KAPITEL III
12.3.43
Als die Trommeln losdröhnten, sprang ich aus dem Bett und rannte in den Korridor, wo ich die Schlagfolge besser erkennen konnte. Die Botschaft war erschreckend. Noch ehe ihr Echo verklungen war, kam die nächste vom Süden herein: Ratoshigan bat die Heiler-Halle dringend um Hilfe. Zu dieser frühen Stunde rissen uns die Trommeln selten aus dem Schlaf. Ich ließ meine Tür offen, während ich hastig eine lange Hose und den Arbeitskittel überstreifte und den Gürtel mit dem schweren Schlüsselring der Wirtschaftsräume umschnallte. Dann schlüpfte ich in meine Stiefel, denn die weichen Hausschuhe boten weder gegen die kalten Steinböden der unteren Höhlen noch gegen die unbefestigten Straßen genügend Schutz.
Die Trommeln schwiegen nicht mehr. Sie berichteten von Todesfällen in Telgar, Ista, Igen und Süd-Boll und übermittelten aufgeregte Fragen der weiter entfernten Höfe und Heiler-Hallen. Aber auch Freiwillige meldeten sich, und es gab zu meiner großen Erleichterung Hilfsangebote von Benden, Lemos, Bitra, Tillek und dem Hochland, Orten, die bis jetzt von der Katastrophe verschont geblieben waren. Der Zusammenhalt, der allem Anschein nach unter den Bewohnern von Pern herrschte, ermutigte mich.
Als ich über das Feld lief, traf der erste verschlüsselte Bericht vom Telgar-Weyr ein: Es hatte Tote unter den Reitern gegeben, und ihre Drachen waren ins Dazwischen gegangen. Auf dem Weg zu den Ställen begegnete ich den Feldarbeitern. Ich versuchte, gelassen zu bleiben, und nickte ihnen lächelnd zu, beschleunigte aber meine Schritte, damit keiner mich anzuhalten wagte. Vielleicht wollten sie im Moment aber auch keine schlechten Nachrichten mehr hören. Dicht auf Telgars düsteren Bericht folgte eine Botschaft von Ista.
Ich weiß nicht, weshalb ich geglaubt hatte, Drachenreiter könnten immun gegen diese Seuche sein. Irgendwie kamen sie mir auf dem Rücken ihrer mächtigen Kampfgenossen völlig unverwundbar vor, scheinbar unberührt von den Gefahren der Sporen (obwohl ich natürlich wußte, daß Reiter und Drachen oftmals schlimme Verbrennungen davontrugen) und unempfindlich gegen die Leiden und Ängste gewöhnlicher Sterblicher. Mir fiel ein, daß Drachenreiter gern von Fest zu Fest eilten, und an jenem Tag hatte sowohl Ruatha wie auch Ista Gäste geladen. Zwei Burgen - und auf beiden hatte sich zum Zeitpunkt der Feiern die Seuche bereits eingenistet! Dabei befand sich Ista weit entfernt im Osten. Wie konnte sich die Krankheit mit solcher Macht an zwei völlig voneinander isolierten Orten gleichzeitig ausbreiten?
Ich eilte weiter und betrat den Hof der Heiler-Halle. Die Bewohner waren längst wach; Renner wurden gesattelt und mit Reisegepäck beladen. Über uns verkündeten die Trommeln schlimme Nachrichten. Die Botschaften der Heiler-Halle trugen Meister Fortines Zeichen. Wo mochte sich Meister Capiam befinden?
Desdra kam die flachen Stufen der Gildehalle herab, je zwei Satteltaschen über den Schultern und in beiden Händen. Zwei Lehrlinge, ebenfalls schwerbeladen, hasteten vorbei. Die Frau sah aus, als habe sie nicht geschlafen, und ihre sonst so freundlichen, beherrschten Züge waren von Ungeduld und Angst geprägt. Ich ging am Rande des gepflasterten Hofes entlang, in der Hoffnung, ihren Weg zu kreuzen, doch in diesem Moment blieb sie stehen und begann die Satteltaschen an die wartenden Männer und Frauen zu verteilen.
»Nein, sein Befinden ist unverändert«, hörte ich sie zu einem Gesellen sagen. »Capiam muß die einzelnen Phasen der Krankheit ebenso durchstehen wie jeder andere. Die eingepackten Medikamente dienen der Behandlung der Symptome; einen besseren Rat weiß ich im Moment nicht. Achtet auf die Trommelbotschaften! Wir benutzen den Krisen-Code, und ich bitte euch, daß auch ihr verschlüsselte Nachrichten sendet.«
Sie trat zur Seite, als die Heiler auf ihren Rennern aus dem Hof stoben, und ich nahm die Gelegenheit wahr, mich ihr zu nähern.
