«

D'ram lachte in sich hinein, als er aufstieg, und dann hob Tiroth mit einem mächtigen Satz ab, und Jancis griff nach Piemurs Armen. Er legte seine Hände auf die ihren und spürte befriedigt, wie eng sie sich an ihn schmiegte. Alle vier sahen deutlich die Dämmerschwestern am Morgenhimmel glänzen, dann brachte Tiroth sie ins Dazwischen.

Die Schwestern standen immer noch am Himmel, als sie auf dem Plateau eintrafen und über den Landestreifen hinweg zu den dunklen Schatten der Hügel und zu der Stelle schwebten, wo im Schein vieler Leuchtkörbe die Ausgrabungsmannschaft wartete. Ja, wie sie bald erfahren sollten, hatte Meister Fandarel bereits das Grabungsgebiet markiert und die ersten Schaufeln voll Erde entfernen lassen.

»Meister Robinton, D'ram, guten Morgen. Jancis, Piemur. Wir rechnen damit, daß die Deckschicht eine gute Spanne dick ist. Ich hielt es auch für ratsam, die Kacheln entfernen zu lassen, sie sind offensichtlich nur ein Notbehelf. Ich habe sie gestern abend mit einigen anderen verglichen, die sich noch an den Flugschiffen befinden, und ich glaube, das Material ist das gleiche, allerdings scheint bei keinem der Schiffe eine größere Anzahl zu fehlen. Das stützt meine Theorie, daß es ursprünglich mehr als drei Schiffe gab.«

»Das halte ich auch für wahrscheinlich«, stimmte Meister Robinton zu. Er fröstelte ein wenig in der kühlen Morgenluft. »Die Bilder der Feuerechsen zeigen stets doppelt so viele, und selbst mit sechsen wäre es eine ungeheure Leistung gewesen, diese Unmenge von Dingen von den Dämmerschwestern hier herunter zu befördern.«

Jemand brachte Schemel und heißen Klah, so daß Meister Robinton und D'ram es sich bequem machen konnten, während die Grabungen vorangetrieben wurden. Jancis und Piemur standen ein wenig abseits und nippten an ihren Bechern. Piemur bemühte sich, seinen Ärger zu unterdrücken. Es war eine ganz private kleine Grabung gewesen, und nun befaßte sich alle Welt damit. Jancis blieb für seinen Geschmack viel zu sehr im Hintergrund. Es war ihre Entdeckung, sie hatte die Ahnung gehabt. Sie sollte auch die Arbeiten leiten. Natürlich konnte sie nicht erwarten, ihrem Großvater vorgezogen zu werden, aber offenbar dachte niemand mehr daran, daß alles nur der alten Zeichenfolie zu verdanken war, die sie entdeckt hatte. Sie hatten Jaxom um Hilfe gebeten, gewiß, aber doch nicht gleich das ganze, verdammte Plateau. Die beiden Beulen auf seinem Kopf begannen schmerzhaft zu pochen.

Als die Sonne aufging, stellte er fest, daß jemand während der Nacht sehr fleißig gewesen war und alle Kacheln vom Dach entfernt hatte. Nun ragten die Tafeln völlig frei wie lange Finger über das ursprüngliche Dach. An den Wänden war noch ein Teil der Verkleidung erhalten geblieben, aber man hatte einen Graben ausgehoben, der bis zu dem Belag auf Teerbasis hinunterreichte, mit dem die Vorfahren alle Geh- und Fahrwege zwischen ihren Gebäuden befestigt hatten.

Plötzlich brandete Jubel auf. Piemur nahm Jancis an der Hand und drängte sich durch die Menge, die sich in einem lockeren Kreis um die Ausgrabungsstätte geschart hatte. Man hatte Meister Fandarel und Meister Robinton an die eben freigelegte Tür geführt. Es war keine der üblichen Schiebetüren, sondern sie bestand aus zwei gleich großen Tafeln.

