KAPITEL VIII 

21.3.43-22.3.43

Ich war am nächsten Morgen etwas verwirrt, wie die meisten Menschen, die an einem fremden Ort erwachen, und brauchte eine Weile, bis ich erkannte, daß ich mich nicht in meinem Zimmer auf Burg Fort befand. Es war die Stille, eine beinahe greifbare Stille, die mich mehr beunruhigte als die leicht veränderte Umgebung. Dann dämmerte mir, worin der Unterschied bestand: Ich hörte keine Trommeln. Ich stand auf, zog mich an und begann meinen ersten vollen Arbeitstag auf Ruatha.

Als ich gerade Klah und eine Schale heißen Brei frühstückte, traf Desdra mit M'barak ein. Wir liefen ins Freie, denn Arith war wieder schwer mit Glasgefäßen beladen - großen Zierflaschen, aber auch mit kleineren Haushaltsgläsern für das kostbare Serum.

Ich fand keine Möglichkeit, ein paar Worte mit Desdra zu wechseln, denn Alessan winkte mich und die beiden Brüder zu sich, und wir begaben uns zu den Rennern, um den nächsten Schritt der Serumherstellung in die Wege zu leiten.

Entweder waren die Tiere noch apathisch von der eben überstandenen Krankheit, oder man hatte sie gut abgerichtet; jedenfalls konnten wir immer zwei zugleich von der Weide in die Stallungen führen. Nach kurzer Zeit waren alle Boxen besetzt, und Alessan zeigte uns, wie man von der Halsschlagader der Tiere Blut abnahm. Die Renner ließen sich die Behandlung gutmütig gefallen. Ich tat mich mit Sal zusammen, und als ich merkte, daß es ihm schwerfiel, den Nadeldorn einzustechen, übernahm ich diese Arbeit und bat ihn, die Köpfe der Tiere während der Blutabnahme festzuhalten.

Es war Mittag, als wir uns alle vierundzwanzig Renner vorgenommen hatten. Wir brachten die Ausbeute des Vormittags in den Großen Saal und sahen zu, wie die Glasbehälter mit dem Blut auf den Wagenrad-Konstruktionen befestigt wurden. Ich war sicher nicht die einzige, die beim Anblick dieser provisorischen Zentrifugen Skepsis empfand. Aber Desdra strahlte eine solche Zuversicht und Ruhe aus, daß niemand ihre Anordnungen in Frage stellte. Sobald sie sich vergewissert hatte, daß die Gefäße nicht verrutschen konnten, winkte sie den Männern an den Handkurbeln zu, und die Zentrifugen begannen sich gleichmäßig zu drehen. Mir kam flüchtig in den Sinn, wie der Große Saal aussehen würde, wenn sich auch nur ein Behälter von der Vorrichtung löste. Doch die anderen Zuschauer wirkten so voller Hoffnung, daß ich den Gedanken rasch verdrängte.

Oklina kam und verteilte Suppe und warmes Fleisch mit Brot. Wir saßen dichtgedrängt an einem langen Schragentisch, als sich Desdra zu uns gesellte und die Lage erläuterte. Nur eine sofortige Massenimpfung der bedrohten Renner konnte verhindern, daß sich die Seuche erneut ausbreitete. Jeder auf Ruatha mußte seinen Beitrag leisten, damit die Krankheit ein für allemal zum Stillstand gebracht wurde. Es herrschte nachdenkliches Schweigen, als die Heilerin mit ihren Ausführungen fertig war.

Während im Großen Saal die Zentrifugen arbeiteten, um das Serum vom Blut zu trennen, kehrten Pol, Sal und ich zu den Stallungen zurück, um nach den Patienten zu sehen. Dag war gerade dabei, Kleie mit Wein und Kräutern zu vermischen. Der alte Mann behauptete, daß dieses Kraftfutter die Blutbildung seiner Schützlinge unterstützen werde. Wir warteten, bis die Tiere gefressen hatten. Dann striegelten wir ihr Fell und befreiten Mähnen und Schwänze von Kletten und getrockneten Schlammklümpchen.

Obwohl Dags rechtes Bein geschient war, arbeitete er tüchtig mit. Und was er selbst nicht schaffte, erledigte sein Enkel Fergal für ihn, ein vorlauter kleiner Schlingel, der keinerlei Respekt kannte. Er schien die Renner als sein Eigentum zu betrachten, und jeder, der den Stall betrat, bekam sein Mißtrauen zu spüren - auch Alessan, der gekommen war, um sich nach dem Befinden der Tiere zu erkundigen. Die einzige Person, der Fergal bedingungslos gehorchte, war Oklina, während er die Befehle aller anderen mit unverschämten Fragen unterlief. Seinen Großvater Dag betete er an. Ganz offensichtlich hielt er den krummbeinigen Alten für unfehlbar. Und trotz aller Aufmüpfigkeit schien er die Tiere sehr zu lieben. So kümmerte er sich rührend um eine trächtige Stute, die jeden Moment fohlen konnte. Wenn er in ihre Nähe kam, spitzte sie die Ohren und stieß ihn mit der Schnauze an, als suchte sie Trost bei ihm.