»Heilerin Desdra?«
Sie drehte sich um und sah mich an, erkannte mich aber nicht als eine der Fort-Horde.
»Ich bin Nerilka. Wenn die Vorräte der Heiler-Halle nicht ausreichen, kommen Sie bitte zu mir…« Ich betonte das letzte Wort. »Wir,besitzen genug Arzneien, um den halben Planeten zu versorgen.«
»Nun, im Moment besteht kein Anlaß zur Sorge, Lady Nerilka«, begann sie und setzte eine zuversichtliche Miene auf.
»Unsinn!«
Meine Stimme klang schärfer, als ich beabsichtigt hatte, und sie musterte mich erstaunt.
»Ich kenne jeden Geheimcode bis auf den des Meisterheilers, und selbst den errate ich einigermaßen. Er befindet sich offenbar in den Bergen und will so rasch wie möglich heimkommen.« Jetzt schenkte sie mir ihre volle Aufmerksamkeit. »Wenn Sie Medikamente benötigen, fragen Sie auf Burg Fort nach mir. Ich könnte auch als Pflegerin aushelfen…«
Jemand rief nach Desdra, und mit einer entschuldigenden Geste wandte sie sich ab. Dann kam die nächste bedrückende Trommelbotschaft aus dem Osten, von Keroon. Ich wanderte zurück, wie gelähmt von dem Wissen, daß am tragischen Ausgangspunkt der Seuche Hunderte von Menschen im Sterben lagen, während von vier kleineren Burgen im Bergland überhaupt keine Antwort auf die Trommelsignale kam.
Ich hatte das Feld zur Hälfte überquert, als ich das unverkennbare Trompeten eines Drachen vernahm. Eisige Kälte machte sich in meinem Innern breit. Was konnte ein Drache auf Burg Fort suchen - zu diesem Zeitpunkt? Ich raffte meine Röcke und rannte los. Das massive Burgtor stand weit offen, und Campen befand sich am oberen Ende der Steinstufen, die Arme halb erhoben, offenbar starr vor Verblüffung. Eine Gruppe ängstlicher Gildemeister und zwei Pächter aus der Nachbarschaft umringten ihn, aber auch ihre Aufmerksamkeit galt jetzt dem blauen Drachen, der mit seiner mächtigen Gestalt den Hof überragte. Mir fiel auf, daß der Drache eine fahle ungesunde Farbe hatte. Doch dann blieb auch ich wie vom Donner gerührt stehen. Mein Vater stürmte die Stufen hinauf, geradewegs auf die Wartenden zu.
»Es herrscht Quarantäne! Tod lauert über dem Land! Habt ihr die Botschaft nicht gehört? Seid ihr alle taub, daß ihr euch in solchen Massen versammelt? Weg von hier! Weg von hier! Begebt euch in eure Häuser und verlaßt sie unter keinen Umständen! Los - weg von hier, sage ich!«
Er schubste den nächststehenden Pächter auf die Renner zu, die eben von Knechten in die Ställe geführt wurden. Zwei Gildemeister stießen zusammen, als sie hastig versuchten, seinen fuchtelnden Armen auszuweichen.
Sekunden später war der Hof leergefegt, und nur die Staubwolken auf der Straße zeugten vom übereilten Aufbruch unserer Besucher.
Der blaue Drache trompetete erneut und unterstrich mit seinem Flügelpeitschen den fluchtartigen Rückzug der Pächter und Gildemeister. Dann schnellte er in die Höhe und ging ins Dazwischen, noch ehe er den Trommelturm der Harfner-Halle erreicht hatte.
Vater wandte sich an uns, denn meine Brüder waren beim unerwarteten Auftauchen des Drachen ins Freie gerannt.
»Seid ihr wahnsinnig geworden, daß ihr hier Volksversammlungen zulaßt? Hat denn keiner von euch auf Capiams Warnung geachtet? Auf Ruatha sterben die Menschen wie Fliegen!«
»Weshalb seid Ihr dann hier, Vater?« Die Frage meines Bruders Campen entsprang weniger seinem Mut als seinem schlichten Gemüt.
»Was hast du gesagt?«
Vater richtete sich auf wie ein Drache, der jeden Moment Feuer speit, und Campen zog sich ein paar Schritte zurück, um seiner Wut zu entgehen. Mich wunderte, daß Vater ihm keine Ohrfeige versetzte.
