KAPITEL 7

Kassandra hatte in den vergangenen drei Jahrzehnten eine ganze Menge über Geduld gelernt.

Dass sie eine Gefangene des Dämonenlords gewesen war, bedeutete, dass sie den Großteil ihres Lebens in feuchtkalten Höhlen verbracht hatte. Gelegentlich waren ihr ein Fernsehgerät oder Bücher zugestanden worden, mit deren Hilfe sie sich die Zeit vertreiben konnte, aber größtenteils hatte sie endlose Tage ohne etwas anderes als ihre Visionen zur Zerstreuung ertragen müssen.

Dennoch brauchte sie ihr ganzes Geschick, um den gereizten Caine aus dem Tunnel zu holen. Sie setzte all ihre Kraft ein, um ihn hochzuschieben und dann über den Rand des Müllcontainers zu ziehen. Und dann gelang es ihr mit Mühe, ihn zu dem wartenden Jeep zu schaffen und auf dem Beifahrersitz abzuladen, wobei sie seine gereizten Klagen, er sei nicht invalide, nicht weiter beachtete. Sie glitt hinter das Lenkrad.

Caine, der vor ihr zu verbergen versuchte, dass er immer noch durch seine Verletzungen geschwächt war, wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf ihr einen frustrierten Blick zu. »Was machst du da?«

Sie verkniff sich ein Lächeln. Er wäre nicht in einer dermaßen schlechten Stimmung, wenn sein Körper nicht heilen würde.

Als er zu ihren Füßen zusammengebrochen war, war sie verrückt vor Angst gewesen. Was, wenn er bei dem Versuch, sie zu beschützen, getötet worden war? Allein diese Vorstellung hatte ihr einen brutalen Schlag in den Magen versetzt.

Diesen Verlust könnte sie nicht ertragen.

So einfach war das.

Kassie riss sich gedanklich von der negativen Erinnerung los und wandte sich stattdessen der anstehenden Aufgabe zu. Ob es ihm gefiel oder nicht – Caine war noch immer schwach, und sie würde die Verantwortung übernehmen müssen.

»Ich werde uns von hier fortbringen«, antwortete sie und nagte an ihrer Unterlippe, als sie sich darauf konzentrierte, den Schlüssel zu finden, den Caine immer unter der Fußmatte versteckte, und ihn in die Zündung zu stecken.

»Kannst du überhaupt fahren?«, wollte Caine wissen.

Der Motor erwachte dröhnend zum Leben, und sie betrachtete forschend das knaufartige Ding, das sie, wie sie sich erinnerte, nach unten ziehen musste, damit das Fahrzeug sich vorwärtsbewegte.

»Wie schwer kann das schon sein?«

»Scheiße«, murmelte er. »Warte einen Moment. In ein paar Minuten geht es mir wieder gut.«

Es gelang ihr, den richtigen Gang einzulegen, und sie trat vorsichtig auf das Gaspedal und umklammerte das Lenkrad mit eisernem Griff, als sie langsam die dunkle, leere Straße entlangfuhren.

»Und was, wenn wir verfolgt werden?«

»Es gibt einen Versteckzauber, der unsere Fährte eigentlich abgeschwächt haben sollte«, erwiderte Caine und griff mit der Hand nach dem Handschuhfach, um sich daran festzuklammern, als Kassandra begann, schneller zu fahren. »Außerdem kann das, was auch immer uns verfolgt, unmöglich gefährlicher sein als du hinter dem Steuer.«

»Sehr witzig. Zufällig klappt alles wunderbar, also bleib einfach sitzen, und sei ruhig.« Sie warf ihm einen tadelnden Blick zu, ruinierte aber ihren Moment des Triumphes sofort wieder, als die Räder den Bordstein streiften und sie ein Stoppschild überfuhren. »Oh.«

»Ich vermute, wir sind kurz davor herauszufinden, ob ich wirklich unsterblich bin.«