»Das erste Serum ist gleich fertig«, verkündete Alessan. »Wollt ihr es sehen?«

Nur Fergal und ich zeigten Interesse. Pol und Sal lümmelten auf den Strohballen, plauderten mit Dag und schüttelten träge die Köpfe.

Was mich am meisten verblüffte, war die strohgelbe Farbe der Flüssigkeit, die sich beim Schleudern von den Blutplättchen getrennt hatte. Als wir zu den Zentrifugen kamen, füllte Desdra das Serum gerade vorsichtig in kleinere Behälter ab. Sie erklärte, daß man bei diesem Vorgang auf keinen Fall den dunklen Bodensatz aufwirbeln durfte. Außerdem sollte man für jedes Glas einen frischen Nadeldorn nehmen, um die Gefahr einer Verschmutzung möglichst gering zu halten. Ich sah ihr eine Weile zu und half ihr dann. Andere folgten meinem Beispiel.

»Heute nachmittag bekommen wir sicher neue Flaschen«, erklärte Tuero. »M'barak versprach, nach dem Sporenkampf verschiedene Burgen und Gehöfte aufzusuchen.« Er hatte uns mit seinen Worten aufmuntern wollen, aber wir stöhnten nur bei dem Gedanken an die zusätzliche Arbeit.

»Wieviel von dem Zeugs da brauchen wir eigentlich?« wollte Fergal wissen. Er warf einen Blick auf die Weide, wo seine geliebten Renner grasten.

»Genug, um die Stuten und Fohlen der Restherden in Keroon, Telgar, Fort, Boll, Igen und Ista zu impfen«, entgegnete Alessan. Ich unterdrückte einen Seufzer, als ich an die Serummengen dachte, die dazu nötig waren.

»Ista züchtet gar keine Renner«, widersprach Fergal streitsüchtig. »Das ist doch eine Insel.«

»Die Seuche gelangte auch nach Ista und befiel Menschen und Tiere«, erklärte Tuero, als Alessan nicht antwortete. »Aber Keeron und Telgar stellen das Serum selbst her. Ruatha muß nicht für alle sorgen.«

»Ruatha tut sein Bestmögliches«, murmelte Alessan, als habe er Tueros Bemerkung nicht gehört. »Das sind wir Pern schuldig. Ich hoffe, daß unser Serum vielen Rennern hilft. Kehren wir an unsere Arbeit zurück!«

Also machten wir weiter. Die Genesenden arbeiteten im Sitzen. Sie spülten Glasflaschen, verstöpselten die Serumbehälter und betteten sie in Korbgeflechte. Die Jüngsten verrichteten Botengänge oder schleppten zu zweit die Serumkisten in die Kühlräume.

Meine Aufgabe blieb es zunächst, den Rennern Blut abzuzapfen. Hin und wieder entrann ich dem durchdringenden Rotwurzgestank, wenn ich meine jeweiligen Patienten - oder Opfer? - zurück auf die Weide führte und die nächsten Tiere einfing. Dag hatte die ›Blutspender‹ mit Farbe markiert, damit wir nicht versehentlich zweimal die gleichen Tiere behandelten. Das wäre bei ihrem geschwächten Zustand lebensgefährlich gewesen. Auf dem Weg zur Weide hatte ich Gelegenheit, mir ein genaueres Bild von dem ›verwüsteten‹ Ruatha zu machen - wie Alessan es nannte. Meiner Ansicht nach ließen sich die meisten Schäden ohne großen Zeit- und Kraftaufwand beheben. Ich begann Pläne zu schmieden und Strategien zu entwerfen, wie man die stattliche Burg wieder auf Hochglanz bringen könnte - bis mir einfiel, daß ich als Pflegerin hierhergekommen war und nicht als die Tochter eines Burgherrn.

Am späten Vormittag erreichten uns die ersten Trommelbotschaften. Wir erfuhren, welche Burgen und Weyr wieviel Serum benötigten und welche Drachenreiter die vorbereiteten Mengen abholen würden. Alessan war der Ansicht, daß man die Zahlen genau aufschreiben müsse, aber er brauchte Tuero, den Harfner, für wichtigere Dinge.

»Dann soll Rill das übernehmen«, meinte Desdra trocken.

»Verstehst du denn die Trommelbotschaften, Rill?« fragte Alessan ein wenig überrascht. Das Ganze kam so unverhofft, daß ich nicht wußte, was ich entgegnen sollte. Ich war nämlich zu der Überzeugung gelangt, daß Desdra in der verschwitzten schmutzigen Rill mit dem kurzgeschorenen Haar nie und nimmer Lady Nerilka von Fort vermuten würde.

