KAPITEL 25
Da Kassandra langsam auf die kämpfenden Gottheiten zugegangen war, empfand sie den Moment, in dem der Fürst der Finsternis starb, sehr intensiv.
Es war nicht nur die Tatsache, dass der gesamte Raum zum Stillstand kam und verstummte. Oder dass die blendenden Blitze nicht mehr zuckten.
Oder auch nur, dass der Schwefelgestank plötzlich verschwunden war.
Es war die Veränderung des unbarmherzigen Luftdrucks. Als sei ein furchtbares Unwetter vorübergezogen und habe die frische Leichtigkeit eines Frühlingstages hinterlassen.
Aber sie bemerkte es kaum, als die böse Kreatur von einem schimmernden Nebel verschlungen wurde, der sie den Blicken entzog. Alles woran sie denken konnte, war, dass Levet mit gebrochenen Flügeln bewegungslos auf dem Boden lag, die Brust durch den Blitzschlag aufgerissen.
»Levet!« Als Kassie ihn erreicht hatte, fiel sie auf die Knie und ergriff seine Hand, während sie gleichzeitig die winzige Dämonin wütend anfunkelte, die neben ihr auftauchte. »Verdammt, Ihr habt doch versprochen, ihn zu beschützen!«
Die Dämonin blickte sie unverwandt aus ihren schwarzen Augen an. Ihre Miene verriet nichts. »Ich werde mich um den Gargylen kümmern.«
Kassie biss sich auf die Unterlippe. »Ist er …«
»Keine Sorge.« Die andere Frau setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf, während sie einen Blick über Kassandras Schulter warf. »Du solltest dich wappnen.«
»Wie bitte?«
Kassandra nahm den Geruch eines unruhigen Werwolfes wahr, bevor sie hochgehoben und an eine breite, nackte Männerbrust gezogen wurde.
»Kassie«, knurrte Caine, und sein Herz schlug laut unter ihrem Ohr. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich nicht von der Stelle rühren.«
»Einen Augenblick.« Sie sah sich um und stieß einen verärgerten Seufzer aus, als sie bemerkte, dass die Dämonin bereits mit Levet verschwunden war.
Um der Frau willen hoffte Kassandra, dass sie sich gut um Levet kümmerte.
Wenn sie das nicht tat, dann würde Kassie … nun, sie wusste nicht, was sie dann täte, aber es würde sicher etwas Schlimmes sein.
Etwas sehr, sehr Schlimmes.
»Kassie?«
»Schon gut.« Sie wandte sich wieder Caine zu, um ihr Gesicht in die Halsbeuge ihres Gefährten zu graben und seinen willkommenen Moschusduft tief einzuatmen.
Er atmete zitternd aus. »Du wirst mich noch ins Grab bringen.«
»Nicht in nächster Zeit.«
»Hast du das in einer Vision gesehen?«, neckte er sie und fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar, sodass er ihren Kopf nach hinten kippen und ihr ein Lächeln schenken konnte, das bereits tausend Herzen hatte dahinschmelzen lassen.
Tausendundeins, korrigierte sie sich, nahm seine Hand und presste sie an ihre Brust.
»Nein, hier.«
Sie verloren sich in ihrem Staunen übereinander, ganz zu schweigen von der Erkenntnis, dass sie das Ende der Welt überlebt hatten, und ignorierten die Dämonen, die vor der verlorenen Sache flohen, schnell gefolgt von Vampiren und Werwölfen.
Und sogar das unerwartete Geräusch schreiender Säuglinge.
Erst, als Styx und Salvatore vor ihnen stehen blieben, wurden sie aus ihrer kurzen Illusion von Privatsphäre gerissen.
Die Könige wirkten beide ein wenig mitgenommen. Styx war mit Blut bedeckt, und sein Haar hing ihm wie ein verfilzter Vorhang über den Rücken, während es Salvatore zuwege gebracht hatte, eine Trainingshose überzuziehen, um seine Blöße zu bedecken. Sein Körper, der an zahlreichen Stellen verletzt war, war noch nicht verheilt.
»Verdammt …«, murmelte der Anasso, und sein Blick glitt hinter Kassandra.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, stieß Caine hervor, stellte Kassie wieder auf die Füße und richtete sich auf, um der neuen Katastrophe ins Auge zu sehen, die da möglicherweise gerade über sie hereinbrach.
Kassandra ließ sich etwas mehr Zeit. Sie wollte nichts Schlimmes mehr sehen.
Und zwar für eine lange Zeit.
Zuerst blieb ihr Blick an Abby hängen, die müde auf Dantes Schoß saß, während er zärtliche Küsse auf ihrem bleichen Gesicht verteilte. Sie wirkte erschöpft, aber erstaunlich unverletzt, wenn man bedachte, dass sie gerade gegen den Fürsten der Finsternis gekämpft hatte.