Sie rümpfte die Nase und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Straße zu. »Nur weiter so, dann werfe ich dich hinaus. Vielleicht halten Ingrid und ihr unheimlicher Zwilling ja an und nehmen dich mit.«

Er stieß einen angewiderten Laut aus, akzeptierte aber offenbar, dass er sich in seiner Lage nicht beschweren durfte. Stattdessen zeigte er auf die Seitenstraße. »Bieg hier links ab.«

Kassie folgte seiner Anweisung und fuhr in einem langsamen, aber gleichmäßigen Tempo weiter, während sie die Randbezirke von St. Louis verließen. Sehr bald hatten sie alle Kennzeichen der Stadt hinter sich gelassen und fuhren eine von Maisfeldern flankierte Schotterstraße entlang.

Eine Stunde später fragte sich Kassie, ob sie sich vielleicht zu viel zugemutet hatte. Sie hatte keinen Unfall gebaut, den Göttern sei Dank, aber ihre Muskeln waren durch die nervöse Anspannung verkrampft, und ihre Finger schmerzten, weil sie das Lenkrad so fest umklammert hielt.

»Wie weit ist es noch?«

»Nicht mehr weit«, versicherte Caine ihr. »Bieg bei dem Briefkasten rechts ab.«

Kassie fuhr langsamer und bog in einen schmalen Weg ein, der uneben und fast völlig von Unkraut überwuchert war. »Wohin fahren wir?«

Caine richtete sich in seinem Sitz auf und ließ seine Macht in der Luft knistern, um sie zu überzeugen, dass er sich fast vollständig von seinem Kampf erholt hatte. »Ich habe in der Nähe ein Geheimversteck, nur ein paar Kilometer nördlich von hier.«

»Wie viele Verstecke hast du?«

Die Tatsache, dass er mit der Antwort nicht einmal zögerte, zeigte, wie viel Vertrauen er in sie hatte. »Ein Dutzend, verteilt über Nordamerika, und weitere sechs in Mexiko.«

Sie blinzelte verblüfft. Das schien ihr … etwas übertrieben zu sein. »Weshalb sind es so viele?«

»Ich wusste schon immer, dass Salvatore irgendwann meine Fährte aufnehmen würde«, sagte er achselzuckend. »Darum musste ich imstande sein zu verschwinden, ganz egal, wo ich mich gerade aufhielt.«

Das war natürlich schlau. Vom König der Werwölfe gejagt zu werden war ein tödlicher Sport. Trotzdem konnte sie nicht widerstehen, ihn zu necken. »Du bist wohl immer bereit?«

»Das ist mein Motto. Genau wie bei den Pfadfindern.«

Sie schnaubte. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du jemals Pfadfinder warst.«

»Nein«, stimmte er ihr bereitwillig zu, »aber es gab eine Zeit, in der ich danach gestrebt habe, Ministrant zu werden.«

»Ministrant?« Es gelang ihr nicht, ihren Schock zu überspielen. »Du?«

»Ich hatte ein Leben, bevor ich in eine Wolfstöle verwandelt wurde, weißt du?«, meinte er trocken.

Sie hielt ihren Blick auf den schmalen Pfad gerichtet und hoffte, dass nichts aus dem dichten Unterholz schoss, von dem die Maisfelder abgelöst worden waren. »Erzähl mir davon.«

Bei ihrer Bitte spannte sich sein Körper an. »Das ist so lange her, dass ich mich kaum noch daran erinnern kann.«

Kassandra zögerte. Sie konnte vielleicht nicht gut mit anderen Menschen umgehen, doch selbst sie hatte die starke Empfindung, dass er nicht über diese Angelegenheit sprechen wollte. Aber das verstärkte ihre Entschlossenheit nur noch herauszufinden, was er vor ihr verheimlichte. »Wo wurdest du geboren?«

Sie hörte, wie er einen schwachen Seufzer ausstieß. »In der Gosse von Paris, im Jahr 1787.«

»Paris?« Sie warf ihm einen verblüfften Blick zu. »Wirklich?«

»Augen auf die Straße, Schatz«, rügte er sie und griff sanft nach ihrem Kinn, bis sie wieder geradeaus blickte.