»Ich nehme an, daß sie sogar die Geheimcodes kennt - habe ich recht, Rill?« Desdra war mehr als direkt, aber zum Glück erläuterte sie nicht näher, weshalb sie so gut über mich und meine Fähigkeiten Bescheid wußte. »Zwischen den Botschaften kann sie beim Abfüllen des Serums helfen. Es ist gut, wenn sie ein wenig zum Sitzen kommt, denn sie hat ein paar anstrengende Tage hinter sich.«

Ich schloß aus diesen Worten, daß Desdra mit meiner Arbeit hier und im Lazarett zufrieden war und nichts gegen meinen Entschluß einzuwenden hatte. Zu meiner Erleichterung stellte Alessan keine weiteren Fragen, obwohl es ihn sicher wunderte, daß eine einfache Pflegerin den geheimen Harfnercode verstand. Und ich war tatsächlich dankbar für die Möglichkeit, mich eine Weile hinzusetzen. Woher Alessan seine Energie nahm, kann ich nicht sagen. Aber ich begriff nun, warum Suriana ihn bewundert und geliebt hatte. Er verdiente allen Respekt, und ich entdeckte ständig neue Züge an ihm, die mich begeisterten. Eine innere Kraft trieb ihn vorwärts. Irgendwie spürte ich, daß es Alessan gelingen würde, Ruatha wieder aufzubauen, auch wenn im Moment alles dagegen sprach. Er würde dafür sorgen, daß neues Leben in die Hütten und Höfe kam, daß auf den Feldern neue Ernten heranreiften und sich auf den Weiden wieder die Herden tummelten. Und ich hatte den Wunsch, hierzubleiben und ihm dabei zu helfen.

Ich merkte, daß ich unterbewußt die Organisation des Burghaushalts übernahm, so wie ich es auf Fort getan hatte. Ich gab dem Gesinde Anweisungen und zeigte ihnen, daß man so manche Arbeit wirksamer erledigen konnte, wenn man sie nur richtig anpackte.

Oklina wirkte ungemein zart und zerbrechlich, aber sie schuftete nicht weniger hart als ihr Bruder. Mich erschreckte die Fülle ihrer Pflichten, denn auf Fort hatte sich die Last der Arbeit stets auf mehrere Geschwister verteilt. Wann immer ich konnte, unterstützte ich sie. Sie war kein hübsches Mädchen - und Spötter werden behaupten, daß ich mich deshalb zu ihr hingezogen fühlte -, denn die dunklen rassigen Züge, die ihrem Bruder so gut standen, ließen sie etwas herb erscheinen.

Aber sie war außergewöhnlich anmutig, mit einem bezaubernden Lächeln und großen ausdrucksvollen dunklen Augen, die oft gedankenverloren in die Ferne gerichtet waren. Mehr als einmal ertappte ich sie dabei, daß sie nach Nordwesten starrte, und ich überlegte, ob sie vielleicht verliebt war. Sicher konnte sie einen Mann glücklich machen, auch wenn sie noch sehr jung war, und ich hoffte nur, daß Alessan sie nicht an Ruatha zu binden versuchte, wenn ein tüchtiger Baron oder Hofbesitzer um ihre Hand anhielt. Obwohl Ruatha im Moment arm war - das Geschlecht hatte eine ruhmreiche Vergangenheit und einen großen Namen. Und jeder mußte anerkennen, daß Alessan und Oklina sich alle Mühe gaben, das Leid wiedergutzumachen, das durch die Seuche auf Ruatha über ganz Pern gekommen war. Wir arbeiteten weiter, aßen hastig einen Teller Suppe oder ein Stück Brot mit Fleisch und packten die nächste dringende Aufgabe an. Jemand hatte frisches Obst gebracht - ein Drachenreiter, wenn ich mich nicht täusche. Oklina stiegen Tränen in die Augen, als sie die Melonenscheiben sah. Ich bezweifelte, daß es das Geschenk an sich war, das sie so rührte. Dann bemerkte ich, daß auch Alessan die Früchte mit einem versonnenen Lächeln betrachtete. Doch ehe ich mir einen Reim darauf machen konnte, stand er auf, eine Scheibe Brot in der einen und ein Stück Melone in der anderen Hand, und ging wieder an seine Arbeit. Trommeln dröhnten, und ich mußte auf die Botschaft achten, die Ruatha erreichte.

In der hektischen Betriebsamkeit verlor die Zeit ihre Bedeutung. Am dritten Tag nach meiner Ankunft auf Ruatha befand sich ein Großteil der Helfer gerade bei einem verspäteten und wohlverdienten Abendessen, als Alessan, Desdra und Tuero plötzlich von ihren Karten und Tabellen aufschauten und lautes Freudengeheul anstimmten.

»Wir haben es geschafft, Freunde!« rief Alessan. »Wir besitzen genug Serum, um selbst den einen oder anderen Transportschaden zu verkraften! Das muß gefeiert werden! Oklina, Rill - holt vier Flaschen vom Besten aus meinem privaten Weinkeller!«

Er warf seiner Schwester einen langen zierlichen Schlüssel zu, den sie geschickt auffing. Sie packte mich an der Hand und zog mich lachend an Küche und Kühlraum vorbei zu den tiefer gelegenen Vorratskammern.

