Südkontinent

17. Planetenumlauf

Dank Jancis' präziser Messungen wurde der ursprüngliche Eingang am nächsten Tag gefunden, freigelegt und abgestützt. Den Riß verschloß man - auf Drängen von Meister Fandarel - mit einer Platte aus dem durchsichtigen Material der Alten.

»Das ist effektiv«, erklärte Jancis mit einem vergnügten Funkeln in den Augen, »weil dadurch wenigstens etwas Helligkeit eindringen kann. Eigentlich ist es merkwürdig«, fügte sie hinzu und legte auf eine Weise den Kopf schief, die Piemur äußerst liebenswert fand, »wenn man sich vorstellt, daß sie hier« - sie deutete auf die freigelegten Hügel -»offenbar gar nicht genug Licht in ihren Behausungen haben konnten, und dann hingingen und Klippen aushöhlten, um darin zu wohnen und sich im Dunkeln zu verstecken.«

»Eigentlich unbegreiflich, so ein drastischer Wandel«, meinte Piemur. »Könnte es sein, daß sie nichts von den Sporen wußten, als sie hier landeten?« Die Idee war ihm eben erst gekommen, er hatte noch nicht einmal mit Meister Robinton darüber gesprochen.

»Und die Fäden haben sie nach Norden in die Höhlen getrieben?«

»Nun, im Norden gibt es eben mehr Höhlen. Aber«, schränkte er ein, »die Burg des Südens hat ebenfalls einen ausgedehnten Komplex, und auch der hier ist sehr weitläufig, außerdem bin ich bisher nur an der Küste entlang gewandert, im Landesinneren könnte es noch Hunderte geben…«

»Ja, aber du hast die meisten Ausgrabungsstätten gesehen, nicht wahr? Und du hast mir erzählt, daß unsere Vorfahren oberirdisch bauten, freistehende Häuser.«

Sie sah ihn prüfend an und fügte hinzu: »Ich würde wirklich gern einmal eine solche Stätte sehen.«

»Das läßt sich leicht einrichten«, versprach Piemur und gab sich alle Mühe, aus dieser sehnsüchtigen Bitte nicht mehr herauszulesen als berufliche Neugier.

Sie waren in den letzten zehn Tagen fast ununterbrochen zusammen gewesen, entweder hatten sie Meister Robinton oder Meister Fandarel geholfen, oder selbständig den Inhalt einiger kleinerer, mit Waren vollgestapelter Höhlen aufgelistet. Meister Fandarel hatte mehrere Kisten mit Maschinenteilen in ein Lagerhaus bringen lassen, wo er sich mit anderen technisch interessierten Meistern und Gesellen bemühte, aus diesem merkwürdigen Sammelsurium klug zu werden. Piemur und Jancis waren währenddessen damit beschäftigt, die Streifen, Farben und Ziffern auf Kisten und Schachteln denen auf den Listen zuzuordnen, die Piemur am ersten Tag in jenem Schreibtisch gefunden hatte. Als Jancis ihre arglose Bemerkung machte, waren sie gerade beim Mittagessen. Piemur rief Farli zu sich und schrieb eine Botschaft an V'line, Clarinaths Reiter, im Ost-Weyr.

»Um Farli beneide ich dich wirklich«, sagte Jancis, als die kleine Königin verschwunden war.

»Wie kommt es, daß du keine Feuerechse hast?«

»Ich?« Die Frage erstaunte sie. Außerdem hatte sie einen Fleck auf der Backe und einen zweiten auf der Stirn, und Piemur konnte sich nicht entscheiden, ob er sie darauf aufmerksam machen sollte. Sie hielt sehr auf Ordnung und Sauberkeit, aber er hatte es ganz gern, wenn sie erhitzt und zerzaust war - dann wirkte sie weniger unnahbar. »Wie käme ich dazu? Jeder Gildemeister und jeder ältere Geselle steht vor mir auf der Liste, da kann ich noch lange warten. Es sei denn, du kennst ein Nest in der Nähe?«

Er sah sie lange an und mußte sich sehr beherrschen, um nicht laut herauszuplatzen. Er wußte genau, daß sie ohne Hintergedanken gesprochen hatte, aber das konnte ihn nicht abhalten. »Nestersuchen ist die Hauptbeschäftigung aller Sondierer und Gräber. Aber du… du würdest eine gute Echsenmutter abgeben.«

Jancis riß die Augen weit auf, doch dann veränderte sich ihre Miene. »Ich glaube, du willst mich nur necken.«

»Nein, bestimmt nicht. Schließlich habe ich eine Königin.«

»Du meinst, Farli hat Eier gelegt?«

»Schon oft.« Nun blieb Piemur ein peinliches Geständnis nicht erspart: »Das Problem ist, ich weiß nicht, wo!«

»Wieso nicht?« fragte Jancis verwundert.

»Nun, die Sache ist die, Königinnen kehren instinktiv an den ursprünglichen Nistplatz zurück und suchen sich eine freie Stelle in der Nähe. Nur habe ich keine Ahnung, wo das war.«

»Aber du hast sie doch an dich gebunden, als sie ausgeschlüpft ist? Da mußt du…«

Piemur lachte und unterbrach sie mit erhobener Hand. »Das ist eine lange Geschichte, aber im Grunde weiß ich nicht, woher ihr Gelege stammt, und sie kann mir außer Sanddünen und Hitze offenbar auch keinen Anhaltspunkt geben.«

In diesem Augenblick kam Farli in die Kammer geflogen und zeterte erregt über Hindernisse, die ihr den Weg versperrten. Aber die Botschaft, die sie mitbrachte, war positiv.

»Wir nehmen uns den Nachmittag frei, Janny. Das haben wir uns verdient«, bestimmte Piemur. »Wenn wir nicht aufhören, diese Streifen zu vergleichen, verderben wir uns noch die Augen. Also werden wir eine instandgesetzte Ruinensiedlung am Paradiesfluß besichtigen. Jayge und Ara werden dir gefallen! Ich habe dir doch erzählt, wie sie nach einem Schiffbruch an Land gespült wurden und so weiter.«

Sie warf ihm einen unergründlichen Blick zu, aber dann lächelte sie und packte ihre Sachen zusammen.

»Das ist doch von oben genehmigt?« fragte V'line mit einem Seitenblick auf Jancis, als die beiden dem Bronzereiter ihre Bitte vortrugen.

»Selbstverständlich«, versicherte Piemur herablassend und half Jancis auf Clarinaths Rücken. »Wir sollen die Markierungen auf unseren Kartons mit denen vergleichen, die am Paradiesfluß gefunden wurden. Eine dieser öden Tätigkeiten, die eben erledigt werden müssen, und Jancis und mir hat man sie aufgehalst!« Sehr mit sich zufrieden stieg er hinter dem Mädchen auf. Es war sein gutes Recht, während des Fluges die Arme um sie zu legen.

Jancis warf ihm wegen seiner kaltblütigen Schwindelei einen vielsagenden Blick zu und grinste, doch als Clarinath sich in die Lüfte schwang, keuchte sie erschrocken auf und griff nach seinen Armen.

»Du sitzt doch gewiß nicht zum ersten Mal auf einem Drachen?« fragte Piemur, den Mund dicht an ihrem Ohr. Unter ihrem Helm lugten ein paar Löckchen hervor und kitzelten ihn an der Nase. Sie schüttelte den Kopf, aber ihr Griff lockerte sich nicht, und das verriet ihm, daß sie wohl noch nicht sehr viele Ritte hinter sich hatte.

Dann gingen sie ins Dazwischen, und ihre Finger krallten sich noch fester in seine Arme. Gleich darauf schwebten sie über dem sauberen Sandstrand, und Clarinath glitt aufs Flußufer zu und landete ein paar Drachenlängen vom Wohnhaus entfernt. Hier war es sehr viel heißer als auf dem kühlen Hochplateau. Piemur überlegte flüchtig, warum Alemi sein Schiff wohl so weit westlich des Paradiesflusses vertäut hatte. Dann tauchte Farli über Clarinaths Schulter auf und stimmte mit silberhellem Trompeten in den Begrüßungschor der ansässigen Feuerechsen ein, die nun alle auf das Anwesen herabstießen.

