Kapitel 7

Einige Tage später saß Jane an dem zierlichen französischen Sekretär ihrer Tante und versuchte, das vor ihr liegende Dokument zu lesen, während starke Gefühle von allen Seiten auf sie einwirkten.

Von dem gepolsterten Sofa kamen Izabels fester Wille und ihres Vaters aggressiver Verdacht, von dem Sessel auf der anderen Seite des Schreibtischs die Vermutungen des Anwalts und von dem Mann, der mit dem Rücken zum Fenster saß, ein undefinierbares Summen.

Jane schaute in Richtung der mauvefarbenen Schatten im Studierzimmer ihrer Tante, wo ihr zukünftiger Ehemann es sich bequem gemacht hatte und sie alle mit diesen schockierend blauen Augen beobachtete. Warum sagte er nichts?

»Vielleicht hat er dich mit jemandem verwechselt«, hatte Emma vermutet, als Jane ihr von seinem Antrag erzählt hatte. »Stell dir nur mal vor, wie peinlich es ihm sein muss, wenn er dir seine Aufwartung macht und feststellen muss, dass seine Verlobte nicht die richtige ist!« Aber Nicholas Satyr hatte bei ihrem Anblick nichts dergleichen erkennen lassen, als er an diesem Morgen angekommen war.

Sie senkte den Blick auf die Papiere, die ihr vor wenigen Minuten von seinem Anwalt unter die Nase geschoben worden waren. Es war unmöglich, die Sätze auf den Seiten zu verstehen, solange alle im Raum sie mit derart geballter Aufmerksamkeit beobachteten. Der Anwalt schob die Seiten näher an ihre Hand. Es war ein wenig subtiler Versuch, sie zum Unterschreiben zu drängen.

»Würdet Ihr mir diesen Absatz bitte erklären?«, bat sie ihn und tippte mit ihrer Schreibfeder auf einen bestimmten Paragraphen. Ihre Stimme klang unnatürlich laut in der Stille des Raums.

»Das ist Euer Ehevertrag. Ihr müsst hier unterschreiben«, antwortete er und deutete auf eine freie Stelle auf der letzten Seite.

Hielt er sie für dümmlich?

»Könnte ich mir den Vertrag bitte in Ruhe ansehen?«, fragte sie.

Ihre Tante kicherte nervös. »Mach dich nicht lächerlich, Jane. Das könnte den ganzen Morgen in Anspruch nehmen. Und Signore Satyr könnte dich falsch verstehen und glauben, du misstraust ihm. Unterschreib einfach und bring es hinter dich.«

Jane registrierte eine ungeduldige Bewegung im Schatten. Ein Mann erhob sich von dem Stuhl. Der Mann aus dem Zelt. Der Mann, der sie heiraten wollte. Nicholas Satyr.

»Seid ohne Sorge, mein Herr, sie wird unterschreiben«, säuselte Izabel, doch als sie sich wieder an ihre Nichte wandte, war ihr Blick eisig. »Nicht wahr, Jane?«

»Ich würde Signorina Cova gern unter vier Augen sprechen«, sagte Signore Satyr. Das tiefe Grummeln seiner samtigen Stimme war Balsam für Janes Nervenenden. Die Schreibfeder in ihrer Hand begann zu zittern.

»Sicher, Signore.« Izabel sprang auf und zog Janes Vater zur Tür. Der Anwalt zwinkerte ihr aufmunternd zu, als er dicht hinter den beiden den Raum verließ und die schwere Doppeltür hinter sich schloss.

Entrüstet starrte Jane dem Trio hinterher. Ihre Tante wusste nur zu gut, dass es sich nicht schickte, eine unverheiratete Dame mit einem Gentleman allein in einem Zimmer zu lassen. Was dachte sie sich nur dabei? Sie drehte sich um und sah, dass Nicholas Satyr sie beobachtete.

»Keine Pfeife heute?«, fragte er und zog die Mundwinkel leicht nach oben.