»Er muß wirklich erleichtert sein, denn von seiner Lieblingsmarke trennt er sich selten.« Oklina kicherte. »Die trinkt er nur bei ganz besonderen Gelegenheiten.« Plötzlich glitt ein Schatten über ihre Züge. »Ich hoffe, daß es bald wieder dazu kommt«, fügte sie geheimnisvoll hinzu. »Er wird gar keine andere Wahl haben.« Sie blieb stehen. »Da sind wir schon.«

Als sie die niedrige Tür geöffnet hatte, warf ich einen verblüfften Blick auf die Weinschläuche und hohen Flaschenregale. Im schwachen Licht, das vom Korridor hereindrang, glaubte ich das Benden-Etikett zu erkennen. Rasch staubte ich eine der Flaschen ab.

»Es ist tatsächlich der Weiße von Benden!« rief ich.

»Du hast schon mal Benden-Wein getrunken?«

»Nein, natürlich nicht.« Tolocamp hätte so einen guten Tropfen niemals an seine Töchter verschwendet. Für uns war der saure Rote von Tillek gerade gut genug. »Aber ich habe davon gehört.« Ich bemühte mich um einen leichteren Tonfall. »Ist er wirklich so gut, wie man immer behauptet?«

»Das kannst du gleich selbst probieren, Rill.«

Sie sperrte die Tür wieder zu und reichte mir zwei der Flaschen.

»Kommst du eigentlich von der Heiler-Halle, Rill?«

»Nein, nein.« Ich brachte es nicht fertig, Oklina anzulügen, obwohl ich befürchtete, in ihrer Achtung zu sinken. »Ich habe mich freiwillig zur Pflege der Kranken gemeldet, weil ich daheim nicht mehr gebraucht wurde.«

»Oh - ist dein Mann etwa auch an der Seuche gestorben?«

»Ich habe keinen Mann.«

»Nun, Alessan wird dich schon verheiraten. Das heißt - natürlich nur, wenn du auf Ruatha bleiben willst. Du hast uns unheimlich geholfen, Rill, und du scheinst eine Menge von den Wirtschaftsangelegenheiten einer Burg zu verstehen. Ich meine, wir werden ganz von vorn anfangen müssen. Unsere besten Leute sind tot, und viele Höfe stehen leer. Alessan will das Land unter den Tüchtigsten der Besitzlosen verteilen, aber wir wären froh, wenn wir ein paar Leute um uns hätten, die wir bereits kennen und denen wir vertrauen. Ach, Rill, es fällt mir schwer, um den Brei herumzureden. Alessan hat mich gebeten, dich ein wenig auszuhorchen, ob - ob es dir Spaß machen würde, auf Ruatha zu leben. Er hat große Achtung vor dir. Tuero wird ebenfalls bleiben - obwohl er sich immer noch mit Alessan um sein Gehalt und die Zusatzleistungen streitet.«

Wir lachten beide. Wann immer sich Tuero und der Burgherr begegneten, kamen sie auf dieses Thema zu sprechen. Tuero war mit anderen Musikanten zum Fest von Ruatha gekommen, um mit dem Harfner der Burg zum Tanz aufzuspielen. Er war der einzige Überlebende seiner Gilde geblieben. Alessan wollte ihn behalten, und seit Tuero das wußte, stellte er - natürlich im Spaß - ständig neue Bedingungen.

Als wir zurückkehrten, hatten die Männer die Zentrifugen sowie die großen Glasballons in eine Ecke des Großen Saals geschafft und dort gestapelt. Alessan und Tuero räumten den großen Tisch frei, wo wir bis jetzt unsere hastigen Mahlzeiten eingenommen hatten. Dag und Fergal brachten das dampfende Stew aus der Küche, Desdra schleppte Brote und eine große Holzschale mit Obst und Käse an, und Folien holte die Becher und einen Korkenzieher.

Draußen hörten wir die gedämpften Stimmen der Helfer, die während der vergangenen zwei Tage kaum einmal zur Ruhe gekommen waren und sich nun zum erstenmal entspannten.

Wir selbst saßen zu acht am Tisch, eine bunt zusammengewürfelte Gruppe - der ›harte Kern‹ von Alessans Arbeitsmannschaft. Das Wissen, daß wir eine nahezu unmögliche Herausforderung geschafft hatten, machte uns alle zu Freunden. Sogar Fergal schlossen wir ein, obwohl der Bengel einen Becher Benden-Wein mit solcher Entschiedenheit ablehnte, daß Alessan fast gekränkt war. Ich hätte wetten mögen, daß der Junge genau wußte, welche Ehre er da ausschlug. Er gehörte zu denen, die bereits naseweis auf die Welt kommen und denen absolut nichts verborgen bleibt. Mir gefiel Fergal - trotz seiner Frechheit und seiner mißtrauischen Art gegenüber allen Erwachsenen.

Das Abendessen machte mich sehr glücklich. Alessan hatte neben mir Platz genommen, und ich fand seine Nähe höchst beunruhigend. Da wir sehr eng zusammengerückt waren, blieb es nicht aus, daß wir uns gelegentlich berührten, und dann klopfte mein Herz zum Zerspringen. Ich merkte, daß ich etwas zu laut und schrill lachte, wenn Tuero seine Spaße machte. Vielleicht war ich überreizt von der Arbeit, oder der hervorragende Benden-Wein vernebelte mir den Kopf.

