Kapitel 12

UND ZWAR STETS ZU SPÄT

Sie alle hörten Hyvans Kreuz, lange bevor sie es sahen. Sein Kreischen und Stöhnen im Wind war so laut, dass sie rufen mussten, um einander zu verstehen.

»Die Luft strömt durch dieses enge Tal und spielt auf den Senken und Kuhlen wie auf einer Flöte oder Pfeife. Das geschieht auch dort, wo ich lebe. Einer unserer Gipfel wird der singende Berg genannt, und an manchen Tagen kann man ihn von einem Ende der Bergkette bis ans andere hören«, erzählte ihnen Aspin.

Freda schüttelte den Kopf. »Ich glaube, es ist mehr als das. Ich höre bruchstückhaft eine gepeinigte Stimme im Wind. Sie hat mich in der Nacht daran gehindert, ruhig zu schlafen.«

»Ich hatte seltsame Träume«, fügte Aspin hinzu. »Zum Glück habe ich die meisten vergessen, sobald ich wach war, aber ich erinnere mich doch, große Erleichterung verspürt zu haben, als ich davon befreit war. Wie ist es mit euch anderen?«

Jillan zuckte mit den Schultern, aber er konnte nicht umhin, sich zu fragen, was für Albträume er wohl gehabt hätte, wenn er seine Rüstung nicht getragen hätte. Er sah Thomas an, aber der Schmied hatte bereits dunkle Ringe unter den Augen, seit sie Linderfall verlassen hatten, und hatte wahrscheinlich ohnehin nicht geschlafen.

Ash hielt seine leere Feldflasche hoch. »Mich hat gestern Abend mein Selbstgebrautes bei Laune gehalten, weil sonst ja niemand etwas davon wollte. Aber dann habe ich wie ein Wiegenkind geschlafen.«

Der Sonderbare, der bisher vor dem Wagen hergeschritten war, auf dem die anderen reisten, ließ sich ein wenig zurückfallen und rief zu ihnen herauf: »Die Stimme gehört Wandar. Als die Erlöser seinen Anhängern die Stadt genommen hatten, hat der heilige Wandar mit einem Ton aus einem schrecklichen Horn aus Sonnenmetall zerschmettert. Der arme Wandar wurde wortwörtlich hinweggefegt und in alle Winde zerstreut, aber er tobt immer noch um Hyvans Kreuz und versucht, wieder Gestalt anzunehmen. Doch seine Macht ist gebrochen, und so muss er dieses bruchstückhafte Dasein erdulden, für immer … oder bis er vergeht.«

»Das ist ja fürchterlich!«, sagte Jillan entsetzt.

»Nicht, dass Miserath so wirkt, als ob ihn das sehr belastet«, fügte Thomas düster hinzu. »Aber die Vernichtung deines Bruders kam dir ja auch sehr gelegen, nicht wahr, Miserath? Du hattest dabei wahrscheinlich die Hand im Spiel. Sag schon, was ist die angemessene Strafe für Gottesmord?«

Das Gesicht des Sonderbaren blieb unbewegt. »Du weißt nicht, wovon du da sprichst.«

»Aber Wandar ist nicht völlig vernichtet«, unterbrach Aspin. »In den Bergen ist er der höchste Gott für viele unserer Krieger. Er ist alles andere als gebrochen und segnet die Frommen mit Macht über den Sturm.«

Der Sonderbare nickte. »Außerhalb des Reichs haben die alten Götter noch einen gewissen Einfluss. Innerhalb dagegen sind sie nicht mehr als spukende Geister, Bewegungen, die man aus dem Augenwinkel wahrnimmt, eingebildete Stimmen und böse Erinnerungen, die man einfach nicht loswird. Sie sind die Toten, die keine Ruhe finden. Wandar ist ein kalter, heulender Wind, der geradewegs durch einen hindurchschneidet, aber er ist leicht mit einem dicken Mantel, einem hochgeschlagenen Kragen und Handschuhen zu besiegen.«

»Gegen die hätte ich jetzt auch nichts«, jammerte Ash mit blauen Lippen, die Hände unter die Achseln geschoben. »Wenn es so weitergeht, kann ich keine Waffe mehr sicher festhalten.«

»Ich hoffe, das musst du ohnehin nicht«, erwiderte Jillan.

»Das nimmt kein gutes Ende«, warnte Thomas. »Wir werden vom schlimmsten Verräter aller Zeiten in eine verschneite, öde Hölle der Erlöser geführt.«

»Ich dachte, du wolltest mithelfen, meine Eltern zu befreien«, entgegnete Jillan herausfordernd. »Ich habe keine andere Wahl. Wenn du es dir anders überlegt hast, dann …«

»Ruhig, Jillan! Ich habe geschworen, dir zu helfen, und das werde ich auch tun. Ich denke aber immer noch, dass es klug wäre, vorsichtig zu sein, denn ich kann einfach nicht glauben, dass auch alle anderen hier helfen wollen.«

Der Sonderbare gähnte. »Aber du hast Jillan doch auch nicht immer geholfen, oder, Schmied? Es gibt eine Bezeichnung für Leute wie dich: Heuchler.«

»Oje«, seufzte Ash.

Thomas’ Gesicht begann rot anzulaufen.

»Hört auf, alle miteinander!«, schrie Jillan. »Wenn wir schon streiten, obwohl wir nur zu sechst sind, wie viel Hoffnung besteht dann, dass das Volk je vereint gegen das Reich kämpfen wird? Vielleicht sind die Erlöser, Heiligen, Prediger und Helden etwas Gutes, wenn sie uns alle vom Streiten abhalten. Wenn ihr euch selbst überlassen wärt, würdet ihr euch doch alle gegenseitig umbringen, bevor ihr auch nur nach Hyvans Kreuz gelangt wärt. Und was würde das nützen? Meine Eltern würden nie befreit werden. Niemand würde je befreit werden. Alle wären am Ende tot.«

»So leid es mir tut, Gegensätzlichkeit und Zerrissenheit sind ein wesentlicher Teil des Daseins der Sterblichen, Jillan«, antwortete der Sonderbare. »Ich bin der Gott der Zwietracht, vergiss das nicht, und wurde einst dafür angebetet.«

»Einst!«, hob Jillan hervor. »Nicht alle sind so. Es muss nicht mit dem Tod aller enden.«

»Wir werden sehen, Jillan, wir werden sehen.« Der Sonderbare zuckte die Achseln. »Doch jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, da unsere Gruppe sich teilen sollte, denn unsere Stadt kommt in Sicht, und bald werden wir Blicken ausgesetzt sein.«

Am Ende des Tals ragte ein riesiger Felssporn aus den aufgetürmten Schneewolken empor. Die Art, in der das weiche Gestein des Felssporns ausgehöhlt worden war, ließ Hyvans Kreuz wie den gehörnten und monströsen Schädel eines gewaltigen Eisdrachen wirken. Eine hohe Mauer war wie ein dornenbesetztes Halsband um den Fuß des Felssporns gebaut. Der kalte Atem des Drachen fuhr heulend durchs Tal herab und peitschte heftiger denn je auf sie ein.

Ash klapperten die Zähne. »Ihr Götter, wer würde freiwillig hier leben wollen?«

»Es wird viel besser, wenn wir aus dem Tal heraus sind«, erläuterte Thomas. »Mehrere Seiten des Felssporns liegen windabgewandt. Und wenn wir erst durchs Tor sind, werden wir ganz gut vor den Elementen geschützt sein.«

»Bist du sicher, dass du uns durchbringen kannst?«, fragte Aspin.

Der Schmied nickte. »Ich war vor etwa einem Jahr hier, um Waffen zu verkaufen. Es gibt allwöchentlich mehrere Markttage in der Stadt, und zahlreiche Händler kommen und gehen. In einem so großen Ort besteht immer eine Nachfrage nach guten Waffen, da es viele Helden gibt und nicht alle von ihnen über Sonnenmetall verfügen, versteht ihr? Es ist durchaus möglich, dass sich einige Wachsoldaten aufgrund der Qualität meiner Waffen an mich erinnern werden, und es besteht kein Grund, warum sie nicht glauben sollten, dass ihr, du und Ash, meine Lehrlinge seid. Die Leute tragen hier in der Gegend ohnehin die Kapuzen hochgeschlagen, also sollte dein blondes Haar nicht allzu sehr zu sehen sein, Aspin.«

»Dann verlassen Freda und ich euch hier«, sagte Jillan. »Äh … wie machen wir das, Freda?«

»Folge mir, Freund Jillan«, antwortete sie, half ihm vom Wagen und führte ihn zum Hang des Tals. »Bleib dicht hinter mir, sonst kann ich den Fels nicht davon abhalten, dich zu zermalmen.«

Die Felsfrau begann, in die Talwand einzusinken, und Jillan trat hinter ihr hinein. Binnen weniger Augenblicke waren sie verschwunden.

»Miserath ist auch weg«, bemerkte Ash. »Hat sich in Luft aufgelöst.«

»Um den ist es nicht schade«, sagte Thomas leise.

Ash erschauerte und nickte zustimmend.