»Hör mal, V'line, ich weiß nicht, wie lange es dauern wird« begann Piemur, schnallte hastig Helm und Jacke auf, als ihn die Hitze traf, und half auch Jancis sich auszuziehen.

»Clarinath muß auf die Jagd«, sagte V'line »Deshalb wurde ich auch nicht als Patrouille eingeteilt und konnte euch herbringen. Könntest du Jayge fragen, wo man am ehesten wilde Renner findet?«

Piemur stieg ab und half Jancis herunter, und in diesem Moment trat Jayge auf die Veranda, um nachzusehen, wer gekommen war. Piemur beeilte sich, in den kühlen Schatten der Terrasse zu gelangen, stellte Jancis vor und fragte, wo Clarinath jagen könne.

»Sag ihm, er soll flußabwärts fliegen, etwa zwanzig Minuten geradeaus. Um diese Tageszeit grasen sie dicht am Wasser«, empfahl Jayge und fügte hinzu, V'line solle zurückkommen, um den Bronzedrachen zu baden und mit ihnen zu Abend zu essen, während Clarinath seine Mahlzeit verdaute.

»Piemur, du bist verrückt, in der größten Hitze hierherzukommen.« Jayge gähnte herzhaft. Dann wandte er sich an Jancis. »Möchten Sie etwas Kühles trinken?«

»Vielen Dank, Jayge«, lehnte Jancis mit einem verschmitzten Blick auf Piemur ab, »aber wir haben kurz vor unserem Aufbruch vom Plateau gegessen, und wir müssen unbedingt die Kodierung auf den Kartons in Ihrem Lagerhaus überprüfen, wenn Sie gestatten.«

Piemur zog sich aus bis auf das weite Unterhemd das er unter seinem Kittel trug. Jancis schien viel weniger unter der Hitze zu leiden, aber Schmiede waren schließlich an Wärme gewöhnt. »Hör mal, Jancis, ich habe das nur gesagt…«

»Natürlich, Piemur«, fuhr Jancis ungerührt fort »aber es war eine gute Idee, und ich finde, wir sollten sie auch ausführen.«

»Tut ihr beiden, was ihr wollt.« Jayge sah grinsend von einem zum anderen, »ich ziehe mich in meine Hängematte zurück und warte, bis der Nachmittagsregen Kühlung bringt. Nur Verrückte rennen in dieser Hitze herum!« murrte er schon im Gehen.

»Also, Jancis«, begann Piemur und wischte sich mit seinem Kittel die Stirn ab.

»Nur ansehen, das kann doch nicht so lange dauern!« sagte sie mit einem sehnsüchtigen Blick auf die leeren Schaukelstühle und die Kinderschaukel auf der Veranda. Dann ging sie über den sauber mit Muscheln eingefaßten Pfad auf die anderen Gebäude zu, und Piemur folgte ihr leise fluchend. »Sind die jetzt alle bewohnt?« fragte sie auf halbem Wege zum Lagerhaus.

»Soviel ich weiß«, antwortete er mürrisch. Er wußte, daß sie ihn nur neckte und daß er eigentlich gar nicht darauf reagieren sollte. Doch dann fragte er sich, warum sie das tat. Bisher hatte er den Eindruck gehabt, sie finde ihn sympathisch und arbeite gern mit ihm zusammen. Warum gab sie sich jetzt so launisch? War das vielleicht ein Charakterfehler?

»Jayge und Ara haben ein paar Verwandte aus dem Norden hergeholt«, fuhr er fort, um seinen Pessimismus zu überspielen. »Dann hat Menolly ihren Bruder Alemi als Fischermeister empfohlen, und jetzt hat sich auch noch ein Glasmeister angesiedelt, weil es hier einige Stellen mit ganz feinem, weißen Sand gibt. So wurde der alte Paradiesflußbesitz allmählich instandgesetzt und bewohnbar gemacht. Da sind wir!«

In dem hohen Raum war es kühl, die Lüftungsschlitze unter der Decke sorgten für eine leichte Brise. In einer Ecke stand immer noch ein ordentlicher Stapel aus Kisten und Kartons, viele andere hatte man jedoch verwendet und dicht beim Eingang aufgeschichtet. Jancis brummte mißbilligend.

»Warum soll man sie nicht benützen?« fragte Piemur.

»Sie waren nicht voll, und sie waren alles, was Jayge und Ara hatten, als sie an Land geschwemmt wurden.

Außerdem wären unsere Vorfahren gewiß froh darüber, daß sie wieder Verwendung gefunden haben.«

»Heutzutage wissen so viele Leute ganz genau, worüber die Vorfahren froh wären«, spottete Jancis.

»Einschließlich deines Großvaters«, erinnerte sie Piemur.

»Du hattest nichts dagegen, als er mit der Platte den Spalt abdeckte.«

Sie bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick.

»Meister Fandarel hatte seine Gründe.«

»Jayge und Ara auch. Warum sollte man auf nützliche Dinge verzichten?« fragte Piemur. »Wenn sie Fundstücke enthalten, ist es etwas anderes - aber sonst sind sie nur brauchbar, effektiv.« Die Anspielung klang eher pikiert als humorvoll. »Die Sachen werden weder entweiht noch mißbraucht. Es sind schließlich keine Heiligtümer. Und haltbar sind sie auf jeden Fall.«

»Bist du etwa der Meinung, wir sollten die Hemden, die Stiefel und die anderen Dinge in der Höhle tragen ?« fauchte ihn Jancis mit blitzenden Augen und streitbar vorgerecktem Kinn an.

»Wenn sie passen, warum nicht?«

»Weil das - weil das ein Frevel ist, darum!«

»Ein Frevel? Wenn man ein Hemd anzieht, weil es ein Hemd ist, dazu bestimmt, die Blöße zu bedecken, oder Stiefel, weil sie Stiefel sind und zum Laufen gemacht wurden? Das begreife ich nicht.«

»Es ist ein krasser Mißbrauch von historischen Überresten.«

»Außer dieser Platte verwendet Meister Fandarel auch einige von den Bohrern - der härteste Stahl, den er je gesehen hat.«

»Großvater vergeudet sie nicht!«

»Hier wird auch nichts vergeudet.«

Gereizt hob Piemur die Arme und ließ sie wieder fallen.

»Nun lies schon die verdammten Etiketten. Dazu bist du doch hergekommen. Ich gehe ins Haus zurück. Jayge hat ganz recht. Bei manchen Leuten greift die Hitze den Verstand an.«

Farli begleitete ihn und bombardierte ihn mit einem Schwall von Fragen, die er ihr selbst dann nicht hätte beantworten können, wenn er sie verstanden hätte. Als er die breite Veranda erreichte, goß er sich aus dem irdenen Krug in der schattigen Ecke mehrere Becher kühles Wasser ein. Dann spannte er eine der Hängematten auf, legte sich hinein und grübelte, warum er eigentlich mit Jancis gestritten hatte.

Aufgeregtes Hundegebell riß ihn aus seinem leichten Schlaf. Dann stieß Farli laut quiekend herab und zupfte nachdrücklich an seinem ärmellosen Hemd.

»Hm? Was'n los? Langsam, Farli, das kratzt!« Aber sie war völlig verstört und ließ sich nicht abweisen. Piemur blinzelte sich den Schlaf aus den Augen und wollte mit einem unbeholfenen Satz aus der Hängematte springen, doch die drehte sich unter ihm weg, und er plumpste peinlich laut auf den Verandaboden.

Die zum Haus gehörigen Feuerechsen flatterten aufgeregt schnatternd durch Türen und Fenster ins Innere.

Piemur hörte, wie Jayge schläfrig protestierte. Das Kläffen der Hunde steigerte sich zu einem panischen Gejaule, und die Echsen gerieten außer sich.

Als Piemur sich vom Boden aufrappeln wollte, bemerkte er am Strand eine verdächtige Bewegung, und sofort war er hellwach. Kein Wunder, daß die Hunde hysterisch waren. Er hatte sich zu oft auf Farli und Dummkopf verlassen, um nun an tierischen Instinkten zu zweifeln oder sich lange zu fragen, warum sich jemand an die Paradiesflußbesitzung anschleichen sollte.