Sie brauchte einen Augenblick, bis sie begriff. Er meinte die aus dem Strunk eines Maiskolbens gefertigte Tabakspfeife, die zu ihrer Verkleidung als wahrsagende Zigeunerin gehörte. Also hatte er tatsächlich ihre Maskerade durchschaut.

Sie zuckte mit den Achseln. »Die Umstände schienen mir nicht angemessen.«

Sein Grinsen wurde breiter.

Er war unglaublich gutaussehend, sogar noch besser, als sie in Erinnerung gehabt hatte, wenn das denn überhaupt möglich war. Emma würde ihn für einen Ritter in, tja, in einer dunklen Weste halten. Als sie jetzt die Weste aus der Nähe betrachtete, fiel Jane auf, dass sie Ton in Ton bestickt war. Bizarre Bestien mit Schwänzen und Flügeln waren darauf zu sehen sowie Weinranken und Blüten. Ein anderer Mann hätte damit vielleicht lächerlich ausgesehen, aber bei ihm unterstrich dieses merkwürdige Kleidungsstück irgendwie seine Männlichkeit.

 

Nick bemerkte ihr Interesse an seinem Äußeren und akzeptierte es als nützlich. Manche hielten ihn für eitel, das wusste er, aber man konnte nicht dreißig Jahre alt werden, ohne sich darüber bewusst zu werden, welchen Effekt das eigene Aussehen auf die holde Weiblichkeit hatte. Er wusste, dass er gut aussah, und er benutzte dieses Wissen sowohl in geschäftlichen als auch in privaten Angelegenheiten. Davon einmal abgesehen, war es ihm ziemlich egal, welchen Eindruck er machte.

Ihr Duft war ihm in die Nase gestiegen, sobald sie den Raum betreten hatte. Sie roch nach Frühling und frischem Himmel, nach zerdrückten Blüten und kühler, schattiger Erde. Er trat näher an sie heran, wollte mehr von ihr. Befriedigung über ihre Nähe zischte durch sein Blut und erregte ihn. Dieses Mal gab es keinen Zweifel. Alles an ihr zeugte von ihrer anderweltlichen Herkunft. Ihr Gesicht und ihre Figur waren feenhaft zart, ihre Art und ihr Benehmen graziös. Er wurde ganz still und labte sich an ihr, ergötzte sich an der Freude, die Frau kennenzulernen, die er bald zur Gemahlin nehmen würde. Der Drang, sie zu besitzen – sich hier und jetzt mit ihr zu vereinen –, stieg in ihm hoch.

Vor ein paar Tagen war er heimgereist und erst gestern wieder in Tivoli angekommen. Der einzige Grund für seine Reise war die Vollmondnacht gewesen, die er gemeinsam mit seinen Brüdern verbracht hatte. Es bestand die Möglichkeit, das Ritual auch auf fremdem Boden auszuüben, aber wenn sein Geist und sein Körper sich verwandelten, war er verletzlich. Deshalb zog er es vor, nicht in der Gesellschaft von Fremden zu sein.

Als er sprach, verriet Nick nicht mit der kleinsten Silbe, worüber er gerade nachgedacht hatte. »Ihr zögert mit Eurer Unterschrift. Warum?«

Janes Blick huschte zur Tür und dann wieder zu ihm zurück. »Ihr müsst wissen, dass Euer Antrag recht überraschend kommt.«

»Als freudige Überraschung?«, wollte er wissen.

»Aus der Sicht meiner Tante auf jeden Fall«, erwiderte sie und lächelte bemüht.

»Und aus Eurer?«, fragte er.

»Aus meiner Sicht«, vertraute ihm Jane an, »seid Ihr zu unbeständig. Bei der Villa d’Este wart Ihr, wie ich mich entsinne, ziemlich stark auf eine andere Dame fixiert.«

»Aha!« Ein neuer Ausdruck trat in seine Augen und ließ sie vorsichtig werden. »Ich kann mein Verhalten von neulich nicht näher erklären. Aber als Ihr den Garten verlassen hattet, habe ich bemerkt, dass ich mich stark zu Euch hingezogen fühle. Bitte entschuldigt die Notwendigkeit, unsere Heirat durch dieses förmliche Arrangement mit Euren Eltern zu erwirken. Aber das ist hier bei uns in Italien so üblich.«