»Es tut mir leid«, murmelte sie. »Ich bin nur überrascht.«

»Warum?«

»Ich bin mir nicht sicher. Du wirkst auf mich sehr …«

»Was denn?«

Sie überlegte und versuchte das passende Wort für sein blondes, gutes Aussehen, sein leicht großspuriges Auftreten und den diabolischen Charme zu finden, der in seinen saphirblauen Augen funkelte. »Amerikanisch«, sagte sie schließlich.

»Das ist nicht gerade überraschend.« Sie spürte, wie er mit den Achseln zuckte. »Ich war kaum dreizehn, als ich als Matrose auf dem ersten Schiff anheuerte, das mich nahm. Dumm, wie ich war, dachte ich, nichts könnte schlimmer sein, als auf der Straße zu verhungern.«

Sie hatte genügend über Geschichte gelesen, um zu vermuten, dass ein kleiner Junge auf einem Schiff wohl nicht unbedingt das aufregende Abenteuer erlebte, das das arme Kind sich zweifellos erhofft hatte. »Aber es gab eben doch etwas Schlimmeres?«

Seine Finger trommelten unruhig auf dem Türgriff herum. »Wir waren weniger als einen Monat auf hoher See, als das Schiff von Piraten geentert wurde.«

Oh … Götter. Kassie fuhr jetzt so langsam, dass das Fahrzeug nur noch im Schneckentempo dahinkroch. »Haben sie dir etwas angetan?«

»Ja.«

Und mehr würde er zu diesem Thema auch nicht sagen, wie sie wehmütig erkannte. Eigentlich wollte sie die blutigen Einzelheiten auch nicht hören. Ein kleiner Junge in den Händen brutaler, gesetzloser Piraten … das war auch ohne weitere Erklärungen verständlich. »Das tut mir leid.«

Das Getrommel stoppte, als Caine langsam tief Luft holte. Ohne Zweifel kämpfte er gegen die Erinnerungen an diese düsteren Jahre des Elends an. »Ich habe überlebt, und eines Tages fuhren sie dicht genug am Festland entlang, dass ich es riskieren konnte, über Bord zu springen und ans Ufer zu schwimmen. Ich landete in New Orleans.«

»Wie alt warst du da?«

»Bis dahin hatte ich den Überblick verloren, aber ich glaube, ich war etwa siebzehn.«

»So jung noch«, flüsterte sie. »Wie hast du überlebt?«

»Ich habe gebettelt oder gestohlen. Gelegentlich habe ich meinen Körper verkauft.« Seine Stimme war ausdruckslos. Zu ausdruckslos. »Man kann sich keinen Stolz und keine Moral leisten, wenn man Hunger hat.«

»Ich verstehe«, sagte sie sanft.

Er strich ihr eine widerspenstige Locke von der Wange. »Wirklich?«

Kassandra nickte. Sie war niemals geschlagen, ausgehungert oder vergewaltigt worden. Aber sie war gegen ihren Willen von einer der bösesten Kreaturen, die es auf dieser Welt je gegeben hatte, festgehalten worden. Sie kannte die giftige Mischung aus Wut, Frustration und Angst, die man verspürte, wenn man der Gnade anderer ausgeliefert war. Und das eigenartige Schuldgefühl, das man empfand, wenn man nicht stark genug war, um die Kontrolle über sein eigenes Schicksal zu übernehmen.

»Wie lange warst du in New Orleans?«

»Fünf Jahre lang.« Er strich ihr die Locke hinter das Ohr, während sie den Blick auf den Weg gerichtet hielt. Es wurde immer schwieriger, durch das Unkraut hindurch den Weg zu erkennen. »Vielleicht wäre ich bis zu meinem Tod dageblieben, aber eines Tages wurde ich mit der Frau des Bürgermeisters im Bett erwischt. Dieser Mistkerl setzte ein Kopfgeld auf mich aus. Also dachte ich, es wäre eine gute Idee, Louisiana für ein paar Jahre zu verlassen.«

Kassie kicherte. Es überraschte sie nicht im Geringsten, dass er von einem gehörnten Ehemann aus der Stadt gejagt worden war. Welche Frau würde nicht versuchen, ihn in ihr Bett zu locken?