Von den Fischerhütten weiter oben am Strand erscholl ein erstickter Schrei, er zog sein breites Dschungelmesser aus der Scheide, kroch an die Verandabrüstung und spähte vorsichtig darüber.

Da! Wieder eine Bewegung!

Es hatte den Anschein, als schwärmten mehrere Leute aus, um das Haus zu umzingeln - und als näherten sich weitere Eindringlinge behutsam den anderen Gebäuden. Drinnen beklagte Jayge sich ärgerlich über seinen unterbrochenen Nachmittagsschlaf. Lautlos robbte Piemur zur Hängematte zurück und löste erst das eine, dann das andere Ende vom Wandhaken. Vielleicht ließ sich das Ding zur Verteidigung benützen.

Die Hängematte hinter sich herziehend, huschte er um die Verandaecke, kletterte durch ein Seitenfenster ins Haus und sah sich nervös nach möglichen Waffen um.

»Jayge?« rief er leise, als er den Hausherrn schlaftrunken durch den Korridor stolpern sah.

»Ja?« Jayge starrte ihn benommen an.

»Greife dir irgend etwas. Jemand will euch überfallen!«

»Laß doch den Unsinn!« Jetzt klang Jayges Stimme normal. Plötzlich schossen seine Feuerechsen in den Raum und quiekten in panischem Schrecken. »Was?«

Draußen mischte sich ein neuer, fast triumphierender Ton in das Hundegebell. Jemand war so geistesgegenwärtig gewesen, die Tiere aus ihrem Zwinger zu lassen.

Jayge durchfuhr es wie ein Schlag, und er riß zwei Küchenmesser vom Regal. In diesem Augenblick ertönte vom Strand her ein Schrei.

»Ara! Nimm die Kinder und lauf!« brüllte er, und dann rannten er und Piemur in langen Sätzen aus dem Haus, um sich den Feinden zu stellen.

Der Kampf war beschämend schnell vorüber. Am Fuß der kleinen Verandatreppe wurden Piemur und Jayge von sechs sonnenverbrannten, zerlumpten Männern mit Schwertern, Spießen und langen Dolchen überwältigt. Piemur stach mit seinem Messer zu und schlug mit der Hängematte um sich, doch die hing trotz der Unbeholfenheit der Angreifer bald in Fetzen herab.

Flüche und schrille Schmerzenslaute verrieten ihm, daß Jayge seine Messer gut zu gebrauchen wußte. Eine gellende Stimme rief Befehle und kreischte vor Ungeduld über die Unfähigkeit der Angreifer und die schweren Verluste. Dann stürmten alle Feinde gleichzeitig vor, und Jayge und Piemur wurden an die Treppe zurückgedrängt.

Piemur hörte jemanden hinter sich, doch ehe er reagieren konnte, traf ihn ein harter Schlag auf den Hinterkopf, und er verlor das Bewußtsein.

***

Als Jayge zu sich kam, lag er mit dem Gesicht nach unten im Sand, sein Kopf hämmerte wild, seine Rippen und die rechte Schulter schmerzten, und am ganzen Körper spürte er kleinere Wunden, in denen die Sandkörner heftig brannten. Er merkte schnell, daß er sich nicht in eine bequemere Stellung bringen konnte - man hatte ihn verschnürt wie einen Wher am Spieß.

Als er sich anschickte, einen Mund voll Sand auszuspucken, vernahm er ein Stöhnen, einen dumpfen Schlag und schließlich ein zufriedenes Glucksen.

»Schlaf weiter, Harfner«, sagte eine harte Frauenstimme.

»Und so hält man emporgekommene Grundbesitzer in Schach, Leute. Auf diese Weise kriegen sie weder von ihren Feuerechsen noch von anderer Seite Unterstützung. Und jetzt« - die trügerisch sanfte Stimme wurde plötzlich gehässig - »will ich die Frau und ihre Bälger. Ohne sie war die ganze Mühe umsonst.«

Jayge machte sich unwillkürlich steif und stemmte sich gegen seine Fesseln. Thella! Er hatte Ara immer wieder versichert, die Frau müsse umgekommen oder gefangen worden sein, aber selbst hatte er nie daran geglaubt. Und gerade in letzter Zeit, als man überall verbreitete, daß sie beide zu rechtmäßigen Besitzern des Anwesens am Paradiesfluß erklärt worden waren, hatten sich seine Befürchtungen verstärkt. Wenn Thella noch lebte, würde sie davon erfahren? Würde es sie interessieren? Würde sie handeln? Bei vernünftiger Überlegung war es unwahrscheinlich. Aber Vernunft war eine Eigenschaft, die man bei einem so von Rachsucht beherrschten Menschen wie Thella nicht unbedingt voraussetzen durfte.

Zum Glück hatte Ara mit den Kindern fliehen können. Außerdem tröstete ihn der Gedanke, daß V'line bald zurückkommen würde, um Piemur und Jancis abzuholen! Heimatlose der Sorte, die mit einer Renegatin wie Thella gemeinsame Sache machten, bekamen sicher einen gewaltigen Schrecken, wenn sie einen Drachen am Himmel sahen. Wie lange war er wohl bewußtlos gewesen? Es herrschte immer noch eine drückende Hitze, also war er vielleicht… nur so lange ausgeschaltet worden, dachte er verärgert, daß man ihn gründlich hatte fesseln können.

»Ich dachte, Sie wollten ihn töten?« beschwerte sich jemand entrüstet.

»Töten wäre zu einfach. Ich will, daß er leidet! Wie ich seinetwegen zwei Planetenumläufe lang gelitten habe. Aber das geht am besten, wenn er mit ansehen muß, was ich mir für sie ausgedacht habe! Und ihr schwachsinnigen Tölpel habt sie entwischen lassen!«

Jayge hörte ein paar Männer erschrocken aufkeuchen.

»Warum treten Sie uns? Wir haben getan, was wir konnten«, klagte jemand. »Von den Hunden haben Sie kein Wort erwähnt! Und wie scharf diese Bestien sind!

Bin nicht an ihnen vorbeigekommen. Reißzähne so lang wie eine Hand. Und riesig wie Herdentiere!«

»Ihr wart zu sechst, mit Schwertern und Speeren bewaffnet! Das müßte doch genügen, um eine kleine Schlampe zu fangen. Sind die hier jetzt alle gefesselt?

Und was ist mit den Frauen in den Fischerhütten?

Schön, dann suchen wir jetzt nach ihr. Sie hat kleine Kinder dabei, also kann sie nicht weit gekommen sein.

Vielleicht hat sie sich in den großen Ruinen dort verkrochen. Und falls sie in den Wald gelaufen ist, muß sie in dem dichten Unterholz eine Spur hinterlassen haben, die sogar ihr blinden Trottel finden könnt. Ich will sie und die Kinder haben. Wenn ich mit ihnen und mit ihr selbst fertig bin, wird sie sich wünschen, sie wäre nie geboren.«

»Hören Sie mal, Thella«, protestierte der Sprecher, »von Foltern war aber bisher nicht die Rede! Ich halte nichts von…« Der Satz endete in einem grauenvollen lauten Röcheln, und dann trat eine Stille ein, die mehr verriet als alle Worte.

»Hat sonst noch jemand eine Frage?« rief Thella spöttisch, aber der grausame Unterton war nicht zu überhören. »Bloors, du bist zwar am Bein verletzt, aber du hast zwei gesunde Arme. Du nimmst jetzt diese Keule, und bei der leisesten Bewegung schlägst du zu.

Dicht hinter dem Ohr! Kapiert? Sollte ich bei meiner Rückkehr feststellen, daß einer von den beiden auch nur einen Finger gerührt hat, schneide ich dir die Kniesehnen durch. Du da, heb das Seil auf. Und du die Netze, damit wir unsere Gäste auch gut einwickeln können. Die anderen nehmen sich ein paar Speere gegen die Hunde. Und jetzt folgt mir.«

Jayge versuchte zusammenzurechnen, wie viele Männer Thella bei sich hatte. Er wußte, daß er einem das lange Messer in den Bauch gestoßen und mehrere andere, die ihn bedrängten, verwundet hatte. Auch Piemur hatte mit seinem Dschungelmesser gute Arbeit geleistet, ehe er überwältigt wurde. Er hörte knirschende Schritte, öffnete die Augen einen winzigen Spalt und zählte vier Paar Füße, die an ihm vorübergingen und ihm Sand ins Gesicht schleuderten. Thellas Stimme verklang zu seiner Rechten, in Richtung auf Temmas und Swackys Häuser und das Lagerhaus. Jancis? Hatte sie die Hunde losgelassen?