Dann wandte sich Alessan mir zu und schlang einen Moment lang den Arm um meine Schultern. Meine Haut begann zu kribbeln.

»Nun, wie findest du den Benden-Weißen, Rill?«

»Er macht mich schwindlig«, entgegnete ich rasch. Falls er mein sonderbares Benehmen bemerkt hatte, akzeptierte er den Wein vielleicht als Ausrede.

»Das ist nicht weiter schlimm. Entspann dich! Das haben wir uns redlich verdient.«

»Sie mehr als alle anderen, Alessan.«

Er zuckte mit den Schultern und starrte in seinen Becher. Um uns wogte reges Stimmengewirr und Gelächter. »Ich tue, was getan werden muß«, entgegnete er leise.

»Für Ruatha«, murmelte ich.

Er schaute mich überrascht an, und in seinen eigenartig grünen Augen schimmerte Wärme. »Du scheinst das Wesentliche zu sehen, Rill. War ich in den letzten Tagen ein strenger Zuchtmeister?«

»Ruatha verdient es, daß man sein Letztes gibt.«

»Das hier«, - er deutete auf die Zentrifugen und die leeren Gläser -, »geschah nicht für Ruatha.«

»O doch! Sie haben es selbst gesagt. Ruatha tut sein Bestmögliches… das sind wir Pern schuldig!«

Er wirkte ein wenig verlegen, aber sein Lächeln verriet Wärme, und ich glaube, daß ihm meine Antwort gefiel.

»Ruatha wird die Krise überwinden, davon bin ich überzeugt.« Ich fand es am sichersten, über Ruathas Zukunft zu sprechen.

Über Alessans Züge huschte ein sonderbarer Ausdruck. »Dann hat Oklina mit dir gesprochen? Du überlegst dir meine Bitte?«

»Ich würde gern auf Ruatha bleiben. Die Epidemie hat mein Leben grundlegend verändert.«

Seine warmen kräftigen Finger legten sich auf meine, und er drückte mir mitfühlend die Hand. »Und welche Bedingungen stellst du, Rill, um unseren Kontrakt zu festigen?« Er warf einen amüsierten Blick in Richtung Tuero.

Seine Frage kam so unerwartet, daß ich nicht recht wußte, was ich antworten sollte. Mein einziger Gedanke war, daß sich mein sehnlichster Wunsch erfüllt hatte. So begann ich zu stammeln, und Alessan nahm wieder meine Hand.

»Denk in Ruhe darüber nach, Rill, und sag es mir später. Du wirst sehen, daß ich meine Leute gut behandle.«

»Ich hatte es auch nicht anders erwartet.«

Er lachte über den Nachdruck meiner Worte, und dann besiegelten wir unseren Kontrakt in traditioneller Weise mit einem Glas Wein - auch wenn meine Kehle so zugeschnürt war, daß ich kaum einen Schluck herunterbrachte. Wir aßen etwas Käse und Brot und wandten uns wieder den anderen zu, die in eine lebhafte Diskussion vertieft waren.

»Ich war nicht gerade begeistert von diesem Meister Balfor, Baron Alessan«, murmelte Dag, ohne den Blick von seinem Weinglas zu heben. Er sprach von dem Mann, der sich im Moment um die Herden von Keroon kümmerte.

»Noch ist er nicht in seinem Amt als Herdenmeister bestätigt«, entgegnete Alessan knapp. Ich konnte spüren, daß er zu müde war, um mit dem Alten ein Streitgespräch anzufangen, ganz besonders nicht in Gegenwart von Fergal, der ständig Dinge aufzuschnappen versuchte, die nicht für ihn bestimmt waren.

»Er besitzt als einziger den Meistertitel, aber ihm fehlt die Erfahrung.«

»Er hat bisher alles getan, was Meister Capiam von ihm verlangte«, stellte Tuero nach einem Seitenblick auf Desdra fest.

»Ah, es ist traurig, wie viele tüchtige Männer und Frauen den Tod fanden.« Dag hob sein Glas zu einem stummen Toast.

»Und wie viele Geschlechter ganz ausstarben! Wenn ich an die Rennen denke, die Squealer nun ohne jede Konkurrenz bestreiten soll…« Dag machte eine Pause und fuhr dann fort: »Runel ist auch tot, nicht wahr? Wurden alle seine Nachkommen ausgelöscht oder…?«

»Der älteste Sohn und seine Familie leben ganz in der Nähe.«

»Gut. Wir werden sein Gedächtnis brauchen. Aber jetzt muß ich einen Blick auf die braune Stute werfen. Sie könnte heute nacht fohlen. Komm mit, Fergal!« Dag nahm die Krücken, die Tuero ihm angefertigt hatte, und stemmte sich hoch. Einen Moment lang machte Fergal ein mürrisches Gesicht.

»Ich begleite Sie gern«, erklärte ich und stützte den Alten ein wenig. »Eine Geburt ist immer ein schönes Ereignis.« Ich sehnte mich nach der frischen Nachtluft. Der Benden-Wein hatte meine Gedanken vernebelt. Außerdem machte mich Alessans Nähe nervös.