»Verzeihung, Meister Fandarel und Meister Robinton, aber Jancis hat sich als erste für dieses Gebäude interessiert, und deshalb ist es nur recht und billig, wenn sie es auch als erste betritt!« Piemur hörte Jancis erstaunt aufkeuchen und spürte, wie sie sich gegen seinen Griff sträubte. Ohne die verwirrten Blicke der beiden Gildemeister zu beachten, zog er das Mädchen bis dicht vor die Tür. Er hörte Meister Esselins entrüsteten Ausruf, Breides bissige Bemerkung über die Arroganz der Harfner und das überraschte Murmeln, das die Menge durchlief. Jancis wollte ihn zurückreißen, wollte ihm ihre Hand entwinden.

»Weißt du, Piemur, eigentlich hast du recht«, sagte Robinton und trat zur Seite.

»Wir haben Jancis einfach beiseitegeschoben.«

»Nach dir, Jancis«, sagte Fandarel. Es klang sehr höflich, aber er warf Piemur einen nachdenklichen Blick zu.

Als Piemur sah, daß Jancis vor Schreck wie gelähmt war, trat er an ihre Seite und suchte nach dem Öffnungsmechanismus der Tür. Er konnte nichts finden, aber um keinen Preis hätte er den Schmied um Hilfe gebeten. Er musterte die Tür genauer. Die Anordnung der Scharniere war ungewöhnlich, aber es gab weder Knopf noch Klinke. Ein Türschild fiel ihm ins Auge, er legte die Hand darauf und drückte. Seit langem unbenutzte Teile knirschten, ein Spalt erschien zwischen den beiden Hälften, und Staub und Asche rieselten heraus. Er stemmte sich mit beiden Händen dagegen, die Tür bewegte sich langsam nach innen. Jancis überwand ihre Verlegenheit und kam ihm zu Hilfe, und plötzlich gab ein Flügel nach und hinterließ eine Schleifspur in dem feinen Staub, der in zahllosen Planetenumläufen eingedrungen war.

Piemur öffnete auch den zweiten Flügel und ließ den frischen Morgenwind eindringen, der sanft über das Plateau wehte und den Staub im Korridor aufwirbelte.

Dann drehte er sich um und verlangte mit einer Handbewegung einen der Leuchtkörbe. Bald würde die Sonne den Gang erhellen, aber er wollte keinen Augenblick länger warten. Zwei Schritte hinter Jancis und Piemur traten die Meister Fandarel und Robinton ein.

»Ein Korridor nach rechts«, sagte Piemur und hielt mit der linken Hand den Leuchtkorb hoch, während er mit der rechten weiterhin Jancis' Handgelenk umschloß. Sie sträubt sich nicht mehr, dachte er und grinste vor sich hin. Sie mußte einfach lernen, sich besser zu behaupten, dann würde sie niemand mehr um ihre Rechte bringen, jedenfalls nicht, solange er in der Nähe war.

Nun, da er auf den aschebedeckten Böden die ersten Fußspuren seit wer weiß wie vielen Planetenumläufen hinterließ, war ihm seine Dreistigkeit selbst nicht mehr ganz geheuer, aber er war damit durchgekommen - wieder einmal. Er grinste, dann wandte er sich wieder nach rechts, und als auch Robinton und Fandarel ihre Leuchtkörbe hoben, sah er am Ende des kurzen Ganges weiße Kacheln schimmern. »Bei diesem Akki wollten sie jedenfalls kein Risiko eingehen.«

»Da ist ganz offensichtlich eine Tür«, bemerkte Meister Fandarel und wollte sich schon an den beiden jungen Leuten vorbeidrängen, doch dann hielt er inne und überließ ihnen mit einer Geste den Vortritt.