Wieder flog ihm Sand ins Gesicht. Ein entsetzlicher Gestank nach Blut, abgestandenem Schweiß und Fischtran - stieg ihm in die Nase, etwas beugte sich über ihn. Fast wäre er zusammengezuckt, als ihm probeweise eine Keule in die Rippen gestoßen wurde. Dieser Bloors nahm seinen Auftrag ernst. In der Ferne gab Thella Anweisungen für die Durchsuchung der Ruinen.

Sollte sie doch! Aramina war sicher in den Wald gelaufen, höchstwahrscheinlich zu den großen Fellisbäumen, die gleich hinter dem ersten Dickicht dicht beieinander standen. Wenn es ihr gelang, sich in einer der buschigen Kronen zu verstecken - und die Kinder ruhig zu halten -, konnte Thella lange suchen. So lange hoffentlich, bis er sich irgendwie befreit und den einzigen Wächter außer Gefecht gesetzt hatte.

Bloors ging nicht mehr herum, aber Jayge hörte an den Geräuschen, daß sich der Mann offenbar auf den Verandastufen niederließ. Er stemmte sich gegen die schmerzhaft straffen Fesseln und blähte trotz seiner verletzten Rippen den Brustkorb, um die Seile zu lockern, mit denen seine Arme an den Körper gebunden waren. Die Handgelenke waren hinter dem Rücken gefesselt, und seine Knöchel hatte man so fest zusammengeschnürt, daß er seine Füße kaum noch spürte.

Verbissen drehte er die Hände, um die Stricke irgendwie zu dehnen. Thella polterte inzwischen im Lagerhaus herum und suchte nach einer Spur der Flüchtlinge. Irgendwann fiel ihm auf, daß es zu still war. Von den Hunden war kein Laut zu hören, kein Winseln, Bellen oder Knurren. Vielleicht waren sie alle getötet worden, aber als Jayge sich ins Gedächtnis rief, was er belauscht hatte, gelangte er zu dem Schluß, einige hätten wohl überlebt und beschützten Aramina. Am seltsamsten war das Fehlen sämtlicher Feuerechsen. Die seinen waren nicht so gut abgerichtet wie die von Piemur, aber auch sie hatten am Kampf teilgenommen und waren beißend und kratzend auf die Eindringlinge herabgestoßen. Solange Bloors Wache hielt, konnte er es nicht wagen, nach ihnen zu rufen. Außerdem war Piemur der einzige, den sie gut genug kannten, um ihm eine Botschaft zu bringen. Wo war Piemurs Farli? Der Harfner behauptete, seine Königin zeige mehr Unternehmungsgeist als die meisten Tiere. War sie etwa fortgeflogen, um Hilfe zu holen? Wenn Bloors erst aus dem Weg geschafft wäre, dann könnte Jayge seine Feuerechsen vielleicht dazu bringen, ihm die Fesseln durchzubeißen.

Wen würde Farli denn wohl um Hilfe bitten? V'line und Clarinath? In Jayge stieg Hoffnung auf. Vielleicht genügte schon der Anblick des Bronzereiters mit seinem Drachen, und Bloors würde davonhumpeln, wenn auch nur, um Thella zu warnen. Sobald Jayge frei war, würde er Thella gnadenlos vernichten. Er spürte ein überwältigendes Verlangen, ihr sein Schwert in den Bauch zu stoßen und ihre hochmütige Stimme um Gnade flehen zu hören.

Ein tröstlicher Gedanke, aber davon wurden seine Fesseln nicht lockerer - die Finger waren schon fast taub. Er spürte ein Kribbeln in der ausgedörrten Kehle, wagte aber nicht zu husten, sondern spuckte nur den Sand aus, bis auf eine kleine Muschel, an der er lutschte, um den Speichelfluß anzuregen. Neben ihm stöhnte jemand und regte sich, und sofort ließ Bloors seine Keule niedersausen. Wie viele solcher Schläge konnte ein Schädel wohl aushalten, ohne dauernden Schaden zu nehmen? fragte Jayge sich verzweifelt.

Von ferne war Geschrei zu hören, das Splittern von Holz - aber immer noch kein Hundeknurren. Thella mußte ein riesiges Gebiet absuchen.

Wenn Ara nur die Kinder ruhig halten konnte…

Wieder klatschte die Keule gegen Fleisch. Etwas Schweres, Feuchtes berührte Jayges Rücken, er keuchte erschrocken auf.

»Leise!« warnte eine ruhige Stimme.

»V'line?«

»K'van.« Der Bronzereiter säbelte bereits an Jayges Fesseln herum. »Aramina hat gerufen - gut, daß sie ihre Fähigkeit gerade in diesem kritischen Moment wiederentdeckt hat. Heth hat geantwortet. Jetzt verstehe ich, warum. Hat Thella nur den einen Wächter zurückgelassen?«

»Ja. Mit den anderen ist sie losgezogen, um nach Aramina und den Kindern zu suchen. Ich weiß nicht, wie viele es sind. K'van, ich brauche dir wohl nicht zu sagen, wie gefährlich Thella ist.«

»Nein, nicht nötig.« K'van schnitt die letzten Fasern durch und drehte Jayge auf den Rücken. Als das Blut in das abgeschnürte Gewebe schoß, keuchte der Siedler auf und wand sich vor Schmerz. K'van massierte ihm Arme und Beine, um den Kreislauf anzuregen. »Ganz ruhig jetzt. Es wird noch eine Weile dauern, bis Thella merkt, daß ihre Beute entwischt ist.« Er half Jayge auf die Beine. »Du mußt mit den Füßen aufstampfen.«

Dann rief er vorsichtig zum Haus hin: »Alles in Ordnung, Mina. Bring uns einen Becher von Jayges Selbstgebranntem. Er kann einen Schluck gebrauchen, und die anderen sicher auch.«

»Du hast Aramina gerettet?« Jayge schwankte, mehr vor Erleichterung als vor körperlicher Schwäche.

K'van stützte ihn, seine Augen funkelten. »Diesmal habe ich sie aus den Bäumen gepflückt - sie, Jancis und die beiden Kinder. Die Hunde mußte ich zurücklassen.« Er machte sich daran, den geknebelten und bewußtlosen Bloors zu fesseln.

Jayge schüttelte den Kopf über den leichtfertigen Ton des Drachenreiters. »Hör mal, K'van, könntest du Heth bitten, Verbindung mit Ramoth und Mnementh aufzunehmen? Sie wollen sicher wissen…«

Jayges Hände waren so steif und geschwollen, daß er den Dolch in Bloors Gürtel nicht fassen konnte.

»Das wollen sie sicher, aber da man im Benden-Weyr momentan gegen Fäden kämpft, kommt Heth noch nicht durch.«

»Dann rufe doch deinen eigenen Weyr zu Hilfe!«

K'van sah ihn lange und nachdenklich an. »Du weißt, daß ich das nicht kann, Jayge.«

»Das verstehe ich nicht, K'van. Ich dachte, du seist unser Freund, und jetzt, wo wir dich wirklich brauchen…«

»Ich habe schon mehr getan, als ich eigentlich dürfte.« K'van bückte sich, um Temma loszuschneiden. Seine Stimme klang leicht gereizt.

Jayge hatte keine Gelegenheit, mit ihm zu diskutieren, denn in diesem Augenblick kam Ara die Treppe heruntergelaufen und warf sich in seine Arme. Der Branntweinschlauch schlug ihm gegen die schmerzenden Rippen. Seine Umarmung fiel recht flüchtig aus, denn er war noch immer wütend über K'vans Weigerung, weitere Hilfe zu leisten. Dann sah er Jancis, die Janara auf dem Arm trug, während Readis sich an ihren Rock klammerte, und nun mußte er auch noch die Kinder beruhigen.