»Es unterscheidet sich nicht sehr davon, was in England üblich ist. Aber selbst dort lernen sich Mann und Frau erst ein wenig kennen, bevor sie heiraten.« Sie spreizte die Finger und gab so ihrer Verwirrung Ausdruck. »Wie könnt Ihr jemanden heiraten wollen, den Ihr gar nicht kennt?«

»So wie ich es auf Euren englischen Bällen beobachten konnte, tauschen sich Mann und Frau auch dort vor der Verlobung nur wenig aus. Die Frauen kleiden sich wie Blumen, um die Männer anzulocken. Ein paar wenige Tänze, noch weniger Worte, und die Männer sind unversehens verheiratet.«

»Ich war nicht aufreizend gekleidet, als wir uns kennenlernten.«

»Wie kann ich mich doch dann glücklich schätzen, dass ich Eure Verkleidung durchschaute.«

Nick fühlte, wie sie gegen die Pforten seiner Gedankenwelt drängte. Ihre Berührung war zielgerichtet, aber schwächer als sein Wille und leicht abzuwehren. Zweifellos war das nicht ihr stärkstes Talent. Für einen kurzen Moment dachte er darüber nach, was das wohl sein könnte.

»Ich habe das Gefühl, als gebe es einen Grund für Euren Antrag, den Ihr mir nicht verraten wollt. Warum sonst die Eile?«, nahm sie das Gespräch wieder auf.

»Ich kann meinen Ländereien nur schlecht für längere Zeit fernbleiben. Vor kurzem habe ich beschlossen zu heiraten. Und jetzt will ich es so schnell wie möglich hinter mich bringen.«

»Und jede beliebige Frau kommt dafür in Frage? Sogar eine, die verkleidet gegen Bezahlung die Zukunft weissagt?«

»Ich stelle zahlreiche Anforderungen an meine zukünftige Ehefrau.«

»Es würde mich schon interessieren, welcher Natur die sind«, schnauzte sie ihn an. »Ich verschaffe Euch keinen Titel, kein Land, keine Reichtümer. Ich bin vollkommen gewöhnlich.«

Sie hatte keine Vorstellung davon, wie falsch sie mit ihrer Einschätzung lag. »Ich verfüge bereits über genügend Titel, Land und Reichtümer, so dass ich sie nicht bei einer Frau suche. Ich erwarte nur eine intelligente, wohlerzogene junge Dame im heiratsfähigen Alter, die meine Kinder zur Welt bringen wird.«

»Bei diesen Anforderungen findet Ihr Hunderte von geeigneten Damen.«

In gespieltem Bedauern breitete er die Arme aus. »Die italienischen Gesetze erlauben es mir nicht, Hunderte zu heiraten. Ich habe Euch gewählt.«

»Aber nach allem, was Ihr wisst, könnte ich unkeusch sein.« Sie beugte sich verschwörerisch vor. »Oder eine Kandidatin fürs Irrenhaus.«

»Und, seid Ihr das?«, fragte er.

Sie lehnte sich zurück. »Das würde ich wohl kaum zugeben, nicht wahr?«

Er lächelte. Sie gefiel ihm. »Es ist nicht von Belang. Unser Ehevertrag erlaubt es mir, die Ehe aus einer Reihe von Gründen annullieren zu lassen, und die beiden, die Ihr angesprochen habt, fallen darunter. Kommt mit! Anders als Eure Tante will ich Euch nicht im Ungewissen lassen.« Er zog sie zum Tisch und setzte sie auf den Stuhl. Während er ihr über die Schulter schaute, fing er an, ihr jeden einzelnen Paragraphen des Vertrags zu erklären.

»Hier erwarte ich von Euch, den Namen Satyr als Euren Familiennamen anzunehmen, statt den Eures Vaters zu behalten. Das ist in Italien so üblich.« Der Wunsch, seine Ehefrau mit seinem Namen zu kennzeichnen, überraschte sie nicht, aber es war auch nichts Beunruhigendes dabei.