Jancis war schrecklich verlegen, aber Piemur grinste nur und drückte ihr die Hand. »Du hast es gefunden - du bekommst es auch als erste zu sehen!«

Der Gang war breit genug, um sich zu viert nebeneinander vor die verstärkte Mauer zu stellen. Diese Tür hatte einen Drehknopf, doch Jancis wollte ihn nicht berühren. Piemur waren solche Hemmungen fremd. Der uralte Mechanismus war vom Staub blockiert, und er mußte seine ganze Kraft aufwenden, aber als er mit beiden Händen zupackte, löste sich der Riegel mit einem Ruck. Diese Tür öffnete sich nicht nach innen, wie er eigentlich erwartet hatte, sondern nach außen.

»Auf dem Fußboden liegt kaum Staub«, bemerkte der Schmied, der über ihre Köpfe hinweg in den Raum spähte.

»Ich sehe ein rotes Licht an einem Schrank«, stellte Piemur fest. Ein Schauder lief ihm über den Rücken.

»Und es wird heller«, sagte Jancis ängstlich.

»Ja, der ganze Raum erhellt sich«, stimmte Piemur zu. Seltsame, nie gekannte Empfindungen durchströmten ihn, er blieb wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Dieser Raum war nicht geräumt worden. Solche Vitrinen und Schränke hatte er noch nie gesehen, aber er zweifelte nicht daran, daß sie hier hinein gehörten.

Diesmal wurde sogar der vorwitzige junge Harfner von Ehrfurcht übermannt. So etwas hatten sie alle zu finden gehofft.

»Das rote Licht sind beleuchtete Buchstaben«, sagte Meister Robinton mit gedämpfter Stimme, als er über Jancis' Schulter schaute.

»Bemerkenswert, wirklich bemerkenswert!« Die Stimme des Schmieds klang nicht weniger andächtig.

Im zunehmenden Licht wurden Einzelheiten erkennbar: Arbeitstische zu beiden Seiten der Tür, ordentlich daruntergestellt zwei hohe Hocker. An der Mauer gegenüber der Tür befand sich eine große, eingerahmte Fläche, schwach grün, in der linken, unteren Ecke blinkten kleine, rote Lettern. Vor dieser Fläche und einer schrägen Arbeitsplatte stand ein Stuhl auf einem Sockel mit fünf Beinen. Die Platte schien ganz glatt zu sein, doch dann bemerkte Piemur regelmäßige Quadrate - heller in der Farbe als ihre Umgebung, in Reihen angeordnet, und rechts daneben mehrere Kolonnen von merkwürdig aussehenden Vorsprüngen. Darüber, auf der rechten Seite des Wandschirms, befanden sich Schlitze und Skalen, auf einer davon glühte ein grünes Licht, und eine Nadel wanderte langsam von links zur Mitte. Die roten Lettern - sie ergaben die Worte in Aufladung - hörten auf zu blinken und wurden allmählich grün, während die rätselhafte Beleuchtung sich weiter verstärkte. Alle fuhren zusammen, als plötzlich ein leises Blip ertönte und in der linken Ecke eine neue Botschaft aufleuchtete:

AKKI - FUNKTION WIEDERAUFGENOMMEN. »In dieser Ecke steht >AKKI<!« rief Piemur überflüssigerweise und deutete aufgeregt auf die Schrift. Robinton hatte sich umgedreht, um die Korridorwände betrachten, und was dort hing, war ihm bekannt. »Karten«, sagte er.

»Bitte Identität und Zugriffskode angeben! Ihre Stimmuster sind nicht gespeichert.«

Die Stimme ließ alle aufschrecken, und Jancis klammerte sich an Piemur.

»Wer hat da gesprochen?« donnerte Fandarel, daß es von den Wänden widerhallte.

»Bitte Identität und Zugriffskode angeben!« wiederholte die Stimme etwas lauter.

»Das ist keine menschliche Stimme«, erkannte Meister Robinton. »Es fehlt die echte Resonanz, die Modulation, der Klang.«

»Geben Sie den Grund für Ihr Eindringen an.«

»Verstehen Sie, was es sagt, Meister Robinton?« fragte Piemur. Die Worte klangen vertraut, aber der Akzent war so fremd, daß er ihre Bedeutung nicht erfaßte.