»Eine gute Idee, die Hunde freizulassen, Jancis«, sagte er mit dankbarem Blick.

»Kam mir einfach logisch vor«, wehrte sie achselzuckend ab. Sie stellte Janara auf den Boden und kniete neben Piemur nieder, der unter seiner tiefen Sonnenbräune sehr blaß war.

»Ein schreckliches Weib! Ist das nicht die Banditin, die Telgar und Lemos so verzweifelt gesucht haben? Trinken Sie, Jayge, und dann geben Sie mir bitte den Weinschlauch. Piemurs Gesichtsfarbe gefällt mir nicht.«

Jayge nahm einen tiefen Schluck und stellte fest, daß das scharfe Getränk sich als ausgezeichnetes Stärkungsmittel erwies.

»Temma könnte auch etwas vertragen«, sagte K'van und half der benommenen Frau zum Sitzen hoch. Aramina rieb ihr sanft die entzündeten, geschwollenen Handgelenke und Knöchel. Die beiden Kinder standen immer noch unter Schock, sie drängten sich dicht aneinander und beobachteten die Erwachsenen mit großen Augen.

»Du solltest Swacky befreien, Jayge«, schlug K'van vor und durchschnitt Nazers Fesseln, ohne den wütenden Blick zu beachten, den Jayge ihm zuwarf.

»Wenn du wenigstens ein Geschwader rufen würdest, K'van, oder ein paar zusätzliche Reiter…«

»So gern ich das täte, ich darf den Weyr nicht in Verruf bringen, nicht ohne Bendens Erlaubnis«, sagte K'van ruhig. »Man könnte es als direkte Einmischung in die Verwaltung eines Besitzes auslegen. Du mußt dich selbst gegen Thella wehren.«

»Er hat recht, Jayge«, sagte Jancis, während sie mit energischen Bewegungen Piemurs blutunterlaufene Arme und Handgelenke massierte.

»Aber du…«

»Heth hat Aramina gehört und mich sofort aus dem Weyr gescheucht, obwohl ich außer meinen Hosen nichts anhatte.« K'van schauderte unwillkürlich. »Wir kamen direkt über ihr aus dem Dazwischen. Mir blieb kaum etwas anders übrig, als sie aus diesem Baum zu holen.« Er stieß gereizt den Atem aus. »Schon deshalb werde ich noch einiges zu hören bekommen, aber Heth hat nicht lange gefragt. Vielleicht akzeptiert F'lar diese Begründung: ein Reiter kann sich nur selten gegen seinen Drachen durchsetzen.«

»Aber du mußtest doch Aramina und meine Kinder retten!«

»Das habe ich auch getan!« K'van war mit seiner Geduld allmählich am Ende und sah den erbosten Grundbesitzer finster an. »Und ich würde es wieder tun, selbst wenn mir die Umstände vorher bekannt wären.

Alles andere, mein Freund, ist nun deine Sache. Ich muß noch etwa zwei Stunden warten, bis ich mit den Weyrführern von Benden in Verbindung treten kann, und ich glaube nicht, daß Thella so lange in deinem Obstgarten herumstöbern wird. Gib mir den Weinschlauch. Swacky sieht so aus, als brauche er einen großen Schluck.«

»Wir sind fünf.« Jayge schluckte seinen Zorn über den Bronzereiter hinunter und ging daran, einen Verteidigungsplan aufzustellen.

»Sieben«, erklärte Jancis entschieden.

»Ich weiß nicht, wie viele Leute Thella mitgebracht hat.«

»Nun, ein paar hat sie schon verloren.« Jancis deutete auf die fünf Gestalten, die auf einer Seite der Veranda aufgereiht lagen.

»Sechs sind auf uns losgegangen«, sagte Temma heiser und schüttelte ihre Hände, um das Blut schneller fließen zu lassen. »Ich habe ein paar ordentliche Hiebe gelandet, und ich weiß, daß Nazer einem das Messer in die Brust gestoßen hat.«

»Mich haben drei angegriffen, und einen habe ich erwischt, aber ich glaube nicht, daß er tot ist«, sagte Swacky.

»Haben sie alle Hunde umgebracht, Ara?« fragte Jayge. Die Tiere würden jederzeit angreifen, wenn man es ihnen befahl.

»Nur einen. Die anderen sitzen oben auf dem Baum«, grinste Aramina. »Jancis hat geschoben, und ich habe gezogen. Sie sind hoffentlich - in den Ästen versteckt und haben Befehl, sich nicht von der Stelle zu rühren. Ich wollte gerade die Feuerechsen mobilisieren, aber da erschien Heth, und sie sind alle verschwunden.«

Aus dem Wald waren deutlich die Rufe der ratlosen Sucher zu hören. Eine laute weibliche Stimme befahl ihnen, auf die Bäume zu klettern, wenn sie vom Boden aus nicht genug sehen könnten.

»War Farli bei den anderen Feuerechsen?« fragte Piemur matt. Seine ungesunde Blässe verlor sich allmählich.

»Ich habe sie nicht gesehen«, antwortete Jancis.

»Als ich niedergeschlagen wurde, ist sie wahrscheinlich losgeflogen, um Hilfe zu holen.«

»Zum Meisterharfner?« fragte K'van.

»Das nehme ich an.«

»Alemi und die Fischer wären schneller zu erreichen«, sagte Aramina, beschirmte die Augen und spähte aufs Meer hinaus. »Könnte es sein, daß sie klug genug ist, zu ihnen zu fliegen?«

»Sie zu finden, und sie rechtzeitig hierher zu bringen, sind zwei verschiedene Dinge«, gab Swacky zu bedenken, der von den Fähigkeiten der Feuerechsen keine sehr hohe Meinung hatte. »Und wo ist Alemis Weibervolk?«

»Sie liegen gefesselt in ihren Häusern«, sagte Jayge mit einem Wink zu den kleinen, weiter flußaufwärts gelegenen Katen. »Ara, du und Jancis, ihr nehmt die Kinder mit und befreit sie. Sollte Thella wie durch ein Wunder die Boote nicht zerstört haben, dann setzt ihr euch alle hinein, segelt hinaus in die Bucht und wartet, bis Alemi zurückkommt.«

Aramina sträubte sich. »Ich werde nicht schon wieder weglaufen, Jayge Lilcamp!«

»Ich glaube, für Jayge wäre alles viel einfacher, wenn du außer Thellas Reichweite wärst«, erklärte K'van bestimmt. »Mit den Kindern. Er soll sich mit ihr auseinandersetzen. Zu dieser Konfrontation mußte es eines Tages kommen.«

Der Bronzereiter sah Jayge fest in die Augen.

»Sie ist längst überfällig!« knirschte Jayge. »Geh nur, Aramina. Diesmal mache ich ihr es nicht so leicht.«

»Und wir anderen auch nicht!« rief Swacky, seine Augen funkelten vor Zorn. Er hatte die Waffen auf der Veranda durchsucht, sein eigenes Schwert gefunden und Piemur dessen breites Dschungelmesser zurückgegeben. »Du, ich, Temma, Nazer und Piemur, falls er schon wieder bei Verstand ist…«

Er grinste, als der Harfner einen Schwall von Verwünschungen losließ.

»Wir können eine Menge ausrichten gegen dieses undisziplinierte Gesindel, ohne den Drachenreiter in Verruf zu bringen. Die Drachenreiter«, verbesserte er sich und deutete mit einem der Jagdspeere flußabwärts, wo ein zweiter Drache gemächlich zur Landung ansetzte.

Der Neuankömmling ging unweit von Heth am Strand nieder. Seine Augen wechselten von friedlichem Grün zu erregtem Orange, und er stieß ein erschrockenes Jaulen aus.

»Heth hat Clarinath mitgeteilt, was geschehen ist«, erklärte K'van mit schiefem Lächeln.

V'line kletterte von seinem Drachen und eilte mit besorgter Miene herbei. »Ist das wahr? Sie wurden angegriffen, Jayge? Von wem? Das ist unerhört! So etwas kann man doch nicht zulassen.«

»Darum geht es doch gar nicht«, sagte K'van grimmig. »Uns sind in solchen Fällen die Hände gebunden.«

»Ja, sicher, das ist wahr.« Etwas verspätet entsann sich V'line der strengen Weyr-Vorschriften.