»Und hier steht, dass die Ehe aus einer Anzahl von Gründen annulliert werden kann.«

»Für nichtig erklärt, meint Ihr?«, unterbrach sie ihn. »Als hätte sie nie existiert?«

Er nickte, und sie fragte sich, wie ein Mann bloß auf die Idee kommen konnte, dass so etwas möglich war.

»Wie Ihr hier seht«, fuhr er fort und ging dabei einen Absatz nach dem anderen durch, »kann ich eine Annullierung verlangen, falls Ihr keine Jungfrau mehr sein solltet.«

Die Schamesröte stieg ihr ins Gesicht, und sie war froh, dass durch ihren gesenkten Kopf wenigstens ein Teil ihrer flammend roten Wangen verborgen blieb.

»Ebenso«, sprach er unbeirrt weiter, »kann ich eine Annullierung verlangen, wenn Ihr Euren ehelichen Pflichten nicht nachkommt, mir untreu werdet oder nicht in angemessener Zeit einen Erben zur Welt bringt.«

»Letzteres ist wohl kaum gerecht.«

»Aber notwendig. Und falls es zu einer Annullierung kommen sollte, werde ich selbstverständlich mit großzügigen Unterhaltszahlungen für Euch sorgen.«

Hoffnung stieg in ihr auf. Mit einem solchen Arrangement könnten Emma und sie frei sein und als unabhängige Frauen leben.

»Spreche ich zu geradeheraus?«

»Ganz im Gegenteil«, sagte sie. »Euer Mangel an Schönfärberei lässt mein Vertrauen Euch gegenüber wachsen.«

»Lässt er Euch genug vertrauen, dass Ihr meinen Antrag annehmt?«, murmelte er über ihr.

Jane starrte die Buchstaben an, die vor ihren Augen über das Papier tanzten. In Gedanken wog sie ab, welche Möglichkeiten ihr offenstanden.

Wenn sie ihn heiratete, hätte sie Zugang zu seinen Ländereien. Auf diesem alten Land wuchsen vielleicht Pflanzen wie der Goldlauch, die ihr und ihrer Schwester möglicherweise halfen, bevor es zu spät war. Das war definitiv ein Grund dafür, ihn zu heiraten.

Aber er würde sie berühren. Könnte sie verhindern, mit ihm zu verschmelzen? Er kam ihr nicht vor wie ein Mann, der vieles von dem, was sie wirklich ausmachte, übersehen würde. Ein Grund dagegen.

Und doch, er hatte zweifellos Geschäftsinteressen, die ihn oft von zu Hause fortführten. Vielleicht würde er so wenig Zeit in ihrer Gesellschaft verbringen, dass er niemals bemerken würde, dass seine Frau ein unnatürlicher Sonderling war. Ein Plus.

Und er war nicht Signore Nesta. Ein dickes Plus.

»Mögt Ihr Kinder?«, fragte Nicholas Satyr und riss sie damit aus ihren Gedanken. »Oder etwas genauer: Seid Ihr bereit, mir welche zu schenken?«

Sie stand auf und entfernte sich ein paar Schritte vom Schreibtisch und somit von ihm. Wenn sie sicher sein konnte, dass sie nicht ihren Makel erben würden, würde sie ihm liebend gern Kinder gebären. Sie würde sie mit der ganzen Zuneigung verwöhnen, die ihre Familie ihr verweigert hatte. Sie drehte sich zu ihm um und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Es ist nicht möglich, die Wahrscheinlichkeit und die Geburt von Erben im Vorhinein festzulegen.«

Geheimnisse flammten in seinem Blick auf. »Deshalb habe ich den Absatz einfügen lassen. Irrt Euch nicht – die Zeugung von Erben ist von eminenter Bedeutung für meine Beziehung zu Euch. Solltet Ihr Euch als nicht willens oder nicht fähig erweisen, mich mit solchen zu versorgen, muss ich die Freiheit haben, mich mit einer anderen zusammenzutun.«

Er trat vor sie, hob mit einem Finger ihr Kinn an und wartete, bis sich ihre Blicke trafen. Erstaunlicherweise stellten sich bei seiner Berührung keinerlei Visionen ein. »Versteht Ihr, was das bedeutet?«, fragte er.

