EPILOG

Es dämmerte beinahe schon, als die letzten Vampire das Schlachtfeld verließen und den Schutz ihrer Verstecke aufsuchten.

Vorsichtig kroch Gaius unter der Steinmauer hervor, die über ihm zusammengebrochen war, nachdem er dagegengeschleudert worden war. Das war ein recht erstaunlicher Glücksfall, wenn man bedachte, dass er dadurch vor dem nicht enden wollenden Kampf geschützt worden war.

Noch wichtiger war jedoch, dass ihm die zerstörte Mauer Schutz vor Styx und seinem Schlägertrupp geboten hatte, welche ihn zweifelsohne beim ersten Anblick sofort getötet hätten.

Allerdings war er sich nicht ganz sicher, ob er glücklich sein sollte, überlebt zu haben.

Sein Leben als Sklave des Fürsten der Finsternis mochte beendet sein, doch er hatte die Vampire verraten. Nun würde er den Rest der Ewigkeit mit dem Versuch verbringen müssen, sich vor ihnen verborgen zu halten, um ihrem Zorn zu entgehen.

Er war ein Ausgestoßener ohne einen Ort, zu dem er gehen konnte, und ohne eine Person, an die er sich wenden konnte, damit sie ihm half.

Vertieft in seinen Anfall von Selbstmitleid, erhob sich Gaius und warf einen Blick auf seinen verletzten und blutüberströmten Körper. Er würde sich einen Unterschlupf suchen müssen, doch zuerst musste er Nahrung zu sich nehmen.

Er machte einen Schritt, hielt aber abrupt inne, als er eine Stimme in seinem Kopf flüstern hörte.

»Gaius …«

»Nein.«

Panikerfüllt schüttelte er den Kopf. Es konnte nicht der Fürst der Finsternis sein. Dieses Miststück war tot. Das konnte er im tiefsten Inneren seiner Seele spüren. In der, die er einst verkauft hatte.

Die Stimme erklang erneut. »Hilf mir.«

»Nein. Verschwindet aus meinem Kopf.«

»Gaius, ich bin es, Dara.«

Er stutzte und ballte die Hände zu harten Fäusten. »Das ist unmöglich. Das ist nur ein Trick des Fürsten der Finsternis.«

»Nein, Gaius«, versicherte ihm die Stimme. »Deine Meisterin ist tot, aber ihr Tod brachte mich hierher.«

Er runzelte die Stirn. War das möglich?

Die Dimensionen hatten sich geöffnet.

Wenn die Dämonen der Hölle entkommen konnten, weshalb dann nicht auch die Toten?

»Du bist hier?«, fragte er vorsichtig. Sein verzweifeltes Bedürfnis, wieder mit seiner Gefährtin vereint zu sein, lieferte sich einen Kampf mit der Erinnerung an das letzte Mal, als er mit der Aussicht auf Daras Rückkehr geködert worden war.

»Ja«, flüsterte sie.

»Wo?«

»Folge meiner Fährte.«

Er fauchte schockiert, als ihm das Aroma von Myrrhe und Zimt in die Nase stieg und Erinnerungen heraufbeschwor.

Sie war es wahrhaftig.

Niemand sonst verfügte über genau diesen Duft.

Nur seine Gefährtin.

Gaius bewegte sich wie im Traum. Er schritt über die verwesenden Leichname und die vergessenen Waffen hinweg und wandte sich einer entfernten Ecke zu. Als er sich ihr näherte, schien ein schwarzer Schatten sich zu bewegen und die Form einer schlanken Frauengestalt anzunehmen, die ein einfaches weißes Kleid trug und auf dem Boden ausgestreckt dalag. Er beschleunigte seine Schritte, und die Dunkelheit bildete erneut einen Strudel und enthüllte ein ovales, honigfarbenes Gesicht, das von einem Vorhang aus glattem blauschwarzem Haar umrahmt wurde.

»Dara!« Gaius fiel neben ihr auf die Knie und streckte die Hand aus, um mit zitternden Fingern über die klare Kontur ihres Kiefers zu streichen. »Wie ist das möglich?«

»Wir können noch nicht reden.« Ihr Lächeln drang ihm tief ins Herz. »Wir müssen von hier verschwinden.«

Gaius sah sie verwirrt an. »Wie denn? Die Morgendämmerung beginnt schon bald.«

Sie berührte mit einer schlanken Hand das Medaillon, das noch immer um seinen Hals hing. »Hiermit.«

Gaius fuhr zurück. Hatte sich ihr schlanker Körper für einen Augenblick in Nebel verwandelt?

Nein. Er schüttelte den Kopf. Das war reine Einbildung gewesen.

Dies war Dara.

Seine geliebte Gefährtin.

Sein Herz vermochte es nicht, etwas anderes gelten zu lassen.

»Wohin sollen wir gehen?«, fragte er leise.

Sie schenkte ihm erneut ein herzergreifendes Lächeln. »Irgendwohin, wo wir zusammen sein können.«

»Ja.«

Gaius nahm ihren zerbrechlichen Körper auf die Arme, legte die Hand auf das Medaillon und schloss die Augen.


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