Plötzlich erschien über Piemurs Kopf eine völlig aufgelöste Feuerechse, wickelte sich um seinen Hals und hätte ihn vor Freude fast erdrosselt.

»Halt, Farli, halt! Ich kann dich nicht verstehen!« rief Piemur, wehrte ihre Zunge ab, die ihm das Gesicht leckte, und löste ihren Schwanz von seinem Hals.

»Noch einmal und langsamer. Ach, wirklich? Was bist du doch für ein kluges Geschöpf!« Piemur brachte sogar ein Lächeln zustande, als er erklärte: »Sie hat Alemi gefunden, er ist gleich hinter der Landspitze. Er hat sie hergeschickt, sie soll sich erkundigen, was geschehen ist. Jancis, hast du etwas zum Schreiben da? Was soll ich ihm sagen, Jayge?«

»Alemi hatte sechs Leute dabei - damit wären wir zwölf.« Swacky machte ein zufriedenes Gesicht.

»So lange können wir nicht warten«, sagte Jayge.

»Wir müssen uns auf den Überraschungseffekt verlassen - und auf unser Glück.«

»Sie rechnen wohl kaum mit Hunden, die von einem Baum herunterspringen«, vermutete Aramina.

Jayge suchte zwischen den Waffen nach einem Dolch.

K'van reichte ihm feierlich seine eigene Klinge.

»Jetzt sind sie auf dem Weg zu den Fellisbäumen.«

Swacky horchte mit schiefgelegtem Kopf auf das Knacken im Unterholz. »Wir können ihnen nachschleichen und einen nach dem anderen erledigen.« Grinsend ließ er die Muskeln seines Schwertarms spielen.

Jayge hielt Araminas Hände fest, als sie einen Fischspeer aufheben wollte. »O nein, mein Schatz. Du wirst mit unseren Kindern so weit von hier weggehen wie nur möglich. Hast du mich verstanden? Wir haben keine Zeit für lange Diskussionen. Du gehst.«

»Und Heth und ich sorgen dafür«, mischte K'van sich unversehens ein und griff nach Araminas Arm.

»Wenigstens das kann ich tun.«

Sie zögerte für einen Moment, ließ die Schultern hängen und gab sich geschlagen. »Aber laß sie nicht noch einmal entwischen, Jayge. Ich möchte so etwas nie mehr erleben!«

Piemur schickte Farli mit der Botschaft zu Alemi.

Swacky stärkte sich mit einem weiteren Schluck aus dem Weinschlauch, legte sich die Fischspeere auf die Schultern und sah Jayge erwartungsvoll an.

Alle Bewohner der Paradiesflußbesitzung waren nun mit den verschiedensten Waffen versehen, ihre Haltung drückte Entschlossenheit aus. Unter V'lines besorgtem Blick trotteten sie nach Osten, vorbei am Unterholz am Rand der Siedlung.

Der Baum, in dem Aramina und Jancis mit den beiden Kindern Zuflucht gefunden hatten, stand etwa in der Mitte der Gruppe, die Thella im Moment durchsuchte.

Die alten Fellisbäume mit den dicken Stämmen, die drei Männer nicht umfassen konnten, und den dicht belaubten Ästen bildeten einen großen, düsteren Park.

Ihre Luftwurzeln verschlangen sich zu komplizierten Mustern und hielten auch den letzten Sonnenstrahl ab, der das üppige Blattwerk zu durchdringen suchte. Der Boden war mit einer weichen Schicht aus vermoderten Blättern bedeckt, so daß Jayge und seine Gefährten lautlos aus dem Schatten eines mächtigen Stammes zum nächsten huschen konnten.

»He, da drüben haben sich die Äste bewegt«, rief eine Stimme. »Dort!«

Jayge fluchte leise. Hoffentlich würden die Hunde erst hervorbrechen, wenn er und die anderen nahe genug heran waren, um sich die Ablenkung zunutze machen zu können. Thellas Männer - er zählte elf, nein, fünfzehn - näherten sich dem Baum von allen Seiten.

Dann stolzierte Thella nach vorne. Sogar im Dämmerlicht erkannte Jayge, wie sehr sich die Frau, die ihm und Aramina so viel Schmerz und Leid zugefügt hatte, seit der ersten Begegnung auf dem Karawanenpfad verändert hatte. Sie war zwar besser gekleidet, aber ebenso ausgemergelt wie ihre abgerissenen Helfershelfer, und das kurzgeschorene Haar umrahmte ein von Pockennarben und Entbehrungen entstelltes Gesicht.

»Aramina!« rief sie einschmeichelnd und spähte in die Äste hinauf. »Wir wissen, daß du dort oben bist.

Dein Mann und alle deine Freunde sind gefesselt und ohne Bewußtsein. Diesmal« - Thellas heiseres Lachen klang hämisch »stehen keine Drachen bereit, um dir zu helfen.«

Jayge schob sich näher heran und wog den Speer in der Hand. Er hatte sich einen bulligen Mann als Ziel gewählt, war aber für einen tödlichen Wurf noch zu weit entfernt. Nun sah er sich nach den anderen um.

Piemur und Jancis befanden sich links von ihm. Zu seiner Rechten glitt Swacky tief geduckt nach vorne, hinter ihm huschten Temma und Nazer wie Schatten dahin. Sie mußten alle noch näher heran. Wenn jeder einen Mann ausschaltete, blieben immer noch neun Gegner übrig. Aber vielleicht würden die Renegaten jetzt, da sie sich ihrer Beute sicher glaubten, in ihrer Wachsamkeit nachlassen und die Waffen senken. Mit einer Handbewegung zog er Swackys Blick auf sich und teilte ihm pantomimisch seine Anweisungen mit. Der Mann nickte.

»Ihr da - Obirt, Birsan, Glay«, befahl Thella. »Tragt ein paar herumliegende Äste zusammen. Ich weiß nicht, wie gut Fellis brennt, aber das werden wir sicher bald herausfinden.« Sie lachte gehässig. »Auch auf diese Weise kann man jemanden aus einem Baum holen, meint ihr nicht, Männer? Ich sehe schon vor mir, wie die Flammen knistern, wie sie rasch an der rissigen Borke emporzüngeln, wie dichter Rauch hochsteigt und den Bälgern den Atem nimmt, bis sie den Halt verlieren und in den Tod stürzen. Willst du das wirklich, Aramina?« Thella scherzte nicht mehr. »Komm herunter! Sofort! Nur so kannst du deine Kleinen vor dem Ersticken retten.«

Die drei angesprochenen Männer hatten die Waffen beiseite gelegt und sammelten Holz. Die anderen spähten weiter in den Baum hinauf und umkreisten ihn, ohne zu bemerken, wie die Siedler immer näher kamen.

Ein vierter Mann scharrte mit dem Fuß die trockene Moderschicht neben dem Stamm zu einem Haufen zusammen und kniete nieder, um Feuer zu machen.

Plötzlich fiel er vornüber auf das Reisig und erstickte die aufflackernde Flamme mit seinem Körper.

»Was zum…«, rief jemand. »He, Birsan hat ja ein Messer im Rücken!«

»Faßt!« schrie Jayge und sprang hinter seinem Baum hervor.

Er schleuderte seinen Speer auf den Rücken des Bulligen, schwenkte zur Seite und warf einen seiner Dolche nach dem nächsten Holzsammler. Ein Dolch sauste an seinem Ohr vorbei und bohrte sich mit einem dumpfen Laut in den Fellis-Stamm hinter ihm.

»Faßt!« wiederholte er und konnte nur hoffen, daß die Hunde gehorchen würden.

Hoch oben bewegten sich die Zweige, und dann kamen die Tiere herabgesprungen. Jayge hörte sie fauchen, während er auf Thella zurannte. Schreie, Flüche, Knurren und das Klirren von Metall erfüllten die Luft.