Im Städtchen Gottesgabe hustete Hauptmann Hamir in sein Taschentuch, löste es dann von seinem Mund und nahm es in Augenschein. Blutspritzer. Er betete zum Heiligen und zu den gesegneten Erlösern, dass er sich nur der Jahreszeit entsprechend eine Erkältung eingefangen hatte. Die Hälfte seiner fünfhundert Mann war bereits der Ansteckung zum Opfer gefallen, und täglich wurden mehr Fälle gemeldet. Sie hatten alles versucht, um die Ausbreitung der Seuche aufzuhalten, zuletzt, indem sie das Hospiz mit den Kranken gefüllt, es versiegelt und niedergebrannt hatten. Es war eine finstere, abscheuliche Tat gewesen, viel schlimmer als alles, was er bei den Kämpfen im Osten zu tun gezwungen gewesen war. Es war immer seine Pflicht gewesen, das Volk zu beschützen, aber jetzt mordete er es hin. Seit sein Befehl ausgeführt worden war, hörte er jede Nacht die Schreie der Sterbenden und fand keinen Schlaf. Aber wer sagte schon, dass seine Träume besser als diese Hölle von einem Leben gewesen wären?

Schlimmer noch, die Verbrennung des Hospizes hatte nicht dazu beigetragen, die Ausbreitung der Pest aufzuhalten. Der Arzt meldete täglich immer noch genauso viele neue Fälle wie zuvor. Ob es nun daran lag, dass der Rauch aus dem Hospiz die Pest übertragen hatte, oder daran, dass die Stadt wirklich verflucht war, wie man mittlerweile munkelte, nichts schien den Tod aufhalten zu können. Man hielt es für erwiesen, dass die gesegneten Erlöser der Stadt ihren Schutz entzogen hatten, zur Strafe dafür, dass man es Jillan, seinen Eltern und Samnir erlaubt hatte, im Kreise der Bürger ungestört zu leben, und nicht besser auf die Mahnungen des Predigers geachtet hatte, dessen Weisheit den Leuten nun zu Recht entzogen worden war.

Eines aber war seltsam: Bisher war abgesehen von Haal und Silus keines der Kinder von Gottesgabe betroffen – niemand, der noch nicht gezogen worden waren, wie Ketzer hervorhoben. Eltern hatten versucht, ihre Kinder ständig in ihrer Nähe zu behalten und als Glücksbringer gegen das Chaos einzusetzen, aber das hatte sie nicht gerettet. Hauptmann Hamir hatte gehört, dass Leute im Urin der Kinder badeten und sie zur Ader ließen, um an ihre schützenden Säfte zu gelangen, aber auch das rettete niemanden. Wann immer ein Kind sich auf der Straße blicken ließ, strömten Erwachsene in Scharen hin und baten um einen Segen und Vergebung. Aber die fortgesetzten Todesfälle sprachen dafür, dass es für Vergebung zu spät war.

Seit der Versiegelung der Stadttore hatte Hauptmann Hamir die Wachen dort verdoppelt, denn es hatte mehr als einen Fluchtversuch scheinbar Gesunder gegeben. Er hatte keine Wahl gehabt, als zu befehlen, diese fliehenden Feiglinge zur Abschreckung niederzumachen. Doch er wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor andere es ihrerseits versuchen würden. Je länger die Pest wütete, desto schwieriger würde es sein, die Leute unter Kontrolle zu halten. Gewiss, einige würden aufgeben, sich hinlegen und auf den Tod warten, aber die wachsende Verzweiflung würde früher oder später dafür sorgen, dass die anderen sich zusammenschlossen. Seine hauptsächliche Befürchtung war die, dass er dann nicht mehr genug Helden übrig haben würde, um die Tore zu halten, und dass das Gesamtreich bedroht sein würde. Deshalb hatte er mit Zustimmung des letzten überlebenden Ratsherrn beschlossen, jeden einzelnen Bewohner von Gottesgabe einschließlich aller Kinder hinzurichten, sobald er nur noch zweihundert Helden, die sich auf den Beinen halten konnten, übrig hatte. Seinen Berechnungen nach war das Ende nur noch zwei Tage entfernt.

»Seltsam zu wissen, wann man sterben wird«, bemerkte er an sich selbst gewandt, während er sich in seinem kleinen Handspiegel betrachtete und sich das schütter werdende Haar kämmte. Ganze Büschel davon lösten sich und blieben in den Zinken des Kamms hängen. Hamir schluckte schwer. »Du bist zu alt, um eitel zu sein. Du musst nur noch zwei Tage lang auf den Beinen und vorzeigbar bleiben, dann ist deine Pflicht getan. Aufopferung und Pflichterfüllung beschirmen das Volk vor dem Chaos. Du hattest Glück, so lange dienen zu dürfen. Ja, Glück.«

Er kam sich dennoch nicht vor, als ob er Glück gehabt hätte. Der Heilige würde über seine sündhaften Gedanken Bescheid wissen, aber der Hauptmann konnte nichts tun, um sie aufzuhalten. Er wusste, dass das Chaos den Weg in seinen Verstand gefunden hatte. Er wusste, dass er sich angesteckt hatte. Es war nur recht und billig, dass er starb. Er war entschlossen. Das Chaos versuchte, seinem Verstand nagende Zweifel einzupflanzen, sagte ihm, dass er immer ein getreuer Diener des Reichs gewesen sei und etwas Besseres verdient hätte, behauptete selbstgerecht, dass der Heilige hier bei seinem Volk hätte sein sollen, um es zu retten oder in der Stunde der Not zu trösten.

»Nein, das mit Samnir war meine Schuld. Ich wusste schon immer, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Ich hätte längst etwas dagegen unternehmen sollen. Es war eine Schande, dass der Heilige sich selbst darum kümmern musste. Eine Schande, Hamir, hörst du? Weshalb sollte der Heilige sich danach noch bemüßigt fühlen, uns zu retten? Wir haben ihn enttäuscht und verraten. Wir haben ihm vermutlich das heilige Herz gebrochen. Wahrscheinlich weint er nachts um unsere verlorenen Seelen … Nicht, dass das Ungeheuer je auch nur eine Träne um die Bewohner von Neu-Heiligtum vergossen hätte! Sei still, du Narr, oder schneide dir die Zunge heraus. Verräterische Zunge! Schweig!«

Tränen traten ihm in die Augen, und er wischte sie sich mit einer Hand ab. Er erhaschte im Spiegel einen Blick auf seine Fingernägel und sah nach unten. Die Ansätze der Nägel waren dunkelpurpurn, beinahe schwarz. Er wusste, dass sie bald einreißen und bluten würden. Nicht lange danach würde er ein Leichnam wie jeder andere sein und darauf warten, auf den Wagen geworfen zu werden, der zu den Scheiterhaufen und Massengräbern nahe der Unratgrube hinter dem Südtor fuhr, demselben Tor, durch das der verdammte Junge geflohen war, der sie alle ins Verderben gestürzt hatte. Der Hauptmann hatte den Jungen noch nicht einmal gekannt. Was für eine Vorstellung, wegen eines Menschen zu sterben, den man nie gekannt hatte. Es war wirklich falsch, einfach nur falsch. In mancherlei Hinsicht hatte sich vieles an seinem Leben aber schon immer falsch angefühlt. Unter der Pflichterfüllung dem Reich gegenüber und den Opfern hatte es stets etwas gegeben, das sich nicht ganz richtig angefühlt hatte. Es musste das Chaos sein, so hatte er sich wieder und wieder gesagt. Es würde gut sein, endlich frei davon zu sein. Endlich frei.

»Hauptmann!«, ertönte ein aufgeregter Ruf von einem seiner Männer vor der Tür.

Hauptmann Hamir durchquerte das kleine Zimmer mit einem einzigen Schritt und zog die Tür auf. »Was ist?«

»Jemand ist am Tor.«

»Dann schick ihn weg.«

»Aber Hauptmann, es ist der Prediger, der zu uns zurückkehrt!« Die Augen des Helden leuchteten vor Hoffnung.

Konnte es sein, dass sie jetzt, kurz vor zwölf, doch noch gerettet werden sollten? Gepriesen seien die Erlöser! Der Hauptmann bereute seine vorherigen sündhaften Gedanken, eilte aus seinem Quartier und folgte dem Wachsoldaten. Er stieg auf die Mauer, achtete darauf, auf keinen der Eisflecken auf den Stufen zu treten, und spähte über das Nordtor.

Da stand der Prediger und wirkte nicht sonderlich mitgenommen, wenn auch vielleicht ein wenig abgemagert. Ein Dutzend Schritt hinter ihm standen ein Maultier und ein seltsamer kleiner Mann mit rasiertem Kopf und Lendenschurz. Hauptmann Hamir konnte sich nicht vorstellen, wie der Kerl die Kälte aushielt. Vielleicht hatte der Wilde ein zu simples Gemüt, um es auch nur anders zu kennen.