»Wohin bist du gegangen?«

»Nach St. Louis.«

»Und?«

Er zeichnete mit den Fingern die Kontur ihrer Ohrmuschel nach, bevor er ihre Kieferlinie streichelte. Kassandra erschauerte erwartungsvoll. Sie hoffte, dass sein Versteck in der Nähe war, denn sie hatte die Absicht, ihn ihrem bösen Willen zu unterwerfen, sobald er sich wieder völlig erholt hatte.

»Und ich hatte kaum einen Fuß in die Stadt gesetzt, als ich auch schon von einem seltsamen Tier angefallen wurde. Ich dachte, das würde das Ende meines traurigen Lebens bedeuten.« Er hielt inne und umfasste mit der Hand ihren Nacken. Es war eine rein männliche, besitzergreifende Geste. »Stattdessen war es nur der Anfang.«

Caine strich mit seinen Fingern über die elegante Kurve von Kassies Hals und fühlte mit seinem Daumen nach ihrem Puls, der gleichmäßig schlug. Ein Teil von ihm fühlte sich … empfindlich an, weil er etwas über seine Vergangenheit verraten hatte, das aus seinem Gedächtnis zu löschen er mehr als zweihundert Jahre geopfert hatte.

Allerdings hatte er es nie wirklich vergessen, gestand er sich trocken ein.

Er musste kein Psychiater sein, um zu wissen, dass seine obsessive Suche nach einem Weg, ein Rassewolf zu werden, von dem überwältigenden Bedürfnis herrührte, die Evolutionsleiter zu erklimmen. Sein ganzes Leben war er der Gnade anderer Personen ausgeliefert gewesen. Er war entschlossen gewesen, nicht länger Sklave zu sein, sondern Herr zu werden.

Aber ein größerer Teil von ihm war erleichtert darüber, dass er seine finstersten Geheimnisse gestanden hatte. Es fühlte sich an wie das Aufschneiden einer Wunde, die viel zu lange geeitert hatte.

Ein schwaches Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er Kassandras Profil studierte, das vor Konzentration angespannt wirkte. Sie hatte sein Geständnis akzeptiert, ohne ihn zu verurteilen oder zu verabscheuen. Und ausnahmsweise hatte ihn das Wissen, dass er bemitleidet wurde, nicht gekränkt. Kassies Mitgefühl war so rein und unbefleckt wie ihr Herz.

Schließlich riss ihn der Ruf eines Rotkehlchens aus seiner gefährlichen gedanklichen Beschäftigung mit seiner wunderschönen Begleiterin. Er unterdrückte einen Fluch, als er einen Blick auf die übermäßig wuchernde Hecke warf, und bemerkte, dass seine Zerstreutheit fast dazu geführt hätte, dass sie an seinem Versteck vorbeifuhren.

»Halt.«

Kassandra, die auf seinen Ausruf nicht gefasst gewesen war, trat so heftig auf die Bremse, dass Caine beinahe durch die Windschutzscheibe geflogen wäre. Klugerweise griff er hinüber, um den Schalthebel in die Parkposition zu schieben und den Schlüssel abzuziehen.

»Weshalb halten wir hier?«, fragte sie verwirrt.

»Mein Versteck liegt direkt hinter der Hecke.«

Sie verzog das Gesicht. »Es ist keine Höhle, oder?«

Er lachte leise auf. »Das Haus ist hinter einer Illusion versteckt.«

»Oh.«

Caine krabbelte aus dem Fahrzeug und war erleichtert, als er entdeckte, dass sein Körper schon fast verheilt war. Eine Dusche, etwas zu essen und ein paar Stunden Schlaf, dann wäre er wieder so gut wie neu. Er reckte und streckte sich, um seine Muskeln wieder geschmeidig zu machen, bevor er um die Motorhaube des Jeeps herumging und die Fahrertür öffnete. Mit einer eleganten Bewegung hob er Kassandra aus dem Sitz und drückte sie gegen seine nackte Brust.