»Aber - aber - aber Capiam sagte, die Quarantäne…«
Vater hob den Kopf, so daß sein schönes Profil voll zur Geltung kam, und streckte die Arme abwehrend aus, obwohl ohnehin niemand gewagt hätte, ihm zu nahe zu kommen.
»Ich befinde mich von diesem Augenblick an ebenfalls in Quarantäne! Ich werde mich in meine Privatgemächer zurückziehen, und keiner von euch«, - er schien uns der Reihe nach mit seinem ausgestreckten Zeigefinger aufzuspießen -, »kommt in meine Nähe, bis«, - er machte eine theatralische Pause -, »die Inkubationszeit um ist und ich weiß, daß ich mich nicht angesteckt habe.«
»Was ist über die Seuche bekannt?« hörte ich mich fragen. Es war wichtig für uns, möglichst genau über den Verlauf der Krankheit Bescheid zu wissen.
»Wie groß ist die Ansteckungsgefahr?«
»Keine Sorge, ich werde meine Familie nicht in Gefahr bringen.«
Seine Miene troff vor Edelmut. Ich hätte ihm beinahe ins Gesicht gelacht.
Keiner wagte sich nach Mutter und unseren Schwestern zu erkundigen.
»Ihr werdet mir wichtige Mitteilungen unter der Tür durchschieben und das Essen im Korridor abstellen. Das ist im Moment alles.«
Damit winkte er uns beiseite und stürmte in die Burggemächer. Wir hörten seine schweren Stiefel auf den Fliesen knallen und die Treppe hinauf stampfen. Alle schwiegen. Ein unterdrücktes Schluchzen brach schließlich den Bann.
»Was ist mit Mutter?« fragte Mostar mit weit aufgerissenen Augen.
»Eine berechtigte Frage«, entgegnete ich. »Aber es hat keinen Sinn, wenn wir hier Wurzeln schlagen und dem Volk ein schönes Schauspiel bieten.« Ich deutete mit dem Kinn zur Straße hin, wo sich die Bewohner der Hütten versammelt hatten und gafften, zunächst angezogen von dem blauen Drachen und nun von unserem Gruppenbild auf der Burgtreppe.
Stumm zogen wir uns ins Innere der Burg zurück. Ich war nicht die einzige, die einen Blick auf die festverschlossene Tür im Erdgeschoß warf.
»Das ist nicht anständig«, begann Campen und ließ sich auf den nächstbesten Stuhl fallen. Ich wußte, daß er Vaters viel zu frühe Rückkehr meinte.
»Mutter wüßte, wie man mit Krankheiten umgeht«, sagte Gallen, und in seinen Augen stand Furcht.
»Sie hat mir alles Nötige beigebracht«, entgegnete ich knapp.
Ich glaube, ich ahnte schon damals, daß Mutter nicht mehr heimkehren würde. Außerdem war es wichtig, daß die Familie nicht in Panik geriet oder ihre Besorgnis offen zeigte.
»Wir sind ein ziemlich zäher Schlag, Gallen. Das weißt du am besten. Du warst noch nie im Leben richtig krank.«
»Ich hatte das Fleckfieber.«
»Das hatten wir alle«, meinte Mostar spöttisch, und allmählich entspannten sich meine Geschwister.
»Dennoch - er hätte die Quarantäne nicht durchbrechen dürfen«, erklärte Theskin sehr nachdenklich. »Der Burgherr muß mit gutem Beispiel vorangehen. Weshalb hat Alessan ihn nicht auf Ruatha festgehalten?«
Darüber zerbrach ich mir auch den Kopf. Allerdings kann Vater so gebieterisch auftreten, daß selbst Barone, die mehr Einfluß besitzen als er, seinen Wünschen nachgeben. Ich weigerte mich aus irgendeinem Grund, Alessan Unfähigkeit zu unterstellen, auch wenn er sich Vaters Willen gebeugt hatte. Immerhin - eine Quarantäne blieb eine Quarantäne.
In dieser Nacht fiel ich rasch in einen erschöpften Schlaf, aber ich wachte sehr früh auf. Selbst das Gesinde schlief noch, als ich mich erhob, und so las ich als erste die Notiz, die Vater unter dem Türschlitz durchgeschoben hatte. Am liebsten hätte ich den Zettel zerrissen. Daß er einen Fiebermittel-Vorrat verlangte, war ebenso verständlich wie sein Wunsch nach dem guten Wein und einigen Delikatessen. Aber er befahl Campen, Anella und ›ihre Familie‹, wie er es ausdrückte, in die Sicherheit der Burg zu bringen. Während er also meine Mutter und meine Schwestern in der Gefahr von Ruatha zurückließ, forderte er von seinem ältesten Sohn und Erben, nicht nur seine Mätresse nach Fort zu holen, sondern auch die beiden Bastarde, die sie ihm geboren hatte.