»Guten Tag, Hauptmann Hamir! Was für eine Begrüßung ist das denn? Wollt Ihr mich hier draußen in der Kälte stehen lassen, obwohl mir die Füße von der Reise wund sind und ich ein Dankgebet im Tempel sprechen muss, weil ich die heilige Mission, die mir der Heilige aufgetragen hat, erfüllt habe und dank der Gnade der gesegneten Erlöser sicher zu meinen Schäfchen zurückgekehrt bin?«

»Vergebt mir, Prediger! Die Stadt ist versiegelt, da die Pest immer noch unbarmherzig unter uns wütet. Wenn Ihr hereinkommt, dürft Ihr nicht wieder gehen.«

»Seid zuversichtlich, Hauptmann.« Der Prediger nickte und lächelte. »Nur wenn ich hereinkomme, kann ich den Segen der Erlöser spenden. Nur wenn ich hereinkomme, kann das Volk gerettet werden.«

»Prediger, wir sind entzückt, dass Ihr zu uns zurückgekehrt seid«, schluchzte der Hauptmann und wischte sich blutige Tränen von den Wangen. Seine Männer konnten ihren Jubel kaum zügeln. »Was ist das dahinten für ein Wicht?«

Der Prediger warf kurz einen Blick über die Schulter. »Fürchtet Euch nicht. Dieser Kobold ist der Beweis dafür, dass ich unter den Heiden gewandelt bin. Die Macht der gesegneten Erlöser hat mich beschirmt, und die Heiden sind mir zu Füßen gefallen und haben um Erlösung gefleht. Ich habe ihren heiligen Mann zu meinem Leibdiener gemacht, damit er sie in ihrem neuen Dienst am Reich anleiten kann. Also preist die Erlöser, gute Leute von Gottesgabe, denn ich habe die Heiden bekehrt und das Chaos und seine Versuchungen besiegt, ganz, wie der Heilige es befohlen hat.«

»Oh, Prediger, das ist ein Wunder!«, jauchzte der Hauptmann. Seine Männer brachen in Jubelrufe aus und grüßten den Prediger mit ihren glänzenden Waffen. »Wir sind gerettet, wir sind gerettet. Ich komme sofort hinunter, um selbst das Tor zu öffnen, damit Ihr zu uns gelangen könnt. Gelobt seien die Erlöser!«

Hauptmann Hamir sprang die Stufen hinab. Wie hatte er je an den gesegneten Erlösern zweifeln können? Er fühlte sich demütig und wie neugeboren. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Mit einer Hand warf er den schweren Torriegel beiseite, den sonst nur zwei Männer zusammen anheben konnten. Er zog an einem der Torflügel, und das Gegengewicht begann sich herabzusenken. Einer seiner Männer zog den anderen Torflügel auf, und Gottesgabe öffnete sich Prediger Praxis.

Alles verschwamm, und Hauptmann Hamir bemerkte, dass er rückwärts durch die Luft flog, als wären seinen Füßen Flügel gewachsen, die ihn hochhoben. Gelobt seien die Erlöser, so musste es sich anfühlen, ein Engel zu sein! Er prallte heftig gegen die Wand, schlug mit dem Kopf auf und sank zu Boden. Verwirrt sah er auf den befiederten hölzernen Schaft hinab, der ihm aus der Brust ragte. Wie war er dorthin gekommen?

Der Prediger trat auf ihn zu und hockte sich neben ihn. »Tut mir leid, guter Hauptmann«, flüsterte er, »aber seid versichert, dass Ihr Euer Leben im Dienste der gesegneten Erlöser geopfert habt. Es ist alles Teil des Plans des Heiligen, die Heiden aus ihren Verstecken und in die Falle zu locken, damit sie ein für alle Mal vernichtet werden können. Durch mich erfährt er alles, was geschieht. Zugleich wird das Volk von Gottesgabe für seine Sünden leiden – und dafür, dass es überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass ich verbannt wurde. Jetzt bin ich zurück, und die göttliche Vergeltung folgt mir auf dem Fuße. Nehmt meinen Segen, guter Hauptmann, denn ich werde bald ein Heiliger sein. Erwartet mich der Heilige bereits in der Stadt, um mich willkommen zu heißen?«

»N…nein. Hier ist nur der Tod«, stöhnte der Hauptmann, während er zusah, wie die Wilden unter den Bäumen hervorstürmten und ihre Pfeile einen seiner Männer nach dem anderen von der Mauer holten.

»Gleichgültig«, erwiderte der Prediger. »Ich bin sicher, dass er mit der Macht der gesegneten Erlöser erscheinen wird, wenn er beschließt, dass der rechte Augenblick gekommen ist. Guten Tag, Hauptmann.«

Hauptmann Hamir lehnte den Kopf ans Tor. Was für eine Vorstellung, so zu sterben! Nein, es war ein so guter Tod wie nur irgendeiner und wahrscheinlich besser als manch ein anderer. Es war besser, im Kampf zu sterben, als langsam an einer Krankheit dahinzusiechen, nicht wahr? Er hatte keine Angst mehr um das Volk von Gottesgabe oder um das Reich, denn sie waren nicht länger seine Sorge. Er schloss die Augen. Endlich frei.

»Freda, konntest du etwas von dem verstehen, was Wandar gesagt hat?«, fragte Jillan im Dunkeln, eher um eine Stimme zu hören, an der er sich festhalten konnte, als weil ihn die Antwort wirklich gekümmert hätte.

Die Felsfrau verlangsamte ihr Vordringen durch den Stein. »Es war nicht sehr schön anzuhören, also habe ich versucht, die Ohren davor zu verschließen. Es waren viele schlimme Wörter dabei. Zorn … und Trauer. Manches ergab keinen Sinn, als ob sein Verstand so gebrochen ist wie sein Körper. Gebrochene Worte. Dann flehte er darum, dass man ihm zuhören und antworten sollte – irgendjemand, irgendwer. Da tat es mir dann leid, dass ich nicht zugehört hatte.«

Jillan verstand ein wenig, wie der Gott sich fühlte, oder glaubte es zumindest zu verstehen, als er dort im Dunkeln kauerte und oben nicht von unten unterscheiden konnte. Er konnte seine Hände nicht sehen. Er war körperlos und verloren. Zwar konnte er seine Hände durchaus spüren, aber hatte einer der Holzfäller in Gottesgabe nicht einmal ein Bein verloren, als es unter einem Baum eingeklemmt worden war, und den Rest seines Lebens geschworen, dass er es immer noch fühlen konnte?«

»Also hast du von da an zugehört?«, hakte Jillan nach.

»Ja, Freund Jillan. Es war, als ob er von mir erwartete, etwas für ihn zu tun, aber er hat nicht gesagt, was. Ich soll ihm wohl helfen, aber ich weiß nicht wie. Freund Jillan, wir sind jetzt unter der Stadt. Wie sollen wir deine Eltern finden? Ich spüre sehr, sehr viele Leute.«

»Ich vermute, dass man sie in den Bestrafungskammern festhält, die gewöhnlich am tiefsten Punkt jeder Stadt und jedes Dorfes liegen. Kannst du feststellen, wo sie sich befinden?«

»Hier drüben«, malmte sie.

Wo zur Hölle sind wir?, fragte eine schwache Stimme. Du hast dich doch nicht etwa schon umbringen und begraben lassen, oder?

Makel!, rief Jillan geistig voller Erleichterung.

Wirklich, Junge, du musst besser aufpassen. Ich rufe doch schon seit einer Ewigkeit nach dir.

Tut mir leid. Ich konnte dich nicht hören. Wo warst du?

Ich nehme an, es sollte mich nicht wundern, da Miseraths Gegenwart mich zu einem Flüstern herabmindert und dann auch noch Wandar solch einen Lärm geschlagen hat. Er ist manchmal ein solches Kleinkind! Ein Glück, dass er nicht unter den Fels und zu uns gelangen kann. Aber das hier ist die Stadt des Heiligen, also verlierst du mich vielleicht bald wieder. Du hast doch keinen Handel mit ihm geschlossen, oder?

Mit wem? Mit dem Heiligen?

Nein, du Schwachkopf. Mit Miserath.

Ich … musste. Ich hatte keine Wahl.

Was? Man hat immer eine Wahl. Du hast doch sicher mittlerweile genug durchgestanden, um das zu wissen. Wahlfreiheit zu haben ist doch das, worum es eigentlich geht. Jillan, worauf hast du dich eingelassen?

Äh … es ist ein Teil der Abmachung, dass ich es niemandem erzählen darf.

Was! Oh, er ist heimtückisch. Hör mal, es mir zu erzählen ist so, als ob du mit dir selbst sprichst. Ich bin schließlich in deinem Kopf.

Ich kann nicht. Es dient dazu, meinen Eltern zu helfen.

Ein Seufzen. Kein Handel mit dem Großen Betrüger kann ein gutes Ende nehmen. Da lasse ich dich einmal für fünf Minuten allein, und gleich ziehst du los und bringst das Verhängnis über die ganze Welt, deine Eltern mit eingeschlossen.

Sag das nicht! Jillan zitterte.

Was soll ich denn deiner Ansicht nach sonst sagen, Jillan? Dass alles gut wird? Dass du deine Eltern befreien und Gottesgabe retten wirst, sodass ihr alle froh und glücklich bis an euer Lebensende sein werdet? Ich wünschte, das könnte ich.

Es muss einen Weg geben!

Tatsächlich?, erwiderte der Makel leise.

Jedadiah hatte enge Räume noch nie gemocht. Sein Körper fühlte sich darin immer eingezwängt, und er konnte nicht atmen. Hier war es sogar noch schlimmer, weil er angekettet war. Sie hatten ihm Handschellen angelegt, als er, nachdem sie ihn in die Zelle gesperrt hatten, in Panik geraten war und zwei Wachen den Schädel eingeschlagen hatte. Am Ende hatten sie ihn zu sechst zu Boden ringen und hier hereinschleifen müssen. Er hatte geweint und sie angefleht, aber sie hatten gar nicht darauf geachtet. Sogar nachdem sie gegangen waren, hatte er weitergebettelt, bis ihm die Stimme versagt hatte. Er hatte stundenlang gegen die Handschellen angekämpft und sich dabei fast die Handgelenke aufgerissen, bis auch seine Kraft ihn verlassen hatte.