Irgendwann drehte sich Kassie um und erblickte den Vampir mit dem Irokesenschnitt und der Furcht einflößenden Schönheit, der neben seiner Gefährtin Laylah stand, der Halbdschinn. Sie hielt zwei Säuglinge in den Armen.
Maluhia und seine Zwillingsschwester.
Die Babys, die der Fürst der Finsternis für seine glorreiche Auferstehung erschaffen hatte. Sie waren nun unschuldige Kinder, die die Möglichkeit hatten, ihrem eigenen Schicksal zu folgen.
»Ist es vorbei?«, fragte sie flüsternd.
»Der Fürst der Finsternis ist tot«, erklärte Styx und deutete auf die versengte Stelle auf dem Boden, wo die böse Gottheit sich unter der Macht der Göttin aufgelöst hatte.
»Wirklich und wahrhaftig tot?«, wollte Salvatore wissen.
»So scheint es.«
Sie alle drehten sich um, um forschend den uralten Vampir anzusehen, aber es war der König der Werwölfe, der aussprach, was sie alle dachten.
»Ihr vermittelt mir nicht gerade ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit, Blutsauger«, meinte er. »Befinden wir uns nun in Sicherheit oder nicht?«
Styx schüttelte langsam den Kopf. »Ich bin mir nicht sicher. Diese Art von Macht …« Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Sie verschwindet nicht einfach.«
Kassandra begriff, was er meinte.
Zumindest in etwa.
Gab es da nicht eine Theorie über Schwarze Löcher und das Dilemma hinsichtlich der Tatsache, was mit der Energie geschah, die hineingesogen wurde? Wenn das Universum sich weigerte, Energien oder Informationen verloren gehen zu lassen, was passierte dann mit der Macht einer Gottheit?
Aber im Augenblick war das alles zu unergründlich, als dass man es geistig hätte verarbeiten können.
Glücklicherweise empfand Caine das ebenso. Mit einer einzigen fließenden Bewegung hob er Kassie hoch und drückte sie an seinen Brustkorb.
»Das scheint mir etwas zu sein, worum sich Könige Sorgen machen müssen, nicht wir Bauern«, versicherte Caine ihnen. Er lächelte zu Kassie herunter, ein verführerisches Versprechen in den blauen Augen. »Und ich bekomme meine längst überfälligen Flitterwochen.«
»Gebt gut auf sie Acht«, meinte Salvatore warnend, wobei seine Stimme rau klang.
»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte Caine. »Sie ist die Prophetin …«
»Nein«, unterbrach ihn der König der Werwölfe. »Sie gehört zu unserer Familie.«
»Familie«, murmelte Kassandra, und ein Gefühl der Wärme erfüllte ihr Herz.
Sie war so lange allein gewesen.
Jetzt hatte sie … alles.
Alles, was sich eine Frau nur wünschen konnte.
»Ob es Euch gefällt oder nicht«, meinte Salvatore mahnend.
»Es gefällt uns sehr gut«, antwortete Kassie und zwickte ihren Gefährten warnend.
»Na schön.« Caine warf seinem König einen warnenden Blick zu. »Aber wir sollten die nächsten ein oder zwei Jahrhunderte keine Familientreffen planen.«
Da für ihn das Gespräch damit eindeutig beendet war, drehte sich Caine um, um das blutdurchtränkte Kellergeschoss zu verlassen, wobei er Kassandra wie einen kostbaren Schatz in den Armen hielt.
»Einen Moment«, bat sie unvermittelt, ohne den resignierten Seufzer ihres Gefährten zu beachten.
»Was ist denn jetzt noch?«
Sie hob den Kopf, um über seine Schulter zu spähen, und blickte Styx in das neugierige Gesicht.
»Vor Jahren hatte ich eine Vision, die ich beinahe vergessen hatte.«
Der Anasso war augenblicklich auf der Hut. »Worum ging es dabei?«
»Um den Vampir, der die Prophezeitungen enträtseln kann.«
»Roke?«
»Ja, er ist von großer Bedeutung für die Zukunft der Vampire. Achtet darauf, dass er in Sicherheit ist.«
Styx’ große Gestalt erstarrte sofort vor Beunruhigung. »Er ist in Gefahr?«
Kassandra zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
»Einen Augenblick …« Der Vampir kam auf die beiden zu, als Caine seinen Weg zur Tür fortsetzte. »Ich habe noch einige Fragen.«
»Sie hat offiziell dienstfrei«, knurrte Caine und ignorierte das Chaos, das hinter ihnen lag.
Kassandra lächelte. Seine gnadenlose Weigerung stehen zu bleiben, störte sie überhaupt nicht. Sie war mehr als bereit, einfach irgendeine Frau zu sein, die Zeit allein mit ihrem Gefährten verbrachte.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie schließlich, als sie das Lagerhaus verließen und in die Nacht hinaustraten, die in Mondlicht getaucht war.
»Vegas, Baby.« Sein Lächeln ließ ein Versprechen erkennen, das ihr Herz heftig pochen ließ. »Vegas.«