Sie erwartete ihn, ohne die Hilferufe eines Mannes zu beachten, der kaum einen Schritt von ihr entfernt auf dem Boden lag und sich verzweifelt gegen einen Hund wehrte, der ihm an die Kehle wollte. Jayge sah das arrogante Lächeln auf ihrem Gesicht - und dann ihren erhobenen Arm. Als ihre Hand nach vorne schoß, warf er sich zur Seite, hörte die Klinge durch die Luft schwirren, wo er gestanden, und in den Baum rasen, der ihm den Rücken gedeckt hatte. Ein dritter Dolch flog in ihre linke Hand, sie grinste ihn feindselig an und zog mit der Rechten ihr Schwert.

Jayge behielt die gekrümmte Schwertklinge und den geraden Dolch im Auge, als er sich näher heranschob, und wünschte sich einen zweiten Speer, der ihm größere Reichweite gewährt hätte. Sein eigenes Schwert fuhr schnarrend aus der Scheide, und er drehte es noch, um das Geräusch so laut und bedrohlich wie möglich klingen zu lassen. Thella konnte er damit nicht beeindrucken.

»Aha«, sagte sie, »es war offenbar ein Fehler, nur einen Wächter zurückzulassen. Wie bist du freigekommen? Ich habe dich nämlich eigenhändig gefesselt, mein kleiner Händler.« Sie umkreiste ihn langsam, die Spitze ihres Schwertes zuckte vor wie eine Katzenpfote, berührte klirrend Jayges Klinge, prüfte die Stärke seines Handgelenks.

»Hat dein Arm seine Kraft schon wiedergefunden?«

Wieder prallten die Klingen gegeneinander, Jayges Schwert ruckte zur Seite, seine mißhandelten Sehnen protestierten. Thellas Grinsen wurde noch breiter.

»Sieht nicht so aus. Trotzdem hätte ich meinen eigenen Rat befolgen und dir die Hände abhacken sollen, aber diese Tölpel haben deine Frau entwischen lassen.«

»Das war schon immer dein Problem, Thella - die Dinge gleiten dir aus der Hand. Vielleicht gilt das auch für Waffen.«

Jayge verstand nicht, warum sie ihn immer weiter umkreiste. Suchte sie etwa nach einem Fluchtweg? War ihre vielgerühmte Geschicklichkeit mit dem Schwert vielleicht auch nur ein Bluff?

»Das war dein letzter Fehler, Thella. Denn dies ist das Ende.

Diesmal entkommst du mir nicht mehr. Nicht hier.

Nicht jetzt!«

Sie brach aus der langsamen Kreisbewegung aus und führte einen jähen, heftigen Stoß - aber die Klingen schlugen hart aufeinander, es knirschte wie eine riesige mörderische Schere, als Thellas Abwehrbewegung erst in eine Parade und dann in eine Riposte überging und die stählerne Zunge ihres Schwertes direkt auf sein Gesicht zugetragen wurde. Jayge wich mit einem Satz zurück, verlor fast das Gleichgewicht und hörte ihr spöttisches Lachen. Blut rann ihm über die Wange, er spürte den Schnitt erst jetzt, als es ihm warm über das Kinn rieselte und sich ein brennender Schmerz vom Auge bis zum Mundwinkel ausbreitete.

»Sei dir nur nicht zu sicher, mein kleiner Grundbesitzer«, höhnte Thella. »Der erste Treffer geht auf mein Konto!«

»Nur Herzblut zählt.« Jayge ließ sein Schwert auf ihren Knöchelschutz niederkrachen und hoffte, daß sie zucken, daß sich die Waffe in ihrer Hand drehen, vielleicht sogar wegfliegen werde. Soviel Glück war ihm freilich nicht beschieden; sie ließ den Hieb an ihrer eigenen Klinge abgleiten, bis er seine Kraft verlor - und dann fuhr der Dolch in ihrer linken Faust auf sein Gesicht los, auf seine Kehle, seinen Unterleib, dreimal blitzte Metall auf und erinnerte ihn daran, wo ihre wahren Fähigkeiten lagen.

Jayge schlug die Dolchspitze mit dem Handschutz seines Schwerts beiseite und spürte, wie sie an seinen Kleidern zupfte. Das war knapp gewesen, viel zu knapp. Aber er brach nicht aus, wie Thella gehofft hatte, sondern drängte sie statt dessen zurück, zurück, immer weiter zurück, bis sie hart gegen den unnachgiebigen Stamm eines Fellisbaumes prallte. Ihre weitaufgerissenen Augen zeigten ihm, daß sie mit einer solchen Falle nicht gerechnet hatte, und er war darauf gefaßt, als sie versuchte, sich mit einer ganzen Serie brutaler Hiebe den Weg freizuschlagen, begegnete ihnen, wehrte sie ab und drängte Thella abermals mit dem Rücken gegen den Baum.

»Und dein Herzblut werde ich heute vergießen.«

Seine Spitze durchschlug ihre Deckung und hinterließ einen langen blutigen Streifen auf ihrem linken Arm. Der Dolch flog davon. »Das ist für Armald!« Wieder kam er auf sie zu, täuschte den geschwächten Arm an, drängte näher. Jetzt brachte er K'vans Messer ins Spiel, auch wenn es keinen Handschutz hatte, was ihn mehrere Finger kosten konnte. Die Schwerter verfingen sich an den Griffen, scharfes Metall stand über Kreuz, wurde mit schierer Kraft in dieser Stellung gehalten, während Jayges Dolch Thella den rechten Arm aufriß.

»Das ist für Borgalds bestes Gespann!«

Die nächste schnelle Finte lockte ihre Klinge weit von der Verteidigungslinie weg, das Messer in seiner Linken verschob sie noch weiter, und das Schwert in seiner Rechten fuhr über ihre ungedeckte Körpermitte.

»Und das ist für Readis!«

»Readis?« Schmerz und Überraschung ließen ihre Stimme zittern. »Was hast du mit Readis zu tun?«

»Er war mein Onkel, Thella. Mein Onkel!«

Jayge wich zurück und sah, wie ihr pockennarbiges Gesicht erbleichte, wie der Schock in Verzweiflung umschlug.

Sein Zorn schwächte sich ab, und er zwang ihn, von neuem aufzulodern, er mußte tun, was nötig war, um ein für allemal ein Ende zu machen.

Ist es nötig, Jayge? Ist es wirklich nötig? Die Stimme in seinem Kopf und in seiner Erinnerung gehörte Readis - aber die Stimme in seinen Ohren gehörte Aramina.

»Genug, Jayge! Sonst bist du nicht besser als sie.«

Jayge hatte seine Frau in sicherer Entfernung geglaubt und war völlig überrascht, sie dicht hinter sich zu hören, aber er ließ Thella nicht aus den Augen. Ihr Blick wanderte dagegen über seine linke Schulter, und ihr Gesicht verzerrte sich vor Haß. Ihre Augen flammten auf, sie wollte sich wie eine Rasende auf das Mädchen stürzen, das ihr stets entkommen war. Jayge stand ihr im Weg.

Er stieß mit aller Kraft zu, spürte den schrecklichen Rückstoß in Klinge, Hand und Arm, als sein gebogenes Schwert in Thellas Fleisch eindrang, mit der Schneide über eine Rippe schrammte und mit der Spitze ihr haßerfülltes Herz durchstieß. Ungerührt zog er die Klinge heraus.

Thellas Schwert flog durch die Luft, grub sich zu Araminas Füßen tief in die Erde und blieb zitternd stecken.

Mit einem leisen Seufzer brach die Renegatin in die Knie, eine Hand gegen die Brust gedrückt, wie um den schrecklichen Strom aufzuhalten, der rot durch ihre Finger quoll. Und dann sank sie zu Boden und regte sich nicht mehr.

Abermals senkte sich tiefe Stille über die Fellisbäume, nur unterbrochen von Jayges rasselndem Atem und vom Gewimmer der verletzten Menschen und Tiere.

Jayge war so damit beschäftigt, die Lungen gierig mit Luft zu füllen, daß er Alemi und die anderen Fischer auf der Lichtung erst allmählich wahrnahm. Sorgsam dem Dolch ausweichend, beugte Aramina sich zu Thella hinunter und betrachtete ihr Gesicht. Wortlos richtete sie sich auf, wandte sich Jayge zu und bemerkte erst jetzt die blutenden Wunden, die er bei dem Kampf davongetragen hatte.