Mein Herz war am Überfließen, und wirres Zeug schoß mir durch den Kopf. Ich wollte Alessan weder durch übertriebene Dankbarkeit noch durch irgendwelche Treuebekundungen in Verlegenheit bringen, obwohl ich das starke Bedürfnis hatte, ihm eben diese Gefühle mitzuteilen. Durch einen verrückten Zufall war ein Wunder geschehen: Er hatte mich eingeladen, auf Ruatha zu bleiben. Ich verdrängte Alessans prosaische Beweggründe: Man brauchte mich, man vertraute mir, und Ruatha mußte von Grund auf erneuert werden. Ich wollte nicht über die Argumente nachdenken, die Oklina erwähnt und Alessan verschwiegen hatte. Mir reichte es, auf Ruatha leben zu können. Ich würde in seiner Nähe sein, an dem Ort, der in meinen Tagträumen seit langem eine zentrale Rolle spielte. Hier war Suriana glücklich gewesen. Und nun bekam ich die völlig unerwartete Chance, dafür zu sorgen, daß auf Ruatha das Glück wieder seinen Einzug hielt.

Fergal trat an die andere Seite seines Großvaters. Er duldete es nicht, daß ihm jemand den alten Mann abspenstig machte.

Die Nacht war klar und frisch, und ich spürte den Geruch des Frühlings in der Luft. Wir nickten den Leuten zu, die vor dem offenen Feuer im Hof und im Schatten der Hütten saßen. Ich trug einen Leuchtkorb, der uns den Weg erhellte, obwohl wir inzwischen jeden Stein und jede Stufe der Stallungen kannten. Fergal lief voraus.

»Wenn sie bis Mitternacht nicht gefohlt hat, wird es eine harte Geburt«, meinte Dag. »Dabei brauchen wir so dringend noch einen kleinen Hengst.«

»Wer ist der Vater des Fohlens?«

»Eines der kräftigsten Lasttiere, die der alte Baron Leef züchtete. Wenn wir einen Hengst bekommen, bleibt diese Linie erhalten. Sie gehen nicht fort von hier, Rill, oder?« Dag war es gewohnt, direkte Fragen zu stellen.

Ich schüttelte stumm den Kopf. Die Freude und Erleichterung über die gute Wende in meinem Schicksal waren zu kostbar, als daß ich darüber viele Worte verlieren wollte. Dag nickte kurz und fuhr sich mit den Fingern durch das struppige Haar.

»Wir brauchen jetzt tüchtige Leute. Gibt es da, wo Sie herkommen, noch mehr von Ihrer Sorte?« Er musterte mich von der Seite.

»Nicht daß ich wüßte«, entgegnete ich freundlich, in der Hoffnung, damit seine Neugier zu befriedigen. Wir hatten in den vergangenen zweieinhalb Tagen nicht viel Zeit für persönliche Gespräche gefunden. Nun sah ich, daß ich mir eine einigermaßen plausible Vergangenheit zurechtbasteln mußte.

»Nicht jede Frau kennt sich so gut in Haus und Stall aus. Waren Sie vor der Seuche auf einem größeren Gut?«

»Ja - und es macht mich traurig, an all die zu denken, die ich verloren habe.«

Vielleicht genügte dieser Hinweis, um ihn von weiteren Fragen abzuhalten. Etwas in meinem Innern sperrte sich dagegen, Lügen zu verbreiten. Ich seufzte. Eines Tages würde die Wahrheit sicher ans Licht kommen, aber bis dahin wollte ich auf Ruatha so fest verwurzelt sein, daß man mir sowohl meine Herkunft wie meinen Schwindel verzieh.

Zum Glück hatten wir die Stallungen erreicht. Pol und Sal saßen auf Strohballen vor der Box der Stute und reinigten eines der Ledergeschirre, die sie von den halbzerstörten Wagen des Festplatzes geholt hatten. Pol reichte Fergal eine mit Grünspan überzogene Messing-Brustplatte. Der Junge schaute fragend zu Dag, und als der nickte, schnitt er Pol eine Grimasse. Aber er setzte sich hin und begann das Teil mit einem Tuch zu polieren. Dag und ich nahmen ebenfalls auf den Strohballen Platz und beschäftigten uns mit den Lederriemen.

»Bestrums Zweitältester sucht Ackerland«, sagte Pol in das Schweigen.

»Tatsächlich?« erkundigte sich Dag.

»Kräftiger junger Bursche - und sehr arbeitsam. Will ein Mädchen vom Nachbargut heiraten.«

»Ob Bestrum damit einverstanden ist, wenn er erfährt, daß zwei seiner Kinder hier auf Ruatha umkamen?«

»Er schätzt Alessan. Der Junge hätte es hier besser, und Bestrum weiß das. Ist ein anständiger Mann, jawohl, das ist er.«

»Sicher. Sonst hätte er euch nicht hergeschickt.« Dag nickte anerkennend. Dann musterte er Pol mit zusammengekniffenen Augen. »Wie lange kann er euch entbehren? Ich muß die anderen Stuten zu den Hengsten bringen, und mit meinem kaputten Bein…«

»Du weißt doch, daß ich dir helfen werde, Dag!« fauchte Fergal und warf Pol einen zornigen Blick zu.