Nun, es war kein echter Skandal. Mutter hatte über das Verhältnis stets hinweggesehen. In solchen Dingen besaß sie seit vielen Planetenumläufen Übung, und ich hatte einmal mitangehört, wie sie zu einer der Tanten sagte, sie sei ganz froh, hin und wieder den Aufmerksamkeiten des Barons zu entgehen. Aber ich konnte Anella nicht leiden. Sie kicherte albern und hängte sich wie eine Klette an Vater. Sobald er sie nicht beachtete, machte sie sich an Mostar heran. Sie hoffte wohl, Vater würde sie mit meinem Bruder verheiraten, wenn er genug von ihr hatte. Ich hätte ihr gern ins Gesicht geschleudert, daß Mostar andere Pläne hatte. Dabei wußte ich selbst nicht so genau, ob ihr jüngster Sohn von Vater stammte oder von Mostar.
Ärgerlich verdrängte ich meine boshaften Gedanken.
Zumindest hatte das Kerlchen eine ausgeprägte Familienähnlichkeit. Mit meinem Gürtelmesser trennte ich den Teil der Botschaft ab, der für Campen bestimmt war, und schob ihn unter seiner Tür durch. Die weniger verfänglichen Zeilen nahm ich mit in die Küchengewölbe, wo das schläfrige Gesinde eben die Strohmatten zusammenrollte und mit der Morgenarbeit begann. Meine Gegenwart rief zaghaftes Lächeln und eine gewisse Anspannung hervor. Ich bemühte mich um eine freundliche, zuversichtliche Miene und befahl der intelligentesten der Mägde, Vaters Frühstückstablett herzurichten.
Im Hof stieß ich auf Campen, der den Wisch mit Vaters Anordnung geistesabwesend zusammenknüllte.
»Was soll ich tun, Rill? Ich kann doch nicht einfach losreiten und diese Person am hellichten Tag in die Burg bringen.«
»Schleuse sie über die Feuerhöhen ein. Dorthin richtet heute bestimmt keiner sein Augenmerk.«
»Mir gefällt das nicht, Rill. Mir gefällt das überhaupt nicht.«
»Wann hat Vater je gefragt, was uns gefällt, Campen?«
Da ich keine Lust hatte, mir sein hilfloses Gejammer weiter anzuhören, schlenderte ich zur Kinderkrippe auf der Südseite der Burg. Hier wenigstens befand sich eine Oase des Friedens - soweit man bei neunundzwanzig Säuglingen und Kleinkindern von Frieden sprechen konnte. Die Mädchen wickelten, badeten und fütterten die Babys unter dem wachsamen Blick von Tante Lucil und ihren Pflegerinnen. Bei dem Stimmengewirr, das hier herrschte, hatte man die Trommelbotschaften sicher nicht genau genug mitverfolgt, um sich Sorgen zu machen. Die Kinderkrippe besaß ihre eigene kleine Küche, und ich überlegte mir, daß ich den Trakt vollständig abriegeln konnte, wenn die Seuche tatsächlich auf Burg Fort eingeschleppt wurde. Vielleicht sollte ich zur Vorsorge schon jetzt die wichtigsten Vorräte herschaffen lassen…
Als nächstes inspizierte ich die Wäscherei und die Leinenkammer und schlug einen Großwaschtag vor, denn das Wetter war sonnig und nicht zu kalt. Die Tante, die hier die Aufsicht führte, war eine gutmütige Person, zögerte solche Unternehmen aber meist hinaus, weil sie der irrigen Ansicht war, daß sie ihre Mägde ständig überlastete. Ich wußte, daß auch Mutter ihr meist einen Schubs geben mußte, ehe sie mit der Arbeit anfing. Es war mir ein wenig peinlich, daß ich mir, wenn auch vorübergehend, Mutters Stellung anmaßte, aber wenn der schlimme Ernstfall eintrat, würden wir jede Menge Leinen benötigen.
Die Weber saßen eifrig an der Arbeit, als ich ihre Werkstatt betrat. Eben wurde eine große Spule des robusten Mischgarns, auf das meine Mutter so stolz war, vom Schützen genommen. Tante Sira begrüßte mich mit gewohnt kühler, beherrschter Miene. Vermutlich hatte sie trotz des Klapperns der Holzrahmen einen Teil der Trommelbotschaften verstanden, aber sie enthielt sich jeden Kommentars über die Vorgänge auf Pern.