»Was tust du da?«, fragte sie.

»Die Zauber, die das Haus schützen, wurden extra so gewirkt, dass sie mich erkennen«, erklärte er warnend und blieb stehen, um seine Hand flach auf die Hecke zu legen.

In der Luft bildete sich ein silbriger Schimmer, und eine schmale Öffnung kam zum Vorschein, die für alle bis auf die mächtigsten Dämonen unsichtbar war.

Caine durchquerte die magische Barriere und hielt an, um seinen forschenden Blick über das große hölzerne Wochenendhaus gleiten zu lassen, das zwischen den dicken Bäumen stand. Es war nicht annähernd so groß wie viele seiner anderen Verstecke, aber die großen Fenster des einfachen Nurdachhauses boten einen Panoramablick auf den kleinen Teich dahinter, und das Haus war vollständig ausgestattet mit allen Arten von modernem Komfort einschließlich eines Internetdienstes. Unter dem Haus befanden sich darüber hinaus stabile Zellen, in denen er seine Gefangenen unterbringen konnte, sowie ein Dutzend Fluchttunnel.

Er setzte seinen Weg zum Haus über den Steinpfad fort und blieb am unteren Ende der mit einem Geländer versehenen Veranda stehen, um seine Hand auf die unsichtbare Barriere zu legen, bis sich diese für einen kurzen Moment teilte und ihn hindurchgehen ließ.

Kassandra legte den Kopf in den Nacken, um ihm einen verwirrten Blick zuzuwerfen. »Um das Haus herum existieren ebenfalls Zauber?«

»Ja.« Er erklomm die breiten Stufen und lief um das Warmwasserbecken herum. »Sie sind besonders scheußlich, also verlass die Veranda nur, wenn ich bei dir bin.«

»Wäre es nicht einfacher, sie abzuschalten?«

Er schnaubte und öffnete die Glastür, um das Wohnzimmer zu betreten, das tadellos sauber war. Der L-förmige Raum war mit glänzendem Zedernholz verkleidet und verfügte über eine offene Balkendecke sowie einen dazu passenden Holzfußboden. Ein riesiger steinerner Kamin nahm eine ganze Wandlänge ein, und im hinteren Teil des Zimmers befand sich ein Treppenaufgang, der zu dem ausgebauten Dachgeschoss darüber führte. Traditionelle Ledermöbel standen auf den handgewebten Teppichen, und statt der üblichen ausgestopften Tierköpfe hingen unbezahlbare gerahmte Ölgemälde von William Turner an den Wänden.

»Genauso gut könnte ich eine Einladung in Prägedruck an jeden Dämon schicken, der dich jagt, und ihn bitten, sich an uns heranzuschleichen, während wir schlafen, aber das möchte ich lieber nicht tun«, meinte er und durchquerte das Zimmer, um die Küche zu betreten.

»Ich glaube nicht, dass Zauber uns vor dem Vampir schützen, gleichgültig, wie scheußlich sie auch sein mögen.«

Caine setzte Kassie auf einem Hocker ab, der an der Frühstückstheke stand, und verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein, und darüber müssen wir reden.«

Sie rümpfte die Nase, da sie zweifellos wusste, was er sagen würde. »Zuerst essen wir.«

»Kassie …«

»Wir könnten auch duschen«, unterbrach sie ihn, und die verführerische Einladung in ihren Augen ließ ihn augenblicklich hart werden. »Die letzte Dusche hat Spaß gemacht.«

»Scheiße.« Er drehte sich um, um mit einem Ruck die Rüschenschürze von dem Haken neben dem Herd zu reißen und sie sich um die Taille zu binden, um seine wachsende Erektion zu verbergen. »Sind alle Frauen mit dem Wissen geboren, wie man Männer manipuliert?«