»Das wirst du auch, mein Junge, aber es gibt mehr Arbeit, als wir beide bewältigen können.«

»In den Bergen kommt das Frühjahr später«, meinte Pol.

»Es kann noch eine Weile dauern, bis die uns brauchen«, setzte Sal hinzu.

»Soll ich das Thema zur Sprache bringen, wenn ich Bestrum und Lady Gana schreibe?« warf ich ein.

»Wäre vielleicht nicht schlecht.«

Tuero hatte herausgefunden, daß Lady Ganas Tochter zu den Opfern der ersten Grippewelle gehört hatte. Eine alte Dienerin hatte sie bis zuletzt gepflegt und war dann selbst der Epidemie erlegen. Beide ruhten im ersten Grabhügel. Der Sohn hatte sich mit Norman, dem Renn-Verwalter, um die Tiere gekümmert, bis sie ebenfalls erkrankten und starben. Sie waren im zweiten Grabhügel bestattet.

»Die Stute wird unruhig«, unterbrach Sal das Schweigen.

Fergal kletterte auf den Stapel mit den Strohballen, stellte sich auf Zehenspitzen und reckte das Kinn, um über den Rand der Box zu schauen.

»Es geht los«, erklärte er mit solcher Autorität, daß ich ein Lachen unterdrücken mußte.

Keiner der Männer zweifelte seine Feststellung an. Wir hörten, wie sich die Stute in das aufgeschüttete Stroh fallen ließ. Tiere ertragen eine Geburt im allgemeinen viel gelassener als Menschen. Sie schrie und kreischte nicht, wie es gebärende Frauen tun, und sie verfluchte auch nicht den Partner, der sie in diese mißliche Lage gebracht hatte.

»Hufe!« flüsterte Fergal. »Jetzt der Kopf. Normale Lage!«

Ich sah Dag an. Der kaute an einem Strohhalm und blinzelte mir zu.

»So!« ermunterte Fergal die Stute. »Noch einmal pressen, meine Schöne, nur noch einmal… Siehst du, jetzt hast du es geschafft!«

Plötzlich wurde die Anspannung zu groß. Gleichzeitig rannten wir zur Box und spähten über die Trennwand. Die Stute befreite ihr Fohlen nach und nach von der Plazenta. Der Kopf kam zum Vorschein, und der feuchte kleine Körper begann zu zappeln. Es war unglaublich, mit welcher Kraft die überlangen Beine des Neugeborenen ausschlugen.

»He, ihr verstellt mir die Sicht!« rief Fergal. Er zwängte sich neben Dag und zog sich mit beiden Armen an der Trennwand hoch. »Was ist es? Was ist es denn?«

Aber das Fohlen ließ uns im unklaren über diese Frage. Es versuchte seine Beine zu ordnen, doch das schien ein hoffnungsloses Unterfangen. Die Stute stieß das Kleine mit der Schnauze an und versuchte es aufzurichten, aber es knickte wieder ein. Dann fand es Halt im Stroh, scharrte verzweifelt, stemmte sich mit gespreizten Beinen hoch - und stand. Der Schwanz peitschte hin und her.

»Ein kleiner Hengst!« schrie Fergal, der dieses Detail viel schneller erspäht hatte als wir Erwachsenen. Er riß die Tür auf und schoß in die Box. »Was bist du für ein braves Mädchen!« lobte er die Stute und tätschelte ihr die Nase. »Sieh mal den prächtigen Sohn, den du geboren hast!« Dann näherte er sich mit leisen Schnalzlauten dem Fohlen und strich ihm vorsichtig über die Mähne, um es an die Berührung durch Menschen zu gewöhnen.

Der kleine Hengst hatte noch genug damit zu tun, sich auf den Beinen zu halten. Er zeigte keinerlei Angst vor Fergal.

»Der Knirps hat was drauf, Mann!« knurrte Pol anerkennend.

»Auf der Bergweide half er bei drei Geburten, nachdem ich mir das Bein gebrochen hatte«, berichtete Dag voll Stolz.

Ich wandte mich zum Gehen. »Ich werde Baron Alessan Bescheid sagen.«

»Tun Sie das!« meinte Dag. »Je mehr gute Nachrichten er erhält, desto eher kommt er wieder auf die Beine.« Auf dem Weg zur Burg kam mir in den Sinn, daß diese Bemerkung erstaunlich einfühlsam für einen schlichten Mann wie Dag war.

Als ich in den Großen Saal zurückkehrte, war es bereits nach Mitternacht. Oklina und Desdra hatten sich zurückgezogen; vermutlich schliefen sie schon. Tuero saß Alessan gegenüber. Er hatte beide Ellbogen aufgestützt und redete umständlich auf den Burgherrn ein. Der war vornüber auf die Tischplatte gesunken und schlief.