Er wollte aufgeben. Er wollte sterben. Aber aus irgendeinem Grund durfte er das nicht. Warum war das so? Er war irgendwie auserwählt worden und hatte versprochen, niemals aufzugeben. Ja, sie hatte ihn auserwählt. Er sah ihr Gesicht vor sich, und seine Atmung beruhigte sich für ein paar gesegnete Augenblicke. Seine geliebte Maria. Und ihr gesegneter Sohn, Jillan, dessen Augen so vor Schalk, aber auch vor Leben funkelten, Jillan, der nur beim Lachen die Stirn runzelte, vor Freude, die er mit allen teilte, und dessen Lächeln nur umso heller strahlte, wenn man es mit der Traurigkeit verglich, die er erkennen ließ, wenn er Elend um sich herum sah, Jillan, der nie aufgab, wenn sein Wunsch, anderen zu helfen, ihm Kummer bereitete, Jillan, der dafür sorgte, dass Jedadiah sich demütig, bevorrechtigt und unwürdig zugleich fühlte. Gewiss war das nur, was jedes Elternteil für sein Kind empfand, aber sicher hatte kein Kind eine stärkere Wirkung dieser Art auf seine Eltern als Jillan. Er war eigentlich nur ein gewöhnlicher Junge, aber er bedeutete Jedadiah alles, wirklich alles. Er sah Jillan jetzt vor sich und spürte, wie die Kraft in sein Herz und seinen Verstand zurückkehrte.

»Du solltest nicht hier sein.«

»Ich bin hier, um dich zu befreien, Vater.«

Jedadiah blinzelte. »Jillan? Wie …? Du solltest an einem sicheren Ort sein!«

Stimmt genau. Du solltest auf deinen Vater hören.

»Es gibt keinen sicheren Ort, von dem ich weiß, Vater.« Jillan zog seine Klinge, erleuchtete so die Zelle und veranlasste Freda, sich in die Schatten zurückzuziehen.

»Das ist Sonnenmetall, Jillan!«

»Samnirs Schwert.« Er lächelte und schnitt mühelos die Ketten von den Knöcheln seines Vaters. »Freda, ich kann seine Handgelenke nicht erreichen. Kannst du es?«

Die Felsfrau trat langsam vor und nahm zögerlich das Schwert, das sie mit ausgestrecktem Arm von sich weghielt. Sie wandte den Blick ab, aber es gelang ihr dennoch, Jedadiah zu befreien, ohne ihn zu schneiden. Der hünenhafte Mann fiel zu Boden und stöhnte. Jillan sah entsetzt auf ihn hinab, da er seinen Vater noch nie so hatte auf den Knien liegen sehen. Er war immer der größte und stärkste Mann der Welt gewesen, oder etwa nicht? Jillan hatte sich in seiner Nähe stets sicher gefühlt. Er konnte es nicht ertragen, ihn so zu sehen. Sein Selbstvertrauen verflog, und er hatte auf einmal Angst.

Freda reichte Jillan die Klinge zurück und half Jedadiah auf, indem sie einen Großteil seines Gewichts stützte. »Freund Jillan, soll ich deinen Vater jetzt gleich durch den Fels aus der Stadt bringen?«

»Ich … ich weiß nicht. Wenn mein Vater nicht stehen kann, dann vielleicht. Es wird aber lange dauern, also bemerken sie vielleicht, dass er fort ist, bevor ich meine Mutter finden kann. Sie ist nicht hier unten bei dir, oder, Vater?«

Jedadiah schüttelte den Kopf. »Mir geht es gleich wieder gut, wenn das Blut zurück in meine Gliedmaßen geströmt ist. Lass mir nur einen Augenblick Zeit. Sie haben Maria irgendwo anders hingebracht. Es fühlt sich an, als ob sie nicht allzu weit entfernt ist. Ich kann uns hinführen, wenn wir Glück haben.«

Jillan trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

Du hast das alles nicht besonders gut durchdacht, nicht wahr?

Sei still! Es wird schon gutgehen.

»In Ordnung«, sagte Jedadiah, doch er hatte offensichtlich Schmerzen. »Gehen wir, denn ich nehme an, du wirst nicht auf mich hören, wenn ich dir sage, dass du einfach fliehen sollst, solange du noch kannst.«

»Tut mir leid, Vater, das kann ich nicht tun.«

»Starrköpfig, genau wie deine Mutter«, sagte Jedadiah voller Zuneigung. »Komm.«

Freda half ihnen durch die Zellenwand, und sie gingen langsam einen niedrigen, dunklen Tunnel entlang. Sie kamen an anderen Zellen vorbei; die meisten waren leer, aber in einigen schmachteten reglose Insassen. Jillan war dankbar für die Dunkelheit, da er so nicht allzu viel sehen musste.

Sie kamen an den Fuß einer ausgetretenen Treppe, an deren oberen Ende Tageslicht zu erkennen war. Jillan bedeutete den anderen zu bleiben, wo sie waren, und schlich auf Zehenspitzen hinauf. Eine Minute später kam er wieder herunter.

»Zwei Wachen«, flüsterte er. »Freda, kannst du durch den Fels gehen und ihnen eins über den Schädel geben?«

Die Felsfrau blickte angesichts der Aufforderung unglücklich drein. »Muss ich, Freund Jillan? Vielleicht verletze ich sie so schwer, dass sie nicht mehr geheilt werden können. Kann ich euch nicht einfach beide nacheinander an den Wachen vorbei durch den Fels bringen? Ich kann eine ruhige Stelle finden, wo wir aus dem Fels herauskommen können, ohne dass irgendjemand etwas bemerkt.«

Weniger aufregend, aber weitaus vernünftiger, hm?

»Das ist eine bessere Idee. Du bist wirklich schlau! Kannst du uns beide gleichzeitig mitnehmen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Dein Vater ist dafür zu groß, Freund Jillan. Es geht nur nacheinander.«

Lange Minuten später hockten die drei in einer natürlichen Sackgasse, die über dreißig Fuß weit zwischen Felswänden emporführte. Hyvans Kreuz war ein Labyrinth aus Sandsteinkuppen und Säulen, ein Ort voller enger Durchgänge, gewundener Gässchen und in den Stein gehauener Treppen, die auf- und abführten. Nichts war völlig flach oder gerade. Die Stadt war vom Wind geschaffen worden, der den Fels abgeschliffen, ausgehöhlt und nach seinem Willen geformt hatte. Sie war das Zuhause gewesen, das Wandar seinen Jüngern geschenkt hatte, ein Zuhause, in dem sie seine göttliche Kunstfertigkeit bestaunen und ihre anbetenden Stimmen in Harmonie mit der transzendenten Musik seines Odems erheben konnten. Doch seine Jünger waren nicht in der Lage gewesen, mit seiner Göttlichkeit mitzuhalten, und hatten Steingebäude auf den Freiflächen errichtet, weitere Behausungen aus dem Fels herausgehauen, Strickleitern aus höher gelegenen Räumen herabgelassen und Hängebrücken aus Tauen und Brettern gespannt, die alle dazu beigetragen hatten, die Klänge der Luft misstönend zu machen, was den Wind veranlasst hatte, auf den Felssporn einzupeitschen und die Stimme in rasendem Zorn zu erheben. Der Missklang zwischen Wandar und seinen Anhängern war bis zur unvermeidbaren Katastrophe des Erscheinens der Erlöser immer weiter gewachsen. Die Jünger waren gefallen und nun bloß noch Schatten, die chaotisch durch die Stadt tanzten und huschten. Der Klang von Hyvans Kreuz war eine ewige Klage über den Sturz seines Gottes. Die Stadt war ausgehöhlt, untertunnelt und befestigt worden, um sie dem Willen ihres neuen Herrschers und des Reichs zu unterwerfen.

Freda weinte, als sie all dies im Wind hörte. Er rief nach ihr, flehte sie an, in den Tempel weiter oben in der Stadt zu kommen. Doch sie konnte ihre Freunde nicht im Stich lassen.

»Ich spüre, dass Maria dort drüben ist. Wir sollten einfach versuchen, wie normale Stadtbewohner hinzuspazieren«, flüsterte Jedadiah.

»Freda, wahrscheinlich ist es das Beste, wenn du uns durch den Fels folgst«, schlug Jillan vor.

Freda nickte und sank außer Sicht.

Jedadiah und Jillan wagten sich aus ihrem Versteck hervor und suchten sich einen Weg vorbei an breiten Säulen, kleinen Plätzen und geschickt angelegten Terrassengärten. Sie passierten eine größere Anzahl Frauen, die unterwegs waren, um die Waren der Kaufleute in Augenschein zu nehmen, Helden, die in Reih und Glied marschierten, und Kinder, die Fangen spielten, zogen aber in diesem bevölkerungsreichen Ort nur flüchtige Blicke auf sich.

»Wie sollen wir nur je einen Weg aus der Stadt hinausfinden?«, überlegte Jedadiah laut.

Jillan wusste, dass sein Vater Menschenmassen und die Enge von Städten noch nie gemocht hatte. »Mach dir keine Sorgen. Wenn wir Mutter erst haben, müssen wir nur hangabwärts gehen. Thomas und meine Freunde warten in der Nähe des Stadttors. Ich werde so tun, als ob ich einer von Thomas’ Lehrlingen bin, und auf seinem Wagen mitfahren. Freda kann dich und Mutter nacheinander durch die Stadtmauer bringen.«

»Thomas Eisenschuh?«

»Ja!« Jillan grinste.

Jedadiah erwiderte das Lächeln seines Sohnes und zerzauste ihm das Haar, wie er es früher so oft getan hatte. Jillan hatte das in Gottesgabe immer ein wenig gestört, aber jetzt nicht mehr.

Freda trat mit der kleinen Frau in den Armen aus dem Fels hervor und legte sie vor Jillan und seinem Vater ab. Sie beobachtete neugierig, wie die wiedervereinte Familie sich lange in den Armen lag, als wollte sie sich nie wieder loslassen. Jillans Vater küsste die kleine Frau und hob sie und seinen Sohn auf einmal hoch. Jillan lachte, Maria weinte. Warum weinte die kleine Frau? Doch es schien Jillan und seinem Vater nichts auszumachen. Küsse, eine gestreichelte Wange, Stirn an Stirn.