Sie klimperte mit den Wimpern. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Wie praktisch.«

Ihre Grübchen blitzten auf und raubten ihm jedes Vermögen, verärgert zu sein. »Ich habe tatsächlich Hunger.«

»Na schön. Lass mich einen Blick in die Vorratskammer werfen«, gab er sich geschlagen. Vielleicht widerstrebte es ihm auch nur so sehr wie Kassie, über das zu reden, was als Nächstes anstand, dachte er, als er die große Vorratskammer betrat und den Gefrierschrank öffnete. Er griff nach dem nächstbesten Karton. »Pizza?«, rief er.

»Sicher.«

Er kehrte in die Küche zurück und zog die Pizza aus der Verpackung. »Ich schiebe sie in den Ofen, wenn du den Tisch deckst.« Er legte die Pizza auf ein Backblech und schob es in den Ofen. »Die Teller sind in dem Schrank über dem Spülbecken, und das Besteck liegt in der Schublade neben dem Kühlschrank.«

Caine war gerade dabei, eine Flasche Wein aus dem Regal auf der Küchenarbeitsplatte aus Marmor auszusuchen, als er hörte, wie Kassandra ein ersticktes Lachen ausstieß. Er drehte sich um und entdeckte, dass sie die falsche Schublade geöffnet hatte, sodass die knappen Schürzen, Dienstmädchenuniformen und essbaren Höschen zum Vorschein gekommen waren, die seinen Gespielinnen so sehr gefielen.

»Sind alle deine Verstecke so gut ausgestattet?«, fragte Kassandra mit einem übermäßig unschuldigen Lächeln.

Er ging zu ihr, um die Schublade zu schließen, und zog eine andere auf, um zwei Gabeln und den Korkenzieher herauszunehmen. »Einige mehr als andere«, antwortete er.

Kassie lachte und machte sich auf den Weg, um die Teller zu holen. Sie stellte sie auf die Frühstückstheke, zusammen mit Leinenservietten. Sein warnendes Knurren ignorierend, ging sie zum Ofen und spähte hinein.

»Hmmm.« Sie atmete tief ein. »Es sieht seltsam aus, aber es riecht appetitlich.«

Caine, der gerade damit beschäftigt war, den Wein einzugießen, sah seine Begleiterin überrascht an. »Du hast noch nie Pizza gegessen?«

Sie lächelte und trat vor ihn, um keck mit den Händen seine breite entblößte Brust zu erkunden. »Es gibt eine Menge Dinge, die ich noch nie ausprobiert habe«, rief sie ihm ins Gedächtnis, während ihre Finger seine aufgerichteten Brustwarzen umkreisten.

Er unterdrückte ein Stöhnen und packte sie an den Handgelenken, um ihre unwiderstehliche Verführung zu unterbrechen. »Wenn du so weitermachst, brennen wir noch das Haus ab. Und zwar wortwörtlich«, knurrte er und wich grimmig einen Schritt zurück, um nach den Weingläsern zu greifen. O Gott, diese Frau würde ihn noch ins Grab bringen. »Hier.«

Sie nahm das Glas entgegen, das er ihr reichte, roch daran und runzelte die Stirn. »Was ist das?«

»Ein sehr edler Chateau Margaux«, erklärte er und nippte mit der Anerkennung eines wahren Weinkenners an dem feinen Bouquet.

Kassie zögerte und beobachtete seine eindeutig genießerische Miene, als er trank. Dann nahm sie widerstrebend einen kleinen Schluck und schnitt eine Grimasse, als habe Caine ihr eine Zitrone in den Mund gesteckt.

»Igitt.«

»Igitt?« Er hob amüsiert die Brauen. »Eine Flasche kostet fünfhundert Dollar!«

Sie rümpfte die Nase. »Trotzdem schmeckt er ganz abscheulich.«

»Ich nehme an, man muss erst Geschmack daran finden.« Er holte einen Topfhandschuh, um die Pizza aus dem Ofen zu nehmen. Rasch ließ er ein Messer hindurchgleiten, bevor er zu Kassandra zurückkehrte, um die Pizzastücke zwischen ihnen aufzuteilen.