»Das ist nur angemessen«, erläuterte Tuero gerade in einem sehr vertraulichen und geheimnisvollen Ton. »Wenn es einem Harfner nicht gelingt, die Wahrheit herauszufinden - und dieser Harfner ist ein schlauer Bursche, der so ziemlich alles herausfindet -, dann verdient er es nicht, noch einen zu heben. Habe ich recht, Alessan?«

Die Antwort war ein langgezogenes Schnarchen. Tuero starrte den Burgherrn einen Moment lang mitleidig und vorwurfsvoll zugleich an und schüttelte dann den Weinschlauch. Eine winzige Pfütze schwappte am Grund.

»Hat er das leergetrunken?« fragte ich, belustigt über die Enttäuschung, die sich auf Tueros Zügen spiegelte. Seine lange, leicht nach links gebogene Nase zuckte.

»Mehr oder weniger. Zumindest ist er der einzige, der weiß, wo sich Nachschub befindet.«

Nun, ich wußte es ebenfalls, denn Oklina hatte mir den Weg zum Weinkeller gezeigt. Aber ich würde mich hüten, das Geheimnis zu verraten. Ich lächelte. »Das Fohlen ist ein Hengst, ein kräftiges Tier. Ich dachte, die Nachricht würde Baron Alessan freuen. Dag und Fergal sind noch im Stall und beobachten, ob der kleine Kerl richtig steht und trinkt.« Ich warf einen Blick auf den schlafenden Burgherrn. Jetzt, da er entspannt war, wirkte er um Jahre jünger. Die tiefe Trauer, die seine grünen Augen durchdrang, verbarg sich hinter den geschlossenen Lidern…

»Ich weiß, daß ich Sie schon mal gesehen habe«, murmelte Tuero.

»Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die sich Harfnergesellen einprägen müssen«, entgegnete ich. »Kommen Sie, Tuero! Wir müssen ihn nach oben bringen. Er braucht dringend etwas Schlaf.«

»Ich bin nicht so sicher, daß ich noch gehen kann.«

»Versuchen Sie es!« Ich bin groß, aber nicht so groß wie Tuero oder Alessan und nicht kräftig genug, um Alessan allein von der Bank hochzustemmen. So legte ich einen der schlaffen Arme um meine Schultern und befahl Tuero, der sich schwankend erhoben hatte, den Burgherrn von der anderen Seite zu stützen.

Alessan war schwer. Und Tuero stellte keine große Hilfe dar. Er mußte sich selbst am Treppengeländer festhalten und Stufe um Stufe hochziehen. Zum Glück befand sich Alessans Suite gleich am Anfang des Korridors. Im Wohnzimmer standen noch die Faltbetten, die zur Aufnahme der Gäste gedient hatten. Die Unordnung erschreckte mich, aber Alessan hatte bis jetzt wichtigere Dinge erledigen müssen. Vielleicht konnten wir in den nächsten Tagen damit beginnen, die Wohnquartiere etwas aufzuräumen.

Dann betraten wir das Schlafgemach. Ich holte mit einem Ruck die schwere Felldecke von Alessans Bett. Sie fiel zu Boden und wickelte sich um meine Füße, so daß ich stolperte. Alessan plumpste wie ein Sack auf sein Bett. Tuero umklammerte den Bettpfosten und murmelte eine Entschuldigung, als er bei dem Manöver ein Stück des Bettvorhangs herunterriß. Ich zog Alessan die Stiefel aus, lockerte seinen Gürtel und rollte ihn zur Mitte des Bettes, damit er nicht herunterfallen konnte.

»Wenn ich…«, begann Tuero, als ich Alessan sorgfältig die Decke um die Schultern wickelte. Ein Lächeln glitt über die Züge des Schlafenden, und mir stockte der Atem.

»Wenn ich…« Tuero starrte mich an, wußte nicht mehr, was er sagen wollte, und ließ müde den Kopf hängen.

»Das Notbett steht immer noch im Nebenraum, Harfner.«

Ich bezweifelte, daß ich noch die Kraft gefunden hätte, Tuero zu seinem Zimmer am anderen Ende des Korridors zu geleiten.

»Werden Sie mich auch zudecken?«

Tuero sah mich so flehend an, daß ich lachen mußte. Auf unsicheren Beinen folgte er mir nach nebenan. Ich nahm die Decke vom Lager und schüttelte sie. Mit einem dankbaren Seufzer streckte sich Tuero aus.

»Sie sind so gut zu einem müden, beschwipsten Harfner«, murmelte er, als ich die Decke über ihn breitete. »Eines Tages werde ich…«

Er war eingeschlafen. Eines Tages würde sich Tuero vielleicht daran erinnern, daß er den Begriff ›Fort-Horde‹ geprägt hatte - ein Spottname, den die anderen begeistert aufgriffen, um mich und meine Geschwister damit zu ärgern. Möglicherweise würde das dann einen Schatten auf unser Verhältnis werfen. Aber das war im Grunde sein Problem.

Mein Problem bestand darin, daß ich allein zu Bett gehen mußte - und mir sehnlichst wünschte, daß mich ein ganz bestimmter Mann liebevoll zudeckte.