Dann trat Maria zurück. »Ich habe gebetet, dass du nicht kommen würdest. Oh, warum musstest du herkommen, mein geliebter Sohn?«

Jillan blickte geknickt drein. »Aber ich musste dich doch befreien, Mutter.«

»Es ist schon gut, Maria. Wir sind wieder zusammen«, sagte Jillans Vater und wollte sie an sich ziehen, aber sie schlug seine Hand beiseite.

»Du solltest es besser wissen, Jedadiah!«

Jillans Vater wirkte gekränkt. »Aber wir können irgendwo hingehen, das Reich verlassen«, flehte er.

Schmerz stand in Marias Augen, als sie sie zusammenkniff und gepresst sagte: »Wir sind zu den Erlösern gezogen worden, Jedadiah. Wir können nie vom Reich frei sein. Aber der Heilige wird uns beschützen. Wir können wieder eine Familie sein, wenn wir hierbleiben.«

»Nein!« Jillans Vater zuckte fassungslos zurück. »Dieser Ort ist ein Gefängnis. Sie werden auch unseren lieben Jillan zu den Erlösern ziehen, und das weißt du. Das kannst du dir doch nicht für ihn wünschen, Maria, nicht jetzt, da wir wissen, wie wichtig er ist. Das kannst du nicht wollen! Was redest du da? Warum siehst du mich nicht an?«

»Mutter? Was ist? Komm einfach mit uns zum Stadttor, wo Thomas und meine Freunde auf uns warten. Dann können wir alle nach Hause. Zurück in unser Haus in Gottesgabe. Wie früher. Die Pest wütet dort, aber ich glaube, ich weiß, wie ich allen helfen kann.«

Maria schlug die Augen auf, in denen Tränen standen, die ihr gebrochenes Herz sie weinen ließ, und sah ihren Sohn stolz mit tapferem, zitterndem Lächeln an. Sie konnte ihm nichts abschlagen, konnte gar nicht anders, als zu nicken. »Dann lass uns gehen, mein Schatz, und wieder eine Familie sein, wenn auch nur für kurze Zeit. Aber du musst mir versprechen, tapfer zu sein, ganz gleich was geschieht.«

»Natürlich, Mutter.«

»Versprich es mir, Jillan.«

»Ich verspreche es.«

»Gut. Jedadiah, stütze mich beim Gehen«, sagte sie, drückte ihrem Mann die gewaltige Pranke und legte die freie Hand auf Jillans Schulter.

Sie gingen so schnell durch die Stadt bergab, wie sie nur irgend konnten, ohne übermäßige Aufmerksamkeit zu erregen. Freda bewegte sich durch Mauern und blieb in den Schatten, während sie hinter ihnen herhuschte. Ihre Schritte hallten in den engen Gässchen wider, als würde ihnen gleich hinter der letzten Biegung eine Armee nachsetzen, und Jillan ertappte sich immer wieder dabei, sich umzuschauen. Fast da, fast da, keuchte er im Gleichtakt mit seinem Herzschlag und seinen Schritten.

Nach geraumer Zeit gelangten sie an einen breiten Tunnel durch einen gedrungenen Felsvorsprung, hinter dem sie eine lang gestreckte Freifläche sehen konnten, die zur Mauer hinabführte, die den Felssporn umgab. War das Thomas’ Wagen, den er dort hinten diesseits der Mauer erspähte? Ja, der Schmied zeigte gerade einigen Helden seine Waren.

Sie betraten ohne Zögern den Tunnel und wagten nun, größere Schritte zu machen. Wie Wolken, die sich vor die Sonne schieben, bewegten sich dunkle Gestalten vor dem Tunnelausgang. Harte Stiefeltritte hallten im Tunnel wider, und dann ertönte ringsum eine Stimme, die gar nicht bedrohlicher hätte sein können und die Fliehenden stocksteif stehen bleiben ließ.

»So also entlohnt ihr mich für meine Nachsicht und meine Gastfreundschaft, kleine Heiden? Ihr glaubt, dass ihr euch einfach so davonschleichen könnt, ohne euch auch nur zu bedanken? Ich weiß, dass wir nicht immer ganz einer Meinung waren, Jillan, aber es gibt doch so etwas wie grundlegende Benimmregeln. Es ist nicht gerade höflich, mir meine Gäste zu stehlen, oder? Dachtest du, ich würde es nicht erfahren? Hattest du vergessen, dass der Heilige immer Bescheid weiß? Was meint Ihr, Hauptmann Skathis?«

»Geradezu ungehobelt, Heiliger.«

Der Weg nach vorn war ihnen von Dutzenden waffenstarrenden Männern versperrt. Jillan brachte es nicht über sich, sich umzudrehen und dem hämisch lächelnden Heiligen ins Gesicht zu sehen. Sie durften ihren Schwung nicht verlieren, sonst war alles aus. Er begann, den Sturm heraufzubeschwören, der zunächst nur langsam in ihm aufstieg, aber der Wind jenseits der Ruinen wirbelte schon so eifrig wie ein Tier auf der Pirsch. Freda brach plötzlich aus dem Boden vor den Soldaten hervor und begann, um sich zu schlagen. Sie renkte einem Helden den Kiefer aus und schlug einem anderen mit mächtiger Faust den Brustkorb ein. Die Männer fielen zurück, aber sie waren gut ausgebildet und griffen rasch zu den Waffen, die eine große Reichweite hatten. Ein Netz flog durch die Luft. Freda stampfte auf, dass sich Spalten im Boden bildeten, und riss weitere Männer um.

Jillan hob die Hände und ließ Funken um seine Fingerspitzen tanzen. Die Steine um Fredas Hals leuchteten auf, und sie brüllte vor neugewonnener Stärke.

»Bleibt in Reih und Glied«, bellte Skathis von hinten. »Rückt auf sie vor!«

Eine entsetzliche Druckwelle. Der Schall eines Sonnenmetallhorns explodierte ringsum und brachte Jillan und seine Gefährten ebenso aus dem Gleichgewicht wie eine ganze Reihe von Helden. Jillans Magie wurde ausgelöscht, und Freda platzten die Trommelfelle. Risse schossen ihre Arme und Beine hinauf, und sie wimmerte vor Qual, was allerdings niemand hören konnte, da der Fanfarenklang weiter im Tunnel widerhallte und sein Echo immer wieder aufs Neue ertönte und sich eher noch steigerte als abschwächte.

Jillan lag auf dem Boden und sah sich benommen um. Maria kauerte würgend auf Händen und Knien. Jedadiah wankte, als wäre er betrunken, und seine Augen blickten ins Leere. Freda lag auf dem Rücken, gebrochen, als wäre sie nicht mehr als der Schutt am Tunnelboden. Helden, die eben noch unmittelbar vor dem Tunnelausgang gewesen waren, tasteten sich vorwärts und hielten Speere aus Sonnenmetall auf die Felsfrau gerichtet.

»Lasst sie in Ruhe!«, ertönte der geistige Befehl des Heiligen. »Ich muss den Jungen haben. Nagelt ihn an den Boden, schnell!«

»Ihr habt versprochen, ihm nichts zu tun«, rief Maria hustend.

»Ha! Und was hast du versprochen, Weib? Du hast das Reich und dich selbst verraten.«

Jillan bat matt den Makel um Hilfe, aber der war von der plötzlichen Machtdemonstration des Heiligen vernichtet worden. Nur Fetzen waren noch vorhanden. Jillan griff hektisch nach ihnen, während er den Blick auf das Ungeheuer richtete, das, wie ihm nun bewusst wurde, schon sein Leben lang in seinen Träumen herumgespukt hatte. Es sah ihn hungrig sabbernd an und streifte mit dem hoch aufragenden Rücken die Tunneldecke. Die tränenden Höhlen, in denen einst seine Augen gesessen hatten, starrten wissend auf ihn herab.

»Kämpfe nicht gegen mich, Jillan«, säuselte es. »Ergib dich mir, dann verschone ich deine Eltern. Ich biete dir den Segen der Erlöser an. Ich biete dir Erlösung.«

Es hatte vor, ihn zu verschlingen, das wusste er jetzt. Er tastete nach den zerbrochenen Scherben seiner Magie und griff auf sein Innerstes zurück, auf sein Wesen.

Der heilige Azual spürte, wie Jillan sich zum Widerstand aufraffte, und hob abermals ein sonnenhelles Dämonenhorn an die Lippen, dessen Schalltrichter dem klaffenden Maul eines Wasserspeiers glich. Es war die Waffe, die Wandar zerschmettert hatte und nun auch diesen trotzigen Jungen und seine verachtenswerten Eltern niederstrecken würde.

Freda spürte, wie etwas in ihr zerbrach und riss.

Du wirst hier sterben, klagte der Wind, wenn du nicht sofort zu mir kommst.

Aber meine Freunde!, schrie sie.

Du hast für sie getan, was du kannst, ihnen alles gegeben, was in dir steckte. Du hättest nicht mehr tun können. Jetzt noch zu bleiben wäre eine leere Geste und vielleicht gar feige. Es ist schwieriger weiterzumachen, das weiß ich. Du willst hier mit deinen Freunden sterben, oder?

Ich will sie retten!

Das kannst du nicht. Was also wirst du jetzt tun? Was ist mit dem Versprechen, das du Norfred gegeben hast? Was ist mit allem, was du dem Felsgott schuldest? Was mit deinem Versprechen Anupal gegenüber? Sollen das leere Versprechen und Gesten bleiben, Freda? Willst du dich auf ein leeres Dasein und einen bedeutungslosen Tod einlassen?