»Weshalb sollte man Geschmack an etwas finden, das ein Vermögen kostet?«, wollte Kassie wissen, als Caine sich auf einem Hocker neben ihr niederließ.

Er zuckte mit den Schultern. »Weil es ein Vermögen kostet.«

»Ich bin ja vielleicht gerade erst aus einer Höhle gekrochen, aber selbst ich weiß, dass das dumm ist.«

»Vielleicht.« Caine beobachtete, wie sie ein Stück Pizza in die Hand nahm und forschend die Wurst- und Pilzstücke betrachtete. »Sei vorsichtig, es ist heiß.«

Sie beugte sich vor und nahm einen kleinen Bissen, während er zusah. Sie grub die Zähne in den Käse und die Soße und schloss genießerisch die Augen. »Hmmm.«

Caine lachte leise und machte sich mit Genuss über sein eigenes Essen her. Er hatte viel Energie verbraucht, und zwar in einem beunruhigenden Tempo. Zuerst, um die verdammten Wolfstölen zu bekämpfen, und dann, um seine Wunden heilen zu lassen. Er benötigte eine Menge Kalorien, um wieder ganz zu Kräften zu kommen.

»Ich gehe davon aus, dass die Pizza deinen Beifall findet?«, fragte er zwischen zwei Bissen.

Sie verputzte ihr erstes Stück und verschlang ein zweites. »Viel besser als der Wein.«

»Warte nur, bis du von meinem berühmten Schokoladenkuchen mit flüssigem Kern kostest – ein Paradies aus geschmolzener Schokolade.«

Sie steckte sich den Rest der Pizza in den Mund und schob den Teller beiseite. »Das klingt köstlich, aber nicht mehr heute Abend.«

»Halt still.« Er beugte sich zur Seite, um mit dem Daumen über ihre Unterlippe zu streichen. »Du hast da etwas Käse …«

Er vergaß, was er eigentlich hatte sagen wollen. Zum Teufel, er vergaß, wie man dachte, als die Berührung ihrer sinnlichen Lippe eine heiße Woge der Erregung durch seinen Körper strömen ließ.

Verdammt.

Er hatte sich so viel Mühe gegeben, sein ungestümes Verlangen nach dieser Frau zu zügeln. Er wollte anständig sein. Ritterlich. Kassie war alles, was für ihn zählte, und er wollte tun, was für sie richtig war. Selbst wenn das bedeutete, sich das zu versagen, was er sich mit jedem Atemzug, mit jedem Herzschlag wünschte.

Mit jeder Faser seines Wesens.

Doch leider war er nicht in der Lage, seinen Körper dazu zu bringen, den Ritter zu spielen. Sein Körper wollte die Teller zur Seite schieben und Kassie direkt auf der Frühstückstheke nehmen.

Oder am Kühlschrank …

Oder …

Wie um seine Qualen noch zu verstärken, öffnete Kassandra die Lippen, um seinen Daumen in die feuchte Wärme ihres Mundes zu saugen. Er zuckte zusammen und fühlte sich, als sei er soeben von einem Blitzschlag getroffen worden.

»Kassie, nicht«, keuchte er.

Sie knabberte an seiner Daumenspitze, und ihre Augen verdunkelten sich. Darin erkannte er ein Verlangen, das auch in seinem tiefsten Inneren pulsierte.

»Weshalb denn nicht?«

Ja, weshalb denn nicht?

Caines gesamter Körper spannte sich vor Qual an, als er sich bemühte, trotz seiner schmerzhaften Erektion klar zu denken.

Ein Ruck – nur ein einziger kleiner Ruck – und sie säße auf seinem Schoß, die Beine weit gespreizt und ihre Unschuld bereit, von ihm erobert zu werden.