Sie schaute ihn scharf an. Meinte er jetzt den Geburtsvorgang oder …

»Versteht Ihr, was in unserem Ehebett passieren wird?«, stellte er klar.

Sie zappelte, und er erlaubte, dass sie sich aus seinem Griff befreite. »Eure Frage kommt etwas vorschnell. Bevor wir uns einig werden, habe ich selbst einige Bedingungen zu stellen.«

Er verschränkte die Arme und lehnte sich an den Schreibtisch. »Sprecht.«

»Es geht um meine Schwester, Emma. Ihr wisst von ihr?«

Er nickte.

»Seit dem Tod unserer Mutter habe ich mich um Emma gekümmert. Wenn ich heiraten sollte, dann möchte ich sie bei mir haben. Und ich würde ein Versprechen halten wollen, das ihr einst gegeben worden ist, nämlich dass sie eine Schule besuchen darf, die sie selbst ausgesucht hat. Sie ist recht intelligent.«

»Selbstverständlich«, stimmte er zu.

»Es könnte teuer werden«, warnte sie ihn.

Er wedelte mit dem Finger in einer sorglosen Geste, die typisch italienisch war. »Die Kosten spielen keine Rolle.«

Jane stieß den Atem aus, von dem sie nicht gewusst hatte, dass sie ihn angehalten hatte. Wie unproblematisch das doch gewesen war. Vielleicht würde der Umgang mit ihm doch gar nicht so schwierig werden.

»War das Eure einzige Bedingung?«

»Ich habe noch eine zweite«, sagte sie. »Ich bin es gewohnt, meine Beschäftigungen frei wählen zu dürfen. Ich möchte sie weiterhin betreiben, ohne dass Ihr Euch einmischt.«

»Handlesen?«

»Nein«, sagte sie und konnte es gerade noch verhindern, dass sie errötete. »Das habe ich nur des Geldes wegen getan.«

Er legte den Kopf schief und schaute sie abschätzend an. »Ist die Frage gestattet, wobei es sich im Groben bei dieser Beschäftigung handelt?«

Ihr wurde bewusst, dass sie die Hände rang, und sie zwang sich dazu, sie ruhig zu halten. Sie legte sie in ihren Schoß, eine über die andere. »›Studien‹ wäre eigentlich die treffendere Bezeichnung. Botanische Studien.« Sie unterdrückte den Impuls, sich mit weiteren Erklärungen und Bitten zu demütigen.

Er schaute sie noch ein wenig länger an, dann antwortete er ihr unbekümmert und ohne Vorbehalt. »Solange sie weder Euch noch meine Familie in irgendeiner Weise gefährden oder kompromittieren, dürft Ihr Euren Beschäftigungen nachgehen.«

Sie seufzte. »Das finde ich so schwierig bei dieser ganzen Ehe-Geschichte: Warum darf der Mann seiner Frau etwas erlauben oder verbieten, nur weil er ein Mann ist? Wenn ich ehrlich sein soll, dann würde ich doch lieber ledig bleiben.«

»Es ist die Pflicht des Ehemanns, seine Frau und seine Familie zu schützen. Und Ihr solltet bedenken, dass Signore Cova weiterhin Eure Zukunft für Euch bestimmen wird, solange Ihr nicht heiratet.«

Sie wusste, dass er recht hatte. Bis sie selbst genügend Geld hatte, würde immer irgendein Mann über ihr Leben bestimmen.

Das Gefühl, in der Falle zu sitzen, schnürte ihr den Atem ab. Warum machte sie dieser Farce nicht einfach ein Ende? Sie sollte ihn ablehnen, und damit wäre die Sache ein für alle Mal erledigt. Seine Kinder zur Welt zu bringen war einfach zu riskant. Und wenn er wüsste, wie anders sie war, dann würde er mit Sicherheit gar keine Kinder von ihr wollen.