»Das muß ausgewaschen werden, Jayge«, sagte sie seltsam gefaßt. »Und wir müssen uns um die Hunde kümmern.«

»Geh du nur, Jayge«, sagte Alemi. »Das hier erledigen wir.«

Seine Handbewegung beförderte Thella und ihre toten Komplizen ins Reich des Vergessens.

***

Lessa und F'lar trafen zwei Stunden später, unmittelbar nach Ende des Sporenregens ein. Wie erwartet, mußte K'van sich von der Weyrherrin eine geharnischte Strafpredigt anhören, weil er sich in einen Grundbesitzerstreit eingemischt hatte.

»Auch wenn ich gewußt hätte, worum es ging, als Heth mich anschrie, ich hätte nicht anders gehandelt, Lessa«, verteidigte K'van sich tapfer, doch Piemur sah, daß der junge Weyrführer unter seiner Sonnenbräune ziemlich blaß geworden war. »Ein Reiter überhört den Ruf seines Drachen nicht.«

»Ein Reiter achtet vor allem darauf, daß sein Drache sich nicht selbst gefährdet«, gab die Weyrherrin zurück, »Und schon gar nicht seinen ganzen Weyr! Haben Sie Ihre Stellung vergessen, Weyrführer des Südens?«

»Nein«, erklärte K'van. »Ebensowenig wie Heth.«

»Wenigstens waren Sie so vernünftig, die Einmischung des Weyrs auf diese eine Rettung zu begrenzen.« F'lars Miene war nicht weniger grimmig als die der Weyrherrin. »Jayge hat die Sache ehrenvoll beendet.«

Die Weyrführer hatten sich die tote Frau angesehen, die man wie die anderen Renegaten in einen Sack gesteckt hatte, um sie sofort auf See zu bestatten.

»Damit wäre dieses Problem erledigt«, sagte Lessa stirnrunzelnd und entledigte sich ihrer schweren Reitkleidung. »Haben die Renegaten hier alles zerstört, oder müssen wir nach Benden zurückfliegen, um eine Erfrischung zu bekommen?« fragte sie dann gereizt. Sie war nach dem anstrengenden Fädenkampf müde und verschwitzt, und diese neue Krise hatte ihr gerade noch gefehlt.

»Nein, das ganz gewiß nicht«, sagte Jancis und nahm Lessa die Jacke ab. »Wir haben Rotfrüchte, Saft, Klah und Jayges Selbstgebrannten Fusel anzubieten, und wenn Sie so lange Zeit haben, gibt es gebratenen Fisch frisch aus dem Meer.«

Dieses gastfreundliche Angebot zauberte ein Lächeln auf Lessas Züge, zögernd zuerst, doch zunehmend gelöst, als Jancis sie die Verandatreppe hinaufführte. Die erste Abendbrise hatte die drückendste Hitze vertrieben, und im Haus war es angenehm kühl.

»Was hatte Jayge an Verlusten zu beklagen?« fragte F'lar.

»Niemand aus der Siedlung wurde schwer verletzt - hauptsächlich Beulen, Prellungen, oberflächliche Schnittwunden und Blutergüsse«, zählte Jancis auf, »hier und da mußte Ara freilich ein paar Stiche setzen. Sie näht sehr geschickt.«

»Und die Renegaten?« fragte Lessa und nippte an dem Becher, den Jancis ihr gereicht hatte.

»Sechs sind noch am Leben, alle schwerverletzt.«

Jancis' Stimme klang befriedigt. »Einer von ihnen hat das Schiff gesteuert, mit dem sie hierherkamen.«

»Das sollte Meister Idarolan erfahren.«

Lessa verzog das Gesicht. »Er mag es gar nicht, wenn seine Meister ihre Treuepflichten vergessen.«

»Der Mann war kein Meister, Lessa.«

Piemur war herangetreten. Mit seinem Kopfverband, den blauen Flecken im Gesicht und den diversen kleineren, mit Heilsalbe zugekleisterten Hautabschürfungen bot er einen verwegenen Anblick.

»Du solltest dich doch ausruhen«, schalt Jancis.

Er nahm ihre Hand und grinste sie an.

»Harfner sind berüchtigt für ihre harten Schädel.«

»Und für ihre dicke Haut«, spottete Lessa gutmütig.

»Typisch Thella, einen unzufriedenen Gesellen aufzustöbern, dem man die Meisterwürde verweigert hatte und der bereit war, seine Gildehalle zu entehren«, fuhr Piemur fort. »Sie hat ihn auch dazu angestiftet, das Schiff aus dem Reparaturdock zu stehlen. Meister Idarolan wird sich freuen, an ihm ein Exempel statuieren zu können.«

»Und die anderen?« fragte F'lar.

»Heimatlose.« Piemur zuckte die Achseln. »Denen man eine Belohnung und ein bequemes Leben im Süden versprochen hat.« Er ließ sich vorsichtig neben Jancis auf der breiten Liege nieder.

»Sie können mit dem Schiff zurückfahren«, sagte F'lar. »Danach soll Meister Idarolan bestimmen, wo er jemanden für niedere Arbeiten braucht.«

»Aber damit ist das Renegatenproblem nicht aus der Welt geschafft, F'lar.« Lessa runzelte die Stirn.

»Gewiß, aber wenn über Thellas Tod ausführlich genug berichtet wird« - F'lar warf einen vielsagenden Blick auf Piemur -, »wird das die Unentschlossenen abschrecken und uns anderen eine Atempause verschaffen.«

»Ich werde dem Meisterharfner - den beiden Meisterharfnern - in aller Ausführlichkeit Bericht erstatten«, versprach Piemur augenzwinkernd.

Lessa fuhr gereizt auf. »Robinton ist kaum weniger ein Renegat als…«, rief sie, stockte, um sich einen passenden Vergleich zu überlegen, und heftete ihren Blick schließlich mit einem verschmitzten Lächeln auf Piemur. »Als Sie, Geselle!«

»Ein wahres Wort.« Piemur grinste breit.

Lessa hatte schon den Mund geöffnet, um noch mehr zu sagen, aber sie brach ab, denn nun betrat Jayge, noch mehr angeschlagen, verbunden und zugekleistert als Piemur, zusammen mit der ängstlich dreinblickenden Aramina den Raum.

Lessa begrüßte die junge Frau sehr herzlich und zeigte sich erfreut darüber, daß Aramina ihre Fähigkeit, mit Drachen in Kontakt zu treten, wiedergefunden hatte. Auf das kurze Weyr-Engagement ging sie nur sehr zurückhaltend ein und beteuerte dafür umso wortreicher, wie erleichtert alle Welt über Thellas Niederlage sein würde. Auf Befragen stellte sich heraus, daß Aramina Ramoth und Mnementh bei ihrem Eintreffen nicht wahrgenommen hatte - unbegreiflich, wie Lessa freundlich sagte, da beide Drachen sehr erregt gewesen seien.

»Aber die Feuerechsen kann ich hören«, verteidigte sich Aramina, und Piemur stellte erfreut fest, daß Lessa auf die Erwähnung der kleinen Geschöpfe diesmal nicht mit ihrer gewohnten Bissigkeit reagierte. »Und gelegentlich höre ich auch jemand - etwas anderes.

Was immer es ist, es klingt sehr traurig, und deshalb bemühe ich mich eher, es nicht zu hören.«

Trotz sanften Drängens konnte sie darüber nichts Genaueres sagen, aber Lessa nahm ihr das Versprechen ab, sich in Zukunft wieder den Drachen zu öffnen.

»Wir wollen nicht etwa in dein Leben eingreifen, meine Liebe, es geht lediglich darum, in Verbindung zu bleiben. Du wirst zugeben, daß sich das heute als sehr wertvoll erwiesen hat.

Wir haben diese Phase noch nicht einmal zur Hälfte überstanden«, mahnte Lessa, als die Weyrführer sich verabschiedeten, »und wir brauchen gute Frauen für unsere Königinnen. Ich und Ramoth hatten gehofft, dich in unsere Reihen aufnehmen zu können, aber vielleicht wird deine kleine Tochter… Die Fähigkeit ist nämlich erblich, und auch du bist eine Ruatha, Mina!«