Immer ging es um Schuld und Schulden, immer musste ein Preis gezahlt werden. Woran lag das? Würde sie nie frei davon sein? Sollte sie davor weglaufen, dagegen ankämpfen oder sich damit abfinden? Spielte es eine Rolle, was sie tat?

Blut stieg ihre Kehle empor, und ihr Atem ging stoßweise. Sie lag im Sterben und wusste es.

Natürlich spielt es eine Rolle, Freda, heulte der Wind. Warum sonst sollte Jillan sich so wehren? Natürlich spielt es eine Rolle. Ich weiß, dass es schmerzlicher ist weiterzumachen, aber wenn du dich entschließt, diesen Schmerz auf dich zu nehmen, dann wird dein Dasein mehr als eine leere Geste oder ein leeres Versprechen sein, und dein Tod wird am Ende nicht bedeutungslos sein.

Vergib mir!, flehte sie die Welt an und begann, in der Erde zu versinken, um dort eins mit dem Fels zu werden und ihm zu gestatten, sie neu zu erschaffen, sodass sie danach den langen, beschwerlichen Weg zum Tempel emporkriechen konnte.

Jillan zögerte nicht, sondern schlug mit allem um sich, was er hatte sammeln können, als das Horn wieder zu ertönen begann. Ein Blitz zuckte durch den Tunnel, griff nach den Helden und sprang auf den verabscheuungswürdigen Heiligen zu. Die Energie des Horns hielt ihn auf, und die Luft zwischen ihnen kochte. Ein Held kam in den Zwischenraum gewankt, und seine Rüstung löste sich zusammen mit seiner Haut auf. Heiße Luft verbrannte die Innenseite seiner Lunge, und Blut quoll zischend aus jedem seiner Körperteile hervor. Seine Augen platzten, und die gallertartige Masse in ihnen fing Feuer. Danach löste er sich fast völlig in Dampf auf, sodass nur noch eine Kohlespur auf dem Boden zeigte, dass er je ein lebendes, atmendes Geschöpf gewesen war.

Gespenstisches Feuer ergoss sich von Jillans Standort aus über Boden und Decke, setzte eine Handvoll Helden in Brand und drängte die anderen zurück. Die Flammen umspielten den Heiligen, aber die Energie, die von ihm ausging, hielt das Feuer zurück. Jillans wilde Magie heulte und fuhr in Spiralen empor, peitschte die kochende Energie in der Tunnelmitte zu einem Strudel auf, sodass Kraftlinien in alle Richtungen geschleudert wurden, auf den Fels trafen, Löcher in Oberkörper brannten und die gesamte Umgebung in einen Glutofen verwandelten. Der Klang des Horns wurde übertönt, und dann brach eine Explosion aus beiden Enden des Tunnels hervor und streckte alles und jeden darin zu Boden.

Druckwellen. Stille. Jillan wurde klar, dass er das Gehör verloren hatte. Er war auf seinem Vater gelandet, der seinerseits instinktiv Maria mit seinem Körper beschirmt hatte. Jillan sah auf seine leuchtende, schwelende Rüstung hinab und begriff, dass sie alle drei vor einem Großteil des Schadens bewahrt hatte. Nach den verkohlten, rauchenden Überresten zu urteilen, die den Tunnelboden bedeckten, hatten andere nicht so viel Glück gehabt. Der heilige Azual hielt den Arm erhoben, mit dem er das schreckliche Horn getragen hatte. Das Sonnenmetallinstrument war im Hexenkessel ihres Zusammenstoßes geschmolzen und umfloss nun die Hand des Heiligen. Das Metall schien sich in sein Handgelenk und dann in seinen Unterarm zu fressen. Er schrie oder brüllte vielleicht Befehle, aber Jillan konnte nicht das Geringste hören, nicht einmal den Makel. Ein von Brandwunden übersäter Hauptmann Skathis ignorierte seine eigenen Schmerzen, stolperte zu seinem Gebieter hinüber und durchschlug den heiligen Unterarm mit einer Sonnenmetallklinge, die die Wunde sofort versiegelte.

Der heilige Azual lächelte tatsächlich. Er wies mit dem Armstumpf auf Jillan.

Jillan versuchte sich zu bewegen, aber er war völlig erschöpft, und die Lebensenergie in seinem Innern flackerte besorgniserregend. Die Tunneldecke sauste auf ihn zu, und ihm wurde bewusst, dass er hochgehoben wurde … von seinem Vater – genau wie damals, als er ihn in Gottesgabe gefunden hatte. Seine Mutter steckte unter dem anderen Arm seines Vaters. Jillan hätte gern vor Erleichterung geweint, aber sogar dazu fehlte ihm die Kraft.

Sein Kopf wippte auf und ab wie bei einer Lumpenpuppe. Hatte er für einen Augenblick das Bewusstsein verloren? Sie waren außerhalb des Tunnels. Helden rannten aus allen Richtungen den Hang hinauf auf sie zu. Der Himmel über ihnen glich einem Stahlblech, und die graue Stadtmauer von Hyvans Kreuz bildete den Horizont. Sie saßen immer noch in der Falle.

Jillan war schwächer als ein Neugeborenes, aber er erkannte, dass ein Teil seines Gehörs zurückgekehrt war, denn er konnte das unregelmäßige Knirschen der Schritte seines Vaters und die Rufe der Soldaten wahrnehmen, die auf sie zustürmten.

Jedadiah setzte seinen Sohn und seine Frau ab, trat vor und baute sich breitschultrig auf.

»Samnirs Schwert«, flüsterte Jillan, und der Wind trug die Worte rasch in die Ohren seines Vaters.

Jedadiah wirbelte herum, packte den Griff an Jillans Hüfte und riss das Schwert gerade noch rechtzeitig hoch, um die erste niederfahrende Klinge abzuwehren. Das Sonnenmetall von Samnirs Schwert schnitt durch die andere Waffe, als wäre sie gar nicht da, und schlug dem Helden mit derselben Bewegung den Kopf ab.

Jedadiah beförderte den kopflosen Leichnam mit einem Tritt zwischen die Beine des nächsten Mannes, wandte sich nach rechts und rammte die Schwertspitze durch einen Schild in die Brust eines anderen Soldaten. Im selben Augenblick kam ein Held mit erhobenem Schwert von links herangestürmt. Jedadiah wusste, dass er ihm nicht ausweichen konnte, also verlagerte er sein Gewicht, um sich direkt auf ihn zuzubewegen, und senkte dann die linke Schulter, um sie dem Angreifer in den Bauch zu rammen. Mit einem kraftvollen Schwung seines linken Arms schleuderte der Jäger den Soldaten über seinen Kopf und Rücken. Der Held prallte hinter Jedadiah auf den steinigen Boden, als Samnirs Schwert sich gerade aus dem anderen Mann löste. Jedadiah ließ sich hintenüberfallen und rammte die Klinge über seine rechte Schulter hinweg geradewegs in die Eingeweide des Helden.

»Pass auf!«, schrie Maria, als fünf weitere Helden anrückten, während Jedadiah noch am Boden lag. Sie stieß geheimnisvolle Worte hervor und zeichnete Muster in die Luft. Drei der Soldaten blieben verwirrt stehen, als die Luft vor ihren Augen zu glitzern und das Licht zu brechen begann, aber die anderen beiden kamen von der Seite und fielen ihrem Trugbild so nicht zum Opfer.

Einer stach auf Maria ein, als sie sich abrollte. Die Klinge drang ihr in die Seite, aber nicht tief genug, um sie zu töten. Sie schrie auf, und Jedadiah warf in Panik einen Blick zu ihr hinüber. Der anstürmende Soldat war erfahren genug, um sich genau diesen Moment zum Angriff auszusuchen.

Die Spitze von Jedadiahs Klinge senkte sich leicht, als er dazu ansetzte, einen Ausfallschritt zu machen, um Maria zu retten. Der Soldat stach mit seinem eigenen Sonnenmetallschwert über die Klinge seines Feindes hinweg. Jillan riss entsetzt die Augen auf. Er versuchte, die Zeit aufzuhalten und die Klinge durch schiere Willenskraft daran zu hindern, sich weiter auf seinen Vater zuzubewegen, betete zu Wandar, sie aus ihrer Bahn wegzublasen, und beobachtete, wie sie sich quälend weiter näherte. Jeder einzelne Augenblick war ein ganzes verlorenes Leben. Sollte er die Augen schließen?

Der Held stand plötzlich aufrechter, als würde er Haltung annehmen. Er hob die Hand an den Oberkörper, als wollte er vor einer Musterung etwas Unsichtbares wegwischen. Dann kippte er vornüber. Ein Pfeil war ihm tief in den Rücken gedrungen. Mit einem Sirren streckte ein weiterer Pfeil den Helden nieder, der auf Maria eindrang.

Aspin winkte zu ihnen herauf und rief: »Kommt schon!«, bevor er schnell wieder in seinen Köcher griff. Helden umstellten den Bergkrieger, Ash und Thomas. Wie Aspin kämpfte Ash mit einem Bogen, während Thomas mit geübtem Geschick Wurfmesser schleuderte. Überall auf der Mauer standen Bogenschützen und versuchten, Jillans Gefährten niederzustrecken, aber der Wind peitschte auf sie ein und sprach ihrer Zielgenauigkeit Hohn. Eine plötzliche Bö ließ einen Pfeil sogar zurück zu seinem Besitzer fliegen und in dessen Auge versinken. Doch ein paar der Pfeile hatten Spitzen aus Sonnenmetall, und diese durchschnitten die Luft mit furchterregender Kraft und Treffsicherheit und ließen den Wind vor Qual aufheulen und an manchen Stellen abflauen. Nur weil Ash immer genau zur rechten Zeit auswich, konnte er im letzten Moment solchen Geschossen entgehen. Aspin und Thomas dagegen waren gezwungen, hinter dem Wagen Deckung zu suchen, sodass sie nur noch sehr begrenzt in der Lage waren, den Ansturm der Feinde aufzuhalten.