Ich frühstückte spät in dem kleinen Zimmer des ersten Untergeschosses, das Mutter ihr ›Büro‹ nannte und das ihr wohl hin und wieder als Zufluchtsort diente. Immer noch dröhnten die Trommeln, bestätigten die düsteren Botschaften, die hereinkamen, und leiteten sie an die nächste Station weiter. Auf diese Weise hörte ich die Katastrophenmeldung gleich mehrmals. Als der Code von Keroon erneut aufklang, zuckte ich zusammen und summte laut vor mich hin, um die Nachricht zu übertönen. Ruatha befand sich ganz in der Nähe. Weshalb erhielten wir keine Botschaft von dort, keine Beruhigung, daß es Mutter und meinen Schwestern gut ging?
Ein Klopfen unterbrach meine angstvollen Gedanken, und ich war fast froh, als ich hörte, daß Campen mich im ersten Stock erwartete. Auf halber Treppe kam mir in den Sinn, daß er wohl mit Anella zurückgekehrt war. Wenn sie sich im ersten Stock befanden, dann rechnete sie damit, in den Gästezimmern untergebracht zu werden. Ich persönlich hätte sie am liebsten in den Innenkorridor des fünften Stocks verbannt. Die Räume am Ende des ersten Stockwerks waren fast zu schade für sie. Nun, zumindest würde ich sie von der Suite meiner Mutter mit ihrem bequemen Zugang zu Vaters Schlafzimmer fernhalten. Baron Tolocamp befand sich schließlich in Quarantäne, und meine Mutter weilte nur vorübergehend auf Ruatha.
Anella hatte Tolocamps Einladung wörtlich genommen. Sie rückte nicht nur mit ihren zwei kleinen Kindern an, sondern hatte ihre Eltern, drei jüngere Brüder und sechs der gebrechlichsten Familienangehörigen mitgebracht. Wie es die Alten geschafft hatten, die Feuerhöhen zu erklimmen, war mir ein Rätsel; zwei von ihnen sahen so aus, als würden sie jeden Moment zusammenbrechen. Ich schickte sie in den Flügel, in dem auch unsere alten Leute untergebracht waren. Dort würde man sich um sie kümmern. Anella schmollte ein wenig, als sie sah, daß ihr Quartier so weit entfernt von Tolocamps Räumen war, aber weder Campen noch ich achteten auf die spitzen Bemerkungen, die sie und ihre zänkische Mutter machten. Ich war nur erleichtert, daß sie nicht auch den Rest ihrer Verwandtschaft angeschleppt hatte. Vermutlich besaßen die beiden älteren Brüder Verstand genug, sich nicht auf die Zukunftsaussichten ihrer raffinierten kleinen Schwester zu verlassen . Ich wies Anella ein Kindermädchen und eine Magd zu, obwohl ich fand, daß sie auch selbst für ihre beiden Kinder sorgen konnte. Aber ich hatte keine Lust, mir von meinem Vater vorhalten zu lassen, daß ich die Gesetze der Gastfreundschaft verletzte. Ich hätte wohl für jeden fremden Besucher das gleiche getan. Das hieß allerdings, daß ich es mit Freuden tat.
Dann eilte ich in die Küche hinunter, um mich kurz mit Felim zu besprechen. Ich mußte ihm nur versichern, daß er seine Sache großartig machte. In den meisten Burgen sind die Küchen der Ausgangspunkt für Klatsch und Gerüchte. Zum Glück verstand niemand vom Gesinde die verschlüsselten Botschaften, aber die Leute ahnten natürlich, daß etwas Schlimmes vorging. Manchmal spürte man ganz einfach, daß die Trommeln eine gute Nachricht übermittelten. Dann wirkten die Schläge heller und höher, so als würden die gespannten Häute vor Freude singen. Wer konnte es mir verübeln, wenn ich an diesem Tag den Eindruck hatte, daß die Instrumente weinten?
Gegen Abend schlichen sich Fehler in die Nachrichten ein, als die übermüdeten Trommler immer häufiger im Rhythmus stockten. Ich war gezwungen, mir Wiederholungen anzuhören - verzweifelte Bitten, Ersatzheiler nach Keroon und Telgar zu schicken, weil die Leute, welche die Seuche bekämpfen sollten, selbst daran gestorben waren. Ich stopfte mir Watte in die Ohren, damit ich schlafen konnte. Dennoch schien mein Trommelfell im Rhythmus der Unheilsbotschaften zu vibrieren.