»Ich habe das Gefühl, ich müßte es verstehen«, gestand der Harfner zerknirscht.

»Wenn Identität und Zugriffskode nicht angegeben werden, schaltet sich die Einrichtung ab. Zur Benützung befugt sind lediglich Admiral Paul Benden…«

»Benden, es hat Benden gesagt!« schrie Piemur aufgeregt.

»… Gouverneurin Emily Boll.,.«

»Auch Boll ist ein bekanntes Wort«, sagte Robinton.

»Wir erkennen die Worte >Benden< und >Boll<, aber wir verstehen nicht, was du uns sagen willst.«

»… Captain Ezra Keroon…«

»Keroon. Es kennt Keroon. Kennst du auch Telgar?«

Der Schmied konnte sich nicht länger beherrschen.

»Gewiß kennt es auch Telgar.«

»Telgar, Sallah, verheiratet mit Pilotin Tarvi Andiyar, später zum Andenken an den heldenhaften Tod seiner Frau Telgar genannt…«

>»Telgar< ist das einzige, was ich mitbekommen habe«, sagte Fandarel. Er hatte unwillkürlich die Stimme erhoben, als könne er damit das Verständnis fördern.

»Telgar können wir verstehen. Keroon können wir verstehen auch das ist eine große Burg. Boll ist eine Burg; Benden ist eine Burg. Kannst du uns verstehen?«

Eine lange Pause trat ein, und alle starrten wie gebannt auf die Tafel, über die Symbole und gelegentlich auch Buchstaben hinweghuschten, begleitet von verschiedenen Pfeif- und Piepstönen und einem merkwürdigen Surren.

»Habe ich etwas Falsches gesagt, Robinton?«

Fandarel beschränkte sich wieder auf ein andächtiges Flüstern.

»Ist da unten alles in Ordnung?«

Meister Esselins quengelnde Stimme erreichte die kleine Gruppe, die sich noch immer im Eingang drängte.

»Aber natürlich!« brüllte Fandarel zurück. »Macht die Fenster frei, damit das Licht herein kann. Glammie hat meine Pläne. Orientiert euch danach und laßt uns in Ruhe!«

»Neue Buchstaben«, sagte Piemur und stieß den Meisterschmied in die Rippen.

»Veranlasse… Veranlasse?

K… A… T… A… S… T… R… O… P…«

»Katastrophe«, riet der Harfner, noch ehe das h und das e erschienen waren. Er grinste befriedigt.

»P-R-O-G-R-A-M-M -Programm? Die Worte kennen wir, aber was haben sie zu bedeuten?« fragte Piemur.

»Die Lichter strahlen jetzt ganz hell«, sagte Fandarel vergnügt. »Sehr merkwürdig.« Er hatte den ersten Schreck überwunden und betrat den Raum. Die anderen folgten ihm hastig. »Da sind Tasten an der Wand.«

Er drückte auf eine davon, und ein leises Surren setzte ein. Die feine Staubschicht auf dem Fußboden geriet in Bewegung, die abgestandene Luft wurde frischer. Fandarel drückte abermals auf die Taste, und sowohl das Geräusch wie der Luftzug hörten auf. Begeistert vor sich hinbrummelnd, schaltete er wieder ein. »Dein Akki ist wirklich ein raffiniertes Ding«, bemerkte er und lächelte auf Jancis hinab. »Und effektiv.«

»Wir wissen immer noch nicht, was ein Akki ist!« bemerkte Piemur.

»AKKI ist die Abkürzung für >Akustisches Kommunikationssystem einer Künstlichen Intelligenz<«, erklärte die monotone Stimme. »Um genau zu sein, ein Mark 47 A, ein Interface zwischen den Datenbanken des Hauptcomputers auf der Yokohama und der Siedlung auf Pern.«

»Pern - ich habe Pern verstanden«, sagte Robinton.