»Wir müssen reden«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Sie schüttelte den Kopf und beugte sich so dicht zu ihm, dass er die Hitze ihrer Haut spüren konnte. Eine pure, heiße Versuchung, die nach Lavendel duftete. »Ich will nicht reden.«

»Kassie, hör mir zu.« Er packte sie an den Schultern und klammerte sich an die letzten zusammenhängenden Gedanken, die in seinem Verstand noch übrig waren. »Ich kann dich nicht vor dem Vampir beschützen.«

»Das hast du doch schon getan.«

»Wir wissen beide, dass das nicht mehr war als verdammtes Glück.« Er verzog die Lippen vor Reue. Er war ja vielleicht ein schöner Held. »Gott, ich habe dich direkt in die Falle geführt.«

»Wir konnten doch nicht wissen, dass der Vampir imstande ist, seine Gestalt zu wandeln.« Kassandra hob die Hände, um damit in einer besänftigenden Geste über die nackte Haut an seinen Armen zu streichen. »Oder aus heiterem Himmel aufzutauchen und wieder zu verschwinden.«

»Umso mehr Grund, dich von deinen Schwestern und ihren Gefährten beschützen zu lassen«, zwang er sich einzugestehen, während er seine Bitterkeit zu überspielen versuchte. Was für eine Rolle sollte es spielen, dass er nicht derjenige war, der sie beschützte? Solange sie in Sicherheit war, sollte er eigentlich zufrieden sein. »Sie könnten dich mit ausreichend Wachtposten umgeben, um alle Gefahren von dir fernzuhalten.«

Sie schüttelte seine Hände ab, mit denen er sie auf Abstand hielt, und beugte sich vor, bis ihre Nasenspitze fast die seine berührte. »Nein.«

Er erzitterte, als er sich in dem Smaragdgrün ihrer Augen verlor, in dem man ertrinken konnte. »Verdammt, warum musst du so halsstarrig sein?«

»Ich bin nicht halsstarrig, Caine«, sagte sie sanft und hob die Hände, um sein Gesicht zu umfassen. »Ich hatte eine Vision.«

Aus der Traum.

Er unterdrückte seinen Protest, als ihm das Herz schwer wurde. Wollte er derjenige sein, der Kassie beschützte? Zum Teufel, ja. War die Zukunft der Welt von größerer Bedeutung als sein Stolz? Zum Teufel, ja.

Wie sollte er sie in Sicherheit bringen, wenn er keine Ahnung hatte, wie er den Vampir und sein Unheilstrio davon abhalten sollte, sie anzugreifen, wann auch immer sie den Drang danach verspürten?

Er lehnte seine Stirn an ihre. »Hat diese Vision zufällig irgendein magisches Mittel erwähnt, das dafür sorgen kann, dass wir kein Blutsaugerfutter werden?«

Sie streifte mit ihren Lippen seinen Mund. »Nein. Aber wir müssen in dein Versteck in Chicago zurückkehren.«

Soweit es Vorhersagen betraf, hätte es schlimmer sein können, dachte Caine ironisch. Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn von ihm erwartet worden wäre, Kassie in die nächste Höllendimension zu befördern und eine ganze Dämonenarmee zu bekämpfen.

Eine böse Vorahnung jagte ihm einen eiskalten Schauder über den Rücken. Mit einem Fluch verdrängte Caine alle Gedanken an drohende Visionen, an Vampire mit verrückten Fähigkeiten und an betrügerische Verräterwolfstölen.

Nur für einige wenige Minuten wollte er ein Mann sein, der mit der Frau allein war, die die Glut der Leidenschaft in ihm entzündete.

»Jetzt?«, krächzte er und umfasste ihre Taille.

»Nein.« Sie stieß einen kleinen Schrei aus, als er sie hochhob, um sie auf den Rand der Frühstückstheke zu setzen. Dann bildete sich allmählich ein Lächeln der Vorfreude auf ihren Lippen. »Sehr bald, aber nicht mehr heute Abend.«

Er stand auf, trat zwischen ihre Beine und ließ seine Hände unter ihr Oberteil gleiten.

»Gut.«