Die ganze Zeit über eilten immer neue Helden herbei, alle angetrieben von der Stimme ihres Heiligen, die sich nun dröhnend über die Stadt erhob: »Tötet sie alle, bis auf den Jungen!«

Ein von Hauptmann Skathis angeführter Trupp kam aus dem Tunnel hinter Jillan und seinen Eltern hervor.

»Seht sie euch doch nur alle an. Wir schaffen das nie!«, schrie Maria, als Jedadiah die drei Helden erschlug, die sie verhext hatte.

»Oh, da bin ich aber anderer Meinung!«, krähte ein goldener Jüngling, der von oben herabschwebte.

»Was ist das? Ein Engel?«, keuchte Jedadiah.

»Im Gegenteil«, knurrte Jillan. »Aber er muss uns helfen.«

»Ich werde deine Verdrießlichkeit gar nicht beachten, Jillan. Das sind deine Eltern, nicht wahr? Ich bin froh, euch endlich kennenzulernen. Jillan hat mir so viel über euch erzählt. Na, Jillan, willst du uns einander nicht vorstellen?«

»Wir haben keine Zeit!«

»Man hat immer Zeit für gutes Benehmen, junger Mann. Oh, nun gut. Wenn ihr wohl so freundlich wärt davonzulaufen, werde ich sicherstellen, dass euch nichts Böses widerfährt. Du da, Jillans Vater! Ich vermute, du wirst Jillan tragen müssen. Gut so. Jillan kann das Schwert nehmen. Und los geht es.«

Sie rannten den Abhang hinunter. Der Sonderbare glitt vor ihnen her, die Arme und Hände in lange, flache Klingen verwandelt, die es ihm gestatteten, sich in die Luft zu erheben und im nächsten Augenblick Helden niederzumähen. Wenn ein Held eine Waffe zur Abwehr oder zum Zuschlagen erhob, wurde der Sonderbare zu einem Nebel, versenkte die Hände in dem Kämpfer und wurde dann wieder fest, so dass er sein Opfer von innen zerfleischen konnte. Dem Wind schien es zunächst zu widerstreben, aus einer für ihn günstigen Richtung zu wehen, und er hielt den Sonderbaren mehrfach auf, aber dann überlegte er es sich anders und trug ihn mit wachsender Geschwindigkeit von Feind zu Feind.

Ein Trupp von sechs Helden stürmte in Angriffsformation auf den Sonderbaren zu. »Legt die Waffen nieder und fallt vor mir auf die Knie!«, säuselte der Goldene, und sie blieben gebannt stehen.

»Ich führe hier den Befehl!«, dröhnte die geistige Stimme des heiligen Azual, holte sich seine Männer zurück, erzeugte eine Windstille und ließ den Sonderbaren zu Boden stürzen, sodass er sehr unwürdig aufschlug.

Der Sonderbare nahm sich einen Augenblick Zeit, seinen Helm zurechtzurücken, aufzustehen und die Falten seines Gewands zurechtzustreichen. »Das geht so wirklich nicht«, verkündete er, als die sechs Männer abermals auf ihn zuhielten. »Jillan und Familie, geht ohne mich weiter. Ich bin gleich wieder bei euch.«

Eine Klinge fuhr auf ihn herab, und er machte sich so unmöglich dünn, dass sie ihn verfehlte. Eine andere schoss waagerecht auf ihn zu, parallel eine zweite weiter unten. Er wurde zu einer geflügelten Schlange und raste durch die Lücke zwischen beiden, peitschte nach rechts und links und versenkte Giftzähne im Unterarm des einen und im Oberschenkel des anderen Mannes. Beinahe sofort traten Äderchen um die Bisse herum grün hervor, während das tödliche Gift sich die Gliedmaßen entlang bis ins Herz ausbreitete. Die Männer wanden sich wie eben noch die Schlange und stürzten tot zu Boden.

Der Sonderbare landete hinter den verbliebenen Männern und war wieder zum schönen Jüngling geworden. Er spuckte aus. »Igitt! Salzig! Ihr solltet wirklich darauf achten, was ihr esst.«

Aber dann stürzte der heilige Azual sich ins Getümmel, sprang aus dem Tunnel hervor und warf sich mit einem einzigen Satz auf den Sonderbaren. Der Heilige erhielt Unterstützung von dem rasch hinzueilenden Hauptmann Skathis, und plötzlich war der Sonderbare von oben und unten zugleich von Feinden bedroht. Er schlug einen Salto rückwärts und entging so gerade noch den zuschlagenden Klauen des Heiligen. Hauptmann Skathis drang auf ihn ein, und der Sonderbare wurde zum Nebel. Als gespenstische Hände nach der Brust des Veteranen griffen, schoss das Schwert des Hauptmanns durch den Kopf des Sonderbaren nach oben und schleuderte ihm den Sonnenmetallhelm von der Stirn, so dass die Kopfbedeckung den Felsen hinabrollte.

»Aaaahhh!«, schrie der Sonderbare auf. Seine Zunge verlängerte sich, quoll ihm aus dem Mund und hing bis auf den Boden. Er hielt sich die Schläfen, und seine Hände drangen ihm durch den Schädel, als bestünde er nur aus Brei. Seine Knie gaben nach und rutschten beiseite; seine Oberschenkel prallten dumpf auf den Boden und platzten dann auf. Seine Ellbogen verformten sich und zerliefen, und sein Unterkiefer klaffte bis über die Hüften hinab auf. Die Augen flossen ihm wie Wasser die Wangen hinab. »So viele Stimmen«, rülpste er. »Ich bin alle!«

Die Hand des Heiligen fuhr auf den Kopf des Sonderbaren nieder und rammte ihm den eigenen Schädel in den hervorquellenden Brustkorb. Kratzende Fingernägel zerfetzten die Rippen und enthüllten den Kopf, der in seinem eigenen Herzen ruhte und mit den Zähnen klapperte, als wollte er das lebenswichtige Organ verschlingen. Der Heilige ballte die Hand zur Faust und versetzte dem Kopf mit aller Kraft einen Hieb, sodass das ganze Durcheinander den Hang hinabwirbelte.

»Du bist niemand! Nichts! Ich bin hier der Gott!«, verkündete der Heilige und stürzte sich dann auf Jedadiah.

Jedadiah schleuderte Jillan genau in dem Augenblick durch die Luft und in die wartenden Arme des Schmieds, als der herabfahrende Schatten des Heiligen ihn einhüllte. Jedadiah baute sich breitbeinig auf, hob die Fäuste, spannte sich an und stählte sich so gut wie möglich. Der Wind verschwor sich mit ihm, um die Flugbahn des Heiligen etwas anzupassen, als er herabsauste … und so fand er sich auf die lebende Waffe aufgespießt wieder, zu der Jedadiah geworden war. Einer von Jedadiahs Armen knackte hörbar, und er brach zusammen, aber er streckte die Finger seiner anderen Hand im Körper des Heiligen aus, um seine Eingeweide zu packen und hervorzuziehen. Doch die Gedärme entglitten ihm und ließen sich nicht festhalten.

Zusammengekrümmt wich der Heilige zurück. Thomas hatte Jillan hinter sich gestoßen und sprang nun mit seinem mächtigen Hammer hinzu, um dem Heiligen den Garaus zu machen, aber Hauptmann Skathis warf sich mit einem Schild und einer Reihe Helden dazwischen, um seinen Gebieter zu retten.

»Nein, Thomas! Bring Jillan weg, solange du noch kannst!«, schrie der verletzte Jedadiah. »Das Tor steht noch offen. Jetzt oder nie!«

Der Sonderbare, der seine grässliche Erfahrung offenbar unbeschadet überstanden hatte, landete zwischen ihnen. Der Helm war wieder an Ort und Stelle. »Ja, jetzt oder nie.«

Aspin und Ash schossen weiter Pfeile ab, hielten das Tor für kostbare weitere Sekunden geöffnet und die Bogenschützen auf den Mauern ein ganzes Stück auf Abstand. »Wenn wir fortwollen, dann jetzt«, keuchte Ash heiser und beugte sich bis zum Boden hintenüber, um einem weiteren tödlichen Sonnenmetallpfeil auszuweichen. »Ich halte das nicht länger aus.«

»Eisenschuh, um der Freundschaft willen, die du mir einst entgegengebracht hast, schaff meine Frau und meinen Sohn sicher aus diesen Mauern heraus, ich flehe dich an!«

Thomas nickte grimmig. »Das werde ich, mein Freund.«

»Nein! Vater!«, rief Jillan heiser, der auf wackeligen Beinen am Wagen lehnte. »Miserath, du hast mir versprochen zu helfen, sie zu befreien. Du hast es versprochen!«

Der Sonderbare lächelte sanft. »Ich habe mich bereit erklärt, sie unbeschadet ans Tor von Hyvans Kreuz zu bringen, und das habe ich getan. Es tut mir leid, aber mehr kann ich nicht tun, denn auf deiner Mutter liegt eine Ägis, ein Anspruch, der Vorrang hat.«

»Ich lasse es nicht zu!«, brüllte der heilige Azual, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und schleuderte die umstehenden Männer beiseite. Der Verwesungsgestank seines Atems war überwältigend. »Du bist der Pestbringer, Junge! Ich werde dir nicht die Freiheit gestatten, deinen Makel noch weiter zu verbreiten. Du hast Tausende von meinen Leuten ermordet. Tausende! Deine Magie sickert ständig aus dir hervor und zerfrisst dieses Land wie ein Krebsgeschwür. Sogar deine eigene Mutter hat geschworen hierzubleiben und dich bei sich zu behalten, damit deiner monströsen Bosheit Einhalt geboten werden kann.«