Dann fügte er, zur Tafel gewandt, in seinem volltönenden Bariton übertrieben deutlich hinzu:

»Von wo sprichst du, Akki?«

»Dieses System ist auf akustische Kommunikation programmiert. Nennen Sie Ihren Namen. Bitte.«

»Hört sich an, als wäre es ungeduldig, aber ich glaube, ich komme allmählich mit dem Akzent zurecht.

Mein Name ist Robinton. Ich bin Meisterharfner von Pern. Neben mir steht Fandarel, Meisterschmied auf Telgar. Bei uns sind die Gesellin Jancis und der Geselle Piemur. Kannst du mich verstehen?«

»Es werden linguistische Veränderungen konstatiert, Robinton. Eine Modifizierung des Sprachprogramms ist erforderlich. Bitte sprechen Sie weiter.«

»Ich soll weitersprechen?«

»Ihre Sprachmuster werden die Grundlage der Modifikation bilden. Bitte sprechen Sie weiter.«

»Sie haben es gehört, Meisterharfner.«

Piemur hatte sich rasch wieder gefangen. »Hier, setzen Sie sich.« Er zog den Stuhl unter dem Pult hervor, wischte die Sitzfläche ab und deutete mit großartiger Geste darauf.

Meister Robinton zog ein gekränktes Gesicht. »Ich hatte immer geglaubt, es sei der Harfnerhalle gelungen, die Sprache rein und unverfälscht zu erhalten.«

»Ach, Akki versteht uns nur nicht!« murmelte Piemur beruhigend.

»Sonst versteht Sie jeder. Dieses Ding hier«, erklärte er mit einer abfälligen Kopfbewegung, »verwendet nicht einmal Wörter, die wir kennen.«

»Ich finde das alles hochinteressant«, sagte Fandarel.

Er sah sich jede Fläche an, steckte die Finger in jeden Schlitz und berührte behutsam alle Knöpfe, Tasten und Schalter. »Hochinteressant. In diesen Raum ist viel weniger Staub eingedrungen, was sich zweifellos auf die Kachelschicht zurückführen läßt.«

»Es wird gebeten, den Kontaktbildschirm nicht zu berühren. Die Funktion wird deaktiviert.«

Fandarel zog die Hände zurück wie ein kleiner Junge, der die Finger nach einer Beerenpastete ausgestreckt hatte. Die schräge Platte hatte gelb aufgeleuchtet, nun erlosch sie wieder. Jancis hatte sich zaghaft auf einen der Hocker gesetzt und sah sich im ganzen Raum um, vermied es aber, auf den Schirm zu blicken.

»Was ist denn da unten los?« rief Breide.

»Eine Modifikation des Sprachprogramms wurde erforderlich!« rief Piemur zurück.

»Meister Fandarel hat alles unter Kontrolle, Breide.«

»Es wurde die Anwesenheit von vier Personen in diesem Raum festgestellt, aber bisher wurden nur drei Stimmen registriert. Würde die vierte Person bitte sprechen ?«

Jancis sah sich ängstlich um. »Ich?«

»Sie werden gebeten, einen ganzen Satz zu sprechen.«

»Nur zu, Jancis«, drängte Piemur. »Es wird dich nicht gleich beißen, und vielleicht sieht es das Leben hier aus einem ganz neuen Blickwinkel, wenn es eine Frauenstimme hört.«

»Aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie man mit - mit einer körperlosen Stimme redet.«

»Die Art der Äußerung ist unwichtig. Die Unterschiede in Resonanz und Klangfarbe wurden festgehalten.

Frage zur Unterstützung des Programms: Sie sind eine Person weiblichen Geschlechts?«

»Ja, sie ist eine Person weiblichen Geschlechts«, bestätigte Piemur.

»Die Person weiblichen Geschlechts wird gebeten, für eine Stimmuster-Analyse selbst zu antworten.«

Jancis lachte hellauf, als sie Piemurs verdutztes Gesicht sah, denn trotz der monotonen Sprechweise war dies unverkennbar ein Tadel gewesen.