In ihrer Verzweiflung hatte sie eine Idee. Es gab eine Möglichkeit, flüsterte eine Stimme in ihr. Es gab doch Kräuter, die angeblich eine Schwangerschaft verhinderten. Dank dieser Kräuter könnte sie ihn heiraten und bei ihm liegen und doch nicht schwanger werden.

Es war Betrug, und er würde über kurz oder lang die Ehe annullieren lassen, wenn sie ihm keinen Erben gebar. Aber so lange hätten Emma und sie ein Zuhause. Und danach den Unterhalt, den er versprochen hatte.

Sie betrachtete ihn unter halbgeschlossenen Lidern. Sollte sie es wagen, ihn derart hinters Licht zu führen?

Er verstand ihren Blick als Einladung und trat näher an sie heran. Er ergriff sie an beiden Oberarmen und zog sie an sich. Sie ließ die Umarmung zu und brachte sogar den Mut auf, ihre Hände auf seine Brust zu legen. Starke Muskeln und gute Knochen lagen unter seiner Weste, und darunter pochte sein Herz regelmäßig und kräftig.

Ohne Vorwarnung löste sich der Stoff der Weste unter ihren Fingern auf und legte wohlgeformtes männliches Fleisch frei, das sich in unverhüllter Leidenschaft bewegte. Sie ballte die Fäuste und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Sie hob den Blick.

Dunkle, spitze Wimpern umrandeten diese erstaunlichen blauen Augen, die sie unverwandt anstarrten. Ein rosiger Schimmer lag auf seinen Wangenknochen und bezeugte seine gute Gesundheit. An der edlen Linie seiner aristokratischen Nase und geraden Stirn erkannte man seine gute Abstammung. Selbstbewusstsein strömte aus jeder Pore seines Körpers. Sein Wille schien sich ihr zu nähern, ihren Geist zu kitzeln, sie zu drängen, ihn anzunehmen.

Wieder fragte sie sich, warum ein so gutaussehender und wohlhabender Mann derart darauf versessen war, ausgerechnet sie zur Frau zu nehmen.

Er ließ seine Hände ihre Arme hinaufgleiten, umfasste ihre Schultern, strich mit seinen Daumen über die Kuhlen ihres Schlüsselbeins. Finger legten sich zärtlich um ihren Kopf, spielten mit ihren Haarsträhnen in der leichten Vertiefung in ihrem Nacken. Sie zitterte, aber nicht aus derselben Angst, die Signore Nesta in ihr heraufbeschworen hatte. Die Berührungen dieses Mannes waren verwirrend, aber ganz und gar nicht unangenehm.

Seit vielen Jahren hatte sie die Berührung durch einen anderen Menschen gemieden und war sie inzwischen nicht mehr gewöhnt. Selbst Emmas Hand zu halten, hatte sie sich mehr oder weniger abgewöhnt. Das Risiko, mit dieser anderen Person zu verschmelzen, war einfach zu groß. Aber mit ihm verschmolz sie jetzt nicht. Verlor sie ihre Fähigkeit, oder hatte sie nur gelernt, sie zu beherrschen?

Sein Kopf lag dicht an ihrem, und seine Stimme grummelte in ihr Ohr: »Kommt, wie lautet Eure Antwort, Jane?«

Ihre Gedanken überschlugen sich. Wenn sie daran arbeitete und ihre Gefühle im Zaum hielt, dann könnte sie es vielleicht wirklich schaffen; sie könnte lernen, nur dann mit ihm zu verschmelzen, wenn sie es wollte.

»Ich bin mir ganz und gar nicht sicher, dass der Weg, den Ihr einschlagt, weise ist. Aber wenn Ihr unbedingt wollt, dann ja«, hörte sie sich selbst sagen. »Meine Antwort lautet: Ja.«

Bevor sie es sich noch einmal anders überlegen konnte, nahm er sie beim Oberarm und führte sie zurück an den Schreibtisch. Als er die oberen Blätter zur Seite schob und das letzte vor ihr lag, setzte sie mit energischen Strichen ihren Namen unter das Dokument.

Blaue Augen lächelten auf sie herab. »Ihr erweist mir eine große Ehre, Signorina.«