»Nein!«, schrie Jillan und schlug mit der Faust auf den Wagen. »Lügner! Das ist nicht wahr! Du bist das Monster.« Doch als er flehentlich von Gesicht zu Gesicht sah, sagten ihm das Schluchzen seiner Mutter, die Bekümmerung des Sonderbaren und die Art, wie Ash beiseiterückte, um eine direkte Berührung mit ihm zu vermeiden, dass es genauso war, wie der Heilige sagte. »Bitte! Nein! Mutter, sag ihnen, dass es nicht wahr ist!«

Maria sah ihren geliebten Mann an und bat ihn mit den Augen um Verständnis und flehte dann Jillan um Vergebung an. Sie warf den Kopf zurück und schrie ihre Qual in den Himmel empor. Sie war bis an den Horizont und darüber hinaus zu hören, denn die Welt war beim Klang ihres urwüchsigen Leids zum Stillstand gekommen. Die Pferde im Wagengeschirr wieherten vor Entsetzen. »Jedadiah, mein Geliebter! Du musst ihn retten! Du musst! Um unserer aller willen! Für das Geas! Für alles Leben!«

»Nein!«, donnerte der Heilige. »Eure Leben gehören mir, genau wie das Volk! Jillan, ergib dich mir, oder ich werde deine Eltern hier und jetzt vernichten, und das mit einem bloßen Gedanken.«

Jillan konnte vor Tränen in den Augen und vor innerlichem Entsetzen nichts sehen. All diese Leute waren seinetwegen gestorben. Seine eigene Mutter war willens, ihn zu verraten, weil er zum Ungeheuer geworden war. Und viele andere würden sterben, wenn er nicht allem ein Ende setzte. »Es soll aufhören!«

Sein Vater kam auf die Beine und hielt den gebrochenen Arm vorsichtig an die Brust gedrückt. Jedadiah sah seine Frau liebevoll an. »Jetzt weiß ich, warum du mich vor so langer Zeit auserwählt hast. Es war um dieses einen Augenblicks willen.«

»Es war um des Mannes willen, der du bist, Geliebter: Du bist ein Mann, der mit Kraft und Leidenschaft durchhält, wo andere es nicht tun. Du hast mich immer Demut empfinden lassen.«

»Und ich habe dich nie mehr geliebt als jetzt. Du hast mir nichts als Glück und Lebenssinn und einen wunderbaren Sohn geschenkt. Ich hätte nicht mehr haben können, wenn ich hundert Leben gelebt hätte. Leb wohl, meine Liebste.«

»Leb wohl, mein teurer Jedadiah.«

»Mein Sohn, du wirst mir ein letztes Mal gehorchen und jetzt gehen. Deine Mutter und ich halten das Tor. Sei tapfer, Jillan, denn gegen unsere Liebe zu dir kann kein Schmerz bestehen. Eisenschuh, bring ihn fort von hier.«

Thomas nickte und warf seinem alten Freund ein Langschwert vom Wagen zu, dann Maria ein Paar langer Messer. »Möge das Geas euch beide beschützen!« Er hob Jillan hoch und warf ihn sich über die Schulter. Jillan versuchte sich zu wehren, war aber der gewaltigen Körperkraft des Schmieds gegenüber machtlos.

»Mutter! Vater! Bitte!«

Der heilige Azual zischte und machte zornig einen drohenden Schritt vorwärts. Ash und Aspin richteten sofort ihre Pfeile auf ihn. Dutzende von Helden, die sie umzingelt hatten, hoben zur Antwort die Speere und warteten auf die Befehle ihres heiligen Gebieters.

»Ihr habt mir zum letzten Mal getrotzt, erbärmliche Heiden! Ihr glaubt also, dass das Geas in dieser Welt auch nur einen Hauch von Einfluss hat? Dann lasst uns sehen, ob es euch schützt, wenn ich euch die Herzen in der Brust platzen lasse!« Azual schickte einen magischen Befehl aus, und Jedadiah, Maria und Thomas wurden allesamt blass und gerieten ins Wanken.

»Oh, das war aber schlecht gemacht, kleiner Heiliger!«, sagte der Sonderbare tadelnd, während er Thomas eine Hand auf die Schulter legte, um ihn zu stützen, und auf die beiden anderen wies. Maria brach in die Knie, aber Jedadiah konnte sich gerade noch auf den Beinen halten. Er knirschte mit den Zähnen, umklammerte sein Schwert fester und hob es wieder in abwehrbereite Haltung.

»Du wagst es, dich einzumischen?«, tobte der Heilige. »Deinesgleichen ist doch längst gebrochen! Du hast hier weder Rechte noch Macht!«

»Im Gegenteil. Mein Anspruch auf den Jungen ist größer als deiner, und du bist nichts als ein feiger Lakai der Andersweltler. Da mein Wille in dieser Angelegenheit zugleich ihr Wille ist, kannst du mir nicht widersprechen, was den Jungen betrifft. Die Eltern sind Opfer genug für deine Launenhaftigkeit und Verblendung.«

Thomas wurde damit fertig, die Pferde aus dem Geschirr freizuschneiden, und schwang sich mit Jillan auf den Rücken des einen, während Ash und Aspin auf das andere stiegen.

»Tötet sie alle!«, brüllte der heilige Azual.

Jedadiah hielt stand, schwang das Langschwert wild mit dem gesunden Arm, hieb einen Mann nieder und brachte einen zweiten ins Stolpern. Er machte einen Sprung rückwärts, und die Helden standen sich gegenseitig im Weg, als sie auf ihn einzudringen versuchten. Die Kämpfer weiter hinten im Getümmel warfen ihre Speere, aber der Wind zog die Waffen nach unten und in die Schultern der Soldaten an vorderster Linie. Der Zusammenbruch der ersten Reihe behinderte die nachrückenden Männer. Jedadiah schwang seine Klinge abermals wie eine Sichel, traf einen Soldaten unter der Achsel und zog die Waffe dann weiter im Bogen durch Kehle und Oberschenkel eines Helden. Männer fluchten, schrien und riefen.

»Zurück, ihr Narren!«, brüllte Hauptmann Skathis. »Rückt auf mein Zeichen hin zusammen vor. Bogenschützen, macht euch bereit!«

»Sie entkommen!«, schrie der Heilige und schlug eine Schneise durch seine eigenen Männer. Einem Soldaten wurde von dem rücksichtslosen Heiligen der Schädel eingeschlagen, einem anderen das Genick gebrochen. Der Heilige hob die Hand, um Jillans kniende Mutter in den Boden zu schmettern.

»Geas, nimm mich auf!«, schrie Maria, breitete die Arme aus und entließ das goldene Funkeln ihrer eigenen Lebensenergie in die Luft. Sie hatte aus dem Kern ihres Wesens alles gegeben, was sie hatte, und sich in einem letzten Akt geopfert, um Jillan und seinen Gefährten ein paar kostbare Sekunden zur Flucht zu erkaufen.

»Mutter!«, schluchzte Jillan hysterisch von Thomas’ fliehendem Pferd herab und barg das Gesicht.

Die Magie von Marias Todeszauber durchdrang den Heiligen und ließ ihn stocksteif stehen bleiben. Sie zog ihn unaufhaltsam in seine eigene Sterblichkeit zurück und in den Tod! Sein Fleisch verwelkte, wo immer die goldenen Staubkörnchen es berührten. Hinter dem Heiligen begannen Männer zu fallen, als ihre Körper mit einem Schlag versteinerten.

Mit letzter Kraft ließ der heilige Azual einen roten Nebel los, um das tanzende Gold zu ersticken und Jedadiahs Kampfgeist und Lebenskraft auszulöschen. »Wir sehen uns in Gottesgabe, Jillan«, hallte die Stimme des Heiligen vom Himmel wider. »Du hast gesehen, wie deine Eltern vernichtet worden sind, und als Nächste kommen deine geliebte Hella, Samnir und alle anderen an die Reihe, die du je gekannt hast – sofern die Pest, die du über sie bringst, sie nicht schon verwesen lässt, bevor ich dorthin gelange. Du wirst sie alle ins Verderben stürzen! Und höre mich, Miserath! Wir sind noch nicht fertig miteinander, du und ich. Ich freue mich schon darauf, das Blut desjenigen zu kosten, der einst ein Gott war, und dich ein für alle Mal zu vernichten!«

Hauptmann Skathis stemmte sich stockend aus dem Schlamm und den Eingeweiden hoch und kroch, bis er sich vor seinem Heiligen befand. »H…Heiliger, sollen wir sie verfolgen?«

»Macht Euch keine Sorgen, guter Hauptmann, sie können dem Verhängnis meines Willens nicht entkommen. Ich habe die Heiden hervorgelockt, damit sie in Gottesgabe meines Urteils harren. Die Feinde des Reichs haben sich unweigerlich ihr eigenes Grab geschaufelt und werden als Werkzeug und Zeugen meines rechtmäßigen Aufstiegs dienen. Ich werde die Macht des Geas und sodann die gesamte Welt für die gesegneten Erlöser in Besitz nehmen. Also versetzt die Armee in Gefechtsbereitschaft, guter Hauptmann, denn jetzt marschieren wir. Schickt nach Heldenbach und Erlöserparadies, damit die dortigen Helden zu uns stoßen und das ganze Volk frohlocken kann, dass der Augenblick seiner endgültigen Erlösung aus dem Chaos endlich gekommen ist.«