»Du solltest dich selbst ansehen können, Piemur.«

»Nun, wenigstens kannst du darüber lachen«, sagte Piemur. »Vielen Dank - wie auch immer. Wie soll man dich eigentlich ansprechen?«

»Dies ist das akustische Kommunikationssystem einer künstlichen Intelligenz.

Eine Personifikation ist nicht erforderlich.«

»Bedeutet >künstlich<, von Menschen gemacht?« fragte Robinton.

»Das ist richtig.«

»Von den Menschen, die auch die Dämmerschwestern bauten?«

»Die Bezeichnung Dämmerschwestern ist unbekannt. Erklärung wird erbeten.«

»Die drei metallischen Gebilde am Himmel werden Dämmerschwestern genannt.«

»Sie sprechen von den Raumschiffen Yokohama, Buenos Aires und Bahrain.«

»Raumschiffe?« Fandarel drehte sich um und starrte die Tafel mit der grün blinkenden Schrift verblüfft an.

»Raumschiffe, mit Lebewesen besetzte Fahrzeuge, die Reisen durch das nicht ganz zutreffend als >Weltraum< bezeichnete Vakuum unternehmen.«

»Sind diese Raumschiffe immer noch mit Lebewesen besetzt?« Fandarels Augen waren weit aufgerissen, und in seinem sonst so gleichmütigem Gesicht spiegelte sich eine brennende Wißbegier, die sogar Robinton überraschte.

»Nicht nach den letzten Werten.

Alle Systeme sind auf Wartefunktion. Der Druck auf der Brücke beträgt 0,01 Standardatmosphäre oder 0,1 kp.

Innentemperatur minus fünfundzwanzig Grad Celsius.«

»Ich weiß nicht, wovon es redet«, sagte Fandarel und ließ sich auf den zweiten Hocker fallen. Er wirkte zutiefst enttäuscht.

»He!« Jaxom kam durch den Gang gelaufen. »Nein, ist schon gut, Breide, ich gehe gleich hinein. Ich werde erwartet.«

Ein wenig außer Atem betrat er den Raum.

»Ich dachte, du würdest auf mich warten, Piemur. Verzeihung, Meister Fandarel, Meister Robinton. Was ist denn das?« Erst jetzt nahm er allmählich die Besonderheiten des Raumes wahr, die Lichter, die Ventilation und schließlich auch die Gesichter seiner Freunde.

»Dies ist das akustische Kommunikationssystem einer künstlichen Intelligenz…«

»Und schon geht's wieder von vorn los«, bemerkte Piemur respektlos. »Ist Ihnen klar, Meister, daß dies der Schlüssel ist, nach dem Sie die ganze Zeit gesucht haben? Ein sprechender Schlüssel. Ich glaube, wenn Sie ihm die richtigen Fragen stellen, werden Sie alle Ihre Antworten bekommen. Sogar einige, von denen Sie gar nicht wußten, daß Sie sie hören wollten.«

»AKKI«, Meister Robinton nahm die Schultern zurück und wandte sich an das grüne Licht. »Kannst du meine Fragen beantworten?«

»Das ist die Funktion dieser Anlage.«

»Dann sollten wir vielleicht am Anfang beginnen?« fragte Meister Robinton.

»Ein solches Vorgehen ist korrekt«, antwortete Akki, und dann wurde die schwarze Fläche plötzlich hell und zeigte ein Diagramm, das alle im Raum erkannten, es war das gleiche, das man in dem von Jaxom entdeckten Flugschiff gefunden hatte.

Nur besaß diese Darstellung so viel Tiefe, daß sie dreidimensional wirkte, und erschien in einer Perspektive, die den staunenden Zuschauern das Gefühl vermittelte, unvorstellbar weit von ihrer Sonne entfernt im Raum zu schweben.

»Als die Menschen den dritten Planeten der Sonne Rubkat im Sagittarius-Sektor entdeckten…«

ENDE